14
„Oer so oft angeklagte Reichtum", meinte Vindewald, „tut doch
wohl seine Schuldigkeit", als er die großen Summen hörte, die die
öffentliche Armenpflege für die laufenden Unterstützungen für
die pflege- und Nostkinder, die Waisenkinder, deren sich die Ge-
meindewaisenräte und Waisenpflegerinnen im
unbesoldeten Ehrenamte annehmen, für die Metzinsunterstützungen,
für Uleidung und Hausrat und Feuerung, für Krankenpflege,
für Armenbäder, für Blinde, Taube, Lahme, Blöde und Irrsinnige
und für Beerdigungen ausgibt.
Oer Dbmann erklärte weiter: „Zu der öffentlichen Armen-
pflege tritt eine sehr ausgedehnte private Wohltätigkeit.
Freiwillig spenden oft reiche Leute große Summen, vor allem
sind es wohltätige Vereine, die hier ergänzend eintreten:
Frauenvereine, Krankenschwestern, Pfennig-Vereine, Arbeitsnach-
weise, Volksküchen, Naturalverpflegungsstationen für hilfsbedürftige
Wanderer, Kinderasgle, Herbergen, Asgle für Obdachlose, Ferien-
kolonien, Zugendhorts und Jugendheime, Kinderheilstätten-Vereine
und andere Wohltätigkeitseinrichtungen."
„Oie Not hat gar mancherlei Ursachen: Krankheit, Arbeits-
losigkeit, Tod des Vaters oder der Mutter usw.", meinte ein
Pfleger.
„Ein großer Teil der Not ist aber leider selbst verschuldet",
sagte sein Gegenüber. „Wie oft fand ich Trunk-, Genuß-, Putzsucht,
Mangel der einfachsten wirtschaftlichen Grundsätze als die Ursachen
der Not! Wie oft versuchte ich in freundlicher Belehrung die Leute zu
einer vernünftigen und einfachen Lebensweise zu bekehren!"
Dieser Mann stammte selbst aus bescheidenen Verhältnissen und
wußte deshalb, wie man sich auch mit wenig Geld nahrhafte Speisen
beschaffen kann, wenn man auf den teuren, gesundheitsschädlichen
und so viel Unheil stiftenden Alkohol tunlichst verzichtet. Seine
Belehrungen namentlich auch über die manchmal ganz unnötigen
Vereinsbeiträge fanden nicht immer das rechte Verständ-
nis. „Tüchtige und erfahrene Frauen sollten uns beistehen", be-
tonte Bindewald, der sich als Armenpfleger oft guten Rat von
seiner Frau holte. „Zn Zukunft müssen die Geber den Unterstützten
persönlich näher treten. Oer Anblick der Not und Krankheit wird
reichere Gaben fließen lassen, und der Arme wird durch die dank-
bare Gesinnung veredelt. Das fehlt uns."
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19
will, vielleicht weil der Erblasser zu viel Schulden hinterlassen
hat, mutz binnen 6 Wochen dem Nachlatzgerichte eine öffent-
lich beglaubigte Erklärung darüber abgeben. Er begibt sich damit
aller Erbrechte. Nennt der Erbe die Schulden des Erblassers
nicht genau, so beantragt er das Aufgebots verfahren bei
dem Nachlatzgerichte. Oem zufolge müssen sich alle N a ch l a tz-
gläubiger bis zu einem bestimmten Termine melden. Ist die
Vermögenslage des Erblassers noch nicht genau festzustellen oder
will der Erbe ganz sicher gehen, so beantragt er die Nachlatz-
verwaltung. Vas Nachlatzgericht ernennt einen Nachlatz-
Verwalter, der eine Aufstellung (Inventarium) über den
Nachlatz errichtet und die Gläubiger befriedigt, soweit der Nach-
latz dazu ausreicht. Ist der Nachlatz überschuldet, so beantragen
die Erben oder die Gläubiger oder der Nachlatzverwalter den N a ch -
latzkonkurs, der bewirkt, datz sich unbefriedigte Gläubiger
nicht an den Erben halten können."
