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Diagramm für Aktuelle Auwahl statistik

1. Staats- und Bürgerkunde - S. 112

1910 - Wittenberg : Herrosé
112 Wähler und innerhalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der Auflösung der Reichstag versammelt werden. Artikel 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden. Artikel 27. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäfts- gang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer. Artikel 28. Der Reichstag beschließt mit absoluter Stim- menmehrheit. A r t i k e l 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesamten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht ge- bunden. A r t i k e l 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend- einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes getanen Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden. Artikel 31. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Unter- suchungs- oder Zivilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode auf- gehoben. Artikel 32. Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung beziehen. Sie erhalten als solche eine Ent- schädigung nach Maßgabe des Gesetzes. Vi. Zoll- und Handelswefen. Artikel 33. Deutschland bildet ein Zoll- und Handels- gebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze. Alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundes- staates befindlich find, können in jeden anderen Bundesstaat ein- geführt und dürfen in letzterem einer Abgabe nur insoweit unter- worfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen. Artikel 35. Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen, über die Besteuerung des im Bundes- gebiete gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeug- nissen dargestellten Zuckers und Sirups. In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen Branntweins und Bieres der Landsgesetzgebung vorbehalten. Artikel 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern (Art. 35) bleibt jedem Bundesstaate, soweit der- selbe sie bisher ausgeübt hat, innerhalb seines Gebietes überlassen. A r t i k e l 38. Der Ertrag der Zölle und der anderen in

2. Staats- und Bürgerkunde - S. 114

1910 - Wittenberg : Herrosé
114 Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichskaffe bestritten. Artikel 64. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine einheitliche Handelsmarine. Artikel 55. Die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine ist schwarzweihrot. X. Konsulatwesen. Artikel 56. Das gesamte Konsulatwesen des Deutschen Reichs steht unter der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln, nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrates für Handel und Verkehr, anstellt. Xi. Reichskriegswefen. Artikel 57. Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen. A r t i k e 1 58. Die Kosten und Lasten des gesamten Kriegs- wesens des Reichs sind von allen Bundesstaaten und ihren An- gehörigen gleichmäßig zu tragen. A r t i k e 1 59. Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere, die folgenden fünf Lebens- jahre der Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. März des Kalenderjahrs, in welchem das 39. Lebensjahr vollendet wird, der Landwehr zweiten Aufgebots an. Artikel 63. Die gesamte Landmacht des Reichs wird ein einheitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle des Kaisers steht. A r t i k e 164. Alle deutschen Truppen sind verpflichtet, den Be- fehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese Verpflich- tung ist in den Fahneneid aufzunehmen. Der Höchstkommandierende eines Kontingents, sowie alle Offi- ziere. welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten werden von dem Kaiser ernannt. Die von Demselben ernannten Offiziere leisten Ihm den Fahneneid. Bei Generalen und den Eeneralstellungen versehenden Offizieren innerhalb des Kontingents ist die Ernennung von der jedes- maligen Zustimmung des Kaisers abhängig zu machen. Artikel 66. Wo nicht besondere Konventionen ein anderes bestimmen, ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate die Offiziere ihrer Kontingente. Xii. Reichsfinanzen. Artikel 69. Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushalts- etat gebracht werden. Letzterer wird vor Beginn des Etatsjahres nach folgenden Grundsätzen durch ein Gesetz festgestellt.

