140
208. Der Schwanritter.
(Sage.)
Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche Erben
zu hinterlassen; er hatte aber in einer Urkunde gestiftet, dasz sein Land
der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich
jedoch Gotttried’s Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, wenig, sondern
bemächtigte sich, aller Klagen der Witwe und Waise unerachtet, des
Landes, das nach deutschem Rechte auf keine Weiber erben könne.
Die Herzogin beschlosz daher, bei dem König zu klagen; und als
bald darauf Karl nach Niederland zog, kam sie mit ihrer Tochter dahin
und begehrte Recht. Dahin war auch der Sachsenherzog gekommen und
wollte der Klage zur Antwort stehen. Es ereignete sich aber, dasz der
König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen weiszen Schwan,
der schwamm den Rhein herauf und zog an einer silbernen Kette, die
hell glänzte, ein Schifflein nach sich; in dem Schiff aber ru’nete ein
schlafender Ritter, sein Schild war sein Hauptkissen, und neben ihm lagen
Helm und Panzer; der Schwan steuerte gleich einem geschickten See-
manne und brachte sein Schiff an das Gestade. Karl und der ganze Hof
verwunderten sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignisz; jedermann
vergasz der Klagen der Frauen und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen
war der Ritter erwacht und stieg aus der Barke ; wohl und herrlich empfing
ihn der König, nahm ihn selbst zur Hand und führte ihn gegen die Burg.
Da sprach der junge Held zu dem Vogel: „Flieg deinen Weg wohl, lieber
Schwan ! wann ich dein wieder bedarf, will ich dir schon rufen.“ Sogleich
schwang sich der Schwan und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen
weg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig an ; Karl ging
wieder zu seinem Gericht und wies jenem eine Stelle unter den anderen
Fürsten an.
Die Herzogin von Brabant, in Gegenwart ihrer schönen Tochter, hub
nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach vertheidigte sich auch der
Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampf für sein Recht,
und die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihre zu bewähren.
Da erschrak sie heftig; denn er war ein auserwählter Held, an den sich
niemand wagen würde; vergebens liesz sie im ganzen Saale die Augen
umgehen, keiner war da, der sich ihr erhoben hätte. Ihre Tochter klagte
laut und weinte; da erhub sich der Ritter, den der Schwan in’s Land ge-
führt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hierauf wurde von beiden
Seiten zum Streit gerüstet, und nach einem langen und hartnäckigen Ge-
fecht war der Sieg endlich auf Seiten des Schwanritters. Der Herzog von
Sachsen verlor sein Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und
ledig. Da neigten sie und die Tochter sich dem Helden, der sie erlöst
hatte, und er nahm die ihm angetragene Hand der Jungfrau mit dem Be-
ding an : dasz sie nie und zu keiner Zeit fragen solle, woher er gekommen,
und welches sein Geschlecht sei, denn auszerdem müsse sie ihn verlieren.
Der Herzog und die Herzogin bekamen zwei Kinder, die waren wohl
gerathen ; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, dasz sie
gar nicht wuszte, wer ihr Vater war; und endlich that sie an ihn die ver-
botene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und sprach: „Nun hast du
selbst unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen.“ Die
Herzogin bereute es, aber zu spät; alle Leute fielen ihm zu Füszen und
baten ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan kam mit
demselben Schifflein geschwommen ; darauf kiiszte er beide Kinder, nahm
Abschied von seinem Gemahl und segnete das ganze Volk, dann trat er
in das Schiff, fuhr seine Strasze und kehrte nimmer wieder. Der Frau
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Extrahierte Personennamen: Gottfried_von_Brabant Karl Karl Karl Karl
149
4. Wie Gudrun in die Normandie kam.
Die entflohenen Räuber näherten sich unterdessen ihrer Heimat. Als sie
von ferne die Burgen derselben gewahrten, redete König Ludwig Gudrun zu,
dasz sie seinen Sohn heirathe ; aber empört durch die Niederträchtigkeit ihrer
Entführer und in tiefem Schmerz über den Tod ihres Vaters erklärte sie heftig,
eher würde sie sterben, als dasz sie Hartmut zum Gemahl nähme, sie hasse ihn
und seine ganze feige Sippe. Da ergrimmte Ludwig; er erfaszte die Jungfrau
an ihrem langen blonden Haar und schleuderte sie mit starker Faust weithin in’s
Meer. Sogleich sprang jedoch Hartmut ihr nach und rettete sie in eine Barke.
Gudruns Herz aber konnte er dadurch nicht gewinnen.
