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das war er auch. Er verkaufte daher von seinen Sachen ein Stück
nach dem andern, bis ihm nichts mehr übrig blieb ; aber er hatte
dafür die Freude, seinen Kameraden durch seine Pflege wieder her-
gestellt zu sehen. Dieser konnte ihm die Treue, die er an ihm be-
wiesen hatte, nicht genug danken und weinte manchmal an seinem
Halse aus Bekümmernisz, dasz er ihm seine verkauften Kleidungs-
stücke nicht wieder ersetzen könnte; aber der Schneider tröstete
ihn darüber und sagte : Gott werde es ihn wohl nicht vermissen
lassen ; ein Mensch sei dem andern einen solchen Liebesdienst wohl
schuldig, und besonders in der Fremde müsse keiner den andern
verlassen. Sie reisten darauf noch mit einander bis nach Warschau,
der Hauptstadt in Polen, wo der arme Schmidt Arbeit bekam, der
Schneider aber nicht. Beide Freunde muszten sich also hier tren-
nen. Als der Schneider wieder auswanderte, gab ihm der Schmidt
eine Stunde weit das Geleite, und unter Vergieszung häufiger Thrä-
nen schieden sie, als wenn sie leibliche Brüder gewesen wären, von
einander, ohne eben hoffen zu können, dasz sie sich in dieser Welt
jemals wieder sehen würden.
Der Schneiderwanderte darauf durch Böhmen, Sachsen, Hessen,
Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn Jahre blieb
und bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein
Glück zu finden. Endlich kehrte er nach Deutschland zurück und
gerieth in Frankfurt am Main unter die Werber, welche ihn über-
redeten, kaiserliche Dienste zu nehmen, und ihn als Rekruten nach
Wien transportierten. Da er aber schwächlich und fast beständig
krank war, liesz man ihn nach einigen Jahren wieder laufen, wohin
er wollte. Fast nackt und blosz kam er nach Sachsen, um daselbst
wieder Arbeit zu suchen ; allein da ihn in seinem elenden Anzuge
niemand zur Arbeit annehmen wollte, so muszte er endlich betteln.
Eines Abends spät sprach er in einem Dorfe (es war gerade an
einem Sonnabende) bei einer Schmiede auch um einen Zehrpfennig
an. Da dünkte dem Meister, welcher mit vier Gesellen vor der
Esse arbeitete, dasz die Stimme des Ansprechenden ihm sehr be-
kannt sei. Er nahm die Hängelampe in die Hand, schaute dem
Bettler in’s Gesicht, und — „Je Bruder! bist du’s oder bist du’s
nicht?“ riefen beide fast zu gleicher Zeit; und in der That waren es
die Kameraden, die seit der Trennung in Warschau nichts weiter
von einander gehört hatten. Der Schmidt, welcher unterdessen in
dieser Schmiede in Arbeit gestanden und durch die Meirath der
Witwe, welcher sie gehörte, wohlhabend geworden war, war ganz
auszer sich vor Freuden. Er herzte und küszte den Schneider uad
schämte sich seiner nicht, obgleich er ein zerlumpter Bettler war.
