112
Wähler und innerhalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der
Auflösung der Reichstag versammelt werden.
Artikel 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die
Vertagung desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und
während derselben Session nicht wiederholt werden.
Artikel 27. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner
Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäfts-
gang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt
seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer.
Artikel 28. Der Reichstag beschließt mit absoluter Stim-
menmehrheit.
A r t i k e l 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter
des gesamten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht ge-
bunden.
A r t i k e l 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend-
einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung
seines Berufes getanen Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch
verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung
gezogen werden.
Artikel 31. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes
Strafverfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Unter-
suchungs- oder Zivilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode auf-
gehoben.
Artikel 32. Die Mitglieder des Reichstages dürfen als
solche keine Besoldung beziehen. Sie erhalten als solche eine Ent-
schädigung nach Maßgabe des Gesetzes.
Vi. Zoll- und Handelswefen.
Artikel 33. Deutschland bildet ein Zoll- und Handels-
gebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze.
Alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundes-
staates befindlich find, können in jeden anderen Bundesstaat ein-
geführt und dürfen in letzterem einer Abgabe nur insoweit unter-
worfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse
einer inneren Steuer unterliegen.
Artikel 35. Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung
über das gesamte Zollwesen, über die Besteuerung des im Bundes-
gebiete gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Branntweins
und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeug-
nissen dargestellten Zuckers und Sirups.
In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung
des inländischen Branntweins und Bieres der Landsgesetzgebung
vorbehalten.
Artikel 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zölle und
Verbrauchssteuern (Art. 35) bleibt jedem Bundesstaate, soweit der-
selbe sie bisher ausgeübt hat, innerhalb seines Gebietes überlassen.
A r t i k e l 38. Der Ertrag der Zölle und der anderen in
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Bayern Württemberg Baden
114
Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der
damit zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird
aus der Reichskaffe bestritten.
Artikel 64. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten
bilden eine einheitliche Handelsmarine.
Artikel 55. Die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine
ist schwarzweihrot.
X. Konsulatwesen.
Artikel 56. Das gesamte Konsulatwesen des Deutschen
Reichs steht unter der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln,
nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrates für Handel und
Verkehr, anstellt.
Xi. Reichskriegswefen.
Artikel 57. Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich
in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.
A r t i k e 1 58. Die Kosten und Lasten des gesamten Kriegs-
wesens des Reichs sind von allen Bundesstaaten und ihren An-
gehörigen gleichmäßig zu tragen.
A r t i k e 1 59. Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre
lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden
28. Lebensjahre, dem stehenden Heere, die folgenden fünf Lebens-
jahre der Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. März
des Kalenderjahrs, in welchem das 39. Lebensjahr vollendet wird,
der Landwehr zweiten Aufgebots an.
Artikel 63. Die gesamte Landmacht des Reichs wird ein
einheitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem
Befehle des Kaisers steht.
A r t i k e 164. Alle deutschen Truppen sind verpflichtet, den Be-
fehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese Verpflich-
tung ist in den Fahneneid aufzunehmen.
Der Höchstkommandierende eines Kontingents, sowie alle Offi-
ziere. welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und
alle Festungskommandanten werden von dem Kaiser ernannt. Die
von Demselben ernannten Offiziere leisten Ihm den Fahneneid.
Bei Generalen und den Eeneralstellungen versehenden Offizieren
innerhalb des Kontingents ist die Ernennung von der jedes-
maligen Zustimmung des Kaisers abhängig zu machen.
Artikel 66. Wo nicht besondere Konventionen ein anderes
bestimmen, ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate
die Offiziere ihrer Kontingente.
Xii. Reichsfinanzen.
Artikel 69. Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs
müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushalts-
etat gebracht werden. Letzterer wird vor Beginn des Etatsjahres
nach folgenden Grundsätzen durch ein Gesetz festgestellt.
