66
22. Cine Abendscene im Walde.
Der Regen verzieht, der Wald schüttelt die lauen Tropfen aus
dem Haupte, und von der Haide steigt's erfrischend und würzig in die
Abendluft. In allen Schlupfwinkeln regen sich Flügel und Füße. Die
Mücken beginnen ihre Tänze, die Ameisen kriechen hervor, ihre ver-
fchwemmten Straßen wieder herzustellen, der Fink schmettert aus dem
Buchenwipsel herab, der Hase schießt Kapriolen, und auä, der Fuchs
verspürt ein heimliches Rühren. Dort lauscht er zwischen den Wurzeln
einer alten Eiche. Er „windet." Alles ist sicher, die ganze Natur
wiegt sich frühlingstrunken in dem erfrischten Element. Mit einem
Satze ist Reineke vor der Thür. Jetzt könnt ihr ihn deutlich sehen.
Wie er dasteht! so vornehm-lässig! so voll Bewußtsein! Er scheint
den Abend in süßem Nichtsthun verträumen zu wollen. Inzwischen
kommen ein paar junge Füchslein neben ihm zum Vorschein. Klug-
forschend äugeln sie umher, legen sich in die Sonne und beginnen aller-
hand Kurzweil.' Das jüngste Söhnchen ist noch etwas täppisch. Es
sängt Grashüpfer und Käser, zerzaust ihnen die Flügel, läßt sie zap-
peln, schnäuselt daran umher, wirft sie weg, schlägt dann und wann
einen linkischen Purzelbaum. Der Alte sieht eben nicht auf ihn. Dessen
Blicke sind aus die beiden anderen hoffnungsvollen Buben gerichtet, in
denen das väterliche Talent sich mit sichtbarem Wohlgefallen wiedererkennt.
Sie haben das leisehorchende Mäuslein erhorcht und im Wettsprung das
flüchtende gefangen. Mit muthwilliger Lust werfen sie es der eine dem
anderen zu, kneipen es hier, kneipen es da, bis sie des Spielzeuges
satt es dem jüngsten überlassen. Nun gilt's ein Nest zu spüren, eine
Grasmücke zu beschleichen, den schlüpfrigen Frosch zu packen, oder sie
durchstöbern auch wohl den Palast eines Erdwespenstammes; denn wie
lecker sie auch sind, so will ihre Zunge'doch Alles erproben.
Da tritt auch die Mutter aus dem Erdgeschoß, und-der alte Fuchs
erinnert sich, daß es Zeit ist, die Familienscene zu beenden. Erwacht
sich auf; allein er eilt mit Weile. Gelassen schlendert er, den Schweif
nachlässig schleppe.nd, durch Busch und Kraut, immer querfeldein. Denn
wie das ächte Genie verschmäht in fremde Fußtapfen zu treten, so läßt
auch er die Heerstraße, und mag sich gern in Riedgras, Korn und
Hag verlieren, wo bunte Blumen blühen und muntere Vögel singen.
