1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
5
und zwar in Versailles, wo seit Ludwigs Xiv. Zeit die königliche Residenz
war. Gleich anfangs entstanden Streitigkeiten, besonders über die Frage,
ob nach Ständen oder nach Köpfen gestimmt werden sollte. Darauf kam
sehr viel an; denn im ersten Falle hatten die Deputirten des dritten Stan-
des zusammengenommen nur eine Stimme; im letztern Falle dagegen hatten
sie deren eben so viele, als die beiden andern Stände zusammen. Endlich
wurde das Letztere beschlossen, und dadurch das Uebergewicht des dritten
Standes entschieden. Nun that dieser immer kühnere Schritte. Auf den
Vorschlag des Abb6 Sieyes, eines höchst verschmitzten Kopfes, erklärten
sich die Deputirten dieses Standes zur Nationalversammlung; mehrere
der niederen Geistlichen gingen zu ihnen über, und nun schritten sie schnell
dazu, in der bisherigen Verfassung Veränderungen zu treffen. Der König
erschrak; er glaubte nur in einer schnellen Auflösung der Versammlung eine
Rettung zu finden, besonders da immer mehr Geistliche, ja selbst einige vom
Adel sich mit der Nationalversammlung vereinigten. Darum erschien er am
23. Juni selbst in derselben, bezeigte sein Mißfallen über die Zwistigkeiten
und über die eigenmächtigen Verbesserungen der Deputirten, und befahl, daß
sie sogleich auseinander gehen, und daß sich am folgenden Tage jeder Stand
besonders versammeln sollte. Der König verließ den Saal, mit ihm der
Adel und die Geistlichkeit; die Deputirten des dritten Standes aber — blie-
den sitzen, unschlüssig, ob sie gehorchen wollten, oder nicht, und als der
Großceremonienmeister (Marquis von Dreux-Brez^) erschien, und ihnen im
Flamen des Königs ankündigte, sich sogleich zu entfernen, so trat Graf
Mirabeau, ein sehr kluger, aber höchst verdorbener Mensch, auf, und
antwortete: sie wären alle durch den Willen des Volks versammelt, und nur
durch dke Gewalt der Bajonette würden sie sich von ihrem Platze vertreiben
lassen. Jetzt hätte Ludwig sogleich Soldaten anrücken, und die Ungehorsa-
men streng strafen lassen sollen; denn wie kann Ordnung bestehen, wenn der
Wille des Oberhauptes nicht mehr beachtet wird?! Aber der gute König
'war zu gewaltsamen Maßregeln nicht zu bewegen; die Deputirten erkannten
-daraus, was sie ihm bieten könnten, und sein Ansehen war unwiederbring-
lich dahin.
Orleans und ein Theil des höhern Adels vereinigte sich nun mit der
Nationalversammlung, die ohne alle Rücksicht die bisher bestehende Ver-
fassung Stück für, Stück niederriß. Zwar ist nicht zu leugnen, daß uner-
hörte Mißbräuche eingerissen, und eine gänzliche Umwandlung nöthig war;
aber die herrschende Aufregung erschwerte die besonnene Einführung neuer
Zustände; selbst dem edleren Willen fehlte die Weisheit der Erfahrung und
die geheimen Ziele der Aufwiegler gingen weit über die neu zu gestaltende
Sicherung der Ordnung hinaus. Bald gab der König einen neuen Beweis
seiner Schwäche: er befahl (27. Juni) dem Adel und der Geistlichkeit, sich
mit dem dritten Stande zu vereinigen, also gerade das, was er früherhin
verboten hatte. Darüber war nun die Freude allgemein, aber nun war
auch die Revolution entschieden. Das Volk sah, daß man dem Könige Alles
abtrotzen könne. Ganz Frankreich theilte sich in zwei Parteien: Aristokraten
oder Freunde der alten Ordnung, und Demokraten oder Freunde der Revo-
lution. Der Pöbel sprach ganz laut von Plünderung und Mord der Aristo-
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- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
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21
Nacht den braven Mandat, der in den Tuilerien Alles zur Vertheidigung
anordnete, aufs Rathhaus. Hier wurde er mit Schmähungen empfangen,
nach dem Gefängniß abgeführt, aber, ehe er noch dasselbe erreichte, von dem
Pöbel ermordet, so daß nun die Vertheidiger der Tuilerien sich selbst über-
lassen blieben. An seine Stelle wurde — Santerre ernannt.
