Oestreichs Kämpfe mit Preußen. 583
Anstrengung seiner Truppen und durch den Heldenmuth und Helden-
tod Schwerins gewann Friedrich den glanzenden, aber theuer er-
kauften Sieg bei Prag. Doch widerstand die Hauptstadt allen An-
griffen und schon im nächsten Monate brachte die Niederlage bei
Kollin durch den tapfern östreichischen Feldmarschall Daun den preußi-
schen König um alle Vortheile. 20,000 heldenmüthige Krieger hatte
Friedrich durch den Sieg und die Niederlage eingebüßt. Seine ver-
düsterte Gemüthsstimmung vor und nach dem Tage von Kollin gab
Zeugniß von den schweren Sorgen, die auf ihm lasteten. Verfolgt
von den Oestreichern zog er mit dem Reste seiner Truppen nach der
Oberlausitz, wendete sich aber bald wider die in Verbindung mit
der deutschen Reichsarmee heranrückenden Franzosen, die sich
eben anschickten in Sachsen Winterquartiere zu nehmen, nachdem sie
Friedrichs Bundestruppen bei Hastenbeck (unweit Hameln) besiegt
und den ungeschickten englischen Anführer (Cumberland) zu dem schmach-
vollen Vertrag (Convention) von Kloster Seven gezwungen hatten.
Der sittenlose Prinz von Soubise, ein Günstling der Pompadour
und ein vertrauter Genosie der Lustschwelgereien (Orgien) Ludwigs Xv.,
stand mit großer Heeresmacht an der Saale, als Friedrich einen un-
erwarteten Angriff machte und in der Schlacht bei Roßbach den
glänzendsten Sieg davontrug. Das französische Heer folgte, unter Zu-
rücklassung seines mit Mode- und Luxusartikeln reich versehenen Ge-
päcks, in wilder Flucht der von dem Prinzen von Hildburghausen
befehligten Reichsarmee, die gleich beim Beginn der Schlacht so
eilig davon geflohen war, daß der Witz der Spötter ihre Benennung
in ,,Reisausarmee" verkehrte. Von dem an war Friedrich der Held
des Tages bei den Patrioten und der Stolz des protestantischen Deutsch-
lands. — Mittlerweile hatten die Oestreicher in Schlesien glückliche
Fortschritte gemacht. Winterfeldt, Friedrichs Vertrauter, war ge-
fallen, Schweidnitz und Breslau mit ihren gefüllten Magazinen und
Zeughäusern in die Hände der Feinde gerathen; viele tapfere Preußen
trauerten in Kriegsgefangenschaft. — Da erschien Friedrich und führte
einen raschen Umschwung der Dinge herbei. In der Schlacht bei
Leuthen gewann er durch f.ine geschickte Anordnung einen glorreichen
Sieg über die dreimal stärkern von Daun angeführten Feinde und
brachte Breslau und ganz Schlesien wieder in seine Gewalt.
Schwer lastete indessen die Kriegsnoth auf dem nördlichen Dentsch-
land. Preußen wurde von den russischen Schaarcn hart mitgenommen;
in Pommern zehrte das unthätig weilende schwedische Heer vom Mark
des Volkes und in Hannover, Braunschweig und Hessen-Cassel sog der
Mai
1757.
Juni
Juli
5. Nov.
TM Hauptwörter (50): [T2: [Schweden Friedrich Heer Schlacht Sachsen König Gustav Kaiser Krieg Schlesien]]
TM Hauptwörter (100): [T85: [Friedrich Schlacht Heer Sachsen Schlesien Sieg König Böhmen Feind Kaiser]]
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Extrahierte Personennamen: Oestreichs Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrichs Ludwigs_Xv. Ludwigs_Xv. Friedrich Friedrich Friedrich_der_Held Friedrich Friedrichs Friedrich Friedrich
584
Das achtzehnte Jahrhundert.
sittenlose Herzog von Richelieu, der durch Erpressungen und Kriegs-
steuern sich neue Mittel zur Verschwendung und Schwelgerei zu verschaffen
suchte, das Land auf so empörende Weise aus, daß der französische Hof
sich seiner schämte und ihn abberief.