Als sie nun in Normandie das Land betraten, kamen ihnen erwartungsvoll
Hartmuts Mutter, die böse Gerlinde, und seine liebliche Schwester Ortrun ent-
gegen. Die letztere küszte die heimatlose Gudrun und zeigte durch Thränen
ihr tiefes Mitgefühl, so dasz sich vom ersten Augenblick an eine innige Freund-
schaft zwischen den beiden Jungfrauen entspann. Als nun aber auch die arg-
listig lauernde Gerlinde herantrat, um Gudrun zu begrüszen, stiesz diese sie
heftig zurück; denn in ihr sah sie die Hauptanstifterin ihres Unglücks, und in
ihrem Blicke fühlte sie eine böse Seele. Von da an warf das arge Weib einen
tödtlichen Hasz auf die arme Jungfrau, und sie dachte mehr darauf, dieselbe zu
quälen, als sie der Heirath mit ihrem Sohne geneigt zu machen.
5. Wie Gudrun als Magd gehalten ward.
Hartmut erneuerte allerdings wieder seine Bewerbungen um Gudrun; da
sie dieselben aber entschieden zurückwies, so empfahl er sie der liebevollen Für-
sorge seiner Mutter und zog für eine Reihe von Jahren auf Abenteuer aus.
Gerlinde aber begann nun, Gudrun nach ihrer Weise zu erziehen: sie hielt sie
kärglich und strenge und zwang ihre Gefährtinnen, die niedrigsten Mägdedienste
zu verrichten. Unter den mit der Königstochter geraubten Jungfrauen befand
sich eine Namens Hergart, die schönste und vornehmste nächst ihr selber: diese
muszte Wasser tragen und im Winter die Oefen heizen, aber bald war dadurch
ihr Muth gebrochen, und sie beugte sich den Unterdrückern und ward ihrer Ge-
bieterin untreu. Desto fester hielten die anderen Frauen zu ihrer Herrin, und
besonders war die treue Hildburg eine feste und sichere Stütze für Gudrun. Diese
selbst trug ihr bitteres Loos ohne Klag?, aber keinen Augenblick wankte sie in
der Treue gegen den ihr verlobten Herwig: ob auch Monde auf Monde und
Jahre auf Jahre während ihrer Erniedrigung dahin schwanden, so liesz sie doch
die Hoffnung auf ihre endliche Befreiung nicht fahren, und ihren Peinigern blieb
sie kalt und fremd, wie sie es von Anfang an gewesen war. Nur gegen die
Freundlichkeit der lieblichen Ortrun, der freilich nur selten gestattet war, sich
ihr zu nahen, fühlte und zeigte sie warme Dankbarkeit.
Im siebenten Jahre kehrte endlich Hartmut aus der Fremde zurück; er
hoffte Gudrun jetzt zur Vermählung willig zu finden, aber ihre Treue war un-
wandelbar. Seiner Mutter machte er schwere Vorwürfe über ihre Härte gegen
die Jungfrau; jene versprach, sie wolle hinfort es anders machen, aber kaum
hatte Hartmut sich abermals auf Seeabenteuer hinausbegeben, so begannen auch
die Miszhandlungen schlimmer als jemals. Die friesische Königstochter muszte
jetzt täglich Gerlindens Kammer auskehren und im Winter die Oefen darin
heizen, wobei es nicht an den schlimmsten Scheltworten fehlte. Auf Augen-
blicke mochte Gudrun wohl verzagen und alle Hoffnung auf Befreiung aufgeben ;
aber wenn sie sich an der Brust ihrer treuen Hildburg ausgeweint und ein Gebet
zum Himmel emporgesandt hatte, dann kam ihr wieder Ruhe und Heiterkeit der
Seele. Ohne Murren that sie alles, das man sie hiesz, aber ihr Herz war bei
den Lieben daheim.
So vergingen wieder Jahre. Da kehrte Hartmut gegen den siebenten Win-
ter abermals zurück, nunmehr fest entschlossen, auf alle Fälle Gudrun zu seiner
Gemahlin zu machen. Er ging in ihre Kammer und stellte ihr alle Herrlichkeit
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190
der Zöllner sprang zum Dach hinan
und blickt' in den Tumult hinaus.
„Barmherziger Himmel, erbarme
dich!
Verloren! verloren! Wer rettet
mich?"
Die Schollen rollten Schuß auf Schuß
von beiden Ufern, hier und dort;
von beiden Ufern riß der Fluß
die Pfeiler sammt den Bogen fort.
Ter bebende Zöllner mit Weib und
Kind —
er heulte noch lauter, als Strom und
Wind.
Die Schollen rollten Stoß auf Stoß
an beiden Enden, hier und dort;
zerborsten und zertrümmert schoß
ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich.
„Barmherziger Himmel, erbarme
dich!"
Hoch auf dem fernen Ufer stand
ein Schwarm von Gaffern, groß und
klein,
und jeder schrie und rang die Hand;
doch mochte niemand Retter sein.
Der bebende Zöllner mit Weib und
Kind
durchheulte nach Rettung den Strom
und Wind.
Wann klingst du, Lied vom braven Mann,
wie Orgelton und Glockenklang?
Wohlan, so nenn' ihn, nenn' ihn dann!
Wann nennst du ihn, o braver Sang?