„wer nun aber seinen Nachlatz anders vererbt wissen will,
als es gesetzlich ist?" fragte Bindewald. „Oer mutz ein Testament
errichten. Ein Minderjähriger kann ein Testament erst errichten,
wenn er das 16. Lebensjahr vollendet hat. Oie Zustimmung
seines gesetzlichen Vertreters ist dazu nicht erforderlich. Vas
öffentliche Testament wird vor dem Amtsrichter oder
einem Notar errichtet, indem der T e st a t o r seinen letzten
Willen mündlich erklärt oder eine schriftliche Erklärung mit dem
Bemerken einreicht, datz sie seinen letzten willen enthalte. Oer
Notar hat hierüber ein Protokoll aufzunehmen. Oer Richter
mutz einen Gerichtsschreiber oder zwei volljährige Personen, die
weder mit ihm noch mit dem Erblasser näher verwandt sind, als
Zeugen zuziehen. Oer Notar darf an Stelle der zwei Zeugen
einen andern Notar mitwirken lassen. Ein solches Testament ist
eine Art des „ordentlichen Testaments". Es wird beim Amts-
gerichte versiegelt aufbewahrt, worüber ein hinterlegungsschein
ausgehändigt wird."
„Nicht wahr, man kann doch selbst sein Testament aus-
stellen?"
„Za, das private oder eigenhändige Testament,
die andere Art des ordentlichen Testaments, wird -eigenhändig
niedergeschrieben und mit Grt und Oatum der Errichtung und
2*
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43
ver Stempelsteuer unterliegen Schuldverschreibungen, Rauf-,
Tausch- und Vollmachten, Pässe, patente u. a. m. ver Ztempeltarif ist für die
einzelnen Gegenstände nicht durchweg gleich bemessen, sondern verschieden
geregelt,- so beträgt beispielsweise für Rauf- und Tauschverträge, wenn sie
im Inlande befindliche unbewegliche Zachen betreffen, l %, für Schulden-
verschreibungen über Ui. 150.— V8%, bei Reisepässen ist der Steuersatz in
der Regel auf Ri. 3,— bemessen,' Pacht- und Rlietsstempel richten sich
nach der höhe der jährlichen miete (Gesetz vom 7. Juli 1895).
Die Erbschaftssteuer, durch welche Erbschaften mit einer Steuer
von 1—8 % vom Nachlasse besteuert werden, beträgt nach den bisherigen
preuhischen Gesetzen im Etat für 1911 Ri. 593 000.—. Stempelsteuern auf
Spielkarten und lvechsel sind auf das Reich übergegangen,' Riahlsteuer und
Schlachtsteuer sind als Staatssteuer abgeschafft worden.
Die Behörden, die mit der Verwaltung der direkten Staats-
steuern betraut sind, sind die Regierungen,' die Erhebung und
Einziehung erfolgt aber überall durch die selbständigen Gutsbezirke
und die Gemeinden. Oie indirekten Abgaben und Zolle werden in
jeder Provinz von der Provinzial-Steuerdirektion verwaltet. Ihnen
sind an den Grenzen und im Innern des Landes Zoll- und Steuer-
ämter unterstellt, deren Aufgabe in der Erhebung und Rontrolle
der indirekten Steuern besteht.
B. Preumche Gemeindestnanzen.
Als Stammvermögen bezeichnen die Städte das bei
Einführung der Städteordnung vorhanden gewesene vermögen,
hierzu kommt das aus Anleihen erworbene vermögen. Ihr
gesamtes Vermögen verwalten die Gemeinden selbst, aber
unter Aufsicht des Staates. Sie dürfen es nur vermindern,
wenn es die Behörde genehmigt.
§ür die Gemeindebesteuerung ist das Rommunalabgaben-
fteuergesetz vom 14. Iuli 1893, das am 1. April 1895 in Rraft ge-
treten ist, giltig. Danach sind die Städte befugt, zur Deckung der
notwendigen Ausgaben — analog dem Staate — indirekte und
direkte Steuern zu erheben; letztere sollen jedoch erst dann erhoben
werden, wenn die zur Erhebung kommenden indirekten Ab-
gaben zur Deckung der laufenden Ausgaben nicht ausreichen.