Er führte ihn mit lautem Jubel in seine Stube, drückte ihn in den
Groszvaterstuhl am Ofen nieder, sprang auf einem Beine wie ein
Knabe, und alle seine Hausgenossen sperrten vor Verwunderung
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die Augen weit auf. „Lene“, sprach er zu seiner Frau, „geschwind
springe hinauf und hole ein feines Hemd und meinen Sonntagsstaat
herunter, dasz der gute Freund da sich umkleiden kann! “ Der
Schneider wollte allerlei dagegen einwenden, aber der Meister hielt
ihm den Mund zu und sagte : „‘Schweig’ und sprich mir kein Wort
dagegen ! Du hast’s wohl um mich verdient, dasz ich mein bischen
Hab’ und Gut mit dir theile.“ Es half nichts: der Schneider muszte
sich putzen und aus einer langen Pfeife rauchen. Der Meister gebot
ihm, sich gerade so zu pflegen, als ob er in seinem eigenen Hause
wäre, und nachdem er in möglichster Eile sein Tagewerk vollends
geendet hatte, setzte er sich mit ihm zu Tische und liesz alle seine
Leute herein kommen, dasz sie den Fremden nun recht genau
besehen muszten. Dabei erzählte er ihnen denn, wer der Fremde
eigentlich sei, und was es mit ihrer beiderseitigen Freundschaft für
eine Bewandtnisz habe. Da hatten alle eine herzliche Freude über
den Ankömmling, besonders aber die Frau vom Hause, die ihren
Mann sehr liebte und oft dem guten Schneiderburschen, der in
Polen eine so treue Stütze für ihren Mann gewesen war, ehe sie ihn
persönlich kannte, Gottes Segen gewünscht hatte. Der Meister liesz
noch am nämlichen Abend zwei fette Gänse schlachten und auf den
folgenden Tag alle Freunde und Gevattern des Dorfes zu sich zu
Gaste laden. „Juchhei! das soll mir ein Freudentag werden !“ rief
er laut auf — und schwang dabei seine Mütze vor Freuden. Der
Sonntag kam, und in der Schmiede ging’s so fröhlich her, als wenn
es Kindtaufe gewesen wäre. Nachdem die Mahlzeit geendigt war,
erzählte der Schmidt alle seine Erlebnisse und besonders, was er
seinem Kameraden für einen Liebesdienst zu verdanken habe.
Der Schneider muszte dann seine Erlebnisse auch erzählen, und die
Gäste gewannen ihn so lieb, dasz sie durchaus darauf bestanden, er
solle sich in diesem Dorfe häuslich niederlassen und ihr Schneider
werden. Der Schmidt jauchzte darüber laut und versprach, ihn mit
Geld zu unterstützen, so viel er könne. Er hielt auch Wort; der
Schneider fand sein reichliches Brot im Dorfe, verheirathete sich
mit einer guten Wirthin und lebte froh und glücklich.
104. Ehrlichkeit und Dankbarkeit eines Juden.
Ein Jude, Namens Isaak ernährte sich lange Zeit vom Handel
mit alten Kleidern, wobei er oft kaum das tägliche Brot verdiente. Doch
dankte er seinem Gott, daß er ihm wenigstens dieses gab, und war in seiner
Dürftigkeit zufrieden.
Aber nun starben ihm schnell hinter einander zwei Kinder, und er
mußte, um sie begraben zu lassen, fast alle seine Habseligkeitcn verkaufen.
Zudem wurde seine Frau krank, mit der er zwanzig Jahre in Frieden gelebt
hatte, und da er sie selbst Pflegen mußte, so konnte er seinen kleinen Handel
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58
105. %vcuc einer Magd.
Sie heißt la Blonde und diente 23 Jahre bei ihrer Herrschaft und
hätte länger bei derselben gedient, wenn die Meistersleute länger gelebt
hätten. Lange Jahre ging es bei dem Pelzhändler M. zu Paris nach dem
Schnürlein, und la Blonde bekam die guten Tage der Herrschaft auch zu
spüren und konnte in dieser Zeit 350 Thaler Spargelb auf die Seite legen.
Aber nun wandte sich das Blättlein. Der Pelzhändler machte Bankerott
und gerieth in die bitterste Armuth. Da hätte eine andere Magd gedacht:
„Ja, da bin ich kein Narr. Hat das Glück meine Herrschaft verlassen,
werd' ich auch um eine andere mich umsehen dürfen." Nicht so la Blonde.
Am guten Tage war sie guter Dinge gewesen, und den bösen nahm sie jetzt
auch für gut und blieb, selbst als ihr die Frau sagte, daß sie in ihren be-
trübten Umständen auf keinen Lohn rechnen könne. Kummer und Sorge
nagten an des Pelzhändlers Leben; in Jahresfrist starb er und hinterließ
nichts als eine kränkliche Frau und zwei Waislcin, und einen Edelstein —
das war die Magd. Da la Blonde der kranken Frau und der Kindlein
pflegen mußte, wurde nichts verdient, sondern nur gebraucht, und als die
Pelzhändlerin alles Entbehrliche verkauft hatte, brach la Blonde ihr Spar-
geld an und holte nach und nach davon, bis das auch aufgebraucht war.