3. Staats- und Bürgerkunde - S. 115

1910 - Wittenberg : Herrosé
115 Artikel 70. Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Aus- gaben dienen zunächst die aus den Zöllen und gemeinsamen Steuern, aus dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen sowie aus den übrigen Verwaltungszweigen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit die Ausgaben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche in Höhe des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden. Insoweit diese Beitrüge in den Überweisungen keine Deckung finden, sind sie den Bundesstaaten am Jahresschluß in dem Maße zu erstatten, als die übrigen ordentlichen Einnahmen des Reichs dessen Bedarf übersteigen. Artikel 72. über die Verwendung aller Einnahmen des Reichs ist durch den Reichskanzler dembundesrate und dem Reichs- tage zur Entlastung jährlich Rechnung zu legen. A r t i k e l 73. In Fällen eines außerordentlichen Bedürf- nisses kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Übernahme einer Garantie zu Lasten des Reichs erfolgen. Xiv. Allgemeine Bestimmungen. Artikel 78. Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben. Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche be- stimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des be- rechtigten Bundesstaates abgeändert werden. B.: Verfassung und Verwaltung von Reich und Staat. 54. Ursachen des Verfalls des alten Deutschen Reiches. 2n alter Zeit wurde der Kaiser vom ganzen Volke gewählt. Jeder hatte seinen Anteil daran. Je größer nun die Genossen- schaften wurden, um so schwieriger wurde die Wahlhandlung. Die Folge davon war, daß viele, besonders ärmere, die nicht die Mittel hatten, weite Reisen zu machen, einfach zu Hause blieben. So ging die Wahl allmählich aus den Händen des Volkes in die der Fürsten über. Das war für Kaiser und Reich eine ver- hängnisvolle Sache. Die Macht dieser Kur- und Wahlfürsten wurde zum Schaden des Reiches immer größer. Wer den Kaiser- thron erlangen wollte, mußte sich um ihre Gunst bewerben, ihnen möglichst viele Wünsche erfüllen und versprechen, kaiserliche Rechte, wie z. B. das Münzrecht, Bergwerksregal, Stadt- und Marktrecht an sie abtreten zu wollen. War ein Kaiser zu wählen, so berief der Erzbischof von Mainz als Erzkanzler des Reichs die Fürsten zur Wahlversammlung. 8*

4. Staats- und Bürgerkunde - S. 119

1910 - Wittenberg : Herrosé
119 alles, was von der alten Größe des deutschen Königtums übrig- geblieben war. Fast alle Hoheitsrechte und Machtbefugnisse waren auf die einzelnen Landesherren übergegangen. Sie regierten in ihren Ländern, ohne sich um Kaiser und Reich zu kümmern, sperrten ihre Gebiete durch Grenzzölle oder Ein- und Ausfuhr- verbote gegeneinander ab und mißbrauchten ihr Münzrecht dazu, das Reich mit wertlosen Münzen zu überschwemmen. Der Kaiser aber war außerstande, gegen jedes Unwesen dieser Art wirksam einzu- schreiten. Aus eigner Machtvollkommenheit konnte er überhaupt nichts gegen die Reichsstände unternehmen, sondern bedurfte der Zustimmung des Reichstages. Diese war jedoch nur schwer zu erreichen. Auf dem Reichstage erschienen der Kaiser und die Reichs- stände nicht mehr persönlich, wie das früher geschehen war, sondern ließen sich dort durch Gesandte vertreten. So wurde der Reichs- tag zu einer Versammlung der Abgesandten der Fürsten und Reichsstädte, die seit 1663 jahraus, jahrein in Regensburg tagte. Da die Gesandten in ihren Entschlüssen von der Anweisung ihrer Herren abhängig waren, die sie jedesmal erst einholen mußten, so läßt sich denken, wie sehr die Entscheidungen des Reichstages sich verzögerten. Die größte Verschleppung aber ward dadurch herbeigeführt, daß die Verhandlungen in drei Kollegien geschahen, dem kurfürstlichen, dem fürstlichen und dem reichsstädtischen. Waren die einzelnen Kollegien nach langen Erwägungen jedes für sich zu einem Schlüsse gekommen, so war damit noch wenig gewonnen. Denn nun kam es darauf an, aus den einzelnen Beschlüssen einen gemeinsamen Reichsbeschluß zu bilden. Führten die Verhandlungen zwischen den beiden höheren Ständen zu keinem Ergebnis, so war damit die Sache meist zu Grabe getragen; gelangten sie zu einem Einverständnis, so begannen dieselben Unterhandlungen mit den Reichsstädten. Es kam nicht selten vor, daß jedes der drei Kollegien seine besondere Meinung hatte, und dann war selbstverständlich an eine Erledigung nicht zu denken. Aber auch wenn zwei von ihnen sich einigten, kam in der Regel kein Beschluß zustande. Weder die Reichsstädte wollten sich voll den beiden höheren Ständen überstimmen lassen, noch die letzteren zugeben, daß jene mit einem von ihnen eine Mehrheit bildeten, der sich der andere zu fügen hätte. Wie langsam der Reichstag zu Regensburg seine Entschei- dungen traf, und wie erfolglos sie waren, zeigte sich deutlich zu Beginn des Siebenjährigen Krieges. Erst 1757 kam mit Hilfe französischen Goldes ein Mehrheitsbeschluß gegen Friedrich den Großen zustande, durch den die Reichserekution und dann die Reichsacht über ihn ausgesprochen wurde. Erst im Oktober 1757, nachdem der Krieg bereits länger als ein Jahr gedauert hatte, begab sich der kaiserliche Notar in die Wohnung des preußischen Gesandten zu Regensburg, um ihm jenen Beschluß auszuhändigen. Dieser aber wußte, wie wenig solche Beschlüsse zu bedeuten hatten.