Die rosigste Laune leuchtet aus seinem Angesicht; Gedanken, Bilder
und Visionen umschwirren ihn wie ein lustiges Schneegestöber.. — Unter-
dessen ist er mitten im Waldbann. Er schleicht langsamer, leiser, vor-
sichtiger. Der Abend haucht kühl aus Halm und Blatt. Die Bäume
heben ihre Wipfel regungslos in die Stille; nur die Vogelkehlen sind
noch laut. Die Drossel lockt mit hellem Ton, die Meise schlüpft, ihr
witzigspitzes Liedchen schrillend, von Busch zu Busch, der Waldschreiner
Specht hackt und hämmert am Eichenstumpf, dazwischen kreischt mit
einem wunderlich äffenden Schnörkel der Häher, und ist dann auf ein-
mal Alles still und erschreckt über des Possenreißers Glossen, so stöhnt
68
24 Ein Gang im Gebirge.
Es war schönes, liebes Sonntagswetter. Ich bestieg Hügel und
Berge, betrachtete, wie die Sonne den Nebel zu verscheuchen suchte,
und wanderte sreudig durch die schauernden Wälder. In ihren weißen
Nachtmänteln standen die Berge, die Tannen rüttelten sich den Schlaf
aus den Gliedern, der frische Morgenwind frisirte ihnen die herab-
hängenden grünen Haare, die Vöglein hielten Betstunde, das Wiesen-
thal blitzte wie eine diamantenbesäete Golddecke, und der Hirt schritt
darüber hin mit seiner läutenden Heerde. — Bald umfing mich eine
Waldung himmelhoher Tannen, für die ich in jeder Hinsicht Respekt
habe. Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht
gemacht worden, und sie haben es sich in der Jugend sauer werden
lassen. Der Berg ist hier mit vielen großen Granitblöcken übersäet,
und die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln diese Steine um-
ranken oder sprengen, und mübsam den Boden suchen, woraus sie Nah-
rung schöpfen können. Hier und da liegen die Steine, gleichsam ein
Thor bildend, über einander und oben daraus stehen die Bäume, die
nackten Wurzeln über jene Steinpsorte hinziehend und erst am Fuße
derselben den Boden erfassend, so daß sie in der freien Luft zu wachsen
scheinen. Und doch haben sie sich zu jener gewaltigen Höhe empor-
geschwungen und, mit den umklammerten Steinen wie zusammengewachsen,
stehen sie fester als ihre bequemen Kollegen im zahmen Forstboden des
flachen Landes. So stehen auch im Leben jene großen Männer, die
durch das Ueberwinden früher Hemmungen und Hindernisse sich erst
recht gestärkt und befestigt haben. — Aus den Zweigen der Tannen
kletterten Eichhörnchen und unter denselben spazirten die gelben Hirsche.
Wenn ich solch ein liebes, edles Thier sehe, so kann ich nicht begreifen,
wie gebildete Leute Vergnügen daran finden, es zu hetzen und zu tödten.
Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte
Tannengrün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Ueber-
all schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den schön-
sten Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpolstern, bewachsen. Lieb-
liche Kühle.und träumerisches Quellengemurmel. Hie und da sieht man,
wie das Wasser unter den Steinen silberhell hinrieselt und die nackten
Baumwurzeln und Fasern bespült. Wenn man sich nach diesem Treiben
hinabbeugt, so belauscht man gleichkam die geheime Bildungsgeschichte
der Pflanzen und das ruhige Herzklopfen des Berges. An manchen
Orten sprudelt das Wasser aus den Steinen und Wurzeln stärker her-
vor und bildet kleine Kaskaden. Da läßt sich gut sitzen.
Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghafter
werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammenzu-
schrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rothbeersträuche und Bergkräuter
übrig bleiben.
H. H eine.
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T89: [Wasser Fluß Quelle Bach See Erde Boden Brunnen Land Ufer], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff]]
71
28. Der Ep Heu.
Sag an, was macht so theuer, so heimisch im Gemüth
Den Epheu im Gemäuer, obgleich er niemals blüht?
Es ist sein innig Ranken am alternden Gebäu,
Ob auch die Mauern wanken, fest hält doch seine Treu.
Es ist sein Grünen immer, selbst durch des Winters Kleid,
Der Hoffnung süßer Schimmer in schwerem Herzeleid.
So ist er mir geblieben und rankt sich in mein Herz,
Ein Bild von treuem Lieben, von Hoffnung auch im Schmerz.
Von einer Verborgenen.
4. Jahres- und Tagzeiten.
29. Der Winter.
Ist denn da droben Baumwoll seil?
Sie schütten uns ein gutes Theil
Herab auf Garten und auf Haus;
Es schneit doch auch — es ist ein Graus !
Und doch hängt noch der Hinimel voll
Von solcher Waare, seh ich wol.
Wo Jemand wandert, nah und fern,
Der kaufet von der Baumwoll gern,
Trägt sie auf Hut und Schultern nach,
Und eilt davon zum nächsten Dach.
Sagt, ist es denn geftohlneö Gut,
Daß ihr so lauft und eilig thut?
Und Gärten ab und Gärten auf
Hat jeder Pfahl sein Käppchen aus;
Sic sehn wie große Herren drein,
Und glauben sich geschmückt allein.
Den Nußbaum nahm man auch nicht aus,
Noch Kirchendach, noch Pfarrerhaus.
Manch Sommervöglein schöner Art
Liegt in der Hülle wohlverwahrt;
Es weiß von Kummer nicht noch Klag,
Harrt auch aus seinen Ostertag;
Und währts auch lang — erkommt gewiß;
Indessen schläft es sanft und süß.
Doch wenn im Lenz die Lerche singt,
Die Frühlingssonne niederdringt;
O dann erwachts in jedem Grab,
Und streift das Todtenhemdchen ab.