Zum Glück starb zu dieser Zeit eine Base der Magd und hinterließ ihr ein
Erbe, das jährlich seine 50 Thaler trug. Auch die gab la Blonde hin,
und als auch das in dem theuren Paris nicht lange herhielt, verkaufte sie
Kleider und andere Sachen von Werth, und zuletzt suchte sie als Krankcn-
wärterin die Nächte über etwas zu verdieneu, während sie am Tage der
kranken Frau pflegte. Als diese starb, wollte man die armen Kinder in
ein Spital aufnehmen; aber la Blonde erklärte: „So lange ich lebe, sollen
die beiden Kinder an mir eine Mutter haben." Schon wollte sic mit den
Waislcin nach ihrem Geburtsort Rüel aufbrechen, weil sic dort billiger
durchzukommen hoffte, da ruft sie eines Tages ein kinderloser, wohlhabender
Zuckerbäcker und spricht; „Hört, la Blonde, Ihr braucht nicht fortzu-
ziehen ; ich brauche in meinen alten Tagen eine rechtschaffene Haushälterin.
Da hab' ich gedacht, Ihr zieht mit den beiden Waislcin zu mir, dann
haben sie einen Vater und eine Mutter, und ich habe eine Haushälterin;
so ist allen geholfen." Mit Freuden willigte die treue Seele ein, und ihr
Ende war lieblich und sanft wie das Abendroth nach einem schönen Tage,
und ich denke, sie werde auch weit oben rechts zu erfragen sein am Tage der
Vergeltung.
O
106. ver Wegweiser.
1. Weiszt, wo der Weg; zum mit Pflug und Karst durch’s Weizen-
Mehlfaszgeht, seid,
zum vollen Fasz? Im Morgen- bis Stern an Stern am Himmel
roth steht.
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113
darin geworden, und sie eilt mit den Kindern hinaus unter Gottes
freien Himmel und der Heimat zu.
Mit nassen Augen kommt sie zum Vater. Der hatte heute noch
mehr gearbeitet als sonst, weil die Mutter um der Kinder willen diesen
Nachmittag nicht gearbeitet hatte und er nun für die Mutter mit-
arbeiten wollte. Sie erzählt ihm, daß es ihr auf dem Markte so traurig
zu Muthe gewesen sei. Er aber ist gar nicht traurig und sagt: „Wir
haben wohl nichts zu essen als schwarzes Brot und Kartoffeln; aber
wir sind doch dabei sammt unsern Kindern gesund, und an Kleidung
hat Gott es uns auch noch nicht fehlen lasten. Und das Beste haben
wir umsonst, nämlich Gottes Wort, und wenn wir beten und in den
Wegen Gottes wandeln, so haben wir allezeit einen gnädigen Gott."
Da wurde die Mutter fröhlich, und als Eltern und Kinder sich zum
Abendbrot niedergesetzt und das Tischgebet gesprochen hatten, da schmeckte
ihnen das Schwarzbrot zu der Milch von ihren beiden Ziegen eben so
schön, als wäre es Honigkuchen und Semmel.
173. Gott grüßt manchen, der ihm nicht dankt.
„Gott grüßt manchen, der ihm nicht dankt." Zum Beispiel, wenn
dich früh die Sonne zu einem neuen kräftigen Leben weckt, so bietet er
dir: „Guten Morgen." Wenn sich abends dein Auge zum erquicklichen
Schlummer schließet: „Gute Nacht." Wenn du mit gesundem Appetit
dich zur Mahlzeit setzest, so sagt er: „Wohl bekomm's." Wenn du
eine Gefahr noch zur rechten Zeit entdeckst, so sagt er: „Nimm dich in
Acht, junges Kind, oder altes Kind, und kehre lieber wieder um."
Wenn du am schönen Maitag im Blütenduft und Lerchengesang spazie-
ren gehst, und es ist dir wohl, sagt er: „Sei willkommen in meinem
Schloßgarten." Oder du denkst an nichts, und es wird dir auf einmal
wunderlich im Herzen und naß in den Augen, und denkst, ich will doch
anders werden, als ich bin, so sagt er: „Merkst du, wer bei dir ist?"
