224
Seelenlehre.
oder unwohl thaten. Die Wahrnehmungen des Ange-
nehmen oder Unangenehmen heissen Gefühle und
sind wohl zu unterscheiden von dem blossen Fühlen der Körper
mittels der Nerven in der Haut. Weil die Gefühle der Lust
und Unlust jener Jünglinge durch Eindrücke auf den Körper
und auf die äussern Sinne hervorgebracht worden sind, so
heissen sie sinnliche Gefühle.
Haben wir angenehme Gefühle, so wollen wir sie gern
behalten. Mit den unangenehmen ist dies umgekehrt, wir
suchen sie zu entfernen. Da unsere Sinne während des
Wachens zur Aufnahme der Eindrücke offenstehen, so sollte man
glauben, dass wir uns in einem beständigen Wechsel von Lust
und Unlusst befänden. Genau genommen ist es auch so; weil
in liess das, was oft wiederkehrt, nur schwach einwirkt, so
wird auch das Gefühl dadurch wenig aufgeregt; wir nehmen
dann nur einen sehr geringen Wechsel wahr und befinden uns
im Zustande der Gleichgiltigkeit. — Der an meinem Fenster
stehende Baum ist mir gleichgiltig, indem er unverändert vor
meinen Augen bleibt; im Frühjahr aber, wenn er Knospen,
Blätter und Blüthen bekommt, sehe ich ihn mit Vergnügen; er
zeigt mir täglich etwas Neues. Im Herbst, wenn sich sein
grünes Kleid gelb zu färben beginnt und nach und nach abfällt,
betrachte ich ihn wiederum mit mehr Aufmerksamkeit; allein es
entsteht dann in mir kein angenehmes Gefühl, das der Trauer.
So wie in der Natur Licht und Schatten wechseln, so in der
Seele des Menschen Lust und Unlust. Gewöhnlich fühlt man
die Lust mehr, wenn eine Unlust vorangegangen ist: wenn
nach der Anstrengung die Ruhe, nach der Kälte die Wärme,
nach Verlangen die Befriedigung folgt. Das Gefühlsvermögen
hat der Schöpfer aus weisen Absichten in unsere Seele gelegt;
auf den Gefühlen beruht Glück und Unglück, Wohl und Wehe
des menschlichen Lebens.
Ludwig, aus Oberschlesien gebürtig, besuchte seit einem
Jahre die Bauschule in Breslau. Wenn er zu den Ferien nach
Hause kam, wusste er viel von der Hauptstadt zu erzählen.
Da nannte er diese oder jene Strasse schön; so auch mehrere
Kirchen und andere Gebäude, Bildsäulen, Gemälde, die Musik,
die Spaziergänge um die Stadt und noch vieles Andere galt
als schön, mitunter wohl Einiges als hässlich. Er sprach von
dem Wohlgefallen, das man an den Kunstwerken hatte, und
setzte auch manchmal hinzu, welches vorzüglich gelungen oder
besser als ein anderes sei, oder wie die Urtheile darüber
abweichend lauteten. Franz, der jüngere Bruder, meinte, er
Würde bald zu bestimmen wissen, was schön sei; denn es sei
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Ludwig Franz Franz
228
Seelenlehre.
gezogen, hat Wohlgefallen an ihm und zeigt so den Trieb
zur Liebe. — Der Mensch empfindet Zuneigung gegen seinen
Wohlthäter und möchte ihm gern das empfangene Gute ver-
gelten : er besitzt also den Trieb der Dankbarkeit. —
Er strebt nach Belehrung, nach Erweiterung seiner Einsichten
und Kenntnisse; er ist bemüht das Dunkle klar zu machen,
das Falsche vom Wahren zu unterscheiden: hierin legt er den
Trieb der Wissbegierde an den Tag. Endlich bemerkt
man im Menschen den Trieb nach Freiheit, das heisst:
er fühlt sich angeregt nach eigener Ueberlegung unbeschränkt
zu handeln.
