Erzählungen und Gedichte.
23
6. Einst hatt’ ein Schneider grosse Pein:
der Staatsrock sollte fertig sein;
warf hin das Zeug und legte sich
hin auf das Ohr und pflegte sich.
Da schlüpften sie frisch
in den Schneidertisch
und schnitten und rückten
und nähten und stickten
und fassten und passten
und strichen und guckten
und zupften und ruckten.
Und eh’ mein Schneiderlein erwacht,
war Bürgermeisters Rock bereits gemacht.
7. Neugierig war des Schneiders Weib
und macht sich diesen Zeitvertreib:
streut Erbsen hin die andre Nacht.
Die Heinzelmännchen kommen sacht.
Eins fähret nun aus,
schlägt hin im Haus;
die gleiten von Stufen
und plumpen in Kufen,
die fallen mit Schallen,
die lärmen und schreien
und vermaledeien.
Sie springt hinunter auf den Schall
mit Licht: — husch, husch, husch, husch! verschwinden all’.
8. 0 weh! nun sind sie alle fort,
und keines ist mehr hier am Ort.
Man kann nicht mehr wie sonsten ruhn,
man muss nun alles selber thun.
Ein jeder muss fein
selbst fleifsig sein
und kratzen und schaben
und rennen und traben
und schniegeln und bügeln
und klopfen und hacken
und kochen und backen.
Ach, dass es noch wie damals wär’!
doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her.
Kopisch.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden]]
TM Hauptwörter (200): [T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T125: [Haus Stein Fenster Dach Holz Stroh Winter Erde Wand Wohnung], T124: [Wasser Luft Sauerstoff Körper Stoff Kohlensäure Teil Feuer Pflanze Kalk], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
Erzählungen und Gedichte.
33
und hat's Büblein mitgenommen.
Er hat's gehängt an einen Ast gar hoch;
dort hängt das Büblein und zappelt noch.
Ist denn das Büblein gestorben?
Nein, es zappelt ja noch!
Morgen gehn wir 'naus und thun's 'runter.
Riickert.
35. (113.) Die drei Blicke.
Ein frommer Mann wurde einst gefragt, woher es komme, daß er trotz
aller Not des Lebens doch so zufrieden und gleichmütig sei. Er antwortete:
„Jeden Morgen, ehe ich an die Geschäfte gehe, richte ich meine Augen be-
dachtsam auf drei Dinge: Erstens heb' ich sie gen Himmel und erinnere
mich, daß mein Hauptgeschäft und das Ziel meines Lebens und Strebens
dort oben ist; zweitens senk' ich sie zur Erde und bedenke, wie wenig Raum
ich bedarf, um einst in ihr mein Grab zu finden; drittens endlich schaue ich
um mich und betrachte die Menge derer, denen es noch schlimmer ergeht als mir."
Aurbacher.
36. (42.) Mahnung.
1. Hütet eure Zungen!
das1 geziemt den Jungen.
Stosst den Riegel vor die Thür;
lasst kein böses Wort herfür!
2. Hütet eure Augen,
sollen sie was taugen!
Lasst sie gute Sitt' erspähn,
sie hinweg von böser sehn!
Walther v.
3. Hütet wohl der Ohren!
oder ihr seid Thoren.
Lasst ihr böse Wort' herein,
nur zum Schaden wird’s euch sein.
4. Wehrt darum den dreien,
den ja allzu freien!
Zungen, Ohren, Augen sind
voller Schalkheit, taub und blind.
L. Vogelweide, übers, v. Schneider (gekürzt).
37. (115.) Fritz Oberlin.
Fritz Oberlin, später Pfarrer im Steinthale, ging als zwölfjähriger
Knabe eines Tages über den Straßburger Markt; da sah er, wie einige un-
gezogene Knaben einem Bauernweibe ihren Korb mit Eiern vom Kopfe stießen.