Um 6 Uhr des Morgens am 10. August setzte sich das bewaffnete
Rebellenheer gegen die Tuilerien in Bewegung, zu jeder Schandthat ent-
schlossen. Um 8 Uhr trafen die ersten Haufen vor dem Schlosse ein, und
es erhob sich ein fürchterliches Geschrei. Der König und seine Familie er-
warteten in ruhiger Ergebung den Ausgang der Dinge, während der größte
Theil der Nationalgarden, Schweizer und einige Hundert Edelleute, die dem
Könige zu Hülfe gekommen waren, sich zur Vertheidigung rüsteten. Aber der
gute Ludwig zeigte hier wieder zu wenig Entschlossenheit. Er verbot jeden
Angriff auf den Pöbelhaufen, damit man ihm nicht Schuld gebe, den Anfang
des Blutvergießens gemacht zu haben. Während er noch schwankte, was er
thun sollte, trat Röde rer, eine Magistratsperson, herein, und schilderte
ihm die Gefahr als äußerst dringend. Der Pöbel sei nicht mehr zurückzu-
halten; die Kanoniere verweigerten den Gehorsam, und hätten vor seinen
Augen die Ladung ans den Kanonen gezogen; der König sei in Gefahr, mit
seiner Familie ermordet zu werden, wenn er sich nicht augenblicklich in den
Saal der Nationalversammlung rette. Die Königin widersetzte sich diesem
Ansinnen, weil sie merkte, daß man nur die Absicht habe, ihren Gemahl von
seinen treuen Dienern zu trennen. Da trat Röderer vor sie hin, und sprach
mit funkelnden Augen: „Madame, die Augenblicke sind kostbar. Zaudern
Sie noch eine Minute, noch eine Secunde, so kann ich nicht für das Leben
des Königs, für das Ihrige und das Ihrer Kinder stehen." — „Nun gut!"
rief die Königin, „so müssen wir denn auch noch dies letzte Opfer bringen." —
„Laßt uns gehen!" fügte der König hinzu. Dann wandte er sich zu dem
Haufen seiner Getreuen, und sprach: „Hier, meine Freunde, giebt es nichts
mehr zu thun." Er und die Seinigen gingen, ohne Widerstand zu finden,
erst durch die Reihen der Nationalgarden, dann durch den im Tuilerien-
Garten dicht gedrängt stehenden Pöbel, von Schweizern und Nationalgarden
umgeben, bis vor die Thür des Versammlungssaales. Hier mußten sie
warten, und waren den Beleidigungen der sie umgebenden Menge eine lange
Weile ausgesetzt. „Wir wollen keine Tyrannen mehr!" schrie man von allen
Seiten; „bringt sie um! bringt sie um!" Nach langem, ängstlichem Harren
wurde ihnen die Thüre geöffnet.
„Meine Herren!" redete der König die Versammlung an, „ich komme
hierher, um Frankreich ein großes Verbrechen zu ersparen. Ich habe geglaubt,
daß ich nirgends sicherer sein könnte, als unter den Stellvertretern der
Nation." Er hatte sich auf einen Stuhl neben den Präsidenten gesetzt; aber
als ein Mitglied bemerkte, daß die Versammlung nicht in Gegenwart des
Königs berathschlagen könnte, erhob sich ein wildes Geschrei: „Vor die
Schranken! aus die Bank der Minister!" Ludwig gehorchte; aber auch hier
duldete man ihn nicht, und verwies ihn in die mit einem Gitter versehene
Loge eines Zeitungsschreibers. Hier wurde er mit seiner Familie verwahrt,
und mußte mit anhören, wie die Versammlung über seine Absetzung und die
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herrschen zu können. Der König wußte recht gut, daß dieser Tumult am 5.
October stattfinden sollte. Man redete ihm zu, eilig nach Metz zu entfliehen,
und dort sich an die Spitze der Truppen zu stellen; aber er war nicht zu
bewegen, von seinem Posten zu weichen. Orleans hatte an den ausgestreuten
Verleumdungen nicht genug; er ließ durch seine Leute die nach Paris fah-
renden Kornwagen aufhalten, und als nun Brotmangel in der Stadt ent-
stand, sprengte er aus, der König wolle Paris aushungern. Schon am 4.
October wurden in Paris Geld und Waffen ausgetheilt. Volksredner und
Rednerinnen hielten im Garten des Palais Royal von Tischen herab Reden
an das Volk, und forderten es auf, am folgenden Tage nach Versailles zu
ziehen, um den König und die Königin zu fragen, woher der Brotmangel
entstanden sei.
Als der 5. October (1789) anbrach, war ganz Paris in unruhiger
Bewegung. Männer in Frauenskleidern und betrunkene Weiber, unter denen
sich die Fischweiber (die sogenannten Damen der Halle) auszeichneten, zogen
schreiend durch die Straßen, und rissen Alle, die ihnen begegneten, mit sich.