Das, was auf die Sinne angenehm einwirkt, trachten wir
gewöhnlich, wie schon früher bemerkt wurde, zu erlangen:
was ihnen aber unangenehm ist, zu entfernen. Daher haben
wir ein Verlangen nach einer wohlschmeckenden Frucht, nach
kühlem Schatten während der Sonnenhitze, nach dem Anblick
eines schönen Gemäldes, von dem wir sprechen hörten. Dagegen
wenden wir uns ab von einer verdorbenen, übelriechenden
Speise, und gehen ungern im Regen und Sturm. Weil nun der
Mensch durch die Sinne zum Begehren veranlasst werden kann,
so legt man ihm ein sinnliches Begeh rungsvermögen
bei. Wird der Mensch durch die Vorstellung eines Gegen-
standes angeregt, nach Erlangung desselben zu streben, so
entstellen Begierden. Jemand hält den Reichen für glücklich
und möchte deshalb auch gern reich werden. Einem Jünglinge
gefallen die Ehrenbezeigungen, die man den (Meieren erweiset,
und er hat deshalb Lust Officier zu werden. Ein Arbeiter
ist durstig und hat ein starkes Verlangen nach einem Glase
Bier. — Aus einem anhaltenden Wohlgefallen an etwas und
dem fortwährenden Begehren darnach entspringen Neigungen.
Zu grosse Begierden aber, welche die Vernunft beherrschen
und die man nur mit Mühe bekämpfen kann, heissen Leiden-
schaften. Konrad sah einigemal dem Kartenspiel zu und
bekam Lust es zu erlernen. Er fing an zu spielen, gewann
zuweilen, und das Spiel wurde bald in ihm zur Neigung.
Später konnte er es nicht mehr lassen, er brachte ganze Tage
im Wirthshause zu, verlor viel Geld, blieb den Tag über zur
Arbeit untauglich, gewöhnte sich auch das Branntweintrinken
an, verarmte und musste mit den Seinigen Noth leiden. —
So arten Neigungen in Leidenschaften aus, wenn man sie
nicht bei Zeiten unterdrückt. Wie gefährlich Leidenschaften
für die Tugend und das Glück des Menschen werden können,
davon gibt es Beispiele in Menge. Der leidenschaftliche Mensch
stürzt nicht nur sich selbst ins Elend und Verderben, sondern
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Das Vorstellungsvermögen.
229
auch ganze Familien. Darum hüte dich vor Leidenschaften
und beherrsche sie, wenn sie in dir emporkommen! Eine starke
und beharrliche Leidenschaft nennt man Sucht, als: Habsucht,
Ehrsucht, Vergnügungssucht, Rachsucht, Herrschsucht.
Adalbert sah in einem Walde viele Pflanzen, deren vier
länglichrunde Blätter eine grosse schwarze Beere umschlossen.
Er pflückte eine ab, betrachtete sie, nahm etwas von dem
Safte auf die Zunge und fand ihn wohlschmeckend. Schon
war er im Begriff', sich an den schönen Beeren zu laben;
allein er dachte: „du kennst weder das Gewächs noch seine
Frucht; wenn nun diese schädlich wäre? — Lieber esse ich
sie nicht.“ Er that wohl daran; denn es war, wie er später
von seinem Lehrer erfuhr, die giftige Einbeere. Adalbert
wäre durch seine Sinne verleitet worden, etwas zu gemessen,
was ihm viel Leiden oder gar den Tod zugezogen hätte; aber
sein Verstand wendete das Unheil ab, indem er das Urtheil
fällte: eine unbekannte Frucht darf man nicht essen. Der
Knabe unterliess also etwas Angenehmes und vermied die unan-
genehmen Folgen, weil sein Wille dem Verstände folgte.