5. Staats- und Bürgerkunde - S. 120

1910 - Wittenberg : Herrosé
Er machte daher mit dem kaiserlichen Notar kurzen Prozeß, in- dem er ihn einfach zur Tür hinauswarf. Während auf dem Reichstage die wichtigsten Angelegenheiten oft jahrelang verschleppt wurden oder überhaupt keine Erledigung fanden, füllte man dort die Zeit mit nichtigen Rang- und Form- streitigkeiten aus. Die kurfürstlichen Gesandten verlangten, durch Edelknaben mit goldenen Messern und Gabeln bedient zu werden, und wollten den fürstlichen nur silberne, sowie nur Bediente zu- gestehen; sie forderten am Maitage für sich sechs Maibäume und gönnten den fürstlichen bloß vier, auch nahmen sie bei ihrer An- kunft von der Stadt Regensburg ein größeres Geschenk an Wein, Früchten und Fischen in Anspruch. Bei feierlichen Gelegenheiten wollten sie auf roten Sesseln sitzen, während die fürstlichen nur grüne haben sollten. Als man sich endlich dahin geeinigt hatte, daß überall nur grüne hingestellt würden, erschien ein kurfürst- licher Gesandter in einem roten Mantel und ließ ihn während der Tafel so über den Sessel zurückfallen, daß er anscheinend auf einem rotbeschlagenen Stuhle saß; er glaubte damit, wie er an seinen Hof schrieb, den hergebrachten Vorzug der kurfürstlichen Gesandten gerettet zu haben. Auch über die Stellung der Stühle gab es einen heftigen Streit. Hatten die kurfürstlichen das Recht, sie auf den Teppich zu stellen, auf dem der kaiserliche Gesandte unter einem Baldachin saß, so beanspruchten die fürstlichen Gesandten, ihre Sessel wenigstens auf die Fransen setzen zu dürfen. Wegen eines Rangstreites, den der Gesandte eines kleinen Staates angezettelt hatte, kam es wohl vor, daß feierliche Umzüge unter- brochen werden mußten; ja, als einmal bei einem Gastmahl der württembergische Gesandte einem geistlichen Vertreter die Frau des österreichischen Gesandten weggenommen hatte, um sie zu Tisch zu führen, wurden über diesen unerhörten Fall nicht weniger als zehn Staatsschriften veröffentlicht. Einmal wäre es wegen eines derartigen Streites fast zu einem Uriege zwischen zwei Uleinstaaten gekommen. Die Reichsstände beschuldigten den Uaiser, der Uaiser die Reichsstände wegen der trübseligen Zustände im Reichstage. Von allen Seiten wuchsen die Beschwerden über die Langsamkeit und Erfolglosigkeit, über das Heranziehen unnützer Dinge, aber geändert wurde nichts. Nach sach. 57. Fürst Bismarck. Die Wiedergeburt des Deutschen Reiches bezeichnen zwei Namen: Wilhelm I. und Otto von Bismarck. Dem Werk, das jener geschaffen, hat dieser die Wege bereitet. Man kann den einen nicht nennen, ohne an den anderen zu denken. Der erste Uaiser und der erste Uanzler gehören untrennbar zusammen für alle Zukunft. Darum denkt man sie gern vom Schicksal auch

