7
verklagen. Seht, da habe ich vor mehreren Jahren mein Bischen Hab'
und Gut meinen sechs Sehnen abgetreten, um meine alten Tage in Ruhe
zu verleben. Der älteste bekam die Grundstücke, Haus und Hof, Aecker
und Wiesen; er verglich sich mit seinen Brüdern und versprach, mich
bis an meinen Tod zu ernähren und zu verpflegen. Aber das will er
nun nicht mehr thun, und bei meinen andern Söhnen finde ich auch
keine Hülfe. Darum will ich mich mit einer Klage an die hochfürstliche
Regierung wenden/'
„Aber, sagt mir doch," fragte der Thorschreiber, „wie alt seid
ihr denn eigentlich?" — „Großer Gott," entgegnete der Bauer, „ich
bin nun 73 Jahr alt." — „ Nun," sagte der vorwitzige Thorschreiber,
„da kann ich euch den Bescheid selbst geben, und ihr braucht euch nicht
erst an die Regierung zu wenden. Ihr wißt ja, daß in der heiligen
Schrift steht: Unser Leben währet siebenzig Jahr. Da habt
ihr schon drei Jahre zu viel gelebt!"
Der Alte sah den Thorschreiber erschrocken an: „Ja wenn's so
ist, so thue ich wohl am besten, wenn ich umkehre. Unser Herr Gott
wird mich ja bald zu sich nehmen!" sagte er endlich wehmüthig, und
setzte sich auf einen Stein vor'm Thore, um auszuruhen.
Den Greis hat unser Herr Gott zu sich genommen ; auf dem Steine
aber am Thore sitzt alle Sonntage der älteste Sohn und bettelt.
O. Schulz. -
8. Brüderliche Liebe.
Durch schwere Erfahrungen von der Unzuverlässigkeit und
dem bösen Sinne der Menschen war der Kaiser Albrecht dahin
geltracht, dass er die Menschen hasste, düster in ^ich gekehrt in
seiner Hofburg zu Wien sich einschloss und Niemanden vor sich
lassen wollte. Nur ein grosser Hund, Packan geheissen, war
ihm wegen seiner Treue lieb geblieben, und er sagte es Denen,
mit welchen er durchaus umgehen musste, offen, dass ihm die An-
hänglichkeit dieses Thieres allein aufrichtig scheine. Es war, als
ob der Hund diesen Vorzug anerkenne. Vor dem Zimmer des
Kaisers gelagert, liess er keinen Fremden in dasselbe hinein, und
wer es dennoch wagen wollte, den knurrte er grimmig an und
wies ihm die scharfen Zähne, vor denen Jeder gern zurückwich.
Eines Tages kam auch der Herzog Leupold, der Sohn des
Kaisers, seinen Vater zu besuchen. Da trat ihm Packan, der ihn
kannte, liebkosend entgegen, wedelte mit dem Schwänze und gab
seine Freude auf mancherlei Weise kund. Herzog Leupold freute
sich darüber und schmeichelte ihm wieder. Dennoch gab es der
Hund nicht-zu, dass der Herzog sich dem Zimmer nahte, und
hielt ihn, fest an dem Wamse mit seinen Zähnen gepackt, zurück.
Der Herzog, ein junger starker Mann, wehrt ihn ab und will mit
Gewalt zu der Thüre, da fährt, Alles vergessend, der Hund empor
und fasst den Prinzen am Kragen fest. In der Ueberraschung und
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe]]
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Extrahierte Personennamen: Schulz Albrecht Albrecht Leupold Leupold
13
In jenen Jahren lebte in den Odergegenden ein Mann, dess Feld
war Höhenland und halte gut getragen. Und sein Feld war gross,
so dass er eine gewaltige Masse Roggen in der Scheuer und end-
lich auf dein Boden hatte. Hoch waren die Preise schon im
Herbste. Mit dem Winter und dem Frühjahr stiegen sie immer
höher. Mancher Handelsmann klopfte an die Thür des Reichen,
mancher Handwerker bettelte, er möchte ihm doch für gutes Geld
ein Schelfelchen ablassen, Alle aber wurden abgewiesen mit der
Antwort: „Ich habe mir einen Satz gemacht, der Boden wird
nicht eher geöffnet, als bis der Scheffel acht Thaler kostet. Da-
bei bleibe ich! Und zum Zeichen hatte er an die Bodenthür eine
grosse, schwarze 8 mit Kohle gemalt. Der Winter verging, der
Mai kam heran; aber die Preise waren hoch gestiegen, denn die
gewaltigen Finthen hatten grossen Schaden gethan. Am 7. Mai
kam ein armer Leinweber, ein ehrlicher Meister aus dem Orte.