Ein Kaufmann soll Waaren in Breslau holen, da seine
Vorräthe bald zu Ende sind. Es ist Winter, die Kälte anhal-
tend und streng. Er könnte zwar noch einige Zeit warten
und in der warmen Stube bleiben; allein er beschlosst dennoch
die Reise und achtet nicht ans die rauhe Witterung. Er urtheile
nämlich: „es ist möglich, dass die Kälte zunimmt, und ich
muss dann doch reisen, wenn nicht Störung in meinem Handel
eintreten soll.“ Hier wird etwas Unangenehmes begehrt, um
in der Zukunft einen Vortheil zu erreichen. Wenn, wie in
diesem Beispiele, der Verstand über das Begehren entscheidet,
so besitzt unsere Seele ein verständiges Begehrungs-
vermögen. Dieses ist zwar mehrentheils auf eigenen Vor-
theil gerichtet und nicht immer zu billigen; indess hält es doch
oft vom Bösen ab, fördert das Gute und trägt zu unserer Ver-
vollkommnung bei, insofern wir uns anstrengen den Geist mit
Kenntnissen zu bereichern, um dadurch unser Fortkommen in
der Welt zu sichern.
Ein Arzt, der selbst nicht ganz gesund war, wurde zu
einem am ansteckenden Nervenfieber erkrankten Tagelöhner
gerufen. Es kam ihm sauer an, dem Verlangen zu genügen,
seines eigenen Uebelbefindens wegen. Er hatte auf keine
Belohnung zu rechnen, könnte angesteckt werden und sich
deu Tod holen. Alles dies überlegte er einen Augenblick.
Doch dachte er bald weiter: „dein Beruf fordert, dass du
dem Kranken wo möglich hilfst.“ Er folgte, trotz aller Mühe
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Temperamente.
231
wieder gleich gut machen. Eine traurige Begebenheit rührt
ihn bald zu Thränen. Zu seinen Mängeln gehören Unbestän-
digkeit, Leichtsinn und Unentschlossenheit; das Gegengewicht
halten hingegen Gutmüthigkeit, Liebenswürdigkeit und Edel-
muth. Dieser Mensch gehört zu den Leichtblütigen, oder
er besitzt das sanguinische Temperament.
Der zweite ist von angenehmem Aeussern. Seine Augen
sind feurig und durchdringend; in seinem Körper liegt Fülle
und Stärke, in seinem Benehmen viel Anstand und Würde.
Er ist gern thätig, doch nicht anhaltend. Die Furcht scheint
ihm fremd, weil er seine Kraft fühlt. Er wird leicht zornig
und zur Rache geneigt. Er will gern verehrt und bewundert
sein, herrschen und gebieten, daher man ihm Stolz vorwirft.
Dieser Mann gehört zu den Warmblütigen und hat das
cholerische Temperament.
Der dritte, etwas blass im Gesicht, mit festemund ruhigem
Blicke, ist oft in sich gekehrt und für die Freude wenig empfäng-
lich. Hat er sich zu etwas entschlossen, so führt er es auch,
aller Mühe ungeachtet, aus. Der Witz ist ihm wenig, dagegen
mehr der Scharfsinn eigen. Oft zeigt er heiteren Ernst, jedoch
zuweilen Neigung zum Trübsinn. Er sucht nicht viele, aber
treue Freunde. Es gehört ihm überhaupt an: fester Wille und
Beharrlichkeit, verbunden mit Hartnäckigkeit und Abgeschieden-
heit. Bei ihm findet man das melancholische Temperament;
er ist ein Schwerblütiger.