Das Weib war trostlos. Fritz sieht die Buben mit einem durchbohrenden
Blicke an, schilt ihre Unart tüchtig aus und tröstet das weinende Weib. Dann
bittet er sie, etwas zu warten, und läuft spornstreichs nach Hause zu seiner
Sparbüchse. Im Fluge kommt er zurück, schüttet den ganzen Inhalt der
Büchse in die Schürze der überraschten Bäuerin aus und ist auch sogleich
wieder fort, ohne ihren Dank abzuwarten.
Schleswig-holst. Kinderfreund.
3
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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Extrahierte Personennamen: Walther L. Schneider Fritz_Oberlin Fritz_Oberlin
44
I. Fabeln, Märchen und belehrende
5. Eines Tages begegnete ihm ein Fuhrmann, der auf einer steinigen,
Straße seine Pferde über die Gebühr antrieb. „Kann ich," fragte er im
Vorbeifahren, „wohl noch vor Abend zur Stadt kommen?" — „Wenn Ihr
langsam fahrt," antwortete Eulenspiegel. Der Kerl ist wohl nicht klug,
dachte der Fuhrmann und trieb die Pferde nur noch mehr an. Gegen Abend
kam Eulenspiegel auf demselben Wege zurück und traf den Fuhrmann wieder
auf der Straße an, und zwar in großer Verlegenheit. Durch das Jagen
auf steinigem Boden war ihm nämlich ein Rad am Wagen gebrochen, und
er mußte sich nun bequemen, die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen.
Sagte ich's Euch nicht," sprach Eulenspiegel, „daß Ihr langsam fahren
müßtet, wenn Ihr noch zur Stadt wolltet?"
Till Eulenspiegel war zu Kneitlingen unweit Schöppenstedt im Herzog-
tum Braunschweig geboren; er starb im Jahre 1350 zu Mölln im Kreise
Herzogtum Lauenburg, wo man heute noch seinen Grabstein zeigt. S-huiz.
55. (165.) Wächterruf.
1. Hüret, was ich euch will sagen!
die Glocke Hat zehn geschlagen.
Jetzt bet' und such' die Lagerstatt!
und wer ein gut Gewissen Hat,
schlaf' sanft und wohl! Jm Himmel
wacht
ein heiter Aug' die ganze Nacht.
2. Hüret, mas ich euch will sagen!
die Glocke Hat elf geschlagen.
Und wer noch an der Arbeit schwitzt,
und wer noch bet den Karten sitzt,
zum letzten Mal rus' ich thm zu:
's ist hohezett, — und geh zurruh'!
3. Hüret, was ich euch will sagen!
die Glocke Hat zwolf geschlagen.
Und wo noch in der Mitternacht
ein Herz in Leid und Kummer wacht:
Gott geb' dir eine sanfte Stund'
und mach' dich wiederum gesund!
4. Hüret, was ich euch will sagen!
die Glocke Hat eins geschlagen.
Und wo nach Satans Rat und List
ein Dieb auf dunkeln Pfaden ist,
— ich will's nicht hoffen, doch
geschieht's — :
geh heim! der Richter droben sieht's.
5. Höret, was ich euch will sagen!
die Glocke hat zwei geschlagen.
Und wem schon wieder, eh's noch tagt,
die schwere Sorg' am Herzen nagt:
du armer Tropf, dein Schlaf ist hin.
Gott sorgt; schlag dir sie aus dem
Sinn!
6. Höret, was ich euch will sagen!
die Glocke hat drei geschlagen.
Die Morgenstund' am Himmel
schwebt;
und wer den neuen Tag erlebt,
dank' Gott und fasse frohen Mut
und geh' ans Werk und — halt
dich gut!
Hebel, übers, v. Schneider.
56. (141.) Das Hirtenbüblein.