Bald nahet der Mitte der Umsturz
sich:
O braver Mann, braver Mann, zeige
dich!
Rasch galopiert ein Graf hervor,
auf hohem Roß, ein edler Graf.
Was hielt des Grafen Hand empor?
Ein Beutel war es, voll und straff.
„Zweihundert Pistolen sind zugesagt
dem, welcher die Rettung der Armen
wagt!"
Wer ist der Brave? Jst's der Graf?
Sag' an, mein braver L-ang, sag' an!
Der Graf, beim höchsten Gott, war brav;
doch weiß ich einen bravern Mann.
O braver Mann, braver Mann, zeige
dich!
Schon naht das Verderben sich fürch-
terlich.
Und immer höher schwoll die Flui,
und immer lauter schnob der Wind,
und immer tiefer sank der Muth. —
„O Netter, Retter, komm geschwind!"
Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborstund
brach;
laut krachten und stürzten die Bogen
nach.
„Halloh! halloh! frisch auf! gewagt!"
Hoch hielt der Graf den Preis empor.
Ein jeder hört's, doch jeder zagt;
aus Tausenden tritt keiner vor.
Vergebens durchheulte mit Weib und
Kind
der Zöllner nach Rettung den Strom
und Wind.
Sieh', schlecht und recht ein Bauersmann
am Wanderstabe schritt daher,
mit grobem Kittel angethan,
an Wuchs und Antlitz hoch und hehr.
Er hörte den Grafen, vernahm sein
Wort
und schaute das nahe Verderben dort.
Und kühn in Gottes Namen sprang
er in den nächsten Fischerkahn.
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang
kam der Erretter glücklich an.
Doch wehe! der Nachen war allzu-
klein,
der Netter von allen zugleich zu sein.
Und dreimal zwang er seinen Kahn
trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang,
und dreimal kam er glücklich an,
bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum waren die letzten im sichern
Port,
so rollte das letzte Getrümmer fort.
„Hier", rief der Graf, „mein wackrer
Freund,
hier ist der Preis! Komm her, nimm hin!"
Sag' an, war das nicht brav gemeint?
Bei Gott, der Graf trug hohen Sinn;
doch höher und himmlischer wahrlich
schlug
das Herz, das der Bauer im Kittel
trug.
„Mein Leben ist für Geld nicht feil;
arm bin ich zwar, doch hab' ich satt.
Dem Zöllner werd' Euer Geld zu Theil,
der Hab' und Gut verloren hat!"
So rief er mit herzlichem Biedcrton
und wandte den Rücken und ging
davon.
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192
Die Naben ziehen krächzend zumal
nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl.
„Wen flechten sie auf das Rad zur
Stund' ?
Was hat er gethan? wie ward es kund?"
Die Sonne bracht' es an den
Tag!
36. Kolumbus.
„Was willst du, Fernando, so trüb'
und bleich?
Du bringst mir traurige Mär!"
„Ach, edler Feldherr, bereitet Euch!
nicht länger bezähm' ich das Heer!
Wenn jetzt nicht die Küste sich zeigen will,
so seid Ihr ein Opfer der Wuth;
sie fordern laut wie Stnrmgebrüll
des Feldherrn heil'ges Blut."
Und eh' noch dem Ritter das Wort
entflohn,
da drängte die Menge sich nach,
da stürmten die Krieger, die wüthenden,
schon
gleich Wogen in's stille Gemach,
Verzweiflung im wilden, verlöschenden
Blick,
auf bleichen Gesichtern der Tod! —
„Verräther! wo ist nun dein gleißendes
Glück?
jetzt rett' uns vom Gipfel der Noth!
Du giebst uns nicht Speise, so gieb uns
dein Blut!
Blut!" rief das entzügelte Heer. —
Sanft stellte der Große den Felsenmuth
entgegen dem stürmenden Meer.
„Befriedigt mein Blut euch, so nehmt es
und lebt!
Doch bis noch ein einziges Mal
die Sonne dem feurigen Osten entschwebt,
vergönnt mir den segnenden Strahl.
Beleuchtet der Morgen kein rettend
Gest ad,
so biet' ich dem Tode mich gern;
bis dahin verfolgt noch den muthigen
Pfad
und trauet der Hülfe des Herrn!"
Die Würde des Helden, sein ruhiger
Blick
besiegte noch einmal die Wuth.
Sie wichen vom Haupte des Führers
zurück
ltnb schonten sein heiliges Blut.
„Wohlan denn, es sei noch! doch hebt
sich der Strahl
und zeigt uns kein rettendes Land,
so siehst du die Sonne zum letzten Mal,
so zittre der strafenden Hand!"
Geschlossen war also der eiserne Bund;
die Schrecklichen kehrten zurück. —-
Es thue der leuchtende Morgen nun kund
des duldenden Helden Geschick!
Die Sonne sank, der Tag entwich;
des Helden Brust ward schwer.
Der Kiel durchrauschte schauerlich
das weite, wüste Meer.
