Die Höhen. 39
sie in zwei einzelnen Höhen, den Gegensteinen. Die Bode und die Selke
durchbrechen die Teufelsmauer. Von den Gegensteinen erzählt die Soge:
Ein Bauer fuhr einst sein Getreide zum Verkauf nach Quedlinburg. Während
er in der Schoßkelle schlief, kamen die Pferde vom rechten Wege ab; und als er
erwachte, hielt der Wagen vor einer großen Höhle im dichten Walde. Nachdem
das Bäuerlein sich vom ersten Schreck erholt hatte, ging es in die Höhle, um sich
darin umzuschauen. Hier sah es zu seinem Erstaunen einen Kessel von blinkendem
Golde und daneben eine Peitsche. Diese nahm der Bauer zuerst, dann wollte er
die Taschen voll Gold füllen. Allein ein großer Hund mit glühenden Augen
bewachte den Kessel. Als aber der Bauer sah, daß das Tier ruhig blieb, griff er
dreist zu. Doch jetzt erwachte in ihm der Geiz. Zum ersten Male, zum zweiten Male
füllte er die Taschen und leerte sie draußen auf seinem Gefährt; als er aber zum
dritten Male kam, erhob der Hund ein fürchterliches Geheul und fletschte die Zähne.
Der Geizhals ließ vor Schreck die Hand voll Gold fallen und stürzte aus der Höhle.
Hier sank er ohnmächtig zu Boden. Unterdessen tat sich die Erde aus, Feuer sprühte
hervor, und aus der Tiefe wuchsen zwei mächtige Felsen, „die Gegensteine". Als
das Bäuerlein erwachte, sah es, wie der große Hund in Teufelsgestalt in den einen
Felsen kroch. Hier foll er noch heute sitzeu und die Vorübergeheuden äffen und ver-
spotten, indem er ihnen ihre Worte als Echo nachruft. Als das Bäuerlein nach
feinem Golde auf dem Wagen sah, fand es nur Kieselsteine; und betrübt fuhr es
weiter.
2. Der Regenstein,
a) Name.
Wer Sinn für Naturschönheiten und Verständnis für geschichtliche
Merkwürdigkeiten besitzt, versäumt nicht, aus einer Harzreise den Regenstein
zu besuchen. Wir schauen von dem Berge, auf dem das Schloß Blanken-
bürg liegt, über die am Abhänge liegende Stadt hinweg. Dort im N.
erhebt sich stolz 295 rn über dem Meeresspiegel der Regenstein. Er liegt
nördlich vom Harz allein, noch ein Stück von der Teuselsmauer entfernt,
wodurch er jedem Harzbesucher gleichsam in die Augen fällt. Sein Name
Regenstein kommt her von dem altdeutschen Wort ragin = hochragend;
und frei erhebt er sich 100 m (so hoch wie der Magdeburger Dom) über
die Ebene. Ein Regenstein ist er mit Recht, denn hoch übereinander-
geschichtete Sandsteinblöcke bilden einen 2 km langen Felskamm, der
besonders auf der Nordfeite so schroff in die Höhe steigt, „daß nicht eine
Katze hinaufklettern kann". Der erste Bewohner soll auch Graf von Regen-
stein geheißen haben.
b) Was erinnert uns noch an die alte Ritterburg und die Festung?
In einer guten halben Stunde wandern wir von Blankenburg
hinauf nach dem Regenstein, der nur von dieser Seite allmählich ansteigt.
Nachdem wir uns auf dem herrlichen Platze vor dein Gasthaufe aus-
geruht und gestärkt haben, folgen wir dem Führer. Wir sehen auf dem
Bilde sofort, daß die Burg aus einem tiefer und einem höher gelegenen
Teile besteht. Auf dem höheren Teile lagen in früherer Zeit noch die
Gebäude des Burgbewohners. Im Vordergrunde sehen wir den Bergfried.