6. Staats- und Bürgerkunde - S. 86

1910 - Wittenberg : Herrosé
86 Gefühl, daß er es nicht nur vertrug, sondern sich gehoben fühlte durch den Gedanken, einen energischen und mächtigen Diener zu haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edelmanns, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe vertragen kann. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke einer Eifer- sucht auf seinen Diener und Untertanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das königliche Bewußtsein, der Herr zu sein, ebenso wie bei mir alle Huldigungen das Gefühl, der Diener dieses Herrn zu sein, und mit Freuden zu sein, in keiner Weise berührten. Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre Begründung in einer überzeugungstreuen Anhänglichkeit an das Königshaus; aber in der Art wie sie vorhanden war, ist sie doch nur möglich unter der Einwirkung einer gewissen Gegenseitigkeit des Wohlwollens zwischen Herrn und Diener, wie unser Lehnrecht die ,Xreue‘ auf beiden Seiten zur Voraussetzung hatte. Solche Beziehungen, wie ich sie zum Kaiser Wilhelm hatte, sind persönlich, und sie wollen von dem Herrn sowohl wie von dem Diener, wenn sie wirksam sein sollen, erworben sein." 23.: Eine Bismarckrede. Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Ii. 41. Der bekehrte Stiefelknecht. 2n der Schreibstube des Amtsmanns stand ein Stiefelknecht, der brummte unzufrieden vor sich hin: „Es ist doch ein jämmerlich Ding um das Leben, wenn man immer im Winkel stehen und auf die Herren Stiefel warten muß! Und wie beschmutzt kommen sie oft an, und wie grob behandeln sie mich armen Knecht! Wenn ich den einen ausziehe, so tritt mich der andere! Ja, die Stiefel haben's gut, die bekommen die Welt zu sehen! Während ich hier in der Ecke stehen muß, gehen sie spazieren im Sonnenschein, und wenn sie müde sind, dann heißt's: Stiefelknecht her! und ich muß die großen Herren ausziehen, und sie stellen sich bequem in eine Ecke." Die Stiefel, denen diese Rede galt, gehörten dem Schreiber, der sie ausgezogen hatte, um sich's leicht zu machen. Sie machten bei der Rede lange Schäfte, und der Stiefel des rechten Beines sprach zum Stiefel des linken Beines: „Bruder, wir sollen es gut haben! Wir sollen Herren sein! Der dumme Stiefelknecht weiß gar nicht, wie gut er's hat. Der Lump hat den leichtesten Dienst. Aber wir, wir werden den lieben Tag hindurch und oft genug durch dick und dünn gejagt: im Sommer ersticken wir fast vor Staub, im Winter frieren wir im Schnee, und wenn es regnet, dann sind wir immer in Gefahr zu ersaufen. Ach, und das Pflaster! Die scharfen Steine, die kein Erbarmen kennen! Ich möchte nur wissen, wie viel Haut sie mir heute abgerieben haben; ich bin unten ganz durchsichtig ge- worden. Es ist ein mühevolles Leben, wenn man dienen muß!" Der Stiefelknecht horcht hoch auf. „Bruder," sagte der Stiefel vom linken Beine, „das Treten wollt' ich mir noch gefallen