Die Sterne zogen still herauf,
doch ach! kein Hoffnungsstern!
Und von des Schiffes ödem Lauf
blieb Land und Rettung fern.
Vom Trost des süßen Schlafs ver-
bannt,
die Brust voll Gram, durchwacht,
nach Westen blickend unverwandt,
der Held die düstre Nacht.
„Nach Westen, o nach Westen hin
beflügle dich, mein Kiel!
Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn,
du meiner Sehnsucht Ziel!
Doch mild, o Gott, von Himmelshöhn
blick auf mein Volk herab!
Laß sie nicht trostlos untergehn
im wüsten Flutengrab!"
Es sprach's derheld, von Mitleid weich;
da — horch! welch eiliger Tritt?
„Noch einmal, Fernando, so trüb' und
bleich?
Was bringt dein bebender Schritt?"
„Ach, edler Feldherr, es ist geschehn!
Jetzt hebt sich der östliche Strahl!"
„Sei ruhig, mein Lieber, von himm-
lischen Höhn
entwand sich der leuchtende Strahl.
Es waltet die Allmacht von Pol zu Pol,
mir lenkt sie zum Tode die Bahn."
„Leb' wohl denn, mein Feldherr, leb'
ewig wohl!
ich höre die Schrecklichen nahn!"
Und eh' noch dem Ritter das Wort
entflohn,
da drängte die Menge sich nach ;
da stürmten die Krieger, die wüthenden,
schon
gleich Wogen in's stille Gemach.
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201
Sie haben Stahlgewand begehrt
und hießen satteln ihre Pferd',
zu reiten nach dem Riesen.
Jung Roland, Sohn des Milon,
sprach:
„Lieb' Vater! hört! ich bitte!
Vermeint ihr mich zu jung und schwach,
daß ich mit Riesen stritte,
doch bin ich nicht zu winzig mehr,
euch nachzutragen euren Speer-
samt eurem guten Schilde."
Die sechs Genossen ritten bald
vereint nach den Ardennen,
doch als sie kamen in den Wald,
da thäten sie sich trennen.
Roland ritt hinter'm Vater her;
wie wohl ihm war, des Helden Speer,
des Helden Schild zu tragen!
Bei Sonnenschein und Mondenlicht
streiften die kühnen Degen;
doch fanden sie den Riesen nicht
in Felsen und Gehegen.
Zur Mittagsstund' am vierten Tag
der Herzog Milon schlafen lag
in einer Eiche Schatten.
Roland sah in der Ferne bald
ein Blitzen und ein Leuchten,
davon die Strahlen in dem Wald
die Hirsch' und Reh' aufscheuchten;
er sah, es kam von einem Schild,
den trug ein Riese, groß und wild,
vom Berge niedersteigend.
Roland gedacht' im Herzen sein:
„Was ist das für ein Schrecken!
Soll ich den lieben Vater mein
im besten Schlaf erwecken?
Es wachet ja sein gutes Pferd,
es wacht sein Speer, sein Schild und
Schwert,
es wacht Roland, der junge."
Roland das Schwert zur Seite band,
Herrn Milon's starkes Waffen,
die Lanze nahm er in die Hand
und that den Schild aufraffen.
Herrn Milon's Roß bestieg er dann
und ritt ganz fachte durch den Tann,
den Vater nicht zu wecken.
Und als er kam zur Felsenwand,
da sprach der Rief' mit Lachen:
„Was will doch dieser kleine Fant
auf solchem Rosse machen?
Sein Schwert ist zwier so lang als er,
vom Rosse zieht ihn schier der Speer,
der Schild will ihn erdrücken."
Jung Roland rief: „Wohlauf zum
Streit!
Dich reuet noch dein Necken.
Hab' ich die Tartsche lang und breit,
kann sie mich besser decken;
ein kleiner Mann, ein großes Pferd,
ein kurzer Arm, ein langes Schwert,
muß eins dem andern helfen."
Der Riese mit der Stange schlug
auslangend in die Weite;
jung Roland schwenkte schnell genug
sein Roß noch auf die Seite.
Die Lanz' er aus den Riesen schwang,
doch von dem Wunderschilde sprang
auf Roland sie zurücke.
Jung Roland nahm in großer Hast
das Schwert in beide Hände;
der Riese nach dem feinen faßt;
er war zu unbehende:
mit flinkem Hiebe schlug Roland
ihm unter'm Schild die linke Hand,
daß Hand und Schild entrollten.
Dem Riesen schwand der Muth dahin,
wie ihm der Schild entrissen;
das Kleinod, das ihm Kraft verliehn,
mnßt' er mit Schmerzen missen.
Zwar lief er gleich dem Schilde nach,
doch Roland in das Knie ihn stach,
daß er zu Bodey stürzte.
Roland ihn bei den Haaren griff,
hieb ihm das Haupt herunter;
ein großer Strom von Blute lief
in's tiefe Thal hinunter.
