und ihrem Leben.
103
Vögel, der Leinsamen aber zu Ol. Zwar hat das Leinöl nicht den guten
Geschmack des Mohnöls oder des Nußöls, allein zu Firnis und Ölfarbe ist
es unter allen das brauchbarste. Und der Flachs trägt reichlich. Aus seinen
blauen Blüten bilden sich erbsengroße Knoten, in deren Fächern die platten
Leinkörnchen in Menge sitzen.
So groß die Ähnlichkeit in der Behandlung des Hanfes und des
Flachses ist, so ungleich sind die Pflanzen selbst. An dem Hanfe ist alles
größer und gröber: mannshohe Stengel, dickere, runde Samenkörner, widriger
Geruch, unschöne Blüte; an dem Flachs ist alles kleiner, feiner und lieblicher.
Dennoch erträgt dieser mehr Kälte und kommt in geringerem Boden fort.
Der beste Lein kommt aus Rußland, der beste Hanf aus Italien.
Curtmann.
118. (77.) Der blühende Flachs.
1. Auf, kommt in die Felder und blühenden Au'n,
das liebliche Pflänzchen der Mädchen zu schau'n!
Es wächset und grünet so freundlich und zart,
jungfräulich bescheiden in eigener Art.
2. Laut rauschet vom Golde der Ähren das Land,
still grünet das Pflänzchen in schlichtem Gewand;
doch trägt es ein Krönlein von himmlischem Blau,
des Krönleins Gestein ist der funkelnde Tau.
3. Erst barg es die Erde im kühligen Schoß,
da zogen die freundlichen Lüftchen es groß;
nun woget und wallet es lieblich und schlank.
Du Erde, ihr Lüftchen, habt freundlichen Dank!
4. Bald tragen wir sorglich das Pflänzchen hinein,
dann schmückt es den Rocken mit silbernem Schein;
wir singen zum tönenden Rädchen und drehn
die Fädchen wie Seide so glatt und so schön.
5. Wenn draußen die Felder erstarren von Eis,
dann ruft uns das Pflänzchen zum traulichen Kreis;
jetzt blühend und grünend ergötzt uns sein Glanz,
dann schlingt es uns selber zum blühenden Kranz.
6. Drum kommt in die Felder und blühenden Au'n,
das liebliche Pflänzchen der Mädchen zu schau'n!
Es grünet und blühet so freundlich und zart,
jungfräulich bescheiden in eigener Art.
119. (78.) Die Kreuzotter.
Die einzige Giftschlange Norddeutschlands, unsere mit Recht gefürchtete
Kreuzotter, kenntlich an dem über ihren Rücken verlaufenden dunklen Zickzack-
186
Iii. Gemeinschafts- und Berufsleben
und dreimal kam er glücklich an,
bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum kamen die letzten in sichern Port,
so rollte das letzte Getrümmer fort. —
15. „Hier," rief der Gras, „mein wackrer Freund,
hier ist dein Preis! Komm her, nimm hin!" —
Sag' an, war das nicht brav gemeint? —
Bei Gott! der Graf trug hohen Sinn;
doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug
das Herz, das der Bauer im Kittel trug.
16. „Mein Leben ist für Gold nicht feil;
arm bin ich zwar, doch ess' ich satt.
Dem Zöllner werd' Eu'r Gold zu teil,
der Hab' und Gut verloren hat!"
So rief er mit herzlichem Biederton
und wandte den Rücken und ging davon.
Bürger (gekürzt).
208. Die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.
„Nun, hat der Strand endlich mal Segen gebracht, Janssen ?“ fragte
ein bejahrtes aber kräftiges und gerade aufgerichtetes Weib von unver-
kennbar friesischem Aussehen einen blonden, hochaufgeschossenen jungen
Mann, der, den Südwester auf dem Kopfe, angethan mit der ungefügen
Oljacke und riesigen Seestiefeln, mit schwerem Schritte in die niedrige,
kajütenartige Wohnstube seiner Fischerhütte eintrat. „Wo ist Gesine,
Mutter? Wo ist Luth Konrad?“ fragte Janssen Harms dagegen, auf die
Frage der Mutter nicht achtend. „Es giebt eine Flut, wie du und ich
sie vielleicht noch nicht erlebt haben.“ — „Sei ohne Sorgen, Janssen!