Wo irgend sich ein Löchlein zeigt,
Empor das junge Leben steigt.
Da fliegt ein hungrig Spätzlein her,
Ein Krümchen Brod ist sein Begehr;
Seht, welche flehnde Mien es macht!
Es hatt' auch nichts seit gestern Nacht.
Ja, Bürschchen, wohler mag dir sein,
Harrt Korn in allen Furchen dein!
Wohinman sieht, ist Schnee aufschnee,
In Wald und Thal, auf Feld und Höh.
Manch Samenkörnchcn, klein und zart,
Liegt in der Hülle wohlverwahrt;
Es harrt auf seinen Oftertag,
Wie sehr, wie längs auch schneien mag.
Hier! laß auch was dem spätern Gast!
Komm wieder, wenn du Hunger haft!
Es muß doch wahr sein, wie man spricht:
,,Sie säen nicht, sie ernten nicht,
Sie haben weder Pflug noch Joch,
Und Gott im Himmel nährt sie doch! "
Hebel.
30 Winterlandschaft.
(Zur Aufstellung einer Disposition.)
Denkt euch einmal eine Gegend, wie ich sie euch malen will! Im
Vordergründe streckt sich rechts der blanke Eisspiegel eines Landsees hin,
auf welchem man einige Schlittschuhläufer erblickt. Zwei von ihnen
schwingen sich schon, Hand in Hand, in Fluge dahin; der dunkle Krystall-
boden erklingt bis an die fernen User, und weiße, zierlich gebogene
Linien bezeichnen den Weg der Entschwundenen. Der Dritte ist noch
beschäftigt, seinen Füßen den beflügelnden Stahl unterzulegen, und sein
treuer Pudel neben ihm. erwartet zagend den Augenblick, wo er seinem
Herrn auf die glatte Fläche folgen wird. Zunächst vor uns erblicken
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T13: [Baum Wald Feld Wiese Garten Gras Winter Mensch Sommer Haus], T125: [Haus Stein Fenster Dach Holz Stroh Winter Erde Wand Wohnung], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit]]
73
32 Frühlingsglaube
Die linden Lüste sind erwacht, Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht, Man weiß nicht, was noch werden mag,
Sie schaffen an allen Enden. Das Blühen will nicht enden.
O frischer Dust, o neuer Klang! Es blüht das fernste, tiefste Thal:
Nun, armes Herze, sei nicht bang! Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich Alles, Alles wenden. Nun muß sich Alles, Alles wenden.
Uhland.
33. Der Frühling.
(Des Frühlingsgaben. Stoße zum Nachbilden.)
Neu verjüngt wird die Natur nach dem Abzüge des rauhen
Winters. Die eisige Kälte verschwindet; der tobende Sturm legt
sich, und hervor tritt in heiterm Glanze der lang ersehnte Frühling.
Da schmilzt der Schnee, der die trauernde Erde mit einem Todten-
gewande verhüllte; die Eisdecke zerrinnt, die Bäche und Flüsse
überzog, und liebliche Frühlingswärme ruft uns hinaus, die Wonne
zu gemessen, welche der gütige Schöpfer von Neuem über die
Erde ausgoss.
In frischem Grün prangen die Wiesen, und viele Blumen, die
Erstlinge der wieder erwachten Natur, erfreuen uns schon durch
ihren lieblichen Anblick und schmücken von Neuem die Fluren.
Die früher menschenleeren Felder füllen sich mit fleissigen Arbei-
tern, beschäftigt, die Felder zu bestellen. Oede Stille weicht reger
Thätigkeit. Vergnügt treibt der Hirt seine Heerde wieder hinaus
auf den grünen Teppich der Weiden, und munter springt sie um-
her, sich freuend des langentbehrten Genusses. Auf freien Plätzen
sammelt sich der Kinder muntere Schaar zu geselligen Spielen;
auch sie fühlt neues Leben, neue Wonne; auch sie mischt ihren
Jubel ein in die Lobgesänge der Natur, Fröhlich kehren heim die
Schaaren von Singvögeln, welche der rauhere Winter in wärmere
Gegenden verscheucht hatte. Die Lerche verkündet zuerst den
nahenden Lenz, trillernd zum Himmel emporsteigend und weit um-
her die Luit erfüllend mit ihrer melodischen Brust. Am murmeln-
den Bache und im dichten Gebüsche lässt die Nachtigall ihr seelen-
volles Lied erschallen. Wenn auch der Abend längst schon auf
die Fluren sich herabgesenkt hat, so erfreut uns noch ihr ent-
zückender Gesang, und höher schlägt unser Herz dem Schöpfer
entgegen. Ritsert.