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115
Artikel 70. Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Aus-
gaben dienen zunächst die aus den Zöllen und gemeinsamen
Steuern, aus dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen sowie
aus den übrigen Verwaltungszweigen fließenden gemeinschaftlichen
Einnahmen. Insoweit die Ausgaben durch diese Einnahmen nicht
gedeckt werden, sind sie durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten
nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche in Höhe
des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben
werden. Insoweit diese Beitrüge in den Überweisungen keine
Deckung finden, sind sie den Bundesstaaten am Jahresschluß in
dem Maße zu erstatten, als die übrigen ordentlichen Einnahmen
des Reichs dessen Bedarf übersteigen.
Artikel 72. über die Verwendung aller Einnahmen des
Reichs ist durch den Reichskanzler dembundesrate und dem Reichs-
tage zur Entlastung jährlich Rechnung zu legen.
A r t i k e l 73. In Fällen eines außerordentlichen Bedürf-
nisses kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer
Anleihe, sowie die Übernahme einer Garantie zu Lasten des Reichs
erfolgen.
Xiv. Allgemeine Bestimmungen.
Artikel 78. Veränderungen der Verfassung erfolgen im
Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im
Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben.
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche be-
stimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur
Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des be-
rechtigten Bundesstaates abgeändert werden.
B.: Verfassung und Verwaltung von Reich und Staat.
54. Ursachen des Verfalls des alten Deutschen
Reiches.
2n alter Zeit wurde der Kaiser vom ganzen Volke gewählt.
Jeder hatte seinen Anteil daran. Je größer nun die Genossen-
schaften wurden, um so schwieriger wurde die Wahlhandlung.
Die Folge davon war, daß viele, besonders ärmere, die nicht die
Mittel hatten, weite Reisen zu machen, einfach zu Hause blieben. So
ging die Wahl allmählich aus den Händen des Volkes in die
der Fürsten über. Das war für Kaiser und Reich eine ver-
hängnisvolle Sache. Die Macht dieser Kur- und Wahlfürsten
wurde zum Schaden des Reiches immer größer. Wer den Kaiser-
thron erlangen wollte, mußte sich um ihre Gunst bewerben, ihnen
möglichst viele Wünsche erfüllen und versprechen, kaiserliche Rechte,
wie z. B. das Münzrecht, Bergwerksregal, Stadt- und Marktrecht
an sie abtreten zu wollen.
War ein Kaiser zu wählen, so berief der Erzbischof von Mainz
als Erzkanzler des Reichs die Fürsten zur Wahlversammlung.
8*
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86
Gefühl, daß er es nicht nur vertrug, sondern sich gehoben fühlte
durch den Gedanken, einen energischen und mächtigen Diener zu
haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edelmanns,
der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe vertragen
kann. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke einer Eifer-
sucht auf seinen Diener und Untertanen in den Sinn, und nicht
einen Augenblick verließ ihn das königliche Bewußtsein, der Herr
zu sein, ebenso wie bei mir alle Huldigungen das Gefühl, der
Diener dieses Herrn zu sein, und mit Freuden zu sein, in keiner Weise
berührten. Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre
Begründung in einer überzeugungstreuen Anhänglichkeit an das
Königshaus; aber in der Art wie sie vorhanden war, ist sie doch
nur möglich unter der Einwirkung einer gewissen Gegenseitigkeit
des Wohlwollens zwischen Herrn und Diener, wie unser Lehnrecht
die ,Xreue‘ auf beiden Seiten zur Voraussetzung hatte.
Solche Beziehungen, wie ich sie zum Kaiser Wilhelm hatte, sind
persönlich, und sie wollen von dem Herrn sowohl wie von
dem Diener, wenn sie wirksam sein sollen, erworben sein."
23.: Eine Bismarckrede. Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Ii.
