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und zwar in Versailles, wo seit Ludwigs Xiv. Zeit die königliche Residenz
war. Gleich anfangs entstanden Streitigkeiten, besonders über die Frage,
ob nach Ständen oder nach Köpfen gestimmt werden sollte. Darauf kam
sehr viel an; denn im ersten Falle hatten die Deputirten des dritten Stan-
des zusammengenommen nur eine Stimme; im letztern Falle dagegen hatten
sie deren eben so viele, als die beiden andern Stände zusammen. Endlich
wurde das Letztere beschlossen, und dadurch das Uebergewicht des dritten
Standes entschieden. Nun that dieser immer kühnere Schritte. Auf den
Vorschlag des Abb6 Sieyes, eines höchst verschmitzten Kopfes, erklärten
sich die Deputirten dieses Standes zur Nationalversammlung; mehrere
der niederen Geistlichen gingen zu ihnen über, und nun schritten sie schnell
dazu, in der bisherigen Verfassung Veränderungen zu treffen. Der König
erschrak; er glaubte nur in einer schnellen Auflösung der Versammlung eine
Rettung zu finden, besonders da immer mehr Geistliche, ja selbst einige vom
Adel sich mit der Nationalversammlung vereinigten. Darum erschien er am
23. Juni selbst in derselben, bezeigte sein Mißfallen über die Zwistigkeiten
und über die eigenmächtigen Verbesserungen der Deputirten, und befahl, daß
sie sogleich auseinander gehen, und daß sich am folgenden Tage jeder Stand
besonders versammeln sollte. Der König verließ den Saal, mit ihm der
Adel und die Geistlichkeit; die Deputirten des dritten Standes aber — blie-
den sitzen, unschlüssig, ob sie gehorchen wollten, oder nicht, und als der
Großceremonienmeister (Marquis von Dreux-Brez^) erschien, und ihnen im
Flamen des Königs ankündigte, sich sogleich zu entfernen, so trat Graf
Mirabeau, ein sehr kluger, aber höchst verdorbener Mensch, auf, und
antwortete: sie wären alle durch den Willen des Volks versammelt, und nur
durch dke Gewalt der Bajonette würden sie sich von ihrem Platze vertreiben
lassen. Jetzt hätte Ludwig sogleich Soldaten anrücken, und die Ungehorsa-
men streng strafen lassen sollen; denn wie kann Ordnung bestehen, wenn der
Wille des Oberhauptes nicht mehr beachtet wird?! Aber der gute König
'war zu gewaltsamen Maßregeln nicht zu bewegen; die Deputirten erkannten
-daraus, was sie ihm bieten könnten, und sein Ansehen war unwiederbring-
lich dahin.
Orleans und ein Theil des höhern Adels vereinigte sich nun mit der
Nationalversammlung, die ohne alle Rücksicht die bisher bestehende Ver-
fassung Stück für, Stück niederriß. Zwar ist nicht zu leugnen, daß uner-
hörte Mißbräuche eingerissen, und eine gänzliche Umwandlung nöthig war;
aber die herrschende Aufregung erschwerte die besonnene Einführung neuer
Zustände; selbst dem edleren Willen fehlte die Weisheit der Erfahrung und
die geheimen Ziele der Aufwiegler gingen weit über die neu zu gestaltende
Sicherung der Ordnung hinaus. Bald gab der König einen neuen Beweis
seiner Schwäche: er befahl (27. Juni) dem Adel und der Geistlichkeit, sich
mit dem dritten Stande zu vereinigen, also gerade das, was er früherhin
verboten hatte. Darüber war nun die Freude allgemein, aber nun war
auch die Revolution entschieden. Das Volk sah, daß man dem Könige Alles
abtrotzen könne. Ganz Frankreich theilte sich in zwei Parteien: Aristokraten
oder Freunde der alten Ordnung, und Demokraten oder Freunde der Revo-
lution. Der Pöbel sprach ganz laut von Plünderung und Mord der Aristo-
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwigs Graf
Mirabeau Ludwig Ludwig
7
der Obrigkeit fordern könne. Das war zwar recht gut gemeint, wurde aber
von dem unwissenden Volke gemißbraucht, sich frei von jeder Pflicht des
Gehorsams zu dünken. Die meisten Mitglieder der Nationalversammlung
waren von dem aufrichtigen Wunsche beseelt, dem Volke eine es beglückende
Verfassung zu geben; nur einige Wenige suchten absichtlich alle Ordnung zu
untergraben. Am 4. August trat der Vicomte von Noailles, aus einer vor-
züglich bevorrechteten alten Familie, auf, und verlangte, daß die Versamm-
lung die Abschaffung aller persönlichen Vorrechte aussprecben möchte. Er
selbst entsagte den seinigen aus eine edelmüthige Weise. Die Versammlung
stimmte ihm, wie vom Schwindel ergriffen, augenblicklich bei, ohne zu be-
denken , welche große Veränderung das im ganzen Lande Hervorbringen müsse.
