1897 -
Leipzig [u.a.]
: Bibliogr. Inst.
- Autor: Geistbeck, Alois
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Atlas
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die Karpathen. Die ungarische Niederung.
55
(5. J2j) liegt, mit 95,000 Einwohnern, die einstige polnische Hauptstadt und spätere Krönungs-
stadt an der Weichsel. Mit ihren geschichtlichen Erinnerungen und als Sitz einer alten hoch-
schule ist sie heute noch einer der Hauptmittelpunkte polnischen Lebens und Strebens. Die nahe
gelegenen Anschlußpunkte an die österreichischen, preußischen und russischen Eisenbahnen machen
sie zu einer bedeutenden Verkehrsstadt.
Die ungarische Niederung ist ein großes Senkungsfeld, in dessen weitem Raum in der
Tertiärzeit ein Meer flutete, das von den zuströmenden Flüssen ausgefüllt und allmählich in
einzelne Becken zerlegt wurde, platten- und Neusiedler See sind die Reste dieser ehemaligen
großen Wasserfläche. Die endlose Niederung, ehedem der freien Meide dienend (Pußta, S. \20)
und das unbestrittene Gebiet der berittenen Wirten mit ihren halbwilden Rinderherden, ist
heute zum weitaus größten Teile dem 2lcferbau gewonnen; sie ist nach Südrußland die größte
Kornkammer Europas. Die wunderbar fruchtreichen Felder desalfölds, wie die Niederung
genannt wird, tragen Weizen und Roggen, Hafer und Gerste, Mais, Gemüse, Tabak in
üppiger Fülle. Obst und Wein gedeihen in seltener Pracht, hochbeinige Rinder, langhörnig
und meistens weißhaarig, schlanke, feurige Pferde, krausborstige Schweine, feiste Hammel und
muntere Ziegen weiden auf den grünen Triften zu Tausenden. Wahrhaft verschwenderisch
hat hier die Natur ihre Gaben ausgestreut. Aber neben die Fülle legte sie auch die Dürftigkeit.
Weite Strecken bieten nichts als Heide und Moor, keinen Halm, kein Gras. Wie ausgestorben
erscheint die Landschaft, hier und da noch ein Ziehbrunnen mit weit in die Luft ragendem
Hebel und in einsamer Ode eine halbverfallene Tsarda (s. Abbildung). Eine träge, bleierne
Ruhe umfängt den Wanderer. Da auf einmal wechselt das Bild. In breitem Bett, von Schilf
und Röhricht umwuchert, wälzen Theiß und Donau ihre raschen Fluten durch diese Ebene,
dem Fischfang und der Jagd auf Wasservögel einen weiten, zu jeder Jahreszeit ergiebigen
Raum bietend.
Am Eingangsthor der unabsehbaren Ebene, wo die Ausläufer der Alpen und der Aar-
pathen sich berühren, liegt die Hauptstadt Ungarns, Budapest (S. \2\). Seit der selbständigen
Stellung des Königreiches hat es einen mächtigen Aufschwung genommen und zählt nun über
eine halbe Million Einwohner. Auf dem rechten, bergigen Donauufer liegt das vorwie-
gend deutsche Ofen (Buda), die Festungsstadt, mit der Königsburg. Mehrere Brücken ver-
binden Ofen mit der Flachstadt Pest, die bereits auf dem Boden der Pußta steht. Glanz-
volle'paläste schmücken den Donaukai, freundliche Anlagen umsäumen die Straße, die von
einer wogenden Menge in den buntesten Trachten belebt wird. Überaus günstig ist in der
That die geographische Lage der Stadt zu beiden Seiten des mächtigen Stromes und am
2lusgangspunkte der wichtigsten Straßen und Eisenbahnlinien des Königreiches.
2lls der französische König Ludwig Xiv., von ruhelosem Ehrgeiz und frevler Ländergier
getrieben, die natürlichen Grenzen seines Landes im Osten, die Vogesen, überschritt, um dauernd
am linken Rheinufer Fuß zu fassen, da legte er den Grund zu einer der beklagenswertesten
Erscheinungen der neueren Geschichte, zu dem schier unversöhnlichen Hader zwischen Deutsch-
land und Frankreich. Die Länder zu beiden Seiten des Rheinstromes und die sie umschließenden
Gebirge bilden ein einheitliches, geschlossenes Naturgauze, das vollständig zur physischen Ge-
samtheit Deutschlands gehört, und dessen Bevölkerung nach Abstammung und Gesittuna, nach
Sprache, Geschichte und Kultur ties eingedrückt den germanischen Stempel träqt.
2. Die ungarische Niederung.
Viii.
Nordfrankreich.
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36 Viii. Frankreich.
Der wunderbare Parallelismus, der die rechte und linke Rheinseite und die Zwillings-
gebirge Schwarzwald und vogesen auszeichnet, endigt indessen nicht auf der Rammlinie dieser
Erhebungen; er setzt sich vielmehr noch weiterhin, wenn auch nicht in dieser Vollendung nach
Westen und Osten, durch Nordfrankreich und Süddeutschland fort.
Auf dem großen Heerwege nach Straßburg und Parts, den die deutschen Truppen im
Jahre \870 in unvergleichlichem Stegeszuge beschritten, schaut demnach der Wanderer Land-
schaftsbilder, die ihn oft an seine heimatlichen Gaue zwischen Schwarzwald und Böhmerwald
gemahnen, und deren Bevölkerung in Bezug auf wirtschaftliche Thätigkeit, Lebens- und Siede-
lungsweise eine größere Verwandtschaft mit den östlichen Nachbarn hat, als man infolge der
starken politischen Gegensätze gemeinhin anzunehmen geneigt ist. Auch das nordfranzösische
und schwäbisch-fränkische Becken sind Zwillingsgebilde der Natur, wie ihre Randgebirge
Vogesen und Schwarzwald. Aus den schattendunkeln Revieren der Buntsandsteinhöhen des
Schwarzwaldes betritt man diesseits des Rheins zunächst die sonnigen, reichgesegneten Acker-
baulande der Muschelkalkplatte Unterschwabens und Unterfrankens, dann die streckenweise
minder ergiebigen Keuperebenen Mittelfrankens und (Dberschwabens und erreicht endlich in
scharfem Anstiege die Hochfläche des Jura. jedesmal wird der Übergang von emem Gebiete
zum anderen durch eine mehr oder minder deutliche Bodenerhebung gekennzeichnet: das Aeuper-
land durch die Frankenhöhe und den Steigerwald, der Iura durch feinen scharfen Absturz gegen
Nordwesten. Ganz Ähnliches wiederholt sich jenseits des Rheins. Dort steigt man nach Über-
windung der wald- und schluchtenreichen Buntsandscholle der Vogesen in die Muschelkalk- und
Keuperplatte Lothringens hinab, auf der wie in Schwaben und Franken ein meist ergiebiger
Weizenboden dem 21ckerbau die günstigsten Bedingungen darbietet. Die breiten und sonnigen,
tief in das plateau eingeschnittenen Thäler, besonders das köstliche Moselthal, sind reich an
allen Schätzen, die die (Lrde zu bieten vermag, an Getreide, Wein und Wald, und gleichen
in ihrer Natur und Höhenlage vielfach den: unteren Neckar- und Mainthal (Metz \70 m,
Würzburg J83 m, Stuttgart 250 m).