41. Der bekehrte Stiefelknecht.
2n der Schreibstube des Amtsmanns stand ein Stiefelknecht,
der brummte unzufrieden vor sich hin: „Es ist doch ein jämmerlich
Ding um das Leben, wenn man immer im Winkel stehen und auf
die Herren Stiefel warten muß! Und wie beschmutzt kommen sie
oft an, und wie grob behandeln sie mich armen Knecht! Wenn ich
den einen ausziehe, so tritt mich der andere! Ja, die Stiefel haben's
gut, die bekommen die Welt zu sehen! Während ich hier in der
Ecke stehen muß, gehen sie spazieren im Sonnenschein, und wenn
sie müde sind, dann heißt's: Stiefelknecht her! und ich muß die
großen Herren ausziehen, und sie stellen sich bequem in eine Ecke."
Die Stiefel, denen diese Rede galt, gehörten dem Schreiber,
der sie ausgezogen hatte, um sich's leicht zu machen. Sie machten
bei der Rede lange Schäfte, und der Stiefel des rechten Beines
sprach zum Stiefel des linken Beines: „Bruder, wir sollen es gut
haben! Wir sollen Herren sein! Der dumme Stiefelknecht weiß gar
nicht, wie gut er's hat. Der Lump hat den leichtesten Dienst. Aber
wir, wir werden den lieben Tag hindurch und oft genug durch dick
und dünn gejagt: im Sommer ersticken wir fast vor Staub, im Winter
frieren wir im Schnee, und wenn es regnet, dann sind wir immer in
Gefahr zu ersaufen. Ach, und das Pflaster! Die scharfen Steine,
die kein Erbarmen kennen! Ich möchte nur wissen, wie viel Haut
sie mir heute abgerieben haben; ich bin unten ganz durchsichtig ge-
worden. Es ist ein mühevolles Leben, wenn man dienen muß!"
Der Stiefelknecht horcht hoch auf. „Bruder," sagte der
Stiefel vom linken Beine, „das Treten wollt' ich mir noch gefallen
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149
werbes einer und derselben Stadt. Zu Anfang des Io. Jahr-
hunderts nimmt im Rheinland der Ausstand bereits die Form
eines Generalstreikes an, und von Stadt zu Stadt ziehen die Boten
der Gehilfenschaft, um überall die Gesellen für die Einstellung der
Arbeit um Pfingsten herum zu gewinnen. Es ist die erste Lohn-
kundgebung großen Stiles. Der merkwürdigste und langwierigste
Ausstand jener Zeit ist der der Bäckerknechte von Kolmar, welcher
1495 begann und nicht weniger als zehn Jahre dauerte. Hier war
der Anlaß des Streikes ein religiöser. Die Brüderschaft der Bäcker-
knechte war im Besitz der kostbarsten Kerzen und hatte am Fron-
leichnamstag das Allerheiligste begleitet. Sie war darüber erbost,
daß noch andere Brüderschaften mit noch kostbareren Kerzen eben-
falls zur Prozession zugelassen wurden. Sie weigerten sich teilzu-
nehmen. Am nächsten Fronleichnamstag sperrte der Rat die Bäcker-
knechte von der Prozession aus, worauf dieselben die Stadt ver-
ließen. Es kam zu einer Reihe von Prozessen. Die Gehilfen waren
unversöhnlich und wurden durch die Genossen am ganzen Ober-
rhein bestärkt. Die Kolmarer Meister erhielten keine Gehilfen
mehr, Gehilfen, die trotz Verbotes in Kolmar gearbeitet hatten
(Streikbrecher), wurden von den Gehilfen nirgends geduldet. Sie
wurden aus den Brüderschaften ausgeschlossen. Schon damals war
das System der Streikposten ausgebildet. Der Kolmarer Streik
endigte mit einem Sieg der Gehilfen, obgleich sie nicht in allen
Punkten durchdrängen. Die großen Unzuträglichkeiten, die der
jahrelange Boykott in Kolmar hervorgerufen hatte und die große
Dtot unter den Streikenden fiihrte schließlich zu einer Ver-
ständigung.
