Neichsverfaffung unter Karl V.
327
deputation", deren Zweck es war, die Mittel zur Erhaltung des Land-
friedens in jenen Fällen zu berathen, in welchen dies den Kreisen nicht völ-
lig gelang. Uebrigenö erschuf Karl V. 1548 einen neuen Reichsstand, nämlich
die sogenannte „Reichsritterschaft"; das war eine Bereinigung aller
jener Ritter, welche unmittelbar unter dem Reiche standen, im Gegen-
satz zum Landadel; diese Reichsritterschaft leistete der kaiserlichen Kammer
einen eigenen Beitrag, genoß einige Hoheitsrechte (wie z. B. die Gerichts-
barkeit und das Recht der Steuerumlage), bildete eigene Ritterordnungen
und hielt regelmäßige Zusammenkünfte. Die Reichsstädte standen damals
noch im höchsten Wendepunkt ihrer Blüthe, Macht und Bedeutung; ihre
Gemeindewesen waren wohl geordnet und verwaltet; aber die ungeheuren
Reichthümer der Bürger steigerten den verderblichen Uebermuth in Sitten
und Bräuchen allzusehr; und, während sie dem Luruö nachhingen, fing die
Macht schon zu verdorren an. Laut der Reichspolizeiordnung vom Jahre 1530
gab es vier Klassen von Bürgern, nämlich: gemeine Bürger und Handwer-
ker, dann Kauf- und Gewerbsleute, Rathsmänner von wegen ihrer Abkunft
und Vermögens, endlich Doktoren (oder graduirte Gelehrte). Besonders be-
haupteten die Kaufleute ein gar großes Ansehen durch ihre ungemeine
Geld macht. Das auffallendste Beispiel davon gab die Familie der Fug-
ger in Augsburg. Diese Fugger hatten ihre Flotten auf den weiten Mee-
ren und bauten in ihrer Vaterstadt hundert und sechs Versorgungshäuser für
die Armen; gleich Fürsten beschützten und beschäftigten sie berühmte Künstler
und Gelehrte, und, so recht als Bürger, ließ einmal ein Fugger aus seinem
eigenen Schatz 80,000 Goldgulden prägen, weil es der Stadt an Geld fehlte,
um dem Kaiser das geforderte Strafgeld zu bezahlen. Kaiser Karl V. liebte
die Fugger sehr und wohnte gern bei ihnen, wenn er nach Augsburg kam.
So kehrte er auch einstmals im Juni 1530 auf dem Rückweg von Italien
bei einem Fugger in Augsburg ein und entschuldigte sich bei diesem, daß er
ihm eine große Summe Geldes, die ihm der Fugger geliehen, noch nicht
habe zurückzahlen können. Es war kalt Wetter, und der Kaiser sprach, wie
verschieden doch das welsche Klima vom deutschen sei. Da läßt ihm der
Fugger im Kamin ein Feuer von duftendem Zimmtholz machen (eine Unze
Zimmt galt damals zwei Dukaten) und warf stolz einen noch viel kostbare-
ren Brennstoff hinein, nämlich die Verschreibung auf jene Gelder, welche er
dem Kaiser vorgeschoffen hatte. Bei solchem Feuer mag einem Kaiser der
Frost wohl vergehen. — Die fürstliche Gewalt endlich erstarkte in jener
Zeit außerordentlich, und zwar bei einem Theil der Fürsten (nämlich bei
den evangelischen) in Folge der Reformation (wie schon erzählt); sodann
auch gerade in Folge der Bestrebungen des Kaisers Karl V., sie in ihre
alten Grenzen zurückzudrängen, weil sie nun alles Mögliche versuchten, um
dagegen ihre Selbstständigkeit zu behaupten. Noch immer übten dabei die
Landstände ihr heilsames Recht; doch schon trug auch diese Anstalt den Keim
des Verderbnisses in sich, weil die Landstände, den Geist und die geschicht-
liche Begründung ihres Instituts verkennend, sich häufig allzustreng nur je
auf ihre einzelnen Standesinteressen beschränkten und die allgemeinen Lan-
des- und Volk sinteressen darüber aus den Augen ließen, da sie doch ur-
sprünglich Landes- und Volksvertreter sein sollten. Dadurch aber wurde
der fürstlichen Willkür und dem Beamtenwesen in den einzelnen deutschen
Ländern ein immer größerer Spielraum gegeben.
Nach Karls V. Abdankung wurde dessen Bruder Ferdinand, welcher
bisher römischer König gewesen, nun Kaiser, nachdem er den Fürsten eine
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_V. Karl_V. Karl_V. Karl_V. Karl_V. Karl_V. Karl_V. Karl_V. Karls_V. Karls_V. Ferdinand Ferdinand
376
Fünftes Buch. Vierzehnter Abschnitt.
waren, war es ihnen unerträglich, sich noch auf irgend eine Weise in den
inneren Angelegenheiten ihrer Länder beschränkt zu wissen, und deshalb
ruhten sie nicht, bis sie (wenigstens größtentheils) den Landstäwden als
Volksvertretern die wichtigsten Rechte und vor Allen das uralt-deutsche
Volksrecht der Gesetzgebung genommen und sich ausschließlich angeeignet
hatten. Zwar blieb in manchen Ländern den Ständen noch das Recht der
Steuerbewilligung; aber das ganze Institut der Landftände überhaupt,
dieser letzte Schutz und Schirm des Volkes, verlor fast überall seine edle
und erhabene ursprüngliche Bedeutung und wurde nun ju einer bloßen
tobten Form ohne Geist. Die Landesherrn regierten nun meistens, nach
eigener Willkür, mit wenigen vertrauten Rächen oder Lieblingen, das Land
von ihren Kabinetten aus, dehnten ihre Regalien aus und erschufen sich
auch neue; und, weil sie zur Besoldung ihrer Heere und zur Bestreitung
ihrer Vergnügungen und Ausschweifungen viel Geld brauchten, legten sie
immer mehr Steuern und Lasten auf das Volk. Dies wurde größtentheils
als eine bloße Masse von Sklaven betrachtet, über deren Gut und Blut die
Landesherrn nach sogenanntem göttlichen Recht, das heißt: nach Belieben,
schalten und walten durften. Von der Freiheit der Gerichte war ohnehin
längst nicht die Rede mehr.