34 Frühlingslied.
Was ist das für ein Ahnen
So heimlich süß in mir?
Was ist das für ein Mahnen:
Heraus! Heraus mit dir!
Du Träumer aus der Wintergruft,
Heraus! Heraus zur Frühlingslust I
Heraus!
Der rothe Finke picket
An's Fenster wunderlich
Und blickt mich an und nicket,
Als grüßt' er freundlich mich
Und rief: Du finst'res Menschenkind,
Heraus zum frischen Morgenwind!
Heraus!
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
Ii. Das Vaterland.
A. Stoffe aus dem heimathlichen Anschauungskreise.
1. Pflanzen.
1. Die Sonnenblume.
(Einfache Beschreibung ehe? Pflanzaukörpers.)
Wem wäre diese schöne Blume wohl unbekannt? Sie ist eine Zierde
unserer Gärten und erfreut vom Juli btö September durch ihre
prächtigen Blumen Jung und Alt. Auch bedarf sie eben nicht der größten
Pflege, nimmt mit einem bescheidenen Plätzchen auf dem Gartenbeete,
an den Wegen, um Lauben, an Zäunen und Mauern vorlieb, wenn
nur der warme Strahl der Sonne ihr nicht fehlt, dem sie sich gern zu-
wendet. Ihre Dvurzel ist stark, von einer weißen Farbe und treibt
viele feinere Theile, welche man Fäserchen nennt. Kräftig erhebt sich
aus derselben der krautartige, eine Höhe von 6 bis 8 Fuß erreichende
Stengel. Gewöbnlich wird er nur daumensdick; er ist grün, an der
Wurzel im Durchschnitt rund, nach oben gefurcht. Hier wird er ästig.
In seinem Innern ist er markig, seine Oberfläche mit steifen Haaren
besetzt und Zcharf. Große, herzförmige Blatter schmücken den Stengel.
Sie sind am Rande gezähnt, von drei Nerven durchzogen und oben
dunkler grün, als auf der Unterfläche. An langen, scharfen Stielen
entspringen sie wechselweise aus dem Stiele und den Aesten. An dem
Gipfel dieser und des Stiels stehen die Zierden des ganzen Gewächses:
die mit hellgelber Farbe strahlenden, der Sonne vergleichbaren Blumen.
Sie erreichen oft eine bedeutende Größe, sind etwas übergebogen und
werden von vielen, wie die Ziegel eines Daches über einander liegenden
Blättern, die man den Kelch nennt, getragen. Jede Blume besteht aus
sehr vielen kleineren. Die am Rande stehenden, bandförmigen Blätter heißen
Strahlenblümchen; die in der Mitte sich befindenden, röhrenförmig
gestalteten, nennt man Scheibenblümchen. Nachdem die Blumen eine
Zeitlang durch ihre schöne Gestalt unser Auge erfreut haben, welken
die Strahlenblümchen, die Scheibenblümchen fallen ab und es zeigen
sich in der Scheibe die aschgrauen Saamen, welche in Schuppen stecken
und nach erlangter Reife beim Pressen ein schönes, wohlschmeckendes
Oel liefern. Bormann's Slylübung.
2. Die lüche.
(Gattungsbeschreibung nach einem zu Grunde liegenden Plane.)
Unter unsern einheimischen Waldbäumen gebührt der prächtigen
Eiche die erste Stelle; denn sie vereinigt Schönheit mit Stärke und
Nutzen. Sie liefert zum Bau unserer Wohnungen eisenfeste Pfeiler
TM Hauptwörter (100): [T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf]]
TM Hauptwörter (200): [T28: [Blatt Blüte Pflanze Baum Wurzel Frucht Stengel Zweig Erde Samen], T0: [Kirche Haus Gebäude Stadt Straße Säule Platz Fenster Seite Palast], T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke]]
Kinder der Natur blühen im Grase. In der Jugend war das Gras
mir Spiel- und Tummelplatz. Im Grase pflückte ich die Blumen. Das
Gras bedeckt auch die Gräber unserer Todten; und o, wie werth ist es
mir da! Unter den begrasten Hügeln muß es sanft sich ruhen. Einst
auf mein Grab — keine Blumen, nur grünes Gras, dieses Bild des
Lebens und der Hoffnung! Fr. Ehrenberg.