Die haben friesisch Blut. Sie sind aus nach dir. Doch sag1! giebt’s
brav Strandgut ? Unsere Waren gehen zu Ende, und der Fischfang giebt
heuer nichts aus. Wahrlich, ein ordentlicher Strandsegen thäte uns
not!“ — „Mutter, was fallt dir ein? Lebst immer noch in der Zeit,
wo unser Herr Pastor selig sein „„Gott segne den Strand““ widerwillig
ins Kirchengebet einschalten musste? Weifst du nicht, dass es vorbei ist
mit dem Strandsegen? Aber etliche Hundert Bergelohn — meinte der
Yogt — wird’s diesmal austragen. Kommt auf eins heraus. Wer Geld
hat, braucht für die Ware nicht zu sorgen. Ein Glas Steifen hab1 ich
heut verdient, Mutter!“ Die Alte schüttelte den Kopf über die neue
Ordnung und sprach still vor sich hin von der verkehrten Welt und der
guten, alten Zeit und von verkümmerten Hechten; aber sie ging nach dem
buntbemalten Wandschrank, goss aus einer grossen, unförmlichen Kruke
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer]]
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Extrahierte Personennamen: Janssen Konrad Janssen_Harms Janssen
in Familie, Gemeinde und Staat.
179
schönes Gerstenfeld an. „Das ist es, was wir suchen," rief der Rittmeister.
„Noch einen Augenblick Geduld!" sagte der Greis, „und Sie sollen befriedigt
werden." Sie marschierten also weiter und gelangten nach einiger Zeit zu
einem andern Gerstenfelde. Die Reiter stiegen von den Pferden, mähten
das Feld ab, banden die Gerste auf die Pferde, saßen wieder auf und ritten
davon. Darauf sagte der Rittmeister zu seinem Führer: „Guter Vater, Ihr
habt uns unnötigerweise weiter reiten lassen; das erste Feld war besser als
dieses." -- „Das kann wohl sein," entgegnete der Alte, „aber es gehörte nicht mir."
Caspari.
202. (174.) Dev Wilde.
1. Ein Kanadier, der noch Europens
übertünchte Höflichkeit nicht kannte
und ein Herz, wie Gott es ihm gegeben,
von Verstellung frei, im Busen fühlte,
brachte, was er mit des Bogens Sehne
fern in Quebeks übereisten Wäldern
auf der Jagd erbeutet, zum Verkaufe.
Als er ohne schlaue Rednerkünste,
so wie man ihm bot, die Felsenvögel
um ein Kleines hingegeben hatte,
eilt' er froh mit dem geringen Lohne
heim zu seinen tiefverdeckten Horden,
in die Arme seiner braunen Gattin.
2. Aber ferne noch von seiner Hütte
überfiel ihn unter freiem Himmel
schnell der schrecklichste der Donnerstürme.
Aus dem langen, rabenschwarzen Haare
troff der Guß herab auf seinen Gürtel;
und das grobe Haartuch seines Kleides
klebte rund an seinem hagern Leibe.
Schaurig zitternd unter kaltem Regen
eilete der gute, wackre Wilde
in ein Haus, das er von fern erblickte.
„Herr! ach laßt mich, bis der Sturm sich leget,"
bat er mit der herzlichsten Gebärde
den gesittet feinen Eigentümer,
„Obdach hier in Eurem Hause finden!" —
„Willst du mißgestaltet Ungeheuer,"
schrie ergrimmt der Pflanzer ihm entgegen,
„willst du Diebsgesicht mir aus dem Hause?"
und ergriff den schweren Stock im Winkel.
12*
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Sage und Geschichte.
239
worfenen Netze, der Hering kam jährlich in ungeheuren Wanderzügen
durch den Sund, und an den Flussmündungen wimmelten der Lachs und der
Aal. Besonders aber war der Heringsfang für die nordischen Handels-
städte von der grössten Wichtigkeit. Bis zum Ende des zwölften Jahr-
hunderts zog der Fisch längs der Küste von Pommern in so dichten
Massen, dass man im Sommer nur den Korb ins Meer zu senken brauchte^
um ihn gefüllt herauszuziehen. Damals wuchsen Lübeck, Wismar,
Rostock, Stralsund und Greifswald mit wunderbarer Schnelligkeit zu ho-
hem Wohlstand. Im dreizehnten Jahrhundert aber verlegte der Hering
seine Seewege und strich längs der flachen Küste von Schonen und am
norwegischen Ufer. Da eilten alle seetüchtigen Völker in sein Fahr-
wasser, und die deutschen Hansastädte kämpften um seinetwillen blutige
und siegreiche Kriege mit den Dänen, Engländern, Schotten und Hol-
ländern ; sie brachen den dänischen Königen ihre festen Schlösser, be-
setzten ihre Inseln und behaupteten Jahrhunderte hindurch die Herrschaft
in Gotland, Schonen und Bergen. Das war die grosse Zeit der deut-
schen Hansa. Nach 1400 aber änderte der Hering wieder seine Züge
und ging an die holländische Küste; seitdem wurden die holländischen
Städte reich und mächtig.