Oder du gehst an einem offenen Grab vorbei und es schaudert dich,
so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformiert bist, und
sagt: „Gelobt sei Zesus Christ!" Also grüßt Gott manchen, der ihm
nicht antwortet und nicht dankt. '
176. Drei Rechtsfälle.
i.
Der Pächter eines Ackers stößt beim Pflügen mit dem Pflug auf
etwas Hartes, halt still, grabt auf — einen Grapen voll Silbergctv. Der
Pächter bietet diesen Fund dem Verpächter an, weil er ja zum Kornbau
und nicht zum Schatzhcbcn den Acker gepachtet habe; der Verpächter da-
Baterlündisch.s Lesebuch. c
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140
208. Der Schwanritter.
(Sage.)
Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche Erben
zu hinterlassen; er hatte aber in einer Urkunde gestiftet, dasz sein Land
der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich
jedoch Gotttried’s Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, wenig, sondern
bemächtigte sich, aller Klagen der Witwe und Waise unerachtet, des
Landes, das nach deutschem Rechte auf keine Weiber erben könne.
Die Herzogin beschlosz daher, bei dem König zu klagen; und als
bald darauf Karl nach Niederland zog, kam sie mit ihrer Tochter dahin
und begehrte Recht. Dahin war auch der Sachsenherzog gekommen und
wollte der Klage zur Antwort stehen. Es ereignete sich aber, dasz der
König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen weiszen Schwan,
der schwamm den Rhein herauf und zog an einer silbernen Kette, die
hell glänzte, ein Schifflein nach sich; in dem Schiff aber ru’nete ein
schlafender Ritter, sein Schild war sein Hauptkissen, und neben ihm lagen
Helm und Panzer; der Schwan steuerte gleich einem geschickten See-
manne und brachte sein Schiff an das Gestade. Karl und der ganze Hof
verwunderten sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignisz; jedermann
vergasz der Klagen der Frauen und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen
war der Ritter erwacht und stieg aus der Barke ; wohl und herrlich empfing
ihn der König, nahm ihn selbst zur Hand und führte ihn gegen die Burg.
Da sprach der junge Held zu dem Vogel: „Flieg deinen Weg wohl, lieber
Schwan ! wann ich dein wieder bedarf, will ich dir schon rufen.“ Sogleich
schwang sich der Schwan und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen
weg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig an ; Karl ging
wieder zu seinem Gericht und wies jenem eine Stelle unter den anderen
Fürsten an.
Die Herzogin von Brabant, in Gegenwart ihrer schönen Tochter, hub
nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach vertheidigte sich auch der
Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampf für sein Recht,
und die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihre zu bewähren.
Da erschrak sie heftig; denn er war ein auserwählter Held, an den sich
niemand wagen würde; vergebens liesz sie im ganzen Saale die Augen
umgehen, keiner war da, der sich ihr erhoben hätte. Ihre Tochter klagte
laut und weinte; da erhub sich der Ritter, den der Schwan in’s Land ge-
führt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hierauf wurde von beiden
Seiten zum Streit gerüstet, und nach einem langen und hartnäckigen Ge-
fecht war der Sieg endlich auf Seiten des Schwanritters. Der Herzog von
Sachsen verlor sein Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und
ledig. Da neigten sie und die Tochter sich dem Helden, der sie erlöst
hatte, und er nahm die ihm angetragene Hand der Jungfrau mit dem Be-
ding an : dasz sie nie und zu keiner Zeit fragen solle, woher er gekommen,
und welches sein Geschlecht sei, denn auszerdem müsse sie ihn verlieren.
Der Herzog und die Herzogin bekamen zwei Kinder, die waren wohl
gerathen ; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, dasz sie
gar nicht wuszte, wer ihr Vater war; und endlich that sie an ihn die ver-
botene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und sprach: „Nun hast du
selbst unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen.“ Die
Herzogin bereute es, aber zu spät; alle Leute fielen ihm zu Füszen und
baten ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan kam mit
demselben Schifflein geschwommen ; darauf kiiszte er beide Kinder, nahm
Abschied von seinem Gemahl und segnete das ganze Volk, dann trat er
in das Schiff, fuhr seine Strasze und kehrte nimmer wieder. Der Frau
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Extrahierte Personennamen: Gottfried_von_Brabant Karl Karl Karl Karl
201
Sie haben Stahlgewand begehrt
und hießen satteln ihre Pferd',
zu reiten nach dem Riesen.