Sein Gesicht sah vor Hunger und Grämen selber aus, wie griese
Leinwand. Er zahlte ihm, damit der reiche Mann Geld sähe, für
einen halben Scheffel 3 Thir. 22 Ggr. auf den Tisch. Die 22
Ggr. bestanden aus Dreiern, Vierlingen und Groschen und Sech-
sern vom alten Fritz, die man sonst wohl Stiefelknechte nannte,
denn der Mann hatte Alles zusammengesucht. Aber der Bauer
sprach: „Euer Aufzählen hilft euch nichts, der Scheffel kostet 8
Thaler, das ist mein Satz. Eher thue ich meinen Boden nicht
auf. Und dann muss es ordentlich Courant sein. “
Des Bauern Söhnchen, ein Bürschchen von 10 Jahren, zupfte
den Alten am Rocke: „Vater, gebt’s ihm doch!“
Aber der Vater prägte ihm mit einem Rippenstoss andre
Grundsätze ins Herz. Der Weiter musste sein Geld zusammen-
streichen und heim wandern. Den 8. Mai in der Abenddämme-
rung kam die Zeitung an. Einen Blick hinein, und der Bauer
land, was er linden wollte: „Roggen 8 Thaler.“ Da zitterten
ihm die Glieder vor Freude. Er nahm ein Licht, ging auf den
Boden und wollte übersehen, wie viel er wohl verfahren könnte,
und überschlagen, wie gross seine Einnahme wäre. Indem er so
durch die Hauten und gefüllten Säcke hinschreitet, strauchelt er
an einem umgefallenen, fällt selber, das Licht fliegt ihm aus der
Hand und in einen Haufen Stroh, der daneben liegt. Ehe er sich
aber aufraffen kann, steht djs Stroh in bellen Flammen. Ehe an
Hülfe zu denken ist, hat das Feuer Dachstuhl und Dielen ergrif-
fen. Um Mitternacht an demselben Tage, wo der Scheffel Rog-
gen 8 Thaler galt, wo er aut seinen Satz gekommen war, wo er
seinen Boden geöffnet hatte, stanff er am Schutthaufen seines
ganzen Gutes als ein armer Mann.
Fr. Aklfeld.
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15
ein Jahr das Schiff und so viel Geld und Nürnberger Waaren, als
möglich, und laßt mich nach der neuen Welt fahren; ihr wißt, der
alte Jansen war schon zweimal dort und versteht den Kram. Zwar der
alte Herr war auch immer ängstlich und meinte, es lasse sich ohne groß-
ßes Wagniß schon bei uns was gewinnen; aber das ist nun anders
geworden, drum muß man's anders treiben."
Da standen die beiden Herren aus und gingen lange im Zimmer
auf und ab und berathschlagten. Nachdem nun sedes Für und Wider
hinreichend erwogen worden, wie es verständigen Männern ziemt,
wurde beschlossen, daß Jansen reisen sollte. Vier Wochen später schritt
Herr van Steen in seinem Rathsherrngewande mit Jansen neben zwei
schwer bepackten Dienern hinter sich dem Hafen zu. Die den ganzen
Hafendamm bedeckende Menge Volks, die unter Musik und Jauchzen
der Zurüstung und Abfahrt des großen Handelsschiffes harrte, machte,
als Herr Gruit mit Jansen ankam, ehrerbietig Platz; denn der wackere
Mann war geliebt und geachtet von Alt und Jung, Vornehm und Ge-
ring. Einige Rathsherrn, Freunde der Beiden, traten freundlich grü-
ßend hinzu, und der ältere, ein Mann mit greisem Haare und Barte,
sprach: „Freund Hermann, Euer Schiff ist schwer bepackt und geladen;
Ihr habt doch nicht zu viel gewagt? Denn weit ist der Weg und ge-
fährlich die Fahrt, und unser Jansen ist eben auch keiner der Jüngsten
mehr." Herr Hermann zuckte die Achsel und sprach: „Der Jansen
hat'ö auf sich; ihm, seiner Treue, Kenntniß und Geschicklichkeit hab' ich
vertraut und Alles überlassen." Aber Jansen antwortete munter:
„Laßt's Euch nicht anfechten, ihr Herren! Es ist das dritte Mal,
daß ich die Fahrt mache, und aller guten Dinge siipd ja drei; drum
hoffe ich fest, wir sehen uns gesund und freudig wieder: wir haben ja
das Sprüchwort: „Gott verläßt keinen Deutschen," und den alten
Jansen nun schon einmal gar nicht; drum lebt wohl!"