Indem nun die Reichsstände unabhängig waren und alle zusammen
einen Bundesstaat bildeten, welcher noch immer von alten Zeiten her das
„heilige römische Reich" hieß, erkannten sie gleichwohl einen erwählten Kai-
ser, dessen Person den Inbegriff der höchsten Gewalt darstelle, welcher die-
selbe aber rechtskräftig verbindend nur unter Mitwirkung der Reichsstände
ausüben könne. Der Kaiser hatte zwar noch das Recht: bei der Reich s-
gesetzgebung mitzuwirken, aber nur insofern, als kein derartiger Beschluß der
Reichsstände ohne seine Zustimmung rechtskräftige Gültigkeit erlangte; sodann
hatte er das Recht der Gerichtsbarkeit über Reichsunmittelbare und
das der Oberlehnsherrlichkcit, so daß er die Reichssürsten belehnte; —
endlich besaß er verschiedene „vorbehaltene" (oder „Reservat"-) Rechte,
nämlich solche, welche er auch in den Gebieten der Reichsstände ausüben
durfte, und zwar theils „ausschließliche" und „unbeschränkte" (d. i. ohne die
Mitwirkung der betreffenden Reichsständc zu benöthigen), theils mit diesen
„gemeinschaftliche" und „beschränkte" (nämlich solche, wozu er die Mitwir-
kung derselben bedurfte); dahin gehörten z. B. Standeserhöhungen, Verlei-
hung der Münzgerechtigkeit, Ueberlassung gewisser Privilegien, Bestellung
von Notarien, Berufung zu Reichstagen.
Die Verhandlungen zwischen dem Kaiser und den Reichsständen über
Reichsangelegenheiten geschahen auf dem Reichstage, und die Erledigung
jener Verhandlungen wurde bis zum Jahre 1654 in einem „Reichsab-
schied" zusammengefaßt. Der nächste Reichstag (1663) blieb beständig bei-
sammen und zwar in Rcgensburg. Der deutsche Reichstag bestand aus
drei Kollegien. Das erste war der Kurfürftenrath, welchen die Kur-
fürsten bildeten, und wobei der Kurfürst von Mainz, als Erzkanzler des
Reiches, den Vortrag hatte und den ganzen Reichstag leitete. Das zweite
war der Fürstenrath; dieser bestand wieder aus der „geistlichen Bank",
auf welcher alle geistlichen Würdenträger und die Erzherzoge von Oesterreich
saßen, sodann aus der „weltlichen Bank", auf welcher die Fürsten, Grafen
und Herrn saßen, und aus der „Querbank", aus welcher der Administrator
des Erzbisthums Magdeburg saß. Das dritte Kollegium war der Städte-
rath, welcher wieder aus zwei Bänken bestand, aus der rheinischen, auf
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Kaiser Joseph Ii. (1765-1790).
415
er gestattete unbeschränkte Preßfreiheit, und selbst seine eigene Person
entzog er der freien öffentlichen Beurtheilung nicht; ja sogar Spott und
Schmähungen konnten ihn nicht verleiten, jenem Grundsatz untreu zu werden.
Aber auch im österreichischen Staatsverbande gab sich ein reges
Streben nach Reformen kund, welche bald, durch den Einfluß des Mini-
sters Kaunitz und des Kaisers Joseph (wovon im nächsten Abschnitt)
durchgriffen, — sowohl in Bezug auf Gesetzgebung, als auf geistiges Leben,
beides mit besonderer Berücksichtigung des eigentlichen Volkes gegen die
privilegirten Stände. Unter den trefflichen Männern, welche dafür wirkten,
find, außer Kaunitz, besonders der gelehrte Arzt Gerhard van S wie ten
und Joseph von Sonnenfels mit hoher Achtung zu nennen.
6.
Ein Despot bist Du gewesen, — doch ein solcher wie der Tag,
Dessen Sonne Nacht und Nebel neben sich nicht dulden mag.
A n a st a s i u s G r ü n.
Im Jahre 1764 wurde Joseph, der Sohn der Kaiserin Maria The-
resia, in Frankfurt am Main zum römischen König erwählt und gekrönt.