7. Staats- und Bürgerkunde - S. 149

1910 - Wittenberg : Herrosé
149 werbes einer und derselben Stadt. Zu Anfang des Io. Jahr- hunderts nimmt im Rheinland der Ausstand bereits die Form eines Generalstreikes an, und von Stadt zu Stadt ziehen die Boten der Gehilfenschaft, um überall die Gesellen für die Einstellung der Arbeit um Pfingsten herum zu gewinnen. Es ist die erste Lohn- kundgebung großen Stiles. Der merkwürdigste und langwierigste Ausstand jener Zeit ist der der Bäckerknechte von Kolmar, welcher 1495 begann und nicht weniger als zehn Jahre dauerte. Hier war der Anlaß des Streikes ein religiöser. Die Brüderschaft der Bäcker- knechte war im Besitz der kostbarsten Kerzen und hatte am Fron- leichnamstag das Allerheiligste begleitet. Sie war darüber erbost, daß noch andere Brüderschaften mit noch kostbareren Kerzen eben- falls zur Prozession zugelassen wurden. Sie weigerten sich teilzu- nehmen. Am nächsten Fronleichnamstag sperrte der Rat die Bäcker- knechte von der Prozession aus, worauf dieselben die Stadt ver- ließen. Es kam zu einer Reihe von Prozessen. Die Gehilfen waren unversöhnlich und wurden durch die Genossen am ganzen Ober- rhein bestärkt. Die Kolmarer Meister erhielten keine Gehilfen mehr, Gehilfen, die trotz Verbotes in Kolmar gearbeitet hatten (Streikbrecher), wurden von den Gehilfen nirgends geduldet. Sie wurden aus den Brüderschaften ausgeschlossen. Schon damals war das System der Streikposten ausgebildet. Der Kolmarer Streik endigte mit einem Sieg der Gehilfen, obgleich sie nicht in allen Punkten durchdrängen. Die großen Unzuträglichkeiten, die der jahrelange Boykott in Kolmar hervorgerufen hatte und die große Dtot unter den Streikenden fiihrte schließlich zu einer Ver- ständigung. In der Kleidung hielt sich der Geselle wie der Meister. Der Handwerker rechnete sich zu den freien Stünden, und der Geselle ging, ebenso wie der Meister, mit Schwert oder Degen. Das Ver- bot des Waffentragens für die Handwerker entstand erst Ende des 10. Jahrhunderts. Die Gesetze dieser Zeit schreiben dem Hand- werker seine Kleidung vor. bestimmen vielfach den Preis, und ver- boten das Tragen von Samt und Seide, gold- und perlengestickten Kleidern, Straußenfedern und verbrämten Kleidern. Auf Wohl- anständigkeit wurde viel gesehen, und es galt als Vorschrift, nur mit Rock. Mantel und Kragen, bedecktem Haupt und in Hand- schuhen über die Straße zu gehen. Er sollte auch äußerlich seinen Stand zu erkennen geben, und selbst wenn er zur Kirche ging, ein Stück Handwerkszeug in der Hand haben. Wenn der Bäcker zur Mühle ging, auch ohne Mehl holen zu wollen, mußte er eine weiße Schürze umbinden und einen leinenen Sack auf dem Rücken tragen. Das Verbot des Degentragens für die Handwerksgesellen war vor allem eine Folge der. speziell in Universitätsstädten, häufi- gen Raufereien zwischen Gesellen und Studenten. Jhrezusammenkünfte hielt die Gesellenschaft im Zunfthaus oder aber in einer besonderen Stube der Herberge, deren Bestimmung schon durch ihre Ausstattung kundgetan war. Zeichen des Hand-

8. Staats- und Bürgerkunde - S. 204

1910 - Wittenberg : Herrosé
204 Auf landwirtschaftlichem Gebiete war es der Bürgermeister Raiffeisen aus Neuwied, der die Anregung zur Begründung der landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften, der „Raiffeisen- Kassen", gab. Die Genossenschaften lehren uns: „Verbunden werden auch die Schwachen mächtig." Zusammenschlug zur Genossenschaft ist daher die Losung unserer Zeit. Leider bringen unsere Handwerker diesem Gedanken nicht das rechte Vertrauen entgegen, und das Genossenschaftswesen hat noch lange nicht die Ausbreitung, die es zum Besten des Hand- werks haben müßte. Der Staat hat hier wieder helfend eingegriffen mit Geld- mitteln und Gesetzgebung. Die Selbsthilfe der Handwerker wird vom Staate unterstützt durch die Z e n t r a l - E e n o s s e ti- sch a f t s k a s s e in Berlin, die im Jahre 1895 mit einem Kapital von 5 Millionen eröffnet wurde, schon % Jahre später wurde das- selbe auf 20 Millionen erhöht. 1898 aus 50 Millionen, seit April 1905 stellt sich das Betriebskapital auf 52,4 Millionen. Diese Anstalt ist gedacht als eine Zentralstelle des genossen- schaftlichen Personalkredits, die den Zu- und Abfluß der Geldmittel von und zu den Genossenschaften in vorteilhafter Weise regeln soll. Sie soll die Mitglieder der Genossenschaften von den Großbanken unabhängig machen. — Die Bedingungen des Geldverkehrs sind nach festen Grundsätzen geregelt. Das geschieht durch das Gesetz über die Erwerbs- und Wirt- schaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889. Zur Gründung einer Genossenschaft gehören mindestens sieben Personen, nach oben hin ist die Mitgliederzahl unbegrenzt, se mehr, je besser. Sie muß geleitet werden von einem Vorstande und wird beaufsichtigt durch einen Aufsichtsrat und die General- versammlung. welcher mindestens alle Jahre wenigstens einmal Rechnung zu legen ist. Sie werden eingetragen bei dem Gerichte in das Eenossenschaftsregifter und unterliegen in ihrer ganzen Wirt- schaftsführung: Zu- und Abgang von Mitgliedern, Ein- und Aus- zahlung von Geschäftsanteilen, Bilanz usw. der gerichtlichen Aufsicht. Betreffs der Haftpflicht unterscheidet man Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht, d. h. die Genossenschafter haften für die Verpflichtungen der Genossenschaft mit ihrem ganzen Vermögen (e. G. m. u. H.), oder es gibt welche mit unbeschränkter Nachschuß- pflicht (e. G. m. u. N.). Bei dieser Form haften zwar auch die Mitglieder persönlich für die Schulden, aber nicht unmittelbar, sondern die Genossenschaft kann von ihnen die erforderlichen Nach- schüsse verlangen. Bei den Genossenschaften mit beschränkter Haft- pflicht (e. G. m. b. H.) haftet das einzelne Mitglied mit der irrt Statut bezeichneten Haftsumme, niemals darüber hinaus. Diese Form empfiehlt sich als Regel für die Handwerksgenossenschaften. Der Art und dem Zwecke nach haben wir 1. Kreditgenossenschaften (Vorschußvereine).

