1900 -
Leipzig
: Spamer
- Autor: Richter, Julius Wilhelm Otto
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
584 Drittes Kapitel.
Deutschlands (Faber). Aus den bisherigen Angaben läßt sich schließen, daß der aus-
wärtige Handel Bayerns sich auf gewisse landwirtschaftliche Gegenstände (Hopfen, Obst,
Wein, demnächst auf Vieh, besonders Rinder, und Käse), namentlich aber auf eine
Reihe von Jndustrieerzeuguissen (Bier von München ic.; Metallwaren, Bleistifte und
Spiegelglas zc. von Nürnberg-Fürth, Baumwollengewebe von Augsburg, und ähn-
liche Produkte), die Einfuhr dagegen außer auf Rohprodukte für die Industrie auf
Kolonialwaren erstreckt. Als Handelsstädte haben Nürnberg und Augsburg sich seit
dem Mittelalter eine hervorragende Bedeutung bewahrt, zu ihnen treten neuerdings
besonders München und Würzburg' auch Regensburg und Bamberg verdienen er-
wähnt zu werden. — Das Bank- und Kreditwesen ist in Bayern noch nicht in gleichem
Maße entwickelt, wie in andern deutschen Staaten, was sich daraus ergibt, daß im
März 1887 im ganzen Lande nur 13 Bank- und Kreditinstitute mit einem Gesamt-
kapitale von 124 Mill. Mark, dagegen in dem viel kleineren Königreiche Sachsen in
der nämlichen Zeit 15 solche Institute mit einem Aktienkapitale von über 156 Mill.
Mark vorhanden waren. Unter den erwähnten bayrischen Bankinstituten befanden
sich eine Zettel- und zwei Staatsbanken.
Das Verkehrswesen befindet sich in nicht gerade ungünstigem Zustande.
Abgesehen von den früher erwähnten Wasserstraßen ist einigermaßen für Land-
straßen, wenn auch nicht überall in gleichem Maße wie in andern deutschen
Staaten, gesorgt; auch ist das Eisenbahnnetz zu großen Verbindnngsstraßen
ausgebaut, die namentlich Punkte wie München, Nürnberg, Augsburg, Regens-
bürg, Würzburg in deu Weltverkehr zieheu.
Posteu und Telegraphen haben in Bayern eine von dem Reiche unabhängige
Landesverwaltung. Die Länge der Eisenbahnen betrug 1888/89 5344,B km, wovou
etwa nur 1/9 tu Privatverwaltung stand. Hervorragend sind besonders folgende Bahn-
linien: Müncheu-Jugolstadt-Bamberg-Hos, Treuchtliugen-Würzbnrg, Pleinfeld-Angs-
bnrg-Bnchloe, Bamberg-Würzburg, Schweinsurt-Meiningen, Schweinfnrt-Gemünden,
Donauwörth-Jngolstadt-Regensburg, Augsburg - Ingolstadt, München - Regensburg
Hos, Weiden-Neueumarkt, Hos-Eger, Krailsheim-Nürnberg-Würzburg, Würzburg-
Aschaffenburg, Nürnberg-Eger, Ülm-München-Simbach, München-Bnchloe-Lindan,
Ulm-Kempten, München-Rosenheim-Salzburg, Rosenheim-Pilsting, Landshut-Pilsting-
Eisenstein, Rosenheim-Kusstein, München-Töltz, München - Peißenberg; — die Lud-
wigsbahu (Nürnberg-Fürth) und das System der pfälzischen Eisenbahnen (Neunkirchen-
Worms, Germersheim-Saarbrückeu, Neustadt-Weißenburg :c.). _
Alt der Spitze des Staatswesens stehen uuter dem Könige sechs königliche
Staatsministerien: 1) königliches Haus und Äußeres, 2) Justiz, 3) Inneres,
4) Kirchen - und Schulaugelegeuheiteu, 5) Finanzen, 6) Krieg; neben den
Ministerien besteht noch ein Staatsrat. Im Ministerialdepartement des Äußeren
befinden sich: die Geueraldirektion der Königlichen Verkehrsanstalteu (mit Ab-
teilungen für Eisenbahnbau, Eisenbahnbetrieb, sowie Post und Telegraphen);
im Departement des Inneren: die Abteilung für Landwirtschaft, Gewerbe und
Handel, der Verwaltungsgerichtshof, der Obermedizinalausschuß, das Ober-
bergamt, die oberste Baubehörde, die Statistische Zentralkommission, die Landes-
Gestütsverwaltuug, das Reichsarchiv, die Normaleichungskommission, das Landes-
versichernngsamt:c.; im Departement für Kirchen- und Schulaugelegenheiteu:
der oberste Schulrat, die katholischen Bistümer und das protestantische Ober-
konsistorinm; im Finanzdepartement: der oberste Rechnuugshos, die General-
Bergwerks- und Salinenadministration, die Generaldirektion der Zölle und
indirekten Stenern, die Staatsschuldentilgnngskommission und die Königliche
Bank; im Kriegsdepartement: das Generalauditoriat k.
Der Staat bildet eine konstitutionelle Monarchie, daher steht dem Könige
ein Landtag mit zwei Kammern zur Seite. Die Erste Kammer („Kammer der
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Das Königreich Württemberg. 621
Von dem Schwäbischen Jura kommt besonders der mittlere Teil, die Rauhe Alp in
Betracht, welche von der Donau bis zu dem von Brenz und Kocher gebildeten Quer-
thale reicht. Ihr südwestlicher Teil ist durch Donauzuflüsse mannigfach gegliedert;
erst von der Lauchart (in Hohenzollern) an beginnt die eigentliche Rauhe Alp mit
ihrem zusammenhängenden, wasserarmen Rücken; ihr höchster Punkt ist der Lemberg
(1012 m) bei Gosheim. Nach der Nordwestseite hin stürzt die Alp sehr steil ab
(etwa 300 m tief), und hier finden sich auch die höchsten Erhebungen derselben; auf
beiden Abhängen sind Höhlen häufig. Das Härtfeld schließt sich nordöstlich an die
Rauhe Alp an und erstreckt sich bis in die Gegend von Nördlingen (Ries) als letztes
Glied des Schwäbischen Juras. Die Platte desselben ist auch wasserarm und ein-
förmig, aber waldreicher als die Alp; sie fällt auch zur Donau ziemlich steil ab.