§. 633. Zorndorf, Hochkirch (1758). In England war
Friedrich seit der Schlacht von Roßbach der Abgott des Volkes. Da-
her beschloß das Ministerium, in dem der große Pitt (Lord Chatam) .
den größten Einfluß besaß, den Vertrag von Kloster Seven aufzu»
heben, den König von Preußen mit Geld und Truppen reichlicher zu
unterstützen und ihm die Bestimmung des Feldherrn zu überlassen. Er
ernannte zum Anführer des Bundesheers den umsichtigen Ferdinand
von Braunschweig, der beim Beginn des Frühlings die Fran-
zosen über den Rhein trieb, ihnen bei Erefeld eine Niederlage bei-
brachte und den ganzen Sommer hindurch Norddeutschland vor ihren
räuberischen Einfällen sicher stellte. — Die Russen hatten sich nach
dem Sieg bei Groß-Iagerndorf plötzlich zurückgezogen, weil
Bestucheff, in der Meinung die Kaiserin Elisabeth würde der gefähr-
lichen Krankheit, von der sie ergriffen war, erliegen, den bevorstehen-
den Thronwechsel zur Ausschließung des ihm verhaßten Großfürsten
Peter (von Oldenburg) benutzen wollte. Als aber Elisabeth genas
und von dem Vorhaben Kunde erhielt, verbannte sie Bestucheff
und schickte Fermor mit großer Heeresmacht an die Oder. Preußen
wurde besetzt und, als ob das Land schon eine sichere Beute wäre, die
Bürgerschaft von Königsberg zum Huldigungseid gezwungen. Dann
rückten die wilden Kriegsschaaren in's Brandenburgische ein, legten
Küstrin in Asche und füllten das Land mit Brand, Mord und Ver-
wüstung. Da machte Friedrich von Mähren aus, wohin er nach
der Eroberung von Schweidnitz, der letzten Besitzung der Oestreicher
in Schlesien, im Frühling gezogen war, einen meisterhaften Rückzug
an die Oder und steuerte dem weitern Vordringen der Russen durch die
August mörderische Schlacht bei Zorndorf, wo die Preußen, hauptsächlich
durch die Geschicklichkeit des tapfern Reiterführers Seydlih, des Hel-
den von Roßbach, einen freilich mit schweren Opfern erkauften Sieg
erfochten. Hierauf wollte Friedrich seinem von den Oestreichern be-
drängten Bruder Heinrich nach Sachsen zu Hülfe ziehen, aber von
Dauntz überlegenem Heere in einer ungünstigen Stellung überrascht
Oktober verlor er bei dem Ueberfall von Hochkirch sein ganzes Geschütz und
viele tapfere Streiter. Dennoch bewerkstelligte er durch einen geschickten
Marsch seine Verbindung mit Heinrich und verdrängte die Feinde aber-
mals aus Schlesien und Sachsen.
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Extrahierte Personennamen: Richelieu Friedrich Friedrich Ferdinand
von_Braunschweig Ferdinand Elisabeth Peter_( Königsberg Friedrich_von_Mähren Friedrich August Reiterführers_Seydlih Friedrich Friedrich Heinrich Heinrich Dauntz Heinrich Heinrich
585
Oestreichs Kämpfe mit Preußen.
§. 634. Kunersdorf (1759). Aber bald zog sich ein neuer
Sturm über Friedrichs Haupt zusammen. Wahrend der preußische König
an großer Erschöpfung litt, die Lücken, die die Schlachten in seinen geüb-
ten Truppen hervorgebracht, durch drückende Aushebung junger unerfahr-
ner Rekruten mühsam ergänzte und seine Bedürfnisse an Geld und Lebens-
mitteln nur durch harte Kriegssteuern und Auflagen kümmerlich deckte, er-
langte Maria Theresia durch den geistreichen, gewandten, bei der Pompa-
dour und dem König viel vermögenden Minister C h o i seu l aufs Neue die
Zusicherung reicher Hülfsgelder und großer Heere, und Elisabeth suchte
durch Siege die Erinnerung an Zorndorf zu verwischen und schickte neue
Kriegsschaaren unter Soltikoff gegen Preußen ins Feld. Friedrichs Starke
beruhte auf der Begeisterung des Volks für den Helden und in der Be-
wunderung der Gebildeten für den geistreichen, freidenkenden König, die
nirgends größer war als in dem tonangebenden Frankreich, woraus sich
deutlich erkennen ließ, daß die Politik der Regierung mit den Wünschen
und Ansichten des Volks nicht im Einklang stand. Eine Heeresab-
theilung, die Friedrich gegen die Russen schickte, um deren Verbindung
mit den Oestreichern zu verhindern, wurde bei Züllichau geschlagen, 3e
und als er selbst die nunmehr vereinigten und zu großer Heeresmacht ange-
wachsenen Gegner unweit Frankfurt an der Oder mit einer viel geringern
Armee angriff, erlitt er in der blutigen Schlacht von Kunersdorf, August
nachdem er die Russen bereits siegreich zurückgeschlagen, durch die unter
dem geschickten Feldherrn Laudon zu günstiger Zeit hervorbrechenden Oest-
reicher eine so vollständige Niederlage, daß er an einem glücklichen Aus-
gang des Kriegs zu verzweifeln begann und kleinmüthig den Tod wünschte.