Er ist nur uoch 6 m hoch; früher war er höher. Wir lassen unsern
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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Die Höhen. 53
sie in gtret einzelnen Höhen, den Gegensteinen. Die Bode und die Selke
durchbrechen die Teufelsmauer. Von den Gegensteinen erzählt die Sage:
Ein Bauer fubr einst sein Getreide znm Verkauf nach Quedlinburg. Während
er in der Sckoßkeue schlief, kamen die Pferde vom rechten Wege ab; und als er
erwachte, hielt der Wagen vor einer großen Höhle im dichten Walde. Nachdem
das Bäuerlein sich vom ersten Schreck erholt hatte, ging es in die Höhle, um sich
darin umzuschauen. Hier sah es zu seinem Erstaunen einen Kessel von blinkendem
Golde und daneben eine Peitsche. Diese nahm der Bauer zuerst, dann wollte er
die Taschen voll Gold sülleu. Allein ein großer Hund mit glühenden Augen
bewachte den Kessel. Als aber der Bauer sah, daß das Tier ruhig blieb, griff er
dreist zu. Doch jetzt erwachte in ihm der Geiz. Zum ersten Male, zum zweiten Male
füllte er die Taschen uut> leerte sie draußeu aus seinem Gefährt; als er aber zum
dritteu Male kam, erhob der Hund ein fürchterliches Geheul und fletschte die Zähne.
Der Geizhals ließ vor Schreck die Hand voll Gold fallen und stürzte aus der Höhle.
Hier sank er ohnmächtig zu Boden. Unterdessen tat sich die Erde auf, Feuer sprühte
hervor, und aus der Tiefe wuchsen zwei mächtige Felsen, „die Gegensteiue '■ Als
das Bäuerlein erwachte, sah es, wie der grosse Hund in Teuselsgestalt in den (inert
Felsen kroch. Hier soll er noch beute sitzeu nud die Vorübergehenden äffen imb ver-
spotten, indem er ihnen ihre Worte als Echo nachruft. Als da? Bäuerleiu lmch
seinem Golde aus dem Wagen sah, fand es nur Kieselsteine; und betrübt suhr es
weiter.
2. Der Negenstein.
a) Name.
Wer Sinn für Naturschönheiten und Verständnis für geschichtliche
Merkwürdigkeiten besitzt, versäumt nicht, auf einer Harzreise den Regen stein
zu besuchen. Wir schauen von dem Berge, auf dem das Schloß Blanken-
bürg liegt, über die am Abhänge liegende Stadt hinweg. Tort im N.
erhebt sich stolz 295 m über dem Meeresspiegel der Negenstein. Er liegt
nördlich vom Harz allein, noch ein Stück von der Teufelsmauer entfernt,
wodurch er jedem Harzbesucher gleichsam in die Augen fällt. Sein Name
Regellstein kommt her von dem altdeutschen Wort ragin — hochragend;
und frei erhebt er sich 100 in (so hoch wie der Magdeburger Dom) über
die Ebene. Ein Regenstein ist er mit Recht, denn hoch übereinander-
geschichtete Sandsteinblöcke bilden einen 2 km langen Felskamm, der
besonders auf der Nordseite so schroff in die Höhe steigt, „daß nicht eine
Katze hinaufklettern kann". Der erste Bewohner soll auch Gras von Regen-
stein geheißen haben.
b) Was erinnert uns noch an die alte Ritterburg und die Festung?
In einer guten halben Stunde wandern wir von Blankenburg
hinauf nach dem Negenstein, der nur von dieser Seite allmählich ansteigt.
Nachdem wir uns auf dem herrlichen Platze vor dein Gasthause aus-
geruht und gestärkt haben, folgen wir dem Führer. Wir sehen auf dem
Bilde sofort, daß die Burg aus einem tiefer und einem höher gelegenen
Teile besteht. Auf dem höheren Teile lagen in früherer Zeit noch die
Gebäude des Burgbewohners. Im Vordergrunde sehen wir den Bergsried.