9. Staats- und Bürgerkunde - S. 151

1910 - Wittenberg : Herrosé
konnte also der einzelne nicht für sich ausnützen. Diese Begren- zungen führten zu übertriebenen Auffassungen, so daß z. B. auch im Gebrauch der Werkzeuge sich keiner einen Vorteil vor dem an- deren sichern konnte. Erfand ein Meister eine neue, besonders vorteilhafte Vorrichtung, so durfte er sich ihrer nicht allein be- dienen. sondern er nutzte sie allen zuteil werden lassen. Diese eng- herzige Auffassung unterdrückte das Streben des einzelnen In- dividuums. seine Fähigkeiten zur Aufbesserung seines Hand- werks zu verwerten, und verhinderte so die Entwicklung des Gewerbes. Das Handwerkszeichen der einzelnen Innungen war streng ge- schützt. Kein Handwerker durfte dem andern in sein Handwerks- gebiet kommen. Die Handwerke unserer heutigen Zeit fassen meist mehrere Handwerke der damaligen Zeit zusammen, und man kann daraus ermessen, wie leicht die Handwerker sich früher ins Gehege kommen und Streit erhalten konnten. Es war ferner streng ver- boten, datz ein Meister Gehilfen eines anderen Meisters aufnahm. Kein Meister durfte für jemand eine Arbeit leisten, wenn dieser einen anderen Handwerker noch nicht bezahlt hatte. So durfte z. B. der Schmied das Rotz eines Fuhrmannes nicht beschlagen, wenn dieser den Wagner noch nicht bezahlt hatte. Arbeiten in Lohn, also die Weiterbearbeitung eines von Kunden gelieferten Rohstoffes gegen Lohn, waren wenig üblich. Die fertigen Waren kamen zur Ausstellung auf Märkte und aus der Stratze erst nach der amtlichen Prüfung, der sogenannten „Schau". Diese sollte das Publikum vor Benachteiligung schützen und auch den Ruf der Stadt bei fremden Käufern heben. Speziell für Nahrungsmittel walteten die beeidigten Schauer sehr streng ihres Amtes. Das Brot z. V. wurde im öffentlichen Brothaus oder auf den Brotbänken zwischen den Kirchenpfeilern und an den Straßenecken ausgelegt. Rur hier durfte Brot feilgehalten werden, und die Brotbeschauer hatten das Brot erst zu versuchen. Hatte es Mängel in Qualität oder Gewicht, so wurde es zer- schnitten. Wem zweimal in der Woche das Brot zerschnitten wor- den war. der durfte einen Monat nicht mehr backen. Die Schauer nahmen die Prüfung vor. und der Pfänder wachte darüber, datz der Meister von der kommenden Schau nicht auf Umwegen ver- ständigt wurde. War das Brot nur um ein Lot zu leicht, so gab es Turmstrafen, auf ein Lot ein Tag und eine Nacht, auf zwei Lot zwei Tage und zwei Nächte. Das Brot nutzte mit dem Zeichen des Bäckers versehen werden, und ausserdem wurde sehr auf Rein- lichkeit gesehen. Beanstandete Ware wurde vernichtet. Das Hausieren war im allgemeinen nicht gestattet. Sonntags- ruhe wurde eingehalten, und nur die Nahrungsmittelgewerbe waren hiervon ausgenommen, bis auf die Kirchzeiten, während welcher sie die Verkaufsstände ebenfalls schlichen mutzten. Meistern, die sich gegen die Zunftregel vergingen oder sich als unehrlich erwiesen, wurde die Werkstatt gesperrt, das Handwerks-

