155. Thierwanderungen.
339
saniere Reisen machen verschiedene Nager.
Nur flüchtig zu gedenken des Eichhorns,
das mitunter Wald mit Wald vertauscht
und der Feldmäuse, die sich sogar
durch größere Flüsse nicht am Weiter-
ziehen hindern lassen, wie man denn
weiß, daß sie selbst den Main und
Rhein durchschwammen, müssen wir die
Wurzelmaus, oder wie sie von ihrer
Heimat heißt, die Kamtschatka-Ratte
besonders hervorheben. Im Frühjahre
verlassen Legionen dieser Thiere Kamt-
schatka und ziehen in westlicher Richtung
hunderte von Meilen landseinwärts den
Ufern des Octrals und Jdoma zu, wo
sie gegen Mitte August ankommen. Ihre
Anzahl ist so ungeheuer, daß der Vorüber-
zug einer einzigen Colonne oft mehrere
Stunden währt. Im Oktober kehren die
stark gelichteten Schaaren nach Kamt-
schatka zurück und diese Rückkehr ist ein
Freudenfest für das Land, weil eine
Menge von Raubthieren die Züge be-
gleitet, deren kostbares Pelzwerk eine
willkommene Beute für die Bewohner
dieser winterlich unfruchtbaren Gegenden
ist. Minder regelmäßig, aber eben so
merkwürdig sind die Wanderungen des
Lemmings, der auf Schwedens und
Norwegens Gebirgen in so großer An-
zahl lebt, daß man auf dem Sewoge-
birge oft ein Schlupfloch neben dem
andern sieht. Zu Zeiten steigen diese
gefräßigen Geschöpfe von den Küsten
des Eismeeres nach den Thälern Lapp-
lands herab, rücken in gedrängten Massen
vorwärts und befolgen dabei immer eine
gerade Linie, welche kein Hinderniß zu
unterbrechen vermag. Berge und Felsen
werden überstiegen, Flüsse durchschwom-
men. So geht der Zug, hauptsächlich
zur Nachtzeit unaufhaltsam weiter, eine
Geißel des Landes, ein Schrecken für
seine Bewohner. Denn ob auch Tausende
und aber Tausende unterwegs zu Grunde
gehen, ihre Zahl bleibt noch so erstaunens-
würdig groß, daß sie alle und jede Vege-
tation zerstören, das Gras nicht nur
bis auf die Wurzel abbeißen, sondern
auch noch den Boden aufwühlen und die
darin befindlichen Samenkörner hervor-
suchen. — Glücklicher Weise findet ein sol-
cher Lemmingseinfall in derselben Gegend
alle zehn Jahre höchstens einmal statt.
Das Renthier, dieser höchste
Schatz des Nordländers, verläßt in
Heerden von vielen Tausenden gegen
Ende Mai die Wälder Sibiriens, um
sich gegen die Insekten, namentlich gegen
die Renthierbremse zu schützen und an
den Polarmeeren Nahrung zu suchen
und kehrt erst im Herbste wieder zurück.
Auffallender erscheinen die Wan-
derungen mehrerer Arten der Antilo-
pen. Diese sind bekanntlich Bewohner der
Ebenen und baumlosen Flächen der Tro-
penländer. Europa besitzt nur eine Art,
die Steppen- oder Saiga-Antilope, die
heerdenweise Polens Ebenen bevölkert,
Winters aber südwärts zieht. Afrika
allein zählt über 60 Arten, von
denen der Springbock am interessan-
testen sein dürfte. In Heerden von 20 bis
25,000 Stück lebt er in Südafrika, und
es ist ein eignes Schauspiel, diese Thiere
jagen zu sehen, weil da beständig mehrere
4 bis 6 Fuß hoch über einander weg
springen. In dürren Jahren fallen die
Springböcke verwüstend in die Saat-
felder der Cap-Colonie ein. Doch müssen
sie den angerichteten Schaden mit ihrem
eignen vorzüglichen Fleische wenigstens
theilweise Zahlen. Sie werden nämlich
bei diesen Einfällen in Masse erlegt. —
Selbst das Geschlecht der Robben
und Wale hat seine Wanderer aufzu-
weisen. Heerden von Seehunden lagern
auf den im März und April vom Nord-
pol herabtreibenden Eisfeldern und lassen
sich so wärmeren Meeresstrecken zutreiben.
Das Walroß benutzt dieselben Fahr-
zeuge, doch zu kürzeren Stationen. Der
beutegierige Delphin folgt den Zügen
der Fische, durchkreuzt alle Meere und
steigt selbst die Flußmündungen hinauf.
Gleich verwegen ist der P o t t f i s ch
(Cachelot), der von der Baffinsbai
und Davisstraße aus bis in's atlantische
Meer und selbst in das Mittelmeer hin-
streicht.
Ii.
Aus dem Letztgesagten haben wir
schon ersehen, daß die Wanderungen
der Thiere nicht nur auf dem Festlande,
sondern auch im flüssigen Elemente vor- -
kommen; ja hier sind sie noch leichter
auszuführen, weil sich den Zügen weniger
22*
TM Hauptwörter (50): [T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone]]
TM Hauptwörter (100): [T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T50: [Klima Land Meer Gebirge Europa Zone Norden Küste Süden Winter], T0: [Meer Insel Halbinsel Küste Ozean Afrika Land Europa Kap Straße]]
TM Hauptwörter (200): [T195: [Pferd Tier Hund Schaf Löwe Wolf Rind Mensch Schwein Thiere], T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
Extrahierte Personennamen: August
Extrahierte Ortsnamen: Main Rhein Kamt- Schwedens Norwegens Sibiriens Europa Afrika Südafrika
202
Iii. Geschichtsbilder.
Bräucheverlangte, und jenenheiligengeist
nicht kannte, der in alle Wahrheit leitet.