Der vierte sieht wohlgenährt, fast aufgedunsen ans. Sein
Auge ist matt und starr. Er liebt eine behagliche Ruhe, arbeitet
langsam und ungern, schläft lange und kann viel Wärme
ertragen. Wie der Körper, so liebt auch sein Gemüth die
Ruhe. Die Einbildungskraft ist selten bei ihm rege. Er ist
gleichgiltig gegen Freuden und Leiden. Weil ihm das Erwer-
den schwer scheint, so scheut er jede Ausgabe und hat Nei-
gung zum Geize. Er ist furchtsam und eigensinnig. Zn seinen
guten Eigenschaften gehören Bedachtsamkeit, Gelassenheit und
Ordnungsliebe. Dieser ist ein Kaltblütiger und von phleg-
matischem Temperament.
Dem gemäss gibt es also vier Temperamente, das des
Leichtblütigen, des Warmblütigen, des Schwerblü-
tigen und des Kaltblütigen, oder das sanguinische,
cholerische, melancholische und phlegmatische.
Man ist der Meinung, dass die Beschaffenheit unseres Körpers
auf das Gefühls- und Begehrungsvermögen Einfluss habe, und
in früheren Zeiten wollte man beides vom Blute herleiten, daher
jene Benennungen. Gegenwärtig versteht man unter Tempera-
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252
Geographie
Manche der Oeffnungen, die aus einer Höhle in die andere füh-
ren, sind sehr niedrig, und man kann nur ganz gebückt durchgehen.
In die eine steigt man hinab, in die andere hinauf; in eine dritte
muß man sich gar mit Stricken hinablassen. Der Krümmungen
und Durchkreuzungen gibt es so viele, daß man ohne Licht und
Führer Gefahr lausen würde, sich zu verirren.
Die /ingats- Höhte.
Ganz eigener Art ist die berühmte Fingals-Höhle auf
der kleinen Insel Staffa, zu Schottland gehörig. Sie ist einer
Felsenhalle ähnlich, die von der Natur aus einer unzählbaren
Menge von regelmäßigen sechsseitigen Basaltsäulen erbaut ist
und das prachtvollste Menschenwerk an Größe und Erhabenheit
übertrifft. Der Eingang wird vom Meere aus auf einem Kahne
unternommen; ein seitwärts befindlicher Fußpfad ist sehr beschwer-
lich. Das Innere der Höhle ist durch das von Außen einfallende
Tageslicht bis zum hintersten Ende vollkommen erleuchtet, was
nichr wenig zur Enthüllung aller ihrer Schönheiten beiträgt.
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Amerika.
319
früher kleine Völkerschaften. Hirten gab es unter ihnen nicht,
wegen Mangels an Hausthieren. Der Feldbau beschränkte sich
nur auf nothdürftige Anpflanzungen von Mais und Maniok.
Fischerei dagegen und Jagd waren Hauptbeschäftigungen der mei-
sten. Zur Trägheit neigten sich fast alle, selbst die rüstig mun-
teren der kühlen Zone. Auffallend jedoch war die thierische Dumm-
heit der Fischervölker am Orinoko, im Vergleich mit der Rührigkeit
und dem aufgeweckten Geiste der nördlichen Jäger. Grausam
gegen ihre Feinde fand man sie sämmtlich; die meisten fraßen
ihre Gefangenen oder quälten sie zu Tode. Noch jetzt sind die
Völkerschaften Nordamerikas, die sich ins Innere zurückgezogen,
ihren Vorfahren ähnlich; noch jetzt kennen sie keine Staatsein-
richtung, als Gleichheit eines Jeden im Anrecht auf die Thiere
des Waldes, so weit ihr Jagdbezirk sich erstreckt; sie gehorchen
nur den Befehlen des Kühnsten, den sie zum Anführer wählen.