Nach dem Tode feines Vaters Franz I. (am 18. August 1765) empfing er,
damals vierundzwanzig Jahre alt, als Joseph H. die deutsche Kaiserkrone
und wurde neben seiner Mutter Mitregent in den Erblanden. Er war ein
schöner Mann, auf dessen Antlitz, in dessen seelenvollen blauen Augen sich
sein Wohlwollen spiegelte. Voll natürlicher Anlagen und feuriger Thatkraft,
voll Wißbegierde und voll schöner Begeisterung für Menschenwohl, ein Be-
wunderer Friedrichs des Großen, suchte er diesem rühmlich nachzueifern, aber
auf seine eigene Weise. Er besuchte den großen Gegner Oesterreichs 1769
in Neisse, — welchen Besuch Friedrich Ii. später erwiederte. Da Maria
Theresia ihrem kaiserlichen Sohne wenig Einfluß in die Regierung der Erb-
lande gestattete, so durchreiste er dieselben, um mit eignen Augen alle Be-
dürfnisse derselben kennen zu lernen, und ebenso machte er Reisen ins Aus-
land, um seine Kenntnisse zu bereichern und gemeinnützige Anstalten des
Auslandes auch in seine Staaten zu verpflanzen. In seiner Stellung als
Kaiser zum deutschen Reiche überzeugte er sich bald, daß sein Thätigkeits-
trieb überall auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieß. Von dem alten
kaiserlichen Ansehen war kaum noch ein Schatten übrig, kaum ein Fleck
Landes noch seiner unmittelbaren Regierung untergeben; sogar die Reichs-
einkünfte des Kaisers waren bis auf eine unbedeutende Summe zusammen-
geschmolzen, — der Reichstag war eine alte Maschine, deren Räderwerk
stockte; die Reichsstände waren untereinander in steter Reibung und die
Stärkeren von ihnen unterdrückten die Schwächeren. Die Rechtspflege des
Reiches, in den Händen des Reichshofraths zu Wien und des Reichskam-
mergerichts zu Wetzlar, war auf das Erbärmlichste bestellt und durch Be-
stechung geschändet; endlose Trägheit hielt den Geschäftsgang auf. Joseph Ii.
versuchte es. die Reichs-Rechtspflege durchgreifend zu verbessern; doch schei-
terte sein Streben. An dem ganzen morschen Gebäude der Reichsverfassung
überhaupt war nichts mehr zu retten; die Schäden hatten schon zu tief ge-
fressen, als daß eine Heilung möglich gewesen wäre; sie mußte völlig ver-
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Extrahierte Personennamen: Joseph_Ii Joseph_( Kaunitz Joseph_von_Sonnenfels Joseph Maria_The- Maria Franz_I. August Joseph_H. Friedrichs Friedrich_Ii Friedrich Maria
Theresia Maria Theresia Joseph_Ii
Extrahierte Ortsnamen: Frankfurt_am_Main Oesterreichs Neisse Wien Wetzlar
421
Josephs Ii. Reformen.
durch Bildung und Recht den übrigen Staatsangehörigen in Oesterreich
gleichzustellen suchte, und indem er 1781 die Leibeigenschaft aufhob. Da-
bei sprach er folgende echt kaiserliche und treffende Worte: „Es ist ein
Unsinn, zu glauben, daß die Obrigkeit das Land besessen habe,
bevor es noch Unterthanen gab." Durchdrungen von diesem wahrhaft
humanen Geiste nahm er sich mit warmer Liebe des Bauernstandes an,
welcher in deutschen Landen seit alten Zeiten leider nur alle Lasten der übri-
gen Stände getragen, fast alle Ansprüche auf Rechte verloren hatte. Zum
Beweise, wie hoch er den Bauernstand achte, trat er einst auf einer Reise
durch Mähren (1769) zu einem Bauer auf freiem Feld, ergriff den Pflug
und ackerte selbst ein Strecke Landes; die mährischen Stände bewahrten
diesen Pflug, den des Kaisers Hand geführt hatte, zum Andenken. Joseph
suchte Gleichheit der Abgaben durchzuführen, bemessen auf Grund und Bo-
den, nach den einfachsten und natürlichsten Grundsätzen. Er hob alle Her-
renrechte, Frohnden und Zehnten auf. Er wollte: alle Stände sollten
gleich sein vor dem Gesetz (sowie sie ja gleich sind vor Gott); der ge-
borene Adelige, der sich nicht geschämt hatte, ein gemeines Verbrechen zu
begehen, sollte auch dieselbe entehrende Strafe verbüßen, wie ein Mensch aus
der Hefe des Volkes. Joseph hob die Todesstrafe auf, und verschärfte dafür
die Strafen durch öffentliche Schmach, um dadurch vor Verbrechen abzu-
schrecken. Er ging dabei von dem Grundsatz aus, daß durch die Scham das
Ehrgefühl erweckt werde; aber er bedachte nicht, daß die unteren Klassen
dafür noch nicht reis genug und daß die oberen Stände sehr oft dafür längst
abgestumpft waren. Statt Gutes dadurch zu erwirken, erregte er nur eine
grenzenlose Erbitterung des Adels, welcher durch die Gleichstellung mit allen
übrigen Menschen seine Vorrechte vernichtet sah. Das neue Strafgesetzbuch
für Oesterreich erschien 1787. Joseph suchte auch den Handel und Gewerb-
fleiß auf jede mögliche Weise zu beleben; aber auch hier stieß er überall aus
Widerspruch. Wie König Friedrich Ii., so hob er die Censur auf und ge-
stattete Preßfreiheit; da sprach nun Jedermann frei und offen über Staats-
und Kirchenangelegenheiten, und die alte Macht des Aberglaubens wurde
gar sehr erschüttert:
Von seinem Feuereifer und von Ungeduld hingerissen, beging jedoch
Joseph Ii. bei seinen Neuerungen auch manche Mißgriffe im Großen so wie
im Kleinen. Er übersah, wenn er an die Erreichung seiner großen Zwecke
dachte, manche geschichtlich begründete Rechte, welche ihm störend im Wege
standen, und stieß sie, indem er ungeduldig für die Zukunft wirkte, lieber
rasch um, statt sie zu würdigen und sich mit den Besitzern derselben auf eine
schonende Weise zu vergleichen. So war es bei der Geistlichkeit, so war es
beim Adel der Fall. So handelte er auch gegen diejenigen von seinen
Staaten, welche nicht deutsch waren; er wollte sie zu einem großen deut-
schen Ganzen verschmelzen und beleidigte dadurch die fremde Nationalität,
indem er seine eigene zum glorreichen und herrlichen Mittelpunkt machen
wollte; so sündigte er unwissentlich gegen die erhabenen Grundsätze rein
menschlicher Duldung, welchen er als Monarch huldigte. Dies war beson-
ders in Ungarn der Fall, wo er mit Gewalt deutsche Sprache, Gesittung
und Verfassung einführen wollte. Und vornämlich war es hier der Adel,
welcher sich drohend gegen ihn erhob, weil er das von demselben gedrückte
Volk zu erheben trachtete.