Wenn es also gewiß ist, daß die
Deutschen nach Roms Falle so hoch stan-
den, wie kein anderes Volk; und wenn
es nicht minder gewiß ist, daß die all-
gemeine Geschichte den Höhen der Bildung
folgen darf, so leidet es keinen Zweifel:
deutsches Leben und deutsche Art ist
der nächste Gegenstand der Geschichte und
in ihm ist das Fortschreiten der Mensch-
heit zu suchen. So lange Rom herrscht,
ist das Alterthum; das Mittelalter
ist, wo deutsches Leben und deutsche
Art hervortritt oder nachgewiesen
werden kann.
In allen Ländern und bei allen
Völkern Europas ist deutsche Bildung
unverkennbar, und wiederum haben alle
Völker in allen Ländern Europas auf
die Entwickelung deutscher Bildung, sei
es im eigentlichen Deutschland, sei es
in andern Ländern, manchfaltigen Ein-
fluß gehabt. Von dem Augenblicke an,
da die Deutschen in die Geschichte ein-
traten, bis auf diesen Tag ist die Ent-
wickelung ihres Lebens, zwar nicht im-
mer mit gleicher Raschheit, aber unun-
terbrechen fortgegangen, und was ihnen
zu erreichen bestimmt sein mag, kann
Keiner voraussagen.
94. Das alte Germanien und seine Bewohner.
I.
Als die Römer den Rhein über-
schritten und auf beschwerlichen Märschen
durch Sümpfe und Wälder manches Un-
gemach erduldet hatten, erregte es ihre
Verwunderung, daß unter einem so har-
ten Himmel Menschen zu leben ver-
möchten, und daß dieselben einen so
wenig ergiebigen Boden gegen ein ge-
bildetes Volk zu vertheidigen suchten.
Das schien nur möglich, wenn diese
Menschen mit diesem Theile der Erde
zusammengewachsen und hier von jeher
heimisch gewesen waren. „Wer würde
Asien oder Afrika oder gar Italien ver-
lassen," rufitacitus aus, „um Germanien
aufzusuchen, wenn es nicht das Vater-
land wäre?" Wie hätten aber die ger-
manischen Völker diesen Boden nicht
behaupten sollen, mit dessen Verlust sie
Freiheit und Unabhängigkeit, Art und
Sitte der Väter, ihre Sprache, ihren
Glauben verlieren mußten?
Der Römer freilich schauderte, wenn
er mit dem Gedanken an den wolken-
losen Himmel Italiens, wo der Früh-
ling mit dem milden Herbste wechselt,
ein Land betrat, wo kein Rebengelände
den Hügel bekränzte und kein Oelbaum
grünte; wo kein Weizenfeld und keine
Südfrucht gedieh; wo unter dem Druck
der eisigen Luft alle Lebenskraft zu er-
starren schien. Entsetzliches Land, dessen
Ströme, vom Regen geschwellt, ver-
heerend überfließen, oder kalt und träge
dahin schleichen; wo Fluß und See sich
mit einer harten Eisrinde bedecken, so
daß, wer Wasser bedarf, nicht mit dem
Eimer, sondern mit der Axt bewaffnet
ausgeht, und es in schwerfälligen Klum-
pen, wie Holz nach Hause trägt! Wenige
Wochen nur zählt der Sommer, und
auch dann fehlt es an heftigen Regen-
güssen nicht; frühzeitig bricht der Herbst
mit Stürmen und Fluthen herein, und
schon zur Zeit der Tag- und Nacht-
gleiche sind Gebirge und Ebenen von
Schnee bedeckt. Wehe dem Wanderer,
den diese Stürme in der Tiefe der
Wälder treffen!
Zu Cäsars Zeiten hatte noch Nie-
mand jenes furchtbare Waldgebirge er-
forscht, welches unfern der Alpen be-
gann, auf dem linken Ufer der Donau
sich nach Osten zog und dann in die
unabsehbaren Fernen des Nordens ver-
lor. Sechszig Tage, hieß es, könne
man reisen, ohne das Ende zu erreichen;
neun Tage seien nöthig, um es in der
Breite zu durchmessen. Da gab es
neben Tannen, Kiefern, Eiben und
Buchen gewaltige Eichen, ungezählte
Jahrhunderte alt, deren knorrige Wur-
zeln den weichen Boden unterhöhlten
und zum Hügel emporhoben. Nicht
selten durchbrachen sie ihn, stiegen bogen-
förmig bis zu den herabhängenden Zwei-
gen empor, und verwuchsen mit ihnen
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland]]
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Extrahierte Personennamen: Cäsars
Extrahierte Ortsnamen: Roms Europas Europas Deutschland Germanien Rhein Afrika Italien Germanien Italiens Donau
144. Dìe Schlacht von Waterloo.
311
Württemberger und das sächsische Armee-
korps die Reihen der Franzosen ver-
lassen, letztere längst grollend wegen
alles Elendes, das die Franzosen über
Sachsen gebracht hatten, und ergriffen
von Begeisterung für die deutsche Sache.
Kanonenschüsse in ihre Reihen waren
der Scheidegruß; aber auch die sächsische
Artillerie wendet ihr Geschütz und sen-
det tausendfach den Tod in jene Schaa-
ren, mit denen sie soeben noch gestritten.
Dies hemmt den Laus der feindlichen
Armee, Verwirrung bricht herein, sie
müssen weichen, und verlassen am andern
Morgen selbst Stötteritz und Probsthaida.
Es war um 8 Uhr Abends, da ritt
der Feldmarschall Fürst Schwarzenberg
nach der Höhe von Meusdorf, von wo
aus die verbündeten Fürsten dem Ge-
tümmel der Schlacht zugesehen hatten,
und verkündigte den vollständigen Sieg.
Da stiegen sie von ihren Rossen, ent-
blößten die Häupter und sandten fromme
Blicke zum Himmel empor. Napoleon
aber ging nach Leipzig und diktirte in
der Nacht die Anordnungen für —
den Rückzug!