Die Sturmglocken läuteten, die Trommeln wirbelten. Alles strömte nach
dem Greveplatze, auf welchem das Stadthaus steht, und schrie laut nach
Brot. Die Nationalgarde, die Ordnung hätte stiften sollen, weigerte sich,
die Waffen gegen den tobenden Haufen zu gebrauchen. Einige stürmten das
Stadthaus, drohten den ganzen Bürgerrath an die Laternen zu hängen, und
plünderten die Cassen und Waffenmagazine. Endlich stellte sich Maillard,
ein Kerl in einem abgeschabten schwarzen Kleide, der schon bei der Erstür-
mung der Bastille voran gewesen war, an die Spitze des Haufens, und
führte ihn nach Versailles ab. — Gleich darauf füllte sich der Greveplatz
aufs Neue. Die französische Garde, die längst von Orleans und Mirabeau
dem Könige untreu gemacht worden war, marschirte auf. Nationalgardisten,
Pöbel, Weiber, Meuchelmörder, Leute von jedem Schlage drängten sich da-
zwischen, Alle erfüllt vom Durste nach Mordthaten, wenigstens nach Gewalt-
thätigkeiten. Mehr als 40,000 Menschen schrieen: „Nach Versailles! nach
Versailles!" Der Marquis de la Fayette, derselbe, der an dem ameri-
kanischen Freiheitskriege so thätig Antheil genommen hatte, jetzt Befehlshaber
der Nationalgarde, sollte sie führen. Lange weigerte er sich, und machte
ihnen Vorstellungen; endlich setzten die Garden ihm die Bajonette auf die
Brust, wenn er sich nicht augenblicklich an ihre Spitze stellte. Er mußte
gehorchen, und um 5 Uhr Abends brach auch dieser Haufen, trotz eines hef-
tigen Regenschauers, mit 22 Kanonen unter wildem Freudengeschrei nach
Versailles auf.
Der König war auf diesen Besuch so wenig vorbereitet, daß er sich
auf der Jagd befand, von der er eilig zurückgerufen wurde, als um Mittag
die erste Nachricht vom Anzuge der Weiber nach Versailles kam. Um vier
Uhr stürzten diese nach dem Saale der Nationalversammlung. Maillard
und 12 Weiber wurden eingelassen, und schrieen laut nach Brot. Die Ver-
sammlung suchte sie zu beruhigen, und der Präsident führte sie zum Könige
ins Schloß. Dieser gab ihnen die besten Versprechungen; ja, er umarmte
sogar eines der Weiber, weil sie ihm sonst nicht glauben wollten. Den
Soldaten hatte Ludwig ausdrücklich jeden Gebrauch der Waffen verboten;
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einen unverschämten Ton an, beleidigten sie in ihren gehaltenen Reden, und
forderten sie so recht muthwillig zum Kriege heraus. Es wurden französische
Heere nach dem Rheine gesandt, und die Rüstungen mit Eifer betrieben.
Vergebens gab sich Ludwig Mühe, den Frieden zu erhalten; die Jakobiner
zwangen ihn, am 20. April 1792 den Krieg gegen Oestreich zu erklären.
Als diese Erklärung nach Wien kam, war Kaiser Leopold Ii. eben ge-
storben. Ihm folgte sein Sohn Franz Ii. (1792—1835), der sogleich zu
Eröffnung der Feindseligkeiten Befehl gab. Mit Preußen hatte sich Oestreich
bereits verbunden, und es entstand nun ein Krieg, der zwar mehrmals
durch kurzdauernde Friedensschlüsse unterbrochen worden ist. im Ganzen aber
bis 1815, also 23 Jahre gedauert, und Europa so viele Menschenleben, so
unendliches Geld und so vieles Familienglück gekostet hat. Wie viel leichter
ist es doch, ein Feuer anzuzünden, als es zu löschen!
Jeder Nichtfranzose war der Meinung, die verbündeten Fürsten würden
mit dem in sich selbst so zerrütteten Frankreich bald fertig werden, um so
mehr, da die Ausgewanderten versicherten, daß die meisten ihrer Landsleute
sehnlichst auf die Erscheinung der fremden Heere warteten. Das war aber nicht
so. Der größte Theil des Volks war von der sogenannten Freiheit so be-
geistert, daß es mit Begierde auf die Gelegenheit wartete, für dieselbe gegen
ihre Feinde kämpfen zu können. Daher sah man auch in diesem Kriege mit
Staunen, daß die krieggeübten Heere der Deutschen, von erfahrenen Generalen
angeführt, durch die jungen, eben erst angeworbenen französischen Soldaten
aus dem Felde geschlagen wurden; sehr natürlich, da die Revolutionstruppen
auf eine ganz neue Art den Krieg führten, ohne, Gepäck und Magazine, also
viel beweglicher waren, und vor Allem von einer Begeisterung beseelt wur-
den, die sie trieb, mit Lust und Freude den offenen Kanonenrachen entgegen
zu gehen. Je mehr von ihnen zu Boden geschossen wurden, desto mehr ström-
ten herbei, den Tod der gefallenen Brüder zu rächen. Die Deutschen ferner
wurden zwar von erfahrenen Generalen angeführt, aber diese waren alt und
abgelebt, daher langsam und ohne Kraft; die Franzosen dagegen erhielten die-
jenigen zu Anführern, die sich am meisten auszeichneten. Bei ihnen wurde
nicht auf Alter, Rang und Fürsprache, sondern allein auf Muth, Verstand
und Besonnenheit gesehen, und mit Verwunderung sah man Männer, die
noch kurz vorher Advocaten, Handwerker, Köche oder wer weiß was gewesen
waren, mit Muth und Geschick Heere anführen und den Feind schlagen. Was
den Franzosen ferner den Sieg verschaffen mußte, war die ungeheure Zahl
ihrer Soldaten. Die Nationalversammlung erklärte, daß jeder Bürger ge-
halten sei, das Vaterland zu vertheidigen, und der Drang dazu war so groß,
daß die jungen Leute zum Theil mit Gewalt abgehalten werden mußten,
weil sonst fast Niemand zu Hause geblieben wäre. In große Schlachten
ließen sich die Franzosen selten ein, aber fast täglich kam es zu einzelnen
unregelmäßigen Gefechten, durch welche die dessen ungewohnten Verbündeten
ermüdet wurden. Auf Menschenleben kam es den französischen Generalen
nicht an. Blieben auch Tausende ihrer Soldaten, so standen ja neue Tau-
sende zu ihrer Verfügung. Auch an Lebensmitteln und andern Heeresbedürf-
nissen fehlte es ihnen nicht. Sonst hatte man einem Heere alles Nöthige
nachgeführt und Magazine angelegt, und die Deutschen thaten das noch.