Er ist nur noch 6 rn hoch; früher war er höher. Wir lassen unsern
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 2 —
Es ist der alte sächsische Lohengau, in welchem wir uns hier befinden. Der Name, welcher in unserer jetzigen Sprache etwa jo viel wie „Waldgau" bedeutet, weist darauf hin, daß die Gegend hier früher sehr waldreich gewesen sein muß. Und in der That finden sich bis auf den heutigen Tag noch Spuren des früheren Waldreichtums vor. An den Ufern der Böhme und Soltau dehnten sich aber auch wohl schon damals liebliche Wiesengründe aus, den Anwohnern Futter bietend für ihre Schaf- und Rinderherden. -------
Es war im Jahre 919. Sieghaft stieg die Frühlingssonne am Himmel empor, vergoldete mit ihren Strahlen die braune Heide und spiegelte sich in den Wellen des Flüßleins, das die Neuern einer noch im Bau begriffenen Burg bespülte. Dort, wo die Soltau sich mit der Böhme vereinigt, erhob sich das Mauerwerk; über die Umfassungsmauer ragte das Dach eines Kirchleins empor, an dessen First noch die Werkleute beschäftigt waren. Auch das Wohnhaus harrte noch der Vollendung, und nur notdürftig waren erst die Räume hergestellt, in denen der Burgvogt mit seinen Knechten einstweilen ein Unterkommen gefunden hatte. Aber auch in das Gesicht eines Sachsenjünglings schien die helle Frühlingssonne, welcher, auf seinen Stab gelehnt, dem murmelnden Bache zuschaute, an dessen Ufern seine Herde weidete. Es war eine hohe, reckenhafte Gestalt. Dichtes, blondes Haar, durch ein Stirnband aus dem Gesichte zurückgehalten, fiel in natürlichen Wellen über die breiten Schultern herab; die Brust war in ein Lederwams gehüllt, welches jedoch die Arme bloß ließ, so daß der kräftige Muskelbau des Oberarms deutlich zu sehen war; die Schenkel waren mit Beinkleidern aus dunkelm Leinenstoff, mit roten Bändern eingefaßt, bekleidet, und die Füße staken in Schuhen aus ungegerbten Ochsenfellen. Unter der hohen, freien Stirn glänzten zwei feurige, blaue Augen, die Nase war etwas gebogen und um Mund und Kinn sproßte der erste Flaum. Wer den Jüngling so dort stehen sah, der konnte ihm gleich an der ganzen Haltung anmerken, daß er nicht ein Leibeigener,
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 78 —
ton der Hoheit, die aus ihren Augen strahlte, warf ich mich thr zu Füßen und küßte den Saum ihres Kleides : fte aber hieß mich aufstehen und ermunterte mich, ihr zu lagen, was mein Herz bedrückte, und ermutigt durch ihren mrlden Zuspruch sagte ich ihr den Zweck meiner Reise. Aufmerksam hörte sie mir zu; als ich aber geendet,
schüttelte sie traurig das Haupt und ihre Augen füllten
jtch mit Thränen. „Armer, armer Knabe", sprach sie, ^warnm bist Du nicht einige Tage früher gekommen? Stehe, die Du hier suchst, weilt nicht mehr unter den Gebenden; heute morgen haben wir ihren sterblichen Leib unter dem grünen Rasen gebettet. Das Geheimnis, nach welchem ^u forschest, hat sie mit ins Grab genommen: aber noch in ihrer letzten Stunde hat sie Dein gedacht:
mtt Deinem Namen auf den Lippen ist sie hinüberae-
ichlnmmert zu einem besseren Leben".