Das Weib ist bei ihnen dem stärkeren Manne dienstbar, zum
Lasttragen und Arbeiten bestimmt. Die Männer, wenn nicht
auf der Jagd oder im Kriege, pflegen fauler Ruhe; doch leicht,
von Leidenschaften gereizt, können sie in große Lebhaftigkeit gera-
then. Ihre Kriegstänze werden als ausdrucksvoll und schauder-
haft, und andere Tänze, womit sie die Aussöhnung zu feiern
pflegen, als leicht und unmuthig geschildert. Besonders rühmt man
an ihnen Liebe zum unabhängigen Vaterlande und Standhaftig-
keit im Leiden. In jener gleichen sie unsern deutschen Vorfahren;
in dieser nur sich selbst; denn nirgends ist man grausamer in
Peinigung Gefangener und also nirgends so zur Ertragung großer
Schmerzen aufgefordert. Darum prägen sie den Knaben ein,
jede Beleidigung müsse gerächt, jede noch so große Marter muthig
und lautlos erduldet werden. Hierin üben sie mehr als die alten
Spartaner. Ihre Religionsbegriffe waren und sind einfach. Sie
verehren den unsichtbaren großen Geist als den Beschützer der
Tapfern und Guten, und glauben an ein Leben nach dem Tode,
wo ewiger Frühling weht, wo die Wälder voll Wild, die Gewässer
voll Fische sind. Darum halten sie auch ihr Wort, sind treu
und gastlich, großer Gesinnungen und Handlungen fähig. Man
hat Reden ihrer Häuptlinge aufbewahrt, worin Kraft und Hoheit
der Gefühle bewundernswerth erscheint. In den ehemaligen
spanischen Besitzungen sind fast alle zum Christenthum bekehrt,
ganze Völker aber durch Krieg und grausame Unterdrückung
vernichtet worden. Große Landstrecken nehmen gegenwärtig
Abkömmlinge der Europäer ein; auch leben dort viele aus Afrika
hinübergeschiffte Neger als Sklaven.
Theile von Nordamerika sind: Grönland, wo nur
wenige zerstreut wohnende Menschen ein kümmerliches Leben
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
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TM Hauptwörter (200): [T185: [Jagd Viehzucht Bewohner Ackerbau Jäger Fischfang Wald Fischerei Krieg Land], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T109: [Europa Asien Afrika Amerika Australien Insel Erdteil Land Zone Klima], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
Extrahierte Ortsnamen: Amerika Orinoko Nordamerikas Afrika Nordamerika
Sitten - und Lebensregeln.
483
Feindschaft dagegen ist Armuth. Deswegen suche auch
den zu gewinnen durch Wohlwollen, der dir nicht wohl will.
Kannst du aber den Feind nicht gewinnen und den Freund
nicht behalten, ohne Gott zu verlieren, so lasse die Men-
schen vor Gott fahren!
Schliesse dein Herz nicht zu! Thränen sind
gut, aber nicht das Beste, sondern wenn du hingehest und.
den Armen eine Freude machst, dem Kranken eine Er-
quickung bringst, dem Verzagten Muth einsprichst, den
Traurigen erheiterst, der Verlassenen dich annimmst und
den Gefallenen deine Hand reichst, dass sie aufstehen, und
leitest sie auf den guten Weg: da zeigst du ein fühlen-
des Herz.
Ehre deinen König und halte sein Gesetz!
Es mag kein Haus bestehen ohne Herrn und keine Ord-
nung ohne Tiegel; darum sollst du dich nicht erheben wider
den rechtmässigen Herrn des Landes, weder durch Verrath
oder Gewalt, noch durch Murren und Lästern, sondern
bescheiden seine Verordnungen annehmen und treu seinen
Befehlen folgen, es gehe auch in Noth und Tod; denn er
knüpft daran, dir unbemerkt, das Heil und das Leben vie-
ler Tausenden. Wenn der König ein Vater ist, so sollst
du ein Kind sein und auch dem Strengen gehorchen mit
Kindersinn. Die Obrigkeiten sind die älteren Geschwister,
denen er in Abwesenheit sein Ansehen und seine Gewalt
gegeben hat, dass du sie hörest und ehrest wie ihn.