— Das nördliche Terrassenland gehört dem großen Triasgebiete an; der zu Württem-
berg gehörige Teil desselben bildet im ganzen eine von tiefen Thälern durchschnittene
Hochebene, die sich von Süden nach Norden senkt und in ihren südlichen Teilen
große Waldungen enthält. Zwischen Heilbronn und Hall erheben sich die Löwen-
steiner Berge und an diese schließt sich südostwärts der Welzheimer Wald. Zwischen
Stuttgart und Tübingen breitet sich der waldreiche Schönbuch aus (584 m), in dessen
Nordosten die fruchtbare Hochebene Filder liegt (in der Neckarkrümmung bei Pochingen).
— Von dem Schwarzwalde kommen nur die östlichsten und verhältnismäßig niedrigen
Teile in Betracht; die höheren liegen im Großherzogtum Baden. Seine westlichen
Teile bestehen aus Buntsandstein, ooch reicht das württembergische Gebiet auch ^be-
sonders an der badenschen Grenze) in die Region älterer Gesteinmassen (besonders
des Granits) hinein; in dem Katzenkopf der Hornisgrinde wird hier eine Höhe von
1151 m erreicht. Weiter nordwärts folgt das Neckarbergland, größtenteils dem
Buntsandstein angehörig; hier erheben sich noch die Höhenzüge des Stromberges und
Heuchelberges (gegen 500 m hoch).
Für den südöstlichen Teil des Landes bildet die Donau, für den übrigen
der Rhein das Hauptstromgebiet; eine herrschende Stellung im Lande nimmt
der Rheinfluß Neckar mit seinen Zuflüssen ein.
Die Donau tritt oberhalb Tuttlingen in das Land, verläßt dasselbe aber bald
wieder, um die hoheuzolleruschen Lande zu durchströmen, dann durchfließt sie einen
größeren Teil des Landes von Scheer bis Ulm und nimmt hier von rechts Ries,
Roth und Jller, von links Lauter und Brenz auf. Zum Rheingebiete gehen Argen
und Schüssen (auf dem württembergischen Bodenseeufer), ferner wird das Land von der
oberen Murg berührt; wichtiger ist der Neckar. Derselbe gehört von seiner Quelle (ober-
halb Rottweil bis in die Gegend von Wimpfen und Jagstfeld fast immer Württem-
berg an, nur auf eine kurze Strecke zwischen Sulz und Horb berührt er die hohen-
zollernschen Lande. Er nimmt in Württemberg auch links die Enz mit Nagold und
Würm und rechts Fils, Rems, Kocher und Jagst auf. Im Osten greift noch der
Mainfluß Tauber iu das Land ein. Von diesen Gewässern ist hauptsächlich der
Neckar schiffbar; die Schiffbarkeit der Donau für größere Fahrzeuge beginnt erst an
der Grenze des Landes, bei Ulm.
Die fruchtbarste Gegend des Landes bildet der Neckarkreis, eine auch
durch Anmut der Natur allsgezeichnete Gegend, und zwar steht hier wiederum
das eigentliche Neckarthal obenan. In dem Schwarzwaldgebiete findet sich ver-
hältnismäßig das meiste Waldland, die Höhen der Rauhen Alp sind wegen
Wassermangels und dürren Bodens überwiegend unfruchtbar; die schwäbische
Terrasse hat iu ihren südlichen Teilen bedeutende Waldungen, während in den
nördlichen der Ackerbau vorherrscht. In dem Donaukreise, der sich südwärts
bis zum Bodensee erstreckt, sind Acker- und Waldslächen ziemlich gleich verteilt,
die Fruchtbarkeit ist verschieden.
Im Jahre 1883 waren vorhanden: Acker-, Garten- und Weinland 902466,
Wiesen 28j)927, Weiden, Hutungen, Öd- und Unland 91064, Forsten und Holzungen
599976, Haus- und Hofräume, Wege und Gewässer 69045 ha. Hiernach erreichten
Ackerland :e. nicht ganz den Reichsdurchschnitt; derselbe wurde dagegen in Wiesen (14,7
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644 Drittes Kapitel
Heerstraßen, Grabmäler, Badeeinrichtungen k., die Urbarmachung weiter Gebiete,
die Einführung des Weinbaus u. dgl. Bei Beginn der Völkerwanderung wurden
die Römer völlig verdrängt. Die Gebiete der nun hier angesiedelten Germanen
(Alemannen und Franken) erstreckten sich über die Grenzen des Großherzogtums,
namentlich gegen Osten hinaus. — Von dem Herzog Gottfried von Alemannien
stammt Berthold I. (der Bärtige) ab, welcher als Graf im Breisgau erscheint und
den Titel Herzog von Zähringen annimmt. Sein ältester Sohn Berthold Ii. wurde
sein Nachfolger, während sein jüngerer Sohn Hermann der Heilige Hochberg erbte
und durch Heirat die Stadt Baden erhielt. Der Zuwachs zu diesen noch geringen
Besitzungen war besonders 1227 erheblich, indem zu dieser Zeit die Städte Psorz-
heim, Durlach und Ettlingen erworben wurden. Schon am Ende des 13. Jahr-
Hunderts aber zerfiel das Gebiet des Hauses in eine obere Markgrasschaft mit der
Hauptstadt Baden und in eine untere Markgrafschaft mit Pforzheim. Nachdem 1391
die Wiedervereinigung erfolgt war, teilte Christoph I. das Land 1515 wieder unter
seine drei Söhne. Von diesen starb Philipp kinderlos, während Bernhard eine Linie
Baden-Baden (Residenzen Baden und Rastatt) und Ernst eine Linie Baden-Durlach
(Residenzen Pforzheim, später Durlach und zuletzt Karlsruhe) stiftete. Beide nahmen
die Reformation an, doch trat Baden-Baden später wieder zur katholischen Kirche über.