Wie ein Donnerschlag trafen mich diese Worte der würdigen Klosterfrau. Mit einem lauten Schrei sank ich nieder zu ihren Füßen und eine tiefe Ohnmacht umfing meine Sinne. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem hohen, hellen Zimmer; mehrere Schwestern, auch die würdige Priorin, umstanden mein Lager. „Gottlob, er lebt!" hörte ich sie sagen, als ich mit innigem ^ank die Augen zu ihr aufschlug. Eine heftige Krankheit hatte mich befallen, nachdem ich die Trauerbotschaft aus dem Munde der Priorin gehört hatte; mehrere Wochen hatte ich zwischen Tod und Leben geschwebt. Die Anstrengungen der weiten Reise, die Entkräftung, die bittere Enttäuschung, alles hatte dazu beigetragen, meinen Zustand nahezu hoffnungslos zu machen. Aber nun siegte doch die Jugend über die tückische Krankheit, und dank der liebevollen Pflege der frommen Schwestern erholte ich mich rasch. Als ich ganz genesen war, sagte die edle Frau eines Tages zu mir: „Mein lieber Sohn, durch Gottes Gnade bist Du wieder gesund geworden, und es ist nun Zeit, daß wir über Deine fernere Zukunft reden. Hier kannst Du nicht bleiben; aber ich möchte Dich nicht wieder in die Welt zurückschicken. Du hast Deinen
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 26 —
Stelle im ganzen Gau einnahm, und bei ihm wollte er sich, wenn möglich, einen Tag aufhalten, und zu erfahren suchen, ob die Leute des Lohengaues sich eines Einfalles in ihr Gebiet gewärtig hielten, oder ob sie, in Sicherheit eingewiegt, ihre waffenfähige Jugend zu dem neuen Könige ihres Stammes ziehen lassen würden.
Es war am Tage nach den Ereignissen, die wir in den vorigen Kapiteln erzählt haben; der alte Gaugraf stand auf dem Hofe und schaute den Arbeiten seiner Leute zu; seine beiden Hunde standen neben ihm. Warm schien die Frühlingssonne vom blauen Himmel hernieder und spiegelte sich in unzähligen Tautropfen, die wie Diamanten an allen Blättern und Grashalmen hingen; die Vögel zwitscherten in den Zweigen der Eichbäume, und ein Storchenpaar, welches erst seit einigen Tagen aus dem fernen Süden heimgekehrt war, flog ab und zu, um das große Nest auf der First des Daches auszubessern. Alles atmete Frieden und Ruhe, und der alte Billung ließ mit zufriedenem Blick feine Augen über fein Besitztum schweifen. „Seid mir gegrüßt, Ihr alten Freunde", rief er den Störchen zu; „Eure Wiederkehr aus der Fremde soll mir die Bürgschaft sein, daß auch in diesem Jahre Gott der Herr mein Haus vor Blitzstrahl und ändern Unglück verschonen wird. Bauet ruhig Euer Nest aus und freuet Euch des Gedeihens Eurer Jungen, wie ich mich über das Gedeihen meines mir von Gott beschiedenen Wohlstandes und meiner Kinder freue". Und die Störche schienen seinen Gruß erwidern zu wollen; denn sie beugten den langen Hals zurück und klapperten lustig in die blaue Morgenluft hinein.
In dieser friedlichen Betrachtung wurde der Gaugraf durch das Gebell seiner Hunde gestört; es galt dasselbe einem zerlumpten Bettler, welcher soeben durch das Hofthor schritt. Mühsam bewegte er sich auf feinen Krücken vorwärts, und bei jedem Schritte, den er machte, stöhnte er schmerzlich auf. Der alte Billung beruhigte die Hunde, welche Lust zeigten, den Bettler zu zerreißen, und fragte nach feinem Begehr. „Gnädiger Herr", sagte
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 28 —
Unglücks vergißt; es wäre eine Sünde, ihn zu wecken". „Vater", sagte Hermann leise, „ich traue dem Fremden nicht; er hat einen uns fremden Ton in der Stimme; ich fürchte, er ist ein wendischer Kundschafter, der hierher kommt, um zu sehen, wo das Land offen ist". Doch der Alte sprach: „Deine Furcht ist grundlos, mein Sohn; ich habe keine Ursache, an seinen Worten zu zweifeln.