Weiche kein Haar breit von der Ehrlich-
keit! Wenn die Wahl vor dir liegt zwischen Beicht hum
und Armuth, zwischen Hoheit und Niedrigkeit, so sollst du
Vortheil, Beichthum und Hoheit verweisen, Schaden, Ar-
muth und Niedrigkeit annehmen und — ein ehrlicher Mensch
bleiben. — Lüge nicht! Brich dein Wort nicht! Aendere
die Schrift nicht! Hüte dich vor Betrug! Habe auch nicht
Hehl mit Dieben, sie seien vornehm oder gering; der Hehler
ist nicht besser als der Stehler. Ferner sei kein Würgengel
unter deinen Mitbrüdern, das heisst: treibe nicht Wucher!
Ls muss kein ungerechter Pfennig in deinem Vermögen sein,
und keine Thräne auf deinen Besitz fallen.
Nähre dich selbst und lass dich nicht näh-
ren! Nimm den Elenden nicht das Brot und dränge die
Schwachen, Kranken und Gebrechlichen nicht von dem
Wohlthäter hinweg. Du aber, dem Gott Hände und Kopf
gegeben, sollst dich nicht auf den Brotkorb setzen, sondern
sollst arbeiten und mit Beeilt essen. Hast du übrig, so
31*
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Sitten - und Lebensregeln.
487
und diesen gewaltsam genommen. Dabei ist Gefahr, gestochen zu werden.
Also ist die eigentliche Bedeutung des Sprichwortes: Wer den süßen Honig
der Bienen haben will, muß sich der Gefahr aussetzen, von denselben
gestochen zu werden. — In allen Verhältnissen suchen die Menschen das
Angenehme, aber vor der Erlangung müssen sie gewöhnlich etwas Unan-
genehmes übernehmen. Wer dies scheut, wird das Ziel nicht erreichen.
So möchten viele Kinder gern viel wissen; aber das anstrengende Lernen,
das Verzichten auf Spiel und Tändelei sind das Unangenehme, der Stachel,
durch den sie sich nicht abschrecken lassen dürfen. — Zeitliches Vermögen
suchen die meisten Menschen; viele aber mögen Fleiß und Sparsamkeit
nicht üben, und erlangen nicht das Gewünschte.
Vorgethan und nachbedacht hat manchen in groß Leid gebracht.
Ehe der vernünftige Mensch eine Handlung beginnt, überlegt er. Er
wird sich der Absichten bewußt, warum er etwas vornimmt, bedenkt die
möglichen Folgen seines Thuns, und wählt die vernünftigste Weise, das
Vorhaben auszuführen. Wer wie das Thier blindlings handelt, ohne
Ueberlegung beginnt, ist mit Recht ein Thor zu nennen. Das nicht vorher
bedachte Handeln hat gewöhnlich nicht einen so günstigen Erfolg, als es
haben könnte; in den meisten Fällen zieht es dem Menschen einen Nach-
theil entweder am Leibe oder an der Seele zu. Dann bedenken die Leicht-
sinnigen zu spät das Geschehene, beklagen vergeblich ihre Unvorsichtigkeit.
Muthwillige Kinder stürzen sich oft tollkühn in Gefahren, indem sie
sich auf gefährliches Eis wagen, sich ohne Aufsicht baden, auf hohe Bäume
klettern u. s. w. Wie mancher ist nicht schon durch Verkrüppelung, sogar
durch den Verlust des Lebens für seine Tollkühnheit bestraft! Leichtsinnig
wählen oft junge Leute Umgang, Gesellschaften, schließen ohne Ueberlegung
Freundschaften und — bereuen oft erst nach dem Verlust ihrer Unschuld den
unüberlegten Schritt. Unüberlegte Ausgaben bringen Armuth, unüberlegte
Genüsse haben Krankheiten zur Folge. Deshalb das Sprichwort:
Erst besinn's, dann beginn's!
Anrecht Gut gedeihet nicht.