Die letztere Linie starb 1771 aus und Baden-Durlach (die Eruestinische Linie) trat
in den Gesamtbesitz. Im Lüneviller Frieden erhielt die Markgrasschaft Baden Stücke
der Pfalz (Gegend von Heidelberg), die Stiftsgebiete von Konstanz, Basel, Straß-
bnrg und Speier auf dem rechten Rheinufer, sowie mehrere sonstige reichsunmittel-
bare Gebiete und freie Reichsstädte; der Fürst aber nahm den Titel Kurfürst an.
Neuen Zuwachs brachte der Frieden von Preßburg, in welchem das Land durch den
Breisgau, die Ortenau, Baar, sowie durch die Gebiete der Fürsten von Fürstenberg
und von Leiningen 2c. vergrößert wurde; zugleich erhielt der Fürst den Titel eines
Großherzogs. Nach der Schlacht bei Leipzig verließ Baden die Sache Napoleons
und wurde dann 1815 Mitglied des Deutschen Bundes. Eine ständische Versassuug
wurde 1818 eingeführt, darauf bildete sich (1821) die Union der lutherischen und
reformierten Kirchen des Landes, zugleich wurde auch der erzbischöfliche Stuhl in
Freiburg für die katholischen Unterthanen geschaffen. 1835 schloß sich Baden dem
deutschen Zollverein an. Nach den Erschütterungen der Jahre 1848 und 1849
(Maiaufstand 1849) gewann das Land unter dem jetzigen Großherzoge Friedrich
(von 1852 an als Prinz-Regent, von 1856 an als Großherzog) eine friedliche und
glückliche Entwickeluug.
Den Erhebungsverhältnissen nach gehört Baden zu dem Gebiete des
oberrheinischen Gebirgssystems. Sein vornehmstes Gebirge ist der Schwarz-
Wald; weiter nördlich kommen das Neckarbergland, und nur zu kleinem Teile
auch der Odenwald und das schwäbische Terrassenland in Betracht. West-
wärts dehnt sich, nach dem Rhein zu, der östliche Flügel der oberrheinischen
Ebene aus.
Von dem Schwarzwalde fällt der bei weitem größte Teil auf Baden, nämlich
7270 von 9480 qkm, in demselben befinden sich auch die bedeutendsten Erhebungen
des Gebirges, nämlich der Feldberg (1494 m), der Belchen (1415 m), der Kandel
(1243 m), der Blauen (1167 m) 2c. Die Hauptmasse des Schwarzwaldes besteht
aus Granit, dazu treten Gneis (am Fuße) und Sandstein (auf höheren Punkten).
Während die Hauptmasse des Gebirges mit Tannen bedeckt ist, tragen die Vorberge
der Rheinseite auf ihren Gipfeln meist Laubwälder und auf ihren Hängen Reben-
und Obstpslauzungen. Nördlich von der Enz geht das Gebirge in ein Hügelland, das
Neckarbergland, über, welches sich am Neckar wieder höher erhebt (in dem 567 m
hohen Königsstuhl); es gehört der Triasformation an, doch treten am Neckar auch
vulkanische Gesteine auf. Der rechts vom unteren Neckar folgende Odenwald besteht
seinem Kern nach aus Granit, welcher jedoch meist von Buntsandstein überlagert
wird. Die Rheinebene ist von Schwemmland gebildet; dasselbe ist zwischen Rastatt,
Karlsruhe und Philippsburg sehr sandig, jedoch auch gut angebaut; mehr nach dem
Gebirge zu ist größere Fruchtbarkeit zu finden, besonders auch in den Seitenthälern
des l^chwarzwaldes und auf den Höhen des Odenwaldes; die größte Fruchtbarkeit
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-M-fs 563 rxx»---
zischc Land, wurde aber reichlich durch die Stifter Wirzburg, Bamberg, Augsburg,
Freisingen, Thcilc von Eichstädt und Passau, die Abtei Kempten, 12 Neichsprüla-
turcn und 15 bisherige Reichsstädte (z. B. Schwcinfurt, Rothenburg, Rördlingcn,
Ulm, Wcißcnburg, Memmingen, Kempten u. s. w.) entschädiget. — Kurbraun-
schweig bekam das Fürstenthum Osnabrück. — Der Herzog von Würtemberg
bekam die Kurwürde, das Fürstenthum Ellwangcn, 7 Abteien und Klöster und 9
Reichsstädte (Reutlingen, Hall, Eßlingen, Hcilbronn u. s. w.). — Badens Ent-
schädigung durch das Stift Eonftanz und einen Theil der Pfalz, z. B. Heidelberg,
Manheim und die Kurwürde ist schon angeführt (s. vor. Hauptstück). — Dieselbe
Würde erhielt auch H e s se n - E a sse l mit 4 mainzischen Aemtern, während der
Landgraf von Hessen-Darm stadt mit dem Hcrzogthum Westfalen, Resten
des Hochstifts Worms, der Abtei Seligenstadt u. s. w. für seine Verluste reich ent-
schädigt wurde. — Die Häuser Nassau-Usingen und Wcilburg bekamen die
Grafschaft Sayn-Altenkirchen und mainzischc, trierischc und kölnische Aemtcr. —
Der Herzog von Oldenburg wurde Erbfürst vom Bisthum Lübeck, bekain die
münsterischcn Aemtcr Vechte und Kloppenburg und das hannoversche Amt Wildes-
hausen. — Die R c i ch sr i tt crsch a ft behielt vorerst noch ihre Eriftenz, so wie
der deutsche und der Malteserorden seine Besitzungen. Aber von 52 Reichsstädten
blieben nur noch 6: Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Bremen und
Lübeck!