Jung Roland, Sohn des Milon,
sprach:
„Lieb' Vater! hört! ich bitte!
Vermeint ihr mich zu jung und schwach,
daß ich mit Riesen stritte,
doch bin ich nicht zu winzig mehr,
euch nachzutragen euren Speer-
samt eurem guten Schilde."
Die sechs Genossen ritten bald
vereint nach den Ardennen,
doch als sie kamen in den Wald,
da thäten sie sich trennen.
Roland ritt hinter'm Vater her;
wie wohl ihm war, des Helden Speer,
des Helden Schild zu tragen!
Bei Sonnenschein und Mondenlicht
streiften die kühnen Degen;
doch fanden sie den Riesen nicht
in Felsen und Gehegen.
Zur Mittagsstund' am vierten Tag
der Herzog Milon schlafen lag
in einer Eiche Schatten.
Roland sah in der Ferne bald
ein Blitzen und ein Leuchten,
davon die Strahlen in dem Wald
die Hirsch' und Reh' aufscheuchten;
er sah, es kam von einem Schild,
den trug ein Riese, groß und wild,
vom Berge niedersteigend.
Roland gedacht' im Herzen sein:
„Was ist das für ein Schrecken!
Soll ich den lieben Vater mein
im besten Schlaf erwecken?
Es wachet ja sein gutes Pferd,
es wacht sein Speer, sein Schild und
Schwert,
es wacht Roland, der junge."
Roland das Schwert zur Seite band,
Herrn Milon's starkes Waffen,
die Lanze nahm er in die Hand
und that den Schild aufraffen.
Herrn Milon's Roß bestieg er dann
und ritt ganz fachte durch den Tann,
den Vater nicht zu wecken.
Und als er kam zur Felsenwand,
da sprach der Rief' mit Lachen:
„Was will doch dieser kleine Fant
auf solchem Rosse machen?
Sein Schwert ist zwier so lang als er,
vom Rosse zieht ihn schier der Speer,
der Schild will ihn erdrücken."
Jung Roland rief: „Wohlauf zum
Streit!
Dich reuet noch dein Necken.
Hab' ich die Tartsche lang und breit,
kann sie mich besser decken;
ein kleiner Mann, ein großes Pferd,
ein kurzer Arm, ein langes Schwert,
muß eins dem andern helfen."
Der Riese mit der Stange schlug
auslangend in die Weite;
jung Roland schwenkte schnell genug
sein Roß noch auf die Seite.
Die Lanz' er aus den Riesen schwang,
doch von dem Wunderschilde sprang
auf Roland sie zurücke.
Jung Roland nahm in großer Hast
das Schwert in beide Hände;
der Riese nach dem feinen faßt;
er war zu unbehende:
mit flinkem Hiebe schlug Roland
ihm unter'm Schild die linke Hand,
daß Hand und Schild entrollten.
Dem Riesen schwand der Muth dahin,
wie ihm der Schild entrissen;
das Kleinod, das ihm Kraft verliehn,
mnßt' er mit Schmerzen missen.
Zwar lief er gleich dem Schilde nach,
doch Roland in das Knie ihn stach,
daß er zu Bodey stürzte.
Roland ihn bei den Haaren griff,
hieb ihm das Haupt herunter;
ein großer Strom von Blute lief
in's tiefe Thal hinunter.
Und aus des Todten Schild hernach
Roland das lichte Kleinod brach
und freute sich am Glanze.
Dann barg er's unter'm Kleide gut
und ging zu einem Quelle;
da wusch er sich von Staub und Blut
Gewand und Waffen helle.
Zurücke ritt der jung' Roland,
dahin, wo er den Vater fand,
noch schlafend bei der Eiche.