Bei Nancy und Metz (S. 90) erheben sich dann J00—\50 m über das Vorland die wald-
gekrönten, breitfcheiteligen und wasserarmen Höhen des französischen Iura, durch die sich
die drei östlichen Hauptflüsse Frankreichs, Mosel, Maas und Marne, in freundlichen Thälern
den Weg nach Norden gebahnt haben. Hier überraschen den deutschen Wanderer Landschafts-
szenen wie an der Altmühl bei Eichstätt, und es ist charakteristisch, daß der französische Iura
wie der deutsche wertvolle Lisenlager einschließt, die die berühmte lothringische (Eisenindustrie
zwischen Nancy und Rietz hervorgerufen haben. Aus solch verwandten Naturbedingungen
diesseits und jenseits dervogesen folgt mit Notwendigkeit eine gewisse Ähnlichkeit der Siedelungs-
und Wirtschaftsverhältnisse. Der Grundbesitz der kulturell hochstehenden Bevölkerung beider
Gebiete ist zerstückt, der Bauernstand erscheint im Lichte behäbiger Wohlhabenheit, in den
Städten blüht Handel und Industrie.
Die schroff ansteigenden Iurahöhen Lothringens bilden zugleich natürliche Festungen
gegen einen von Osten andringenden Feind und tragen deshalb eine ununterbrochene Kette
von Fortifikationen, die von der Moselschlinge bei Toul zur Maas herüberziehen. Dieser Ort
wurde in den letzten Jahrzehnten zu einem Bollwerk ersten Ranges umgeschaffen. Ihm ent-
spricht der geographischen Lage nach die deutsche Festung Ulm. Mit diesem etwa 30 km breiten
Kalkplateau endet im wesentlichen der eigenartige parallelismns des nordfranzösischen und
süddeutschen Beckens.
Über die dürftigen Ackerböden der staubigen und fast baumlosen Champagne, auf
deren sonnigen Kreidehügeln freilich die kostbarste Traube reift (S. \22), geht es nun dem
Mittelpunkte Nordfrankreichs, dem Becken von paris (S. \22), zu. Natur und Kunst haben
sich hier vereinigt, um eine Gartenlandschaft zu schaffen, deren Zauber sich kein Beschauer zu
entziehen vermag. Den Untergrund des meist außerordentlich fruchtbaren Bodens bilden wag-
recht liegende Schichten tertiärer Meeres- und Flußablagerungen von etwa 200 m Höhe, in
die sich die Seine mit ihren Zuflüssen \00—J50 m tief in einem breiten, malerischen und ge-
drängt besiedelten Thale eingegraben hat. Im Mittelpunkte dieses fruchtbaren, wechselvollen
Landes vereinigen sich die von allen Seiten herbeiströmenden Flüsse des Seinegebietes, denen die
Straßen von Deutschland und Belgien her folgen. Hier, wo alle Verkehrswege Nordfrankreichs
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58 Viii. Frankreich.
aber an Wein liefern. Vom zentralen Plateau bis zu den Pyrenäen wiederholen sich im gan-
zen dieselben Schichtenfolgen wie von Straßburg nach Paris: Buntsand, Muschelkalk, Kreide;
den weitaus größten Raum aber nehmen die jüngeren, tertiären Meeresablagerungen ein,
wie um Paris. Recht ungünstig ist auch hier die Beschaffenheit der Rüste, von der Mündung
der Loire bis zur Gironde reicht die französische Marschenküste mit den vorgelagerten Dünen-
inseln, das Seitenstück der deutschen Nordseeküste. Auch hier sitzt die Bevölkerung nicht dorf-
weise zusammen, sondern der Einzelne wohnt in der Mitte seiner Ländereien, die durch Gräben
und Decken von denen der Nachbarn geschieden sind. Einige tiefere Meereskanäle gestatten eine
Annäherung zur Küste, die sich insolge des ergiebigen Binnenlandes eines lebhaften Verkehrs
erfreut, ^ier liegt die Stadt La Nochelle (S. J25). Von der Gironde südwärts ist die Küste
flach, sandig und hafenarm, ein fast geschlossener Dünenwall wie auf den deutschen Nehrungen.
Es ist die öde ^eidelandschaft der Landes in der Gascogne (S. \25).
Zwischen das Seine-, Rhone- und Garonnebecken schiebt sich als breite, trennende Schranke
das französische Zentralplateau, eines der ausgedehntesten Rumpfgebirge (Europas,
das ungefähr den sechsten Teil von ganz Frankreich einnimmt. (Es ist ein Granit- und Gneis-
stock, der nach Osten schroff zur Rhoneebene, nach Westen aber sanft absällt und von tiefen und
breiten Thalfurchen durchzogen wird. In seinem östlichen Teile, den Tevennen, umschließt er
bei Etienne und Alais Kohlenselder, deren Ausdehnung sich allerdings nicht mit den englischen
und deutschen messen kann, die aber gleichwohl für Frankreich und insbesondere für dessen
nahegelegene zweite Handels- und Fabrikstadt, Lyon, von der größten Bedeutung sind. Im
übrigen bilden die Flöhen des Zentralplateaus durch ihre Unwirtlichkeit den schärfsten Gegen-
satz zu den anderen, so reich gesegneten Teilen Frankreichs. Bergweiden, Aeiden, Sümpfe und
Wälder bedecken das Land, in dem die beträchtliche Erhebung und infolge davon die Rauheit
des Klimas feinere Kulturen nicht aufkommen lassen. Nur die Thäler haben höhere Frucht-
barkeit. Die unzulänglichen Bodenerträgnisse zwingen die Bewohner zur Auswanderung.
Aber was die Natur jenen abgelegenen Landschaften auf der einen Seite versagt, suchte sie
ihnen auf der anderen zu ersetzen. Die Wunder des Zentralplateaus sind seine Thermen
und Domvulkane (S. \26). Nirgends aus dem europäischen Festlande trifft man eine solche
Menge von Vulkanen in allen Formen des Ausbaues und in den verschiedensten Größen wie
hier, Vulkanberge mit und ohne Krater, mannshohe und hunderte von Metern hohe Kegel,
Kraterseen, Trachyte, Basalte, phonolythe (Klingsteine), kurz alle Erscheinungen des Vulkan-
Phänomens. Unmittelbar über dem fruchtbaren Becken von Tlermont, am Allier, erhebt sich
die berühmteste Gruppe dieser Berge. Sie besteht aus den sogenannten Dombergen, einer
Doppelreihe von etwa ^0 Kratern, worunter der puy de Dome auf ^65 m, der Mont Dore
sogar auf \886 m ansteigt, beide mächtige Anziehungspunkte für Bergwanderer und Natur-
freunde. Unter den zahlreichen und belebten Bädern des Gebietes ist Vichy, nördlich von
Tlermont, am berühmtesten geworden.