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dies gegen England äußerst aufgebracht war, und darauf dachte, ihm ander-
wärts zu thun zu geben. Anfangs wollten die Directoren ein Heer in Eng-
land landen lassen, und darum ließen sie an der ganzen Nord- und West-
küste mit Eifer Schiffe bauen, und ein Heer sammelte sich bereits an den
Küsten des Canals. Aber bald gab man den Plan wegen der vielen Schwie-
rigkeiten auf, und ersann einen andern.
Die Macht und Größe Englands beruht besonders auf seinem Handel
und seinen Colonien, vorzüglich in Ostindien. Wie wenn es Frankreich ge-
länge, ihm seine ostindischen Besitzungen zu entreißen, und den Handel mit
den asiatischen Maaren ihm aus den Händen zu wiuden? Das Letztere konnte
nur dann geschehen, wenn der seit der Entdeckung des Caps in Vergessenheit
gekommene Weg nach Ostindien über Aegypten wieder geöffnet würde, und
dies setzte wiederum die Befreiung Aegyptens ans den Händen der Türken
voraus. In größter Stille wurde nun, während Aller Augen auf die An-
stalten zur Landung an der englischen Küste gerichtet waren, eine Expe-
dition gegen Aegypten vorbereitet. Es sammelte sich im Hafen von
Toulon eine Anzahl trefflich ausgerüsteter Schisse, die 36,000 Mann Kern-
truppen unter Bonaparte's Oberbefehl einnehmen sollten, und damit der
Plan desto besser gelänge, wollte man die Engländer zugleich in Ostindien
beschäftigen. Hier hatten diese nämlich während einer Reihe von Jahren ein
großes Reich gegründet, vorzüglich nachdem sie den König von Mysore (spr.
Meißur), Tippo Saib, 1702 bezwungen, und ihm sein halbes Reich ge-
nommen hatten. Die Franzosen, die recht gut wußten, daß die Eingebornen
nur ungern die englische Herrschaft trügen, schickten Unterhändler an Tippo
- Saib, und ließen ihn ausfordern, den Engländern ins Land zu fallen. Er
rüstete sich zwar auch, aber die aufmerksamen Engländer tarnen ihm zuvor,
griffen ihn an, ehe seine Rüstungen vollendet waren, und belagerten ihn in
seiner Hauptstadt Seringapatam. Mit Verzweiflung vertheidigte sich hier
der tapfere Manu. Als aber am 4. Mai 1700 die Engländer die Stadt
erstürmten, wurde er erschlagen, und seine Familie gefangen gesetzt.
Ehe dies geschah, waren die Vorbereitungen in Toulon beendet, und
Bonaparte segelte am 20. Mai 1708 aus diesen: Hafen. Außer dem Heere
hatte er noch eine Anzahl Künstler und Gelehrte mitgenommen, welche die
Alterthümer Aegyptens untersuchen und abbilden sollten.*) Bei Sardinien
vereinigten sich einige anderwärts ausgerüstete Flotten mit der seinigen, und
rasch steuerte er nun auf Malta los. Es war ein majestätischer Anblick!
Vierhundert größere und kleinere Seeschiffe, deren Segel vom günstigsten
Wind geschwellt wurden, glitten pfeilschnell dahin, und stellten das Bild einer-
großen, schwimmenden Stadt dar. Die Soldaten waren frohen Muthes,
voll hoher Erwartung, und sahen sehnsuchtsvoll der Landung entgegen; am
Siege zweifelte Keiner. So kamen sie auf die Höhe von Malta. Noch
waren die Malteserritter Besitzer der Insel, aber nur wenige derselben wohn-
ten hier. Bonaparte verlangte die Uebergabe, und während er den Muth-
*) . Ihnen verdanken wir ein kostbares und herrliches Kupferwerk über die ägyptischen
Denkmäler, welches Bonaparte ans öffentliche Kosten hat anferligen lassen.