Ja, und wäre er ein Kundschafter, so wollten wir ihm
doch den Platz am Herde gönnen. Mag er dann hin-
gehen und den Seinen sagen, daß wir gerüstet sind, ihnen einen üblen Empfang zu bereiten, wenn sie in den Lohengau einfallen wollen". Im leisen Flüsterton wurde nun die Unterhaltung am Herde fortgesetzt, um den Schlaf des Bettlers nicht zu stören. Man sprach von dem Maitage, der am Ende der nächsten Woche bei den sieben Steinhäusern abgehalten werden sollte; die Botschaft sollte am andern Tage an die Bewohner des Lohengaues gebracht werden, jeder sollte sich dazu einfinden, "denn wichtige Dinge gab es zu verhandeln; — die Königswahl in
Fritzlar, die Gefahr vor den Wenden, die Mündigsprechung der jungen Krieger. Erst als alle sich zur Ruhe begeben wollten, weckten die Knechte auch den Bettler und wiesen ihm ein gutes Nachtlager in der Scheune auf dem Hofe an.
Mitternacht war vorüber; auf dem Freihofe Stübeckshorn lag alles im tiefsten Schlafe. Da erhob sich Pribil, der Kundschafter, denn er war es, von seinem Lager. Bleich schien der Mond durch zerrissene Wolken; Pribil trat auf den Hof, vorsichtig nach allen Seiten spähend. Er lauschte; nichts regte sich; selbst die Hunde schliefen ruhig in ihren Hütten. Er hatte jetzt keine Krücken, seine Gestalt war jetzt nicht gebückt. „Ich sollte Feuer an das Haus legen", murmelte er zwischen den Zähnen; „ich sollte die Thüren von außen versperren, und es gelänge mir dann vielleicht, den Alten mit seiner ganzen Sippe zu verbrennen. O, wie ich sie alle hasse, wie ich besonders den Sohn des Alten hasse, welcher mich fast erkannt hätte. Doch nein, heute noch nicht; ich würde die beiden wilden Bestien, die Hunde, wecken, sie würden mich zerreißen; meine.
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Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
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Konfession (WdK): offen für alle
— 29 —
Lage ist noch nicht ohne Gefahr". Leise wie eine Katze schlich er bis an den Zaun, welcher den Hof umgab, kletterte über denselben und lag dann eine kleine Weile an der andern Seite des Zaunes auf dem Boden, um abermals zu lauschen. Alles blieb ruhig wie zuvor; die Hunde hatten sein Fortgehen nicht bemerkt. Leise am Boden hinschleichend gelangte er bis zu dem Gehege, in welchem die Pferde weideten. Er öffnete die Pforte, welche in dasselbe führte, und näherte sich den in einer Koppel zusammenstehenden Pferden. Schnell wie der Blitz schwang er sich auf den Rücken einer schlanken dunkelbraunen Stute; diese erwehrte sich ihres Reiters nur wenig, denn mit liebkosenden Worten streichelte er dem schönen Tiere den Hals. Dann zog er unter seinem zerlumpten Wams einen Zaum hervor, den er am Nachmittag auf dem Hofe gestohlen hatte, legte ihn dem Tiere an und ritt ans dem Gehege. Noch einmal hielt er das Pferd an; drohend ruhten seine Blicke auf dem Freihofe. „Aus Wiedersehen, Herr Gaugraf, auf Wiedersehen auch, Du jugendlicher Held! Also Ihr seit gerüstet, uns zu empfangen? Nun wohl, wir werden nicht zögern zu kommen, und wir werden es so einzurichten wissen, daß wir hier sind, wenn Ihr bei den Steinhäusern seid. Wir wollen sehen, ob Ihr dann früh genug kommt, um das Unglück, welches Radegast, der mächtigste unserer Götter, über Eure Wohnstätten bringen soll, abwenden zu können". Höhnisch lachte er auf; dann drückte er dem Pferde die Fersen in die Weichen, und dahin stob er, querfeldein, dem Osten zu.