Mittlerweile hatte Kaiser Joseph Ii. den Plan, seine österreichischen
Staaten durch die Erwerbung Baierns abzurunden, noch immer nicht aufge-
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Extrahierte Personennamen: Joseph Joseph Joseph Friedrich_Ii Friedrich Joseph_Ii Joseph_Ii
472
Siebentes Buch. Achter Abschnitt.
Unterthanen aufrecht zu erhalten. Folgende verbindende Grundbestimmun-
gen wurden ferner festgesetzt: Durch den dreizehnten Artikel der deutschen
Bundesakte wurde jedem Lande eine landständische Verfassung, durch
den sechzehnten wurde die bürgerliche Gleichstellung der Genossen aller
christlichen Glaubensbekenntnisse, durch den achtzehnten die Freizü-
gigkeit, d. i. das Recht, von einem deutschen Staate in den andern über-
zuziehen, zugesichert. Zugleich versprach die Bundesversammlung, sich gleich
bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen
über die Preßfreiheit und Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und
Buchhändler gegen den Nachdruck zu beschäftigen; ebenso versprach sie, die
Befreiung des Handelsverkehrs innerhalb der Bundesstaaten zu
Stande zu bringen. So war die neue Bundesverfassung der deut-
schen Staaten bestellt. Bald nach dem Abschluß derselben, nämlich am
26. September 1815, errichteten die Monarchen von Oesterreich, Preußen
und Rußland unter sich den sogenannten „heiligen Bund", worin sie sich
wechselseits feierlich verpflichteten, zur Ehre Gottes und zum Heil der Völ-
ker, zur Erhaltung des Friedens und der Gerechtigkeit zu regieren. Am
20. November schlossen sie endlich zu Paris auch mit Frankreich Frieden,
worin dies siebenhundert Millionen Francs als Kriegskoften bezahlen und
mehre Festungen auf deutschem Boden abtreten mußte, dagegen das Elsaß
und Lothringen behielt. Die Unabhängigkeit zweier andrer uraltdeutscher
Länder, nämlich der Niederlande (des vereinigten Hollands und Belgiens
als Königreich unter dem Hause Nassau-Oranten) und der Schweiz (als
eines Bundes von Freistaaten), blieb gleichfalls bestätigt. Preußen und
Oesterreich vergrößerten ihren Staatsumfang; das erstere erhielt das Groß-
herzogthum Posen, Schwedisch-Pommern, die Hälfte von Sachsen, einen
großen Theil Westphalens und am linken Ufer des Rheins alles Land von
Bingen bis Kleve hinab, bis Aachen gen Westen; Oesterreich erhielt die
Lombardei und Venedig, Dalmatien, Tyrol, Vorarlberg, Salzburg und einen
Theil von Gallizien.
Einen großen wichtigen Northeil hatte alles deutsche Land jenseits des
Rheins (welches nun größtentheils zu Preußen, sodann zu Baiern und zum
Großherzogthum Hessen gehörte) durch die französische Besitzergreifung ge-
wonnen und behalten, nämlich — außer mancher anderen trefflichen Anstalt
— das französische Gerichtswesen mit Oeffentlichkeit und Ge-
schwornen. Das ist bekanntlich ein urdeutsches Institut und so wurde
durch eine wunderbare Fügung wenigstens für einen Theil des deutschen
Volkes das eigenste Gut des ganzen, gerade in der Zeit der Fremdherr-
schaft und durch diese, gerettet. Möge das edle Rheinland dies theure Gut
fort und fort treu bewahren!
8.
Das Gedeihen bleibet fern,
Wo Liebe fehlet und Vertrauen.
Uhiand.
Kaum war die neue Ordnung der deutschen Staaten festgestellt, so reg-
ten sich in Deutschland und außerhalb desselben mehre Parteien, um sie zu
erschüttern. Sehr viele von jenen begeisterten Männern, welche die Freiheit
Deutschlands mit erkämpft hatten, glaubten, daß dieses Ziel durch die neue
Ordnung im Innern Deutschlands noch nicht erreicht sei. Die große Auf-
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Extrahierte Ortsnamen: Oesterreich Gottes Paris Frankreich Lothringen Niederlande Hollands Belgiens Oesterreich Posen Schwedisch-Pommern Sachsen Rheins Aachen Oesterreich Venedig Dalmatien Tyrol Vorarlberg Salzburg Gallizien Rheins Baiern Großherzogthum_Hessen Rheinland Deutschland Deutschlands Deutschlands
Einführung landständischer Verfassungen.