6. Geschichte eines Strohhalms.
(Von ihm selbst erzählt.)
Du wunderst dich, lieber Mensch, und hältst es schier für An-
maßung, daß ich dir meine Geschichte erzählen will, denn du meinst,
ein Strohhalm könne keine Geschichte haben. Aber höre nur! Vorerst
sollst du wissen, daß mein Geschlecht älter ist, als das deinige, denn
schon am dritten Tage der Schöpfung schuf Gott Gras und Kräuter,
zu denen meine Urahnen gehören, aber erst am sechsten Tage den Men-
schen. Ich selber bin freilich noch jung, aber doch nicht ohne Kennt-
niß meines Werdens. Vor etwas länger als einem Jahr streuete ein
Landmann das Mutterkorn, aus dem ich meinen Ursprung genommen,
in eine Furche seines Ackers und bedeckte dasselbe mit Erde, welche unser
aller Mutter ist. Als nun die Wolken sein Lager mit Regen netzten
und die Strahlen der Sonne Fs erwärmten: siehe, da öffnete sich die
Hülse des Korns, und ich kam hervor mit einem zarten Würzelchen,
das sich nach unten richtete, um da eine feste Stelle zu nehmen, und
mit einem eben so zarten Häuptchen, mit dem ich mich nach oben richtete.
Bald ward ich nun so stark, daß ich die Erddecke über mir zur Seite
schob und in meinem grünen Kleide an das Licht der Sonne trat. Fröh-
lich schauete ich mich um und sreuete mich mit meinen zahlreichen Brü-
dern, die mit mir zugleich ihren Auferstehungstag gefeiert hatten, meines
Daseins und meines Lebens. Täglich nahm ich an Stärke und Um-
fang zu, und mein Herr knüpfte manche Hoffnung an meine Zukunft.
Doch wie Krankheit und andere Unfälle die Kindheit des Menschen be-
drohen, so blieb auch meine Kindheit nicht unangefochten. Kalte Regen-
schauer rauschten aus mich herab; Stürme warfen mich her und hin,
und Nachtfröste zwangen mich, mein Haupt zu senken. Bald aber kam
ein sicherer Sänitz. Eine zarte, weiche, weiße Decke ward über mich
hergebreitet, und hielt mich warm, während über mir die heftigste Kälte
die Menschen nöthigte, in geheizten Stuben sich zu bergen und in dicke
Kleider sich zu hüllen. Als nun der Winter seine Macht geübt hatte
und der Frühling wieder ins Land gekommen war; siehe, da nahm in
einer Nacht der liebe Gott die weiße Decke weg und ich trat hervor in
meinem grünen Kleide zur Freude der Menschen und zum Schmucke der
Erde. Nun ging es an ein fröhliches Wachsen. Ein Stockwerk nach
dem anderm letzte sich ans, und bald stand ich da, nicht viel niedriger,
als du. Endlich letzte mir der liebe Gott eine schwere Krone aus,
welche ihr Men>chen eine Aehre nennt und in derselben reisten Früchte,
welche alle dem Korne glichen, aus dem ich hervorgegangen bin. Je
TM Hauptwörter (50): [T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T125: [Haus Stein Fenster Dach Holz Stroh Winter Erde Wand Wohnung], T28: [Blatt Blüte Pflanze Baum Wurzel Frucht Stengel Zweig Erde Samen], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
48
mehr aber diese Körner reiften, desto mehr fühlte ich, wie meine Lebens-
kraft abnahm, wie meine Frische verging und meine grüne Farbe ver-
blaßte. Da hörte ich endlich die Sichel wetzen und nach wenigen Augen-
blicken lag ich, getrennt von meiner Wurzel und abgehoben von der
Stelle, die mich genährt, auf der Erde, doch nicht allein, sondern in
Gesellschaft von vielen meiner Mitbrüder. Mit diesen ward ich auch
nach einigen Tagen noch enger vereinigt, auf einen Wagen geladen
und in einem Gebäude niedergelegt. Wochen wohl vergingen, ehe man
mich wieder an das Licht zog. Und als es geschah, da ward meine
Krone ihres Werthes beraubt und mir gab man den Namen Stroh
und warf mich verächtlich in einen Winkel. Siehe Mensch, so ists
unter euch Brauch, bei allen denen, die sich durch Undank schänden.