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dieser Nacht zu erhenken. Aber die Girondisten setzten durch, daß wenigstens
die bei jedem Verbrecher üblichen Formen beobachtet würden, und man er-
laubte dem Könige, sich einen Vertheidiger zu wählen. Seine Wahl fiel auf
den Rechtsgelehrten Tronchet, der, so gefährlich auch dies Geschäft damals
war, sich sogleich bereitwillig erklärte, und von seinem stillen Landsitze nach
Paris eilte. In der Noth erkennt man seine wahren Freunde! Auch der
ehrwürdige 78jährige Herr von Males herbes, einst königlicher Minister,
erbot sich dazu, und Beide wählten sich zum Gehülfen einen jungen Rechts-
gelehrten, Deseze*). Binnen acht Tagen vollendeten sie die ungeheure
Arbeit, eine Vertheidigung gegen alle vorgebrachte Klagen aufzusetzen. Am
26. December wurden sie nebst dem Könige vorgeladen. Malesherbes konnte
vor Rührung nicht sprechen, aber Deseze hielt eine meisterhafte Rede, die
den König unfehlbar gerettet hätte, wenn nicht alles Gefühl in den Herzen
der Jakobiner erstickt gewesen wäre. Ohnedies hatte Ludwig alle diejenigen
Stellen, welche auf das Gefühl wirken sollten, ausgestrichen, weil er von
seinen Richtern kein Erbarmen, sondern nur Gerechtigkeit verlangte. Nach-
dem Deseze geendigt hatte, setzte Ludwig nur noch wenige Worte hinzu, und
wurde dann in den Tempelthurm zurückgebracht.
Sogleich begann unter den Mitgliedern des Convents ein wüthender
Streit, ob das zu fällende Urtheil dem Volke erst noch vorgelegt werden
sollte. Die Girondisten verlangten es, um den König zu retten, die Jako-
biner widersprachen; einer, ein ehemaliger Fleischer, verlangte gar, daß man
Ludwigs Körper in Stücke hauen, und in jedes Departement ein Stück senden
sollte! Darin stimmten fast Alle überein, daß er schuldig sei, aber es schien,
als wenn nur der kleinere Theil für den Tod stimmen würde Bisher war
es Gesetz gewesen, daß bei allen peinlichen Gerichtsfällen nicht die Mehrheit
entschied, sondern der Angeklagte nur dann verurtheilt werden konnte, wenn
zwei Drittheile gegen ihn stimmten. Dies Gesetz wurde für den vorliegenden
Fall aufgehoben, und nun setzten die Cordeliers Alles in Bewegung, um
die Girondisten zu bewegen, für den Tod zu stimmen. Sie drohten, Alle
zu ermorden, die ihn freisprechen würden, ließen Kanonen gegen den Sitzungs-
saal auffahren, umgaben das Haus mit bewaffnetem Pöbel, und erklärten,
daß der König, wenn er auch losgesprochen würde, von einer Pöbelrotte mit
seiner ganzen Familie ermordet werden sollte. Am 16. Januar 1793 begann
die Abstimmung, welche, weil 727 Personen stimmten, fast 24 Stunden lang
dauerte, und eine der schauerlichsten Scenen darstellte. Wer malt die Züge
der Bosheit, der Schadenfreude, des Aergers, der Verzweiflung in den Ge-
sichtern der Meisten in der Versammlung! Als auch der verworfene Orleans
für den Tod seines so nahen Verwandten stimmte, fühlten selbst diese gefühl-
losen Menschen das Schändliche dieser Handlung, und es entstand ein allge-
meines Murren des Unwillens. Das Ende war, daß nur fünf Stimmen
mehr ihn zum Tode verurtheilten. Nur zwei hatten den Muth, aus dem
Convent auszutreten, weil sie es für eine Schande hielten, mit solchen Blut-
menschen in einem Saale zu sitzen.
Malesherbes war der Erste, der den König von seiner bevorstehenden
*) Gestorben als Pair von Frankreich und Präsident des Castationshofes 1828.
Stoff. Wellgesch. 4. Th. Q
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ein. Er ahnte nicht, daß sich ein fnrchtbares Gewitter über ihm zusammen-
zöge. Die alte Königin nämlich bereute, daß ihr verhaßter Sohn jetzt schon
den Thron erhalten hatte, und sie und die Königin von Hetrurien, ihre Tochter,
bestürmten den willenlosen alten König, eine Erklärung zu unterschreiben, daß
ihm die Niederlegung der Regierung abgedruugeu sei. Diese Schrift schickten
sie — Murat war mit in das Geheimniß gezogen — an Napoleon, und der
alte König begleitete sie mit einem Briefe, in welchem er sagte, er überlasse
sein eigenes, seiner Frau und des Friedenssürsten Schicksal Napoleons groß-
müthiger Entscheidung.
Wie freute sich Napoleon über die Einfalt, die ihm Spanien leichter, als
er je hatte hoffen können, in die Hände spielte! Denn daß ihm das Volk würde
Widerstand leisten, erwartete er nicht. Er glaubte es nur mit der königlichen
Familie zu thuu zu haben, und diese wollte er auf französischen Boden locken.