Nachts, schon nach Aufgang des
Mondes, ward er angetreten. Lange
Heereszüge, die Garden voran, bewegten
sich auf der Straße über Lindenau nach
Lützen und Weißenfels zu. Schon hatte
der Kampf wieder begonnen, da bestieg
Napoleon sein Schlachtpferd, nahm Ab-
schied von dem Könige von Sachsen,
Friedrich August, und begab sich nach
dem Ranstädter Thore, das zu passiren
ihm endlich nach vielen Mühen durch
ein Seitengäßchen aus gelang. Furcht-
bar war hier das Gewühl! Da zog
Fußvolk und Reiterei in der engen
Straße, Geschütz und Pulverwagen,
Gesunde, Verwundete und Sterbende,
Wagen mit Frauen und Kindern, Mar-
ketender und Viehheerden, Alles im wil-
desten Getümmel, in endloser Rast, mit
144. Die Schla
Am 1. Màrz 1815 war der gesturzte
Kaiser Napoleon I. von der Jnsel
Elba, seinem Verbannungsorte, aus an
der Kuste von Frankreich gelandet, am
Drängen, Stoßen und Geschrei bunt
durcheinander. Jeder Aufenthalt auf
der engen Straße bringt Stocken in den
ganzen Knäuel; wer zu Falle kommt ist
verloren!
Umgestürzte Kanonen, verlassenes
Fuhrwerk aller Art, Pulverwagen und
Gepäck, Alles hindert den Zug. Von
der andern Seite drängen, stürmen,
schießen die Verbündeten, und noch sind
mehr als 20,000 Franzosen in der
Stadt! Da ertönt — es ist Mittags
zwölf Uhr — ein dumpfer Knall! Ein
Schrei des bangsten Entsetzens durchzieht
die Reihen der Franzosen, die steinerne
Elsterbrücke, die einzige Rettung ver-
sprechende, ist durch Uebereilung eines
Feuerwerkers zu frühzeitig gesprengt!
Der Elsterfluß mit tiefem Bette und
hohem Ufer wehrt den Rückzug. Man
stürzt sich in die kalten Fluthen, sie
zu durchschwimmen, Tausende — un-
ter ihnen auch der Polenheld Ponia-
towsky — ertrinken und Menschen und
Pferde erheben sich in grauenvollen
Gruppen über dem blutgefärbtem Ge-
wässer. 15,000 müssen sich als Kriegs-
gefangene ergeben.
Durch die Grimmaische Straße aber
bewegt sich eine Stunde später ein ein-
facher Zug, Kaiser Alexander und König
Friedrich Wilhelm von Preußen sind's,
umgeben von den ruhmumstrahlten Hel-
den der blutigen Tage, Schwarzenberg
und Blücher, dem greisen, unermüdeten
Krieger! — Deutschland jubelt über
den Sieg bei Leipzig. Das Joch der
Fremdherrschaft war abgeworfen und
Deutschlands Stämme waren wieder,
wie einst am großen Tage Hermanns,
eins gewesen bei einer großen Sache.
Mit Ruhm wird man noch in den fern-
sten Zeiten der Tage von Leipzig ge-
denken. Die Wiedergeburt Deutschlands,
ja Europa's, beginnt mit den Tagen
der Leipziger Völkerschlacht.
t*von Waterloo.
20. hatte er unter dem Jauchzen des
Volkes seinen Einzug in Paris gehalten,
um den Thron von Frankreich wieder
einzunehmen, den einige Tage zuvor
TM Hauptwörter (50): [T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen]]
TM Hauptwörter (100): [T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T29: [Napoleon Heer Schlacht Preußen Franzose General Mann Armee Sieg Bluch], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser]]
TM Hauptwörter (200): [T121: [Feind Reiter Pferd Heer Mann Flucht Lager Soldat Seite Reiterei], T21: [Napoleon Bluch Heer General Preußen Franzose Schlacht Armee Mann Wellington], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni]]
Extrahierte Personennamen: Fürst_Schwarzenberg Napoleon Napoleon Friedrich_August Friedrich August Màrz Napoleon_I. Alexander Alexander Friedrich_Wilhelm_von_Preußen Friedrich Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Meusdorf Leipzig Sachsen Jnsel
Elba Frankreich Schwarzenberg Deutschland Leipzig Deutschlands Leipzig Deutschlands Paris Frankreich
Biographieeit
148. Joseph Haydn.
Nohrau, ein Dorf an der öster-
reichischen Grenze gegen Ungarn, ist der
Geburtsort Haydns, der am 11. April
1732 das Licht der Welt erblickte. Sein
Vater, ein armer Wagner, hatte auf der
Wanderschaft die Harfe spielen gelernt,
und pflegte, wenn der Sonntag kam, zu
derselben zu greifen und seine Lieder
abzuspielen, und Haydns Mutter sang
dazu. Noch im höchsten Alter wußte
Haydn alle diese Lieder auswendig. —
Als fünfjähriges Kind setzte er sich neben
die Eltern, nahm ein Stück Holz in die
rechte Hand und schabte damit auf dem
linken Arme auf und ab, als ob er geige.
Der Vater wünschte seinen Sohn dem
geistlichen Stande zu widmen, und da
er sich in ziemlich dürftiger Lage be-
fand, war ihm der Antrag eines Ver-
wandten, des Schulrektors zu Haimburg,
den sechsjährigen Knaben zu sich zu
nehmen und zu unterrichten, äußerst
willkommen. Bei diesem mußte er nicht
nur Latein betreiben, sondern auch um
auf dem Kirchenchore vielseitig verwendet
werden zu können, mehrere Instrumente
erlernen.
„Ich verdanke es dem Schullehrer
noch im Grabe," sagte Haydn oft im
späteren Alter, „daß er mich so vielerlei
anfangen ließ; obwohl ich von ihm mehr
Prügel als Brod erhielt." Zu Haim-
burg entdeckte der Kapellmeister Reuter
am St. Stephansdom in Wien die seltene
musikalische Begabung des Knaben, na-
mentlich dessen reine klare Sopranstimme
und nahm ihn für den Dienst eines
Chorknaben mit sich in die Kaiserstadt.