In der Kleidung hielt sich der Geselle wie der Meister. Der
Handwerker rechnete sich zu den freien Stünden, und der Geselle
ging, ebenso wie der Meister, mit Schwert oder Degen. Das Ver-
bot des Waffentragens für die Handwerker entstand erst Ende des
10. Jahrhunderts. Die Gesetze dieser Zeit schreiben dem Hand-
werker seine Kleidung vor. bestimmen vielfach den Preis, und ver-
boten das Tragen von Samt und Seide, gold- und perlengestickten
Kleidern, Straußenfedern und verbrämten Kleidern. Auf Wohl-
anständigkeit wurde viel gesehen, und es galt als Vorschrift, nur
mit Rock. Mantel und Kragen, bedecktem Haupt und in Hand-
schuhen über die Straße zu gehen. Er sollte auch äußerlich seinen
Stand zu erkennen geben, und selbst wenn er zur Kirche ging, ein
Stück Handwerkszeug in der Hand haben. Wenn der Bäcker zur
Mühle ging, auch ohne Mehl holen zu wollen, mußte er eine weiße
Schürze umbinden und einen leinenen Sack auf dem Rücken
tragen. Das Verbot des Degentragens für die Handwerksgesellen
war vor allem eine Folge der. speziell in Universitätsstädten, häufi-
gen Raufereien zwischen Gesellen und Studenten.
Jhrezusammenkünfte hielt die Gesellenschaft im Zunfthaus oder
aber in einer besonderen Stube der Herberge, deren Bestimmung
schon durch ihre Ausstattung kundgetan war. Zeichen des Hand-
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204
Auf landwirtschaftlichem Gebiete war es der Bürgermeister
Raiffeisen aus Neuwied, der die Anregung zur Begründung
der landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften, der „Raiffeisen-
Kassen", gab.
Die Genossenschaften lehren uns: „Verbunden werden auch
die Schwachen mächtig."
Zusammenschlug zur Genossenschaft ist daher die Losung unserer
Zeit. Leider bringen unsere Handwerker diesem Gedanken nicht
das rechte Vertrauen entgegen, und das Genossenschaftswesen hat
noch lange nicht die Ausbreitung, die es zum Besten des Hand-
werks haben müßte.
Der Staat hat hier wieder helfend eingegriffen mit Geld-
mitteln und Gesetzgebung. Die Selbsthilfe der Handwerker wird
vom Staate unterstützt durch die Z e n t r a l - E e n o s s e ti-
sch a f t s k a s s e in Berlin, die im Jahre 1895 mit einem Kapital
von 5 Millionen eröffnet wurde, schon % Jahre später wurde das-
selbe auf 20 Millionen erhöht. 1898 aus 50 Millionen, seit April
1905 stellt sich das Betriebskapital auf 52,4 Millionen.
Diese Anstalt ist gedacht als eine Zentralstelle des genossen-
schaftlichen Personalkredits, die den Zu- und Abfluß der Geldmittel
von und zu den Genossenschaften in vorteilhafter Weise regeln soll.
Sie soll die Mitglieder der Genossenschaften von den Großbanken
unabhängig machen. — Die Bedingungen des Geldverkehrs sind
nach festen Grundsätzen geregelt.
Das geschieht durch das Gesetz über die Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889.
Zur Gründung einer Genossenschaft gehören mindestens sieben
Personen, nach oben hin ist die Mitgliederzahl unbegrenzt, se
mehr, je besser. Sie muß geleitet werden von einem Vorstande
und wird beaufsichtigt durch einen Aufsichtsrat und die General-
versammlung. welcher mindestens alle Jahre wenigstens einmal
Rechnung zu legen ist. Sie werden eingetragen bei dem Gerichte in
das Eenossenschaftsregifter und unterliegen in ihrer ganzen Wirt-
schaftsführung: Zu- und Abgang von Mitgliedern, Ein- und Aus-
zahlung von Geschäftsanteilen, Bilanz usw. der gerichtlichen Aufsicht.