Den Feinden stand der Weg nach Berlin offen, aber die Uneinigkeit der
Russen und Oestreicher bewirkte, daß der Sieg nicht so benutzt wurde, wie
Maria Theresia wünschte. Dagegen ging Dresden und nach der unglück-
lichen Capitulation von Maxen, wo 12,000 Preußen in Kriegsgefan-
genschaft geriethen, auch noch andere Theile von Sachsen verloren. Die
Rettung des Uebrigen verdankte Friedrich der allzugroßen Bedächtigkeit
Dauns. — Glücklicher hatten indessen Friedrichs Verbündete unter Fer-
dinand von Braunschweig gegen die Franzosen gefochten. Zwar
hatte Broglio in der Schlacht von Bergen bei Frankfurt a. M.
die Oberhand behalten, aber Ferdinands glänzend er Sieg bei Minden Juli
trieb das französische Heer über den Rhein zurück und rettete Westphalen
und Hannover.
8 635. Liegnitz. Torgau (1760). Diese Unfälle hatten das
preuß. Heer so geschwächt, daß der König beim Wiederausbruch des Krie-
ges sich gegen seine Gewohnheit Vertheidigungsweise verhalten mußte.
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Extrahierte Personennamen: Friedrichs Maria_Theresia Maria Theresia Elisabeth Friedrichs Friedrich Friedrich August Maria_Theresia Maria Theresia Friedrich Friedrich Dauns Friedrichs Broglio Ferdinands
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Frankfurt Berlin Dresden Maxen Sachsen Frankfurt Rhein Hannover Liegnitz Torgau
586
Das achtzehnte Jahrhundert.
Zwar führten Friedrichs Name und die Gewandtheit seiner Werber aus
allen Gauen Schaaren von Rekruten zu den preußischen Fahnen; aber den
Abgang waffenkundiger Offiziere und gedienter Soldaten konnten selbst
Friedrichs hohe Feldherrngaben nicht ganz ersetzen. Zur Bestreitung der
Kriegskosten mußte er zu den drückendsten Auflagen und zur Prägung ge-
ringhaltiger Geldmünzen seine Zuflucht nehmen. Wahrend er von Dauns
Heer beobachtet in Sachsen weilte und umsonst Dresden wieder in seine
Gewalt zu bringen suchte, ging Schlesien nach der, übrigens ehrenvollen
Niederlage des tapfern, dem König sehr befreundeten Fouquet bei
Luni Landshut durch die viermal überlegene Streitmacht Laudon's verloren.
Da gab Friedrich Sachsen preis, um Schlesien wieder zu erwerben. Und
obgleich zwei östreichische Heere sein Borhaben zu vereiteln suchten, so er-
August reichte er doch durch den glanzenden Sieg bei Liegnitz an der Ka tzbach
über Laudons Truppen seinen Zweck und verhinderte die Bereinigung
der östreichischen und russischen Streitkräfte. Dagegen konnte er nicht ver-
hüten, daß nicht östreichische und russische Truppen in die Mark ein-
brachen, Berlin besetzten und das Erbland des Königs mit Raub und
Verwüstung heimsuchten, bis die Nachricht von Friedrichs Anrücken sie zu
rascher Flucht trieb. Nun nahm Daun eine feste Stellung auf einer An-
höhe unweit der Elbe, um den Winter in Sachsen zuzubringen, indeß
Soltikoff Miene machte, seine Rüsten ins Brandenburgische zu führen.
Um Beides zu hintertreiben wagte Friedrich den verwegenen Angriff auf
Dauns Lager, obgleich vor den aufgestellten Feuerschlünden die tapfern
Krieger schaarenweise hinstürzten. Durch den unter Ziethens Beistand
Nov. schwer errungenen Sieg bei Torgau gewann der preußische König Sach-
sen wieder und konnte die Winterquartiere in Leipzig beziehen; aber
14,009 Streiter bedurften keiner Herberge mehr: Daun's Lagerstätte war
ihre Grabstätte geworden.
§. 636. Friedrichs Bedrängn iß (1761). Nun schien Friedrich
den von allen Seiten auf ihn einstürmenden Mißgeschicken erliegen zu
müssen. Dresden und ein Theil von Sachsen war in Daun's Gewalt;
durch den Besitz der Festung Glatz hatte Laudon einen Halt in Ober-
schlesien; Preußen war in den Händen der Russen, in Pommern lagen
die Schweden und über den Rhein zogen zwei französische Armeen von
mehr als 150,000 Mann. Diesen feindlichen Streitkräften hatte Friedrich
nur kleine aus ungeübten Neulingen bestehende Heere entgegenzustellen;
und da Lord Bute, der Günstling des neuen Königs von England, Ge-
orgs Ih., dem preußischen Monarchen die Hülfsgelder entzog, so konnte
dieser nur durch harten Druck und Erpressungen der ihm noch unterwor-
fenen Landschaften, besonders Leipzigs, die Kosten zu einem neuen Feld-
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Extrahierte Personennamen: Friedrichs Friedrichs Friedrich_Sachsen Friedrich August Friedrichs Friedrich Friedrich Friedrichs Friedrich Friedrich Glatz Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Dresden Liegnitz Berlin Friedrichs Sachsen Torgau Leipzig Dresden Sachsen Pommern Schweden Rhein England
206
Das christliche Mittelalter.