Er legt' sich an des Vaters Seit',
vom Schlafe selbst bezwungen,
bis in der kühlen Abendzeit
Herr Milon aufgesprungen:
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Extrahierte Personennamen: Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland
110
sehe!" — Der König sagte : „Dafür ist Rath. Ihr dürft nur Acht
geben, welcher den Hut allein auf dem Kopfe behält, wenn die
andern ehrerbietig ihr Haupt entblöszen.“ — Also ritten sie mit
einander in Paris ein, und zwar das Bäuerlein hübsch auf der rechten
Seite des Königs. Denn es kann nie fehlen: Was die liebe Einfalt
Ungeschicktes thun kann, sei es gute Meinung oder Zufall, das thut
sie. Aber ein grader und unverkünstelter Bauersmann, was er thut
und sagt, das thut und sagt er mit ganzer Seele, und sieht nicht um
sich, was geschieht, wenn’s ihn nicht angeht. Also gab auch der
unsrige dem König auf seine Fragen nach dem Landbau, nach
seinen Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topfe
habe, gesprächige Antwort und merkte lange nichts. Endlich aber,
als er doch sah, wie sich alle Fenster öffneten, und alle Straszen
mit Leuten sich füllten, und alles rechts und links auswich und ehr-
erbietig das Haupt entblöszt hatte, ging ihm ein Licht auf. „Herr!“
sagte er und schaute seinen unbekannten Begleiter mit Bedenklich-
keit und Zweifel an, „entweder seid ihr der König oder ich bin’s !"
Da lächelte der König und sagte: „Ich bin’s. Wenn ihr euer Rösz-
lein eingestellt und eure Geschäfte besorgt habt,“ sagte er, „so kommt
zu mir in mein Schlosz. Ich will euch alsdann mit einem Mittags -
süpplein aufwarten und euch auch meinen Ludwig zeigen.“
Von dieser Geschichte her rührt das Sprichwort, wenn jemand
in einer Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut
allein auf dem Kopfe behält, dasz man ihn fragt: „Seid ihr der
König oder der Bauer?“
172. Der Wilde.
Ein Kanadier, der noch Europens
übertünchte Höflichkeit nicht kannte
und ein Herz, wie Gott es ihm gegeben,
von Cultur noch frei, im Busen fühlte,
brachte, was er mit des Bogens Sehne
fern in Quebeck's übereisten Wäldern
auf der Jagd erbeutet, zum Verkaufe.
Als er ohne schlaue Redekünste,
so wie man ihm bot, die Felsenvögel
um ein Kleines hingegeben hatte,
eilt' er froh mit dem geringen Lohne
heim zu seinen tiefverdeckten Horden,
in die Arme seiner braunen Gattin.
Aber ferne noch von seiner Hütte
überfiel ihn unter freiem Himmel
schnell der schrecklichste der Donner-
stürme.
Aus dem langen, rabenschwarzen Haare
troff der Guß herab auf seinen Gürtel,
und das grobe Haartuch seines Kleides
klebte rund an seinem hagern Leibe.
Schaurig zitternd unter kaltem Regen
eilete der gute wack're Wilde
in ein Haus, das er von fern erblickte.
„Herr, ach laßt mich, bis der Sturm sich
lege,"
bat er mit der herzlichsten Geberde
den gesittet feinen Eigenthümer,
„Obdach hier in Eurem Hause finden!"—
„Willst du, mißgestaltet' Ungeheuer,"
schrie ergrimmt der Pflanzer ihm ent-
gegen,
„willst du Diebsgesicht mir aus dem
Hause!"
und ergriff den schweren Stock im Winkel.