Es war einmal ein Hirtenbübchen, das war wegen seiner weisen
Antworten, die es auf alle Fragen gab, weit und breit berühmt. Der
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TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
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50
I Fabeln, Märchen und belehrende
wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese
Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein
grosses Schiff seine Aufmerksamkeit auf sich zog, das vor kurzem aus
Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon stan-
den ganze Reihen von Kisten und Ballen auf und neben einander am
Lande. Noch immer wurden mehr herausgewälzt und Fässer voll Zucker
und Kaffee, voll Reis und Pfeffer. Als er aber lange zugesehen hatte,
fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug,
wie der glückliche Mann heisse, dem das Meer alle diese Waren an das
Land bringe. „Kannitverstan!u war die Antwort. Da dachte er: Haha!
schaut’s da heraus? Kein Wunder! wem das Meer solche Reichtümer
an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen
und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben. Jetzt
ging er wieder zurück und stellte eine recht traurige Betrachtung bei
sich selbst an, was er für ein armer Teufel sei unter so vielen reichen
Leuten in der Welt.
Aber als er eben dachte: Wenn ich’s doch nur auch einmal so
gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat! kam er um eine
Ecke und erblickte einen grossen Leichenzug. Vier schwarz vermummte
Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen lang-
sam und traurig, als ob sie wüssten, dass sie einen Toten in seine Ruhe
führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen
folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In
der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling
ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn
er einen Leichenzug sieht; und er blieb mit dem Hute in den Händen an-
dächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den
letzten vom Zuge, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner
Baumwolle gewinnen könne, wenn der Centner um zehn Gulden auf-
schlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Ent-
schuldigung. „Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen
sein,“ sagte er, „dem das Glöcklein läutet, dass Ihr so betrübt und
nachdenklich mitgeht?“ — „Kannitverstan!“ war die Antwort.
Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar grosse Thränen aus den
Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz.
„Armer Kannitverstan!“ rief er aus, „was hast du nun von allem deinem
Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Toten-
kleid und ein Leintuch und von all deinen schönen Blumen vielleicht
einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute.“ Mit diesen Ge-
danken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans
Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine
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Erzählungen und Gedichte.
55
An dem See stand vor vielen, vielen Jahren eine Fischerhütte aus
Holz und Stroh und einen Steinwurf davon auf dem Hügel ein Schloss
aus Granitquadern und mit einem kupfernen Dache, das Weidhaus ge-
nannt. In der Hütte wohnte ein Fischer mit seinem Knaben; und in
das Schloss kam alle Jahre im Herbst oder Winter, je nachdem es den
Hirschen galt oder den Säuen, der Herr von Haldenstein auf die Jagd,
nicht allein sondern immer mit einem wilden Haufen von Jägern und
Hunden, Junkern und Edelfrauen, die den Jagdspiefs geschickter führten
als die Nadel und die Reitpeitsche lieber als die Spindel.
Dann war Belial Hauspatron in dem Schlosse. Der Kellermeister
fluchte zwischen den Fässern, der Koch in der Küche, der Wildmeister
unter den Rüden, der Freiherr am Spieltische, wenn kein Jagdwetter
war, und seine Frau unter den Kammermägden. Auf dem Dache knarr-
ten die Windfahnen, auf den Stiegen sangen die Katzen, in den Gängen
dröhnte der Zugwind; die Hunde heulten im Hofe, und die Thüren wur-
den fort und fort zugeschlagen, dass es lautete wie ein Heckenfeuer vor
der Schlacht. Auf der hohen Rüster neben dem Schlosse hatten zwei
Elstern ihr Haushalten. Der Freiherr und seine Kumpane zechten bis
Mitternacht; die Leibjäger, wenn sie ihre Herren zu Bette geführt hatten,
noch ein paar Stunden länger. Wenn der Tag graute, kam die alte
Schaffnerin, die Zecher auszutreiben; und war dieses vermittels des
Besens geschehen, dann rauschten die Borwische über die Tapeten,
dann fegten die Bürsten und klirrten die Gläser und schnatterten die
Mägde, bis das Waldhorn wieder die Schlafenden in dem untersten und
obersten Stockwerk weckte. Ein Sonntag aber stand in dem Kalender
des Freiherrn nicht. Das Weidhaus hatte auch keine Kapelle wie andere
christliche Schlösser, keinen Altar und kein Messbuch, und der Kaplan,
den der Herr von Haldenstein jedesmal in seinem grossen Gefolge hatte,
hielt seine Ferien und erforschte die Tiefe der Becher.