Gegen Osten fällt das französische Zentralplateau mit einem steilen Bruchrande unver-
mittelt zur Saöne-Rhonesenke ab, einer ^80 km langen Lintiesung zwischen Iura und Alpen
einerseits und den französischen Gebirgen anderseits. Ursprünglich von einem langgestreckten
Binnenmeer erfüllt, das über die schweizerische, bayerische, ober- und niederösterreichische
Hochebene sich ausbreitete, wurde das Gebiet später von den Anschwemmungen der Flüsse
überdeckt, die fruchtbare Ebenen in dieser langen Furche ausschütteten. Durch die historisch so
bedeutsame Senke von Belsort (S. \27), die sogenannte Burgundische Pforte, zwischen Iura
und Vogesen, dringt noch heute der Verkehr aus dem Deutschen Reiche über Besan^on (S. \27)
ins Rhonethal. Durch dieses Thor rückten im Winter ^370/7^ die deutschen Truppen unter
General v. Werder trotz einer doppelten und dreifachen feindlichen Übermacht bis hart vor die
Thore Lyons. Belfort, eine Festung ersten Ranges, das „Trutz-Straßburg" der Franzosen, be-
herrscht nunmehr den Eingang des Thales.
Vom nordfranzösischen Becken führen die (Auellthäler der Seinezuflüsse Marne, Aube und
£}onne in das schöne, sonnige Burgund, das in der Glanzzeit mittelalterlicher Kaiserherrlichkeit
zum Reiche gehörte, wie die Niederlande und die Schweiz, und dessen Bevölkerung noch heute
mehr an die benachbarten Schweizer und Süddeutschen erinnert als an die gallischen Brüder.
Dank seiner geschützten Lage und seines fruchtbaren Bodens erfreut sich Burgund ähnlicher
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^0 Ix. Die Pyrenäen Halbinsel.
de pau herabstieg, wird die Bildung jener merkwürdigen Thalzirkusse zugetrieben, mit
denen die oberen Enden der Pyrenäenthäler gewöhnlich abschließen. Der größte derselben ist
der berühmte Zirkus von Gavarnie (5. J3jq atn Ursprünge der Gave de pau. L^art neben dem
Montperdu, dessen Flanken in den Zirkus von Gavarnie abstürzen, führt die Rolandsbresche
('2800 m), der großartigste und zugleich wildeste aller Pyrenäenpässe, nach Spanien. Auch die
übrigen Linsenkungen der Zentralpyrenäen gehen nicht unter 2500 m herab, so daß die Eisen-
bahnen das Gebirge an seinem östlichen und westlichen Ende umziehen. Vom Tol de la Lerche
(J600 m) an, einem der bequemsten Übergänge im östlichen Gebirgsteile, verbreitern und ver-
flachen sich die Pyrenäen mehr und mehr. Der (Lol de perthus, die alte Straße von Perpignan
nach Katalonien, hat nur 250 m L^öhe (5. J30). In den mineralreichen Bergen von Katalo-
nien treten sie an das Mittelmeer heran, wo sie vortreffliche Häfen bilden, und hier liegen
Spaniens betriebsamste Bergstädte, hier ist Barcelona (5. \52), die bedeutendste See- und
Handelsstadt des Landes mit 273,000 Einwohnern.
Ix. Die Wrenamhalbinsel.
Über die öde, steppenartige Tafelfläche des Ebrobeckens, in welche die reiche Gartenland-
schaft der eigentlichen Flußniederung eingesenkt ist, führt die Bahn zur zentralen Hoch-
fläche Spaniens empor, die ähnlich dem französischen Zentralplateau den Kern des Landes
darstellt. In ihrer Westhälfte ist sie ein altes, abgetragenes Tafelland mit Randgebirgen,
im Osten lehnen sich schier endlose Flächen jüngerer, meist wagrecht gelagerter Gesteine an.
Wo das granitische Massiv der alten Gebirgsscholle im Norden und Nordwesten der Halb-
msel an das Atlantische Meer herantritt, entsteht eine buchten- und hafenreiche Steilküste
(s. Abb. Porto, 5. J[32), die die Gestadeformen der Bretagne wiederholt, von da aus durchzieht
das alte, niedrige Bergland in einem großen Bogen die Provinzen Galicien, Leon, Estrema-
dura und den größten Teil Portugals, um endlich in der Sierra Morena auszulaufen. Ein
mächtiger Seitenast, nahezu die ganze Halbinsel durchquerend, löst sich davon in der Mitte
der Halbinsel unter dem Namen Kastilisches Scheidegebirge ab.
Wer von den nördlichen Randhöhen zum zentralen Plateau herabsteigt, sieht sich in einer
flachen, völlig baumlosen Ebene, deren Boden aus Buntsandstein, Kalk, Gips und Mergel zu-
sammengesetzt und nicht selten salzhaltig ist. In den Körper dieses Plateaus haben die Flüsse
steilwandige, cm 200m tiefe Thäler eingerissen (S. \33), deren Wasserreichtum der trockenen Hoch-
fläche aber nicht nutzbar gemacht werden kann. So zeigt denn das wasserarme spanische Tafel-
land nur Landschastsbilder von ermüdender Einförmigkeit. Um die kahlen, erdfahlen Ortschaften
breiten sich teils endlose Felder mit Weizen und Roggen, teils öde, unfruchtbare Schottersteppen
aus, die jeden Versuch des Anbaues zurückweisen. Dies sind dann die Weideplätze der Merino-
Herden. In solcher Umgebung erhebt sich Madrid (S. J33) am Südabhange der Sierra Gua-
darrama. Vorzüglich der Lage im Mittelpunkte des Landes und seiner Bedeutung als Re-
sidenzstadt verdankt Madrid sein Emporkommen. <£s zählt heute bereits ^70,000 Einwohner
und bekundet sich durch seine prächtigen Straßen und Paläste, seine zahlreichen Plätze und
Parkanlagen als eine wesentlich moderne Großstadt. Geschichtlich ungleich merkwürdiger ist das
etwas südlich von Madrid gelegene, altertümliche T o l e d o (S. J3^) in beherrschender Lage
am Hochufer des Tajo, der Sitz des Primas von Spanien und die geistliche Hauptstadt des
Landes. Auf schwer zugänglichem Felsen gelegen, bildet es eine natürliche Festung, die zuerst den
Römern als starker Waffenplatz, später den westgotischen, maurischen und kastilischen Fürsten
als Residenz diente. In Altkastilien ist neben Valladolid, der einstigen Hauptstadt des König-
reiches Altkastilien, das altertümliche Burgos nennenswert, dessen zweitürmige Kathedrale
als einer der schönsten Dome der Welt gilt. Sie ist das Werk deutscher Baumeister (S. J3^).