Es wurde beschlossen, daß von nun an Alle gleich sein sollten, und nun war
Freiheit und Gleichheit im Munde eines Jeden. Das Volk weigerte
sich nun, der Obrigkeit zu gehorchen; denn Alle wären ja frei und einander
gleich, und wehe dem Lande, wo der Pöbel nicht mehr gehorcht! Bewaffnete
Banden zogen, vom Herzoge von Orleans ausgemuntert, im Lande umher,
plünderten die Schlösser der Edelleute, und begingen andere Gewaltthätigkei-
ten, während er selbst ausbreitete, der Hof sei an dem Allen Schuld. Zu-
gleich ließ er die Felder verwüsten, damit bei dem eintretenden Getreide-
mangel der Haß gegen die königliche Familie noch größer werde. Ludwig
bat die Nationalversammlung, den täglich wachsenden Unordnungen Einhalt
zu thun; aber zu spät sah diese nun ein, daß sie zu voreilig gewesen sei,
und nicht mehr den einmal losgelassenen Strom aufhalten könne. Damit
aber das Uebel noch größer werde, entstanden selbst in der Nationalversamm-
lung mehrere Parteien, die sich tödtlich haßten; die eine suchte die Monarchie
zu venheidigen, die andere aber bekämpfte dieselbe, und wollte dem Volke
'allein die Herrschaft verschaffen. Die letzte bestand aus den talentvollsten
und kühnsten Männern; darum siegte sie auch zuletzt ob. An Abstellung der
Unordnungen dachte keine, wohl aber wurde eifrig an der Auflösung der
bisher bestehenden Rechte gearbeitet. Die niedere Geistlichkeit hatte bisher
' von dem Zehnten gelebt, den ihnen die Gemeinden geben mußten. Jetzt
wurde er aufgehoben, aber dafür sorgte Keiner, daß die Geistlichen entschä-
digt würden; wovon sollten sie nun leben? —
Wenn auch die Anzahl der Bösewichter in der Nationalversammlung
nur klein war, so war doch ihre Partei die gefährlichste, weil der steinreiche
Orleans an ihrer Spitze stand, der durch sein Geld den Pöbel in die Waffen
bringen konnte, sobald er wollte; denn in den Vorstädten von Paris, beson-
ders in der Vorstadt St. Antoine, gab es so vieles armes Volk, besonders
unter den Fabrikarbeitern, daß er für Geld Tausende finden konnte, "die zu
allen Verbrechen bereit waren. Schon bei dem Tumult am 17. Juli hatte
Orleans gehofft, der König würde vom Pöbel ermordet werden, und dann
hätte er vielleicht den Thron besteigen können. Jetzt streute er wieder Geld
und Schmähschriften gegen den König, besonders aber gegen die Königin
aus, um den Pöbel zu wüthendem Haß gegen sie zu entstammen; seine Ab-
sicht war unstreitig, durch die Ermordung der Königin seine Rache zu befrie-
digen, ^und durch einen neuen Aufruhr die Nationalversammlung zu zwingen,
ihren Sitz nach Paris zu verlegen, um sie dann durch den Pöbel ganz be-
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: August Vicomte_von_Noailles Ludwig Antoine
9
daher wurden die Gardes du Corps, Alles junge Leute aus den vornehmsten
Familien, mit Steinwürfen und selbst mit Flintenschüssen ungestraft verfolgt;
denn diese Truppen waren als treue Anhänger des Königs dem Pöbel ver-
haßt. Am späten Abend traf nun auch das Pariser Heer unter La Fayette
ein. Dieser Mann war zwar ein Freund der Freiheit, aber voll Rechtlich-
keit und Ehrliebe. Er suchte jede Gewaltthätigkeit zu hindern, und hatte den
Haufen schwören lassen, dem Könige treu zu bleiben, und vor der Wohnung
desselben Achtung zu haben. Endlich trieb ein starker Regen Alles aus ein-
ander; ein Jeder lagerte sich so gut er konnte, die Straßen wurden still,
und La Fayette gab dem Könige die Versicherung, daß er für die Ordnung
Bürge sein wolle. Aber Orleans, Mirabeau und die andern Verschworenen
hatten sich indessen in Weiberkleidern unter die Soldaten gemischt, und durch
Austheilung von Geld und Branntewein die, welche noch an ihrer Pflicht
hielten, vom Könige abwendig gemacht, und mit Sehnsucht erwarteten die
Bösewichter den Anbruch des folgenden Tages, um ihre Verbrechen auszu-
sühren.
Am 6. October früh um 5 Uhr schlief noch die königliche Familie, als
sich vor dem Schlosse ein fürchterliches Mordgebrüll erhob. Die Mörder
steten über die treuen Gardes du Corps her, hieben mehrere derselben nieder,
und verlangten laut den Kopf der Königin. Ein andrer bewaffneter Haufen
drang indessen durch eine von der Nationalgarde absichtlich unbesetzt gelassene
Hinterthüre in das Schloß ein, und wandte sich, von Mitgliedern der Natio-
nalversammlung, unter denen Orleans und Mirabeau gewesen sein sollen,
geführt, nach dem Schlafzimmer der Königin. Ein Garde du Corps (Mio-
mandre de St. Marie), die Gefahr der erlauchten Frau bemerkend, opferte
sein Leben auf, das ihrige zu retten. Er lief eilend nach der Thüre ihres
Zimmers, und rief durch dieselbe: „Um Gottes Willen! retten Sie sich!
