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Die Besatzung, die kaum noch aus 800 Mann bestand, eilte
im Laufschritt aus ihre Bastionen. Die wehrfähige Bürgerschaft, etwa
3000 Mann, bewaffnete sich und rannte von allen Seiten her mit
Windlichtern und Fackeln nach ihren Lärmplätzen, jeder zu seiner
Zunft und Abteilung. Der tapfere Stadtkommandant ließ im Nu
die Kanonen auf die Wälle fahren. Und so war denn die friedliche
Septembernacht von laufenden, rufenden Bewaffneten, von hin und
her springenden berittenen Boten, von rasselnden Kanonen in einem
Augenblick unheimlich verwandelt. Ganz Stratzburg war lebendig.
Auch die Ratsherren eilten aus allen Richtungen, und nicht
so behaglich und würdevoll wie sonst, auf die Pfalz. Es wimmelte
draußen von Franzosen, an die 35 000 Mann. Das Sturmläuten
vom St. Wilhelm bis St. Niklaus dauerte immer noch fort; man
hoffte die Bauern der Umgegend herbeizurufen als Verstärkung der
schwachen Besatzung. Viele Familien flohen auch in die Stadt und
brachten die Nachricht mit, daß von allen Seiten eine große fran-
zösische Armee Straßburg umzingle. Der Rat behielt aber durch-
aus den Kopf oben; eine Ehrenwache von 60 Bürgern wurde
vor dem Rathaus aufgestellt, um jedem Auslaus vorzubeugen.
Depeschen wurden abgesandt an Se. Majestät den Kaiser, an
einen erlauchten Reichstag und an den Herrn Markgrafen von Ba-
den-Durlach. Darin wurde gemeldet, daß eine starke Armee des Gene-
rals von Montclar in nachtschlafender Zeit die Stadt überfallen, die
Zollschanze nebst Rheinbrücke besetzt habe mit offenkundiger Absicht,
der altehrwürdigen Freiheit ein gewaltsames Ende zu bereiten. Bald
darauf schollen die Hufschlüge von fünf Reitern durch die Mond-
nacht. Da sie die Hauptstraßen besetzt wußten, so bogen sie unmittel-
bar vor den: Metzgertor links auf einen Feldweg ab; das gespannte
Pistol in der Rechten, sausten sie bei hellem Mondlicht wie die
wilde Jagd übers Feld, um die Depeschen über den Rhein zu bringen.
Bei Tagesanbruch ritt Herr Stadtsekretarius Güntzer, von einem
Trommler begleitet, vors Tor; hier wurde er von den französischen
Vorposten angehalten und nach Älkirch geführt, wo sich General
Montclar befand. Es war kein angenehmer Empfang. Se. Exzellenz
der General erklärte kalt und rauh, er fei als Gebieter da, nicht als
Unterhändler.
^ „Eure Stadt gehört nach den letzten Friedensverträgen zu
Frankreich; wenn wir bis jetzt Straßburg nicht besetzt haben, so
geschah das nur deshalb, weil wir keine Zeit hatten. Wir machen
also nur von unserm Rechte Gebrauch. Erkennen aber die Herren
in Straßburg dies Recht nicht an, so habe ich hier bei nur 35000
Mann und werde den Herren Räten mit Pulver und Blei unser
Lesebuch für Mittelschulen. Band 3 8.
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TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
TM Hauptwörter (100): [T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T80: [Rhein Stadt Festung Mainz Maas Straßburg Frankreich Metz Elsaß Deutschland], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T140: [Stadt Franzose Feind Festung Truppe Tag Mann Paris Belagerung Angriff], T121: [Feind Reiter Pferd Heer Mann Flucht Lager Soldat Seite Reiterei], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T35: [König Bismarck Wilhelm Kaiser General Minister Stein Berlin Graf Moltke], T144: [Stadt Frankreich Münster Straßburg Metz Mainz Elsaß Bischof Frieden Trier]]
Extrahierte Personennamen: Wilhelm Niklaus Stadtsekretarius_Güntzer General
Montclar
Extrahierte Ortsnamen: Rheinbrücke Rhein Frankreich
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Auch die Ratsherren eilten aus allen Richtungen, und nicht
so behaglich und würdevoll wie sonst, auf die Pfalz. Es wimmelte
draußen von Franzosen, an die 35 000 Mann. Das Sturmläuten
vom St. Wilhelm bis St. Nilllaus dauerte immer noch fort; man
hoffte die Bauern der Umgegend herbeizurufen als Verstärkung der
schwachen Besatzung. Viele Familien flohen auch in die Stadt und
brachten die Nachricht mit, daß von allen Seiten eine große fran-
zösische Armee Straßburg umzingle. Der Rat behielt aber durch-
aus den Kopf oben; eine Ehrenwache von 60 Bürgern wurde
vor dem Rathaus aufgestellt, um jedem Auflauf vorzubeugen.