Betreffs der Haftpflicht unterscheidet man Genossenschaften mit
unbeschränkter Haftpflicht, d. h. die Genossenschafter haften für die
Verpflichtungen der Genossenschaft mit ihrem ganzen Vermögen
(e. G. m. u. H.), oder es gibt welche mit unbeschränkter Nachschuß-
pflicht (e. G. m. u. N.). Bei dieser Form haften zwar auch die
Mitglieder persönlich für die Schulden, aber nicht unmittelbar,
sondern die Genossenschaft kann von ihnen die erforderlichen Nach-
schüsse verlangen. Bei den Genossenschaften mit beschränkter Haft-
pflicht (e. G. m. b. H.) haftet das einzelne Mitglied mit der irrt
Statut bezeichneten Haftsumme, niemals darüber hinaus. Diese
Form empfiehlt sich als Regel für die Handwerksgenossenschaften.
Der Art und dem Zwecke nach haben wir
1. Kreditgenossenschaften (Vorschußvereine).
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konnte also der einzelne nicht für sich ausnützen. Diese Begren-
zungen führten zu übertriebenen Auffassungen, so daß z. B. auch
im Gebrauch der Werkzeuge sich keiner einen Vorteil vor dem an-
deren sichern konnte. Erfand ein Meister eine neue, besonders
vorteilhafte Vorrichtung, so durfte er sich ihrer nicht allein be-
dienen. sondern er nutzte sie allen zuteil werden lassen. Diese eng-
herzige Auffassung unterdrückte das Streben des einzelnen In-
dividuums. seine Fähigkeiten zur Aufbesserung seines Hand-
werks zu verwerten, und verhinderte so die Entwicklung des
Gewerbes.
Das Handwerkszeichen der einzelnen Innungen war streng ge-
schützt. Kein Handwerker durfte dem andern in sein Handwerks-
gebiet kommen. Die Handwerke unserer heutigen Zeit fassen meist
mehrere Handwerke der damaligen Zeit zusammen, und man kann
daraus ermessen, wie leicht die Handwerker sich früher ins Gehege
kommen und Streit erhalten konnten. Es war ferner streng ver-
boten, datz ein Meister Gehilfen eines anderen Meisters aufnahm.
Kein Meister durfte für jemand eine Arbeit leisten, wenn dieser
einen anderen Handwerker noch nicht bezahlt hatte. So durfte
z. B. der Schmied das Rotz eines Fuhrmannes nicht beschlagen,
wenn dieser den Wagner noch nicht bezahlt hatte. Arbeiten in
Lohn, also die Weiterbearbeitung eines von Kunden gelieferten
Rohstoffes gegen Lohn, waren wenig üblich.
Die fertigen Waren kamen zur Ausstellung auf Märkte und
aus der Stratze erst nach der amtlichen Prüfung, der sogenannten
„Schau". Diese sollte das Publikum vor Benachteiligung schützen
und auch den Ruf der Stadt bei fremden Käufern heben. Speziell
für Nahrungsmittel walteten die beeidigten Schauer sehr streng
ihres Amtes. Das Brot z. V. wurde im öffentlichen Brothaus
oder auf den Brotbänken zwischen den Kirchenpfeilern und an
den Straßenecken ausgelegt. Rur hier durfte Brot feilgehalten
werden, und die Brotbeschauer hatten das Brot erst zu versuchen.