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143
zu denken, bis er endlich am vierten Tage in einen wilden unwegsamen
Wald gerieth und sich völlig verirrte. Hier wäre er wohl verloren ge-
wesen trotz aller seiner Stärke; aber als er laut über sein Miszgeschick
klagte, kam der Zwergkönig Hügel auf kohlschwarzem Rosse daher. Sein
Kleid war von weiszer Seide und mit Gold durchwirkt; auf dem Haupte
trug er eine prachtvolle Krone mit so glänzenden Edelsteinen, dasz der
dunkle Wald davon erleuchtet ward. Er begrüszte Siegfried freundlich,
als ob er ihn lange gekannt hätte, dann aber gebot er ihm schnell zu flie-
hen, weil ganz in der Nähe ein Drache hause, der eine schöne Jungfrau
gefangen halte; „wenn dieser dich erblickt,“ sagte er, „so muszt du dein
junges Leben in diesem Walde verlieren.“ Da freute sich Siegfried, der
gefangenen Kriemhild so nahe zu sein, und er erklärte dem Zwerge, dasz
er gerade gekommen sei, um sie zu befreien, aber erschrocken riefeugelc
„Du willst dich solches Dinges unterfangen? Hättest du auch den halben
Erdkreis bezwungen, so würde dir das doch nichts helfen; die Jungfrau
müsztest du hierauf dem Felsen lassen. Denn den Schlüssel zu demselben
bewahrt der Riese Kuperan, und ehe du auf die Höhe gelangtest, müsztest
du mit ihm. einen Kampf bestehen, wie er auf Erden noch nicht gekämpft
worden ist.“ Gerade dies aber lockte den kühnen Siegfried, und was auch
der gute Eugel sagte, um ihn zu warnen, so blieb er doch fest entschlossen,
die geraubte Kriemhild aus allen Gefahren zu erretten.
3. Wie Siegfried den Riesen besiegte.
Nun führte der Zwerg den Helden an die Seite des Felsens, wo des
Riesen Behausung war. Siegfried rief laut in die Höhle hinein. Sofort trat
Kuperan hervor, bewaffnet mit einer weit über die Bäume hinausragenden
Stange von Stahl, deren vier Kanten messerscharf waren und die einen
Klang gab wie eine Kirchenglocke. „Was willst du, junger Bursch, in diesem
Walde?“ sprach der Riese. „Ich will die Jungfrau erlösen,“ antwortete
Siegfried, „welche auf diesem Felsen gefangen sitzt.“ „Hoho!“ sagte
jener, „du kleiner Wicht, da müsztest du erst noch einige Ellen wachsen.“
Jetzt holte der Riese mit seiner Stange aus, um Siegfried niederzu-
schlagen ; aber dieser sprang schnell und gewandt fünf Klafter weit zurück,
und sausend fuhr die Stange tief in die Erde hinein. Ehe Kuperan sie
aber wieder herausgezogen hatte, sprang Siegfried hinzu und schlug ihm
mit seinem scharfen Schwerte fürchterliche Wunden. Von Schmerz über-
wältigt, liesz der Riese seine Stange fahren und floh in die Höhle zurück.
Aber bald trat er schrecklich gewaffnet wieder hervor. Ein goldener
Harnisch deckte seine Brust; an der Seite trug er ein riesiges scharfes
Schwert, in der Linken aber einen Schild so grosz wie ein Thor und einen
Schuh dick, und auf dem Haupte hatte er einen Helm von hartem Stahl,
der leuchtete wie der Glanz der Sonne auf den Meereswellen. Und nun
begann wieder der harte Kampf zwischen den beiden. Laut hallten die
Schläge durch den dunklen Wald, und die Funken stoben aus den Helmen,
dasz die Finsternisz davon erhellt ward. Aber Siegfried unterlief das lange
Schwert des Riesen und hieb ihm den Panzer in Stücke und brachte dem
Unhold sechszehn tiefe Wunden bei, so dasz ihm das Blut vom Leibe troff.
Da flehte Kuperan um sein Leben, und Siegfried sagte : „Gern will ich es
dir schenken, wenn du mir schwörst, mir die Jungfrau gewinnen zu helfen.“
Das schwur der Riese, und so war zwischen beiden Friede gemacht; Sieg-
fried risz sich selbst sein Untergewand vom Leibe und verband mitleidig
seines Feindes Wunden damit.