Das hieß in den Eingeweidcn Deutschlands fleischern! Und nun ging es an
Vertauschen, Zählen von Menschen, an Messen, Rechnen, Abrnndcn der Länder,
an ein Abbrechen der Klöster, Versilbern ihrer alten Schätze, welche Andacht und
Frömmigkeit aufgespeichert hatte, an ein Verkaufen und Verschleudern; die kost-
baren Blei- und Kupferdächcr wurden abgerissen, treffliche Marmorstatucn hie und
da zu Kalk gebrannt und gemahlen; herrliche Manuscripte und Jncunabeln kauf-
ten im Auftrag reicher Engländer gelehrte Trödler auf; Altarblättcr verließen
ihren Schrein und kamen in Hofgalerieen, Mcßgewande hier und da an Juden;
ganze Klostcrbibliotheken wurden oft als lästige Zugabe dem neuen Käufer des
Gebäudes um wenige Goldstücke noch zugeschlagen und vermaculirt oder eiuge-
stampft. — Die vier neuen Kurfürsten von Baden, Salzburg, Würtemberg und
Hessen-Cassel, der Landgraf von Hcssen-Darmstadt und das Haus Nassau bekamen
das privilegiuiii de non appellando aus Kosten der deutschen Neicbsgcrichte; der
Kurfürst von Trier erhielt jährlich 100,000 fl., die Fürstbischöfe von 20-60,000 fl.,
die Fürstäbte von 6-20,000 fl., die Aebtissinnen von 3—6000 fl. Der Kaiser er-
theilte den gräflichen Häusern Metternich, Salm-Reiferscheid, Brezenhcim, Sinzen-
dorf, Windisch - Grätz, Fugger-Babenhausen und den Truchscßen von Waldburg
die Rcichsfürstenwürde; aber an eine neue Kreiseintheilung, Verbesserung des
Reichstags und der Reichsgerichte, der Matrikel wurde vor lauter Austauschen,
Arrondirungcn, Purisicationcn, Spcculationcn auf die Güter der Rcichsrittcr-
schaft — ^ die ein besonderes Eonservatorium des Rcichshofraths 23. Jan. 1804
kaum schützte, nicht gedacht. Oder sah man vielleicht den ganzen Zustand nur für
provisorisch an?
Mit welchem Auge Bonaparte, dem bereits das lebenslängliche Consulat
1802 von der Republik übertragen worden war, dieß Treiben betrachtete, wie
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-»-»»o 450 c < k
Auch der niederländische Krieg, besonders die Rheinsperre, that dem deut-
schen Handel und vor Allen der Stadt Eöln großen Schaden. Natürlich litt
auch Frankfurt darunter, welches die gemeinschaftliche Niederlage des ober- und
niederdeutschen Handels war. Jetzt nach dem Kriege hätten die Augsburger nicht
mehr wie 1516 das Geld zum Joachimsthaler Bergwerk hcrgeben können. Noch
im I. 1610 waren daselbst 475,184 Stücke Barchent gewebt worden (nach dem
Kriege waren von 6000 Meistern nur 500 übrig), war Augsburg mit Ulm, Mem-
mingen ein Hauptsitz der Leinwand-Manufactur. In Ulm und der Umgegend wur-
den jährlich 200,000 Stück Linnen und Barchent gemacht. In Metallwaren zeich-
nete sich besonders Nürnberg aus, und früher, als irgendwo, fing man hier an,
fabrikmäßig zu arbeiten und den Fabricaten den Vorzug ungemeiner Wohlfeilheit zu
geben. Die kunstreichsten astronomischen Uhren, wie die von Roll für Kaiser Ru-
dolf Ii. 1589 gemachte oder das Uhrwerk zu Augsburg selbst, welches Lauf der
Sonne und Fixsterne, wie des Mondes und der Planeten, künstlich ansdrückte,
waren Augsburger Arbeit. „Die Natur selbst müsse darob erstaunen," schrieb
Paul Eremita, der es 1609 sah. Selbst in Italien waren die geschicktesten Gold-
schmiede, Uhrmacher und Kupferstecher meist Deutsche oder Niederländer. Letztere
liefen aber den Deutschen bald den Rang in der Tuchfabrication ab. Die deutsche
blühte besonders in Aachen und am Niedcrrheine überhaupt. Hamburg bereitete
viel Tuch, versorgte auch bis an den Schluß des 16ten Jahrhunderts Frankreich,
England, Spanien und Niederland fast ausschließlich mit seinem sclbstgcbraucten
Biere, bis Lübeck darin mit ihm wetteiferte. In erstcrcr Stadt kommt 1570 schon
eine Windmühle vor. In Nürnberg hatte man sogenannte gesperrte Handwerke-
deren Meister blos Bürgersöhne ins Handwerk aufnehmen durften, wogegen diese
sich eidlich verbindlich machten, keinem Fremden die Handgriffe zu entdecken. Gegen
den theuren Indigo, „die Teufclsfarbc," die dem besonders in Thüringen und
Sachsen stark getriebenen Waidhandcl und Waidbau Abbruch that, erklärte sich
selbst die Reichspolizeiordnung von 1577; die Ausfuhr des Rheinweins wurde schon
auf l1/2 Mill. Gulden geschätzt. — Der Handel Leipzigs stieg auf Kosten des Er-
furtischcn und erhielt noch 1635 durch 2 Roß- und Viehmgrkte Zuwachs. Gegen
die Thcurung (im I. 1621 war das Korn von 2—14 Rthlr., der Hafer von 16 Pf.
auf 9 Gr. (die Metzesj, der Häring von 3—18 Pf., das Paar Schuhe von 12 Gr.
bis auf 2 oder 4 fl, die Elle Tuch von 1 bis auf 4 Rthlr. aufgeschlagcn), konnte
man nichts ihun, auch war sie nicht allein Folge des Krieges, sondern der Vermehrung der
edcln Metalle von America aus. Aber diese edcln Metalle verschlang der Krieg und
gab die scheußlichsten Kipper- und Wippcrmünzcn (die vollhaltigcn, welche auf der
Wage niederkippten, wurden cingcschmolzen, und nur, die in die Höhe wipp-
ten, im Umlauf gelassen) dafür wieder. Von solcher Lumpen münze enthielten
100 Rthlr. kaum für 5—10 Rthlr. Silber. Der Leipziger Rath prägte 4- oder
8eckige Bleche mit dem Stadtsiegcl als Jnterimsmünzzeichen (1621); die Innungen
machten Stücke Leder, mit dem Jnnungszeichen versehen, zu Scheidemünze. Die
Kipper- und Wipperhäuscr stürmte man hie und da oder schoß bei feierlichen
Schießen wenigstens nach solchen gemalten Geldrattcn. — Diese Schießübungen
und Schützengilden in den Städten waren eines der wenigen Ueberblcibscl oder
Erinnerungszeichen an eine Zeit, wo in Wahrheit die Städte eine ganz andere
Rolle gespielt "hatten. Aber wie jener griechische 30jährige Krieg den Städten und
den Staaten die schönste Blut he abgestreift hatte, that es auch der 30jährige Krieg
der Deutschen. Mit dem Gelde und der Gcwerbthätigkeit sank allmählich das An-
sehen der Städte, und die steigende Fürstenmacht fand keinen Beruf, sie anders
als zu ihrem eigenen fürstlichen Vortheil gedeihen zu lassen.