1144 schulischen Reiche am Euphrat und Tigris, Edessa eroberte und die
Gränzen des Königreichs Jerusalem bedrohte, gelang es dem heiligen
Bernhard, Abt von Clairvaux in Burgundien den schlummern-
den Religionseifer wieder zu wecken. Das Ansehen dieses Mannes,
dessen Enthaltsamkeit und Ertödtung aller sinnlichen Begierden durch
Kasteiung und Selstpeinigung aus seinem abgehärmten Körper ersicht-
lich war, hatte solches Gewicht, daß Ludwig Vii. von Frankreich
seiner Aufforderung Folge leistete und selbst Konrad Hi. ihm nicht zu
widerstehen wagte, als er ihn im Dome zu Speyer in einer feurigen
Rede ansprach. Konrad nahm das Kreuz, zog mit einem stattlichen Heer
durch Ungarn nach Konstantinopel (dessen Kaiser Emanuel mit ihm
verschwägert war), und erreichte nach mancherlei Streitigkeiten mit den
treulosen, von Mißtrauen und Hofsahrt erfüllten Byzantinern die asia-
tische Küste. Als er aber den Landweg über Jconium einschlug,
wurde das an Allem Noth leidende Heer durch die Tücke griechischer
Führer in eine wasserlose Einöde geleitet, wo plötzlich zahllose türkische
Reiter in einzelnen Schaaren auf die Wallbrüder eindrangen und ihnen
eine solche Niederlage zufügten, daß kaum der zehnte Theil sich mit
Konrad nach Konstantinopel rettete. Gewarnt durch diesen Ausgang
schlug Ludwig Vii. den Weg längs der Meeresküste über Smyrna
und Ephesus ein, aber ohne bessern Erfolg. Als in Pamphylien die
Türken über sie herfielen, verließ der König mit seinen Edlen das Heer
und begab sich zu Schiffe über Antiochien nach Jerusalem, während die
Zurückgebliebenen theils von den Feinden erschlagen wurden, theils dem
Hunger und der Ermüdung erlagen. In Jerusalem, wo zuletzt auch
Konrad mit den Trümmern seines Heers anlangte, wurde ein Erode-
rungsplan wider Damaskus beschlossen. Aber auch dieser scheiterte
an dem Verrath der morgenländischen Christen, so daß das ganze
Unternehmen erfolglos blieb und die Lage der Franken im heiligen
Lande immer schlimmer wurde. Wie hätte das durch Uneinigkeit der
Ordensritter geschwächte, von unmündigen Königen regierte Reich, wo
der Glaubenseifer nur zu oft dem Eigennutz, der Habsucht und dem
Neide wich, den streitbaren, durch Eintracht starken und durch Fanatis-
mus und Christenhaß zum Kampf begeisterten Mohammedanern wider-
stehen sollen? zumal als nach Nureddin's Tod der großmüthige,
tapfere und gebildete Kurde Saladin sich des Sultanats von Aegyp-
ten bemächtigte und in Kurzem alle Länder von Kahira bis Aleppo
unter seinem Scepter vereinigte. Bald gerieth das Königreich Jerusa-
lem ins Gedränge. Saladin gewährte eine Waffenruhe; als diese aber
von einem christlichen Ritter verletzt wurde, der mit frecher Gewalt-
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Extrahierte Personennamen: Bernhard von_Clairvaux Ludwig_Vii Ludwig Konrad_Hi Konrad Konrad Emanuel Konrad Konrad Ludwig_Vii Ludwig Konrad Konrad Saladin Kahira Saladin
588
Nov.
Februar
1703.
Das achtzehnte Jahrhundert.
Bündniß mit Friedrich auf und rief ihre Truppen zurück. Aber vor dem
Abzug half der russische, dem preußischen Monarchen ergebene Feldherr die-
sem noch die Schlacht bei Burkersdorf gegen Daun gewinnen, worauf
Friedrich mit großer Anstrengung S ch w e i dn itz und den größten Theil
von Schlesien wieder eroberte, indeß Prinz Heinrich, Seydlitz,
Kleist u. a. Sachsen von den Reichstruppen säuberten und der Prinz
von Braunschweig nach der Einnahme von Kassel die Franzosen dem
Rheine zudrängte. Das deutsche Volk, dessen Lander verwüstet, dessen
Industrie in Stocken gerathen, dessen Ackerbau verfallen, dessen Wohl-
stand vernichtet war, forderte verzweiflungsvoll den Frieden. Als Kleist
Franken durchstreifte, Bamberg und Nürnberg brandschatzte und Regens-
burg bedrohte, geriethen die deutschen Fürsten in Schrecken und traten
großentheils vom Bunde wider Friedrich ab. Aber auch Oestreich war
durch den langen Krieg so erschöpft, daß es nur mit der größten Anstren-
gung und durch Aufhäufung einer beträchtlichen Staatsschuld Armeen
und Kriegsbedarf aufbrachte. Maria Theresia widersetzte sich daher nicht
länger dem von allen Seiten begehrten Frieden. Ein zwischen Preußen,
Frankreich und Oestreich abgeschlossener Waffenstillstand wurde zur
Unterhandlung benutzt, die im nächsten Frühjahr den Pariser und we-
nige Tage später den Hubertsburger Frieden herbeiführten. In diesem
Frieden wurde dem König vonpreußen der Besitz von Schle-
sien für immer zugesich ert, dagegen die Herausgabe aller übrigen
Eroberungen ausbedungen. Von dem an nahm Preußen seinen Rang
unter den fünf europäischen Großmächten ein.