Da donnerte der erste Signalschuß zur Abfahrt, und das Boot,
das ihn einnehmen sollte zur Ueberfahrt nach dem Schiffe, war eben
gelandet. Der ehrliche Jansen drückte seinem Herrn noch einmal kräf-
tig beide Hände, ein paar Thränen träufelten doch dem alten Knaben
in den grauen Bart, und er stieg ein. Die Musik ertönte lebhafter;
leicht hintanzend über die spiegelglatte Fläche, langte das Boot am
Schiffe an. Die Leiter ward herabgelassen, hinauf stieg Jansen, schnell
ward die Leiter zurückgezogen, eben so schnell ward der große Anker
aufgewnnden und das Boot befestigt; und nun donnerte der letzte Ka^
nonenlchnß zur Abfahrt^ alle Wimpel flaggten, und stolz flog das
Schiff dahin, alle Segel gebläht vom günstigen Winde; vom Verdeck
winkte noch einmal Jansen mit dem Tuche das letzte Lebewohl, und
bald war das Schiff dem Auge kaum mehr sichtbar. Die Menge ver-
lief sich, und die Herren schritten unter freundlichen Gesprächen ihren
Wohnungen zu.
Drei Vierteljahre waren seitdem verflossen, und kein Jansen kam
zurück, noch nirgend eine Nachricht von ihm; wohl aber hatten sich
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Extrahierte Personennamen: Jansen Jansen Hermann Hermann Jansen Jansen Jansen
17
Osen, die rothgeweinten Augen zur Erde gewendet, die Hände gefaltet
und fest zusammengepreßt, während die beiden jungen Knaben, unbe-
kümmert um Alles, mit der großen Angorakatze spielten; Fritz, der
älteste, aber hielt den quer vor der Thür liegenden zottigen Voll, den
Haushund, bei beiden Ohren fest, als er auf ein Anklopfen an die
Thür knurrend aufspringen wollte, und sagte begütigend: „Sei nur
still, Voll, ich leid's nicht, daß sie dich verkaufen." Vorsichtig über
den Hund wegschreitend, trat Stephan, der Rathsdiener, herein, ein
gutmüthiger Alter, der früher so oft mit freundlichem Bücklinge Herrn
Hermann in bessern Zeiten die Thür des Rathssaales geöffnet hatte,
und sagte mit vor Mitleid zitternder Stimme: „Herr Senator, den
Lehnsessel soll ich holen." Da wendete Herr Hermann den Blick und
sprach seufzend: „Ach, das ist das Härteste; doch dein Wille, o Gott,
geschehe!" Es war der mit dem grünen Sammt beschlagene Lehn-
sessel des seligen alten Herrn, worin er sanft verschieden war, nachdem
er noch den väterlichen Segen ertheilt hatte, bis dahin als unberühr-
bares Heiligthum im Hause gehalten.