475
gegen die Macht des Alten; und eben so verschiedenartig war auch die Be-
deutung und die Form der einzelnen Verfassungen. Es ist in dieser Ge-
schichte schon erzählt worden, worauf die Idee der Landstände beruht
(nämlich auf der Vertretung Aller, d. t. des Volkes, durch Einzelne),
wie diese Idee tief im deutschen Wesen begründet ist, wie sie sich ge-
schichtlich ausgebildet hat und welche wichtigen Rechte die deutschen Land-
stände in alten Zeiten besessen haben zum gemeinsamen Besten der Fürsten
und des Volkes. Diese ursprüngliche Idee der Volksvertretung mußte bei
Einrichtung der neuen landständischen Verfassungen (oder „Konstitutionen")
natürlich im Volk wieder lebendig werden. Man nahm nun aber die Form
der französischen und der englischen Verfassung zum Muster. Die Landstände
sollten sich nämlich in zwei Kammern versammeln, in der ersten die Stan-
desherrn (die mediatisirten Fürsten, Mitglieder des regierenden fürstlichen
Hauses und hohe Staatsbeamte), in der zweiten die gewählten Abgeord-
neten (oder Deputaten), eine Form, welche in ihren Einzelnheiten nicht ohne
Mängel ist, und dem Geist echter Volksvertretung nicht ganz entspricht.
Oesterreich begnügte sich, die alten Provinzialstände beizubehalten,
welche keinen Antheil an der Gesetzgebung und kein Recht der Steuerver-
weigerung, theilweise aber das Recht, Bitten und Vorstellungen (Petitio-
nen) des Landes an den Monarchen abzusenden, besaßen. — Preußen
führte 1815 vorläufig berathende und verbessernde Provinzialstände ein
(in der Wirklichkeit erst 1823 und 1824), durch welche die versprochene
volksvertretende Verfassung in den einzelnen Provinzen des preußischen
Staates erst gründlich vorbereitet werden sollte.
Am kräftigsten brach sich das konstitutionelle Leben zuerst in Würtem-
berg freie Bahn. Da übergab König Friedrich im Jahre 1815 den ver-
sammelten Ständen eine Verfassung; diese aber verwarfen sie kühnen Muths,
als durchaus ungenügend, und verlangten entweder die Wiedereinführung
ihrer gewaltsam aufgehobenen alten, oder eine bessere neue, welche auf
den Grund eines Vertrages zwischen Ständen und Regierung von bei-
den entworfen, angenommen und beschworen werden sollte. Das verwei-
gerte der König hartnäckig; aber auch die Stände harrten ehrenhaft aus.
Darüber starb König Friedrich; aber unter seinem Nachfolger Wilhelm
dauerte der Kampf und die dadurch erzeugte Aufregung im ganzen Würtem-
berger Lande fort. Die Stände wurden, weil sie beharrlich auf ihren For-
derungen blieben, ausgelöst; das Land aber rief ihnen durch den Mund des
edlen Uhland zu: „Daß ihr vom Rechte nichts vergeben, sei euch ein loh-
nend stolzes Glück!" Das war 1817. Zwei Jahre später aber wurde die
neue Verfassung, für welche sie gekämpft, wenn auch mit einzelnen Aende-
rungen, dennoch angenommen; das Wichtigste und Richtigste dabei war der
Grundsatz, daß sie nur vertragsmäßig einzuführen sei.
Anders geschah's in Hannover, wo nur der Adel und der Stand
der freien Gutsbesitzer vertreten waren und der Bauer erbunterthänig blieb.
Fast noch schlimmer ging's im Kurfürstenthum Hessen zu. Die Hessen
jammerten, denn sie hörten, daß, während ihre Liebe, ihre Hoffnungen ge-
täuscht, während ihre Rechte verspottet wurden, andere deutsche Fürsten frei-
sinnige Verfassungsurkunden gaben. So handelte der edle Großherzog Karl
August von Weimar; der übertrug vertrauensvoll den Ständen und den Ab-
geordneten aus seinen neuen Besitzungen, ein neues Verfassungs-Grundgesetz
zu berathen und zu entwerfen. Da zeigte es sich wieder, daß der Fürst
sich nie täuscht, welcher seinem Volk mit vollem Vertrau eil entgegen
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Wilhelm Karl
August_von_Weimar Karl August
Stellung der neuen Staatsgewalten zur Hierarchie. — Das Jahr 1830. 477
die Staatsgewalt sind erst in der neuesten Zeit im grellen Licht hervorge-
treten. Da hat sich aber auch, Gott Lob, die gute alte Wahrheit kund ge-
geben, daß geistige Bildung fürs Volk heilsamer ist und dessen Wechsel-
verhältniß zu den Regierungen besser befestigt, als geistliche Erziehung,
oder, was dasselbe heißt: geistliche Vormundschaft. Die Freiheit ist im-
mer das Beste, weil sie die Wahrheit ist.
Das neue konstitutionelle Leben war nun die Seele der meisten
deutschen Staaten, jedoch insbesondere mit Ausnahme von Preußen und
Oesterreich. Da suchten die Regierungen durch Besonnenheit und durch-
greifende Kraft das große Räderwerk der Verwaltung im frischen Umschwung
zu erhalten und den rastlosen Trieb des Volkes nach vorwärts auf eine den
Machthabern unschädliche und dem Staate mannigfach wirklich nützliche
Weise zu lenken, Oesterreich vornehmlich durch eine Aufmerksamkeit auf alles
Praktische, Preußen durch ein in mancher Beziehung gewiß löbliches,
aber geistige Individualität und Freiheit sowie tüchtige Körperentwickelung
nicht genug schonendes Hinwirken auf die Erziehung; beide befestigten
zugleich ihr Heerwesen, welches sie als eine wichtige Stütze betrachteten,
Oesterreich beharrlich nach strenger alter Weise, Preußen im Sinne des
Fortschritts, der Humanität und deutschen Volksthümlichkeit.