Hatte es Mängel in Qualität oder Gewicht, so wurde es zer-
schnitten. Wem zweimal in der Woche das Brot zerschnitten wor-
den war. der durfte einen Monat nicht mehr backen. Die Schauer
nahmen die Prüfung vor. und der Pfänder wachte darüber, datz
der Meister von der kommenden Schau nicht auf Umwegen ver-
ständigt wurde. War das Brot nur um ein Lot zu leicht, so gab
es Turmstrafen, auf ein Lot ein Tag und eine Nacht, auf zwei Lot
zwei Tage und zwei Nächte. Das Brot nutzte mit dem Zeichen
des Bäckers versehen werden, und ausserdem wurde sehr auf Rein-
lichkeit gesehen. Beanstandete Ware wurde vernichtet.
Das Hausieren war im allgemeinen nicht gestattet. Sonntags-
ruhe wurde eingehalten, und nur die Nahrungsmittelgewerbe
waren hiervon ausgenommen, bis auf die Kirchzeiten, während
welcher sie die Verkaufsstände ebenfalls schlichen mutzten.
Meistern, die sich gegen die Zunftregel vergingen oder sich als
unehrlich erwiesen, wurde die Werkstatt gesperrt, das Handwerks-
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TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art]]
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206
nisse das erforderliche Betriebskapital auf dem Wege des Personal-
kredits zugeführt werden.
Die Gründung der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse war
ein sehr wichtiger und folgenschwerer Schritt; denn dadurch wurde
die ganze Genossenschaftsbewegung auf eine sichere Grundlage
gestellt. Die Kasse ist nicht nur Geldausgleichsstelle. Sie ver-
mittelt den ihr angeschlossenen kleingewerblichen Kreisen den Zu-
tritt zum allgemeinen Geldmarkt.
Zahlen beweisen. Die Entwicklung des Umsatzes zeigt am
besten den Segen. Im ersten Jahre ihres Bestehens betrug die
Gesamtzahl aller mit ihr im Verkehr stehenden Institute und
Einzelpersonen 48. Im Jahre 1906 waren es 53 Verbandskassen
und Vereinigungen eingetragener Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften, 8 landschaftliche Darlehnskassen, 6 von Provinzen er-
richtete Institute, 429 öffentliche Spar- und Kommunalkassen,
359 einzelne Genossenschaften, Firmen, Personen usw., sowie
164 öffentliche Kassen verschiedener Art.
In den 53 Verbandskassen waren 14 633 Genossenschaften
mit 1439189 Mitgliedern; 20 Verbandskassen mit 445 Genossen-
schaften und 109 008 Mitgliedern waren städtische, 33 Kassen mit
14188 Genossenschaften und 1 330181 Mitgliedern waren ländlich.
2m Jahre 1906 wurden gewährt: Kredit in laufender Rechnung
28 Millionen, Wechselkredit 47 Millionen, andere, auf besondere
Sicherheit gegebene Kredite 11 Millionen, rund 86 Millionen.
Reben dem vom Staate gewährten Grundkapital hat die
Kasse jetzt schon einen Reservefonds von 4 Millionen Mark an-
gesammelt. (Rach Dr. Lindecke.)
Ist bis jetzt auch erst ein Bruchteil der Handwerkerschaft
genossenschaftlich organisiert, so ist doch nach diesen Anfängen
unter der staatlichen Leitung und Mithilfe zu hoffen, daß die
Zeit nicht mehr allzufern sein wird, in welcher das gesamte Ge-
werbe sich genossenschaftlich zusammentut zur Förderung seines
wirtschaftlichen Gedeihens.
Ebenso hoch als dieser materielle Gewinn ist aber auch der ethische
oder moralische anzuschlagen. Der Konkurrenzneid wird mehr zurück-
gedrängt, die Gewerbtreibenden lernen sich gegenseitig als Kollegen,
Genossen gleichen Strebens achten und ehren, und sie lernen gemein-
sam für ihre gemeinsamen Interessen eintreten, alle für einen und
einer für alle. Dadurch, daß der Gewerbetreibende durch die Ge-
nossenschaft gezwungen wird, seine Verpflichtungen bar zu zahlen,
bekommt auch er bessere Übersicht über seine wirtschaftlichen Verhält-
nisse. Er wird zur Ordnung in seinem Geschäfte erzogen.