Hinaus ward der Sessel getragen, und ihm folgte mechanisch die
ganze Familie nach, als könnte sie sich nicht davon trennen, Fritz mit
dem Voll vo-raus. Der Auctionator rief: „Nr. 120, ein noch wohl
conditionirter Lehnsessel, mit Sammt beschlagen!" — und eine lange
Pause folgte, da sich alle Blicke nach der jammernden Familie gewandt
hatten. Endlich ries die schnarrende Stimme eines dicken Fleischers:
„Vier Mark!" — „ Also vier Mark zum Ersten," rief der Auctiona-
tor mißmuthig; in diesem Augenblicke riß sich der schon seit einigen
Minuten unruhig schnüffelnde Voll von Fritz los und sprang wie be-
sessen freudig bellend vor's Haus, und zum offen stehenden Fenster her-
ein rief eine starke Baßstimme: „40 Mark zum Ersten!" Augenblicks
darauf trat hastig in's Zimmer ein vor Eile glühender Mann'mit son-
nenverbranntem Gesichte in Schiffertracht, begleitet vom wedelnden Voll,
und wiederholte mit Donnerstimme: „400 Mark zum andern, zum
dritten und letzten Mal!" und schlug mit seinem spanischen Rohre
dergestalt auf den Tisch, daß des Auctionators Papiere umherflogen
und dieser, wie die ganze Menge, zusammenschrak. „Herr Gott, unser
Jansen!" ries Herr Hermann und fiel ihm um den Hals; der aber
fuhr fort: „Ja, ich bins; unser Schiff liegt voll Goldbarren und
Waaren im Hafen; aus ist die Auction! nun fort ihr Alle!" dabei
schwenkte er das Rohr über den Köpfen hin; „morgen kommt auf das
Rathhaus, da soll Alles sammt Interessen bezahlt werden; denn wissen
sollt ihr: unser alter Herr Gott lebt noch, unser gutes Haus steht
noch, und die Firma Hermann Gruit van Steen florirt noch! Und
nun seid erst freudig gegrüßt in der Heimath, mein Herr Hermann
und Frau Elisabeth, von eurem alten Jansen!"
I. B. (Dorfztg.)
Wangemann, Hülfsbuch. Iii. Abth.
2
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Fritz Stephan Hermann Hermann Fritz Fritz Hermann Hermann_Gruit Hermann Elisabeth Wangemann
19
And keuchend folgt er dem raschen Trabe,
Bittet die Herren um eine Gabe.
Herr Luther fuhr schnell in die Taschen,
Und wie er's eben möcht erhaschen,
Warf er zwei Groschen wohlgemutst
Dem armen Schelmen in den Hut.
Herr Jonas bracht's nicht schnell zuwege,
Er ziehet ein Beutclchen aus der Ficke
Und mustert die Groschen und Dreierstücke,
Auch prüst er strenge das Gepräge
Von jeder Seit' mil scharfem Blicke,
Und erst nach langem Drehn und Wenden
Entläßt er den Dreier seine» Händen.
Und weiter rollet der geistliche Wagen.
,,Wer weiß," hub Jonas an zu sagen,
„Wo Gott die Gabe wird vergelten,
Sei's hier nicht, doch in bessern Welten."
Da lacht der Luther frei ihm ins Gesicht
Und strafet frisch ihn von der Leber.
„Herr Doctor! wißt ihr denn noch nicht,
Daß Gott nur liebt den frohen Geber?
Und wer nur leihet auf Gewinn,
Hat wahrlich seinen Lohn dahin?"
Es rölhen sich Herrn Jonas Wangen;
Die Sonne ist eben untergegangen
Und ließ von ihrem Strahlenblick
Die letzte Segensspur zurück. Hagenbach.
17. Das gute Heilmittel.
Kaiser Joseph in Wien war ein weiser und wohlthätiger Mo-
narch, wie Jedermann weiß; aber nicht alle Leute wissen, wie er ein-
mal der Doctor gewesen ist, und eine arme Frau geheilt hat.
Eine arme kranke Frau sagte zu ihrem Büblein: „Kind, hol' mir
einen Doctor, sonst kann ich's nimmer aushalten vor Schmerzen!"
Das Büblein lies zum ersten Doctor und zum zweiten; aber keiner
wollte kommen: denn in Wien kostet ein Gang zu einem Patienten
einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Thränen, die
wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen Leuten
auf der Erde.
Als er aber zum dritten Doctor aus dem Wege war, fuhr lang-
sam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm vorbei. Der Knabe
hielt ihn wohl für einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wußte, daß
es der Kaiser war, und dachte: ich will's versuchen. „Gnädiger
Herr," sagte er, „wollet Ihr mir nicht einen Gulden schenken? Seid
so barmherzig." Der Kaiser dachte:-der fast's kurz und denkt: wenn
ich den Gulden auf einmal bekomme, so brauch' ich nicht sechzig Mal
um den Kreuzer zu betteln. „Thut's ein Zwanziger nicht auch?"
fragte der Kaiser. Das Büblein sagte: „Nein," und offenbarte ihm,
wozu er des Geldes benöthlgt wäre. Also gab ihm der Kaiser den
Gulden, und ließ sich genau von ihm beschreiben, wie seine Mutter
2*
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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Extrahierte Personennamen: Luther Jonas Jonas Jonas Joseph
23
Wer ist, wer ist der brave Mann?