4. Wie der Riese wegen seiner Treulosigkeit getüdtet ward.
Als der siegreiche Held auf den Felsen hinauf eilte, um Kriemhild zu
suchen, nahm der tückische Riese, der hinter ihm herging, die günstige
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Aber kaum hatte Siegfried zu essen angefangen, da erhub sich ein
Getöse, als stürzten die Berge zusammen. Aengstlich fuhren die Zwerge
.auseinander, sich zu verstecken, undkriemhild sprach: „Jetzt, edler Held,
wird es unser Ende sein. Nun naht der Drache heran, von seinem Schnau-
zen kommt das Getöse.“ Aber Siegfried blieb getrost und ermuthigte
auch die Jungfrau. Da sah man einen hellen Feuerschein, der kam aus
dem Rachen des noch meilenweit entfernten Ungeheuers. Aengstlich zog
Kriemhild den Jüngling in eine Höhle herein, um hier das Weitere zu er-
warten. Da erschien der Drache ; wie er an den Felsen heranflog, bebte
die ganze Erde ringsumher. Sofort trat Siegfried aus der Höhle, mit der
Rechten das Schwert führend, das ihm der Riese gezeigt hatte. Fürchter-
liche Schläge versetzte er dem Drachen, aber dieser risz ihm mit seinen
Krallen den Schild weg, und so fühlte er immer schrecklicher die Glut, die
aus dem Rachen des Ungethüms hervorgehaucht ward; sie erhitzte den
Felsen so, als wär’ er glühendes Eisen. Unerträglich ward endlich die
Qual, immer gieriger züngelten rothe und blaue Flammen ihm entgegen.
Endlich muszte er (liehen, doch vergasz er nicht Kriemhildens; schnell zog
er sie mit in eine kleine Höhle hinein, in welche der Drache ihnen nicht
folgen konnte. Hier erblickte er einen unendlichen Schatz von Gold und
Edelgestein ; es war der Hort des unterirdischen Zwergenvolkes, der Nibe-
lungen, welche vor dem Getöse des Kampfes ängstlich geflohen waren;
Siegfried aber meinte, dasz es der Schatz des Drachen sei.
Nach einiger Zeit, als er sich erholt hatte, ergriff er wieder sein
Schwert und begann den Kampf von neuem. Die Glut der blauen und
rothen Flammen, die das Unthier gegen ihn spie, brachte ihn wieder in
grosze Noth; er muszte auf die Seite springen, aber nun versuchte das Un-
geheuer mit seinem Schwänze ihn zu umringe,ln, und nur mit genauer Noth
entging er diesen Umarmungen. 'Von den wiederholten Schlägen aber
und von der gewaltigen Hitze begann allmählich die Hornhaut des Drachen
weich zu werden; als Siegfried das merkte, nahm er alle seine Kraft zu-
sammen und führte einen so gewaltigen Hieb auf das Thier, dasz er es
von oben bis unten mitten hindurch spaltete und die eine Hälfte vom
Rande des Felsens in die Tiefe sank.
6. Wie Siegfried und Kriemhild heimkehrten.
So war Kriemhild gerettet, und freudenvoll eilte sie auf ihren Befreier
zu. Aber der war von der ungeheueren Anstrengung bis zum Tode er-
schöpft ; ohnmächtig sank er [zusammen, und lange lag er bewusztlos da.
Darüber erschrak Kriemhild so, dasz auch ihr die Sinne vergingen und
sie wie eine Todte neben dem Helden lag. Endlich nach langer Zeit schlug
Siegfried die Augen auf; als er aber die Jungfrau wie todtneben sichsah,
brach er in laute Klagen aus upd rief: „0 weh mir, dasz ich dies erleben
soll! Die ich in Freuden ihrem Vater wieder heimführen wollte, die musz
ich nun todt ihm bringen? Des werd’ ich ewig klagen müssen.“
Das hörte der Zwerg Engel, der sich inzwischen, wie es stille auf dem
Fels geworden war, wieder herangewagt hatte. Schnell kam er herbei
und sagte: „Sei nur getrost! ich will der Jungfrau ein Kraut eingeben,
dasz sie bald wieder gesund wird.“ So that er, und alsbald schlug sie die
Augen wieder auf. Da fiel sie freudenvoll ihrem Retter Siegfried um den
Hals und küszte ihn auf den Mund. Engel aber sprach: „Du hast uns
Zwerge von dem bösen Riesen, dem wir dienen muszten, befreit; dafür
wollen wir nun auch dir dienen und dir helfen, wo wir können.“ Darnach
führte er Siegfried und Kriemhild in seine Wohnung, und hier erholten
sie sich bei köstlichen Speisen und Getränken vollends von den über-
standenen Mühen und Aengsten. Dann nahmen sie Abschied von dem
Vaterländisches Lesebuch. i a
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