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länder, hatten die Visconti von Mailand, deren Macht besonders gebrochen werden
sollte, Deutsche, Ungarn, Engländer und Burgunder im Solde. Solche Freicom-
pagnien waren seit den englisch-französischen Kriegen her für Geld immer zu haben.
Auf diese sich verlassend, meinte der übermüthige Barnabo Visconti: er allein sei
Papst, Kaiser und Gott in seinem Lande, und gab seine 5000 Hunde den sonst so
stolzen Mailändern zu füttern, die jetzt Strafe zahlen mußten, wenn einer dieser
Hunde zu fett, stärkere, wenn er zu mager wurde, und ihr Vermögen gar verloren,
wenn einer starb. Jetzt aber zog Barnabo, obgleich in unangreifbarer Stellung zu
Mantua und verschwägert mit den Herzogen von Baiern, die ihm bald seine
Hundesteuer abgesehen hätten, und verbunden mit dem Gewaltherren von Verona,
dem gran cane della Scala („dem Hunde von Deren" d. i. Verona), Kaiser Lud-
wigs von Baiern Schwiegersohn, dennoch den Weg der Unterhandlung durch Pe-
trarca mit dem Papst, der ihn gebannt, durch seine baierischen Schwäger mit dem
Kaiser vor. Für Geld gab Karl recht gern Stillstand. Geld erhob er von den
Pisanern als Schatzung und auf Borg, zu Siena gab er dem Volke den gewünsch-
ten Malatefta zum Statthalter, und dieser löste ihm dafür die zu Florenz versetzte
Kaiserkrone ein und schoß 2000 Goldgulden gegen den Adel vor. Dann nach Rom,
um den Papst von Viterbo in die Stadt zu holen, wobei er zu Fuß des Kirchen-
oberhauptes Zelter von der Engelsburg bis zur Peterskirche führte, dann seine
vierte Gemahlin krönen und ein böhmisches Spital erbauen ließ. Dann nach Siena,
wo der vertriebene Adel ihn in seinem Palast belagerte, und er diesen Schimpf mit
5000 fl. sich bezahlen ließ; dann neue Acht gegen Barnabo, und neues Abkommen
auf einem Cougresse zu Bologna. Florenz und Pisa zahlten jede 50,000 fl.; Lucca,
von den Pisanern befreit, 25,000. So mit voller Casse eilte Karl 1369 nach Hause;
aber Urban auch (1370), nachdem er noch den gegen die Türken (die seine Vorfah-
ren eigentlich in ihren Familienhändeln selbst nach Europa geladen*)) Hülfe suchen-
den und sogar eine Anerkennung des Papstes versprechenden griechischen Kaiser
Johann den Paläologen zu seinen Füßen gesehen hatte. Erst Gregor Xi. kehrte
1376 nach Rom zurück.
Das Charakteristische lener Zeit in Deutschland waren die Einigungen und
Bündnisse, welche außer den Erbverbrüderungen und Erbvereinen der Fürsten,
theils zur wirklichen Beerbung auf den Todesfall des einen oder andern Theilneh-
mers, theils zur wechselseitigen Vertheidigung, auch von den Städten und dem
Adel oder der Ritterschaft erst geschlossen wurden oder sich doch sehr vergrößerten.
Ihr Schauplatz waren besonders die aufgelösten Herzogthümer Franken und Schwa-
den. Zu dem alten Bunde der drei schweizerischen Landgemeinden (Waldstädte),
der zwei Tage nach der Schlacht bei Morgarten (am 6. Dec. 1315) zu Brunnen
abgeschlossen worden, traten bald auch österreichische Landstädte, wie Lucern 1332,
Zug 1352, und Reichsstädte, wie Zürich 1351, Bern 1353, das Thal Glarus 1352
(zusammen dann die sogenannten acht alten Orte), zur Aufrechthaltung ihrer Reichs-
unmittelbarkeit auf ewig. Eigentliche Städteeinungen bildeten sich in Schwaben
um Ulm und Eßlingen gegen die Herrschaft von Würtemberg und andere Land-
herren. Aehnliche Verbindungen bestanden zwischen den Rheinstädten von Constanz
bis Cöln, in Franken, im Elsaß und in der Wetterau. Gewicht erzeugt Gegen-
gewicht Auch die Ritterschaft, zwischen Städten und Fürsten mitten inne, trat in
größeren als ihren bisherigen Turniergesellschaften auf. Währeud diese unter
•) Auch hier ist ins alte: Jeder ist seines Schicksals Schmied. Die Palaolvsten»liaben die Ucherftcb,
lunq der Türken seihst herheigeführt, der sie und ihr Reich endlich unterlagen. I. v. Hammers
Geschichte des osmaunischen Reichs, Pesth, 1827. I S. i20. u ff.
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riger Friede geschlossen wurde. Aber keine Pfauenfeder, Oesterreichs Licblingsab-
zeichcn, durfte in der Schweiz gesehen werden.
Wenzel nahm die österreichische Landvogtei von Schwaben den Städten ab
und setzte ihnen Vögte aus ihrem Landesadel. Dafür versprachen sic ihm, 37 an
der Zahl nebst Ncgensburg und Basel, hier und diesseits des Gebirges beholfen
zu sein gegen Jeden, der ihn verdrängen und sich zum römischen König aufwcrfeu
wolle, weil hier und da die Rede davon war, einen thätigcren König zu wählen.