Ein Besitzthum, welches auf unehrliche Weise erworben ist, nennt man
unrechtes Gut. Arten der unrechtmäßigen Erwerbung sind Raub, Dieb-
stahl, Betrug, Behalten des Gefundenen. Wenn das Erworbene zur Ver-
mehrung des Vermögens beiträgt, den Wohlstand des Besitzers und so das
zeitliche Glück desselben vermehrt, so gedeihet es. Der himmlische Segen ist
die erste Bedingung des Gedeihens, wie das Sprichwort sagt: An Gottes
Segen ist alles gelegen. Alles Erlaubte, alles Gute wird durch Anwen-
dung schlechter Mittel böse, vermindert oder nimmt deshalb die Gnade
Gottes und so seinen Segen. Unrechtmäßiges Gut wird gewöhnlich auf
eine leichte Weise erworben, daher nicht mit Sparsamkeit bewahrt. Die
Ausübung schlechter Mittel führt bald zum Müssiggange, zum völligen
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483
Sitten« und Lebenöregeln.
Lasterleben. Das unrechtmäßig erworbene Gut reicht dann selten hin zur
Befriedigung der vielen sinnlichen Lüste, es wird auch das rechtmäßig
Erworbene zu diesem Zwecke angewandt, und eö erfolgt Verarmung. Die
Obrigkeit straft den entdeckten Betrug oder Diebstahl mit Ersatz, Gefäng-
niß, Verlust des guten Namens.
Deshalb bestätigt sich gewöhnlich die Wahrheit des Sprichwortes: der
unehrliche Pfennig verzehrt den ehrlichen Thaler; oder: wie gewonnen, so
zerronnen.
Jeder für sich, Gott siir uns alle.
Der Sinn des Sprichwortes ist: Man braucht nur für sein eigenes
Wohl zu sorgen, das Heil des Nebenmenschen ist nicht unsere Sache; für
alle Menschen mag Gott sorgen. Es ist ein ganz verkehrtes Sprichwort.
Es führen dasselbe nur eigennützige, selbstsüchtige Leute im Munde, welchen
ihr irdischer Gewinn mehr gilt, als der Wille Gottes. Dagegen lehrt
unsere heilige Religion, daß Einer des Andern Last tragen solle, daß wir
alle Brüder in Christo, dem Herrn, seien; daß die Nächstenliebe der Selbst-
liebe gleich sein solle. Es gibt auch andere Sprichwörter, welche das
Gegentheil ausdrücken, als: „Alles, was du willst, daß dir geschehe, das
thue auch jedem Andern; eine Hand muß die andere waschen."
Die Heuchelei ein faules Ei.
Ein faules Ei scheint von außen gut, unverdorben, das Innere hin-
gegen hat nicht allein die Eigenschaften eines guten Eies verloren, sondern
hat auch einen widerlichen Geruch und wird gleich nach Erkennung der
Faulheit von jedem als etwas Ekelhaftes weggeworfen. Mit einem faulen
Ei kann passend die Heuchelei verglichen werden. Diese ist Verstellung im
Reden und Handeln. Das Aeußere der Heuchler hat den Sckeiu von
Frömmigkeit, verbirgt aber ein verderbtes, falsches, boshaftes Herz. Könnte
man den Schein entfernen, so würde man sich mit eben dem Abscheu von
dem Heuchler abwenden, womit man das übelriechende Ei wegwirft. Die
Heuchelei ist eine Verunehrung Gottes, eine feine Betrügerei, eine sehr
gefährliche Lüge. Der Heiland verglich die heuchlerischen Pharisäer mit den
Gräbern der Todten, mit Wölfen in Schafskleidern.
Hochmuth geht vor dem Falle her.