Und aus des Todten Schild hernach
Roland das lichte Kleinod brach
und freute sich am Glanze.
Dann barg er's unter'm Kleide gut
und ging zu einem Quelle;
da wusch er sich von Staub und Blut
Gewand und Waffen helle.
Zurücke ritt der jung' Roland,
dahin, wo er den Vater fand,
noch schlafend bei der Eiche.
Er legt' sich an des Vaters Seit',
vom Schlafe selbst bezwungen,
bis in der kühlen Abendzeit
Herr Milon aufgesprungen:
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Extrahierte Personennamen: Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland Roland
143
zu denken, bis er endlich am vierten Tage in einen wilden unwegsamen
Wald gerieth und sich völlig verirrte. Hier wäre er wohl verloren ge-
wesen trotz aller seiner Stärke; aber als er laut über sein Miszgeschick
klagte, kam der Zwergkönig Hügel auf kohlschwarzem Rosse daher. Sein
Kleid war von weiszer Seide und mit Gold durchwirkt; auf dem Haupte
trug er eine prachtvolle Krone mit so glänzenden Edelsteinen, dasz der
dunkle Wald davon erleuchtet ward. Er begrüszte Siegfried freundlich,
als ob er ihn lange gekannt hätte, dann aber gebot er ihm schnell zu flie-
hen, weil ganz in der Nähe ein Drache hause, der eine schöne Jungfrau
gefangen halte; „wenn dieser dich erblickt,“ sagte er, „so muszt du dein
junges Leben in diesem Walde verlieren.“ Da freute sich Siegfried, der
gefangenen Kriemhild so nahe zu sein, und er erklärte dem Zwerge, dasz
er gerade gekommen sei, um sie zu befreien, aber erschrocken riefeugelc
„Du willst dich solches Dinges unterfangen? Hättest du auch den halben
Erdkreis bezwungen, so würde dir das doch nichts helfen; die Jungfrau
müsztest du hierauf dem Felsen lassen. Denn den Schlüssel zu demselben
bewahrt der Riese Kuperan, und ehe du auf die Höhe gelangtest, müsztest
du mit ihm. einen Kampf bestehen, wie er auf Erden noch nicht gekämpft
worden ist.“ Gerade dies aber lockte den kühnen Siegfried, und was auch
der gute Eugel sagte, um ihn zu warnen, so blieb er doch fest entschlossen,
die geraubte Kriemhild aus allen Gefahren zu erretten.
3. Wie Siegfried den Riesen besiegte.
Nun führte der Zwerg den Helden an die Seite des Felsens, wo des
Riesen Behausung war. Siegfried rief laut in die Höhle hinein. Sofort trat
Kuperan hervor, bewaffnet mit einer weit über die Bäume hinausragenden
Stange von Stahl, deren vier Kanten messerscharf waren und die einen
Klang gab wie eine Kirchenglocke. „Was willst du, junger Bursch, in diesem
Walde?“ sprach der Riese. „Ich will die Jungfrau erlösen,“ antwortete
Siegfried, „welche auf diesem Felsen gefangen sitzt.“ „Hoho!“ sagte
jener, „du kleiner Wicht, da müsztest du erst noch einige Ellen wachsen.“
Jetzt holte der Riese mit seiner Stange aus, um Siegfried niederzu-
schlagen ; aber dieser sprang schnell und gewandt fünf Klafter weit zurück,
und sausend fuhr die Stange tief in die Erde hinein. Ehe Kuperan sie
aber wieder herausgezogen hatte, sprang Siegfried hinzu und schlug ihm
mit seinem scharfen Schwerte fürchterliche Wunden. Von Schmerz über-
wältigt, liesz der Riese seine Stange fahren und floh in die Höhle zurück.
Aber bald trat er schrecklich gewaffnet wieder hervor. Ein goldener
Harnisch deckte seine Brust; an der Seite trug er ein riesiges scharfes
Schwert, in der Linken aber einen Schild so grosz wie ein Thor und einen
Schuh dick, und auf dem Haupte hatte er einen Helm von hartem Stahl,
der leuchtete wie der Glanz der Sonne auf den Meereswellen. Und nun
begann wieder der harte Kampf zwischen den beiden. Laut hallten die
Schläge durch den dunklen Wald, und die Funken stoben aus den Helmen,
dasz die Finsternisz davon erhellt ward. Aber Siegfried unterlief das lange
Schwert des Riesen und hieb ihm den Panzer in Stücke und brachte dem
Unhold sechszehn tiefe Wunden bei, so dasz ihm das Blut vom Leibe troff.
Da flehte Kuperan um sein Leben, und Siegfried sagte : „Gern will ich es
dir schenken, wenn du mir schwörst, mir die Jungfrau gewinnen zu helfen.“
Das schwur der Riese, und so war zwischen beiden Friede gemacht; Sieg-
fried risz sich selbst sein Untergewand vom Leibe und verband mitleidig
seines Feindes Wunden damit.