In den zu Mergentheim bis 1396 erstreckten Heidelberger Stillstand wurden auch
Böhmen, Brandenburg und Sachsen ausgenommen. Als aber Erzbischof Pilgrim
von Salzburg, ein Bundesgenosse, um diese Zeit vom Herzog Friedrich von Baicrn
gefangen genommen wurde, entbrannte alsbald fast allgemeine Fehde. Wenzel
erließ Abmahnnngen, schickte aber den Städten einige Mannschaft. Bei Weil und
Döffingen trafen Graf Eberhard mit Ulrich, seinem Sohn, Pfalzgraf Ruprecht,
der Markgraf von Baden u. A. am 23. August 1388 auf die Städtischen und
schlugen sie unter ihrem Hauptmann Konrad Besserer von Ulm gänzlich. Der
junge Ulrich von Würtembcrg blieb. Der Vater ertrug den Schmerz männlich,
und noch am Tage kam die Nachricht von der Geburt eines Enkels. „Gottlob!"
sagte er, „Finke hat wieder Samen!" Die rheinischen Städte schlug der Pfalz-
graf bei Worms und warf 60 Männer, die er gefangen, als Räuber und Mord-
brenner in einen brennenden Ziegelofen. Auch die fränkischen Städte unterlagen
im ähnlichen Kampfe. Das offene Land ward gränzenlos verheert. In Schwaben
fand man oft zehn Meilen in der Runde kein stehendes Dorf mehr: Alles war in
Städte und Burgen geflüchtet. Da berief Wenzel endlich die Fürsten und Städte
nach Eger (1380), um einen allgemeinen Landfrieden aufs Neue zu versuchen.
Hier, wo die Fürsten ihn für ihre Partei stimmten, hob er alle städtische Einungen
auf; welche Stadt sich nicht zum allgemeinen Frieden anschließe, gegen die solle
der Fürstenbund gerichtet sein. Auch die Pfahlbürger sollen abgethan sein. Die
Fürsten sollen vier, die Städte vier, der Kaiser soll einen Obmann wählen, vor
welchen Recht und Schied genommen werden muß. Diesen Egerschen Landfrieden
nahmen nac^und nach die meisten Städte an. Auf einem Reichstage zu Nürnberg
1390 wurde beschlossen, daß künftig einerlei Münze im Reich, 24 Pfennig auf ein
Nürnberger Loth Silber, sein solle. Der höchst drückenden Judenschulden entledigte
man sich kurz und gut damit, daß Hauptschuld und Zinsen erloschen sein sollen,
wenn der Schuldner 15 bis 30 vom Hundert in des Königs Kammer zahle. Da
zahlten die Nürnberger 4000, die Grafen von Oettingen 15,000 Goldgulden, und
eben so viel Herzog Friedrich von Baiern. So schnell hatten sich diese Geld-
schwämme seit der Verfolgung von 1349 wieder vollgesaugt.
Unterdeß verdammten sich die beiden Päpste sehr unerbaulich fort und fort.
Nach Urbans Tode 1389 wählte die römische Partei Bonifaz Ix., und der Glaube
an die Einheit der Kirche und die Untrüglichkeit der Kirche wurde wieder schwer-
erschüttert. Da mochten Wikleffs Lehren, wie sie durch die Verbindung Böhmens
mit England jetzt aus letzterem Lande herüberschollen, schon einen vorbearbeiteten
Boden finden. Im Jahre 1394 starb der französische Papst Clemens Vii., und die
Avignoner Cardinäle wählten Benedict Xiii. Schon hatte der Hesse Heinrich von
Langenstein in einer Schrift 1381 darauf hingedeutet, wie Einigung und Reformation
der Kirche nur von einem allgemeinen Concilium zu erwarten sei. Die Pariser Doc-
toren der Sorbonne gaben ihrem Könige Karl Vi. durch den Canzler Gerson den
Ausspruch, jeder Papst müsse einer allgemeinen Kirchenversammlung sich unterwer-
fen; auf dasselbe trug die Universität Oxford an. So auch die Prager Universität;
nur müsse, meinten Prag und Oxford, der römische König die Hand dazu bieten.
1839 -
Stuttgart
: Literatur-Comptoir
- Autor: Böttiger, Carl Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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genehm und nicht selten von den Städten selbst zurückgewiesen) ; Befreiung von
auswärtigen Gerichten; das Recht der Bündnisse und Städtetage, des Krieges und
des Friedens; Selbstbesteuerung; Selbstgesetzgebung (Autonomie), die dann zu
einem vollen Stadtrecht (Statut, Wcichbildsrccht, Willkür) führte. Da eine Stadt
an der andern einen Rückhalt hatte, verbanden sie sich nicht selten, dem König nicht
eher zu huldigen, als bis er ihnen ihre Freiheiten und Rechte bestätigt habe. Die
Verpfändung war oft kaiserliche Geldspeculation, indem die Städte sich häufig
selbst wieder auslösctcn, wie die 1349 an Eberhard von Würtcmberg verpfändeten
schwäbischen Reichsstädte. So war nach und nach die Rcichsvogtei, das Ammann-
und Schultheißenamt, der Blutbann, die Stadt- und Judenstcuer, Zölle, Münze
und Umgeld in ihre Hände gekommen, und nur noch eine Urbar- oder Reichssteucr
übrig, z. B. für Ulm 730 Pfd. Heller (das Pfund zu 10 Batzen oder 40 damaligen
Kreuzern gerechnet), Nürnberg 2000 Pfd. Da die Luft frei machte, waren schon
nur Freie in den Städten, und die Klagen der Fürsten und Herren gegen die
Städte über die Aufnahme der Pfahlbürger trotz aller Verbote wiederholten sich
immer, weil die Städte das Neichsgcbot nicht achteten. Der Unterschied zwischen
den wahrscheinlich älteren freien und den blosen Reichsstädten ist unerheblich. Zu
ersteren gehören Regcnsburg, Mainz, Straßburg, Basel, Eöln. Von der Macht
solcher Städte zengt, daß in Lübeck 90,000 Mann an der Pest starben, und die
Stadt bald nachher so blühend war wie zuvor, daß Straßburg 20,000 bewaffnete
Bürger stellen konnte. Die Städte hatten ihre Tanzhäuser, Zechstuben, Rathskellcr,
ihre Leprosenhäuser und Spitäler, Brechstuben, Badehäuser, wo Sonnabends die
Handwerksbursche gewaschen wurden; sie hatten ihren Marstall, ihr Zeughaus, ihre
öffentlichen Spiele, wie das Schönpartlaufcn in Nürnberg. Mancher stiftete ein