Sag' an, sag' an, mein braver Sang!
Der Bauer wagt' ein Leben d'ran;
Doch that er's wol um Goldes Klang?
Denn spendete nimmer der Graf sein Gut,
So wagte der Bauer vielleicht kein Blut.
„Hier," rief der Graf, „mein wackerer Freund!
Hier ist der Preis! komm' her! Nimm hin!"
Sag' an, war das nicht brav gemeint?
Bei Gott, der Graf trug hohen Sinn.
Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug
Das Herz, das der Bauer im Kittel trug.
„Mein Leben ist für Gold nicht feil.
Arm bin ich zwar, doch hab' ich satt;
Dem Zöllner werd' Eu'r Gold zu Theil,
Der Hab' und Gut verloren hat!"
So rief er mit herzlichem Biederton
Und wandte den Rücken und ging davon.
Hoch klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Gockenklang!
Wer solches Muths sich rühmen kann.
Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.
Gott Lob! daß ich singen und preisen kann,
Unsterblich zu preisen den braven Mann! Bürger.
19. Seelcngrösse.
Als im Winter 1807 der französische General Mortier Stral-
sund berannte, waren rings in die Dörfer an den poimnerschen
Küsten französische Wachtposten gelegt; so auch in dein Dorfe
Bodenstelle, unweit Barth, dem Dars gegenüber. Diese hatten an-
gefangen, nach wälscher Weise mit den Einwohnern Ueberspiel
zu versuchen. Das konnten die Dörller nicht leiden, Männer, an
die mächtigsten Gefahren und gelegentlich auch an Pulver und
Blei gewöhnt. Sie schaarten sich im gerechten Zorn, die Fran-
zosen erschraken vor ihrer Zahl und Rüstigkeit, wurden entwalfnet,
gebunden, eingeschifft und etwa fünfzig Mann stark nach Stral-
sund an die Sehweden als gefangen abgeliefert. Das war eine
kurze Freude. Die That erscholl in dem französischen Lager,
und ein Commando von mehren hundert Mann ward abgesandt,
das Dorf zu bestrafen. Der Schulze und mehrere Aelteste von Bo-
denstelle wurden gefesselt und sollten erschossen, das Dorf sollte
geplündert, angezündet und abgebrannt werden, ln dieser grossen
Noth, als die Gefesselten den sichern Tod erwarteten, trat der
Prediger des Orts, Namens Dankwarth, vor und redete- den wäl-
schen Befehlen mit den kühnen Worten an: „Mein Herr, Sie haben
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T59: [Heer Mann Soldat Krieg Jahr Offizier Land König Truppe Waffe], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann]]
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25
>
die Noth versöhnt! schon jetzt hat er Vertrauen zu uns gefaßt, viel-
leicht wird er bald uns herzlich lieben, wenn wir ihm freundlich begegnen.
Kopfschüttelnd geht der Jäger, und alsbald tritt in das nur spär-
lich erhellte Zimmer eine lange Gestalt ein, vor der du wohl mit Grauen
und Entsetzen zurückbeben würdest, begegnetest du ihr im einsamen Walde,
und hättest nicht in deiner Brust ein Herz voll echten Christenmuthes
und wahrer Jesusliebe. Lange schwarze Haare verbargen in wilder
Verwirrung fast gänzlich des Mannes tief gerunzelte Stirn, die Wangen
sind bleich und abgezehrt, das Roth der Lippen ist erstorben, und der
Blick aus schwarzen, hohlen Augen schweift bald unstät und mißtrauisch
im Zimmer umher, bald gleitet er funkelnd an dem Wirthe vorüber,
bald heftet er sich starr und matt an den Boden. Die Kniee wanken,
die Brust keucht vom angestrengten Laufe. Entschuldigungen unverständ-
lich murmelnd, streckt der Müller seine dürren Hände dem Wirthe dar,
und dieser — wenn gleich aufs höchste betroffen — weicht doch nicht
zurück; getrost schlägt er ein und erwidert den krampfhaften Druck des
Gastes mit Milde und Freundlichkeit. Kein Wort von vergangenen
Zeiten. Mit liebreicher Theilnahme und frommem Sinne spricht der
Förster über die gegenwärtige Bedrängniß, düster und abgebrochen nur
antwortet der Müller. Unterdessen hat die emsige Hausfrau in Eile
ein erquickendes Nachtessen ausgetragen, ein Bett herbeigeschafft und mit
saubrer Wäsche bekleidet; und als sie nun Alles zur Labung des neuen
Hausgenossen bereitet, wünscht sie ihm eine sanfte Ruhe und geht mit
ihrem Gatten in die anstoßende Kammer zu den schlafenden Kleinen.