Die Genossenschaft erweist sich als eine Schule der Erziehung.
Sie bringt in den Handel und das Gewerbe ihrer Mitglieder
Gerechtigkeit, Billigkeit und Ordnung.
Der Staat tritt für sie mit ein, das erhöht ihr Bewußtsein, daß
auch sie vollgültige Bürger des Staates sind, die an seinem Wohle
mitzuarbeiten haben. Sie werden zu der Überzeugung kommen, daß
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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208
Konen Mark erzielten, ihr Anteilskapital ist auf mehr als 500
Millionen Mark angewachsen. Die beiden Grotzeinkaufsverbände
hatten 1964 einen Umsatz von rund 582 Millionen Mark, ein
Anteilskapital von 31 Millionen und einen Reingewinn von an-
nähernd 13 Millionen Mark. Die Reserven sämtlicher Genossen-
schaften erreichen die Summe von 47 Millionen Mark, während
der Wert des Grundbesitzes, der Gebäude und der Maschinen
sich auf 284 Millionen Mark beläuft. Mehrere größere Konsum-
vereine bauen Häuser, die von den Mitgliedern allmählich er-
worben werden. Der Wert,, dieser Wohnungen beziffert sich auf
fast 130 Millionen Mark. Über 2 Millionen Mark sind von den
Genossenschaften in einem Jahre zu Erziehungs- und Bildungs-
zwecken und fast 1 Million Mark für wohltätige Veranstaltungen
ausgegeben worden. — Dies alles ist der Tätigkeit der redlichen
Pioniere von Rochdale zu verdanken.
In Deutschland waren es besonders Schulze-Delitzsch und
Raiffeisen, welche die Genossenschaftsidee zur Durchführung brachten.
Franz Hermann Schulze-Delitzsch (geb. 29. August 1808, gest.
29. April 1883) widmete sich in seiner Vaterstadt Delitzsch un-
ermüdlich dem Ausbau des Genossenschaftswesens und gründete
zunächst 1849 eine kranken- und Sterbekasse und eine Tischler-
Rohstoffgenossenschaft in Delitzsch. Diese Genossenschaften beruhten
auf dem Grundsatz der Selbsthilfe und bildeten erlaubte Privat-
gesellschaften. Schulze behandelte diese „ersten rohen Anfänge"
in einer 1860 veröffentlichten Schrift. 1853 beschrieb er in einem
Buche die zwölf in Delitzsch und den Nachbarstädten Eilenburg
und Bitterfeld errichteten Vereinigungen, zwei Krankenkassen,
zwei Vorschutzvereine, zwei Konsumvereine und sechs Rohstoff-
vereine von Tischlern, Schuhmachern und Schneidern. In diesem
Buche trat er den Handwerkern und Arbeitern mit einem voll-
ständigen System gegenüber, zugleich aber mit der Erklärung, datz
diese Vereinigungen nur Vorstufen des Gewerbebetriebes für ge-
meinschaftliche Rechnung der Produktivgenossenschaft seien. 1864
gab Schulze bereits ein besonderes Blatt — die „Innung der
Zukunft" — heraus, aus welcher später die „Blätter für Genossen-
schaftswesen" entstanden sind. Von seinen Genossenschaften traten
bald die Vorschutzvereine in den Vordergrund. 1855 widmete
Schulze ihnen sein Buch „Vorschutz- und Kreditvereine als Volks-
banken". Damals, als erst acht Vorschutzvereine bestanden, wagte
der Gründer zu prophezeien, „datz es in nicht ferner Zeit keine
Stadt in Deutschland geben würde, welche nicht ein solches Institut
nachzuweisen haben würde"tzschulze hat in dieser Beziehung
recht behalten. Die Vorschutz-'und Kreditvereine in den Städten
haben in der Tat eine ungeahnte Ausdehnung gewonnen. _
Während Schulze sich speziell den gewerblichen Organisationen
zuwandte, richtete Raiffeisen vornehmlich sein Augenmerk auf die
ländlichen Vereine.