Depeschen wurden abgesandt an Se. Majestät den Kaiser, an
einen erlauchten Reichstag und an den Herrn Markgrafen von Ba-
den-Durlach. Darin wurde gemeldet, daß eine starke Armee des Gene-
rals von Montclar in nachtschlafender Zeit die Stadt überfallen, die
Zollschanze nebst Rheinbrücke besetzt habe mit offenkundiger Absicht,
der altehrwürdigen Freiheit ein gewaltsames Ende zu bereiten. Bald
darauf schollen die Husschläge von fünf Reitern durch die Mond-
nacht. Da sie die Hauptstraßen besetzt wußten, so bogen sie unmittel-
bar vor dem Metzgertor links auf einen Feldweg ab; das gespannte
Pistol in der Rechten, sausten sie bei hellem Mondlicht wie die
wilde Fagd übers Feld, um die Depeschen über den Rhein zu bringen.
Bei Tagesanbruch ritt Herr Stadtsekretarius Güntzer, von einem
Trommler begleitet, vors Tor; hier wurde er von den französischen
Vorposten angehalten und nach Illkirch geführt, wo sich General
Montclar befand. Es war kein angenehmer Empfang. Se. Exzellenz
der General erklärte kalt und rauh, er fei als Gebieter da, nicht als
Unterhändler.
„Eure Stadt gehört nach den letzten Friedensvertrügen zu
Frankreich; wenn wir bis jetzt Straßburg nicht besetzt haben, so
geschah das nur deshalb, weil wir keine Zeit hatten. Wir machen
also nur von unserm Rechte Gebrauch. Erkennen aber die Herren
in Straßburg dies Recht nicht an, so habe ich hier bei mir 35o0o
Mann und werde den Herren Räten mit Pulver und Blei unser
Recht beweisen. Morgen oder heute noch trifft Minister Louvois
in Illkirch ein. Wenn Straßburg die Kanonen, deren Aufstellung
auf den Wällen man mir meldet, zu benutzen wagt, wenn Straß-
burg sich auch nur mit einem Schuß verteidigt, mein Herr Sekre-
tarius, so werde ich die Straßburger als Rebellen behandeln, wo-
nach man sich zu richten hat!"
So fertigte der General des Sonnenkönigs den Straßburger
Stadtschreiber ab. Als gegen elf Uhr Güntzer über diesen Empfang
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen]]
TM Hauptwörter (100): [T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T80: [Rhein Stadt Festung Mainz Maas Straßburg Frankreich Metz Elsaß Deutschland], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Stadtsekretarius_Güntzer General
Montclar
Extrahierte Ortsnamen: Rheinbrücke Rhein Frankreich Straßburg Illkirch
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gerade die Sonntagsglocken entgegen, als wir in Straßburg
einziehen. Schon auf den ersten Blick treten uns Charakter-
züge entgegen, welche die widersprechenden Verhältnisse im
Bilde der Stadt kennzeichnen. Überall auf den meisten Häu-
sern begegnen uns französische Überschriften, aber auf allen
Bläßen und Straßen tönt uns deutsche Mundart entgegen.
Neben den meist echt deutschen Gesiditszügen der Bewohner
treffen wir hie und da ein Gesicht von unverkennbar franzö-
sischer Art, und zwischen die hübschen elsässischen Landes-
trachten, zwischen die bändergeschmückten Schmetterlingshäub-
chen der Bäuerinnen mischt sich häufig der Anzug nach Pariser
Schnitt bei den Herren und Damen der Stadt. Sobald wir da-
gegen in die Häuser eintreten, namentlich wo die geringere
Bevölkerung verkehrt, heimeln uns deutsche Sitten und deut-
sche Mundart an, aber die Spuren der früheren Franzosenzeit
sind doch noch immer deutlich zu finden.
Keiner, der Straßburg besucht, unterläßt es, den Riesen-
turm des Münsters zu besteigen. Zwischen den reich geglie-
derten Säulen und steinernen Zierarten des Turmes steigen
wir empor. Der schwindelnde Blick gleitet über das Dächer-
meer, über Gärten und Vorstädte hinweg zu dem aufblitzenden
Spiegel des Rheines und über einen großen Teil der Ober-
rheinischen Tiefebene bis zu dem fernen Rande des Schwarz-
waldes und der Vogesen.
Von Straßburg führt uns die Bahn nach Colmar und von
hier landeinwärts ins Gebirge. In der Ebene und an den
untersten Geländen des Berglandes werden die Reben an ho-
hen Pfählen emporgeleitet. So wetteifern sie mit dem Hopfen,
dessen ergiebige Plantagen hier allerwärts das Land bedecken.