sonst sind Sie verloren!" Sie hatte nur noch Zeit, aus dem Bette zu sprin-
gen, und, in einen Morgenmantel gehüllt, durch eine verborgene Treppe
4iach dem Zimmer des Königs zu entfliehen, als schon die Mörder vor
ihrem Zimmer erschienen, den treuen Garde du Corps ermordeten, die Thüre
aufsprengten, und wüthend auf ihr Bette losstürzten. Als sie es leer fan-
den, stießen sie wilde Flüche aus, und durchbohrten es aus Wuth mit un-
zähligen Stichen. Die Grenadiere der königlichen Garde nahmen nun die
königliche Familie in Schutz, und trieben die Mörder aus den Zimmern.
Aber mit neuer Wuth wandte sich der Pöbel gegen die überall fliehenden
Gardes du Corps. Vorzüglich zeichnete sich ein Mensch von ungeheurer
Länge aus, der mit einem langen Barte, einer hohen Mütze und aufgestreif-
ten blutigen Armen umherging, und das gräßliche Geschäft trieb, den Ermor-
deten, noch ehe sie ganz todt waren, die Köpfe abzuhacken, die dann der
Pöbel auf Stangen steckte und umhertrug. Den Bemühungen La Fahettes
gelang es, einige Gardes du Corps zu retten.
Ludwig selbst begab sich auf einen Balcón, um zu dem untenstehenden
Pöbel zu sprechen. „Gnade für meine Leibgarde!" rief er mit ausgebreiteten
Armen, hinab. — „Hoch lebe der König!" war die Antwort des begeisterten
Haufens, der noch vor einer Stunde ihn ermordet hätte, wenn er in seine
Hände gefallen wäre. Man holte die gefangen gehaltenen Gardes du Corps
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sein Auge glanzlos und lauernd. Danton dagegen war eine furchtbar ge-
waltige Natur, die Kraft seiner leidenschaftlichen, donnernden Beredtsamkeit
beherrschte die Zuhörer. Marat, früher Arzt in Diensten des Grafen von
Artois, von abschreckender Häßlichkeit, cynisch in seinem Aeußern und seinen
Sitten, regte durch sein Journal „der Volksfreund" mit immer steigendem
Haß und Blutdurst den Pöbel zu Mord und Gewaltthaten auf. Dadurch
aber, daß der Jakobinerclub sich über ganz Frankreich verbreitete, und daß
die Clubs in den Provinzen mit dem der Hauptstadt in steter Verbindung
blieben, erlangte dieser sene Gewalt, die er mit so furchtbarem Terrorismus
gebraucht hat.
Was von der alten Verfassung noch übrig war, wurde nun mit rascher
und unbesonnener Gewalt umgestürzt. Die Güter der Geistlichkeit wurden
für ein Eigenthum der Nation erklärt, die alte Eintheilung des Königreichs
in Provinzen aufgehoben, und dafür das ganze Reich in 83 Departements
getheilt, eine Eintheilung, die noch jetzt besteht, und da durch die Aufhebung
fast aller bisherigen Steuern die Cassen sich in der äußersten Noth befanden,
so wurde ein Papiergeld geschaffen, Assignaten genannt. So nützlich eine
mäßige Summe von Papiergeld ist, weil dadurch der tägliche Geldverkehr
sehr erleichtert wird, so schädlich ist es, sobald so viel davon ausgegeben
wird, daß es nicht jeden Augenblick gegen klingendes Geld umgesetzt werden
kann. Der letztere Fall trat bald ein; denn die Männer, die in den ersten
Jahren der Revolution die größte Macht hatten, vermehrten es zu so unge-
heurer Menge, daß es nach und nach am Werthe verlor, und zuletzt fast gar
nichts mehr galt.
Die Auswanderungen nahmen immer mehr zu. Diese Emigrirten waren
meist Edellente, die mit den neuen Umänderungen unzufrieden waren, und
sich vorzüglich in Coblenz an den dorthin geflüchteten Grafen von Artois an-
schlossen. Sie suchten überall der Revolution Feinde zu erwecken, und hofften
durch Hülfe der fremden Fürsten einst siegreich in ihr Vaterland zurückkehren
zu können. Aber sie richteten wenig aus, denn überall im Auslande zeigte
sich eine große Vorliebe für die französische Revolution. Viele Schriftsteller,
getäuscht durch einzelne lobenswerthe Einrichtungen, priesen sie als eine äußerst
wohlthätige Erscheinung, und als den Anfang einer herrlichen Zeit. Wohl
ist eine schönere Zeit nachmals aus ihr hervorgegangen, aber wahrlich nicht
durch jene überspannten Menschen in Frankreich, sondern durch die Alles zum
Besten der Menschheit leitende göttliche Vorsehung, die sich auch der Thor-
heit und Verbrechen verblendeter Menschen bedient, um Gutes zu stiften.