Aus meiner Geschichte aber kannst du lernen, daß man der Welt nur
so lange angenehm ist, als man ihr Nutzen verspricht und nützt.
Otto's Anleitung.
2. Thiere.
7. Oer Maikäfer.
a.
(Einfache Beschreibung.)
Der Maikäfer ist einen Zoll lang und einen halben Zoll breit.
Sein Körper besteht aus Kopf, Rumpf und Gliedern. — An dem
Kopfe befinden sich zwei grosse Augen, der Mund mit den Fress-
werkzeugen und zwei Fühler; diese haben an den Enden blättrige
Keulen. — Die Theile des Rumpfes sind die Brust und der Hinter-
leib. Die Brust besteht aus drei Ringen. Der erste ist der grösste;
diesen kann der Käfer bewegen. Er heisst Halsschild, und ist
entweder schwarz oder roth. Der zweite Brustring hat oben eine
kleine dreieckige Platte; sie tritt zwischen die beiden Flügeldecken
und führt den Namen Schildchen. Der Hinterleib enthält sechs
Ringe; der letzte endet mit dem spitzigen, nach unten gebogenen
Steisse. An den Seiten des Hinterleibs bemerkt man eine Reihe
weisser, dreieckiger Flecke. Der Unterleib ist schwarz. — Die
Glieder des Maikäfers sind die Flügel und die Beine. Der Flügel
sind vier: zwei Vorderflügel und zwei Hinterflügel. Jene heissen
Flügeldecken und bestehen aus einer hornartigen Masse. Sie sind
von braunrother Farbe. Die Hinterflügel sind lang, häutig und
mit Adern durchzogen. — Der Maikäfer hat sechs Beine; an jedem
Brustringe befindet sich ein Paar. Jedes Bein enthält vier Theile;
der letzte Theil oder der Fuss besteht aus fünf Gliedern. Das
äusserste dieser Glieder ist mit zwei Krallen besetzt.
Das Erscheinen des Maikäfers fällt in die ersten Tage des
Mai; bei warmen Frühlingswetter zeigt er sich noch früher. Er
kommt besonders des Abends zum Vorschein, fliegt mit starkem
TM Hauptwörter (50): [T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau], T32: [Tag Jahr Monat Mai Juli März Juni April Ende Oktober], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff]]
49
Gesumme um die Bäume und fällt bei dem leisesten Anstoss zur
Erde. Sonnenschein liebt er nicht; er setzt sich daher bei Tage
auf die dem Lichte abgewendeten Flächen der Blätter. Seine Nah
rung sind die Blätter der Bäume; oft frisst er die Obstbäume
ganz kahl. Im Juni ist er meistens verschwunden. Seine Feinde
sind viele Vögel , besonders die Enten und Hühner.
b.
(Eine ausführlichere Beschreibung vom Leben und Treiben des Thieres.)
Die Obstbäume haben wir eigentlich nur für uns gepflanzt. Die
Maikäfer thun aber, als wären sie ihretwegen da; denn in manchen
Jahren finden sie sich so häufig auf ihnen ein, daß die Zweige sich
Don der Last beugen. Dann geht es den Bäumen schlecht; was an
weichem Laube sich vorfindet, wird unbarmherzig abgefressen. Noch ehe
acht Tage vergangen sind, stehen ausgedehnte Obstanlagen entlaubt
da und haben ein winterliches Ansehen. An eine Obsternte ist dann
natürlich nicht zu denken; denn die Bäume müssen ja alle die Säfte,
durch welche sie Blüthen hätten erzeugen können, auf das Hervorbringen
neuer Blätter verwenden, ohne die ein Baum im Sommer nicht be-
stehen kann.
