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1. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 188

1864 - Breslau : Leuckart
188 Lehre vom Menschen. Ken, Berg, Thal, Glanz, Schimmer und Farben reden, so vernimmt er Worte, die für ihn keine Bedeutung haben und die ihm auch Niemand zu erklären im Stande ist. Man sollte grosse Aufmerksamkeit der Erhaltung eines so überaus wichtigen und zarten Werkzeuges, wie das Auge ist, widmen* aber dies geschieht leider oft erst, wenn es zu spät ist. Als Hauptregel gilt, das Auge nicht sehr anzustrengen. Durch langdauernde Thätigkeit muss auch das beste Auge lei- den, und es ist hohe Zeit, ihm Ruhe zu gönnen, wenn es zu schmerzen anfängt. Ein zweiter Rath ist: Bewahre das Auge vor schnellen Uebergängen aus dem Hellen ins Dunkle. Eine plötzliche Erschütterung der Sehnerven kann augenblickliche Blindheit zur Folge haben ; wie z. B. wenn man in einer durch Läden verdunkelten Stube schläft und des Morgens den Laden, während die Sonne darauf scheint, mit einem male öffnet. Anhaltendes Lesen, zumal kleiner Schrift, gleich nach dem Auf- stehen, oder in liegender Stellung, bei flackerndem Lichte oder im Sonnenschein, ist ebenfalls für die Sehkraft sehr schwä- chend. Sonst erholt sich das Auge, wenn es unbeschäftigt ist, an schwachem Lichte. Bei langdauernden Arbeiten, die ein Nahesehen erfordern, richte man zuweilen den Blick in die Ferne. Man bediene sich der Augengläser nicht früher, als es nothwendig ist und suche regelmässig geschliffene zu erhal- ten. Scharfe oder schlechte Gläser, deren Gebrauch ein unan- genehmes Gefühl im Auge hervorbringt, schaden ihm. Stär- kend für die Augen ist das Waschen des Morgens mit kaltem Wasser, wenn man dasselbe nicht plötzlich, sondern allmählig auf die geschlossenen Augenlider bringt. Die grüne Farbe erfrischt die Augen, weshalb ihnen der Aufenthalt im Garten, Feld und Wald sehr zusagt. Vom Blutumlauf. Die Behältnisse, in denen das Blut Hiesst, machen ein zusammenhängendes Ganze aus und heissen auch Blutgefässe. Sie begreifen in sich das Herz, von welchem die Bewegung des Blutes ausgeht, die Schlag- oder Pulsadern, die das Blut aus dem Herzen in alle Theile des Körpers führen, und die Blutadern, welche es wieder zum Herzen zurückleiten. Das Blut ist nicht, wie es scheint, eine einfache Flüssig- keit, sondern es enthält drei Bestandtheile, nämlich das Blut- wasser, die Blutkügelchen und den Faserstoff. Wenn Blut aus den Adern gelassen worden ist, so gerinnen nach einiger Zeit die beiden letztgenannten Bestandtheile, das Blut- wasser hingegen bleibt flüssig. Das Blut wird durch den fort-

2. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 192

1864 - Breslau : Leuckart
192 Lehre vom Menschen. einer ganz andern Beschaffenheit sein muss, als die eingeath- mete; so auch, dass das Athmen vieler Menschen in einem verschlossenen Raume die Luft verdirbt. Die Werkzeuge des Athmens sind auch zugleich die Haupt- werkzeuge der Stimme und Sprache; es dienen also hier, nach den weisen Absichten Gottes, dieselben Mittel zu verschiedenen Zwecken. Wer die Wichtigkeit des Athmens für die Gesundheit des Körpers kennt, wird zunächst um reine Luft besorgt sein. Die Luft in den Wohnungen muss Zufluss von Aussen erhalten, wenn sie nicht verderben soll; deshalb sind täglich einige Zeit die Fenster zu öffnen. Nachtheilig sind den Lungen Dünste, welche nasse Wäsche, die am Ofen getrocknet wird, und fri- scher Anstrich mit Kalk verursachen. Im Allgemeinen ist jede Luft, in der kein Licht brennen kann, zum Athmen durchaus untauglich; eine solche findet sich in lange verschlossenen Gewölben, Brunnen und Kellern. Am Tage und im Sonnen- scheine entwickelt sich aus den Pflanzen die wohlthätige Lebens- lust, aber des Nachts eine andere, minder zuträgliche. Daher ist auch ein Gang am Tage in Gärten und Feldern erquicken- der, als spät des Nachts. Die Luft an stehenden Gewässern, die keinen Zu- und Abfluss haben, ist schädlich. Gegen dicke Nebel verwahrt man sich am besten, wenn man rasch gehet und durch die Nase athmet. Singen und Sprechen stärkt die Kraft der Lungen, nur das Uebermaass in beiden schadet. Nichts ist aber gefährlicher, als das kalte Trinken kurz nach einer Erhitzung; daraus entsteht oft die Schwindsucht, eine Krankheit der Lungen, die selten ganz geheilt werden kann. Nicht allein die Lunge schafft Stoffe aus dem Körper und führt ihm andere zu, sondern auch die Haut nimmt Theil an dem Geschäfte. Die untere, dicke Haut ist nämlich voll zar- ter Ausdünstungs - und Einsaugungsgefässe, von denen jene ununterbrochen einen feinen Dunst ausscheiden, welcher durch Zwischenräume der beiden obern Häutchen dringt und nur in kalter Luft als ein Dampf, oder beim Berühren eines kal- ten Gegenstandes, z. B. einer Glasscheibe, als ein wässriger Anlauf sichtbar wird. Sind die Ausdünstungen während einer körperlichen Anstrengung stark, so setzen sie sich auf der Oberhaut in Tröpfchen an, und bilden den Sch weiss. Zu viel Schweiss schwächt den Körper; allein bei Kranken kann sich die Natur vermöge desselben vieler schädlichen Theile entledigen und sonach die Genesung bewirken. Durch die unmerkliche Ausdünstung der Haut verlieren wir täglich mehr, als man zu glauben geneigt ist. Plötzliche Unterdrückung

3. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 224

1864 - Breslau : Leuckart
224 Seelenlehre. oder unwohl thaten. Die Wahrnehmungen des Ange- nehmen oder Unangenehmen heissen Gefühle und sind wohl zu unterscheiden von dem blossen Fühlen der Körper mittels der Nerven in der Haut. Weil die Gefühle der Lust und Unlust jener Jünglinge durch Eindrücke auf den Körper und auf die äussern Sinne hervorgebracht worden sind, so heissen sie sinnliche Gefühle. Haben wir angenehme Gefühle, so wollen wir sie gern behalten. Mit den unangenehmen ist dies umgekehrt, wir suchen sie zu entfernen. Da unsere Sinne während des Wachens zur Aufnahme der Eindrücke offenstehen, so sollte man glauben, dass wir uns in einem beständigen Wechsel von Lust und Unlusst befänden. Genau genommen ist es auch so; weil in liess das, was oft wiederkehrt, nur schwach einwirkt, so wird auch das Gefühl dadurch wenig aufgeregt; wir nehmen dann nur einen sehr geringen Wechsel wahr und befinden uns im Zustande der Gleichgiltigkeit. — Der an meinem Fenster stehende Baum ist mir gleichgiltig, indem er unverändert vor meinen Augen bleibt; im Frühjahr aber, wenn er Knospen, Blätter und Blüthen bekommt, sehe ich ihn mit Vergnügen; er zeigt mir täglich etwas Neues. Im Herbst, wenn sich sein grünes Kleid gelb zu färben beginnt und nach und nach abfällt, betrachte ich ihn wiederum mit mehr Aufmerksamkeit; allein es entsteht dann in mir kein angenehmes Gefühl, das der Trauer. So wie in der Natur Licht und Schatten wechseln, so in der Seele des Menschen Lust und Unlust. Gewöhnlich fühlt man die Lust mehr, wenn eine Unlust vorangegangen ist: wenn nach der Anstrengung die Ruhe, nach der Kälte die Wärme, nach Verlangen die Befriedigung folgt. Das Gefühlsvermögen hat der Schöpfer aus weisen Absichten in unsere Seele gelegt; auf den Gefühlen beruht Glück und Unglück, Wohl und Wehe des menschlichen Lebens. Ludwig, aus Oberschlesien gebürtig, besuchte seit einem Jahre die Bauschule in Breslau. Wenn er zu den Ferien nach Hause kam, wusste er viel von der Hauptstadt zu erzählen. Da nannte er diese oder jene Strasse schön; so auch mehrere Kirchen und andere Gebäude, Bildsäulen, Gemälde, die Musik, die Spaziergänge um die Stadt und noch vieles Andere galt als schön, mitunter wohl Einiges als hässlich. Er sprach von dem Wohlgefallen, das man an den Kunstwerken hatte, und setzte auch manchmal hinzu, welches vorzüglich gelungen oder besser als ein anderes sei, oder wie die Urtheile darüber abweichend lauteten. Franz, der jüngere Bruder, meinte, er Würde bald zu bestimmen wissen, was schön sei; denn es sei

4. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 226

1864 - Breslau : Leuckart
226 Seelenlehre. pflegt wird, ihn aber statt des Dankes beraubt und sich heimlich davon macht, erfüllt uns durch seine schlechte Handlung mit Missfallen und Abscheu. Es können also auch aus den Gedanken an rechte und unrechte, gute und böse Werke angenehme und unangenehme Gefühle im Menschen entstehen, und solche nennt man sittliche oder moralische Gefühle. An jenem Retter des Kindes haben wir Wohlgefallen, wir fühlen Achtung gegen ihn; an dem Räuber haben wir Missfallen, er verdient unsere Verachtung. Allein nicht bloss an Andern sind uns die guten oder bösen Handlungen und.gesinnungen wohlgefällig oder miss- fällig, sondern auch an uns selbst. Das sittliche Gefühl, das über unsere eigenen Handlungen entscheidet, wird Gewissen genannt. Wer sein Thun für recht achtet, hat ein gutes, wer es verachtet, Scham und Reue darüber empfindet, ein böses Gewissen. Das gute Gewissen erfüllt uns mit Ruhe und Selbst- zufriedenheit in allen Lagen des Lebens; aber das böse Gewissen erregt Furcht und Unruhe, es verbittert uns alle Erdenfreuden. Ein Mensch, in dem sich das sittliche Gefühl leicht regt, wird auch zum Guten mehr hingetrieben, als derjenige, welcher gleichgiltig eine gute oder schlechte That vernimmt. Wenn wir an die grossen Wohlthaten denken, die uns Gott erzeigt; an die körperlichen und geistigen Kräfte, mit denen er uns ausgerüstet; an die Vorzüge, die er uns vor allen Geschöpfen der Erde verliehen hat, so sind wir von Liebe und Dank gegen ihn durchdrungen. — Nehme ich Gottes Macht wahr im Sturme, der die stärksten Räume entwurzelt; im Blitze, durch den Thürme und Felsen niedergeschmettert werden; im Erdbeben und den Wasserfluthen, die ganze Landstriche ver- wüsten; vergleiche ich damit meine geringen Kräfte, und wie diese wiederum ganz von Gott abhängig sind: so fühle ich Ehrfurcht gegen ihn. — Von diesem liebevollen und mäch- tigen Wesen kann nur das Gute, das Beste kommen. Dieses hoffe ich und setze ein unbeschränktes Vertrauen in ihn. — Ich erkenne die heiligen Wahrheiten, die der Allgütige zur Belehrung, Besserung und Beseligung des Menschengeschlechts geoffenbaret hat; mein Gemüth erhebt sich beim Gebet zu ihm; ich glaube in seiner Nähe zu sein, und das Herz ist von Selig- keit erfüllt. Diese Gefühle der Liebe, des Dankes, der Ehrfurcht und des Vertrauens folgen aus der Erkenntniss Gottes und heissen Religionsgefühle. Bei wem solche Ge- fühle recht lebendig sind, der trachtet auch denselben gemäss zu handeln, dem Höchsten zu gefallen; und so wirken sie, wie die Gefühle für Schönheit, Wahrheit und Sittlichkeit, wohl- thätig auf den Menschen.

5. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 227

1864 - Breslau : Leuckart
227 Das Begehrungsvermögen. Rosalie vertrat gern die Stelle einer Wärterin bei ihrer kleinen Schwester; zuweilen wurde ihr jedoch dies Geschäft mit dem lebhaften Kinde zu schwer; und sie beklagte sich über manches bei den Eltern, was sie Eigensinn der Kleinen nannte. „Sie ist doch,“ hiess es, „wenn sie wacht, nicht eine Minute ruhig; bald schlägt sie mit den Händen um sich, bald stampft sie mit den Füssen und thut, als wenn sie gehen wollte. Ich bin kaum im Stande sie zu erhalten. Dabei lässt sie stets ihre Stimme ertönen; wenn sie nicht lallt, so singt oder schreit sie. Auch will sie schon befehlen; denn entferne ich mich nur auf ein Weilchen, so ruft sie in einem fort, bis ich komme. Dann verlangt sie, dass ich immer mit ihr spielen oder sie herum- tragen soll. Geht Karl statt meiner zu ihr, so wendet sie sich von ihm ab. Seit Kurzem nimmt sie auch die Gewohnheit an, alles nach dem Munde zu langen; neulich ergriff sie meine Hand und biss mich tüchtig in den Finger.“ Die Mutter ermahnte Rosalien zur Geduld und meinte, dass einmal die Kinder in dem Alter nicht anders zu sein pflegen, dass sie es vor 12 Jahren der Schwester gleich und in manchem noch schlim- mer gemacht habe, und dass der Kleinen vieles nicht übel zu deuten sei, da sie noch kein klares Bewusstsein habe. „Die Kinder,“ setzte der Vater hinzu, „besitzen schon eine Neigung etwas zu thun, zu verlangen oder zu entfernen, bevor sie denken können, und das ist vom lieben Gott sehr weise eingerichtet. Das öftere Bewegen des Körpers fördert sein Wachsthum und den Gebrauch der Glieder. Lallen und Schreien dienen zu Vorübungen im Sprechen. Durch Gesellschaft und Spielen werden die Kinder mit vielen Dingen bekannt und lernen nachahmen. Das Beissen am Spielzeug und andern Dingen erleichtert das Zahnen. Was würde aus dem Kinde werden, wenn es nicht solche Neigungen, die man Triebe nennt, besässe?“ Allein auch der erwachsene Mensch hat Triebe, unter andern folgende: Er wird von der Natur angeregt, sein Leben so lange als möglich zu erhalten: er hat also den Trieb der Selbsterhaltung. ,— Der Mensch befindet sich nicht wohl, wenn er seine Zeit im Müssiggange zubringt; er trachtet auf irgend eine Weise beschäftigt zu sein: es ist ihm nämlich der Trieb zur Thätigkeit eigen. — Er geht gern mit andern Menschen um; er sucht bei ihnen Unterhaltung, Belehrung und Theilnahme und wünscht sich auch ihnen wieder mitzutheilen: folglich wohnt in ihm der Ges eiligkeits- trieb. — Er fühlt sich zu diesem oder jenem Menschen hin- 15*

6. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 228

1864 - Breslau : Leuckart
228 Seelenlehre. gezogen, hat Wohlgefallen an ihm und zeigt so den Trieb zur Liebe. — Der Mensch empfindet Zuneigung gegen seinen Wohlthäter und möchte ihm gern das empfangene Gute ver- gelten : er besitzt also den Trieb der Dankbarkeit. — Er strebt nach Belehrung, nach Erweiterung seiner Einsichten und Kenntnisse; er ist bemüht das Dunkle klar zu machen, das Falsche vom Wahren zu unterscheiden: hierin legt er den Trieb der Wissbegierde an den Tag. Endlich bemerkt man im Menschen den Trieb nach Freiheit, das heisst: er fühlt sich angeregt nach eigener Ueberlegung unbeschränkt zu handeln. Das, was auf die Sinne angenehm einwirkt, trachten wir gewöhnlich, wie schon früher bemerkt wurde, zu erlangen: was ihnen aber unangenehm ist, zu entfernen. Daher haben wir ein Verlangen nach einer wohlschmeckenden Frucht, nach kühlem Schatten während der Sonnenhitze, nach dem Anblick eines schönen Gemäldes, von dem wir sprechen hörten. Dagegen wenden wir uns ab von einer verdorbenen, übelriechenden Speise, und gehen ungern im Regen und Sturm. Weil nun der Mensch durch die Sinne zum Begehren veranlasst werden kann, so legt man ihm ein sinnliches Begeh rungsvermögen bei. Wird der Mensch durch die Vorstellung eines Gegen- standes angeregt, nach Erlangung desselben zu streben, so entstellen Begierden. Jemand hält den Reichen für glücklich und möchte deshalb auch gern reich werden. Einem Jünglinge gefallen die Ehrenbezeigungen, die man den (Meieren erweiset, und er hat deshalb Lust Officier zu werden. Ein Arbeiter ist durstig und hat ein starkes Verlangen nach einem Glase Bier. — Aus einem anhaltenden Wohlgefallen an etwas und dem fortwährenden Begehren darnach entspringen Neigungen. Zu grosse Begierden aber, welche die Vernunft beherrschen und die man nur mit Mühe bekämpfen kann, heissen Leiden- schaften. Konrad sah einigemal dem Kartenspiel zu und bekam Lust es zu erlernen. Er fing an zu spielen, gewann zuweilen, und das Spiel wurde bald in ihm zur Neigung. Später konnte er es nicht mehr lassen, er brachte ganze Tage im Wirthshause zu, verlor viel Geld, blieb den Tag über zur Arbeit untauglich, gewöhnte sich auch das Branntweintrinken an, verarmte und musste mit den Seinigen Noth leiden. — So arten Neigungen in Leidenschaften aus, wenn man sie nicht bei Zeiten unterdrückt. Wie gefährlich Leidenschaften für die Tugend und das Glück des Menschen werden können, davon gibt es Beispiele in Menge. Der leidenschaftliche Mensch stürzt nicht nur sich selbst ins Elend und Verderben, sondern

7. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 229

1864 - Breslau : Leuckart
Das Vorstellungsvermögen. 229 auch ganze Familien. Darum hüte dich vor Leidenschaften und beherrsche sie, wenn sie in dir emporkommen! Eine starke und beharrliche Leidenschaft nennt man Sucht, als: Habsucht, Ehrsucht, Vergnügungssucht, Rachsucht, Herrschsucht. Adalbert sah in einem Walde viele Pflanzen, deren vier länglichrunde Blätter eine grosse schwarze Beere umschlossen. Er pflückte eine ab, betrachtete sie, nahm etwas von dem Safte auf die Zunge und fand ihn wohlschmeckend. Schon war er im Begriff', sich an den schönen Beeren zu laben; allein er dachte: „du kennst weder das Gewächs noch seine Frucht; wenn nun diese schädlich wäre? — Lieber esse ich sie nicht.“ Er that wohl daran; denn es war, wie er später von seinem Lehrer erfuhr, die giftige Einbeere. Adalbert wäre durch seine Sinne verleitet worden, etwas zu gemessen, was ihm viel Leiden oder gar den Tod zugezogen hätte; aber sein Verstand wendete das Unheil ab, indem er das Urtheil fällte: eine unbekannte Frucht darf man nicht essen. Der Knabe unterliess also etwas Angenehmes und vermied die unan- genehmen Folgen, weil sein Wille dem Verstände folgte. Ein Kaufmann soll Waaren in Breslau holen, da seine Vorräthe bald zu Ende sind. Es ist Winter, die Kälte anhal- tend und streng. Er könnte zwar noch einige Zeit warten und in der warmen Stube bleiben; allein er beschlosst dennoch die Reise und achtet nicht ans die rauhe Witterung. Er urtheile nämlich: „es ist möglich, dass die Kälte zunimmt, und ich muss dann doch reisen, wenn nicht Störung in meinem Handel eintreten soll.“ Hier wird etwas Unangenehmes begehrt, um in der Zukunft einen Vortheil zu erreichen. Wenn, wie in diesem Beispiele, der Verstand über das Begehren entscheidet, so besitzt unsere Seele ein verständiges Begehrungs- vermögen. Dieses ist zwar mehrentheils auf eigenen Vor- theil gerichtet und nicht immer zu billigen; indess hält es doch oft vom Bösen ab, fördert das Gute und trägt zu unserer Ver- vollkommnung bei, insofern wir uns anstrengen den Geist mit Kenntnissen zu bereichern, um dadurch unser Fortkommen in der Welt zu sichern. Ein Arzt, der selbst nicht ganz gesund war, wurde zu einem am ansteckenden Nervenfieber erkrankten Tagelöhner gerufen. Es kam ihm sauer an, dem Verlangen zu genügen, seines eigenen Uebelbefindens wegen. Er hatte auf keine Belohnung zu rechnen, könnte angesteckt werden und sich deu Tod holen. Alles dies überlegte er einen Augenblick. Doch dachte er bald weiter: „dein Beruf fordert, dass du dem Kranken wo möglich hilfst.“ Er folgte, trotz aller Mühe

8. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 202

1864 - Breslau : Leuckart
202 Seesenseprc. Der Schöpfer hat im Menschen das Sichtbare mit dem Unsichtbaren,, den Körper mit der Seele wunderbar ver- bunden. Die Verbindung dauert einige Zeit auf dieser Erde, bis durch den Tod die Trennung erfolgt. Dann geht das denkende Wesen zur Geisterwelt, der es angehört; seine künstliche Wohnung aber, der Leib, bleibt leblos zurück. Weil sich die Seele mit keinem Sinne wahrneh- men Itisst, so ist es schwer, sie kennen zu lernen. Alles, was wir von ihr wissen, gründet sich blos auf die Beobach- tung ihres Wirkens. Die Seele kann auf mannigfache Weise thätig sein, deshalb sind ihr auch verschiedene Kräfte eigen. Die vorzüglichsten sollen hier in Beispielen abgehandelt werden. Die Hauptkräste der Seele. August betrachtet eine Zeichnung, welche Heinrich, sein Mitschüler, angefertigt hatte. Er freut sich über die schöne Abbildung und wünscht, eben so gut zeichnen zu können. — Hier lässt sich in dem Knaben eine dreifache Thätigkeit unter- scheiden. Zuerst nimmt seine Seele durch den Sinn des Gesichts die Zeichnung wahr, oder sie erkennt dieselbe; dann folgt ein Empfinden von Freude; zuletzt ein Wünschen, Be- gehren oder Wollen. In diesen Aeusserungen sind die drei Hauptkräfte der Seele bemerkbar: sie heissen das Er- kenntniss-, Gefühls- und Begeh rungsvermögen. — Ein Knabe wird beim Spiele von einem andern gescholten,- er betrübt sich darüber und verlässt die Spielenden. Das Hören der Scheltworte ist ein Erkennen, die Betrübniss ein Gefühl, und das Abgehen die Folge des Willens. — Zuweilen ist eine von den drei Hauptkräften in anhaltender Wirksamkeit, wäh- rend die andern zu ruhen scheinen; nicht selten sind zwei zugleich thätig. In August begann erst das Erkennen, allein das Fühlen und Verlangen wurden fast auf einmal rege. Oft weckt eine Kraft die andere. Gefühle erzeugen Begierden, und diese treiben zum Denken an. Das Erkenntnissvermögen zer- fällt in mehrere Zweige. Das Vorstellungsvermögen. Paul wird des Abends in ein fremdes Haus geführt, um seine Mutter, die dort eine Freundin besuchen wollte, abzu- holen. Ein Dienstmädchen leitet ihn durch die lange Hausflur

9. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 231

1864 - Breslau : Leuckart
Temperamente. 231 wieder gleich gut machen. Eine traurige Begebenheit rührt ihn bald zu Thränen. Zu seinen Mängeln gehören Unbestän- digkeit, Leichtsinn und Unentschlossenheit; das Gegengewicht halten hingegen Gutmüthigkeit, Liebenswürdigkeit und Edel- muth. Dieser Mensch gehört zu den Leichtblütigen, oder er besitzt das sanguinische Temperament. Der zweite ist von angenehmem Aeussern. Seine Augen sind feurig und durchdringend; in seinem Körper liegt Fülle und Stärke, in seinem Benehmen viel Anstand und Würde. Er ist gern thätig, doch nicht anhaltend. Die Furcht scheint ihm fremd, weil er seine Kraft fühlt. Er wird leicht zornig und zur Rache geneigt. Er will gern verehrt und bewundert sein, herrschen und gebieten, daher man ihm Stolz vorwirft. Dieser Mann gehört zu den Warmblütigen und hat das cholerische Temperament. Der dritte, etwas blass im Gesicht, mit festemund ruhigem Blicke, ist oft in sich gekehrt und für die Freude wenig empfäng- lich. Hat er sich zu etwas entschlossen, so führt er es auch, aller Mühe ungeachtet, aus. Der Witz ist ihm wenig, dagegen mehr der Scharfsinn eigen. Oft zeigt er heiteren Ernst, jedoch zuweilen Neigung zum Trübsinn. Er sucht nicht viele, aber treue Freunde. Es gehört ihm überhaupt an: fester Wille und Beharrlichkeit, verbunden mit Hartnäckigkeit und Abgeschieden- heit. Bei ihm findet man das melancholische Temperament; er ist ein Schwerblütiger. Der vierte sieht wohlgenährt, fast aufgedunsen ans. Sein Auge ist matt und starr. Er liebt eine behagliche Ruhe, arbeitet langsam und ungern, schläft lange und kann viel Wärme ertragen. Wie der Körper, so liebt auch sein Gemüth die Ruhe. Die Einbildungskraft ist selten bei ihm rege. Er ist gleichgiltig gegen Freuden und Leiden. Weil ihm das Erwer- den schwer scheint, so scheut er jede Ausgabe und hat Nei- gung zum Geize. Er ist furchtsam und eigensinnig. Zn seinen guten Eigenschaften gehören Bedachtsamkeit, Gelassenheit und Ordnungsliebe. Dieser ist ein Kaltblütiger und von phleg- matischem Temperament. Dem gemäss gibt es also vier Temperamente, das des Leichtblütigen, des Warmblütigen, des Schwerblü- tigen und des Kaltblütigen, oder das sanguinische, cholerische, melancholische und phlegmatische. Man ist der Meinung, dass die Beschaffenheit unseres Körpers auf das Gefühls- und Begehrungsvermögen Einfluss habe, und in früheren Zeiten wollte man beides vom Blute herleiten, daher jene Benennungen. Gegenwärtig versteht man unter Tempera-

10. Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen - S. 204

1864 - Breslau : Leuckart
204 Seelenlehre, zu Vorstellungen von den ausser uns befindlichen Dingen nur durch die Sinne gelangen, so nennen wir diese die äussern Sinne, die durch sie entstandenen Vorstellungen die sinn- lichen, und die Kraft der Seele, sie zu bilden, das Vor- stellungsvermögen. Wie Vorstellungen entstehen, und von wei- cher Art sie sind, mag folgende Erzählung deutlich machen. Drei Söhne eines Amtmanns: Ernst, Bernhard und Karl, der erste 12, der zweite 10, der dritte 8 Jahre alt, erhielten an einem heitern Frühlingstage die Erlaubniss auszugehen. Ernst wollte einige Pflanzen sammeln, Bernhard eine neue Angel versuchen, der Jüngste schloss sich ohne besondere Absicht an. Nach einiger Zeit kamen sie an eine weite Wiese, die am Saume eines Gehölzes lag und von einem klaren Bache durchschnitten wurde. Hier begannen die ältern Brüder ihr Geschäft; der kleine aber legte sich, matt von Hitze, in den Schatten einer Eiche, wo er sanft einschlief. Ernst heftete seine Blicke auf die blühenden Gewächse, hielt aber zugleich seine Sinne auch andern Eindrücken offen. Da fand er meh- rere Arten des Hahnenfusses, der mit goldgelben Blumen aus dem Grün hervorglänzte. Dazwischen machte sich bemerkbar das Blau des Günsels, das Roth der Fleischblume und das Weiss der Wiesenkresse. Am Ufer des Baches standen Ver- gissmeinnicht, die Schwertlilie, und im Wasser öffneten die gelbe und weisse Seerose zwischen grossen schwimmenden Blättern ihre prachtvollen Kronen. Den Rand des Gebüsches schmückten der Weissdorn und der Hollunder, deren Blüthen weithin einen angenehmen Duft verbreiteten. Eine Menge bunter Schmetter- linge flatterte über den Blüthen; ein Heer von Mücken, Flie- gen, Bienen und Käfern durchkreuzte summend die Luft; bei jedem Schritte sprangen Heupferde und Grillen aus dem Grase; da und dort rauschte eine Eidechse im Strauche,- Schwalben schossen gleich Pfeilen dahin; Grasmücken flatterten um die Sträucher, der Kukuk rief seinen Namen aus und Nachtigallen sangen ihre Lieder. Allerlei Stimmen der gefiederten Sänger drangen in des Hörers Ohr. Ein sanfter Wind bewegte die Zweige der Bäume, schaukelte die Blumen, bog wellenförmig die Saaten des nahen Feldes, zerbliess die lockern Wollköpfe des Löwenzahns und kühlte Ernst’s Stirn. Eine nahe Quelle an der Wurzel einer alten Weide, deren Wasser er mit der hohlen Hand schöpfte, erquickte ihn. Dies sind die bedeu- tendsten Wahrnehmungen, die des Knaben Seele empfängt. Er freut sich ihrer lebhaft und wünscht nur, seine Brüder hätten Theil daran genommen. Er begibt sich zu Bernhard, der gebückt und wie angeheftet am Rande des Baches sitzt und
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