Diese guten Folgen der Revolution waren damals noch weniger vorherzusehen,
als die entsetzlichen Greuelthaten, mit welchen sie sich befleckt hat. Durch
jene Lobpreiser verbreitete sich nun immer mehr ein Haß gegen die bevor-
rechteten Stände, und die Idee, daß das Volk gewisse Rechte habe, die ihm
die Fürsten nicht vorenthalten dürften. Auch hierbei zeigten sich die Deutschen
als die Vernünftigsten. Fast nirgends zeigten sich hier gewaltsame Auf-
lehnungen gegen die Obrigkeit, wogegen in Holland und England der revo-
lutionäre Geist kaum mit Waffengewalt niedergehalten werden konnte.
So endigte sich das erste Jahr der Revolution. Das Jahr 1790 brach
unter trüben Aussichten an. Der König, den es betrübte, daß man allge-
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Extrahierte Personennamen: Danton Artois
Extrahierte Ortsnamen: Artois Frankreich Coblenz Frankreich Holland England
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In früherer Zeit war auf die Ausbildung des Adels die meiste Sorg-
falt gewendet worden. Aber in neuerer Zeit hatte sich das geändert. Die
mittleren Stände waren im Besitze einer größeren Bildung, und doch sahen
sie sich zurückgesetzt; der Adel wurde von den Fürsten vorgezogen, wollte die
alten Vorrechte nicht fahren lassen, und sah mit Geringschätzung auf den
Bürgerstand herab, der die unverdiente Behandlung mit Erbitterung vergalt.
Ganz besonders war dies in Frankreich der Fall. Die größeren Gutsbesitzer
hatten sich an den Hof angeschlossen, und während sie in Paris und Ver-
sailles große Summen leichtsinnig verpraßten, erlagen die Bürger der klei-
nen Städte und die Landleute unter dem Drucke schwerer Abgaben, die sie
bei der Steuerfreiheit des Adels und der Geistlichkeit nicht nur allein auf-
bringen mußten, sondern deren Leistung durch die Härte und Gewinnsucht
der Generalpächter der Steuern und ihrer Unterbeamten noch widerwärtiger
wurde. Die unteren Stände schienen allein da zu sein, durch saure Arbeit
das zu erwerben, was der hohe Adel in Schwelgereien verthat. Nicht viel
besser ging es dem ärmern Landadel und der niedern Geistlichkeit. Während
am Hofe die größte Ueppigkeit herrschte, war in den Provinzen die bitterste
Armuth und Noch. Der reiche Adel hatte sich allein in den Besitz der ein-
träglichen Aemter gesetzt; die reichsten Pfründen waren nur in seinen Hän-
den, und längst wurde bei Besetzung der bürgerlichen, geistlichen und mili-
tairischen Stellen nicht mehr nach dem Verdienste der sich Meldenden ge-
fragt, sondern alle einträgliche Aemter wurden verkauft; nur solche, mit
denen mehr Arbeit als Lohn verbunden war, wurden dem Bürgerstande
überlassen. Wie konnte da Erbitterung ausbleiben? — Und doch wurden im
dritten Stande (tier8 stat) — so wurden in Frankreich die Mittlern Stände
genannt — die größte Bildung und die vorzüglichsten Talente gefunden.
Mußten sich nicht die ausgezeichnetsten Männer nach einer Veränderung
sehnen, die ihren Geistesgaben einen größeren Spielraum gestattete? Dazu
kam, daß das gemeine rohe Volk leichtsinnig und sittenlos war, und leicht
gebraucht werden konnte, die bisherige Ordnung zu stürzen, sobald nur ein
kühner Anführer sich fand, der sein Vertrauen zu gewinnen wußte. — Nicht
wenig trugen auch zu der revolutionären Stimmung mehrere Schriftsteller
des achtzehnten Jahrhunderts bei. Rousseau, Voltaire und Andere hatten
ausdrücklich gelehrt, daß jeder Mensch gewisse Rechte habe, die kein Fürst
ihm ungestraft nehmen könne, daß der Fürst um des Volkes willen, nicht
aber das Volk um des Fürsten und des Adels willen da sei, und daß es
eine Gränze gebe, bis wohin der Unterthan seinem Fürsten gehorchen dürfe.
Das Beispiel der nordamerikanischen Provinzen, die sich von England erst
kürzlich losgerissen, und in Frankreich so viele Teilnahme gefunden hatten,
wirkte auch nicht wenig, jenen Grundsätzen in den Köpfen der Franzosen
Eingang zu verschaffen. Während nun Freiheit und Gleichheit in dem
Munde des Volks war, gaben die Minister Gesetze, welche diesen Ideen
gerade entgegengesetzt waren, z. B. daß nur Adlige Offizierstellen bekleiden
sollten, und zwar nur solche, die wenigstens vier Ahnen aufführen könnten.
An Brennstoff fehlte es also nicht; es kam nur daraus an, daß ein Funke
hinein fiel, um eine Explosion zu bewirken.
Zu diesen allgemeinen Ursachen kamen noch besondere. Frankreich be-
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Paris Schwelgereien Frankreich England Frankreich Frankreich
21
Nacht den braven Mandat, der in den Tuilerien Alles zur Vertheidigung
anordnete, aufs Rathhaus. Hier wurde er mit Schmähungen empfangen,
nach dem Gefängniß abgeführt, aber, ehe er noch dasselbe erreichte, von dem
Pöbel ermordet, so daß nun die Vertheidiger der Tuilerien sich selbst über-
lassen blieben. An seine Stelle wurde — Santerre ernannt.
