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1. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 5

1910 - Wittenberg : Herrosé
5 und um den Tisch ein Kreis sich schlingt; Großmütterchen allein sitzt nieder, die andern stehn umher im Kreis, ein Mägdlein spricht dann eins der Lieder, ein Abendtischgebet, halbleis, und dabei roten sich die Wangen, die Blicke sromm am Boden hangen: „An dem Himmel glänzt der Stern, und der Abend sinkt hernieder, uns're schönsten Dankeslieder bringen wir dem Herrn der Herrn; an dem Himmel glänzt der Stern!" „Täglich schenkst du uns das Brot, deine Kinder darben nimmer, Herr! es strahlt dein Gnadenschimmer auch auf aller Armen Not; täglich schenkst du uns das Brot!" „Laß uns danken warm und fromm, Gott, für deine Gottesgaben! Daß wir deinen Segen haben, komm als Gast, o Heiland, komm'! Laß uns danken warm und fromm!" Ein Amen schloß das Dankgebet. Wie um den Tisch der Kreis nun steht, mit Inbrunst alle die Hände falten, nachsprechend das Gebetlein leise, und Andacht herrscht im ganzen Kreise — da sieht man wohl ein höher Walten. Als sich die Maid erhob zu beten, da wurden die Gesellen still. Wie auf des Herrn Geheiß und Will' verstummten ängstlich sie, betreten, und legten scheu die Karten nieder. Zum Tisch gesenkt die Augenlider schlang Hand in Hand sich zum Gebet, wenn's auch noch nicht von Herzen geht; und fast verlegen nahm ein jeder vom Haupte sich die Mütz' von Leder. Und als die Maid geendet hat, da waren sie der Karten satt. In sich gekehrt ein jeder zahlte, wie's an die Wand die Wirtin malte, und alle schlichen still hinaus, und stille wird's im Friedenshaus. Sie sind bekehret durchs Gebet, durch das der Odem Gottes weht. L. Dill. 5. Die drei Freunde. Traue keinem Freunde, worin du ihn nicht geprüft hast! An der Tafel des Gastmahls gibt es mehr derselben, als an der Tür des Kerkers. Ein Mann hatte drei Freunde; zwei derselben liebte er sehr, der dritte war ihm gleichgültig, obgleich es dieser am redlichsten mit ihm meinte. Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er hart, aber un- schuldig verklagt war. „Wer unter euch," sprach er, „will mit mir gehen und für mich zeugen? Denn ich bin hart verklagt worden, und der König zürnet." Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht mit ihm gehen könne wegen anderer Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur Tür des Richthauses; da wandte er sich und ging zurück aus Furcht vor dem Zorn des Richters. Der dritte, auf den er am wenigsten gebaut hatte, ging hinein, redete für ihn und zeugte von seiner Unschuld so freudig, daß der Richter ihn losließ und beschenkte. Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen sie sich in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert? Das G e l d, fein bester Freund, verläßt ihn zuerst und geht nicht mit ihm. Seine Verwandten und Freunde begleiten ihn

2. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 6

1910 - Wittenberg : Herrosé
6 bis zur Tür des Grabes und kehren wieder in ihre Häuser zurück Der dritte, den er im Leben oft am meisten vergaß, sind seine wohl- tätigen Werke. Sie allein begleiten ihn bis zum Throne des Richters; sie gehen voran, sprechen für ihn und finden Barmherzig- keit und Gnade. I. ®. $erber. b) Vaterlandsliebe, Mut und Tapferkeit. 6. Aufruf. Frisch auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen, hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht. Du sollst den Stahl in Feindesherzen tauchen; frisch auf, mein Volk! — die Flammenzeichen rauchen, die Saat ist reif; ihr Schnitter, zaudert nicht! Das höchste Heil, das letzte, liegt im Schwerte! Drück' dir den Speer ins treue Herz hinein, der Freiheit eine Gasse! — Wasch' die Erde, dein deutsches Land, mit deinem Blute rein! Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen: es ist ein Kreuzzug, 's ist ein heilger Krieg! Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen; errette sie mit deiner Freiheit Sieg! Das Winseln deiner Greise ruft: „Erwache!" Der Hütte Schutt verflucht die Räuberbrut, die Schande deiner Töchter schreit um Rache, der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blur Zerbrich die Pstugschar, laß den Meißel fallen, die Leier still, den Webstuhl ruhig stehn! Verlasse deine Höfe, deine Hallen! — Vor dessen Antlitz deine Fahnen wallen, er will sein Volk in Waffenrüstung sehn. Denn einen großen Altar sollst du bauen in seiner Freiheit ew'gem Morgenrot; mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen, der Tempel gründe sich auf Heldentod. — Was weint ihr, Mädchen, warum klagt ihr, Weiber für die der Herr die Schwerter nicht gestählt, wenn wir entzückt die jugendlichen Leiber hinwerfen in die Scharen eurer Räuber, daß euch des Kampfes kühne Wollust fehlt?

3. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 8

1910 - Wittenberg : Herrosé
Bald nahten die Franzosen anch der Festung Kolberg, um sie zu erobern. Die Befestigungswerke befanden sich in erbärm- lichem Zustande. Wälle, Gräben und Schleusenwerke waren ver- fallen. Den Bewohnern fehlte es an Lebensmitteln, und die Zahl der Verteidiger war unzureichend. Nur drei Kanonen waren brauch- bar. Der Kommandant war ein mutloser, grämlicher Alter. Leicht hätten die Feinde die Stadt überrumpeln können. Nettelbeck jedoch, mit einem Herzen voll Gottvertrauen, Mut und Vaterlandsliebe, war entschlossen, alles an die Erhaltung Kolbergs zu setzen. „Nicht mit Reden und Schreiben ist hier zu helfen, sondern mit der Tat. Jeder auf seinen Posten, ohne sich viel umzusehen. Alle für einen und einer für alle." So lauteten seine Grundsätze. Auf Nettel- becks Veranlassung bildete sich eine Bürgerwehr von 800 Mann. Er besserte die Wälle, Schleusen und Verschanzungen aus und sorgte für einen Vorrat an Lebensmitteln. Der Kommandant tat fast nichts. Einen treuen Helfer fand Nettelbeck an dem kühnen Leutnant von Schill, der mit anderen Versprengten in die Stadt kam und später mit seiner Freischar ein am Strande gelegenes Wäldchen eine Zeitlang tapfer verteidigte. Unter der Engherzigkeit und Herrsch- sucht des Kommandanten konnte er es jedoch nicht lange aushalten. Er verließ Kolberg und starb drei Jahre später an der Spitze seiner mutigen Schar den Heldentod, getreu seinem Wahlspruche: „Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende." Am 1. März 1807 begannen die Franzosen die Beschießung der Stadt. Die Granaten schlugen bereits in die Häuser der Bürger ein. Die Zahl der Toten und Verwundeten nahm täglich zu. Eines Tages wurden die Schäden besichtigt, welche die feindlichen Geschosse in den Straßen angerichtet hatten. Nettelbeck war auch zugegen. Plötzlich schlug eine Granate ein und zersprang unweit des Kom- mandanten, ohne jemand zu verletzen. Der Kommandant war bleich vor Schrecken und stotterte die Worte heraus: „Meine Herren, wenn das so fortgeht, werden wir doch noch zu Kreuze kriechen müssen." Nettelbeck versetzten diese Worte in Wut, mit gezücktem Degen stürzte er auf den Obersten los und schrie: „Halt! Der erste, wer es auch sei, der das verdammte Wort zu Kreuze kriechen spricht, oder von Über- gabe der Festung redet, stirbt von meiner Hand!" Der Oberst schäumte vor Wut. „Arretieren!"*) Gleich arretieren! In Ketten und Banden mit ihm!" schrie er. Der Oberst wollte den Helden er- schießen lassen; jedoch die Bürger traten Mann für Mann für den Bedrohten ein, so daß ihm kein Haar gekrümmt wurde. Bald danach schrieb Nettelbeck einen Brief an den König, worin er sagte: „Wenn Eure Majestät uns nicht bald einen neuen und braven Kommandanten zuschicken, so sind wir unglücklich und ver- loren." Dieser Hilferuf fand Gehör. Major von Gneise- n a u traf als Kommandant ein. Die Ankunft dieses rüstigen Mannes von edler Haltung war eine herzliche Freude für den alten ') festnehmen.

4. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 10

1910 - Wittenberg : Herrosé
10 8. O, weine nicht. 1. Die Trommel ruft, o laß mich ziehn, lieb' Mutter, iu den heil'geu Krieg! Wie mir im Herzen Taten glühn, so glüht am Himmel uns der Sieg; mich ruft die Ehre, ruft die Pflicht, o, weine nicht! 2. Ich bin dein Sohn, der lieb und treu an deinem Herzen freudig hing, hab' deinem Wort mit frommer Scheu gelauscht, als ich ins Leben ging, jetzt ruft die Ehre mich, die Pflicht, o, weine nicht! 3. Stets war ja deiner Lehren Sinn die heilige Lieb' zum Vaterland, jetzt will ich zeigen, daß ich bin, was du gewollt, gib mir die Hand! Mich ruft die Ehre, ruft die Pflicht, o, weine nicht! 4. Du hast mir oft mit Stolz erzählt in meiner Kindheit gold'ner Zeit, wie einst mein Vater, kampfbeseelt, im Kriegerschmuck um dich gefreit, ihn rief die Ehre, rief die Pflicht, du weintest nicht! 5. O, laß mich fein ein würd'ger Sohn; wie er im Kampf für Freiheit stand, so treibt auch mich derselbe Lohn, dieselbe Lieb' zum Vaterland, mich ruft die Ehre, ruft die Pflicht, o, weine nicht! 6. Du hast gehütet mich, gepflegt, daß ich des Lebens würdig sei, und liebend mir ans Herz gelegt als Menschenziel der Worte zwei; du weißt, sie heißen: „Ehre, Pflicht!" o, weine nicht! 7. Wenn du mich liebst, bezwing' den Schmerz, der dir im Mutterauge steht; Gott weiß es, daß mein ganzes Herz für dich ein einziges Gebet, doch ruft mich Ehre jetzt und Pflicht, o, weine nicht; 8. In diesen Worten groß und schön, lieb'mutter, muß ein Menschenglück, muß selbst die Liebe untergehn, o, halte, halt' mich nicht zurück! Der Ehre folg' ich, folg' der Pflicht: o, weine nicht! 9. Mich ruft des Vaterlandes Not, es winkt der Sieg mir in der Fern', auf Wiedersehn, behüt' dich Gott! Und sterb' ich, nun, dann sterb' ich gern für meine Ehre, meine Pflicht; dann weine nicht! 4- Jahn, <) Leutseligkeit und Fürsorglichkeit. 9. Christian Fürchtegott Geliert. Geliert war der Sohn eines Pfarrers zu Hainichen bei Frei- berg in Sachsen und wurde 1715 geboren. Die Eltern erzogen ihre dreizehn Kinder in der Furcht und Vermahnung zum Herrn. In der zahlreichen Familie ging es knapp her. Gellert mußte deshalb

5. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 12

1910 - Wittenberg : Herrosé
— 12 — Frau. Er nahm die Bedrängte mit in seine Wohnung und brachte glücklich noch 30 Taler für sie zusammen. Schon vor der Frau aber war der Wohltäter bei dem ihm bekannten, hartherzigen Kaufmann, dem er klug und dringlich ins Gewissen redete, so daß des Reichen Herz warm wurde. Er schenkte der unglücklichen, aber rechtschaffenen Familie die Miete, kaufte sogar stärkende Speisen und Getränke, gab dem genesenden Mann Arbeit, nahm den ältesten Sohn ins Geschäft und sorgte für das Fortkommen der kleineren Kinder. Von Geliert hatte er gelernt, so edel zu handeln; auch er ward überzeugt, daß es ein beseligendes Bewußtsein ist, Freude und Glück bereitet zu haben. Gellert aber ging noch weiter, indem er auch die Leiden der Verworfensten zu lindern suchte. Er lernte einst einen Menschen kennen, der durch Wohlleben und Sinneslust körperlich und geistig sich zerrüttet hatte. An einer ekelhaften, unheilbaren Krankheit siechte er dahin und stieß in seiner Verzweiflung die fürchterlichsten Flüche aus. Alle flohen von ihm und ließen ihn ohne Hilfe. Da sagte Gellert: „Ich will etwas dazu beitragen, daß seine Seele zu Gott geführt wird." Er trat dem Unglücklichen näher. Das teilnahm- volle Auge, der liebevolle Blick, die hilfsbereiten Hände des Men- schenfreundes überwältigten des Gottlosen Herz; aus dem Flucher wurde ein Gläubiger, aus dem Spötter ein Verehrer Gottes. Seine Lieder übten großen Einfluß auf alle Schichten des Volkes aus. Ein ernster, christlicher Maurermeister beschäftigte eine große Anzahl von Gesellen. Es tat seinem Herzen weh, daß viele sittlich verwahrloste Menschen unter ihnen waren, die sich in Flucheil und Schwören wohlgefielen. Er sann auf Mittel, dieser Roheit zu wehren. Da ließ er in der Nähe des Bauplatzes eine große Tafel mit den Worten Gellerts anbringen: „Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst, gelebt zu haben." Zu seiner Freude blieben diese Worte nicht ohne Einfluß auf die rohen Gemüter. Einer nach dem andern ging in sich, und ein besserer Geist brach sich Bahn. Die Worte: „Ehre Vater und Mutter mit der Tat, mit Worten und Geduld, auf daß ihr Segen über dich komme", waren tief in Gellerts Herz eingeschrieben. Es war ihm ein Vergnügen, nach bestem Vermögen zur Bequemlichkeit und Zufriedenheit seiner alten Mutter beizutragen. Das ganze Vaterland trauerte, als es die Kunde erhielt: Gellert ist tot. Die Gebeine des Würdigen ruhen in der Johannis- kirche in Leipzig. Nach Franz Otto. 10. Johann Friedrich Merlin. Oberlin, das Musterbild eines gemeinnützig wirkenden Geist- lichen, ist am 31. August 1740 geboren. Sein Vater war Professor in Straßburg. Schon als Knabe bewies er stillen Ernst und frommen Sinn; daher wurde er für den geistlichen Stand bestimmt. Mit Lust und Liebe gab er sich dem Studium der Theologie in seiner

6. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 13

1910 - Wittenberg : Herrosé
13 Vaterstadt hin und hielt sich fern von allen zerstreuenden weltlichen Genüssen. In seinem 27. Lebensjahre wurde er vom evangelischen Konsistorium in Straßburg zum Pfarrer der Gemeinde Walders- bach im sogenannten Steintal ernannt. Einige Dörfer mit etlichen Höfen des letzteren bildeten eine Grafschaft. Diese Orte befanden sich zur Zeit der Anstellung Oberlins in dem Zustande einer äußeren und inneren Verwahrlosung. In bezug auf Lage, Bodenart und Witterungsverhältnisse gehört das Steiutal zu den am wenigsten begünstigten Strichen des Elsaß. Etwa 12—14 Stunden von Straßburg entfernt, war es von jedem Verkehr abgeschlossen. Da das Tal in nordöstlicher Richtung sich hinzieht, hat es ein rauhes Klima; dazu war der Boden steinig und lohnte kaum der Bewirt- schaftung. Das Land lag daher zum größten Teile brach. Not und Armut herrschten allgemein; Gewerbe, Handel und Verkehr gab es nicht. Bei solcher Sachlage ist es nicht zu verwundern, daß die Leute auf einem sehr tiefen Standpunkt der Bildung und Gesittung stan- den. Der junge Oberlin war hier auf ein Arbeitsfeld gestellt, wo ihm alles zu tun übrig blieb. Er griff sein schweres Werk mit Mut und Zuversicht an, beschränkte sich aber nicht auf die seelsorger- liche Tätigkeit durch Kanzelvorträge und Hausbesuche, sondern wagte sich auch auf das Gebiet der Landwirtschaft. Seine Besol- dung bestand hauptsächlich in den Erträgen eines Pfarrgutes. Ober- lin bewirtschaftete es mit seinen Leuten mustergültig. Wenn nun zur Zeit der Aussaat oder noch mehr der Ernte das Pfarrland schön, sauber und ergiebig war, dann machten die Bauern große Augen und schämten sich vor ihrem Pfarrer. Hätten sie nicht die unablässigen Mahnungen ihres Pfarrers bestimmt, ihm nachzu- ahmen, so hätte es doch gewiß der in die Augen fallende Vorteil ver- mocht. Bald folgten sie ihm in allen Stücken. Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen wurden hergestellt, wie es die Notdurft er- forderte; der Obstbau, der Anbau von Kartoffeln, Flachs und an- deren Gewächsen wurden neu eingeführt, soweit es die rauhe Witte- rung gestattete. Auch für die Einführung geeigneter Ackergerät- schaften sorgte Oberlin. Um den Leuten die Anschaffung zu er- leichtern, schaffte er sie für eigene Rechnung an und überließ sie ihnen für den Selbstkostenpreis und gegen Teilzahlungen. Um den Ver- kehr zu ermöglichen, ließ Oberlin gute Wege und selbst Laudstraßen anlegen; sogar eine Brücke bauten die Bewohner des Steintals, die nach Zweck und Ursache ihrer Entstehung noch heute die „Liebes- brücke" heißt. Zur Unterstützung der Armen wurden Kassen gegründet, aus denen sie zeitweilige Unterstützung oder Darlehen empfingen. Arbeitsscheue Menschen bekamen nur Brot, wenn sie nur Lohn ar- beiteten. Neben der äußeren griff Oberlin auch die innere Arbeit mit ganzer Kraft an; er war rastlos im Hansbesuchen und ging den einzelnen Seelen mit Treue nach. Zugleich war er aber auch ihr Ratgeber in häuslichen Angelegenheiten, ihr Arzt, Chirurg, Kranken-

7. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 14

1910 - Wittenberg : Herrosé
14 Wärter und Bote. Gleich zu Anfang richtete er sein besonderes Augenmerk auf die Schulen, für die er nur unter großen Schwierig- keiten Lehrer gewinnen konnte. Viel Mühe kostete es auch, die Eltern zu veranlassen, ihre Kinder regelmäßig in die Schule zu schicken. Trotz aller Hindernisse hatten die Schulen bald ihren ge- ordneten Fortgang. Doch damit war der häuslichen Verkommen- heit noch nicht abgeholfen. Es fehlte an der Erziehung der Mädchen, die sie befähigte, auch in einer armen Familie Ordnung, Reinlich- keit ^ und Behaglichkeit herzustellen. Auch Stricken, Nähen und Flicken waren im Steintale damals ziemlich unbekannt. Die Frauen verschwatzten lieber ihre Zeit, als daß sie sich um ihr Hauswesen be- kümmerten', die Kleider waren entweder neu und ganz, oder alt und zerrissen. Unter dem Beistände seiner treuen Lebensgefährtin ar- beiteteoberlin diesenzuständen kräftig entgegen, indem er auf eigene Kosten in jedem Dorfe seiner Gemeinde in geräumigen Zimmern sogenannte Strickschulen errichtete und mit Lehrerinnen versah. Die treue Magd Luise Scheppler, die mit guten Geistesanlagen, einem empfänglichen Herzen, Milde und herzlicher Liebe gesegnet war, arbeitete nicht nur als treue Stütze der Hausfrau, sondern auch als Lehrerin der Strickschule. Aber eine bedeutende Lücke blieb noch auszufüllen, aus die Luisens aufmerksames Auge zuerst fiel. Da die Mütter oft den ganzen Tag über außerhalb des Hauses ihrem Verdienste nachgehen mußten, waren die Kleinen daheim vielen Ge- fahren der Verwahrlosung ausgesetzt. Luise sammelte diese kleinen Kinder täglich um sich und nahm sie in mütterliche Pflege. Sie sorgte für die Reinlichkeit ihres Körpers, erzählte ihnen biblische und andere anziehende und belehrende Geschichten, lehrte sie ihre Händ- chen zum Gebet falten und ihre zarten Stimmen in munteren, kind- lichen Weisen zu Gott erheben, zeigte ihnen Bilder vor und ver- anstaltete mit ihnen allerlei heitere Spiele. So wechselten Ernst und Scherz, Arbeit und Spiel, wie wir es heute noch in unseren K i n d e r b e w a h r a n st a l t e n finden. Als Oberlin am 1. Juni 1826 starb, wurde er als „Vater" seiner Steintaler herzlich und schmerzlich betrauert. Möchte er viele Nachahmer finden! Naq A. Gilb «. 0. 11. Der Brief?) Es stand auf Posten ein Grenadier, ein Brieflein in der Hand, — gar grobe Schrift und gar grobes Papier — von Hause hergesandt. Und wie er eifrig im Briefe las, da hört er reiten von ferne was. Das Brieflein warf er zur Erde nur und sich in Positur. Es galoppiert heran die Schar, er schultert das Gewehr; und da darunter der König war,, so präsentierte er. Der König lachte und schaute an :) Eine wahre Begebenheit.

8. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 18

1910 - Wittenberg : Herrosé
18 Flecke. Wie der mit dem Rückwärts einmal hinter dem Glas saß, brachte er wie durch Zufall die Rede auf die Spatzen und erzählte non diesem Gevögel dies oder das, wie gar erstaunlich sie sich mehrten, wie sie schlau und gefräßig wären, und der Rückwärts nickte dazu und meinte, seine Weizenäcker trügen seit lange nicht mehr so gut; zweifelsohne wäre der Spatzenfraß immer daran schuld. Der Hausfreund ließ es dahin gestellt und fuhr fort: „Aber, Nachbar, habt Ihr denn schon einen weißen Spatzen gesehen?" „Nein," gab der Rückwärts zur Antwort, „die hier herum- fliegen, sind alle grau." „Glaub's wohl," sagte daraus der Nachbar, „mit dem weißen Spatzen hat es sein eigen Bewenden. Alle Jahre kommt nur einer zur Welt, und weil er gar absonderlich ist, so beißen ihn die anderen, und er muß sein Futter suchen am frühen Morgen und dann wieder zu Neste gehen." „Das wäre!" sagte Rückwärts, „den muß ich sehen, und ge- lingt's, da sang ich ihn auch." Am nächsten Morgen in aller Frühe war der Bauer auf den Beinen und ging um seinen Hos herum, auch ein Stücklein ins Feld hinein, ob der weiße Spatz nicht bald vom Neste käme. Aber der wollte nicht kommen, und das verdroß den Bauer, jedoch noch mehr, daß auch sein Gesinde nicht aus dem Neste wollte, und die Sonne stand schon hoch. Dazu schrie das Vieh in den Ställen, und es war niemand da, der ihm Futter gab. Indem sieht er einen Knecht auf dem Hofe kommen, der trägt einen Sack auf der Schulter und will schnell zum Hoftore hinaus: dem eilt er nach und nimmt ihm die Last ab; denn in die Mühle sollte sie nicht, sondern ins Wirtshaus, wo der Knecht stark auf der Kreide stand. Nach dem weißen Spatzen sehend, schaut der Bauer in den Kuhstall hinein, wo eben die Milchmagd einer Nachbarin durchs Fenster die Milch zum Morgenkaffee reicht, und die Milch war nicht mit des Herrn Maß gemessen. „Eine saubere Wirtschaft das!" denkt der Bauer und weckt scheltend sein Weib und erklärt, das lange Schlafen müsse ein Ende haben, oder er wolle nicht Rückwärts heißen. Und bei sich selber denkt er: „Stehe ich früh aus wie heute, so muß auch das Packvolk aus dem Hose heraus, und dabei sehe ich am Ende doch den weißen Spatzen, und will's das Glück, so fange ich ihn auch." Wie aber der Bauer das etliche Wochen getrieben hatte, da sah er nicht mehr nach dem weißen Spatzen, sondern dachte allein au seincu Vorsatz, und aus dem Rückwärts wurde bald eiu Vorwärts. Und als der Nachbar wieder kam und ihn fragte: „Wie steht's, Ge- vatter, habt ihr den weißen Spatzen gesehen?" da lächelte W Bauer und drückte dem Freund die Hand und sagte: „Gott lohn's Euch." O. Glaubrccht.

9. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 20

1910 - Wittenberg : Herrosé
20 der Herr Frege selber! In meiner Angst fällt mir der letzte Bissen von meiner süßen Speise ans der Hand, und der vorausspringende Hund schnuppert's gleich auf; ich wickle schnell mein Papier zu- sammen und weiß mir gar nicht zu helfen. „Ei! Herr Keller!" sagte Herr Frege, „was machen Sie da? Glauben Sie, Sie be- kommen bei mir nicht genug zu essen?" Was soll ich darauf sagen? Ich denke, du bleibst bei der Wahrheit. Ich sag' ihm nun, daß es sich bei mir nicht austragen will, gegen zwei Taler Trinkgeld für ein einziges Mittagessen zu geben und so und so, und daß ich mir vorgenonunen habe, mich heute abend oder morgen früh zu entschuldigen, weil ich nicht kommen kann. — Da lacht er ganz laut auf und sagt: „Ja, das müssen Sie ja tun, sonst werd' ich bös; ich erwarte Sie um fünf Uhr, fehlen Sie ja nicht. Wünsche gesegnete Mahlzeit." Und fort war er mit seinem Braunen. Ich weiß nun gar nicht, was ich machen soll; ich denke aber: „Nun, fressen wird er dich nicht, er muß um fünf Uhr noch genug haben von Mittag her." Wie's also fünf Uhr gebembert hat, geh' ich hin, inan weist mies) in sein Kontor,*) und da kommt er mir entgegen, nimmt mich bei der Hand und führt mich in das Kabinettchen und sagt zu mir: „Lieber Herr Keller, Sie haben für 10000 Taler Kredit bei mir; wenn Sie aber das Doppelte brauchen und auch noch mehr, sagen Sie mir's nur offen."—Ich sage: „Sie irren sich, ich habe nur für loootaler." Da sagt er mir: „Es bleibt dabei, wie ich schon gesagt habe: Sie sind ein Mann, der zu sparen weiß, und heute abend essen Sie ganz allein bei mir in meiner Familie." Und so ist's auch geschehen, und das hat mir noch besonders gefallen, daß er die Geschichte seiner Frau und seinen Kindern nicht erzählt hat, bis ich von Leipzig fort- gewesen bin. Er hat wohl gemerkt, daß es mir leid täte, wenn man auch in aller Güte darüber lachen würde. — So ist's mir durch die Gelbwurst möglich geworden, eine der größten Tuchfabriken anzu- legen, und so lange der alte Frege gelebt hat, habe ich jede Messe bei ihm allein zu Nacht gegessen, und da ist immer zuletzt noch Gelb- wurst aufgetragen worden. *•. Auerbach. 16. Die kluge Hausfrau. Ein junger Landmann pachtete einen ansehnlichen Gasthof, der sehr gut gelegen war. Bon den Eigenschaften, die zu einem Wirte gehören, besaß er vorzüglich die Behaglichkeit; sie hatte ihn in bor Wahl seines jetzigen Gewerbes bestimmt und breitete sich auch über alle Gäste aus, die sich bald bei ihm versammelten. Er hatte ein junges Mädchen geheiratet von stillem, wohlkleid- lichem Wesen. Sie versah ihre Geschäfte gut und pünktlich, sie hing an ihrer Wirtschaft und liebte ihren Mann. Doch mußte sie ihn *) Geschäftszimmer.

10. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 22

1910 - Wittenberg : Herrosé
22 Margarete schilderte ihm darauf fein Betragen, die Art, wie er einnehme und ausgebe, den Mangel an Aufmerksamkeit; selbst seine gutmütige Freigebigkeit kam mit in Anschlag, und freilich ließen ihn die Folgen der Handlungsweise, die ihn so sehr drückten, keine Entschuldigung ausbringen. Margarete konnte ihren Gatten nicht lange in dieser Verlegen- heit lassen, um so weniger, als cs ihr so sehr zur Ehre gereichte, ihn wieder glücklich zu machen. Sie setzte ihn in Verwunderung, als sie zu seinem Geburtstage, der eben eintrat, und an dem sie ihn sonst mit etwas Brauchbarem anzubinden Pflegte, mit einem Körbchen voll Geldrollen ankam. Die verschiedenen Münzsorten waren be- sonders gepackt, und der Inhalt jedes Röllchens war mit schlechter Schrift, jedoch sorgfältig, darauf gezeichnet. Wie erstaunte der Mann, als er beinahe die Summe, die ihm fehlte, vor sich sah, und die Frau ihm versicherte, das Geld gehöre ihm zu! Sie erzählte darauf, was sie ihm entzogen, und was durch ihren Fleiß erspart worden sei. Sein Verdruß ging in Entzücken über, und die Folge war, daß er Ausgabe und Einnahme der Frau vollstäudig über- trug, seine Geschäfte nach wie vor, nur mit noch größerem Eifer, be- sorgte, von dem Tag an aber keinen Pfennig Geld mehr in die Hände nahm. Margarete verwaltete das Amt eines Kassierers mit großen Ehren, kein falscher Laubtaler, ja kein verrufener Seck)ser ward angenommen, und durch ihre Tätigkeit und Sorgfalt fetzten sie sich nach Verlauf von zehn Jahren in den Stand, den Gasthof mit allem, was dazu gehörte, zu kaufen und zu behaupten. - » I. W. t>. Goethe. 17. Das Haus Gruit vau Zteen. Das Handelshaus Gruit van Steen war im Beginne des sieb- zehnten Jahrhunderts eines der angesehensten, reichsten und fest- begründetsten in Hamburg. Das Oberhaupt des Hauses war da- uwls Hermann Gruit, der nach dem Tode des ehrwürdigen Vaters mit der Handlung und dem Hause auch den alten Jansen als Erb- stück mit überkommen hatte, einen goldtreuen Diener des Hauses, mit Leib und Seele wie sonst dem alten, nun dein jungen Herrn zu- getan, den er schon als Kind auf den Knien geschaukelt hatte. Wenige verstanden das Handelswescn damaliger Zeit bis in seine äußersten Verzweigungen so von gründ aus, wie der alte Jansen, daher galt auch sein Wort in der Schreibstube wie das des Herrn selbst. Der dreißigjährige Krieg verheerte schon seit zwanzig Jahren unser armes Vaterland durch Raub, Mord und Brand von einem Ende zum anderen; Städte und Dörfer waren zu hunderten verheert und verlassen von den Bewohnern, die mit dem Vieh in die Wälder geflohen waren, um sich vor den räuberischen, blutigen Händen der gottlosen Kriegsleute zu retten. Unter diesen Umständen und namentlich auch bei der Unsicherheit der Straßen in allen Ländern war cs kein Wunder, daß der Handel stockte und vorzüglich der Be-
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