4. Wie der Riese wegen seiner Treulosigkeit getüdtet ward.
Als der siegreiche Held auf den Felsen hinauf eilte, um Kriemhild zu
suchen, nahm der tückische Riese, der hinter ihm herging, die günstige
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145
Aber kaum hatte Siegfried zu essen angefangen, da erhub sich ein
Getöse, als stürzten die Berge zusammen. Aengstlich fuhren die Zwerge
.auseinander, sich zu verstecken, undkriemhild sprach: „Jetzt, edler Held,
wird es unser Ende sein. Nun naht der Drache heran, von seinem Schnau-
zen kommt das Getöse.“ Aber Siegfried blieb getrost und ermuthigte
auch die Jungfrau. Da sah man einen hellen Feuerschein, der kam aus
dem Rachen des noch meilenweit entfernten Ungeheuers. Aengstlich zog
Kriemhild den Jüngling in eine Höhle herein, um hier das Weitere zu er-
warten. Da erschien der Drache ; wie er an den Felsen heranflog, bebte
die ganze Erde ringsumher. Sofort trat Siegfried aus der Höhle, mit der
Rechten das Schwert führend, das ihm der Riese gezeigt hatte. Fürchter-
liche Schläge versetzte er dem Drachen, aber dieser risz ihm mit seinen
Krallen den Schild weg, und so fühlte er immer schrecklicher die Glut, die
aus dem Rachen des Ungethüms hervorgehaucht ward; sie erhitzte den
Felsen so, als wär’ er glühendes Eisen. Unerträglich ward endlich die
Qual, immer gieriger züngelten rothe und blaue Flammen ihm entgegen.
Endlich muszte er (liehen, doch vergasz er nicht Kriemhildens; schnell zog
er sie mit in eine kleine Höhle hinein, in welche der Drache ihnen nicht
folgen konnte. Hier erblickte er einen unendlichen Schatz von Gold und
Edelgestein ; es war der Hort des unterirdischen Zwergenvolkes, der Nibe-
lungen, welche vor dem Getöse des Kampfes ängstlich geflohen waren;
Siegfried aber meinte, dasz es der Schatz des Drachen sei.
Nach einiger Zeit, als er sich erholt hatte, ergriff er wieder sein
Schwert und begann den Kampf von neuem. Die Glut der blauen und
rothen Flammen, die das Unthier gegen ihn spie, brachte ihn wieder in
grosze Noth; er muszte auf die Seite springen, aber nun versuchte das Un-
geheuer mit seinem Schwänze ihn zu umringe,ln, und nur mit genauer Noth
entging er diesen Umarmungen. 'Von den wiederholten Schlägen aber
und von der gewaltigen Hitze begann allmählich die Hornhaut des Drachen
weich zu werden; als Siegfried das merkte, nahm er alle seine Kraft zu-
sammen und führte einen so gewaltigen Hieb auf das Thier, dasz er es
von oben bis unten mitten hindurch spaltete und die eine Hälfte vom
Rande des Felsens in die Tiefe sank.
6. Wie Siegfried und Kriemhild heimkehrten.
So war Kriemhild gerettet, und freudenvoll eilte sie auf ihren Befreier
zu. Aber der war von der ungeheueren Anstrengung bis zum Tode er-
schöpft ; ohnmächtig sank er [zusammen, und lange lag er bewusztlos da.
Darüber erschrak Kriemhild so, dasz auch ihr die Sinne vergingen und
sie wie eine Todte neben dem Helden lag. Endlich nach langer Zeit schlug
Siegfried die Augen auf; als er aber die Jungfrau wie todtneben sichsah,
brach er in laute Klagen aus upd rief: „0 weh mir, dasz ich dies erleben
soll! Die ich in Freuden ihrem Vater wieder heimführen wollte, die musz
ich nun todt ihm bringen? Des werd’ ich ewig klagen müssen.“
Das hörte der Zwerg Engel, der sich inzwischen, wie es stille auf dem
Fels geworden war, wieder herangewagt hatte. Schnell kam er herbei
und sagte: „Sei nur getrost! ich will der Jungfrau ein Kraut eingeben,
dasz sie bald wieder gesund wird.“ So that er, und alsbald schlug sie die
Augen wieder auf. Da fiel sie freudenvoll ihrem Retter Siegfried um den
Hals und küszte ihn auf den Mund. Engel aber sprach: „Du hast uns
Zwerge von dem bösen Riesen, dem wir dienen muszten, befreit; dafür
wollen wir nun auch dir dienen und dir helfen, wo wir können.“ Darnach
führte er Siegfried und Kriemhild in seine Wohnung, und hier erholten