Den Aufwand bestreiten die Gemeinden weiter aus den Er-
trägnissen ihres beweglichen und unbeweg-
lichen Vermögens. Neuerdings verschaffen sie sich immer
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34
Der Dberpräsident jeder Provinz führt den Vorsitz über das Medizinalkollegium,
das eine rein wissenschaftliche und technisch ratgebende Behörde ist, speziell
in bezug auf gerichtliche Medizin und hggiene. Zur besonderen Bearbeitung
aller medizinal- und sanitätspolizeilichen Geschäfte ist jeder Bezirksregierung
ein Regierungs- und ein Medizinalrat überwiesen. Dem Regierungspräsi-
denten sind als weitere ausübende Organe die Rreisärzte (auch Rreistier-
ärzte) unterstellt, die als technische Beamte von Rreis- und Ortsbehörden
Apotheken beaufsichtigen, amtliche Bescheinigungen ausstellen, bei Gerichten
als Sachverständige fungieren, die Rurpfuscherei bekämpfen, Hilfspersonen
des Heilgewerbes (heildiener und Heilgehilfen) prüfen und überwachen und
die direkte Aufsicht über die Hebammen ihres Bezirks führen. Das Ziel ihrer
Tätigkeit besteht demnach in der Zörderung der öffentlichen Gesundheits-
pflege,- doch fördern sie auch die ärztliche Runst und die wirtschaftlichen Inter-
essen der Arzte. Der öffentlichen Gesundheitspflege dienen auch die Ärzte-
kammern. Sie bilden in jeder Provinz die ärztliche Standesvertretung
und sind am Amtssitze des Oberpräsidenten errichtet. Ihnen steht das
Recht zu, im Interesse der öffentlichen Gesundheit Anträge und Vorstel-
lungen an die Staatsbehörde zu richten,- über einschlägige Zragen der öffent-
lichen Gesundheitspflege sollen sie von der Staatsbehörde gutachtlich gehört
werden. Ärztliche Lhrenräte wachen darüber, datz die Ärzte ihren Beruf
gewissenhaft ausüben (Standespflichten, Gebührentaxe).
Zum Betriebe von Apotheken ist eine besondere Ronzession (staatliche
Genehmigung) erforderlich, (privil. Apotheken und Personalkonzession,
Arzneitaxe). Die Apotheker müssen ihre Befähigung, wie die Ärzte, durch
eine Staatsprüfung nachweisen,- die Anlage neuer Apotheken unterliegt der
Genehmigung des Gberpräsidenten. Apotheken und Drogenhandlungen
sind der Aufsicht der Rreisärzte und der Apothekerrevisoren unterstellt. Leit
1901 besteht eine Standesvertretung für die Apotheker in den Apotheker-
kammern. In allen Provinzen unterhält Preußen Pflegeanstalten für Geistes-
kranke und Landesheilanstalten verschiedener Art (Rrankenanstalten, Ent-
bindungsanstalten, Irrenanstalten und Idiotenanstalten u. dgl. andere).
Aber nicht nur für die Peilung seiner Rranken, sondern auch für die
Erhaltung der Gesundheit seines Volkes ist der Staat besorgt (Gesundheits-
pflege und Gesundheitspolizei, die Strafen verhängt).
So gewährt der Staat Schutz gegen schädliche Nahrungsmittel und
Gebrauchsgegenstände u. dgl. (Nahrungsmittelgesetz v. 1879). Die hierzu
erforderlichen Untersuchungen werden in der Regel von der Zentralstelle
für die öffentliche Gesundheitspflege jeder Provinz, dem hygienischen Institut,
ausgeführt. Gegen die der Gesundheit drohenden Gefahren trifft der Staat
durch die Gesundheits- (Sanitätspolizei) vorbeugende Maßregeln,- auch er-
läßt er Bestimmungen bei eingetretenen ansteckenden Rrankheiten. Der
behördlichen Genehmigung unterliegen Zubereitung und verkauf von Giften.
Im Interesse der öffentlichen Gesundheit verfügen ortspolizeiliche Vorschriften
die Reinhaltung der Straßen und Plätze und die Entfernung übelriechender
Stoffe. Über wichtige Nahrungs- und Genußmittel sind noch besondere vor-
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37
Der Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Lebensmitteln
dienen große Markthallen.