Hier, in andachtsvollem Gebete vereinigt, danken sie Gott für den
Segen des Tages, befehlen seiner gnädigen Obhut sich und die Ihrigen
und erflehen Labung und himmlischen Frieden für des Millers zer-
rüttetes Gemüth. Alsbald umfängt sie ein sanfter Schlaf.
Nur wenige Stunden erst hatten sie geschlummert, da weckte sie
ein heftiges Pochen an der Kammerthür. „Der Müller ist — so ruft
ein Jägerbursche herein — von der gräßlichen Cholera befallen. — Er-
laubt , Herr, daß wir ihn eiligst hinausschaffen, damit nicht auch Ihr
mit Weib und Kindern verderbt!"
„Mit nichten! da sei Gott vor!" erwiderte schnell entschlossen der
Förster. „Wartet des Kranken, wie ich euch gelehrt; gleich bin ich
selbst da!"
Und jo nimmt er die Kinder vom Lager, trägt sie hinauf in die
Bodenkammer und eilet hinab zu dem Kranken. Bald folgt ihm die
Gattin. Aber welch entsetzlicher, herzzerreißender Anblick bietet sich hier
dar! Von den heftigsten Krämpfen gefoltert, windet und wälzt sich der
Müller aus seinem Lager, schon verräth sein ganzer Leib alle gräßlichen
Zeichen der furchtbar zerstörenden Krankheit. Indeß noch ein anderer
Schmerz, noch ein gewaltsamerer Kampf scheint in der Brust des Mannes
zu sein. Denn je mehr der Förster und seine Gattin in emsiger Liebe
um ihn bemüht sind, desto heftiger bebt er vor ihrem Anblick zurück.
Bald birgt er sein Gesicht in die Kissen, bald schlägt er mit geballten
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]
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26
Fäusten die Stirn, während ein gräßliches Lächeln um die blauen Lippen,
zuckt. Jetzt fährt er auf vom Lager und zwingt die heißere Stimme
zu lautem Rufe: „Rührt mich nicht gn, werft mich hinaus, den Krähen
und Wölfen zum Fraße! — Halt ein, du schrecklicher Würgengel, reiß
mich nicht hinab in die ewigen Martern der Hölle, erst muß ich noch
reden! Ein Ungeheuer, wie in der Wüste nicht seines Gleichen, her-
bergt und pflegt ihr. Wisset: die verpestende Krankheit im Leibe, rannte
ich her, rachedürstend — durch meinen Tod euch alle zu verderben!
doch jetzt! — o martervolle Pein! o du furchtbarer Richter! ist denn
kein Erbarmen vor dir?"
Und ganz erschöpft — betäubt — sinkt der Müller auf sein Lager.
Mit gefalteten Händen den thränenschweren Blick zum Himmel gerichtet,
steht der Förster da und sein Weib. Aber der ewige Richter, der Herr
des Lebens und der Verdammniß — er winkt dem Todesengel, daß er
vorübergehe an dem Hause des Gerechten. In tiefen Schlaf sinkt der
Kranke, und heftiger Schweiß dringt aus allen seinen Poren. Als ec
erwacht, sieht er seine wackeren Wirthe in liebevoller Thätigkeit um sich.