sie sich bei köstlichen Speisen und Getränken vollends von den über-
standenen Mühen und Aengsten. Dann nahmen sie Abschied von dem
Vaterländisches Lesebuch. i a
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vor, die sie als Königin dieses Landes zu erwarten habe; aber mit Hoheit er-
widerte sie: „Ihrwiszt, dasz euer Vater Ludwig meinen Vater erschlug; wie
könnte denn zwischen uns Freundschaft sein?“ Als endlich alle seine Ueber-
redungskunst sich unnütz erwies, wandte er sich an seine Schwester Ortrun und
bat sie, ihre Freundin zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Freudig erwiderte jene :
„0 wie gern will ich ihr dienen! mein Haupt will ich ihr neigen, dasz sie wo
möglich ihres Leides vergesse.“ So ward Gudrun zu Ortrun geführt und wie-
der fürstlich gehalten, aber auch die holde Güte des einzigen Wesens im Nor-
mannenlande, dem sie herzlich zugethan war, vermochte nicht, sie wankend zu
machen; ihr Schluszwort auf alle Mahnungen der Freundin blieb immer: „Einem
König bin ich längst mit festen Eiden zum ehelichen Weibe verlobt und zu-
gesagt; ehe er gestorben ist, werd' ich nie einem anderen angehören.“ Da also
auch der Aufenthalt bei Ortrun, obgleich er viele Wochen dauerte, keine Aen-
derung in ihren Entschlüssen hervorbrachte, gab endlich Hartmut unwillig und
verdrossen seine Versuche, sie durch Güte zu bewegen, auf und überliesz sie
wieder seiner Mutter. Da begannen denn die Mißhandlungen wieder schlimmer,
als zuvor. Gudrun muszte am Meeresstrande im rauhesten Wetter Gerlindens
Kleider waschen; aber auch diese äuszerste Demüthigung ertrug sie, um ihrem
Herwig treu zu bleiben. Freilich erweckte die Verzweiflung in ihr bisweilen
harten Trotz, sodasz sie sprach: „Ich soll einmal nicht glücklich sein, so wollte
ich denn, ihr behandeltet mich noch schlechter;“ aber einen Trost hatte sie
doch an der treuen Hildburg', die durch vieles Bitten die Erlaubnisz erlangte,
täglich Gudrun an den Meeresstrand zu begleiten.
6. Wie die Friesen ausführen, um Gudrun zu befreien.
Wenn die Noth am'gröszten, ist die Hülfe am nächsten. Im Friesenlande
wuchs unterdessen ein neues Geschlecht heran, und Königin Hilde, der die Sorgen
das Haar gebleicht hatten, sann unablässig auf den Rache- und Befreiungszug.
Endlich, als das vierzehnte Jahr seit Gudruns Entführung herankam, sandte
Hilde Boten an Herwig und ihren Sohn Ortewin und alle ihre Dienstmannen,
vor allen an Wate, Ernte und Horand, und berief ein gewaltiges Heer, das mit
einer wohlgerüste’ten Flotte gleich nach Anfang des Jahres die Fahrt nach Nor-
mandie antrat. Aber die kampfmuthigen Krieger hatten mit vielen Schwierig-
keiten zu ringen, ehe sie jenes Land erreichten. Zuerst wurden sie von widrigen
Winden hoch nach Norden in das finstere und unbewegliche Lebermeer ver-
schlagen , wo der Magnetberg sie für immer festzuhalten drohte; endlich nach
langen Tagen verzog sich der Nebel, und ein günstiger Luftzug trieb sie wieder
in klares und flüssiges Wasser. Aber da erhub sich ein schwerer Sturm, der
sie endlich nach vielen Gefahren an eine unbekannte Küste warf; hier muszten
sie, um sich von den überstandenen Mühseligkeiten zu erholen, sich eine Rast
von einem Tage gönnen. Als aber einer der Krieger einen riesigen Baum er-
kletterte und in weiter Ferne Ludwigs Burg erkannte, da liesz es Ortewin und
Herwig nicht länger Ruhe: sie erboten sich, während das übrige Heer noch
rastete, in Fischerkleidung in die nahe Normandie zu gehen, um zu erfahren,
ob Gudrun und die mit ihr Entführten noch am Leben seien. Dringend rieth
selbst Wate von dem verwegenen Unternehmen ab, aber in Ortewin und Herwig
war die Sehnsucht zu mächtig, und gerade die Gefahr lockte die Helden.
7. Wie Gudrun am Strande wusch.
Der armen Gudrun war ihr Loos inzwischen nicht erleichtert worden.