Mittlerweile wurde in Amerika und Europa zwischen England und Frank-
reich ein wechsclvoller See- und Landkrieg geführt. Als die in dem Utrcchter Frieden
an.england abgetretene Insel Men orka von dem Herzog von Richelieu erobert
wurde und auch in Amerika die aus Hannoveranern und gekauften Hessen be-
stehenden Truppen der Engländer mit wenig Erfolg kämpften, gab die engl. Nation
ihren Unwillen so laut kund, daß das Ministerium das Volk durch ein Opfer zu versöh-
nen beschloß Es schob die Schuld des Verlustes von Menorka auf das feige und unge-
schickte Benehmen des Admirals Byng, und ließ denselben durch ein Kriegsgericht ver-
urtheilen und an dem Maste seines Schiffs erschießen. — Aber erst als William Pitt
in's Ministerium trat, nahmen die Dinge eine andere Wendung. Englische Heerführer
eroberten Otuebeck und besetzten Canada, engl. Admiräle schlugen die franz. Flotten
und hinderten die Ausfuhr nach Amerika. Als auch das seit dem Fami'licnpakt von 176l
enge mit Frankreich verbundene Spanien an dem Kriege Theil nabm, gingen viele west-
indische Inseln an England verloren. Aber durch Lord Butes Einfluß wurde Pitt ver-
drängt, worauf das englische Ministerium den Vertrag mit Friedrich von Preußen auf-
hob und dann mit Frankreich und Spanien in Unterhandlungen trat. In dem Pariser
Frieden wurde England durch die Erwerbung von Canada und Florida (wofür
Spanien von Frankreich Louisiana erhielt) und der Insel Grenada reichlich entschädigt;
seine Seemacht war vergrößert, aber auch seine Schuldenlast vermehrt worden.
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Heinrich Heinrich Friedrich Friedrich Oestreich Maria_Theresia Maria Theresia Richelieu Menorka Friedrich_von_Preußen Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Kassel Rheine Bamberg Nürnberg Frankreich Amerika Europa England Frank- Amerika Hessen Amerika Frankreich Spanien England Frankreich Spanien England Florida Spanien Frankreich_Louisiana Grenada
208
Das christliche Mittelalter.
Vaterlandsliebe erfüllten Bürgermacht waren sie entschlossen, ihre er-
rungene Unabhängigkeit wider jeden Angriff zu schützen und ihre Stadt-
gebiete in kleine Republiken umzuschaffen. Sie bekämpften daher die
kaiserliche Machtvollkommenheit, die ihrem Streben entgegenstand. Die-
ser Geist der Widerspenstigkeit kam schon auf Friedrichs erstem Zuge,
als er auf der Roncalischen Ebene (bei Piacenza) die Fürsten und
Städte Oberitaliens zur Huldigung aufforderte, zu Tage. Zwar konnte
er diesmal das übermächtige Mailand nicht bändigen, doch suchte er
es durch Zerstörung einiger kleinern von gleichem Geiste beseelten Städte
zu schrecken, ehe er sich in Pa via mit der lombardischen und in
Rom mit der Kaiserkrone schmücken ließ. Diese letztere erlangte
er erst nach Auslieferung Arnolds von Brescia, dessen Predigten
zur Erweckung dieses republikanischen Sinnes vorzugsweise beigetragen.
Dieser merkwürdige als Geistlicher erzogene Mann wollte die Kirche
zur apostolischen Einfachheit zurückführen; er eiferte daher wider die
zeitlichen Besitzthümer und die Hoffahrt des Klerus, sprach den Bischöfen
das Recht ab, zeitliche Güter und Herrschaften zu Lehen zu tragen
und erklärte die weltliche Macht des kirchlichen Oberhaupts für eine
Uebertretung der heiligen Schrift. Angefeuert durch diese Predigten
kündigten die Römer dem Papste den Gehorsam auf und stellten eine
republikanische Verfassung nach dem Vorbilde der Alten her. Als aber
der kühne Reformer von Friedrich (dessen Oberherrlichkeit in Italien
durch seine Predigten gleichfalls gefährdet war) dem Papste überant-
wortet und von diesem vor dem Hauptthore der Stadt verbrannt wor-
den, entsank den Römern allmählig der Muth. Nach einem vergeb-
lichen Versuche, die Deutschen durch einen gewaffnelen Angriff aus
der Stadt zu treiben, willigten sie in die Abstellung der neuen Ein-
richtungen und fügten sich wieder der Gewalt des Papstes.