In der Hütte am See war es anders. Wenn im Winter das Feuer
auf dem Herde und im Sommer das Feuer am Abendhimmel erloschen
war, hörte man unter dem Strohdache nichts mehr als ein Abendlied,
ein Gebet und dann das leichte, ruhige Atmen des Fischers und seines
Sohnes im Schlafe. Zum Morgenlied meckerten die Geissen hinten im
Stalle um ihr Futter, und den ganzen Tag über wurden der Alte und
sein Knabe nicht lauter als die Wellen im See, die an die Seiten des
Nachens schlugen, weil sie nichts Besseres zu thun hatten.
2. Auf das Schloss ging der Fischer nicht gern. Denn er war einer
von den Böhmischen Brüdern, die damals wegen ihrer Verborgenheit
und Zurückgezogenheit auch Grubenheimer genannt wurden; und die
Flüche und Narrenteidinge, die er im Weidhause hören musste, waren
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56
I. Fabeln, Märchen und belehrende
ihm so zuwider wie dem Ackergaul die schwirrenden Bremsen. Es
dünkte ihn zuweilen, als höre er durch den abscheulichen Lärm noch
andere Töne, nämlich den Bass in der Höllenmusik, ohne dass man sagen
konnte, sie kämen daher oder dorther. Seinen Knaben, der ihm immer die
Fische im Lägel den Schlossberg hinauftragen half, nahm er nie in das Weid-
haus mit hinein sondern liess ihn draussen am Hofthor warten, bis er die
Karpfen und Forellen dem Koche vorgewogen und dafür das Seine empfangen
hatte. Mein Kopf und mein Herz, dachte der fromme Mann, tanzen nicht
mehr nach dieser Musik; aber der Fuss meines Toni steht noch nicht so fest.
Aber einmal — es war am heiligen Christabend — rief die gnädige
Frau den Jungen, der mit den Händen unter den Hosenträgern am
Hofthor lehnte und pfiff, zu sich in ihr Zimmer, legte ein schweres
böhmisches Goldstück in seine Hand und sprach zu ihm: „Toni, geh
eilends hinunter nach Zwiesel zum Italiener und kaufe sechs Pfund
Wachskerzen! denn es ist heute bei uns Festschmaus und Tanz; und
den Küchenjungen hat der Sultan gebissen.“
Und der Knabe beurlaubte sich bei seinem Vater und lief hinab
in den Flecken, vor dem der grosse und der kleine Hegen zusammen-
kommen, um mit einander den weiten Umweg in die Donau zu machen.
Es hatte in diesem Jahre noch nicht geschneit. Die Meisen trieben in
den Erlen- und Weidenbüschen ihre lustigen Gaukeleien, und die Felsen
sonnten sich an der Sommerseite des Thales. Auch bei dem Krämer
in Zwiesel war heiteres Wetter. Er gab mit grosser Freundlichkeit dem
Knaben zu den langen weissen Kerzen noch drei kleinere bunte darein
und sagte: „Toni, die zündest du heute Abend dem Christkindlein an;
und diesen Pfefferkuchen im Fliesspapier teilst du mit deinem Vater.
Wenn die Herrschaft im Weidhause fort ist, soll er seine Fische wieder
mir bringen und dem geistlichen Herrn auf die Fasttage.“
Den Knaben freute die Weihnachtsgabe; und ob es gleich heim-
wärts bergan ging, so brauchte er doch zum Rückweg eine halbe Stunde
weniger als zum Hinweg. Auf Geheiss der Schlossfrau bekam er als
wohlverdienten Botenlohn einen Mariengroschen und ein Krüglein Met.
Dies brachte er seinem Vater.