Als am andern Morgen die Flucht Pribils und das Fehlen der braunen Stute entdeckt wurde, herrschte große Aufregung auf Stübeckshorn. Der Gaugraf rief sogleich seine Leute zusammen und sagte ihnen, daß der Maitag sofort berufen werden müsse; darum sollten seine vier Knechte noch an demselben Morgen nach allen Richtungen im Gau bekannt machen, was geschehen sei, und die Männer schon auf den kommenden Sonntag nach den Steinhäusern berufen; Hermann aber follte sich nach der Burg Soltau begeben, um auch dort das wichtige Er-
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 53 —
führen nach der Burg seiner Vater in den Harzbergen. Hermann hütete auch jetzt noch die Rinder seines Vaters, wie er es vor dem Kampfe gethan, und die Knechte und Dienstleute hatten ihre reichliche Arbeit, um alles in Bereitschaft zu setzen, damit der reiche Ernteseg^n zur rechten Zeit eingeheimst werden könne in Scheunen und Speicher.
Als einst Hermann in der Nähe des väterlichen Hofes seine Herde weidete, hörte er das laute Getöse einer Jagd. Wer mochte das sein? Wer durfte es sich erlauben, in dem Gebiete seines Vaters zu jagen? Indem er dieses dachte, brachen einige Rehe durch das Dickicht, und hinter ihnen drein stürmte eine stattliche Reiterschar im kriegerischen Schmuck. Allen voran sprengte ein Reiter mit männlich schönem Gesicht, welches jetzt von dem Eifer, das flüchtige Wild zu jagen, gerötet war. Aber auch in Hermanns Gesicht trat die Röte des Zornes, und die Adern an seiner Stirn begannen zu schwellen. Mit raschem Griffe fiel er dem Rosse des vorderen Reiters in die Zügel. „Haltet ein!" rief er ihm zu; „wer hat es Euch erlaubt, hier auf dem Gebiete meines Vaters zu jagen? wer hat es Euch gestattet, von dem Wege abzulenken und über unsere Felder zu reiten?" Mit Erstaunen blickte der Reiter auf die reckenhafte Gestalt des Jünglings; sein Gesicht war plötzlich sehr blaß geworden und er suchte die Hand Hermanns von dem Zügel seines Rosses zu lösen. „Laß ab, Verwegener!" rief er ihm zu; „Du weißt nicht, was Du thust und wem Du entgegentrittst. Gieb den Weg frei, oder, bei Gott, Du sollst es bereuen!" „Eure Drohungen schrecken mich nicht", erwiderte Hermann ; „Ihr könnt mich niederstoßen, und über meine Leiche möget Ihr hinwegreiten; aber fo lange ich lebe, will ich das Recht schützen, und Ihr thut Unrecht, daß Ihr die Gesetze des Landes, in dem Ihr Euch befindet, nicht achtet. Mein Vater ist der Billnng, ihm liegt es ob, über die Gesetze zu wachen; ich bin sein Erbe, und ich würde meinen Namen schänden, wenn ich es duldete, daß Ihr Unrecht thut". „Was weißt Du von Recht
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Extrahierte Personennamen: Hermann Hermann Hermann
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
besten dienen, wenn wir die Feinde von unfern Dörfern fernhalten. Wahrlich, es ist die erste Pflicht des Sachsen, fernen eigenen Herd zu verteidigen, und es ist dieses ehrenvoller, als in des Königs Gefolge zu stehen. Aber ich weiß, es wird die Zeit kommen, wo der König mit dem falschen Wendenvolke wird blutige Abrechnung halten für all die Unbill, die sie uns angethan, und dann, mein Sohn, dann wirft Du der erste fein, der in des Königs Gefolge gegen den Feind zieht".