Da trat im Jahre '1830 in Frankreich plötzlich ein Ereigniß ein, wel-
ches seiner Natur nach auch auf das konstitutionelle Leben in Deutschland
einen mächtigen Einfluß ausüben mußte. Es war die sogenannte Julire-
volution. Die französische Regierung hatte den Einflüsterungen der rö-
misch-jesuitischen Partei allzuviel Gehör gegeben, welche da (wie überall und
auch bei uns) keck behauptete, daß alles Heil für die Regierungen nur in
einer Hingebung derselben an die römische Kirche liege, daß die Völker am
sichersten beherrscht würden, wenn man sie dumm mache und somit das na-
türliche Streben nach immer größerer vernünftiger Vervollkommnung zurück-
halte, welches Gott in jedes Menschen Brust gelegt hat. Der damalige
König Karl X. von Frankreich und seine Minister waren schwach genug,
dieser eitlen Vorspiegelung Glauben zu schenken; sie verkannten eben auch
den Geist der Geschichte und gefielen sich bloß in der Erinnerung an die
tobten Begebenheiten (und dieser Jrrthum bringt stets Unglück), kurz, sie
suchten die Preßfreiheit und die Wahlfreist eit zu beschränken, welche
beide im innigsten Zusammenhang stehen. Aber in gerechtem Zorn erhob
sich das französische Volk und vertrieb den König, weil er die heiligsten
Rechte verletzt hatte. Das Beispiel des französischen Volkes wirkte mächtig
auf das deutsche, weil dieselben Ursachen, welche dort die Revolution im
Juli 1830 hervorgebracht hatten, auch in mehreren deutschen Staaten, im
größeren oder geringeren Grade, noch Vorlagen. Denn noch immer blieben
viele Versprechen unerfüllt; noch immer gab es, statt der ersehnten Han-
delsfreiheit im Innern der deutschen Bundesstaaten, die verhaßte Mauth
welche das Schmuggelwesen und dadurch eine große Entsittlichung erzeugte;
noch immer gab es statt der verheißenen Preßfreiheit die verhaßte
Censur, verhaßt mit Recht, weil eine Beleidigung des Geists und Cha-
rakters der Nation, weil eine Versündigung an chr. Bald riß sich auch
Belgien von Holland los, und nun brach auch den Deutschen ihre gute alte
Geduld. Zuerst erhoben sich (im September 1830) die Braunschweiger,
welche unter der unerträglichen, ja fast unsinnigen Gewaltherrschaft des Herr
zogs Karl gar schwer gelitten hatten; denn dieser Mann verhöhnte Tas
Volk geradezu. Sie erstürmten sein Schloß und steckten es in Brand. Karl
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_X Karl Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Oesterreich Oesterreich Oesterreich Frankreich Deutschland Frankreich Holland
Neueste Kämpfe des konstitutionellen Princips.
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sächlich gegen die Wirksamkeit der Stände im südwestlichen Deutschland und
deren Einfluß aufs Steuerbewilligungsrecht gerichtet waren und den Regie-
rungen einschärften, nichts zu dulden, was mit den Bundesbeschlüssen im
Widerspruch stehe; er unterdrückte alle Vereine und Volksversammlungen,
sowie alle freisinnigen Blätter und hob die Preßfreiheit im Großherzogthum
Baden auf. Da entflohen sehr viele Jünglinge und Männer, welche eine
gewaltsame Umänderung der bestehenden Verhältnisse im Sinne hatten, aus
Deutschland, theils nach Frankreich, theils in die Schweiz, und unterhielten
dort fortwährend insgeheim ihre Verbindungen mit Gleichgesinnten in Deutsch-
land. So entspann sich ein weitumfassender Plan, welcher im Jahre 1833
in mehren süddeutschen Staaten zum Ausbruch kam. In der Nacht des
3. Aprils 1833 machten viele Jünglinge (größtetttheils Studirende) zu
Frankfurt am Main ein gewaltsames Unternehmen gegen den Bundestag,
welches jedoch mißlang. Eine Verschwörung in Würtemberg, welche da-
mit im Zusammenhang stand, wurde gleichfalls entdeckt. Ein großer Theil
der Theilnehmer wurde gefangen genommen, erhielt, nach langer Untersu-
chungshaft, strenge Strafen, später aber, wenn geglückte Flucht nicht durch-
griff, in vielen einzelnen Mitgliedern wenigstens, die Freiheit, entweder un-
bedingt, oder mit der Verpflichtung: nach Amerika auszuwandern. Ganz
verschieden von diesen Versuchen gewaltsamer Umwälzungen schritten mitt-
lerweile die Landslande auf verfassungsmäßigem Wege mit deutschem Muth
und deutscher Beharrlichkeit voran. So wurde in demselben verhängniß-
vollen Jahr 1833 in Hannover ein neues, ziemlich freisinniges Staats-
Grundgesetz vollendet und am 26. September vom König Wilhelm be-
stätigt. Nach dem Tode dieses Monarchen (am 20. Juni 1837) wurde
Hannover von England getrennt und der Herzog von Kumberland kam als
König Ernst Arrgust zur Regierung in Hannover. Dieser erklärte sogleich
durch ein Patent vom 5. Juli 1837, daß er sich durch das Staats-
Grundgesetz nicht gebunden halte, und hob es am 1. November desselben
Jahres einseitig auf. Ueber diesen Schritt gerietst das ganze Land in Be-
wegung, ja größtentheils in Widerstand, und sieben treffliche Lehrer an
der Göttinger Hochschule, welche im August 1837 ihr hundertjähriges
Jubiläum gefeiert, Dahlmann, die beiden Brüder Grimm (Jakob und
Wilhelm), Alb recht, Gervinus, Ewald und Weber unterschrieben am
18. November eine Erklärung, daß sie sich durch ihren aus das Staats-
grundgesetz geleisteten Eid fortwährend für verpflichtet halten müßten; sie
wurden hierauf durch königlichen Kabinetsbefehl abgesetzt und mußten das
Königreich Hannover verlassen, erhielten jedoch durch freiwillige Beiträge,
die in den verschiedenen deutschen Ländern gesammelt wurden, eine Natio-
nalpension und in der Folge Anstellungen an andern deutschen Hochschulen.