Haben sich die Maikäfer acht bis vierzehn Tage dem Vergnügen,
umherzuschwärmen und Laub zu fressen, hingegeben, so graben sich die
Weibchen, die man leicht an den kleinern Fühlhörnern erkennt, einige
Zoll tief in die Erde und legen dort an zwei bis drei verschiedenen
Orten zwölf bis dreißig Eier. Bald darauf sterben sie. Nach vier bis
sechs Wochen entstehen aus den Eiern kleine wurmartige Thierchen,
Larven oder Engerlinge genannt, die sechs Beine und kräftige Kinn-
backen haben. Ihre Nahrung besteht meistens in zarten Wurzeln. Wie
die Alten, so sind auch sie äußerst gefräßig, und um sich's bei ihren
Mahlzeiten recht bequem zu machen, legen sie sich auf den Rücken, fangen
am Wurzelspitzchen an zu fressen und fahren damit so weit fort, als es
ihnen-schmeckt und sie ohne große Unbequemlichkeit mit dem Kopfe hin-
aufreichen können. Im Herbst gehen sie tiefer in die Erde, machen sich
eine recht glatte Höhle und schlummern darin, bis die Frühlingssonne
den Boden wieder erwärmt und die Pflanzen zum neuen Wachsthum
antreibt. Mittlerweile ist ihnen nun ihr Röcklein ein wenig schmutzig
und auch zu enge geworden. Da es unter ihnen keine Schneider giebt,
die für Andere arbeiten, so muß Jeder selbst Hand anlegen, um zu
einem neuen Rocke zu gelangen. Damit sie dies wichtige Werk in
aller Ruhe und Bequemlichkeit ausführen können, gehen sie etwas tiefer
in die Erde und machen sich dort eine runde, innen schön geglättete
Höhle und warten, bis der Wamms von selber platzt. Geschieht dies,
so benutzt der Engerling den günstigen Augenblick und schlüpft hinaus
und hat damit zugleich sein schweres Geschäft vollendet. Ohne sein
Zuthun ist ihm nämlich schon vorher- unter dem alten Kleide ein neues
gewachsen, ganz nach dem Muster des abgelegten, mit neun Ouernäbten
Wangemann, Hülföbuch. Iii. Abth. 4
TM Hauptwörter (50): [T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau]]
55
und freut sich der schönen Natur. Es denkt dabei: „Schlafen kann
ich ja noch genug, aber nicht singen." — Es sucht alle schönen Plätze
in seiner Umgegend aus und besingt sie; daher hört man seine klare
Stimme bald in einem Garten von einem Baume herab, bald klingt
sie in einem Gebüsche' am Bache, bald belebt sie ein trauliches, ein-
sames Plätzchen in einem Walde. Kurz, das Nothkehlchen ist überall
zu finden, wo der liebe Gott eine schöne Stelle geschaffen hat.
Seine Jungen tragen lange Zeit Kinderkleider, die mit seinen
Kleidern gar keine Aehnlichkeit haben; denn es hält es für unpaffend,
daß Kinder wie Erwachsene gekleidet werden. Die Kleider der Jungen
sind aus einem Stücke dunkeln, getupften Kattuns gemacht. Erst, wenn
sie erwachsen sind, dürfen sie auch eine Jacke und eine rothe Weste an-
ziehen; dann jodeln sie aber auch gleich, wie ihre Eltern.
Weil das Rothkehlchen so gar gerne bei uns ist, so vergißt es
bisweilen, im Herbste seine Reise in wärmere Länder anzutreten, und
wird vom Winter überrascht. Da kommt es denn freilich in manche
Verlegenheiten; aber es läßt den Muth nicht sinken und weiß sich zu
Helsen. „Ich bleibe in der Nähe von Menschen," denkt es, „und
diese werden schon etwas für mich übrig haben." — Es wird auch, in
seiner Hoffnung nicht getäuscht; denn gern läßt man dem freundlichen
Vögelchen etwas zukommen. Der Winter geht glücklich vorüber, der
liebliche Frühling kommt, und Alles ist vergeffen. Das Rothkehlchen
stimmt wieder seine heitern Lieder an. I. C. G. Walther.
13. Waldkirche.
Wenn zum grünen Waldesgrunde
Kommt der Sonntag still herein,
Dann in erster Morgenstunde
Gehn zur Kirch' die Vögelein.
Waldraum wird zur Tempelhalle,
Und die Vöglein kommen alle,
Wenn der Glocken süßer Klang
Rufet mild den Wald entlang.
Maienblumen, zart gestaltet,
Sind im Wald die Glöckelein;
Haben früh sich all' entfaltet,
Läuten nun den Sonntag ein.
Alles reget froh die Schwingen,
Ueberall die Glöcklein klingen;!
Durch die Wipfel säufelt's auch,
Just, als wär's der Engel Hauch. -
Jetzo sängt mit zarter Weise
Nachtigall das Singen an;
Klinget erst so still und leise,
Tönet immer voller dann.
Und nun jubeln tausend Kehlen,
Thut kein einz'ges Vöglein fehlen.
Singen alle gar zu gern
Dankeslieder Gott, dem Herrn.
Schmidt.