Wasserversorgung, Badeanstalten, Entwässerungsanlagen
(Schwemmkanalisation und Rieselfelder), Straßenreinigung (Schnee-
beseitigung), Müllabfuhr, Promenaden, Parks u. a. m. stellen der
städtischen Verwaltung (den Tiefbauämtern und der Gartendirektion)
schwierige Aufgaben und erfordern große Rosten für die öffentliche
Gesundheitspflege.
5. Der Lteuerzettel kommt.
„Gebet dem Kaiser, was des Kaisers tfl!*
Alljährlich, entweder Ende Dezember oder Anfang Januar,
ergeht an jeden Steuerzahler, der bisher schon mit M. 3000.—
und mehr Einkommen veranlagt war, die Verpflichtung, für das
neue Steuerjahr, umfassend den Zeitraum vom 1. 4. 19— bis
31. 3. 19—, sich selbst einzuschätzen, d. h. sein steuerpflichtiges
Einkommen selbst anzugeben. Der Betreffende erhält diese Auf-
forderung unter Zusendung eines Formulars: „Steuererklärung".
Die Selbsteinschätzung (Steuerdeklaration) ist binnen einer
bestimmten Frist, in Breslau bis zum 20. Januar 19— an den
Vorsitzenden der Einkommensteuer-Veranlagungskommission —
für den Landkreis der Landrat — einzureichen, verpflichtet zur
Selbsteinschätzung ist jeder Staatsbürger, der ein Einkommen
von M. 3000.— besitzt,- Steuerzahler, deren Einkommen geringer
ist, können jedoch ebenfalls zur Selbsteinschätzung aufgefordert
werden. In der Regel wird die Steuererklärung schriftlich abge-
geben ; doch steht es jedem auch frei, dieselbe mündlich am zuständigen
Grte zu Protokoll zu geben, wer der Selbsteinschätzung unterliegt,
aber eine Aufforderung hierzu jedoch nicht erhalten hat, ist trotzdem
zur Abgabe der Steuererklärung verpflichtet. Steuerpflichtig
überhaupt sind nach dem Einkommensteuergesetz von 1906 alle
Preußen, die Angehörigen anderer Bundesstaaten, die in Preußen
ihren Wohnsitz haben, und Ausländer, die sich länger als ein Jahr
ihres Erwerbs wegen in Deutschland aufhalten. Ebenso unterliegen
Aktiengesellschaften und Ronsumvereine der Steuerpflicht.
Als eines Tages die Steuerzettel verteilt wurden, kam der
Nachbar Spiegelberg herüber. Er war ein junger Anfänger im
Schlossergewerbe. Schon öfters hatte er den älteren und er-
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Seinen allgemeinen Gerichtsstand hat jeder-
mann bei den Gerichten, in deren Bezirk er wohnt oder beim
Mangel eines festen Wohnsitzes sich aufhält. Es kann aber auch
ein anderer Gerichtsstand durch Vereinbarung, z. L. in Preis-
verzeichnissen, noch besser auf den Auftragskopien, vorgeschrieben
werden (Erfüllungsort).
Ruf Rechnungen ist der einseitige vermerk über den Erfüllungsort
unwirksam, weil er erst nach Abschluß des Geschäfts dem andern Teil be-
kannt wurde.
2. Der Zivilproxetz.
Zu den abgekürzten Verfahren gehört das Sühne- und
Mahnverfahren. §ür beide ist das Amtsgericht zuständig,
gleichviel, wie hoch der Streitgegenstand ist. Zn der Sühne-
verhandlung soll eine Einigung versucht werden, damit
nicht erst geklagt zu werden braucht. Im Mahnverfahren
soll ohne vorherige Zeststellung des Sachverhalts durch einen Zah-
lungsbefehl erreicht werden, daß der Schuldner inner-
halb einer Woche Schuld nebst kosten bezahlt. Erhebt
er innerhalb dieser Zrist keinen Widerspruch, ohne Zahlung
zu l e i st e n , so wird das Gericht mündlich oder schriftlich er-
sucht, den Zahlungsbefehl für vollstreckbar zu erklären. Gegen
diesen voll st reckungsbefehl kann der Beklagte aber
eine Woche nach Zustellung Einspruch erheben wie beim
versäumnisurteil. Tut er das, so muß die Sache vor dem Richter
mündlich verhandelt werden.