Einen Ersatz für die Unwirtbarkeit des Bodens und die Ungunst des Klimas hat die
Natur dem zentralen Plateau in den höchst mannigfaltigen und reichen Mineralschätzen seiner
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42
X. Italien.
X. Italien.
„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub die Goldorangen glühn?"
So fragt der Dichter, erfüllt von verzehrender Sehnsucht nach den sonnigen Gefildenitaliens.
Und er leiht mit dieser Frage einer Idee Ausdruck, die Jahrhunderte hindurch ganze Völker-
schaften in Bewegung setzte, ja den Gang der Weltgeschichte beherrschte. Der Zug nach dem
Süden war es, der die kriegerischen Kelten unter Brennus bis vor die Thore Roms und die
Cnnbern und Teutonen in die Fruchtebene des po führte; er durchdrang in der Völkerwande-
rung die Gerzen der Germanen, die in hellen Kaufen ins römische Reich einbrachen und den
letzten Schattenkaiser vom Throne stießen; er führte die Kaiser des heiligen römischen Reiches
deutscher Nation von Otto dem Großen bis Ronradin nach der „ewigen Stadt". Und bis
herab zur Gegenwart ist Italien das Land deutscher Sehnsucht geblieben, wenn auch in durch-
aus anderem Sinne als ehedem. Nach Tausenden zählen die Deutschen, die alljährlich die
vielgepriesenen Lande jenseits der Alpen aufsuchen, teils um die Zauber italienischer Natur zu
genießen, teils um den Geist in die unvergleichlichen Meisterwerke italienischer Kunst oder in
die große Vergangenheit des Volkes zu versenken.
Drei Weltverkehrsstraßen, die den Kontinent fast in seiner ganzen Breite durchschneiden,
führen ans den nordalpinen Gebieten nach dem Süden: die Gotthardlinie vom Rhein zum
Thvrrhenischen Meer, die Brennerlinie von den zentralen Teilen Deutschlands zur langgestreck-
ten Halbinsel, die Semmering-pontafellinie vom Oder-, March- und Donaugebiet zur Adria.
Mailand und Genua, die lange Reihe der Großstädte auf der Halbinsel selbst und Venedig
bezeichnen Hauptpunkte dieser „ewigen Naturstraßen", die sich in derj)o-Ebene (S. ^0), dem
„Garten Italiens", vereinigen.
Reichtum der Bewässerung, Fruchtbarkeit des Bodens, Gunst des Klimas und sorgfältiger
Anbau erzeugen hier eine Ergiebigkeit, wie sie wenig andere Stellen der Lrde aufweisen
können. Sechsmal im Jahre werden die Wiesen gemäht. Außer Weizen wird Mais und
Reis in Menge gebaut, daneben gedeihen alle Gemüse und edleren Gbstarten. Maulbeerbäume
umsäumen die Äcker und ermöglichen die Seidenraupenzucht und Seidenindustrie, namentlich
in der lombardischen Hauptstadt. Kastanien, Feigen und Mandeln erzeugt das Land in Menge,
die Olive aber, das Leitgewächs der Mittelmeerflora, dann Zitronen und Orangen kommen
nur an besonders geschützten Stellen der norditalienischen Seen fort. Im Osten der Ebene,
umspült von den Fluten der blauen Adria, erhebt sich das palastreiche Venedig (S. ^0), einst
die Beherrscherin der Meere und die reichste Stadt Europas, jetzt still, aber noch immer merk-
würdig durch seine Anlage auf etwa \00 Inseln, durch seine Kanäle (der 3-förmig gekrümmte
Tanale grande), Airchen (Markuskirche), Paläste (Dogenpalast) und Kunstsammlungen.
Das Becken des jdo, eine alte ausgefüllte Bucht des Adriatischen Meeres, wird im Süden
von: Apennin umgrenzt, der, unmittelbar an die Westalpen anschließend und deren Fort-
setzung bildend, steil zum Tyrrhenischen Meere abbricht.
Die Riviera (S. —^3), das Meeresgestade schlechtweg, nennt man den von -k^och-
gebirgen und lieblichen Thalbuchten gebildeten Küstensaum, in dessen Mittelpunkt Genua
liegt. Line ununterbrochene Kette herrlicher Landschaftsbilder, wie sie kaum ein anderer Teil
Europas aufweisen kann, entzückt hier das Auge des Wanderers. Auf der einen Seite dehnt
sich unabsehbar das tiefblaue Mittelmeer hin, auf der anderen steigt unvermittelt das Gebirge
aus den Fluten, in wunderbare Klippen und Riffe zerbrochen (S. ^3). Kein noch so schmales
Vorland trennt es vom Meere, unmittelbar ragen die Säulen und Wände des Hochgebirges
über dem klaren Spiegel des Meeres auf. Den Winter kennen diese Gestade kaum; mächtige
Bergwälle schützen sie vor rauhen Winden, vom Meere her weht südliche Luft. Da bekommt
denn das Pflanzenleben einen fast tropischen Charakter. Die Weinrebe wird seltener, dafür
bedeckt der Boden sich mit Oliven- (S. \ <\2), Orangen- und Zitronenhainen; Rosen- und Tulpen-
bäume blühen mitten im Winter im Freien, Geranien- und Erdbeerbäume wachsen fast wild,
Theerofen und heliotrop verbreiten milden Duft, und hunderte von Arten blühender Gebüsche,
der Blumen ungezählte Menge heben sich in leuchtenden Farben ab vom grünen Rasen oder
kahlen Fels. Lorbeer und Myrte gelten fast schon als Unkraut. Selbst Süditalien und Sizilien
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Italien. ^5
zeigen nicht diese Pracht der Pflanzenwelt wie die Riviera. Jeder der zahlreichen Orte, die
hier dicht nebeneinander liegen, bildet ein freundliches Paradies, in dem sich's gut wohnen läßt
für den, der dem nordischen Winter entrinnen will. L?art an der französischen Grenze liegen
Bordighera (5. J^O und San Nemo, weiterhin folgt Genua (S. ^3) an einer tiefen Einbuch-
lung des Meeres, nächst Marseille die belebteste Hafenstadt im Mittelmeer mit 2^5,000 Ein-
wohnern, dann Carrara (5. mit seinen weltberühmten Marmorbrüchen und endlich Spezia
mit dem Hauptkriegshafen des Königreiches.
von dieser Stadt an wendet sich die Hauptkette des Apennin gegen die Gstküste, erreicht
in dem schwer zugänglichen Hochlande der Abruzzen mit dem Gran Sasso (S. seine
höchste Erhebung und zieht dann in schroff aussteigenden Massiven mit breitscheiteligen Hoch-
flächen durch Süditalien, um jenseits des Meeres iru Atlas seine Fortsetzung zu finden. Der
Apennin ist ein jugendliches Faltengebirge wie die Alpen, zu deren Hebungssystem er gehört.