Hier wurde er von tüchtigen Lehrern
im Singen, in verschiedenen Instru-
menten und in der Theorie der Musik
unterrichtet. Er hörte auch gute Musiken
und seine eigene Phantasie war schon
damals so beschäftigt, daß er sich an
acht- und sechzehnstimmige Compositionen
Marschall, Lrsebuch.
wagte. Er war hier zwar vor Mangel
geschützt, seine Lage war aber nichts
weniger als glänzend. Dennoch war
es ein harter Schlag für ihn, als er
im sechzehnten Jahre, da seine Stimme
gebrochen war, seine Entlassung erhielt.
Nun begann „des Künstlers Erden-
wallen". Er mußte sich eine lange Reihe
von Jahren hindurch höchst kümmerlich
durchbringen; er gab Lektionen und spielte
in den Orchestern mit. Seine Wohnung
war im sechsten Stock zunächst den Sternen.
Die Dachkammer hatte weder Ofen noch
Fenster, und sein einziges Glück bestand
in einem alten, von Würmern durch-
fressenen Clavierchen. Später wurde er
für jährliche 60 Gulden Chorschüler bei
den barmherzigen Brüdern in der Leo-
poldvorstadt, wo er an Sonn- und Feier-
tagen um acht Uhr Morgens in der
Kirche sein mußte. Um 10 Uhr spielte
er in der gräflich Haugewitz'schen Kapelle
die Orgel, und um 11 Uhr sang er in
der Stephanskirche für 17 Kreuzer. Nach
Italien kam Haydn nie, sprach jedoch
das Italienische ziemlich fertig. Um
von dem italienischen Tonkünstler Por-
pora zu lernen, bediente er denselben
eine lange Zeit hindurch fast wie ein
gemeiner Aufwärter und gestand später
gern, daß er ihm Vieles zu danken habe.
Porpora gab einer Dame Unterricht im
Singen, Haydn spielte dabei die Be-
gleitung und ließ sich von dem alten
Maestro seine Compositionen verbessern.
So bildete sich ein Mann, dessen Töne
in allen Orchestern der Welt wieder-
hallen, und der ein halbes Jahrhundert
hindurch mit wachsendem Ruhme in seiner
Kunst gearbeitet hat. Im Jahre 1761 er-
hielt Haydn die Stelle eines Direktors bei
der Kapelle des Fürsten Esterhazi. Dieser
aber beschloß, sei es aus Laune, sei es
aus ökonomischer Nothwendigkeit, nicht
nur seine Schauspieler und Sänger,
21
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
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154. Das Nachtleben in der Natur.
335
chen auf und wenden ihre obern Flächen
gegen einander; andere Kleearten schla-
gen ihre Spitzen gegen einander, wieder
andere kehren diese abwärts um.
Merkwürdig ist, daß auch das Alter
der Blätter einen Einfluß auf leisern
oder tiefern, kürzern oder längern Schlaf
ausübt. Je jünger die Blätter, desto
mehr sind sie dem Schlafe und der Ver-
änderung unterworfen, je älter, desto
weniger. Weiter ist der. Schlaf auch
bedingt durch die Natur der Pflanze,
durch ihre zartere oder festere Substanz.
Die meisten immergrünen und leder-
artigen Blätter zeigen selbst in ihrer
Jugend kaum eine Spur von Schlaf.
Doch auch im Schlafe hört das Le-
den der Pflanze nicht auf. Die Feuch-
tigkeit, welche die Wurzel einsangt, steigt
auch in der Nacht hinauf zu den Blät-
tern und diese geben eben so gewisse
Stoffe an die Luft ab, wie sie aus die-
ser wieder andere in sich aufnehmen.
Allein es ist ein großer Unterschied in
diesem Stoffaustausch zwischen Tag und
Nacht. Die Luft, welche die Pflanze
bei Tage aushaucht, ist besonders reich
an Sauerstoff, indeß Nachts vorzugs-
weise Kohlensäure entweicht. Der Ver-
lust von Kohlenstoff bei der nächtlichen
Ausscheidung hat bei mehreren Pflan-
zen zur Folge, daß der Sauerstoff vor-
waltet und sich sogar dem Geschmacke
bemerkbar macht. So will man bemerkt
haben, daß die Blätter mancher Fett-
pflanzen früh Morgens einen entschieden
sauren Geschmack besitzen, den ihnen der
Sonnenschein allmählich wieder benimmt,
indem er die Pflanze ihres Sauerstoffes
wieder mehr entbindet.
Ii.
Wie das Thier in seinem Leben
überhaupt freier, selbstständiger ist, als
die an die Scholle gebundene Pflanze,
so behauptet es auch gegenüber dem
Einflüsse der Sonne eine größere Un-
abhängigkeit. Dennoch ist auch es den
Gesetzen der Natur unterworfen. Ein
solches zwingendes Gesetz ist das des
Schlafes, und zwar ist die allgemeine
Regel, daß, wie die Zeit des Wachens
dem Tage, so die Zeit des Schlafes der
Nacht zufällt. Aber gleichwie wir bei
den Pflanzen Nachtblüthen gesunden ha-
den, so begegnen wir in der Thierwelt
einer ansehnlichen Gruppe, die der Ruhe
und dem Schlafe entweichen, welche die
Nacht über das laute Leben und Trei-
den des Tages hingebettet. Zum Theile
sind es Diebs- und Raubgelüste, welche
diese Nachtwandler ihren einsamen dunk-
len Weg schleichen lassen nach dem frem-
den Neste, wo ihr Opfer arglos dem
allgemeinen Frieden vertraut. Bei an-
deren ist es Furchtsamkeit vor mächti-
geren Verfolgern, die sie am Tage in
sicherem Verstecke fest hält und erst
Nachts, geschützt vom Schleier der Dun-
kelheit, in's Freie wandeln läßt. Wäh-
rend der Umwandlung des Tages in
die Nacht sind die heitern Sänger nach
und nach verstummt, und selbst die
muntersten der Vögel bergen sich in
ihren Nestern. Die Heerden sind heim-
gekehrt in die sichern Ställe oder gela-
gert in schützenden Hürden. Die mei-
sten Thiere haben ihr Lager ausgesucht.