An ordentlichen Gerichtstagen, das sind vom Amts-
gericht dauernd bestimmte Wochentage, können die Parteien (ohne Ladung
und Terminbestimmung) vor dem Gericht ihre Rlage dem Richter
mündlich vortragen. Sie wird alsbald verhandelt. Rommt der
Gegner aber nicht, so muß eine schriftliche Rlage eingereicht
werden. Sie kann auch dem Gerichtsschreiber zu Protokoll gegeben
werden. Innerhalb 24 Stunden bestimmt das Gericht den Termin zur
mündlichen Verhandlung. Dem Beklagten wird die Rlage durch das
Gericht zugestellt, die Beweisaufnahmen werden durch den er-
kennenden Richter vorgenommen (Zeugen, Sachverständige). Oie unter-
liegende Partei hat die Rosten des Rechtsstreites sowie die Entschädigung
des Gegners für notwendige Reisen, für Zeitversäumnis und die Gebühren
und Auslagen des anderen Rechtsanwalts zu zahlen (Gerichtskostengesetz,
Gebührenordnung für Rechtsanwälte).
wenn aber der unterlegene Gegner nicht zahlen kann, so muß die ob-
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siegende Partei ihren Anwalt und manchmal auch einen Teil der Gerichts-
kosten selbst zahlen (Vorsicht!).
Gegen Endurteile des Amtsgerichts kann Berufung beim
Landgerichte eingelegt werden, vie Klageschrift mutz durch einen
beim Landgerichte zugelassenen Rechtsanwalt eingereicht werden.
3. Die Zwangsvollstreckung.
Vie Zwangsvollstreckung findet u. a. statt:
1. aus vergleichen, die in einem Prozeß oder im Sühneverfahren
vor dem Richter abgeschlossen worden sind,-
2. aus Rostenfestsetzungsbeschlüssen,-
3. aus vollstreckungsbefehlen,-
4. aus rechtskräftigen, d. h. unanfechtbaren, und solchen noch
anfechtbaren, also noch nicht rechtskräftigen Urteilen, die für vorläufig
vollstreckbar erklärt sind.
vorläufig vollstreckbare Urteile kommen vor bei Streitigkeiten
zwischen Mieter und Vermieter, Reisenden und Wirt, Wechsel-
prozessen u. a. Streitigkeiten, die auf schnelle Erledigung drängen.
Alle Urteile über vermögensrechtliche Ansprüche, deren wert
Itc. 300.— nicht übersteigt, sind auf Antrag einer Partei für
vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Oie Zwangsvollstreckung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher
im Aufträge der Partei. Vieser Gerichtsbeamte darf die Wohnung
und Behältnisse des Schuldners durchsuchen, verschlossene Türen
und Behältnisse öffnen und bei widerstand polizeiliche Hilfe be-
anspruchen. Oie Pfändung geschieht in der weise, datz der Ge-
richtsvollzieher an die beweglichen Sachen Siegel legt. Gegen-
stände, die der Schuldner zu seinem oder seiner Zamilie Unter-
halt oder für seinen Beruf unbedingt braucht, müssen pfandfrei
bleiben, sog. Rompetenzstücke. Oie gepfändeten Sachen werden
öffentlich versteigert.
Geldforderungen, die dem Schuldner zukommen, können
ebenfalls durch das Amtsgericht gepfändet werden. Gehalt, Lohn, Pension und
andere Bezüge unterliegen in der Regel nur dann der Pfändung, wenn
sie Itc. 1500.— jährlich übersteigen. Ts ist aber z. L. von den Pensionen
der Witwen und Waisen, dem Viensteinkommen der Offiziere, Beamten,
Geistlichen, der Lehrer an öffentlichen Anstalten sowie von der Pension
dieser Personen in der Regel auch der den Betrag von Itc. 1500.— jährlich
übersteigende Teil nur zu einem Drittel pfändbar. Doch sind auch diese
Bezüge ohne Rücksicht auf den Betrag pfändbar, wenn die Pfändung wegen
geschuldeter Unterhaltsbeiträge erfolgt, z. B. ein wann nicht für feine
Zamilie sorgt.