§. 285. Nach Friedrichs Abzug (der durch die tückischen Nach-
stellungen der Veronesen gefährdet wurde) verharrten die Mailänder in
ihrem Trotze und zerstörten mehre dem Kaiser ergebene Städte (z. B.
Lodi). Da unternahm Friedrich einen zweiten Zug, ließ durch Rechts-
gelehrte auf der Roncalischen Ebene seine Hoheitsrechte über die
Fürsten, Grafen und Städte festsetzen*) und sprach, als sich Mailand
diesen Bestimmungen nicht fügte und die kaiserlichen Abgeordneten ver-
trieb, über die widerspenstige Stadt die Acht aus. Ein blutiger, von
beiden Seiten mit der größten Erbitterung geführter Krieg entschied
sich zuletzt zu Gunsten des Kaisers. Mailand mußte sich nach dritt-
halbjähriger Belagerung ergeben. Nachdem der Fahnenwagen (Carrocio),
der das Hauptbanner der Stadt führte, zertrümmert war und die
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Extrahierte Personennamen: Friedrichs Arnolds Friedrich_( Friedrich Friedrichs Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Piacenza Mailand Rom Brescia Italien Friedrichs Mailand Mailand
592
Das Revolutions-Zeitalter.
Collins
f 1729.
Toland
i 1722.
und andern Franzosen in den Niederlanden ausgebildeten Aweifelslehre (Skepticis-
mus) und richtete seine feine Ironie, seinen Witz und seinen Spott gegen die
Satzungen der Kirche, gegen jede auf Offenbarung gegründete Religion. Seine
unter dem Titel Charakteristiken von Menschen, Sitten und Zeiten
erschienenen Schriften, worin er eine Bernunftreligion und ein Moralgesetz als die
sichersten Führer durchs Leben darstellt, brachten durch ihren leichten Stil, durch
ihre witzige und klare Darstellung den größten Eindruck in den gebildeten Kreisen
hervor und führten Voltaire und die Encyclopädisten auf dieselbe Bahn. Der Mo-
ralist und die Abhandlung über Verdienst und Tugend suchen gegen die
Gottesgelehrten zu beweisen, daß die Welt, wie sie ist, vollkommen sei (Optimis-
mus) und so sehr die begeisterte Rechtfertigung (Theodike) des Weltschöpfcrs
Viele entzückt hat, die tiefer Blickenden sahen in seinem Gottesglauben nur eine
Art Fatalismus. — Nicht aus Neigung zu Spott und Satire, wie Shastesbury,
noch geleitet von Eitelkeit, wie Viele der Franzosen, die später denselben Ton an-
stimmten, gerieth Lockc's gelehrter Freund Collins zu ähnlichen Resultaten, die
er aber nicht in der Sprache und Manier der fein gebildeten Welt, sondern in der
ernsten Form gründlicher Gelehrsamkeit vortrug. Die Einmischung in den Schul-
streit zweier Rechtgläubigen führte ihn zum Zweifelsystem. Unter seinen vielen
gründlichen, von den Franzosen später ausgebeuteten Schriften ist die Rede über
Freidenken und die Prstfung der biblischen Prophezeiungen am be-
kanntesten. Dreister, aber zum Theil weniger geschickt, wurde der bestehende Kir-
chenglauben von einer Reihe von Schriftstellern angegriffen, die unter dem Namen
Deisten bekannt sind, weil sie die christl. Ansicht von einem Dre i ein ig e n
Gott bekämpften und nur ein höheres geistiges Wesen als Gott (veus) verehrt
wissen wollten. „Sie vertheidigten mit Gründen des gemeinen Menschenverstandes,
einige auch mit gelehrten Hülfsmitteln, eine Ueberzeugung, der das natürliche
Gottesbewnßtsein und Gewissen die hinreichende und vollkommene Religion ist, da-
her das Christenthum von einigen nur beachtet wurde, wiefern es diese natürliche
Religion als Kern enthalte, von andern als Priestertrug bekämpft, von allen seiner
historischen Bedeutung und Grundlage beraubt." Einer der heftigsten Gegner des
Christenthums und Alles dessen was damit zusammenhängt war der platte To land,
der in seinem Christenthum ohne Geheimnisse und andern Werken die Aecht-
heit der neutestamentlichen Schriften bestritt, den jüdischen Charakter des Christenthums
nachwies, und so sehr gegen jeden positiven Glauben eiferte, daß seine Schriften verboten,
er selbst verfolgt wurde. Ihm hat nur der Pantheismus Geltung; der Glaube an einen
persönlichen Gott, an Unsterblichkeit der Seele u. dgl. erscheint ihm als Aberglauben.