R. Pape: Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. (Hillgers Volksbücher.)
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TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T46: [Universität Berlin Jahr Schule Wissenschaft Leipzig Professor Akademie Hochschule Gymnasium], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art]]
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Extrahierte Personennamen: Franz_Hermann_Schulze-Delitzsch Franz August Delitzsch Schulze Hillgers_Volksbücher
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Delitzsch Delitzsch Eilenburg Bitterfeld Deutschland
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ist heiße, trockene Luft, während kalte, trockene Luft nicht so un-
angenehm wirkt.
Ist dagegen die Luft mit zuviel Wasserdampf durchsetzt, so
wird die notwendige Wasserabgabe durch Lunge und Haut
erschwert. Die Luft wirkt schädigend auf die Gesundheit. Der
Körper neigt zu Erkältungen, die die Ursache zu den verschiedensten
Erkrankungen werden.
Bedeutungsvoll für die Gesundheit ist auch der Kohlensäure-
gehalt der Luft. Die Kohlensäure entsteht durch das Ausatmen,
ferner durch die künstliche Beleuchtung mit Ausnahme des elek-
trischen Lichtes. Also in einem Raume, in dem sehr viele Personen
atmen, verschlechtert sich die Luft und mehrt sich der Kohlen-
säuregehalt. Daher ist solche Luft ungesund. Die Leute werden
von Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Ohnmacht befallen.
Außer dieser Luftart ist die Luft des Arbeitsraumes oft mit
Giften durchsetzt, seien es giftige Gase, Giftstaub oder giftige
Flüssigkeiten. Gifte sind eben Stoffe, die schon in geringen
Mengen in den Körper gebracht, den Menschen krankmachen.
Das bekannteste Beispiel ist der Alkohol.
Die giftigen Gase und Staubarten sind oft die Quelle der
Lungenentzündung und der Lungentuberkulose. Es ist furchtbar
zu sehen, was für Verwüstungen manche von diesen Gasen usw.
im menschlichen Körper anrichten.
Der Staub, der beim Hobeln, Sägen, Bohren, Drehen,
Schleifen, Glasblasen entsteht, ist scharf und verletzt die Schleim-
häute des Halses und der Lunge und werden oft die Ursache
eines frühen Siechtums und eines frühen Todes.
Das Schlimmste dabei ist die Übertragung der Krankheiten
durch die Bakterien oder Spaltpilze.
Allem diesem soll entgegengearbeitet werden, dadurch, daß
für rechtzeitige und ausreichende Luftreiniquna und Lufterneue-
rung gesorgt wird.
Das Öffnen von Türen und Fenstern ist oft nicht aus-
reichend, daher bringt man künstliche Ab- und Zufuhrkanäle an,
die die schlechte Luft mit dem Staube aus dem Arbeitsraume
absaugen und frische gesunde Luft zuführen bzw. hineinpressen.
Zum Schutze der Sittlichkeit ist ebenfalls Vorsorge getroffen.
Wo beide Geschlechter in einem Betriebe arbeiten, ist auf getrennte
Ankleide- und Waschräume und Bedürfnisanstalten zu halten.
Ferner können die Polizeiverwaltungen anordnen, daß den
Arbeitern, die ihre Mahlzeiten auf der Arbeitsstätte verzehren, für
diesen Zweck ein besonderer Raum zur Verfügung gestellt wird,
der in der kalten Jahreszeit auch geheizt werden muß.
Der Bundesrat kann für solche Betriebe, in welchen durch
übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der
Arbeiter gefährdet wird, Dauer, Beginn und Ende der zulässigen
täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen vorschreiben
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