Dagegen beginnt sich's zu regen und zu
bewegen im heimlichen Gebüsch, im Röh-
richt, auf dem Saatfeld und zwischen
den Schollen, über die unser Fuß wan-
delt. Da, dort kriecht's ans der Ver-
borgenheit der Erde hervor, huscht's
vorüber, fliegt's durch die Nachtlust
stumm, oder mit einem kurzen Schrei,
mit einem eintönigen Rufe. Es ist das
Gethier der Nacht, dessen Stunde nun
gekommen und das sich aufmacht, sich
seines Daseins zu freuen. Eine Anzahl
von Thieren schwärmt nur in der Däm-
merung umher, als Vorläufer der eigent-
lichen Nachtthiere. Am bekanntesten ist
von diesen Thieren die Fledermaus, die,
wie sie weder dem Tage, noch der Nacht
angehört, so auch zwitterhaft zwischen
den Vierfüßlern und Vögeln, zwischen
Himmel und Erde steht. Gespenstigen
Fluges flattert dieses merkwürdige Thier
im Zwielichte seiner Beute nach, den
Mücken und Schmetterlingen und Kä-
fern, die gleich ihm, auf die Dämmerung
angewiesen sind. Ohne sich bei der
kurzen Dauer ihrer Regsamkeit immer
die Zeit zum Verzehren der Beute zu
gönnen, sammelt die Fledermaus diese
oft nur ein und hält ihre Mahl-
zeit erst in ihrem sichern Schlupfwinkel,
340
Iv. Naturbilder.
Hindernisse entgegen stellen. Zur Laich-
zeit gehen ungemessene Schaaren von
Meerbewohnern an bestimmte Küsten oder
in die Flüsse, um da ihre Eier abzusetzen.
Der Fischer kennt diese Wanderzeiten gar
wohl und weiß sie zu seinem Vortheile
zu benützen. Dreimal im Jahre steigen
ungeheure Schwärme von Häringen
aus der Meerestiefe auf und füllen fast
plötzlich die Busen und Fjorde des nörd-
lichen Europa. Der Hauptandrang findet
im Februar statt. An der Westküste Skan-
dinaviens warten um diese Zeit wenigstens
2000 Boote mit 12,000 Fischern auf die
Ankunft der Häringe. Ende Januar
schon begiebt man sich auf die Inseln
hinaus, bereitet Alles zum Empfange
und harret mit Ungeduld der Härings-
schwärme, denen man täglich in's Meer
hinaus entgegen fährt, um den silber-
blauen Schein zu entdecken, welcher das
Nahen der Beute anzeigt. — Anfangs
März senken sich die Schaaren mehr
und mehr in die Tiefen und gegen
Ende des Monats verschwinden sie ge-
wöhnlich ganz, um zu bestimmten Zeiten
wieder zu erscheinen. In ähnlicher Weise
kommen auch die Sardellen im mittel-
ländischen Meere und an den nördlichen
Küsten Spaniens, Frankreichs und Hol-
lands in unsäglicher Menge aus der
Tiefe an das Gestade, um dort zu
laichen. Ebenso macht es der in der
Nordsee und rings um England wohnende
Schellfisch. Im Februar, zur Laich-
zeit, kommt er an's Ufer und wird
dann mit der Grundschnur und Angel
gefangen.
Viel ausgedehntere Wanderungen
stellt der Lachs (Salm) an. Wie die
vorigen Bewohner der nördlichen Meere,
geht er mit beginnendem Frühlinge in
die Flüsse, aus diesen wieder in die
Nebenflüsse und selbst in die Bäche,
dort seine Eier abzusetzen. So streicht
er rheinanfwärts bis in die Schweiz
und elbaufwärts bis Böhmen. Beson-
ders häufig besucht er die Gewässer
Britanniens und Norwegens. Im Tweed
werden jährlich an 200,000 Stück ge-
fangen. Noch häufiger findet man ihn
in Nordamerikas westlichen Flüssen, be-
sonders im Columbia mit seinen Neben-
flüssen, deren einer von ihnen seinen
Namen, Lachsfluß, erhalten hat.
Am besten kann man die Wanderun-
gen der Fische in den russischen Strömen
beobachten. Versetzen wir uns einmal
an die Ufer des Ural. Im Februar,
sobald das Eis aufgeht, zieht aus dem
kaspischen Meere zuerst 14 Tage lang
der Hausen aufwärts, dem später einen
Monat lang die Schaar der Sewrugen
folgt. Mitte April stellt sich dann der
Stör mit dem Sterlet und Wels
ein, welche Fische den größten Theil
des Jahres hier verweilen und erst mit
dem September wieder verschwinden, um
dem auf's Neue kommenden Hausen Platz
zu machen. Die Fische folgen sich nun
in ähnlicher Ordnung und der Fischer
hat das ganze Jahr reiche Ausbeute.
Der Stör zeigt sich auch in den Flüssen
Englands, Skandinaviens und Deutsch-
lands. In der Donau steigt er bis
Ulm, im Rhein bis Basel.
Iii.
Die Klasse der Insekten hat gleich-
falls merkwürdige Wanderthiere. Der
kürzern Züge der Libellen, Blatt-
läuse u. A. nicht zu gedenken, sind es
besonders Ameisen, Raupen und
Heuschrecken, denen die Reiselust inne
wohnt. Unsere einheimische Ameise ist
eben gerade keine Freundin vom Wan-
dern, denn daß hie und da eine Colonie
ihren Wohnplatz verläßt und sich einen
andern aufsucht, will nicht viel heißen.
Aber mit der amerikanischen Zug-
ameise ist's schon etwas anderes. Diese
erscheint zu gewissen Zeiten in großen
Schaaren, dringt in die Häuser, durch-
stöbert alle Winkel und Ritzen und ver-
treibt selbst die Bewohner. Man wird
ihr aber trotz dieses frechen Benehmens
nicht böse, da sie auf Mosquitos, Wanzen
und andere Quälgeister Jagd macht und
das Haus, wenigstens auf eine Zeit,
gänzlich von ihnen befreit.
Von den Zügen der Prozessions-
raupen wissen die Forstleute zu er-
zählen, da dieselben in den Wäldern oft
große Verwüstungen anrichten. Ja, sie
sind selbst dem Menschen gefährlich.