Aber als sie eines Tages, um den Eintritt der Frühlingszeit, wieder mit Hildburg
am Strande wusch, siehe, da kam ein Schwan geschwommen, und der begann
mit menschlicher Stimme zu reden und gab Gudrun auf ihre Fragen Auskunft
über Hilde und alle Helden in der Heimat; zugleich verhiesz er ihr für den
folgenden Morgen das Eintreffen zweier Boten aus dem Friesenlande. Das war
die erste Freude seit langer Zeit, und fröhlich nahmen die beiden Jungfrauen
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Abends ihr kärgliches Nachtmahl ein und legten sich dann getrost auf ihre
harten Bänke. Aber sie konnten nicht schlafen, mit zu groszer Ungeduld er-
warteten sie den nächsten Morgen. Als der Tag eben graute, sah Hildburg
hinaus: o weh ! da war ein tiefer Schnee gefallen, und schon seit einiger Zeit
waren ihnen die Schuhe genommen. Um Gudruns willen ging deshalb die treue
Freundin zu Gerlinde, die sich noch im warmen Bette behaglich dehnte, und
bat, sie möge ihnen doch heute wenigstens Schuhe erlauben. Aber mit harten'
Worten schlug das böse Weib ihr Begehren ab. So wanderten die beiden armen
Frauen also barfusz durch den Schnee an den Strand und begannen, vor Kälte
zitternd, zu waschen. Lange harrten sie vergeblich der verheiszenen Boten.
Endlich kamen zwei Fischer in einer Barke heran. Sollten das Hildens Boten
sein? Es ahnte den Jungfrauen, dasz sie es wären; aber da überkam sie der Ge-
danke, dasz sie barfusz seien und der Märzwind ihr Haar verwildert habe,
' und von Scham ergriffen, wollten sie fliehen. Aber die Männer drohten, ihnen
die am Strande liegenden Kleider wegzunehmen, wenn sie nicht blieben; so
muszten sie den Fremden zitternd Rede stehen. Diese fragten nun, wem das
Land gehöre und wie viel Mannen in der Burg lägen, endlich auch, ob Gudrun
und ihre Begleiterinnen noch am Leben seien. Dabei betrachtete der gröszere
und stärkere von den beiden Fremden immer aufmerksamer Gudrun: sie glich
.so sehr der einen, deren er immer mit Liebe gedachte, die er aber nie anders
als im königlichen Gewände gesehen hatte. Auch sie wagte von Zeit zu Zeit
den fremden Fischer anzublicken, und dann war es ihr immer, als müsse es ihr
theurer Herwig sein ; aber wie, fragte sie zweifelnd, käme der zu der Fischer-
kleidung?—Aber doch war eres wirklich, und bald folgte denn auch an den Ver-
lobungsringen, die beide noch trugen, die sichere Erkennung , und jubelnd um-
armte Herwig die endlich wiedergefundene Braut und ihre treue Hildburg. Der
andere Fischer gab sich jetzt als Ortewin zu erkennen, und nun folgten tausend
Fragen und Antworten, und die beiden Männer staunten immer mehr und mehr
über die Treue und den Heldenmuth, so Gudrun in allen Leiden bewiesen hatte.
Endlich aber schien es Zeit aufzubrechen. Herwig wollte Gudrun und
ihre Freundin in die Barke nehmen und sie sogleich hinwegführen. Da rief
aber Ortewin: „Das sei fern von uns! und hätt’ ich hundert Schwestern, ich liesze
sie hier sterben, ehe ich sie heimlich entführte ; Gudrun ist mir im Kampf ge-
nommen , im Kampf will ich sie auch wiedctgewinnen.“ Zugleich erklärte er
seinem Freunde, dasz, wenn sie jetzt mit den beiden Frauen heimlich davon-
gingen , die anderen mit ihnen Entführten verloren wären; morgen gelte es,
alle auf einmal zu gewinnen. So muszten sie sich denn trennen: die Männer
fuhren winkend und grüszend hinweg, die Frauen blieben traurig sinnend zu-
rück. Endlich mahnte Hildburg, die Wäsche fortzusetzen ; aber Gudrun rief:
-„Nein, zu solchem Dienst ist mir die Lust vergangen, seitdem zwei Könige mich
umarmt haben“, und was auch die ängstliche Hildburg sagte, Gudrun faszte die
Wäsche ein Stück nach dem andern und schleuderte sie in’s Meer und sah mit
Lust, wie die Wellen ihr Spiel damit trieben.
8. Wie Gudrun die letzte Nacht in Normandie verlebte.
Spät am Abend empfing Gerlinde sie am Thor mit grimmigen Scheltwor-
ten; und als nun gar auf ihre Frage, wo die Wäsche sei, Gudrun dreist erwi-
derte , die habe sie am Strande gelassen, weil die Bürde ihr zu schwer gewesen
sei, da kochte das böse Weib vor Wuth, und sie liesz Dornen brechen und zu
Ruthen binden, um der Königstochter die Haut vom Gebein zu schlagen. Aber
Gudrun sagte mit ruhiger Hoheit: „Diese Drohung wird euch übel vergolten
werden, wenn ich morgen als Königin den Herren dieses Landes zur Seite stehe.“
Natürlich deutete sie damit auf Herwig und Ortewin, aber die böse Gerlinde ver-
stand das Wort so, als ob sie jetzt bereit sei, Hartmut zu heirathen', und aus
Furcht vor der künftigen Königin ward sie ängstlich und wagte nicht, ihre
Drohung auszuführen. In der Burg aber verbreitete sich das Gerücht, dasz Gu-
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