— Mehr mit Rücksicht auf das in England bestehende Kirchenwesen griff der leicht-
fertige Spötter Tindal (ff 1733) in seinem Buch von den falschen Kirchen
jede mit dem Staatswesen verbundene und weltlicher Güter bedürftige Kirchenver-
fassung an und lehrte in seinem Christenthum so alt als die Welt, „daß
das Christenthum nichts anderes sei, als die von den Zusätzen und Schlacken der
Juden gereinigte Vernunftreligion der Urwelt." Bescheidener und gemäßigter suchte
der rechtschaffene Wollaston in seinem Gemälde der natürlichen Reli-
gion eine reine Vernunftreligion („die das Streben nach Glück vermöge eines
eifrigen Suchens der Wahrheit und der Bildung der Vernunft sei, und keiner
Offenbarung noch Sündenvergebung bedürfe"), zu begründen. Seine gründlichen,
vielgelesenen Werke wurden wie die von Collins von den Franzosen übersetzt, ver-
breitet und benützt. Woolston deutete die Wunder Jesu allegorisch und starb
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Die Literatur der Aufklärung.
593
dafür im Gefängniß. Morgan (ss 1743) behandelte alles Geschichtliche im Chri-
stenthum als Priestertrug und wollte die Moral an die Stelle der Religion setzen;
der unsittliche Mandeville(ss1733) aber stellte sogar in seiner Fabel von der
Biene und dem Commentar dazu Leidenschaften und Laster als nothwendig
für die Blüthe des Staats dar, „eine Satire auf die Moral und die Ideale der
Kirche." — Chubb (f 1747), ein gelehrter Theolog, dachte in seinem wahren
Evangelium, „an ein von den Aposteln mißverstandenes (und daher mit Wun-
dern und fremdartigen Zusätzen bekleidetes) Christenthum als Offenbarung des na-
türlichen Sittengesetzes, dessen Verletzung durch Reue versöhnt, durch ein künftiges
Gericht gestraft werde."
Wichtiger als diese deistischen Schriftsteller ist der als Staatsmann
und politischer Parteigänger bekannte Lord Bolingbroke, Voltaire's
Freund. Bolingbroke war der witzigste Kopf seiner Nation, Meister in
der Behandlung der Sprache und Kenner der vornehmen Welt und des
dort einheimischen Tons, aber ohne religiöse und moralische Grundsätze.
Am berühmtesten sind seine Briefe über das Studium der Ge-
schichte, wo er gegen die Kirchlichgesinnten bewies, daß derselbe Welt-
verstand, der jetzt die Geschichte lenke, sie immerdar gelenkt habe, gegen
die Schulgelehrten, daß der unbefangene Blick eines verständigen Welt-
manns tiefer in das Leben der Völker eindringe als ihre dickleibige Ge-
lehrsamkeit, und denen, die in der Ruhe das höchste Glück erblicken, daß
Kämpfen und Ringen von der Freiheit unzertrennlich sei. Aber freilich
erschütterte er auch den Glauben an Tugend und uneigennützige Vater-
landsliebe, indem er mit weltmännischer Kälte Eigennutz und Selbstsucht
als die ersten Triebfedern aller Handlungen hinstellte. 3citf seinen Schul-
tern stehen Englands größte Geschichtschreiber Gibbon (der talentvolle
Verfasser der mit Kunst und Geschicklichkeit, aber mit rhetorischer Färbung
geschriebenen Geschichte des Sinkens und Falls des röm. Rei-
ches) und Hume, der geistreiche Verfasser der Geschichte von England
und der heitere skeptische Lebensphiloscph. Beide waren französisch gebil-
det und standen mit Voltaire und den Pariser geistreichen Kreisen in inniger
Verbindung, beiden ging das tiefere Verständniß der Erhabenheit des
historischen Christenthums ab.
Der schottische Geistliche Robertson, der neben diesen seinen Rang als Ge-
schichtschreiber einnimmt, steht diesen beiden an Geist, Schwung und Kühnheit
nach. Seine viel gelesenen Werke (Geschichte von Schottland unter Maria Stuart,
Geschichte Kaiser Karls V., Geschichte der Entdeckung von Amerika) sind gewissen-
hafte aber trockene und ohne alle Begeisterung abgefaßte Werke. Ihm war Humes
und Gibbon's stanz. Bildung wie die kirchenseindliche Richtung gleich fremd. —
Dagegen huldigte der Dichter Pope, der den Homer, freilich mit Aufopferung der
Würde und Erhabenheit des antiken Sängers , den Engländern zugänglich machte
(8.528), der^ französische Glätte und Bolkngbroke's Weisheit, daß die Men-
schen im Leben von der Selbstsucht geleitet würden, in der Religion ihrer Ver-
nunft folgen müßten; und in Swifts Satiren werden Kirchenthum und Kirchen-
glauben ebenso verspottet, wie die Thorheiten der Gesellschaft und die Gebrechen
des Staats.