Kommt man ihnen mit einem entblöß-
TM Hauptwörter (50): [T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T48: [Fluß Meer See Strom Land Wasser Mündung Kanal Lauf Ostsee], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T32: [Tag Jahr Monat Mai Juli März Juni April Ende Oktober]]
TM Hauptwörter (200): [T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni], T101: [Baumwolle Kaffee Tabak Getreide Reis Zucker Holz Ausfuhr Wein Zuckerrohr], T193: [Meer Halbinsel Gebirge Norden Süden Osten Westen Küste Insel Europa]]
Extrahierte Personennamen: Fischer
Extrahierte Ortsnamen: Europa Spaniens Frankreichs Nordsee England Britanniens Norwegens Nordamerikas Columbia Englands Skandinaviens Donau Ulm Rhein Basel
142
Ii. Bilder aus der Länder-- und Völkerkunde.
Wandern wir nun, nachdem wir uns
auch in Marseille selbst, sowohl in der
Alt- als in der Neustadt umgesehen
haben, hinauf zu jenen herrlichen Villen
oder Landhäusern, Bastiden genannt,
welche die Gegend umher beleben und
ihr einen ganz eigenthümlichen Reiz ge-
währen. Hier bringen alle Einwohner
von Marseille, reiche und minder wohl-
habende, den Sommer auf dem Lande
zu. Die Menge dieser Villen ist außer-
ordentlich groß. Ihre Zahl wird auf
10,000 angegeben. Es sind große und
kleine, blendend weiße Häuser, die von
allen Höhen, in allen Thälern, zwischen
Felsen und Klüften, von der höchsten
Spitze bis hinab an das Gestade des
Meeres hervorschimmern. Doch darf man
auch bei den bedeutendsten derselben nicht
an die schönen Landhäuser bei Ham-
burg, Amsterdam und andern großen
deutschen und holländischen Städten den-
ken, noch weniger an England, wo die
Neichen nur auf dem Lande in ihren
stolzen Villen Raum finden, ihre Pracht
zu zeigen. Im Süden ist das ganz an-
ders; da braucht man im Sommer nur
frische Seeluft, kühlen Schatten und
höchstens eine Quelle; die Wohnung ist
das Letzte, woran man denkt, denn man
bedarf ihrer nur zum Schlafen und zum
Schutz gegen den sengenden Mittags-
strahl, nicht gegen Nässe und Kälte, die
im Norden auch mitten im Sommer ein
bequemes schönes Haus unentbehrlich
machen. Der größte Theil der Bastiden
ist daher sehr klein und enthält höchstens
eine Küche und ein paar Wohnzimmer.
Doch hat jede Bastide einen eigenen
Garten, der aber nie von bedeutendem
Umfange ist. Einige auf Anhöhen er-
baute Bastiden gewähren eine ausge-
breitete herrliche Aussicht auf Land und
Meer, bei vielen scheint man einzig auf
diesen Genuß bedacht gewesen zu sein,
da man sie auf steilen, unwirthbaren
Felsen errichtete. Andere in Thälern
erbaute erfreuen sich des Schattens der
Felsen in dieser von schattigen Bäumen
entblößten Gegend, wo nur Oelbäume,
Reben, Maulbeerbäume gedeihen, die
wenig Schatten geben; denn die Buchen,
die Eichen, die weithin schattenden Lin-
den unseres Vaterlandes kommen hier
nicht fort, weil der sengende Mittags-
strahl sie schon im Keime zu Staub
brennen würde; denn hier ist die Sonne
ganz anders als bei uns. Hoch steht
sie am dunkelblauen Himmel, und kein
Nebel, kein Wölkchen hält ihren fast
senkrecht herabblitzenden Strahl zurück.
Im Sommer regnet es fast nie, und
alle Vegetation erliegt der glühenden
Hitze, bis der Abendthau sie wieder
einigermaßen erfrischt. In der Mitte
des Sommers ist kein grüner Grashalm
mehr zu erblicken und das Laub an den
Bäumen verdorrt. Schon am Ende
des Monats April ist es in Marseille
fast so heiß, als bei uns in den wärmsten
Sommertagen, aber die Hitze ist weniger
drückend, weil die Luft ganz frei von
Dünsten bleibt. Zwar erhebt sich alle
Tage ein sanfter Seewind, der regel-
mäßig von zehn Uhr Morgens bis gegen
Abend anhält, aber in der Stadt wird
man seinen erfrischenden Hauch kaum
gewahr; darum flüchten die Marseiller
zu ihren Bastiden, wo die Luft sie freier
umweht, wenn gleich sie auch dort wenig
erquickenden Schatten finden. Die Herr-
lichkeit der Sommernächte ist dagegen
unbeschreiblich, besonders wenn der Voll-
mond vom reinen, beinahe schwarzblauen
Himmel herniederstrahlt, mit einer Pracht,
von der uns etwa unsere kältesten Win-
ternächte eine Vorstellung geben können.
Auch eilt dann Alles hinaus, und selbst
angesehene Familien sieht man in den
Straßen vor den Hausthüren sitzen, um
der erquickenden Kühlung der wunder-
schönen Nacht zu genießen. Sowie der
Abend des Tages, so ist auch der Abend
des Jahres, der Herbst, die schönste
Zeit. Mild und segensreich herrscht
er vom Oktober an bis spät in den
Dezember; oft braucht man erst im
Februar Kaminfeuer anzuzünden. Die
kalte Regenzeit, die da Winter heißt,
dauert etwa drei Wochen. Auch während
derselben bleibt die Luft mild, und selten
merkt man Morgens früh ein wenig
Reif oder dünnes Eis; ein paar Stunden
Schnee sind die größte Seltenheit. Der
wunderschöne Frühling schließt sich so
eng an den Winter, daß man kaum
seinen Anfang, wohl aber sein Fort-
schreiten bemerkt; er wäre der herrlichste
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Extrahierte Ortsnamen: Marseille Marseille Amsterdam England Marseille
238
Iii. Geschichtsbilder.