Schiefer, Mergel und Sandsteine (Flysch) setzen einen großen Teil des Gebirges zusammen.
Selten zeigt der Apennin die reizvolle Formenfülle der Alpen, deren saftige Matten fast gänz-
lich fehlen. Die Berge sind infolge der Entwaldung meist kahl und schuttüberdeckt, von fahler,
einförmiger Färbung, die Flüsse sind wilde Gebirgsströme mit breiten Geröllbetten, im Winter
wild überschäumend, im Sommer wasserarm.
Mit dem Kriegshafen von Spezia verläßt man die hafenreiche Steilküste des Ligurischen
Meeres. Flach und eintönig zieht nun die Rüste Toscanas und Latiums hin, sumpfig und
ungesund, ein Werk der aufschüttenden Thätigkeit des Meeres und der Flüsse. Sechs Stunden
vom Meere aber erhebt sich in Latium zu beiden Seiten des Tiber die Siebenhügelstadt, das
„ewige Rom", unvergleichlich durch seine Geschichte, unerreicht durch seine Kunstschätze und
sein Kunstleben. Die Stadt, die in der alten Kaiserzeit über eine Million Einwohner hatte
und während des Exils der Päpste in Avignon (im Jahrhundert) aus 20,000 zusammen-
schrumpfte, zählt heute wieder 4.50,000 Einwohner. Am rechten Tiberufer breitet sich der
päpstliche Stadtteil mit dem Vatikan, der Peterskirche (S. ^6) und der Engelsburg (S. \^5)
aus. Letztere war ursprünglich das Grabmal Kaiser Hadrians, wurde aber im Laufe der Zeit
in eine Festung umgewandelt. In geringer Entfernung von der Tiberinsel liegen die Stätten
des altklassischen Roms: der kapitolinische Hügel, 4ß m hoch, mit dem Tempel des Jupiter,
der Burg, der Richtstätte und dem Tarpejischen Felsen, von dem in alter Zeit die Verbrecher
hinabgestürzt wurden; der palatin (59 m) mit der kaiserlichen Residenz und zahlreichen anderen
Palästen; zwischen beiden dann das Forum (^ m), der Mittelpunkt des politischen, gewerb-
lichen und kaufmännischen Lebens der alten Zeit. Noch heute ist es übersäet mit den Trümmern
alter Tempel, Kaufhallen (Basiliken, S. ^6), Triumphbögen (S. ^7) und Ehrensäulen. Südlich
davon standen die luxuriösen Thermen des Kaisers Taracalla (S. J^7), nordwestlich das Pan-
theon (S. J[^7), das allen Gottheiten insgesamt geweiht war.
vor den Thoren Roms dehnt sich meilenweit die öde Fläche der Tampagna (S. ^3)
hin, nur unterbrochen von niedrigen Tuffhügeln. Der von Natur fruchtbare und wasserreiche
Boden, den im Altertum Gärten und Villen bedeckten, trägt heute insolge der Vernachlässigung
und der ungünstigen Besitzverhältnisse nur dürftige Weideländereien, und stehende Gewässer
verpesten seine Lust. Uni so verlockender winken da den Römern in der heißen Jahreszeit
die bewaldeten Höhen der seenreichen Albanerberge im Süden und das Sabinergebirge
im Westen mit den vielgepriesenen Wasserfällen bei Tivoli (S. ^3).
von der Tibermündung bis zur vulkanischen Insel Ischia ist die Küste zumeist noch flach
und reizlos. Dann aber weitet sie sich zum Golfe von Neapel aus, dessen märchenhaft schöne
Gestade die kegelförmige Masse des Vesuv (J268 m) beherrscht (S. ^9). In der Mitte des
Rundbildes steigt Neapel an dem felsigen Rücken der Berge hinan, und am Fuße des Vesuv
erglänzen die unzähligen perlen der Städtereihe, die sich um den Golf schlingt: portici, das
verschüttete Herculanum, Torre del Greco, Tastellamare und endlich auf steiler Höbe Sorrent
(S. Z50) mit seinen Zitronen- und Grangenwäldern.
Auch die Küstenstrecken Siziliens, an denen wohlbewässerte, gartenähnlich bebaute
Ländereien von altersher sich finden, reifen alle Produkte der Mittelmeerzone: Oliven, Weizen,
Wein, Südfrüchte, ja selbst Baumwolle und Zuckerrohr; im Inneren dagegen, wo es an künst-
licher Bewässerung fehlt, liegen weite Strecken unangebaut oder werden nur als Weide benutzt.
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Großbritannien. <\7
Die Gunst seiner geographischen Lage im Mittelpunkte der Landhalbkugel und am Rande
eines reichen Ackerbaulandes, die durch die Flut begünstigte Zugänglichkeit der Themsemündung
sür die größten Seeschiffe und die hohe wirtschaftliche Blüte der Gegengestade machen im Vereine
mit der Tüchtigkeit der Bevölkerung den unvergleichlichen Aufschwung Londons begreiflich.
Wir verlassen die Weltstadt und ihr betäubendes Getriebe und durchschreiten themseaus-
wärts das flachhügelige, fruchtbare Tertiärbecken Londons mit seinen reizenden Parkland-
schaften, aus deren Mitte stolze Herrenhäuser, die Sitze der altenglischen Aristokratie, hervor-
schauen. Überall trifft der Blick auf Äcker und Wiesen, von lebendigen Decken zierlich umzogen
und von wohlgepflegten Rieswegen durchschnitten. Unvergleichlich schöne Nasen und prächtige,
in Gruppen verteilte Bäume, vornehmlich Eichen und Buchen, sind die-Hauptzierde der englischen
parke, und die schönsten Pferde und Rinder bilden die lebendige Staffage dieser reizvollen
Naturszenen. Der Zvald fehlt, er ist der Industrie und den: Schiffbau zum Opfer gefallen.
Der Engländer wohnt weit lieber auf dem Lande als in der Stadt, ja man trifft namentlich
im Süden selbst Dörfer seltener, und auch diese sind meist klein. Dasür ist das ganze Land über-
säet mit reizenden Einzelwohnungen, Edelsitzen und Schlössern. Von den Küstenorten abgesehen,
gibt es daher im südlichen Teile Englands, in dem die Landwirtschaft, aber nicht als Kornbau,
sondern als Pferde- und Rinderzucht vorwiegt, eigentliche Großstädte nicht. Am bedeutendsten
ist hier Tanterbury im Osten (22,000 Einwohner, S. J63), der geistliche Mittelpunkt des
Reiches. Der Erzbischof von Tanterbury, Primas des Reiches und erster pair von England,
residiert jedoch in London.