Der hätte nun gern die Kerzen des Toni aufgehoben und nach und
nach angezündet; aber der Knabe meinte, man dürfe dem Jesuskinde
schon etwas zu Ehren thun, machte Gestelle aus weichem Thon, steckte
die bunten Kerzen hinein und zündete sie, als sich der Tag geneigt
hatte, alle drei mit einander an, dass die Fischerstube noch nie so er-
leuchtet gewesen war, solange sie stand. Mit seinen Fingern, die am
Ruder hart geworden waren, putzte er sie, und sein Vater las dabei die
zwei ersten Kapitel des Evangelisten Lukas. Darnach genossen sie mit
Danksagung den Met und den Pfefferkuchen.
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Erzählungen und Gedichte.
15
22. (133.) Die Bärenhaut.
Zwei Jägerburschen hörten von einem großen, starken Bären, der sich
im nahen Walde aufhalten sollte, und freuten sich schon im voraus auf
den schönen Pelz, den sie ihm abziehen wollten. „Wenn ich ihn schieße,"
sagte der eine, „so lasse ich mir aus dem Pelz einen Mantel machen; der
soll mich im Winter hübsch wärmen." — „Nein!" sagte der andere, „schieße
ich ihn, so verkaufe ich den Pelz. Der Kürschner bezahlt mir zehn Thaler
dafür; die sollen mir schön in dem Beutel klingen."
Unterdessen war es Zeit geworden, in den Wald zu gehen. Als sie
aber dort so allein waren und von ferne das Brummen des Bären hörten,
da wurde es ihnen doch ein wenig bange. Als der Bär nun gar näher
kam, da warf der, welcher den Pelz verkaufen wollte, seine Flinte weg und
kletterte so schnell als möglich auf einen Baum. Der andere aber, der sich
auch nicht zu bleiben getraute, konnte nicht mehr flüchten. Zum Glück fiel
ihm ein, daß Bären keinen toten Menschen anrühren. Er warf sich also
auf den Boden, hielt den Atem an und streckte sich hin, als wenn er tot
wäre. Der Bär kam grimmig auf ihn zu; als er aber sah, daß der Bursche
kein Glied rührte, beroch er ihn ein wenig und lief dann weiter, ohne ihm
ein Leid zu thun. Wie nun der Bär weit genug fort war, erholten sich
die beiden von ihrem Schrecken; der eine stieg von dem Baume herunter,
und der andere stand vom Boden auf.
Da fragte der, welcher von oben zugesehen hatte, den andern spöttisch:
„Hör' einmal, was hat dir denn der Bür ins Ohr gesagt?" — „Ja," er-
widerte der andere, „alles habe ich nicht genau verstanden; aber eins hat
er mir deutlich ins rechte Ohr gesagt, nämlich: Man soll die Haut des
Bären nicht verkaufen, bevor man den Bären hat. Und in das linke Ohr
hat er mir gesagt: Wer seinen Freund in der Not im Stiche läßt, ist ein
schlechter Kerl." Curtmann.
23. (32.) Blau Veilchen.
1. Ein kleines Blauveilchen
stand eben erst ein Weilchen
unten im Thal am Bach;
da dacht' es einmal nach
und sprach:
„Daß ich hier unten blüh',
lohnt sich kaum der Müh';
muß mich überall bücken
und drücken;
bin so ins^Niedre gestellt,
sehe gar nichts von der Welt.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser]]
Erzählungen und Gedichte.
61
Man darf nicht gegen den Tisch stoßen oder am Tischtuch ziehen, wenn
eine Lampe darauf steht.
Personen, welche eine brennende Lampe oder ein Licht tragen, darf man
nicht jagen, necken oder erschrecken.
Niemand soll mit offenem Lichte auf den Boden, in den Keller, in die
Scheune oder in die Ställe gehen.
Centralblatt für die gesamte preußische Unterrichtsverlvaltung.
68. Die Parabel vom Brunnen.
Es ging ein Mann im Syrerland,
führt’ ein Kamel am Halfterband.
Das Tier mit grimmigen Gebärden
urplötzlich anfing, scheu zu werden,
und that so gar entsetzlich schnaufen,
der Führer vor ihm musst’ ent-
laufen.
Er lief und einen Brunnen sah
von ungefähr am Wege da.