Aergerniß erregte, steigerte sich die Er-
bitterung der Gläubigen auss höchste.
Wohl einsehend, daß er sich nicht länger
mehr halten könne, verzichtete er auf
seine Würde, da der Erzpriester Jo-
hannes, der als der frömmste und
tugendhafteste Priester Roms gepriesen
wird, eine große Summe Geldes bot,
um fernere Schmach von der Kirche ab-
zuwenden. So bestieg Johannes als
Gregor Vi. den päpstlichen Stuhl.
Bald aber bereute Benedikt seinen Ver-
zicht und trat wiederholt als Papst auf,
so daß nun drei Päpste zu gleicher
Zeit die Leitung der Kirche beanspruch-
ten. Heinrich Iii. veranlaßte die Synode
zu Pavia, welche zu Sutri fortgesetzt
wurde. Der milde Gregor dankte frei-
willig ab, über die beiden andern aber
wurde die Absetzung ausgesprochen. Rom
ernannte Heinrich zum Patricius der
Stadt und legte die Wahl eines neuen
Papstes in seine Hand. Diese Wahl
siel auf den frommen, ernsten Bischof
Suitger von Bamberg, der als Papst
den Namen Clemens Ii. führt. Dieser
krönte am Weihnachtstage 1046 Hein-
rich und dessen Gemahlin mit der Kai-
serkrone und begann vom Kaiser unter-
stützt, die Wiederherstellung der zerrüt-
teten Kirchenzucht; er verbot den Verkauf
geistlicher Güter, hielt auf Gehorsam
und Unterordnung und wirkte überhaupt
segensreich in seinem so schwierigen Amte;
Heinrich aber kehrte nach Deutschland
zurück, um auch dort für Wiederher-
stellung der Kirchenzucht ebenso thätig
zu sein, als für Aufrechthaltung der
staatlichen und bürgerlichen Ordnung.
Er verordnete, daß vom Mittwoch nach
Sonnenuntergang bis zum Montag nach
Sonnenaufgang, sodann vom Advent
bis 8 Tage nach dem Feste der Er-
scheinung und ebenso vom Sonntage
Septuagesima bis 8 Tage nach Ostern
jede Fehde ruhen müsse. Diese Verord-
nung, erlassen 1043, nannte man den
„Gottesfrieden". Der Kaiser hielt zu
Constanz eine so eindringliche Rede, daß
alle Anwesenden tief ergriffen waren, zu-
mal Heinrich, um ein Beispiel zu eben,
allen seinen Feinden Verzeihung gelobte.
Große Unglücksfälle hatten aber auch
damals die Gemüther der Menschen er-
schüttert. Hunger und Seuchen wüthe-
ten im Reiche furchtbar, daß an man-
chen Gegenden ein Dritttheil der Be-
völkerung hinweg gerafft wurde.
Wie mächtig aber auch Heinrich da-
stand : gegen das Ende seiner Regierung
mußte er doch erfahren, daß die Gunst
des Glückes selten einem Sterblichen
treu bleibt. Im Osten und Norden be-
drohten Ungarn und Slaven das Reich,
ini Westen beanspruchte Frankreich Loth-
ringen, ja im Innern selbst, in Kärn-
then und im Bisthume Regensburg,
hatte die Empörung gewagt, das Haupt
zu erheben und nichts Geringeres führte
man irn Schilde, als einem Anderen
die deutsche Krone zu verschaffen. Sei-
nen vierjährigen Sohn Konrad entriß
ihm der Tod. Ernste Gedanken durch-
zogen seine starke Seele. Er konnte es
sich nicht verhehlen, daß seine Stellung
eine andere geworden, als zum Anfang
seiner Regierung, und daß er nach so
vielen Kraftanstrengungen neue und noch
bedeutendere aufwenden müsse, nicht
nur, um die äußeren Feinde im Zaume
zu halten, sondern noch mehr, um den
verräterischen Widerstand der Großen
gegen die einheitliche Reichsgewalt zu
brechen. Im Verein mit dem Papste
Victor Ii., seinem treuen Freunde, wollte
er in einer Versammlung der weltlichen
und geistlichen Großen des Reiches zu
Goslar, wozu auch des Kaisers Feinde
geladen waren, die Schlichtung und
Ordnung der Reichsangelegenheiten be-
rathen. Da überraschte ihn der Tod.
Er war mit seinen Gästen zur Jagd
geritten. Die Nachricht vom Einfalle sla-
vischer Völkerschaften in Sachsen und von
der Niederlage eines sächsischen Heeres
steigerte ein Unwohlsein zur tödtlichen
Krankheit. Das Nahen des Todes fühlend,
vergab er allen seinen Feinden und bat
die um Verzeihung, denen er etwa Un-
recht zugefügt, empfahl seinen sechsjäh-
rigen, schon zu seinem Nachfolger erwähl-
ten Sohn Heinrich dem Papste und den
Fürsten und starb gottergeben am 5. Ok-
tober 1056 im 39. Jahre seines Lebens.
Der Dom zu Speier nahm seine irdische
Hülle auf. Der Papst führte den jungen
Heinrich Iv. von Speier nach Aachen und
erhob ihn dort auf den Thron.
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Extrahierte Personennamen: Johannes Gregor_Vi Gregor Heinrich_Iii Heinrich Gregor Gregor Heinrich Heinrich Suitger_von_Bamberg Clemens_Ii Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Konrad Konrad Victor_Ii Heinrich Heinrich Heinrich_Iv Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Roms Pavia Deutschland Frankreich Kärn- Bisthume_Regensburg Goslar Sachsen Aachen
— 31
einem schrecklichen Saufteufel, zu mir flüchtete und ich sie wie
eine Schwester aufnahm und erquickte, mußte ich unwillkürlich
noch an jene Vesperstunde denken. Ach, es kommt alles wie-
der herum! Wir sollten daran denken in der Jugend, und wir
sollten daran denken, wenn’s uns gut geht. Es kommt alles
wieder herum.