Bei Reading durchbricht die Themse die Kreideplatte, die von der Normandie herüber-
zieht, bei Dover (S. J63) in schroffen Klippen zum Kanal abbricht und erst am lvashbusen
endigt. Annähernd parallel damit verläuft der breite Rücken des englischen Iura von
der Südküste bis zur Mündung des Humber. Ähnlich wie der schwäbische Iura fällt auch der
englische steil nach Nordwesten ab und wird im Süden vom Avon, einem Nebenflusse des
Severn, im Norden vom Humber, teilweise auch von der Themse durchbrochen. Zwischen ihm
und den westlichen Randgebirgen breitet sich das niedrige, flachwellige Buntsandstein- und
Reuperland Englands aus, in das die langgezogenen Thäler des Severn, Trent und Ouse
eingesenkt find. Der Iura ist eine bedeutsame wirtschaftliche Scheidelinie in England, indem er
das Landwirtschaft treibende Altengland, den Sitz des hohen Adels und der hohen Geistlichkeit,
vom industriellen England der Neuzeit mit seinen fast unerschöpflichen Kohlen- und Eisen-
vorräten, seinen zahlreichen, dichtgedrängten Fabrikstädten, seinem verwirrenden Netz von
Eisenbahnen und Kanälen und seiner riesenhaften Produktion von Baumwoll-, Ivoll- und
Eisenwaren trennt. !Vie im Süden Englands der politische, so liegt im Norden der wirt-
schastliche Schwerpunkt des Landes, und wie dort London emporgewachsen, so mußten hier
die beiden größten Hasenstädte Liverpool (520,000 Einwohner, S. J6^) und Glasgow
(658,000 Einwohner), die dem wichtigsten Ursprungslande der Rohbaumwolle, den Ver-
einigten Staaten Nordamerikas, am nächsten liegen, erstehen.
Im Niesten und Norden wird das eben durchwanderte englische Becken von alten,
abgetragenen Faltengebirgen umschlossen, deren südlichste Glieder, die Bergländer von Torn-
wall, Wales und Irland, die Fortsetzung des Gebirges der Bretagne bilden. Überall walten
sanfte, vermittelte Formen vor; ausgesprochene Kammbildung sehlt; gerundete Berggruppen
mit breitgewölbten Gipfeln wechseln mit breiten und tiefen Thalsenken. Wälder fehlen fast
gänzlich, kümmerliche Heiden und Moore decken das Hochland. Trotzdem ermangeln die eng-
lischen Gebirgsgegenden, die im Snowdon (S. J[(5^) die Höhe des Fichtelgebirges erreichen,
keineswegs der landschaftlichen Reize; namentlich zeichnen sie sich neben mannigfachen Thal-
fzenerien durch einen Reichtum an Seen aus, unter denen die von Tumberland im sogenannten
Seendistrikt und die von Killarne^ (S. J65 u. J66) in Irland besonders gepriesen werden.
Sie sind zum Teil Überbleibsel der Eiszeit.
Auch die schottischen Gebirge (S. J67) teilen diese Eigentümlichkeiten, sind aber bei
der Armut des Bodens und der Unwirtlichkeit des Klimas noch schwächer besiedelt, ja teilweise
unbewohnbar. Daher hat stch die Bevölkerung mehr an den fischreichen Meeresküsten gesammelt,
und hier entstanden, der skandinavischen Küste gegenüber, Aberdeen Q 25,000 Einwohner),
Dundee (^o^,000 Einwohner) und vor allem Edinburg (S. J66) mit dem Vorhafen Leith
1897 -
Leipzig [u.a.]
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- Autor: Geistbeck, Alois
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Atlas
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
\i\ I> Die Alpen.
Hundstod, des Steinernen Meeres, des Flohen Göhl (25 J9 m) und Hagengebirges. Förm-
lichen Mauern gleich erheben sich diese jaateauberge durchschnittlich 2000 m über das Meer
und Jooo m über die benachbarten Thäler. In einer Höhe, wo in der Schweiz und im Algäu
noch saftiggrüne Weideplätze liegen, dehnen sich hier stundenweit öde Kalkflächen aus, un-
absehbare wasserarme Steinwüsten, von verworrenem, kalkgrauem Hügelwerk durchkreuzt,
zwischen welchem sich Döhlen und trichterartige Einsenkungen finden, „versteinerten Meeres-
wellen" vergleichbar. Spärlicher Graswuchs oder niedriges Krummholz überdeckt den un-
fruchtbaren Boden, nur selten unterbricht eine grasreiche Mulde oder ein dürftiger Meide-
platz für Schafherden die schauerliche Bergwüste. Nicht wenig erhöht die Unwirtlichkeit dieser
Hochflächen die weite Verbreitung der Rarren- oder Schrattenfelder, dieser „Leichensteine
vegetativen Lebens". Die Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung beruht teils in der oft wage-
rechten Lagerung der Schichten, teils in der Beschaffenheit des Gesteins, das diese Gebirge auf-
baut. In den östlichen Kalkalpen bildet der Dachsteinkalk das vorherrschende Material. Wie
auf allen reinen Kalken sickert das auf den Dachsteinkalk fallende Regenwasser leicht in den-
selben ein, um durch Spältchen, Sprünge und Kanäle in ihm weiter zu wandern. Der Kalk
schluckt also das Wasser und leitet es unterirdisch weiter, während es auf Wasser undurch-
lässigem Gestein oberflächlich abrinnt und auf diesem Wege thalbildend wirkt. Den Hoch-
plateaus der Gstalpen fehlen daher große zusammenhängende Thalungen gänzlich, die unter-
irdische Entwässerung bedingt nur die Bildung von flachen Einsenkungen, Rarren, Höhlen und
blinden Thälern, kurz die eigentümliche Erscheinung der Hochkarste.