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Auch Grund st ücke (unbewegliche Zachen) können der Pfändung
dienen. Entweder wird für die Forderung eine Sicherung?- oder Zwangs-
hgpothek eingetragen (das kann aber nur geschehen, wenn die Forderung
des Gläubigers Itc. 300.— übersteigt) oder Zwangsversteigerung oder
Zwangsverwaltung des Grundstückes beantragt.
Kamt der Gläubiger durch die Zwangsvollstreckung in das
bewegliche vermögen des Schuldners nicht befriedigt werden,
so muß der Schuldner auf Antrag ein vollständiges Verzeich-
nis seiner Vermögensstücke einschließlich der unpfändbaren Sachen
vorlegen. Durch den Gffenbarungseid bezeugt er alsdann,
daß er sein vermögen nach bestem Gewissen so vollständig aufgestellt
hat, als er hierzu imstande war. verweigert er diesen Eid grund-
los, so erläßt das Gericht einen Haftbefehl gegen ihn. Die haft
dauert solange, bis er den Eid leistet, längstens aber 6 Monate.
Ist ein Schuldner verdächtig, daß er pfändbare Gegenstände verheim-
lichen oder verstecken will, so kann über die vermögensteile der d i n g l i ch e
Arrest (vorläufige Beschlagnahme), wenn notwendig, sogar der persönliche
Arrest (Verhaftung des Schuldners) verfügt werden. Oer Arrest dient also
zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche und unbewegliche
vermögen wegen einer Geldforderung. Zur Sicherung der Verwirklichung
anderer Ansprüche, insbesondere zur Regelung eines einstweiligen Zustands,
dient, wenn ein sofortiges Einschreiten nötig erscheint, die einstweilige
Verfügung, solange ein Urteil noch nicht gefällt ist.
So ermöglicht uns das Gesetz, jeden beweisfähigen Rechts-
anspruch gerichtlich durchzusetzen, wenn der Schuldner zahlungs-
fähig ist. Unbemittelten wird das Armenrecht bewilligt,
damit sie, natürlich nicht mutwillige und aussichtslose, Prozesse
führen können. Auch werden sie einem Rechtsanwälte zugewiesen,
wenn es nötig sein sollte.
Beschäftigung der ordentlichen Gerichte mit bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten erster Instanz, die anhängig wurden in den Jahren
(alles in Tausenden):
ll ordentliche Prozesse Wechsel- prozesse andere Urkunden- prozesse ordent- wechsel- u. andere Urreste und einstweilige Verfügung. Prozesse und «Lnt- mündi-
bei den c.-Ger. o 0' "<g Ur- kunden- prozesse. Lumme "<S £ L "g sachen bei den £. - Ger.
1905 J- 1883 1883 236 233 73 3 3 2430 51 24 20
1909 § "S 2137 2302 302 293 85 3 3 2988 66 33 25
O
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79
(Auslassung). Oer Notar setzte den Naufvertrag
auf, den die beiden Parteien (Verkäufer und Näufer) eigenhändig
unterschrieben. Nach der Auflassung konnte der grundbuchmätzige
Eintrag vom Grundbuchamt vollzogen werden.
0. Uber Gewerbegerichke.
§ür die Entscheidung gewerblicher Streitigkeiten zwischen
Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andrerseits, sowie
zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers können Gewerbegerichte
errichtet werden. §ür Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern
müssen solche errichtet werden. Sie sind staatliche Gerichte.
Ihre Entscheidungen haben den Lharakter gerichtlicher Entschei-
dungen.