In seinem Leben zum ersten Male betet jetzt sein Herz. Dann drückt
er die Hände der Edlen an seine Brust, an seine Lippen, und die Thränen
der Versöhnung, des Dankes und der Liebe fließen reichlich. Nach
wenigen Tagen verläßt der Müller sein Krankenlager, genesen, gerettet
für das Himmelreich. Ottos Lesebuch.
21 Das Gewissen.
(Noch eine Geschichte vom Dr. Heim.)
Der ehrliche, fromme, gutmüthige Heim hatte keine Zeit krank zu
werden und wurde, iinmer thätig, sehr alt. Sein Jubiläum feierte
ganz Berlin, von den allerhöchsten und höchsten Ständen an bis herab
zu den Straßenjungen. Es 'währte drei Tage. Unaufhörlich in An-
regung, war er endlich erschöpft und befahl, daß Alles im Hause stille
sein sollte. Am Abend spät kam eine unbemittelte Bürgersrau, die ihn
zu ihrem sehr kranken Kinde rufen wollte. Abgewiesen, drang — be-
kannt mit der Hausangelegenheit, — sie in das Schlafzimmer von
Heim, der die weinende und lärmende Frau unaufhörlich abwies. —
Alles ist wieder still geworden und die Geheimeräthin sagt: „Lieber
Heim, wie ist es mit dir? du wirfst dich ja im Bette hin und her!"
„Ich kann," antwortete er, „nicht schlafen; es ist doch ein eigen Ding
mit dem Gewissen! ich muß hin." Er klingelt und vergißt alle Müdig-
keit, eilend zum Kranken, den er glücklich wieder herstellt. Eylert.
22. Die Nache.
Der Knecht hat erstochen den edeln Herrn,
Der Knecht wär' selber ein Ritter gern.
Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain
Und den Leib versenket im tiefen Rhein.
Hat angeleget die Rüstung blank,
Auf des Herren Roß sich geschwungen frank.
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31
N
O, das nenn' ich sel'ge Stunve, wo man dein, o Herr, gedenkt.
Wo man mit der frohen Kunde von dem ew'gen Heil uns tränkt.
Neues Leben, neue Stärke, reiner Andacht frische Gluth
Zu dem frommen Liebeswerke schöpf' ich aus der Gnadenstuth,
Und von göttlichen Gedanken einen reichen Blüthenstrauß
Trag' ich heimwärts, Gott zu danken in dem kleinen, stillen Haus.
Erde weit und ohne Grenzen! Himmel drüber ausgespannt!
Reich an Sternen und an Kränzen scheint ihr mir ein heilig Land.
Laß die Flamme stets mir brennen, o mein Heiland Jesu Christ!
Laß es alle Welt erkennen, daß mein Herz dein Altar ist!
, Schenkender f.
28. Li» Keliet.
Auf einer Reise nach Thüringen war Melanchthon in Weimar
schwer erkrankt. Da sein Zustand sich von Tage zu Tage ver-
schlimmerte, so sandte der Kurfürst von Sachsen nach Lumier und
liess ihn in einem Wagen holen. Als er ankam, lag der .ge-
liebte Freund in den letzten Zügen. Seine Sprache war ver-
fallen, sein Gehör verloren, sein Angesicht und seine Schläfe waren
eingefallen; er kannte Niemand mehr und nahm weder Speise noch
Trank an. Erschrocken stand Luther einige Augenblicke am Bette.
Er vermochte kein Wort zu sagen. Endlich rief er: „Behüte Gott!