Das Tier hört er im Rücken
schnauben;
das musst’ ihm die Besinnung
rauben.
Er in den Schacht des Brunnens
kroch ;
er stürzte nicht, er schwebte noch.
Gewachsen war ein Brombeer-
strauch
aus des geborstnen Brunnens
Bauch;
daran der Mann sich fest that
klammern
und seinen Zustand drauf be-
jammern.
Er blickte in die Höh’ und sah
dort das Kamelhaupt furchtbar nah,
das ihn wollt’ oben fassen wieder.
Dann blickt’ er in den Brunnen
nieder;
da sah am Grund er einen Drachen
aufgähnen mit entsperrtem Rachen,
der drunten ihn verschlingen wollte,
wenn er hinunterfallen sollte.
So schwebend in der beiden Mitte,
da sah der Arme noch das dritte:
Wo in die Mauerspalte ging
des Sträuchleins Wurzel, dran er
hing,
da sah er still ein Mäusepaar;
schwarz eine, weiss die andre war.
Er sah die schwarze mit der
weissen
abwechselnd an der Wurzel heissen.
Sie nagten, zausten, gruben,
wühlten,
die Erd’ ab von der Wurzel
spülten,
und wie sie rieselnd niederrann,
der Drach’ im Grund aufblickte
dann,
zu sehn, wie bald mit seiner Bürde
der Strauch entwurzelt fallen
würde.
Der Mann, in Angst und Furcht
und Not,
umstellt, umlagert und umdroht,
im Stand des jammerhaften
Schwebens,
sah sich nach Rettung um ver-
gebens.
Und da er also um sich blickte,
sah er ein Zweiglein, welches nickte
vom Brombeerstrauch mit reifen
Beeren.
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]
und ihrem Leben.
89
wollten würde, wenn das Schiff absegelte. Zufällig verweilte es lange
genug im Hafen, dass die Schwalben ihr Nest vollenden, Eier legen und
die Jungen ausbrüten konnten. Dabei waren sie unbekümmert um allen
Lärm und alles Hantieren auf dem Schiffe, flogen hin und wieder, um
ihre Jungen zu füttern, und safsen lustig zwitschernd bei ihrem Neste.
Da entfernte sich plötzlich das Schiff vom Lande, und die Schwalben
bemerkten, dass sie mit ihrem ganzen Haushalte fortgeführt wurden.
Sie erschraken darüber, flogen auf und umkreisten ängstlich das immer
weiter eilende Schiff, holten aber doch noch Nahrung für ihre Jungen
vom Lande. Endlich wurde die Entfernung zu gross. Die Schwalben
sahen, dass sie nicht mehr hin- und herfliegen konnten. Dies machte
sie sehr traurig; und es war rührend anzusehen, wie sie ängstlich das
Schiff umflogen und sich nicht entschliefsen wollten, es für immer zu
verlassen. Einige Stunden waren sie dann fort, aber plötzlich erschienen
sie wieder. Sie waren nicht am Lande gewesen und hatten kein Futter
für ihre Jungen; traurig setzten sie sich zu ihnen, als wollten sie sagen,
sie könnten jetzt keine Nahrung mehr für sie finden. Die hungrigen
Jungen streckten ihnen ihre offenen Schnäbel entgegen; da flogen die
Alten noch einmal aus und suchten noch einmal das Land zu erreichen,
kamen aber mehrere Male unverrichteter Sache wieder. Endlich blieben sie
aus. Das Schiff war nun weit in See. Die Matrosen nahmen sich der
armen jungen Schwalben an, fütterten sie gross, und auf einer schönen
Insel im stillen Ocean liessen sie sie fliegen. Nach Lenz.
102. (62.) Waldkonzert.
Konzert ist heute angesagt im frischen, grünen Wald.
Die Musikanten stimmen schon; hört, wie es lustig schallt!
Der Distelfink spielt keck vom Blatt die erste Violin';
sein Vetter Buchfink nebenan begleitet lustig ihn.