Zuerst ließ er dem jungen Könige unter den Fuß geben, ihm entgegen zu
reisen. Das that dieser auch, und stutzte, als er ihn aus dem Wege nicht
fand. Da redete man ihm zu, doch vollends bis nach Bayonne zu reisen,
wohin sich Napoleon begeben hatte. Unglücklicherweise ging er in die Falle.
Napoleon nahm ihn kalt auf, und erklärte ihm am 20. April, daß die Familie
der Bourbons aufgehört hätte, in Spanien zu regieren. Wie erstaunte Fer-
dinand über diese Treulosigkeit! Aber entrinnen konnte er nun nicht mehr.
In entschiedenem Tone verlangte Napoleon, er solle die Thronentsagung unter-
schreiben. Ferdinand verweigerte dies standhaft, und bat vergebens, ihn wenig-
stens wieder abreisen zu lassen. Während dieser Verhandlungen trafen auch
der alte König, die Königin und der sreigelassene Friedenssürst ein. Napoleon
hatte sie herbeiholen lassen, um sie bei der Thronentsagung Ferdinands zu
gebrauchen. Daß alle drei bereit waren, dazu die Hände zu bieten, versteht
sich bei ihrer Charakterlosigkeit von selbst. Der alte schwache Herr stellte eine
feierliche Erklärung aus, daß er alle seine Rechte aus Spanien und Indien
an Napoleon abtrete; dafür wurde ihm ein Schloß in Frankreich zum Aufent-
halte und lebenslänglicher Unterhalt versprochen. Nun wurde Ferdinand her-
beigeholt, und nachdem ihm der Vater die heftigsten Vorwürfe gemacht hatte,
rief Napoleon: „Prinz, Sie haben nur zwischen Entsagung und dem Tode
zu wählen." Das wirkte; Ferdinands Gemüth war zermalmt, sein Muth
gebrochen. Er stellte (6. Mai 1808) die geforderte Entsagung aus, und ver-
wies die Spanier an Napoleons Schutz. Auch er erhielt ein Schloß in
Frankreich, wo er zwar Unterhalt bekam, aber unter genauer Aufsicht gehalten
wurde. Ebendahin gingen auch die andern spanischen Prinzen ab. Die Kö-
nigin von Hetrurien und der Friedensfürst erhielten Pensionen.
Napoleon war auf dem höchsten Gipfel der Freude, und dachte, nun mit
Spanien fertig zu sein. Aber er täuschte sich gewaltig; denn in den Spaniern
lag eine Kraft und ein Widerwille gegen die französische Herrschaft, die er
nicht geahnt hatte. Schon kurz vor Ferdinands Thron-Entsagung, am 2. Mai,
hatte sich der Pöbel in Madrid gegen die Franzosen empört, war aber durch Mu-
rats Entschlossenheit und Strenge nach vielem Blutvergießen bezwungen worden.*)
*) Zwei junge Artillerieoffiziere (Daviz u. Velarde), von einer Anzahl entschlossener
Männer befolgt, pflanzten plötzlich in einer der Hauptstraßen zwei Kanonen aus, und
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aus, wie erstaunten sie aber, als ihnen Napoleon sagte, daß davon gar
nicht die Rede sein könnte, weil zum alten Polen auch Galizien gehöre, und
dieses bei Oestreich bleiben müsse. An der russischen Gränze sprach er zu
seinem Heere: „Rußland hat in Tilsit ewige Freundschaft für Frankreich ge-
schworen; heute bricht es seine Eide. Sein übles Geschick reißt es mit sich
fort; die Zeit der Erfüllung ist nahe. Es stellt uns zwischen Schande und
Krieg; die Wahl kann nicht zweifelhaft sein. Vorwärts also! Wir wollen
den Riemen überschreiten." Als er in der Nacht, um überzusetzen, an den
Fluß ritt, stürzte sein Pferd zusammen, und warf ihn auf den Sand. „Eine
üble Vorbedeutung!" seufzten die Abergläubischen, und als er nun darüber
war, umzog ein fürchterliches Gewitter den ganzen Horizont, als wollte es
dem Heere den Eintritt wehren.
Uebrigens waren die Franzosen den Russen bei Weitem überlegen. Diese
zählten kaum 200,000 Mann, und hatten noch dazu anfangs mit England
und den Türken Krieg. Allein wer mit Napoleon Krieg führte, war der
natürliche Bundesgenosse der Engländer, und daher schlossen diese (in Oerebro
in Schweden am Hielmar-See) schnell Frieden, und versprachen alle mög-
liche Hülse. Auch die Türken vertrugen sich mit den Russen, wie schon oben
gesagt ist, in Bukarest, und so hatten nun diese freie Hand gegen die Fran-
zosen. Während Napoleon mit dem Hauptheere, welches er selbst führte,
auf dem Wege nach Moskau vordrang, schickte er den General Macdonald
(unter ihm standen die preußischen Truppen) links, um Riga zu belagern.