wie hat nicht der Teufel dieses Angesicht geschändet!“ Dann
wandte er sich zum Fenster und betete mit himmelstürmender Ge-
walt. „Lieber Gott, ich werf’s Dir vor die Füsse. — Es ist ja
nicht meine Sache, sondern Deine — Du Gott im Himmel, lebst
Du nicht mehr, hörst Du nicht mehr?“ — Nachdem er, wie er
später selbst sagte, dem liehen Gott „den Sack vor die Thüre ge-
worfen,“ ihn alle Yerheissungen des Gebetes vorgehalten, die er
aus der heiligen Schrift zu erzählen gewusst, dass er ihm musste
erhören, wo er anders seinen Verheissungen trauen sollte — wandte
er sich mit freudiger Zuversicht zu Melanchthon, fasste ihn bei
der schon kalten Hand und sprach: „Seid getrost, Philippe, ihr
werdet nicht sterben! — Gebet dem Trauergeiste nicht Raum, son-
dern verlasset euch auf den Herrn, der da kann todten und leben-
dig machen.“
Wunderbar wirkte das Wort. Melanchthon fing wieder an,
Oden zu holen und wurde gleichsam wieder lebendig. Bald er-
kannte er den hochverehrten Freund und sichtlich nahmen von der
Zeit seine Kräfte wieder zu. Er schrieb späterv davon: „Ich ward
zu Thüringen von einer schrecklichen Krankheit befallen, die nur
aus einer Bekümmerniss und Gram ihren Ursprung genommen, das
mir ein fremder Handel hatte zuwege gebracht. Ich wäre gestorben,
wenn ich nicht durch Dr. Luthers Ankunft aus dem Tode wäre
gerissen worden.“ Luther selbst aber erklärte: „Jch habe unsern
Philippum und meine Käthe vom Tode erbeten.“
Wangemann.
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Extrahierte Personennamen: Gluth Jesu_Christ Melanchthon Melanchthon Philippe Melanchthon Wangemann
33
30. Seligkeit in Zesu
Wenn ich ihn nur habe,
Wenn er mein nur ist,
Wenn mein Herz bis bin zum Grabe
Seine Treue nie vergißt,
Weiß ich nichts von Leide,
Fühle nichts als Andacht, Lieb' und
Freude.
Wenn ich ihn nur habe,
Lass' ich Alles gern,
Folg' an meinem Wanderstabe
Treu gesinnt nur meinem Herrn,
Lasse still die Andern
Breite, lichte, volle Straßen wandern.
Wo ich ihn nur habe,
Ist mein Vaterland,
Und es fällt mir jede Gabe
Wie ein Erbtheil in die Hand;
Längst vermißte Brüder
Find' ich nun in seinen Jüngern wieder. Novalis.
Wenn ich ihn nur habe,
Schlaf' ich fröhlich ein:
Ewig wird zu süßer Labe
Seines Herzens Fluth mir sein,
Die mit sanftem Zwingen
Alles wird erweichen und durchdringen.
Wenn ich ihn nur habe,
Hab' ich auch die Welt,
Selig wie ein Himmelsknabe,
Der der Jungfrau Schleier hält.
Hingesenkt im Schauen,
Kann mir vor dem Irdischen nicht
grauen.
4. Aus dem staatlichen Leben.
31. Friedrich Ii. und sein Nachbar.
Der König Friedrich der Zweite von Preußen hatte acht Stunden
Don Berlin ein schönes Lustschloß und war gerne darin, wenn nur nicht
ganz nahe dabei die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstlich stehen
«in königliches Schloß und eine Mühle nicht gut nebeneinander, obgleich
das Weißbrot auch in dem Schlosse nicht übel schmeckt, wenn die Mühle
fein gemahlen und der Ofen wohl gebacken hat. Außerdem aber, wenn
der König in seinen besten Gedanken war, und nicht an den Nachbar
dachte, auf einmal ließ der Müller seine Mühle klappern und dachte
auch nicht an den Herrn Nachbar; und die Gedanken des Königs störten
zwar das Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk
der Räder die Gedanken des Königs. Der geneigte Leser sagt: Ein
König hat Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Mühle
nicht ab und läßt sie niederreißen? — Der König wußte warum: denn
eines Tages ließ er den Müller zu sich rufen. „Ihr begreift," sagte
er zu ihm, „daß wir Zwei nicht nebeneinander bestehen können. Einer
muß weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlößlein?" — Der
Müller sagte: Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar? —
Der König erwiderte ihm: „Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt
Ihr nicht, daß Ihr- mir mein Schlößlein abkaufen könnt. Wie hoch
haltet Ihr Eure Mühle?" — Der Müller erwiderte: „Gnädigster
Herr, so habt auch Jh? nicht so viel Geld, daß Ihr mir meine Mühle
abkaufen könnt; sie ist mir nicht feil." —. Der König that zwar ein
Gebot, auch das zweite und dritte, aber der Nachbar blieb bei ferner
Wangemann, Hülfsbuch. Hi. Abth. Z
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Extrahierte Personennamen: Novalis Friedrich_Ii Friedrich Friedrich Friedrich