Rings in den Weinbergen stehen zerstreut Pfirsichbäume, und
daneben liegen Äcker mit üppigem Tabak oder hoch und mastig
aufschießendem Mais.
Dunkle, hohe Wälder umziehen die Berge, über deren
grünem Mantel die höchsten Kämme unbeholzt hervorschauen.
Finstere Nadelwälder umschatten bald unsern Pfad, moosum-
sponnene Granitblöcke ragen über das Gestrüpp hinaus, und
lange Flechtenbärte hangen von allen Ästen. Bald erreichen
wir die Paßhöhe, die Wasserscheide zwischen Rhein und Mosel
und zugleich die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich.
Wider Erwarten war kein Zollwächter oder Gendarm hier wie
dort zu sehen, und ohne Prüfung des Passes gingen wir mehr-
fach hin- und herüber; aber draußen in den Wäldern begeg-
Lesebuch für Mittelschulen. Band 3 A. 19
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T80: [Rhein Stadt Festung Mainz Maas Straßburg Frankreich Metz Elsaß Deutschland], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau]]
TM Hauptwörter (200): [T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T36: [Rhein Mosel Lahn Mainz Stadt Bingen Taunus Bonn Main Ufer], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf]]
Extrahierte Ortsnamen: Straßburg Rheines Colmar Rhein Deutschland Frankreich
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Ein Druck auf den Knopf einer elektrischen Klingel ruft den Kellner
herbei, der uns schnell eine Tasse Kaffee besorgt. So gleichmäßig
und sicher gleitet trotz sausender Geschwindigkeit der Zug über die
Schienen, daß nicht ein Tröpfchen unseres Getränks verschüttet wird
und das Bier im Glase unseres Nachbars sich kaum bewegt. Die
auf den Tischen liegenden Verzeichnisse belehren uns, daß alles, was
Küche und Keller eines Hotels bieten, auch hier im Zuge zu haben
ist: warme und kalte Speisen und Getränke aller Art. Dazu
sind die Preise nicht einmal sehr hoch. Da wir es so bequem
haben können, speisen wir natürlich in diesem „fliegenden Restaurant“
auch zu Abend, um für die lange Nachtfahrt, die uns noch bevor-
steht, wohl vorbereitet zu sein.
3. In heiterer Unterhaltung mit Reisegefährten und im Be-
trachten freundlicher Landschaftsbilder Hannovers, Westfalens und
Rheinlands sind die ersten Stunden unserer Eisenbahnfahrt so schnell
vergangen, als wären’s Minuten gewesen. Eben verrät uns ein
dumpfes Dröhnen, daß der Zug über eine Brücke saust; bei einem
flüchtigen Blick aus dem Fenster grüßen uns die grünen Fluten des
Rheinstroms. Ein langer Pfiff der Lokomotive, ein Fauchen und
Zischen, und wir befinden uns in der Riesenhalle des Kölner Bahn-
hofs. Da wir bei der Abfahrt aus der Heimat einen „durchgehenden“
Wagen gewählt haben, so sind wir des Umsteigens überhoben. Nach
kaum halbstündigem Aufenthalt geht gegen elf Uhr die Fahrt weiter.
Wie dunkle Schatten grüßen uns bei der Ausfahrt aus der mächtigen
Halle die riesenhaften Türme des Domes. Schon nach wenigen
Minuten haben wir die alte Rheinstadt hinter uns. So gut es geht,
versuchen wir, während der nächsten Nachtstunden ein wenig zu
schlummern. Ohne es zu bemerken, haben wir den vaterländischen
Boden verlassen, und schon sind wir ein gutes Stück durch das
industriereiche Belgien gefahren, als unser Zug beim Morgengrauen
auf der belgisch-französischen Grenzstation Maubeuges hält. Das an
der deutsch - belgischen Grenze eingetretene belgische Zugpersonal
wird jetzt durch echte Franzosen abgelöst. Hier empfangen wir in
unserm Abteil auch den Besuch eines französischen Zollbeamten,
der uns pflichtschuldigst fragt, ob wir nicht verzollbare Dinge wie
Zigarren, Vorräte an Lebensrnitteln oder Getränken usw. bei uns
führen. Scharf spähenden Auges prüft der kleine, dunkelhaarige
Mann in Uniform und Käppi den Inhalt unseres Reisekoffers, den
wir auf seine freundliche Bitte bereitwilligst geöffnet haben.
Daß er durch einen prüfenden Griff in die Tiefe des Koffers
die musterhafte Ordnung unsers Gepäcks ein wenig in ihr Gegen-
teil verkehrt, dürfen wir ihm nicht übelnehmen. Da Zollpflichtiges
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TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht], T80: [Rhein Stadt Festung Mainz Maas Straßburg Frankreich Metz Elsaß Deutschland]]
TM Hauptwörter (200): [T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf]]