Den größten landschaftlichen Gegensatz zu diesen öden, menschenleeren Kalkwüsten bilden
die leuchtend grünen Berge des Algäus, an deren Nordrand uns eine Fahrt von Kempten
nach Lindau (S. 70) hinführt. Herrliche Alpenmatten mit balsamisch duftenden Kräutern
ziehen bis zu den Gipfeln der Berge empor (Grasberge werden dieselben volkstümlich ge-
nannt), zahlreiche Siedelungen, meist stattliche Linzelgehöfte, schmücken die Gehänge, wohl-
gepflegte Rinderherden beleben allenthalben das Gelände. Die günstige Zusammensetzung
des Bodens, der meist aus thonreichem, leicht verwitterbarem Fleckenmergel besteht, bedingt
diesen auffallenden Kontrast. Während die durchlässigen Kalke der Berchtesgadener Alpen
die atmosphärischen Niederschläge aufsaugen gleich einem Schwamm, fließen diese auf dem
thonigen Boden des Algäus oberflächlich ab und entwickeln daher eine intensive Säge- und
Bohrarbeit. Deshalb sind die Algäuer Alpen in eine Menge kleinerer Ketten und Kämme zer-
stückt, die nach allen Richtungen der Windrose verlaufen, und vergebens suchen wir nach einer
einheitlichen, beherrschenden Streichrichtung des Gebirges, eine Thatsache, die sich auch im
Mangel eines einheitlichen Namens für größere Teilstrecken ausspricht. Nur im östlichen Flügel
der Algäuer Alpen tritt der Dolomit in ausgedehnteren Gebieten auf, und dieser zeigt auch
bereits jene schroffen Wandbildungen, die den bayerischen Alpen eigen sind. Hier liegen
auch die höchsten Gipfel: Hochvogel (2600 m) und Mädele Gabel (2650 m). In ihrem Ge-
samtcharakter zeigen die freundlichen grünen Algäuer Berge viel mehr Ähnlichkeit mit den
Vorarlberger und nordschweizerischen Alpen als mit den bayerischen, wie denn auch ihre Ent-
Wässerung teilweise zum Rhein hin geschieht. Ebenso bildet die Bevölkerung ein Übergangs-
glied zwischen den bayerischen Schwaben und den schweizerischen Alemannen.
Der vielgepriesene Schmuck der Seen ist in reicher Fülle über die nördliche Kalkzone der
Ostalpen ausgegossen. Zwischen den breitkuppigen, dichtbewaldeten Flyschbergen, die bald
als Schiefer und Sandstein, bald als kalkartiges Gestein in niedrigen Ketten dem Gebirge vor-
gelagert sind, liegen die reizenden Seebecken bei Hohenschwangau (S. 7^), der starkvermoorte
Kochelsee, der vielbesuchte Tegernsee und der idyllische Schliersee. In dem landschaftlichen
Gegensatz der anmutigen grünen Vorberge zu den schroffen Felsenmauern und den schön ge-
schwungenen Gipfelpyramiden des Dolomits am Südufer besteht die malerische Schönheit der
oberbayerischen Randseen. Allenthalben sind die lichtgrünen Halden mit zerstreuten Wohnungen
geziert, im Mittelalter blühten hier reiche Klöster, und heute bergen stattliche Dörfer nament-
lich im Hochsommer rasch pulsierendes Leben.
Tiefer im Gebirge und ganz umschlossen von den Bergformationen des Hauptdolomits
und Dachsteinkalkes ruhen die Becken des ^)lan-, Achen-, Walchen- und Königssees. Eng
umrahmt sind diese Landschaftsbilder, ja, fast von erdrückender Großartigkeit. Oft steigen die
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- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
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- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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r
I. Die Alpen.
wunderbare von Weiß und lichtem Grau bis ins Blaßrötliche spielende Farbe. haftet an heiteren
Tagen die aufgebende oder scheidende Sonne an diesen glatten Felsensäulen, so weckt sie eine
Farbenglut, wie selbst Sizilien sie in größerer Fracht nicht zu bieten hat. Da ist es, als sei
der Berg in seinem Innersten entbrannt und leuchte aus sich heraus in: feurigsten Not. Oft
scheint es schlechthin unmöglich, sich zu überzeugen, daß, was dort glüht wie der aufgehende
Mond, nichts anderes als dürrer Felsen sei. Wer hätte je von Bozen oder von: Ritten aus den
Schient in solcher Glorie gesehen und könnte des Anblickes wieder vergessen? Lin anderes
Mal schwebt ein leichter Nebelduft am Abendhimmel. Dann mildert sich die Glut der Be-
leuchtung, und über all die Felsentürme breitet sich ein weicher Rosenschleier, der sich in den
Klüften bis zum violett vertieft. So versteht man, warum des Volkes Mund diese Marmor-
stämme, dieses wirr verästete Gestein, das der 2lbendsonnenschein mit lichten Rosen überkleidet,
den Rosengarten nennt."
Versuchen wir einen Einblick in den Aufbau dieser merkwürdigen Landschaft zu gewinnen.
Zu diesem Zwecke wandern wir zunächst von Bozen (259 m) Zwischen Wein- und Obstgärten
am westlichen Thalgehänge aufwärts, vorüber an den berühmten Erdpyramiden (S. 7^) nach
dem Dorfe Oberbozen (^66 m). Ein rascher Umblick lehrt uns, daß wir hier auf einer aus-
gedehnten welligen j^lateaustufe stehen, in die diethäler deretsch undeisackmit ihren frucht-
baren, burgengekrönten Gehängen, mit den berühmten Weinorten Tramin, Terlan, Lana und
anderen eingesenkt sind. Der Boden dieses Plateaus setzt sich aus altvulkanischem Gestein, aus
Porphyr, zusammen, der sich in dieser Thalsenke deckenartig ausgebreitet hat. Auf die L?öhen
dieses waldreichen, kühlen Plateaus flüchten sich die Bewohner der Thäler, wenn in den Som-
mermonaten die Bitze in der Niederung unerträglich wird.
Die zweite I^öhenstufe, das Tuffplateau, gleichfalls vulkanischen Ursprunges, erreichen
wir auf der Seiser Alp (S. 7^). Es ist dies eine wellige, im Mittel \000 m hohe Fläche
zwischen Eisack, Grödener Thal und Schlern. Bezeichnet das tiefer gelegene jdorphyrplateau
die Waldregion, so ist die höhere Tuffterrasse das Land der Alpenmatten. Ausgedehntere
und üppigere Wiesengründe als hier findet man in: ganzen Bereiche der Alpen nicht mehr,
ja selbst die berühmten Algäuer Weidegründe müssen gegen sie zurücktreten. „Die Seiser
Alp", sagt Witte in seiner begeisterten Schilderung, „ist ein Gottesgarten voll balsamischer, zum
Teil seltenster Alpenkräuter. Wie sollte den: Botaniker nicht das Herz aufgehen, wenn ihn
zwischen den stolzen Gentianen die prachtvollsten Orchideen und die buntfarbigen Alpenaurikeln
anlachen! Aber auch dem Laien weitet sich die Brust beim Einatmen des würzigen Kräuter-
duftes. Auf dem grünen Wiesenplane schimmern an 70 Senn- und ^00 Heuhüttchen, und im
Sommer weiden da mehr als \000 Stück Rinder. Welches Leben, wenn im August oder Sep-
tember Mäher und Mäherinnen von allen Seiten heraufgestiegen kommen zum Heuen und
die Sense über die grüne Fläche hin erklingt!" Die Seiser Alp mißt Stunden im Umfange.
Aus diesen lebensvollen Gefilden erheben sich in: grellsten Gegensatze hierzu die vielgestal-
tigen, seltsam zerrissenen und zerspaltenen Dolomitgebirge als die dritte und höchste Hoch-
ebene, die in einzelne getrennte Stöcke mit meist turmartigen Randpfeilern aufgelöst ist.