Weber, Geschichte.
Botin g-
4 1751.
Gibbon
4 1794.
Hume
4 177ß.
Robert-
son
4 1793.
38
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch]]
Extrahierte Personennamen: Morgan Bolingbroke Bolingbroke Robertson Maria_Stuart Maria Karls_V. Karls_V. Humes Gibbon
Extrahierte Ortsnamen: Chri- Englands England Schottland Amerika Swifts
594
Das Nevolutions - Zeitalter.
2) Frankreichs kirchenfeindliche Literatur.
§. 639. Voltaire. Montesquieu. Rousseau. Die litera-
rische Thätigkeit dieser drei Männer, deren geistreiche mit allem Zauber
der Sprache und Darstellung ausgerüstete Werke von dem ganzen gebil-
deten Europa gelesen wurden, hat mehr als alles andere zur Umgestaltung
der hergebrachten Ansichten in Kirche, Staat und Gerichtswesen, >vie zur
Ausrottung von Vcrnrtheilcn und verjährten Sitten im geselligen Verkehr
beigetragen. Ihre Wege waren zwar verschieden, aber die Resultate ähn-
^1694— V oltaire bekämpfte mit den Waffen des Witzes und des gcsun-
1778. den Verstandes alles Verjährte und alle herrschenden Meinungen, ohne
^qu?eu^'^chdarum zu kümmern, was an dessen Stelle treten sollte, Montesquieu,
1689 — ein gehaltvollerer und ernsterer Schriftsteller, wies das Fehlerhafte und Ab-
geschmackte des Bestehenden nach, in der Absicht cs zu verbessern und
mz-Ts!zeitgemäß umzugestalten und I. I. Rousseau untergrub die bestehenden
Zustände durch die reizende Schilderung der Gegensätze, indem er dem
herrschenden Kirchenwesen eine Religion des Herzens entgegenstellte, das
absolute Königthum durch die Lehre vom Vertrag zwischen Volk und Re-
gent erschütterte, die Rechts- und Vcrmögensungleichhcit der Stände durch
die Lehre von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen zu brechen
suchte und die Unnatur der Sitten und die verwickelten Zustände der Ge-
selligkeit und Convcnienz durch die Darstellung der Reize eines einfachen
Naturzustandes untergrub. Die heftigsten Feinde des Bestehenden erhoben
sich in dem Holbachischen Club und in den Encyclopädisten,
die nur die Wahrnehmungen der fünf Sinne für Wahrheit gelten ließen
und die Eigenliebe als Grundgesetz aufstellten.
Voltaire. Unter allen Schriftstellern, die auf ihre Zeit tonangebend ge-
wirkt haben, hat keiner jemals einen größern Einfluß geübt als Voltaire. Aus-
gewachsen in den höhern Kreisen der Gesellschaft, bei denen leichtfertiger und geist-
reicher Spott zum Modeton gehörte, wählte der begabte Mann gleich bei seinem
ersten literarischen Auftreten diejenige Gattung, die seiner witzigen, spottsüchtigcn
Natur am meisten zusagte und von der er sich den größten Erfolg versprechen
konnte — die satirische Dichtung, zog sich aber durch den dreisten Spott auf
die Regierung Haft und Verfolgung zu, was ihn bewog, sich, nachdem sein lite-
rarischer Ruf bereits gegründet war, auf einige Zeit nach En,land zu begeben»
Bei der damals zwischen England und Frankreich obwaltenden Ähnlichkeit der
Bildung und Literatur, der Sitten und Religionsgrundsätze fand der witzige Vol-
taire eine begeisterte Aufnahme, die er sehr gut bei der neuen Ausgabe seiner Hen-
riade zu seinem Vortheile auszubeuten wußte. Die Erfahrungen, die er hier in
den höhern, von sranz. Bildung durchdrungenen Kreisen machte, und die Bekannt-
schaft mit den deistischen Schriftstellern bestärkten ihn in seinen Ansichten und lie-
ferten ihm neue Mittel zur Bekämpfung verjährter Einrichtungen und Meinungen.
Nach Frankreich zurückgekehrt machte er seine Landsleute in den englischen Brie-
fen mit den literarischen und religiösen Zuständen und namentlich mit der skepti-
schen Religionsphilosophie der Engländer auf eine so dreiste, aber dabei so geist-
reiche und witzige Art bekannt, daß er sich von Seiten der Regierung neue Ver-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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