Oie Gewerbegerichte setzen sich zusammen aus einem Vorsitzen-
den und aus mindestens 4 Beisitzern, die je zur Hälfte von den
Arbeitgebern und Arbeitern des Bezirks zu wählen sind. Oer
Vorsitzende ist meist Beamter und wird von der Behörde oder
Gemeindeverwaltung ernannt. Oie Beisitzer müssen über 30 Jahre
alt sein und in dem Bezirk des Gewerbegerichts seit mindestens
2 Jahren Wohnung oder Beschäftigung haben, wahlberechtigt
ist nur, wer die deutsche Neichsangehörigkeit besitzt, mindestens
25 Jahre alt ist und im Bezirke des Gewerbegerichts Wohnung
und Beschäftigung hat.
Oie näheren Bestimmungen über die Wahl und ihr Ver-
fahren werden durch eine Satzung getroffen. Eine Regelung
nach den Grundsätzen der Verhältniswahl ist zulässig
(nicht obligatorisch wie bei den Naufmannsgerichten). Oas Ver-
hältniswahlsystem besteht darin, datz die Summe der Beisitzer
unter die Parteien nach dem Verhältnisse der für sie im ganzen
abgegebenen Stimmen verteilt wird. Es wird dadurch auch den
Nkinderheitsparteien ein entsprechender Anteil an der Vertretung
gesichert.
Beispiel. Oie Mahl zum Gewerbegericht ist ausgeschrieben worden
mit Angabe der Frist, bis zu der abgeschlossene Listen einzureichen sind.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben je 40 Beisitzer zu wählen, von den
Arbeitnehmern sind 3 Kandidatenlisten mit je 40 Namen eingereicht worden.
Bei der Wahl fallen auf Liste l 1000. ll 600, Hl 400 Stimmen. Vas
Stimmverhältnis ist also wie 5 : 3 : 2. Ls gelten von der Liste I 20, von
Ii 12, von Iii 8 als Gewählte. Auf die Liste der Arbeitgeber entfallen
die andern 40 Beisitzer.
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91
Art. 56. wenn der König minderjährig oder sonst dauernd verhindert
ist, selbst zu regieren, so übernimmt derjenige volljährige Agnat, welcher
der Krone am nächsten steht, die Regentschaft.
Die Regierungsrechte des Königs sind folgende:
1. Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu. Er ernennt
und entläßt die Minister/
2. er befiehlt die Verkündigung der Gesetze und erläßt die zu deren
Ausführung nötigen Verordnungen/
3. er führt den Oberbefehl über das Heer und besetzt alle Stellen im
Heere, sowie in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes/
4. er hat das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, auch
Verträge mit fremden Regierungen zu errichten/
5. er beruft die Kammern und schließt deren Sitzungen/
6. er allein verleiht den Adel, die Titel, Drden und Ehrenzeichen/
7. er übt das Recht der Begnadigung und der Strafmilderung.
Art. 59. Dem Konfideikommißfonds verbleibt die durch das Gesetz
vom 17. Januar 1820 auf die Einkünfte der Domänen und Forsten ange-
wiesene Rente. (Zu den Kosten des Haushalts und Hofstaates des Königs
wird aus Staatsmitteln an den Konfideikommiß alljährlich eine Rente jkron-
dotationj zugesteuert.) Die Krondotation oder Zivilliste beträgt rund 15 will.
Iv. Vvn den Ministern.
Art. 60. Die Minister, sowie die zu ihrer Vertretung abgeordneten
Staatsbeamten haben Zutritt zu jeder Kammer und müssen auf ihr verlangen
gehört werden. Die Kammer kann die Gegenwart der Minister verlangen.
Art. 61. Durch Beschluß einer Kammer können die Minister wegen
Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung und des Verrates
angeklagt werden. Über solche Anklagen entscheidet der oberste Gerichts-
hof der Monarchie.
V. Von den Kammern.
Art. 62. Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den
König und durch zwei Kammern ausgeübt.
Die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem
Gesetze erforderlich.
Art. 64- Dem Könige, sowie jeder Kammer steht das Recht zu, Gesetze
vorzuschlagen.
Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König
verworfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder
vorgebracht werden.
Art. 65—68. Die erste Kammer wird durch Königliche Anordnung
getroffen. Sie setzt sich zusammen:
3.) aus den großjährigen Königlichen Prinzen/
t>) aus den Häuptern der ehemals unmittelbaren reichsständischen
Häuser in Preußen/
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