Frau Nachtigall, die Sängerin, die singt so hell und zart;
und der Herr Hänfling bläst dazu die Flöt' nach bester Art.
Die Drossel spielt die Klarinett'. Der Rab', der alte Mann,
streicht den verstimmten Brummelbaß, so gut er streichen kann.
Der Kuckuck schlägt die Trommel gut; die Lerche steigt empor
und schmettert mit Trompetenklang voll Jubel in den Chor.
Musikdirektor ist der Specht; er hat nicht Rast noch Ruh',
schlägt mit dem Schnabel spitz und lang gar fein den Takt dazu.
Verwundert hören Has' und Reh das Fiedeln und das Schreibt;
und Biene, Mück' und Käferlein die stimmen surrend ein.
Diesfenbach.
TM Hauptwörter (50): [T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle]]
TM Hauptwörter (200): [T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T129: [Schiff Hafen Flotte Meer Küste Fahrzeug See Kriegsschiff Land Dampfer]]
und ihrem Leben.
93
schwesterchen im Hag. Der Herbst rückt heran, und wenn jetzt der Jagdhund
den ausgewachsenen Hasen aufspürt, so ist von Mitleid oder Großmut keine
Rede Mehr. Nach Ad Müller.
107. (96.)
1. Als den Herrn ans Kreuz ge-
schlagen
nun des Feldes Bäume sahn,
kam ein Zittern und ein Zagen
allen fernen, allen nah'n.
Nur der Espe Krone
ließ die Blätter ohne
Beben in die Lüfte ragen,
gleich als ging' sie das nichts an.
2. Damals ward der Fluch ge-
sprochen,
und ihn hörte Berg und Kluft:
„Daß dir sei dein Stolz gebrochen,
Die Espe.
zittre künftig jeder Luft!
Andre Bäume zittern
nur in Ungewittern;
zitternd soll das Herz dir pochen,
wenn im Wald ein Vogel ruft.
3. Zittre, wo im Erdenkreise
künftig du entkeimst dem Staub!
jedes Blatt soll zittern leise,
bis es wird des Herbstwinds Raub.
Und in allen Tagen
soll man hören sagen
dir zur Strafe sprichwortweise:
„Zittern wie ein Espenlaub!"
Rückert.
108. 11er Fuchs.
Der Abend haucht aus Halm und Blatt. Die Bäume heben ihre
Wipfel regungslos in die Stille; nur die Vogelkehlen sind noch laut. Die
Drossel lockt mit hellem Ton, die Meise schlüpft ihr Liedchen schrillend
von Busch zu Busch; der Waldschreiner Specht hackt und hämmert
am Eichenstumpf, dazwischen kreischt der Häher; und ist dann auf einmal
alles still, so stöhnt aus dem Schosse der grünen Einsamkeit der eintönige
Bus des Wiedehopfs. Reineke ist am Rande der Waldwiese angekommen.
Er lauscht. Die Blumen neigen ihre Kelche; da und dort summt noch
eine Biene, oder ein schwer gepanzerter Käfer schweift behaglich brum-
mend in geschwungenem Bogen dahin.
Jetzt knackt es in den Zweigen. Der Fuchs spitzt das Ohr, —
ein Pfeifen lässt sich hören. Da tritt das Reh heraus, das Haupt keck
emporgerichtet, die Augen nach allen Seiten rollend. Wieder pfeift es,
und in schlankem Sprunge ist das Kälbchen der Alten zur Seite. In den
drolligsten, zierlichsten Sätzen tändelt es um die Mutter, ein Blatt, ein
Kraut wie im Fluge abstreifend und dann sich niederwerfend, um zu
saugen. Die Mutter leckt ihm kosend den Kacken. Plötzlich hebt die
Ricke den Kopf. Ihre Augen funkeln, ein Zittern fliegt über die Flan-
ken, sie macht ein paar Sprünge und stampft zornig mit den Läufen.
Es ist klar, — sie hat den Räuber gewittert. Der hat sich leisen Fusses
herangestohlen, sacht, sacht, das Kitzlein unverrückt im Auge. Es gilt