Sie bildet zumeist die Umwallung der vorgenannten Stufe, aus welcher die kahlen Felsen-
mauern und bizarren Formen der Kämme mit ihren Steinmeeren unvermittelt, gleich Felsen-
rissen int Meere, aufsteigen. An Mannigfaltigkeit und Kühnheit der Gipfelformen sind die
Dolomiten ohnegleichen, ihre vorwiegend turmartige Gestaltung, die gleich „riesigenkristallen"
phantastisch aufragenden Zinnen und Zacken bedingen die einzig großartigen Landschaftsbilder
Südtirols, gegen welche selbst die gewaltigsten Bergformen der nördlichen Kalkalpen, wie
Zugspitze, Watzmann u. a., bescheiden zurücktreten müssen.
Vergebens suchen wir auf unserer Wanderung nach einer bestimmten Regelmäßigkeit in
der Anordnung dieser Höhenzüge wie bei den nordalpinen Dolomiten. Letztere ziehen in einem
System von j?arallelketten, die im ganzen der Hauptrichtung der Zentralalpen folgen, vom
Rheine bis zur Donau und erlangen eine typische Ausgestaltung im Wetterstein- und Kar-
wendelgebirge. Südtirol dagegen kennt diese j^arallelketten nicht. Ein Blick anf eine gute
Karte dieses Landes überzeugt uns, daß es in eine Anzahl unregelmäßig verteilter Gebirgs-
stöcke zerfällt, die durch breite, niedrige Einsattelungen voneinander völlig getrennt sind.
Jeder Stock bildet ein Gebirge für sich, und diese fast inselartige Sonderung der Massive,
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- Inhalt: Zeit: Geographie
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(8 Ii- Das nördliche Alpenvorland und feine Umwallung.
Verkehrsgebiete darstellen, wie Zürich, Genf, Luzern; endlich auch an hervorragend schön
gelegenen Punkten, wie Interlaken (S.6^) und pontresina, der freundlichen Sommerfrischorte
an den bayerischen und österreichischen Seen nicht zu vergessen. Die glänzendste aller Alpen-
städte aber ist Wien. <£s liegt an dem Punkte, wo die (Eisenbahnlinien des ostwestlichen Ver-
kehrs, die aus der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden durch Süddeutschland nach Oster-
reich führen, mit der wichtigsten Südnordstraße Österreichs, die von Trieft nach den Sndeten-
und Karpathenländern sowie zur Gder und Weichsel nach Norddeutschland und Nußland geht,
zusammentreffen. Seit Jahrhunderten die Hauptstadt des Gesamtstaates, ist Wien seit 1(867
nur noch die Hauptstadt der österreichischen Reichshälste. Als Sitz des Looses und der Negie-
rung, als Stätte der Wissenschaft und Kunst, aber auch als erste Fabrikstadt und als Mittel-
punkt eines großartigen Waren- und Geldverkehrs, der weit in den Orient wirksam ist, hat
Wien von jeher die Stellung und Bedeutung der ersten Stadt der Monarchie gehabt und läßt
auch heute noch alle anderen Städte derselben weit hinter sich. Neuerdings ist es aus den
Fesseln der alten Umwallung hinausgewachsen, die Vororte wurden mit dem Kern zu einem
Gemeinwesen verbunden; der Ring aber, das heißt die Stelle der einstigen Festungswerke, ist
zu einer der herrlichsten Straßen der Erde umgewandelt worden, an der sich Prachtbau neben
Prachtbau (S. 8\ u. 82) erhebt, Wien neben seinem alten Ruhm als fröhlichste deutsche Stadt
den neuen verleihend, architektonisch vielleicht die schönste Stadt der Welt zu sein. Viel trägt
zur Annehmlichkeit des Aufenthaltes die landschaftlich überaus reizvolle alpine Umgebung bei.
Wien zählt J(,500,000 Einwohner, wurde also von dem jüngeren und minder schönen Berlin
stark überholt, eine Folge der politischen Verhältnisse und der thatkräftigen, aufblühenden
deutschen Industrie.
Welchen Einfluß die alpine Natur auf die Beschäftigung der Bewohner, die Einfachheit
ihrer Lebensweise, ihre körperliche Tüchtigkeit, die reiche Entfaltung ihres Innenlebens in
Religion, Kunst und Poesie, endlich auf ihre rührende Heimatsliebe ausübt, das ist oft geschil-
dert worden. Auch die Behausung des Älplers, seine eigenartige Holzarchitektur, die Galerien
und kleinen Fenster, das flache Dach mit den Steinbelegen (S. 92), dies alles zeigt die sorg-
same Anpassung des Menschen an die umgebende Natur. Nicht unerwähnt wollen wir endlich
lassen, wie anregend das Studium der Alpenwelt auf Kunst und Wissenschaft, namentlich auf
Geologie und Geographie, gewirkt hat, und nicht vergessen sei der Fülle wunderbaren Segens,
der alljährlich auf Tausend und Tausende niederströmt, die, erschöpft von dem gasten des
Großstadtlebens, Erquickung an Körper, Geist und Herz in unseren Alpen suchen und finden.
Ii. Dak nördliche Alpenvorland und seine Umwallung.
Nut dem Verlassen der bayerischen Alpen betreten wir ein flachwelliges Wald- und Wiesen-
land, in dessen Einsenkungen die Spiegel zahlreicher Seen erglänzen. Der lockergefügte Boden
enthält Rollkiesel aus den Zentralalpen, gekritztes Kalkgeschiebe, große eckige Blöcke, unver-
kennbare Beweise dafür, daß dieses Schottermaterial auf dem Rücken und am Grunde der
eiszeitlichen Gletscher in das Vorland herabbefördert worden ist. Wir sind in der Seen- oder
Moränenzone Südbayerns. (Vergleiche die Moränenbilder der norddeutschen Tiefebene
S. \\2.) Nordwärts davon breiten sich die großen, sast vollkommen ebenen Schotterslächen
an: Lech, an der Isar und an: Inn aus, die die Schmelzwässer der alten Gletscher aufgeschüttet
haben. Unabsehbare Wälder nehmen ihre südliche, weite Moore um Dachau und Erding ihre
nördliche Hälfte ein. Die im Süden in den Boden eindringenden atmosphärischen Gewässer
strömen nämlich aus dessen undurchlässiger Unterlage als ein ungeheurer Grundwasserstrom
nach Norden, wo sie in den tiefer gelegenen Teilen wieder ans Tageslicht treten und zur Bil-
dung großer Wiesenmoore (S. 83) Veranlassung geben. Den nördlichsten Teil der Hochebene
endlich erfüllt ein sandiges, vielfach von ergiebigem Löß überdecktes Hügelland, das Acker-
bau gebiet Südbayerns.