Wie eine Weissagung hatten die letzten Worte des alten Gaugrafen geklungen. Stille war es in der Kemenate : man hörte nur das Atmen der drei Männer und das Säuseln des Windes in den Eichbäumen. Der Mönch brach zuerst das Schweigen. „Gelobt fei Jesus Christus!" sagte er im feierlichen Ernst. „Lebet wohl, geliebten Freunde; ich will jetzt wieder in die Burg gehen und meines Bruders Sohn sagen, daß er nur allein wieder hinaufziehe nach den Harzbergen. Es wird dem guten Jungen leid thun; aber es geht nicht anders. Auch ich darf jetzt nicht den Posten verlassen, ans den mein Gott mich gestellt. Wenn es ihm gefällt, so werde ich doch noch einmal meinen lieben Bruder wiedersehen, ehe ich sterbe". Mit freundlichem Gruß verließ er das Gemach, und die beiden Billunge gaben ihm das Geleite bis an das Hofthor.
Drittes Kapitel:
Äni Her-feuer im Freihofe Stübeckshorn.
Am Abend dieses Tages saß die ganze Familie Billuug, der alte Gaugraf nebst feiner Ehefrau Oda, Hermann und feine beiden Schwestern Bertha und Mathilde, und das Gesinde, vier Knechte und ebensoviel Mägde, um den großen Tisch vor dem Herde. Licht wurde in dem weiten Raume verbreitet durch das Feuer auf dem Herde und
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Extrahierte Personennamen: Jesus_Christus Ernst Oda Hermann Schwestern_Bertha Mathilde
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Niedersachsen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Inhalt: Zeit: Mittelalter
Geschlecht (WdK): koedukativ
Konfession (WdK): offen für alle
— 76 —
ättrn wse6f mir' ba* ich nicht sein
Sohn Jet, sondern daß ich ihm einst von einem Ritter
übergeben worden sei zur Erziehung. Den Namen meines
^nnte oder wollte er mir nicht nennen; er sagte
010 Eine Amme, die mit mir in seiner Hütte
Zuflucht gefunden, als die Burg meines Vaters zerstört
Jet, mir mehr von meinen Eltern erzählen könne: dieselbe
habe stch m dte Stille des Klosters Drübeck am Harr
rückgezogen als er die Heimat verlassen, da ich ihrer
Wartung nicht mehr bedurft habe. Von meinem Vater
Jagte er mir nur, daß er, nachdem er alles verloren im
Stampfe gegen die Wenden, der Welt entsagt habe und
ent Einsiedler geworden sei. Das einzige Erbteil, welches
er mir hinterlassen habe, sei ein kleines goldenes Kren; •
ich solle es wohl in Ehren halten und von Stund an
me wieder ablegen, denn es könne dazu dienen, daß ich
etnst von meinem Vater oder einem meiner Verwandten
wieder erkannt werde. Mit diesen Worten gab er mir
das Kreuz, welches ich seit dieser Stunde auf der Brust
getragen habe. Von der Zeit an war mir der Aufenthalt
i meinen treuen Pflegern verleidet; ich sehnte mich fort
von ihnen um meinen Vater auszusuchen. Aber wo
Imu 5? f*nben? Konnte ich, noch ein Knabe, die Welt durchstreifen und in allen Wäldern und Einöden suchen nach meinem Vater, den ich nicht kannte, ja dessen Namen ich nicht einmal wußte? Ich sah bald das thörichte meines Wunsches ein; ich erkannte, daß ich zuerst nach Drübeck gehen müsse, um von meiner Amme den Namen meines Vaters zu erfahren. Meine Pfleqe-ettern legten meinem Begehren keine Hindernisse in den Weg und so machte ich mich denn eines Tages auf, in der Hand einen Stab und im Quersack ein Stücklein Brot, einer ungewissen Zukunft entgegen.
Sch hatte nicht bedacht, wie beschwerlich die Wanderung auf teilweise unwegsamen Pfaden für einen Knaben meines Alters sein würde. Die Sonne war noch nicht zum ersten Male untergegangen, als das Brot, welches ich aus dem Hause meiner Pflegeeltern mitgenommen
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