Um 6 Uhr des Morgens am 10. August setzte sich das bewaffnete
Rebellenheer gegen die Tuilerien in Bewegung, zu jeder Schandthat ent-
schlossen. Um 8 Uhr trafen die ersten Haufen vor dem Schlosse ein, und
es erhob sich ein fürchterliches Geschrei. Der König und seine Familie er-
warteten in ruhiger Ergebung den Ausgang der Dinge, während der größte
Theil der Nationalgarden, Schweizer und einige Hundert Edelleute, die dem
Könige zu Hülfe gekommen waren, sich zur Vertheidigung rüsteten. Aber der
gute Ludwig zeigte hier wieder zu wenig Entschlossenheit. Er verbot jeden
Angriff auf den Pöbelhaufen, damit man ihm nicht Schuld gebe, den Anfang
des Blutvergießens gemacht zu haben. Während er noch schwankte, was er
thun sollte, trat Röde rer, eine Magistratsperson, herein, und schilderte
ihm die Gefahr als äußerst dringend. Der Pöbel sei nicht mehr zurückzu-
halten; die Kanoniere verweigerten den Gehorsam, und hätten vor seinen
Augen die Ladung ans den Kanonen gezogen; der König sei in Gefahr, mit
seiner Familie ermordet zu werden, wenn er sich nicht augenblicklich in den
Saal der Nationalversammlung rette. Die Königin widersetzte sich diesem
Ansinnen, weil sie merkte, daß man nur die Absicht habe, ihren Gemahl von
seinen treuen Dienern zu trennen. Da trat Röderer vor sie hin, und sprach
mit funkelnden Augen: „Madame, die Augenblicke sind kostbar. Zaudern
Sie noch eine Minute, noch eine Secunde, so kann ich nicht für das Leben
des Königs, für das Ihrige und das Ihrer Kinder stehen." — „Nun gut!"
rief die Königin, „so müssen wir denn auch noch dies letzte Opfer bringen." —
„Laßt uns gehen!" fügte der König hinzu. Dann wandte er sich zu dem
Haufen seiner Getreuen, und sprach: „Hier, meine Freunde, giebt es nichts
mehr zu thun." Er und die Seinigen gingen, ohne Widerstand zu finden,
erst durch die Reihen der Nationalgarden, dann durch den im Tuilerien-
Garten dicht gedrängt stehenden Pöbel, von Schweizern und Nationalgarden
umgeben, bis vor die Thür des Versammlungssaales. Hier mußten sie
warten, und waren den Beleidigungen der sie umgebenden Menge eine lange
Weile ausgesetzt. „Wir wollen keine Tyrannen mehr!" schrie man von allen
Seiten; „bringt sie um! bringt sie um!" Nach langem, ängstlichem Harren
wurde ihnen die Thüre geöffnet.
„Meine Herren!" redete der König die Versammlung an, „ich komme
hierher, um Frankreich ein großes Verbrechen zu ersparen. Ich habe geglaubt,
daß ich nirgends sicherer sein könnte, als unter den Stellvertretern der
Nation." Er hatte sich auf einen Stuhl neben den Präsidenten gesetzt; aber
als ein Mitglied bemerkte, daß die Versammlung nicht in Gegenwart des
Königs berathschlagen könnte, erhob sich ein wildes Geschrei: „Vor die
Schranken! aus die Bank der Minister!" Ludwig gehorchte; aber auch hier
duldete man ihn nicht, und verwies ihn in die mit einem Gitter versehene
Loge eines Zeitungsschreibers. Hier wurde er mit seiner Familie verwahrt,
und mußte mit anhören, wie die Versammlung über seine Absetzung und die
TM Hauptwörter (50): [T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: August Ludwig Ludwig Röde Ludwig
23
Das Königthum war also seit dem 10. August abgeschafft, und Frank-
reich eine Republik.
104. Erste Coalition, von 1792 bis 1797.
(Zusammenkunft in Pillnitz Juli 1791. Ansbruch des Revolutionskrieges. Erste Coali-
tion 1792—1797. La Fayette. Die Preußen in der Champagne. Treffen bei Valmy
20. Sept. 1792. Cüstine in Mainz. Schlacht bei Jemmappes 5., 6. Nov. 1792.)
So wie ein speiender Vulcan das umliegende Land erschüttert und ver-
heert, so war es auch nicht anders möglich, als daß die Revolution in Frank-
reich die benachbarten Länder Europa's, ja diesen ganzen Erdtheil erschüttern
mußte, besonders da die französischen Machthaber ganz und gar nicht auf
die Rechte fremder Staaten Rücksicht nahmen. Der erste Anlaß zur Unzu-
friedenheit war, daß bei der neuen Eintheilung Frankreichs alle diejenigen
Besitzungen, welche deutsche Fürsten auf dem linken Rheinufer hatten, ohne
weitere Umstände weggenommen, und zu Frankreich geschlagen wurden, und
als der Kaiser Leopold Ii. (1790 — 1792), der seinem Bruder Joseph Ii.
gefolgt war, sich darüber beschwerte, so erhielt er von der Nationalversamm-
lung die trotzige Antwort, daß das ihn gar nichts anginge, und daß man
schon deshalb mit den deutschen Fürsten, die es beträfe, unterhandeln würde.