Die meisten deutschen Ständeversammlungen nahmen sich der Aufrechthaltung
des Grundgesetzes an, obgleich allerdings regelmäßig mit Widerspruch
ihrer Regierungen, welche den Landständen die Berechtigung abstritten, sich
mit diesem Gegenstände zu befassen und Bitteir um Verwendung bei dem
Bundestage wegen Aufrechthaltung des Grundgesetzes an die Regierungen
zu richten. Die Landstände hatten aber hier das ihnen verfassungsmäßig
gestattete Recht der Bitte und den deutlichen Umstand für sich, daß durch
solche einseitige Aufhebungen der Rechtszustand in Deutschland überhaupt
gefährdet sei. Jedenfalls ist die große Theilnahme, welche das ganze deut-
sche Volk dafür empfand und durch seine Vertreter, die Landstände in Ba-
den, im Königreich Sachsen, im Großherzogthum Hessen, im Königreich
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Ernst_Arrgust Ernst August Dahlmann Brüder_Grimm Jakob Wilhelm Gervinus Ewald Weber
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Großherzogthum
Baden Deutschland Frankreich Frankfurt_am_Main Würtemberg Amerika Hannover England Hannover Hannover Deutschland Königreich_Sachsen Großherzogthum_Hessen
Die Stellung der Gegenwart.
481
dem Gesetz wenigstens ausgenommen, wenn auch allerdings leider in sehr
vielen Beziehungen (z. B. Besteuerung, Gerichtsstand u. s. w.) noch nicht
durchgeführt. Wo keine konstitutionellen Verfassungen bestehen, drängen der
Volksgeist und ein gewisser Takt der Regierungen, nicht dahinten bleiben
zu wollen, wenigstens zu theilweiser Berücksichtigung dieses Grundsatzes,
welcher freilich insbesondere bei Patrimonialgerichten, Bevorzugung des Adels
u. dergl. nicht ausgezeichnet gedeihen kann. Verzagen wir aber auch da
nicht! Die richtige Grundansicht ist doch da und ist nicht mehr zu er-
schüttern, die Grundansicht: daß nur auf wechselseitiger Anerkennung und
Haltung der wechselseitigen Rechte und Pflichten (der Fürsten und des Vol-
kes) das Heil des Ganzen beruht. Aus dieser Grundansicht entsprang die
allgemeine Bewegung, welche die Gemüther im Preußischen Staate er-
griff, als nach dem Tode Friedrich Wilhelms Iii. im Jahre 1840 dessen
Sohn Friedrich Wilhelm Iv. den preußischen Thron bestieg und durch
eine Reihe von Kundgebungen und Verordnungen die Aussicht auf Lüftung
mancher alter beengender Verhältnisse, auf den Anbruch einer Zeit cröffnete,
in welcher das deutsche Volk auch in Preußen endlich den gerechten Lohn
alles Duldens und Ausharrens mit seinem Fürsten, alles Vertrauens auf
ein Königswort ernten würde. Dieser Volksgeist zeigte sich männlichfest,
achtunggebietend auf den preußischen Provinziallandtagen, insbeson-
dere auf dem in Ostpreußen und im Rheinland, sowie durch die Zei-
tungspresse, soweit diese von den neuverfügten Censurerleichterungen
Gebrauch machen durfte, aber auch durch manchen ungeschriebenen Aus-
druck der öffentlichen Meinung.
Wie ein Garten Gottes blühet das deutsche Land. Der Bauer pflegt
es jetzt als ein freier Mann mit größerer Lust, als er es früher als Sklave
gethan; Gottes Segen treibt die deutsche Erde lachend ans Licht der Son-
nen, goldene Reben und lachende Frucht und wogende Saaten, und im
Schooß der deutschen Erde erzeugen sich noch fort und fort unversiegbare
Schätze. — Als ein freier Mann sitzt der Bürger am eigenen Heerd und
die Freiheit schwellt die Kraft seiner Sehnen zum rüstigen Gewerbfleiß, sie
hebt seinen Geist rastlos zu Erfindungen und zur Vervollkommnung; Ma-
schinen verrichten jetzt die knechtische Arbeit, die er früher selbst verrichten
mußte, als er selbst nichts Besseres denn eine Art von Maschine war, nun
kann er Zeit und Kraft zu Edlerem verwenden. Durch landwirthschaftliche
Volksfeste, durch Gewerbvereine und Gewerbeschulen, durch Aussetzung von
Preisen wird überall ein reges Streben geweckt und befördert. Nicht min-
der zu beachten ist der Kampf um Emancipation der Juden, um Gleich-
stellung derselben in allen Rechten der Staatsangehörigen, ein Kampf, der,
obwohl er schon lange gekämpft, doch erst als angefangen zu betrachten ist.