Hochmüthig ist derjenige, welcher seine wirklichen Vorzüge überschätzt
oder einige zu besitzen glaubt, die ihm gar nicht eigen sind. Einem solchen
Menschen fehlt also die Selbsterkenntniß, ohne welche keiner die Fehler
ablegen und sich Tilgenden aneignen kann. Der Hochmüthige hat ein zu
großes Vertrauen auf seine Festigkeit, Standhaftigkeit. Ihm entzieht des-
halb Gott seine Gnade; daher oft sein tiefer Fall. Auch in weltlichen Ver-
hältnissen geht Hochmuth vor dem Falle her.
Hochmüthige Menschen sind nicht vorsichtig, vertrauen auf ihre Ein-
sichten und Geschicklichkeiten zu viel. Daher übernehmen sie oft etwas,
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4
Geschichte.
Heilkunde; — wenn er die Flocken der Schafwolle in Sturm und
Nässe sich zusammendrehen und dadurch an Festigkeit gewinnen
sah, so kam er vielleicht ans Spinnen und Weben.
Aber das unstäte Leben verursachte, daß er in jeder Gegend
ein Fremdling blieb; machte er ja Erfindungen, so waren seine
Genossen viel zu entfernt, um dieselben kennen zu lernen; die
gegenseitige Hilfsleistung, welche die Ackerbauer verbindet, blieb
ihm fremd, und Zank und Streit um Weideplätze waren nicht
selten. Jeder war frei und unabhängig, nur dem Oberhaupte,
dem Aeltesten des Stammes, gehorchte er; dieser ist der König,
und die Bibel zeigt uns die anmuthigsten Bilder des Hirtenlebens
in Abraham, Isaak und Jakob.
Jnnner weiter gehende Wanderungen führten manche Men-
schen in Gegenden, die weder zum Ackerbau noch zur Viehzucht
taugten. Große, endlos scheinende, unfruchtbare, wasserlose Step-
pen waren unter unsäglichen Beschwerden durchzogen, sie grenzten
an ungeheure, dichte Wälder, worin zahllose kleine und große
Thiere hausten. Umkehr war unmöglich — da griff der Mensch,
durch die Noth kühn und erfinderisch gemacht, zur Waffe, und
wurde ein Jäger. Das rohe Fleisch des erlegten Thieres stillte
seinen Hunger, die abgezogene Haut bekleidete ihn. Er suchte
seine Waffe zu verbessern, und sann auf allerlei List; lauerte im
Hinterhalte, lief über Berg und Thal, wohnte in Höhlen und
Klüften, wie sie die Natur bot. Bald scheuten ihn die Thiere
und flohen seine Nähe, er mußte ihnen folgen, und er that es.
Darum baute er keine Hütte, schlug kein Zelt auf; stilles
Familienglück, geselliges Zusammenleben kannte er nicht, es war
ihm nur hinderlich; mußte doch der erwachsene Sohn sein eigenes
Jagdgebiet aufsuchen, und sich von den Seinen trennen, oft aus
Nimmerwiedersehen.
Wie der Jäger Herrscher über die Thierwelt war, so wollte
er über Menschen gebieten, die sich ihm ja näherten;-^wie er
hart und herzlos gegen die Geschöpfe des Waldes war, so war
er es gegen seine Nebenmenschen. Bei reicherem Fange unmäßig,
zu den großen Anstrengungen Stärkung und Aufregung suchend,
kannte er nur rauhe, ungestüme Vergnügungen, und eine allmä-
lige Verwilderung war die Folge.
Unter den Volksstämmen wurden die zuerst groß, bei welchen
der Ackerbau die Quelle des Unterhaltes war. Schon oben wurde
gesagt, daß bei ihnen auch die ersten Begriffe von Recht vorkamen.
Wollten Alle bestehen, so durfte nicht jeder nur sein Bestes wollen,
sondern er mußte darauf achten, daß dadurch dem Nachbar ^und
Genossen kein Schaden erwuchs. So entstand nach und nach Her-
kommen, Sitte, Gesetz, und danach mußten alle Bewohner eines
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Extrahierte Personennamen: Abraham Isaak Isaak Jakob