Dankbare Erinnerungen bewahre ich aus jener schlimmen Zeit
noch an drei alte Frauen, und immer sind es die Oktoberstürme,
welche diese Erinnerungen, wenn sie einmal längere Zeit erloschen
schienen, wieder rütteln, wecken und anfachen.
4. Es war schon über die Mitte des Oktobers hinaus, als
ich noch mit einem großen Tagelöhnertrupp auf der großen Kar-
toffelbreite vor dem kleinen Hagen hockte. Rodemaschinen gab’s
damals noch nicht; die jüngeren Frauen, sowie die Burschen
und Männer rodeten mit der dreizackigen Grepe, und die alten
Frauen mit den Kindern lasen die Kartoffeln auf, indem sie auf
den Knien hinter den Rodern herrutschten, mochte der Boden
trocken oder naß sein. Wenn dann die Stürme, die sich vor
dem Hagenwalde stießen und gleichsam stauten, den Regen und
Reif zwischen uns peitschten und ich in meinem dürftigen Leinen-
rocke schwarz und blau fror und keinen Finger mehr krumm
machen konnte, dann haben mich die drei Alten allemal eng
zwischen sich genommen, mich rechts und links gedrückt und
gewärmt und mir alles vor der Hand weggelesen.
„Deine Mutter hat uns auch oft was Gutes getan,“ sagten
sie und erzählten so viel und mit so viel Liebe und Anhäng-
lichkeit von der Teuern, daß auch der schlimmste Tag, daß selbst
Eis und Schnee das Glücksgefühl in meinem Herzen nicht auszu-
löschen vermochten.
So war es eigentlich die Mutter, die mich wärmte, mich
tröstete; sie hatte sich in den Herzen der Frauen ein Kapital ge-
sammelt, von dem ich nun die Zinsen zog. Ach, welch ein Segen
ist doch eine gute Mutter! Wie nach Sonnenuntergang der Abend-
himmel noch lange in milder, schöner Glut steht, so steht das
Andenken einer edlen Mutter noch lange vor den Augen der
Lebenden, und der Segen ihres Lebens strahlt nach ihrem Tode
noch viel länger fort in dem Leben ihrer Kinder.
Heinrich Sohnrey (Friedesinchens Lebenslauf).
TM Hauptwörter (50): [T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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TM Hauptwörter (200): [T111: [Kind Mutter Vater Eltern Frau Jahr Knabe Schule Haus Mann], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T124: [Wasser Luft Sauerstoff Körper Stoff Kohlensäure Teil Feuer Pflanze Kalk], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni]]
Extrahierte Personennamen: Hagen Heinrich_Sohnrey Heinrich
81
Nachmittags drehte das Schiff bei, um zu loten. „Fünfzehn Faden;
Sand mit roten Steinchen!" lautete der Bericht des Steuermannes.
„Hurra!" jubelt die Mannschaft, „Borkum-Riff! Morgen sind wir
da und feiern Neujahr daheim."
Ja, es war deutscher Boden, den der mit Talg gefüllte, ausgehöhlte
Fuß des Lotes heraufgebracht hatte.
Von der Insel Borkum streckt sich ein schmaler Streifen nordwärts
fünf bis sechs Meilen weit. Er ist mit diesem rötlichen Sande bedeckt,
der sich sonst nirgends in der Nordsee findet. Dieser Streifen heißt
Borkum-Riff, und wenn die Schiffe ihn anloten, dann gibt er ihnen
genau ihre Lage an.
Deutscher Boden, Heimat — endlich, nach so langer, langer Zeit!
Wie freudig klopfen die Herzen!
Der Kapitän hat, auf dem Halbdeck stehend, die Meldung des
Steuermannes empfangen. O, auch er sehnt sich von Herzen nach der
Heimat, nach Weib und Kind, von denen er so lange getrennt gewesen.
Auch er hofft, das neue Jahr mit ihnen zu feiern, die in banger Sorge
seiner Rückkunft geharrt. Aber noch spiegelt sich auf seinem Antlitz keine
Freude; denn bange Zweifel verscheuchen sie.
Dort am Horizonte tauchen viele Segler auf. Er mustert jeden scharf
mit seinem Fernrohre, doch nirgends zeigt sich, was er so eifrig sucht.
Der Lotsenkutter mit der Flagge an der langen Stange, die ihn auf Meilen
kenntlich macht, befindet sich nicht unter ihnen.
Im Westen steigt langsam eine dunkle Bank drohend am Horizont
empor, und das Barometer fällt. Wie lange wird das gute Wetter noch
anhalten? Vielleicht bis zum nächsten Tage, vielleicht aber bricht auch
schon in der Nacht der Sturm wieder los, und wer sagt, mit welcher
Gewalt und Dauer in dieser Jahreszeit?
Für den Kapitän hat ja der Sturm sonst nichts Furchtbares. Wie
viele hat er in seinem Leben überstanden, wie viele selbst auf der letzten
Reise! Wie sie auch tobten — mit einem guten Schiffe unter den Füßen
nimmt der Seemann getrost den Kampf mit ihnen auf. Doch in engem
Fahrwasser, ohne Sonne und Mond, mit unbekannten Strömungen und
Untiefen, wie sie das Einlaufen in unsere nordischen Ströme so gefahr-
voll machen, und durch die nur ein erfahrener Lotse den Weg führen
kann — da hat eine dunkle, stürmische Winternacht ihre Schrecken.
Die Brise frischt auf. Unter ihrem Drucke jagt das Schiff schneller
und schneller durch die Fluten; aber auch jene finstere Bank steigt höher.
Einzelne Flecken reißen sich von ihr los und jagen wild über die graue,
bleierne Wolkendecke. Das Barometer bleibt im Fallen, und die Nacht
bricht herein.
Dietleins Deutsches Lesebuch Ausg. D Teil Iii. 8. Aust.
st
TM Hauptwörter (50): [T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T81: [Sonne Erde Tag Mond Himmel Nacht Stern Zeit Licht Stunde], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T129: [Schiff Hafen Flotte Meer Küste Fahrzeug See Kriegsschiff Land Dampfer], T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch]]