Die Verfassung der nothwendigen stehenden Heere ist humaner
und zugleich wieder national geworden, und hierin hat Preußen ein
großes schönes Vorbild gegeben. Da ist jeder Jüngling ohne Ausnahme
von Rang und Stand zum Waffendienst verpflichtet, doch nur auf kurze
Zeit, so daß er seine Ausbildung, seine Geschäfte nicht versäumt; so ist das
ganze Volk in Waffen geübt, und wer nach Erlernung des Waffendienstes
aus dem Linienmilitär scheidet, tritt in die Landwehr,' die sich ein Mal im
Jahre wieder in den Waffen übt. Wie herrlich wird dadurch der alte krie-
gerische Geist der deutschen Nation forterhalten! So möge sie selbst, wenn
wir Festungen bauen zur Abwehr gegen Feinde im Osten und Westen, das
allerfesteste Bollwerk sein, das die heilige deutsche Erde schützt. — Gefallen
Dnller's Gesch, d. deutschen Volkes. — Schul-Ausg. cm
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelms Friedrich Wilhelms Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
Die deutschen Landstände.
239
sung, und nicht weniger in der deutschen Territorialverfassung der
damaligen Zeit, ungeachtet in derselben das angenommene römische Recht
das absolute Regierungssystem begünstigte. Bis zur völligen Ausbildung
des landständischcn Instituts bemerkte man im Mittelalter, daß geistliche und
weltliche Landesherren zu den wichtigsten Regierungshandlnngen nicht nur
den Rath, sondern auch die Einwilligung ihrer Vasallen und Ministe-
rialen, oder der Landherren, die geistlichen ohnedies auch die Einwilli-
gung ihrer Kapitel, einholten. Landständisches Rechtssprichwort war: „Wo
wir nicht mitrathen, da wollen wir auch nicht mitthaten." Unter diesen Um-
ständen ist begreiflich, wie über den Ursprung der Landstände schon viel-
fach Streit gewesen ist. Einige setzten ihn bestimmt in das zwölfte, Andre
ins dreizehnte, noch Andre in das fünfzehnte, und wieder Andre zwischen
das vierzehnte und siebzehnte Jahrhundert. Es ging eben da, wie mit an-
dern Dingen, die durch dieselbe innere Nothwendigkeit bedingt, doch äußer-
lich nur nach und nach und in einigermaßen verschiedener Gestaltung her-
vortraten, wie gerade Zeit und Umstände es wollten oder erlaubten. So
rauscht den Völkern, die um einen großen heiligen Strom wohnen, derselbe
Strom; aber theils von ihrer Klugheit, theils von ihrem Muth, theils von
Gunst oder Ungunst des Bodens, der zwischen ihnen und dem Strome liegt,
wird es abhängen, ob sie früher oder später, und in welcher Art sie seine
Welle zur Befruchtung ihrer Fluren in Schleusen und Kanälen sich zu-
führen.
Die Freiheiten der Holsteiner sind so alt, als das Volk. Seit sie
durch Karl den Großen zum deutschen Reich kamen, befragten ihre Herren
und Grafen bei jeder wichtigen Vorkommenheit die Stimme ihrer Landher-
ren, der „Seniorum terrae“. Eben so alt ist die landständische Verfassung
in den meißnisch-thüringischen Ländern. Im Lüttichifchen bestanden
schon seit dem dreizehnten Jahrhundert Stände für Gesetzgebung und Be-
steuerung, landesgrundvertragmäßig seit dem Frieden von Ferhe (1316).
Landtage kamen dann auf in Baiern, in der Oberpfalz, in Pfalz-
Neuburg, in Schwaben (Würtemberg und Baden), in Mecklen-
burg, in Lippe, in der Mark Brandenburg, in Schlesien, in Hes-
sen u. s. w.
Die Idee der Landstände beruht auf der Vertretung Aller, d. h. des
Volkes, durch Einzelne. Denn die Gesammtheit der freien Ackerbesitzer,
oder, was gleichbedeutend war, die Gesammtheit aller aktiven Staatsbürger,
bildete die Landsgemeinde, und die Mitglieder derselben repräsentieren
(vertraten) zugleich in ihrer Eigenschaft als Privatschutzherren, ihre Hinter-
sassen, d. h. die bloß mittelbaren Staatsangehörigen. Ja, jenes in neuerer
Zeit so vielfach bestrittene Wort: repräsentiren, findet sich schon in einem
Titel des ripuarischen Volksgesetzes (cle llomine ingenuo repraesentando).
In den Feudalzeiten beschränkte sich allmälig das allgemeine Repräsenta-
tionsrecht, und es verminderte sich die Zahl der unmittelbaren Staatsbür-
ger, während doch jener Grundsatz fort und fort in Kraft blieb. Man hatte
nun Stände als Landstände: den Stand der Ritterschaft, der Bi-
schöfe (später: Prälaten) und der Städte. Neue Entwickelungen im
Geist und in der Geschichte der Nation griffen aber auch da wieder ändernd
ein: die vergrößerte Zahl der unmittelbaren freien Ackerbesitzer, in Folge
des Falls des Adels; bei mächtigerer Geltung der Gelehrsamkeit, der In-
dustrie, der Bildung überhaupt, — die Entmündigung der Gemeinden. Und
so machte sich in neuerer Zeit die ursprüngliche Idee, die Idee echter
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
TM Hauptwörter (100): [T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T80: [Kaiser Stadt Fürst Recht Reich König Reichstag Macht Adel Fürsten], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen], T19: [Reich deutsch Kaiser Reiche Zeit Karl Jahr Ende Konstantin groß]]