Ferner fühlten sich alle Fürsten Europa's durch die schändliche Behandlung
empört, welche der gute Ludwig Xvi. von seinen Unterthanen erfuhr; aber
alle Vorstellungen, die sie machten, blieben unbeachtet, und wurden mit Hohn
' beantwortet. Besonders nahmen innigen Theil an seinem Schicksal sein
Schwager, der Kaiser Leopold, und der König von Preußen Friedrich
Wilhelm Ii. Sie hielten deshalb (Juli 1791) eine Zusammenkunft in dem
Schlosse Pillnitz bei Dresden, zu der sich auch ungerufen der Graf von
Artois einfand, um die beiden Monarchen zu bereden, einen Krieg gegen
Frankreich anzufangen. Auch die Kaiserin Katharina Ii. und Gustav Iii.
von Schweden versprachen Beistand, ja Gustav wollte sich gar an die Spitze
des verbündeten Heeres stellen. Und in der That hatten auch die Fürsten
nicht Unrecht, wenn ihnen das Treiben in Frankreich nicht gleichgültig war.
Die Jakobiner lehrten ja ganz laut, man müsse alle Monarchien Umstürzen,
alle Fürsten absetzen und ermorden. Ueberall fanden sich Leute, welche diesen
Grundsätzen Beifall gaben, und wer stand denn den Fürsten dafür, ob
nicht am Ende eine allgemeine Empörung gegen jede rechtmäßige Gewalt
entstände?
Wie unzuverlässig die schönen Redensarten der Nationalversammlung
waren, zeigte die Wegnahme von Avignon und Venaissin im südlichen
Frankreich, die seit dem 14. Jahrhunderte dem Papste gehörten; und doch
hatte jene erst kurz vorher erklärt, daß Frankreich nie einen Eroberungskrieg
führen wolle. So lange noch die constituirende Nationalversammlung bei-
sammen war, wurde gegen die auswärtigen Mächte doch noch einige Schonung
gezeigt; aber sobald die gesetzgebende Versammlung erst aufgetreten war, und
von den Jakobinern beherrscht wurde, verlangten diese durchaus Krieg, um
bei der dadurch entstehenden allgemeinen Verwirrung den französischen Königs-
thron Umstürzen zu können. Daher nahmen sie gegen die fremden Mächte
TM Hauptwörter (50): [T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
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Extrahierte Personennamen: August Valmy Leopold_Ii Leopold Joseph_Ii Ludwig_Xvi Ludwig Leopold Leopold Friedrich
Wilhelm Friedrich Wilhelm Katharina_Ii Gustav_Iii Gustav Gustav Gustav
Extrahierte Ortsnamen: Frank- Pillnitz Mainz Frank- Frankreichs Frankreich Pillnitz Dresden Frankreich Frankreich Avignon Frankreich Frankreich
24
einen unverschämten Ton an, beleidigten sie in ihren gehaltenen Reden, und
forderten sie so recht muthwillig zum Kriege heraus. Es wurden französische
Heere nach dem Rheine gesandt, und die Rüstungen mit Eifer betrieben.
Vergebens gab sich Ludwig Mühe, den Frieden zu erhalten; die Jakobiner
zwangen ihn, am 20. April 1792 den Krieg gegen Oestreich zu erklären.
Als diese Erklärung nach Wien kam, war Kaiser Leopold Ii. eben ge-
storben. Ihm folgte sein Sohn Franz Ii. (1792—1835), der sogleich zu
Eröffnung der Feindseligkeiten Befehl gab. Mit Preußen hatte sich Oestreich
bereits verbunden, und es entstand nun ein Krieg, der zwar mehrmals
durch kurzdauernde Friedensschlüsse unterbrochen worden ist. im Ganzen aber
bis 1815, also 23 Jahre gedauert, und Europa so viele Menschenleben, so
unendliches Geld und so vieles Familienglück gekostet hat. Wie viel leichter
ist es doch, ein Feuer anzuzünden, als es zu löschen!