öffentliches Badehaus zum Heile seiner Seele (Seclbädcr). In nrancher Stadt
batten die Patricier, die Kaufleute, die Handwerker ihre eigenen Trinkstuben. Aus
der adeligen Trinkstube zu Frankfurt gingen die adeligen Corporationen Frauenstein,
Limburg, Ladcram und Löwenstein hervor. Wenn sich der Adel einen guten Tag
machen wollte, ritt er in die Stadt. Aber auch die Städte hatten ihren Adel, aus
dem in die Stadt gezogenen Landadel oder aus den schöppenbaren Bürgern ent-
standen. Ein guter Theil der städtischen Geschichten des 14ten und löten Jahr-
Hunderts dreht sich um die Thcilnahme am Stadtregiment, indem die Innungen
zu wirklichen Zünften durch Antheil an der Regierung des Gemeinwesens werden
wollten. Denn darin suchte man das Vollbürgerrecht. Die rathsfähigen Geschlech-
ter, die Patricier, ließen es häufig auf den Kampf ankommen; aber die Fehden nach
außen, wo man die Faust und den Beutel aller Bürger brauchte, halfen jenen den
Kampf meist glücklich bestehen. Das Ergebniß ging gewöhnlich darauf hinaus, daß
man zu dem bisherigen Rathspcrsonal noch eine eigene Abtheilung aus den Hand-
werkern nahm und ihnen eine Zahl Rathsftcllcn einräumte; in anderen Städten
wurde die ganze Bürgerschaft in Zünfte abgctheilt, deren eine die bisherigen raths-
fähigen Geschlechter bildeten, während alle übrige Bürger und Innungen auch
Zunftrecht bekamen, d. h. auch den Rath besetzen halfen. Dann schloß sich auch
der Nichthandwerkcr einer bestimmten Zunft als Zunftgenosse an. Sehr häufig
errichtete man aber auch neben dem eigentlichen Stadtrath ein besonderes Collegium
von Bürgern aus der Gemeinde oder den Innungen, welches als äußerer Rath
c'ne Art Controle oder einen bestimmten Verwaltungszweig bekam. Von jener
Art war der große Rath zu Augsburg, in welchem außer den sämmtlichen Ge-
schlechtern noch 12 aus jeder Zunft saßen; von der letzten Art die Genannten, in
Nürnberg „aus der ehrbaren und gemeinen Bürgerschaft." Freilich war der Druck
mitunter schwer und ein wahres Clicntetarvcrhältniß gewesen; die Straßburger
Patricier bezahlten oft die Maaren und Dienste der Kaufleute und Handwerker nur
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die Hospitäler der Klöster und die Gastfreundschaft der Franken beim Mangel an
Wirthshäusern sehr bequem. Starb aber ein solcher Gast, so wurde auch von
seinem Eigenthum nichts hcrausgegebcn. — Von den Maaren wurden Zölle erhoben
und Zehnten; dafür hatten aber die Grafen für Straßen, Brücken, Fähren zu sor-
gen. Als Handelsplätze in Deutschland selbst kommen Bremen, Bardcwik, Hallstadt
bei Bamberg, Schcßlitz, Vorchheim, Brcmbcrg, Regcnsburg, Ingolstadt, Erfurt,
Lorch, Linz, Augsburg, Trier, Speier, Mainz, Cöln, bald auch Merseburg, Halle,
Magdeburg vor. Bei der Feier großer Feste sammelte sich viel Volks um die
Kirchen berühmter Heiliger, und von den Messen, die dem Heiligen galten, erhiel-
ten auch Handel und Verkehr, der bei solcher Gelegenheit nicht fehlte, seinen Na-
men. Das Pfund Silber enthielt 12 Unzen oder 20 Solidos, ein Solidus 12
Denare, das Pfund Gold 72 Solidos oder Schillinge, so daß deren jeder 40 De-
nare kostete. Der Dcnarius etwa 101/2 kr. rhein. Im Jahr 794 setzte Karl einen
festen Preis für das Getreide, es mochte viel oder wenig geben, und bestimmte,
daß der Scheffel Hafer 1, Gerste 2, Roggen 3, Weizen 4 Denare, 24 Pfund Wci-
zenbrod 1 Denar kosten solle. Dagegen kostete ein mit Marder oder Fischotter ge-
fütterter Rock 30, mit Katzenfell 10 Solidos. Uebrigcns war das Geld noch so
selten, daß der Leihende oft 30 vom Hundert Zinsen geben mußte.
Was nun die Künste anbetrifft, so dienten sie theils dem Vergnügen, theils
der Kirche. Nithard, ein Enkel Karls des Großen von Angilbert und Karls Toch-
ter Bertha, erzählt von künstlichen Reiterspiclcn und Waffenkämpfen, die vor dem
versammelten Hofe aufgcführt wurden. Possenreißer und Mimen unter Begleitung
von Flöten- und Zitherspicl werden angeführt. Selbst die Jagd, besonders mit dem
Falken, war so beliebt, daß sie wohl auch sehr künstlich getrieben worden sein mag.
Uebrigcns ritten auch die Prinzessinnen und Hofdamen mit auf die Jagd. Karls
Jagd auf die gewaltigen Auerochsen flößte den arabischen Gesandten ungeheuren
Schrecken ein. Die Musik bildete sich erst mit Hülfe Italiens und gehörte dem
Dienste der Kirche an. Die Baukunst, auf welche sowohl Rom und Bpzanz, als
die Nachbarschaft der Sarazenen Einfluß gewann, zeigte sich erst unter Karl dem
Großen bei seinen vielen Pfalzen und Kirchen in veredelter Anwendung. Privat-
wohnungen waren wohl noch meist hölzern und dürftig. Eine Zierde der Kirche,
die Orgel, war damals noch nicht im Frankenreiche heimisch; nach 100 Jahren
aber verschrieb ein Pabst sich schon einen Orgelbauer aus Baicrn. Auch die Glocken-
gießerei scheint erst unter Karl aufgckommen zu sein, und man nennt einen
Mönch Danko von St. Gallen, bei dem Karl zuerst von ihm gegossene Glocken (die
damals noch nicht auf die Thürme, sondern in besondere Glockcnhäuscr gehängt
wurden) gehört und dem Mönche einen Ccntncr Silber zu einer schönen Glocke
verehrt habe. Dieser aber behielt das Silber für sich und nahm blos Zinn und
Kupfer. Da habe beim ersten Läuten der Klöppel ihn erschlagen. Manchen in
den großen Wildnissen verirrten Wanderer mag ein starkes Klosterglöcklein wie
eine Engclsstimme auf den rechten Weg geführt haben. Unter den Bauwerken
wird auch die hölzerne Rheinbrücke bei Mainz gerühmt.