10. Staats- und Bürgerkunde - S. 206

1910 - Wittenberg : Herrosé
206 nisse das erforderliche Betriebskapital auf dem Wege des Personal- kredits zugeführt werden. Die Gründung der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse war ein sehr wichtiger und folgenschwerer Schritt; denn dadurch wurde die ganze Genossenschaftsbewegung auf eine sichere Grundlage gestellt. Die Kasse ist nicht nur Geldausgleichsstelle. Sie ver- mittelt den ihr angeschlossenen kleingewerblichen Kreisen den Zu- tritt zum allgemeinen Geldmarkt. Zahlen beweisen. Die Entwicklung des Umsatzes zeigt am besten den Segen. Im ersten Jahre ihres Bestehens betrug die Gesamtzahl aller mit ihr im Verkehr stehenden Institute und Einzelpersonen 48. Im Jahre 1906 waren es 53 Verbandskassen und Vereinigungen eingetragener Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen- schaften, 8 landschaftliche Darlehnskassen, 6 von Provinzen er- richtete Institute, 429 öffentliche Spar- und Kommunalkassen, 359 einzelne Genossenschaften, Firmen, Personen usw., sowie 164 öffentliche Kassen verschiedener Art. In den 53 Verbandskassen waren 14 633 Genossenschaften mit 1439189 Mitgliedern; 20 Verbandskassen mit 445 Genossen- schaften und 109 008 Mitgliedern waren städtische, 33 Kassen mit 14188 Genossenschaften und 1 330181 Mitgliedern waren ländlich. 2m Jahre 1906 wurden gewährt: Kredit in laufender Rechnung 28 Millionen, Wechselkredit 47 Millionen, andere, auf besondere Sicherheit gegebene Kredite 11 Millionen, rund 86 Millionen. Reben dem vom Staate gewährten Grundkapital hat die Kasse jetzt schon einen Reservefonds von 4 Millionen Mark an- gesammelt. (Rach Dr. Lindecke.) Ist bis jetzt auch erst ein Bruchteil der Handwerkerschaft genossenschaftlich organisiert, so ist doch nach diesen Anfängen unter der staatlichen Leitung und Mithilfe zu hoffen, daß die Zeit nicht mehr allzufern sein wird, in welcher das gesamte Ge- werbe sich genossenschaftlich zusammentut zur Förderung seines wirtschaftlichen Gedeihens. Ebenso hoch als dieser materielle Gewinn ist aber auch der ethische oder moralische anzuschlagen. Der Konkurrenzneid wird mehr zurück- gedrängt, die Gewerbtreibenden lernen sich gegenseitig als Kollegen, Genossen gleichen Strebens achten und ehren, und sie lernen gemein- sam für ihre gemeinsamen Interessen eintreten, alle für einen und einer für alle. Dadurch, daß der Gewerbetreibende durch die Ge- nossenschaft gezwungen wird, seine Verpflichtungen bar zu zahlen, bekommt auch er bessere Übersicht über seine wirtschaftlichen Verhält- nisse. Er wird zur Ordnung in seinem Geschäfte erzogen. Die Genossenschaft erweist sich als eine Schule der Erziehung. Sie bringt in den Handel und das Gewerbe ihrer Mitglieder Gerechtigkeit, Billigkeit und Ordnung. Der Staat tritt für sie mit ein, das erhöht ihr Bewußtsein, daß auch sie vollgültige Bürger des Staates sind, die an seinem Wohle mitzuarbeiten haben. Sie werden zu der Überzeugung kommen, daß
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