Jeder Nichtfranzose war der Meinung, die verbündeten Fürsten würden
mit dem in sich selbst so zerrütteten Frankreich bald fertig werden, um so
mehr, da die Ausgewanderten versicherten, daß die meisten ihrer Landsleute
sehnlichst auf die Erscheinung der fremden Heere warteten. Das war aber nicht
so. Der größte Theil des Volks war von der sogenannten Freiheit so be-
geistert, daß es mit Begierde auf die Gelegenheit wartete, für dieselbe gegen
ihre Feinde kämpfen zu können. Daher sah man auch in diesem Kriege mit
Staunen, daß die krieggeübten Heere der Deutschen, von erfahrenen Generalen
angeführt, durch die jungen, eben erst angeworbenen französischen Soldaten
aus dem Felde geschlagen wurden; sehr natürlich, da die Revolutionstruppen
auf eine ganz neue Art den Krieg führten, ohne, Gepäck und Magazine, also
viel beweglicher waren, und vor Allem von einer Begeisterung beseelt wur-
den, die sie trieb, mit Lust und Freude den offenen Kanonenrachen entgegen
zu gehen. Je mehr von ihnen zu Boden geschossen wurden, desto mehr ström-
ten herbei, den Tod der gefallenen Brüder zu rächen. Die Deutschen ferner
wurden zwar von erfahrenen Generalen angeführt, aber diese waren alt und
abgelebt, daher langsam und ohne Kraft; die Franzosen dagegen erhielten die-
jenigen zu Anführern, die sich am meisten auszeichneten. Bei ihnen wurde
nicht auf Alter, Rang und Fürsprache, sondern allein auf Muth, Verstand
und Besonnenheit gesehen, und mit Verwunderung sah man Männer, die
noch kurz vorher Advocaten, Handwerker, Köche oder wer weiß was gewesen
waren, mit Muth und Geschick Heere anführen und den Feind schlagen. Was
den Franzosen ferner den Sieg verschaffen mußte, war die ungeheure Zahl
ihrer Soldaten. Die Nationalversammlung erklärte, daß jeder Bürger ge-
halten sei, das Vaterland zu vertheidigen, und der Drang dazu war so groß,
daß die jungen Leute zum Theil mit Gewalt abgehalten werden mußten,
weil sonst fast Niemand zu Hause geblieben wäre. In große Schlachten
ließen sich die Franzosen selten ein, aber fast täglich kam es zu einzelnen
unregelmäßigen Gefechten, durch welche die dessen ungewohnten Verbündeten
ermüdet wurden. Auf Menschenleben kam es den französischen Generalen
nicht an. Blieben auch Tausende ihrer Soldaten, so standen ja neue Tau-
sende zu ihrer Verfügung. Auch an Lebensmitteln und andern Heeresbedürf-
nissen fehlte es ihnen nicht. Sonst hatte man einem Heere alles Nöthige
nachgeführt und Magazine angelegt, und die Deutschen thaten das noch.
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Mühe Ludwig Leopold_Ii Leopold Franz_Ii Franz Oestreich Muth Muth
Extrahierte Ortsnamen: Rheine Wien Europa Frankreich
25
Nicht so die Franzosen. Was sie bedurften, wurde von der Provinz, in
welcher sie standen, mit Gewalt gefordert; das nannten sie das Requisi-
tionssystem. Freilich war dies für sie bequemer, weil sie nun nichts mit-
zunehmen brauchten, und sie waren schlau genug, den Krieg bald nach dem
Auslande hinüberzuspielen, damit dies alle Kriegslasten tragen müßte.
Langsam, wie gewöhnlich, zogen die östreichischen, etwas schneller die
preußischen Truppen nach dem Rheine. Oberbefehlshaber über beide Heere
war der Herzog von Braunschweig, ein Nesse dessen, der sich im sieben-
jährigen Kriege gegen die Franzosen am Rhein so ausgezeichnet hatte. Unter
den französischen Generalen war der oft erwähnte La Fayette. Als dieser
von den am 10. August gegen Ludwig verübten Greueln gehört, hatte er
seine Soldaten gefragt, ob sie lieber den verfassungsmäßigen Ludwig oder
Pethion zum König haben wollten, und da alle sich für Ludwig erklärten,
war er mit ihnen gegen Paris aufgebrochen. Aber schon am andern Tage
änderte sich die Stimmung der Soldaten; sie äußerten sich günstig für die
Jakobiner, und La Fayette hielt es für gerathen, sich durch die Flucht zu
retten. Mit einigen seiner Freunde wollte er durch Holland und über Eng-
land nach Amerika gehen; aber er wurde von den an der Gränze bereits
stehenden Oestreichern aufgefangen, und nach Wesel, Magdeburg, zuletzt nach
Olmütz in die Gefangenschaft geführt, aus welcher er erst 1707 durch des
Generals Bonaparte Verwendung befreit wurde.
Der Herzog von Braunschweig erließ (20. Juli 1702), als er sich der
französischen Gränze näherte, ein Manifest an die Franzosen, in welchem er
ganz Paris in einen Aschenhaufen zu verwandeln drohte, wenn man nicht
sogleich die alte Ordnung wieder einsührte. Allein eher hätten sich die
meisten Franzosen selbst verbrennen lassen, ehe sie die alte, ihnen so verhaßte
Verfassung sich wieder hätten gefallen lassen, und dies Manifest bewirkte da-
her eine allgemeine Erbitterung gegen die Verbündeten, und den festen Ent-
schluß, Alles daranzusetzen, die geliebte Freiheit zu vertheidigen. Erst am
10. August überschritt das preußische Heer die Gränze. Anfangs ging Alles
gut. Die Festungen Longwy und Verdun*) wurden erobert, und in der
Champagne trafen die Preußen auf die Franzosen.unter Dumouriez und
Kellermann. Mit Letzterem kam es zu einem Tressen bei Valmy
unweit St. Menehould (20. Sept. 1702), welches zwar unentschieden blieb,
aber doch die Preußen bewog, sich wieder zurückzuziehen. Dieser Rückzug
war für die Preußen höchst unheilbringend. Der lehmige Boden der Cham-
pagne war durch die häusigen Octoberregen so aufgeweicht, daß Menschen und
Pferde stecken blieben, und viele Kanonen versanken. Mit jedem Tage wurde
das Elend größer. Die feuchte Kälte, der nasse Boden, und besonders auch
der Genuß der halbreifen Trauben, die von den Soldaten statt des fehlenden
Brodes in Uebermaß genossen wurden, erzeugten eine bösartige Ruhr. Un-
zählige Leichen von Menschen und Pferden lagen am Wege, und ein Glück
*) Beim Einzuge der Preußen in Verdun hatten einige Mädchen Blumen gestreut,
und nachher einen Ball, den die Ofstziere veranstalteten, besucht. Dafür ließ spater der
Nationalconvent die armen Kinder nach Paris schleppen, und hier enthaupten; nur zwei
wurden wegen ihrer zarten Kindheit verschont.