Von den Wissenschaften erwartete Karl viel und begünstigte sie, wie schon
bemerkt, auf jede Weise. Er versammelte theils an seinem Hofe selbst, theils als
Bischöfe und Acbte in seinem Reiche die besten Gelehrten, die er bekommen konnte.
Aus Italien folgte ihm Peter von Pisa, der Longobardc Paul, Warncfrieds Sohn,
Theodulf (f 821 als Bischof von Orleans), einer der vorzüglichsten Dichter seiner
Zeit. Aus England gewann er den gelehrten Ale u in, der seine Schüler Wizo,
Fridugisus und Sigulf mitbrachte. Einhart oder Eginhard, sein Geheimschreibcr
und Biograph, soll aus dem Odcnwalde stammen (ff 839); Angilbcrt, der Vater
Nithards, stand in großem Ansehen. Viele dieser Männer standen, wenn auch nicht
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ohne Willen der Landschaft keinen Krieg ansangen, nichts verpfänden, keine Scha-
tzung ausschreiben, Niemand ohne Urtheil und Recht strafen, auch allen Unterthanen
freien Zug gestatten wolle. Die Magistrate von Stuttgart und Tübingen sollten
den Herzog an Haltung des Landtages erinnern dürfen. Die Bauern wurden mit
Hülfe der Stände bezwungen. Seine baierische Gemahlin Sabina haßte Ulrich
und mißhandelte sie mit Schlägen. Einen Ritter Hans von Hutten, mit dessen
Frau er verbrecherisch lebte, beschuldigte er der Verführung seiner Gemahlin, er-
mordete ihn und zerfiel dadurch mit dem Adel und, als seine Gemahlin nach Bai-
ern zurückfloh, auch mit Baiern. Aus allgemeines Klagen wurde er zu Augsburg
am 11. Oct. 1516 in die Reichsacht gethan, aber auf gelobte Besserung wieder
von derselben befreiet. Nun trieb er es desto ärger, mordete und folterte, überfiel
Reutlingen 1519 und machte diese schwäbische Bundes- und Reichsstadt zur würtem-
bergischen Landstadt. Hierauf nahm ihm nach kurzem Widerstande der schwäbische
Bund, von Wilhelm von Baiern, Ulrichs Schwager angeführt, mit 24,000 Mann
fast sein ganzes Land, welches er zwar wieder eroberte, aber 1520 zum zweiten
Mal verlor. Der Bund verkaufte es an Oesterreich.
Um diese Zeit lebte indeß der ritterliche Mar nicht mehr. Noch in seinen letz-
ten Lebensjahren hatte Leo X. ihm den Gedanken eines Türkenzuges lebhaft vor
die Seele gebracht und geweihten Hut und Degen als Oberfeldherrn der Chri-
stenheit gesendet, Mar dazu mit den Königen von Frankreich und Spanien Bünd-
nisse geschlossen, dann einen großen Reichstag nach Augsburg berufen. Aber der
päpstliche Legat Cajetan bekam ganz andere Dinge zu hören oder wenigstens unter
der Hand zu lesen; „der Türke sei in Italien zu suchen; und Satans Engel habe
sich in einen Engel des Lichts verkleidet" u. s. w., schrieb damals der berühmte
Ulrich von Hutten, dem der Kaiser selbst den Dichterlorbeer aufgesetzt und eine
goldne Kette umgehangen hatte. Und diese Sprache gegen den Papst war jetzt
häufiger als je. Waren doch bereits schon die merkwürdigen 95» Thesen gegen den
Ablaß an der Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen und in Deutschland in Tau-
senden von Copien verbreitet! Der Türkenzug fiel durch; eben so auch ein an-
derer Entwurf des Kaisers, seinen Enkel Karl noch bei seinen Lebzeiten zum römi-
schen Könige wählen zu lassen. Mehrere Kurfürsten waren schon durch Karls Du-
caten gewonnen, aber der König Franz I. nahm den Papst dagegen ein. Da rief
der-Kaiser: „Nun ist auch dieser Papst zu einem Bösewicht an mir geworden; nun
mag ich sagen, daß mir kein Papst, solange ich gelebt, je Treue und Glauben ge-
halten hat; hoffe, ob Gott will, dieser soll der letzte sein!" Wie Maximilian Karl
Iv. den Stiefvater des Reichs und Sigmund den Psaffenbüttel nannte, so sagte
er von sich selbst und Julius Ii. : „Es sei gut, daß Gott selbst die Welt regiere,
denn mit seinen beiden Statthaltern, einem armen Gemsensteiger und einem trunk-
nen Pfaffen, sei sie schlecht bestellt!"
Maximilian reifete ab, zwei Tage, ehe Luther dahin kam; wie er denn auch
von dessen großem Werke sich keinen deutlichen Begriff machen mochte. Nur äu-
ßerte er: der Mann werde den Pfaffen zu thun geben. Der Widerstand des Kur-
fürsten von Sachsen bei der Königswahl mag ihn gegen dessen Schützling einge-
nommen haben. Als Mar abreisete, wußte er, daß er das liebe Augsburg nicht
wieder sehen werde. In Innsbruck pfändeten ihm die eigenen Unterthanen für
Schulden Pferd und Wagen. Er eilte nach seinem Oesterreich; dort zu Wels starb
er, 59jährig, am 12. Jan. 1519 und bezog nun die schwarze Truhe, die er so lange
mit sich herumgeführt hatte. Zu Neustadt unter dem Altar neben seiner verehrten
Mutter Eleonore fand der Mann nach einem seltsam bewegten Leben seine Ur-
ftätte, und von ihm mag es mehr als von Anderen heißen: Unsere Seele ist
voll Unruhe, bis daß sie ruhet in Gott!