14. Der Storch.
(Eine Darstellung seines Lebens, seiner Erscheinung, seines Baues.)
Es ist Frühlingsanfang, denn die Sonne steht im Frühlingszeichen,
im Widder; so verkündet uns der gelehrte Astronom in seinem Zeiten-
buche — dem Kalender. Die Berechnung stimmt, mag es nun auch
kalt oder warm sein, mag es schneien oder regnen, oder mag endlich
der launenhafte April in Schnee und Regen zugleich die Winterhärte
mit der Sommermilde vermählen: — es ist Frühlingsanfang, der Ka-
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
151
den Stamm der Waldbäume. Zarte Blumen entfalten sich aus den
Wurzeln der Theobroma, wie aus der dichten und rauhen Rinde der
Crescentien und der Guftavia. Bei dieser Fülle von Blüthen und Blät-
tern, bei diesem üppigen Wüchse und der Verwirrung rankender Ge-
wächse, wird es oft dem Naturforscher schwer, zu erkennen, welchem
Stamme Blüthen und Blätter zugehören. Ein einziger Baum mit Pau-
linien, Bignonien und Deudrobium geschmückt, bildet eine Gruppe von
Pflanzen, welche, von einander getrennt, einen beträchtlichen Erdraum
bedecken würden.
In den Tropen sind die Gewächse saftstrotzender, von frischerem
Grün, mit größeren und glänzenderen Blättern geziert, als in den
nördlichern Erdstrichen. Gesellschaftlich lebende Pflanzen, welche die euro-
päische Vegetation so einförmig machen, fehlen am Aequator beinahe
gänzlich. Bäume, fast zweimal so hoch als unsere Eichen, prangen dort
mit Blüthen, welche groß und prachtvoll wie unsere Lilien sind. An
den schattigen Ufern des Magdalenenflusies in Süd-Amerika wächst eine
rankende Aristolochin, deren Blume, von vier Fuß Umfang, sich die
indischen Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen. Im süd-
indischen Archipel hat die Blüthe der Rafflesia fast drei Fuß Durch-
messer und wiegt 14 Pfund.
Die außerordentliche Hohe, zu welcher sich unter den Wendekreisen
nicht blos einzelne Berge, sondern ganze Länder erheben, und die Kälte,
welche Folge dieser Höhe ist, gewähren dem Tropen - Bewohner einen
seltsamen Anblick. Außer den Palmen und Pisanggebüschen umgeben
ihn auch die Pslanzenformen, welche nur den nordischen Landern anzu-
gehören scheinen. Cypressen, Tannen und Eichen, Berberissträucher
und Erlen (nahe mit den unsrigen verwandt) bedecken die Gebirgsebenen
im südlichen Mexico, wie die Andeskette unter dem Aequator. So hat
die Natur dem Menschen in der heißen Zone verliehen, ohne seine Hei-
math zu verlassen, alle Pflanzengestalten der Erde zu sehen; wie das
Himmelsgewölbe pon Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden Wel-
ten verbirgt. ✓
Diesen und so manchen andern Naturgenuß entbehren die nordischen
Völker. Viele Gestirne und viele Pslanzenformen, von diesen gerade
die schönsten (Palmen und Pisaiiggewächse, baumartige Gräser und fein
gefiederte Mimosen), bleiben ihnen ewig unbekannt. Die krankenden
Gewächse, welche . unsere Treibhäuser einschließen, gewähren null ein
schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation. Aber in der
Ausbildung unserer Sprache, in der glühenden Phantasie des Dichters,
in der darstellenden Kunst der Maler ist eine reiche Quelle des Er-
satzes geöffnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft die lebendigen
Bilder einer exotisckcn Natur. An kalten Norden, in der öden Heide
kann der einsame Mensch sich aneignen, was in den fernsten Erdstrichen
erforscht wird, und so in seinem Innern eine Welt sich schaffen, welche
das Werk seines Geistes, frei und unvergänglich, wie dieser, ist.
Alerander von Humboldt.
TM Hauptwörter (50): [T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone]]
TM Hauptwörter (100): [T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T50: [Klima Land Meer Gebirge Europa Zone Norden Küste Süden Winter], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde]]
TM Hauptwörter (200): [T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T28: [Blatt Blüte Pflanze Baum Wurzel Frucht Stengel Zweig Erde Samen], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T109: [Europa Asien Afrika Amerika Australien Insel Erdteil Land Zone Klima]]