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Extrahierte Personennamen: August Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig August Dumouriez Kellermann Valmy
Extrahierte Ortsnamen: Rheine Braunschweig Rhein Paris Holland Amerika Wesel Magdeburg Paris Longwy Uebermaß Verdun Paris
27
entstand eine allgemeine Gährung auf der Insel. Die Weißen, aus Be-
sorgniß, daß sie nun den Farbigen mehr Rechte würden einräumen müssen,
verdoppelten ihre Strenge gegen dieselben, und suchten die Bekanntmachung
der Menschenrechte zu verhindern; die Farbigen dagegen wurden erbitterter
als je gegen ihre Peiniger, und verlangten den Genuß derjenigen Rechte, die
jeder französische Unterthan nun genießen könnte. So wurden täglich die
Leidenschaften heftiger aufgeregt, bis im März 1790 die Sache zum Aus-
bruch kam. Die Farbigen zweier Ortschaften griffen zu den Waffen; aber
die Nationalgarden eilten schnell herbei, unterdrückten den Aufstand, und die
Thäter wurden grausam hingerichtet. Ueberhaupt sah nun die National-
versammlung wohl ein, daß zwischen Frankreich und St. Domingo ein Unter-
schied zu machen wäre, und erklärte daher, es sei ihr nicht eingefallen, daß
die französische Verfassung auch auf die Colonien angewendet würde. In-
dessen nahm die Verwirrung auf der Insel immer mehr zu; es wütheten
unter den Weißen selbst Parteien gegen Parteien; einige hielten es mit dem
Könige, andere mit der Nationalversammlung, noch andere wollten von beiden
unabhängig sein, und während einige das Schicksal der Farbigen erleichtert
haben wollten, protestirten wieder andere dagegen. Die Neger blieben noch
ruhig, aber sie horchten aufmerksam auf die Wörter Freiheit und Gleichheit,
die jetzt überall gehört wurden, und merkten recht gut, daß man vor einem
Aufstande der Sclaven bange war.. Die Weißen stritten so lange gegen ein-
ander, bis die Vernünftigsten auf den Einfall kamen, eine Deputation nach
Frankreich zu schicken, und die Nationalversammlung um Entscheidung zu
bitten.
Ehe sie diese aber noch erhielten, stellte sich im November 1790 der
Mulatte Oge, von den französischen Jakobinern aufgehetzt, an die Spitze
der Farbigen, und verlangte drohend gleiche Rechte für alle freie Einwohner
der Colonie. Mit einem bewaffneten Haufen Mulatten zog er gegen die
Stadt Cap Francois, wurde hier aber von den Weißen, die bei der drohen-
den Gefahr für den Augenblick ihre Streitigkeiten vergessen hatten, angegriffen,
und seine Leute zerstreut. Er selbst flüchtete auf den spanischen Antheil,
wurde aber von den Spaniern späterhin an die Fvanzosen ausgeliefert, und
von diesen lebendig gerädert, Andere aber aufgehängt. Die Mulatten blieben
nun zwar für den Augenblick ruhig, aber >die Gährung dauerte fort, und
auch die Parteiungen unter den Weißen erneuerten sich mit verstärkter Wuth,
als jene Deputaten, nach einer von der Nationalversammlung erhaltenen
unfreundlichen Aufnahme, auf die Insel zurückkehrten.
Am 15. Mai 1791 endlich erklärte die Nationalversammlung, daß alle
freigeborne Bewohner der Insel, Weiße und Farbige, völlig gleiche Rechte
haben sollten. Darüber geriethen die weißen Pflanzer in eine gränzenlose
Wuth gegen das Mutterland; sie traten die Nationalcocarde mit Füßen, und
erklärten laut, daß sie jenes Decret durchaus nicht vollziehen lassen würden.
Die Mulatten dagegen wurden nur noch erbitterter gegen die Weißen, die
ihnen die Rechte verweigern wollten, welche ihnen doch das Mutterland zu-
erkannt habe, und da sie selbst zu schwach waren, so suchten sie die Neger-
sclaven in ihr Interesse zu ziehen. Es befanden sich aber deren damals
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