Auch wurde ein Heer unter Oudinot nach der Mittlern Düna geschickt, wo
der russische General Wittgenstein die Straße nach Petersburg verlegte,
und auf dem rechten französischen Flügel mußte sich Fürst Schwarzen-
berg, der die Oestreicher und Sachsen befehligte, mit dem russischen Heere,
welches von der Türkei kam, herumschlagen. Wir können hier nur Napoleon
selbst auf seinem Zuge begleiten.
So weit er vorrückte, zogen sich die Russen unter Barclay de
Tolly's Oberbefehl zurück, weil sie zum Widerstande zu schwach waren,
und brannten ihre Magazine ab. Erst bei Smolensk machten sie Halt.
Diese Stadt gilt den Russen für heilig, theils wegen ihres Alters, theils
weil sie ein wunderthätiges Marienbild enthält. Schon murrten sie über
das Znrückweichen ihres Feldherrn; hätte er die heilige Stadt nicht verthei-
digt, so wäre es um sein Ansehen ganz geschehen gewesen. Hier stellte er
seine Russen auf; jenseits rückten am 16. August die Franzosen stürmend
gegen die Stadt heran. Die Nacht brach über dem Gefechte ein. Es war
eine fürchterliche Schlacht, die am Morgen des 17. begann. Die Russen
vertheidigten die Stadt mit Heldenmuth, und wie auch die Franzosen heran-
stürmten, und mit einem Hagel von Kanonenkugeln Menschen und Mauern
niederstürzten, doch wankten jene nicht. Am Abend endlich ließ Napoleon
Granaten in die Stadt werfen; dicke schwarze Rauchwolken stiegen auf, end-
lich wälzten sich ungeheure Flammenströme gen Himmel, und verzehrten die
Stadt größtentheils. Der Kaiser betrachtete, vor seinem Zelte sitzend, das
entsetzliche Schauspiel in tiefem Schweigen. Während der Nacht zogen die
Russen ab, und am andern Morgen rückten die Franzosen in die mit Schutt,
Asche und gräßlich zersteischten Leichen erfüllte Stadt ein. Schweigend und
1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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sollte, den Krieg an, und rückte sogleich in Baiern ein. Schnell eilte Na-
poleon herbei, und warf sich mit Ungestüm auf die Oestreicher, die in 5tägi-
gen Gefechten, besonders in der Schlacht bei Eckmühl am 22. April,
geschlagen wurden. Karl zog sich bei Regensburg aus das linke Donauufer,
und eilte nun in Gewaltmärschen auf Wien zu, um hier wo möglich Na-
poleon zuvorzukommen, was aber nicht zu erwarten war, da dieser auf ge-
radem Wege marschirte, während Karl einen Umweg machen mußte, und
durch den Böhmerwald aufgehalten wurde. Dennoch trafen beide Heere fast
zu gleicher Zeit bei Wien ein; da aber Karl auf dem jenseitigen Ufer
stand, so konnte er die Residenz nicht retten, in welche Napoleon am 13. Mai
einrückte. Am frevelhaftesten war, daß dieser die Ungarn gegen ihren Herrn
zu empören suchte, und ihnen zuredete, sich einen eigenen König zu wählen;
aber er erfuhr vor ganz Europa die Beschämung, daß sie nicht wankten in
ihrer Treue, und ihm nur dadurch antworteten, daß sie schnell ein Heer
für Kaiser Franz aufbrachten.
Nach kurzer Ruhe ging Napoleon, nachdem er von der großen Donau-
insel Lobau eine Schiffbrücke geschlagen hatte, über die Donau, und griff
in der großen Ebene, welche sich von der Donau bis nach Böhmen und
Mähren hinzieht, und das Marchfeld heißt *), das östreichische Heer an.
In der blutigen Schlacht bei Aspern und Eßlingen, die man von
den Thürmen Wiens beobachten konnte, erfuhr er am 21. und 22. Mai
einen Widerstand, den er nicht erwartet hatte; glorreich kämpften die Oest-
reicher unter dem Erzherzog Karl, und als endlich die Franzosen zurückge-
schlagen nach ihrer Schiffbrücke eilten — wie erschraken sie! Die Oest-
reicher hatten den plötzlich angeschwollenen Strom benutzt, und Baumstämme
und Balken hineingeworfen, durch welche die Brücke zertrümmert war. Man
denke sich die Verlegenheit Napoleons. Indessen wurden sie noch dies Mal
gerettet. Während Marschall Davoust die vordringenden Oestreicher aufhielt,
erbauten die Ingenieure mit unglaublicher Schnelligkeit eine neue Brücke.
Die Franzosen hatten in dieser blutigen Schlacht an 30,000 Mann und dar-
unter den Marschall Lanues verloren, und obgleich Napoleon laut versicherte,
einen großen Sieg erfochten zu haben, so blieb doch die Wahrheit nicht ver-
borgen, und überall frohlockte man.
Jetzt trat auf diesem Punkte sechs Wochen lang eine Waffenruhe ein,
um neue Kräfte zu sammeln. Aber auch in andern Provinzen hatte sich das
Kriegsfeuer entzündet. In Italien hatte Erzherzog Johann den Vicekönig
von Italien zurückgedrängt, und in Throl war das treue Volk aufgestanden,
um das baiersche Joch abzuschütteln, und seinem alten Herrn beizustehen.
In den Thälern dieses Landes wohnt bei Genügsamkeit und Treuherzigkeit
ein großer Freiheitssinn und doch innige Anhänglichkeit an das östreichische
Haus. Jeder Throler trägt einen Stutzen (eine kurze Büchse), und weiß
damit sein Ziel zu treffen. Dieses Volk erhob sich jetzt, warf schnell die
Baiern hinaus, und wählte zum Anführer Andreas Hofer, einen Land-
mann und Gastwirth aus dem Passeher-Thale bei Meran. Der Raum er-
laubt nicht, die vielen tapsern Thaten der Throler, an denen selbst die
*) Siehe Ii. Theil, S. 175.
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1859 -
Leipzig
: Fleischer
- Autor: Kurts, Friedrich, Nösselt, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Bürgerschule, Gelehrtenschule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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der ganzen Reiterei waren nur noch 800 ausgehungerte Pferde übrig, meist
Offizieren gehörig, die nun mein Corps vereinigt wurden. Mehrmals war
das Heer, noch öfter waren einzelne Corps von den Russen umringt und
abgeschnitten, und wurden nur durch List oder durch die große Tapferkeit derer,
die noch unter den Waffen waren, gerettet. Die gräßlichsten Scenen, die
sich auf diesem trostlosen Rückzuge ereigneten, kamen in solcher Menge vor,
daß nur wenige von der Geschichte aufbewahrt, aber keine in ihrer ganzen
Schauderhaftigkeit beschrieben werden können. Hier nur Einiges davon. Mar-
schall Reh mußte, um sich vor den verfolgenden Russen zu retten, in einer
dunkeln Nacht über einen Fluß setzen, dessen Eisrinde glücklicher Weise trug.
Alle Wagen, alles Gepäck mußte am User stehen bleiben, und als die Mei-
sten hinübergegangen waren, fehlte es vielen an Kraft, am andern steilen und
beeisten Ufer hinanzuklimmen, so daß sie zurückstürzten, das Eis zerborst,
und sie ohne Rettung in das Wasser hinabsanken. Noch kläglicher war das
Geschrei der armen Kranken, die auf den Wagen lagen, die Hände aus-
streckten, und flehten, sie doch nicht hülflos zu verlassen. Ney ersuchte einige
Wagen über den Fluß gehen zu lassen; als sie aber mitten darauf waren,
brach das Eis zusammen. Von dem Ufer hörte man aus dem geöffneten
Schlunde ein herzzerreißendes, wiederholtes Angstgeschrei, dann ein unter-
brochenes Stöhnen, immer schwächer werdende Seufzer, und endlich eine
gräßliche Stille. Alles war im Wasserschlunde verschwunden.
In den Dnieper ergießt sich auf dessen rechter Seite ein Fluß, die
Berezina. An sich ist er nicht bedeutend; aber er bildet auf beiden Seiten
breite und tiefe Moräste, die man nur auf einzelnen Brücken überschreiten
kann. Wurden diese von den Russen zerstört, oder nur stark besetzt, so war
der ganze Ueberrest des französischen Heeres verloren. Wirklich hatten die
Russen die Absicht, hier dem ganzen Trauerspiel ein Ende zu machen. Wäh-
rend Kutusow und der Kosackenhetmann Platos von hinten drängten,
rückten Tschitschagof von Süden, und Wittgenstein von Norden schnell
heran, an der Berezina zusammenzutreffen, und Napoleon den Uebergang zu
wehren. Als dieser am Flusse ankam, sah er zu seinem Entsetzen, daß der
Uebergangspunkt von den Russen bereits besetzt sei. Mit Gewalt war hier
nichts auszurichten; aber er nahm zur List seine Zuflucht. Er stellte sich,
als wollte er eine Brücke schlagen lassen, während er an einer andern Stelle,
die nur wenig bewacht wurde, in größter Stille wirklich eine solche zimmern
ließ. Die ganze Nacht wurde gearbeitet; aber auch jetzt noch hätten einige
russische Kanonen hingereicht, den Bau zu zerstören. Dies erwartete auch
Napoleon, und hielt sich selbst für verloren. Allein Tschitschagof bildete sich
ein, Napoleon werde weiter unterhalb übergehen, ließ seine Truppen ab-
ziehen, und — Napoleon war gerettet. Das war freilich für diesen ein
großes Glück; aber die Brücke war nur für das Fußvolk eingerichtet; schnell
ließ er noch eine zweite für das Geschütz, die Wagen und die wenigen Reiter
bauen, und am 27. November gingen er und seine Garden über.
Bis so weit ging Alles gut, aber nun kam das Schreckliche. Sobald
man die Garden übergehen sah, drängten sich alle Uebrige von allen Seiten
herbei, sich an sie anzuschließen, so daß in einem Augenblicke eine tiefe, breite
und verwirrte Masse von Menschen, Pferden und Wagen den schmalen Ein-