War der hanseatische Kaufmann daheim, so zeigte er gern seinen
Wohlstand durch stattliche Kleidung, kostbare Pelze und bunte Farben;
er trug das Schwert an der Seite und am reichverzierten Gurt die Geld-
tasche und den Siegelring, worin das wichtige Zeichen seines Geschäftes,
die Hausmarke, eingegraben war. Denn er war des Schreibens nicht
immer mächtig, und durch dieselbe Marke, die von seinen Fässern und
Ballen her an allen Enden der Welt bekannt war, bestätigte er Geld-
anweisungen und Urkunden, die er durch seinen Schreiber ausstellen liess.
Aber derselbe Mann trug zur See auch die Friesjacke des Schiffers
und das Panzerhemd des Kriegers. Denn wenn er auf seinem rund-
bauchigen, hochbordigen Fahrzeuge das Meer durchstrich, dann hatte er
nicht selten mit verwegenen Seeräubern zu kämpfen. Auch in fremden
Ländern musste er manchen blutigen Straufs bestehen; doch trug er mit
seiner zähen Ausdauer stets den Sieg davon, und im Gefolge seiner kauf-
männischen Arbeit brachte dann auch das Christentum in Länder, die
bis dahin völlig unbekannt gewesen waren, seine Segnungen. So trugen
bremische Kauffahrer in das heidnische Livland Christentum und deut-
sches Wesen.
Die Blüte der Hansa dauerte dreihundert Jahre. Erst nach Auf-
findung neuer Seewege, als dem Handel neue Bahnen eröffnet waren,
geriet sie in Verfall und hielt 1630 ihre letzte Tagsatzung. Noch heute
führen Hamburg, Lübeck und Bremen den alten Namen Hansestädte fort.
Nach Freytag. (aus Keck u. Johansen, Vaterl. Lesebuch).
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332
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
318. (281.) 1)68 deutschen Knaben Tischgebet.
1. Das war einmal ein Jubeltag!
Bei Sedan fiel der grosse Schlag:
Mac Mahon war ins Garn gegangen,
der Kaiser und sein Heer gefangen.
Und blitzschnell flog die Siegespost
am Draht nach Süd und Kord und Ost.
Da gab's ein Jubeln ohne Massen;
von Flaggen wogten alle Strassen.
Vieltausendstimmig scholl Hurra,
und waren noch Kanonen da,
so schoss man auch Viktoria.
Doch jedenfalls die Wacht am Rhein
ward angestimmt von gross und klein;
denn auch durch der Unmünd’gen Mund
wird Gottes Lob von alters kund.
2. Und einer von den kleinsten Jungen,
der hat am lautsten mitgesungen;
die bunte Mütze auf dem Ohr,
die Höslein flott im Stiefelrohr
marschiert er wacker mit im Chor,
beteiligt sich den Morgen lang
an jedem Schrei und jedem Sang.
So wichtig nahm’s der kleine Wicht,
als ging’s ohn’ ihn entschieden nicht;
war so mit Leib und Seel’ dabei,
als ob er selbst die Rheinwacht sei;
hat drum den Glockenschlag vergessen
und kam zu spät zum Mittagessen.
3. Mit heissen Wangen, rotem Kopf,
mit offner Brust, verwehtem Schopf
erscheint er endlich siegesmatt —
die andern waren halb schon satt —
griffst obenhin, setzt sich zu Tisch
und greift nach seinem Löffel frisch.
Jedoch der biedre Vater spricht:
„Fritz, angebetet isst man nicht!“
Worauf mein Fritz vom Stuhl ersteht,
die Hände faltet zum Gebet,
und weil sein Kopf noch stark zerstreut,
giebt’s, wie der Geist ihm just gebeut,
spricht: „Lieber Gott, magst ruhig sein;
fest steht und treu die Wacht am Rhein! Amen.“
Grerok.
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Extrahierte Ortsnamen: Sedan Mahon Viktoria Rhein Gottes Rhein
354
V. Geistliche und kirchengeschichtliche Stoffe.
einmal rufen: „Lieber Offerus, hol' über!" Gut, er macht sich auf und
kommt ans andere Ufer. Aber da ist niemand zu sehen. Also denkt er, er
hätte geträumt, kehrt um und legt sich wieder hin. Auf einmal kommt wieder
die Stimme: „Lieber Offerus, hol' über!" Er reibt sich die Augen, greift
zu seiner Tanne — das ist sein Stab gewesen — und watet geduldig durchs
Wasser hinüber. Abermals kein Mensch zu sehen! Ei, denkt er und brummt
in seinen langen Bart, das ist zu seltsam! und legt sich wieder in seine
Hütte und schläft in Gottes Namen ein. Da hört er's zum dritten Male
ganz deutlich: „Lieber Offerus, hol' über!" Der lange Offerus schaut ver-
wundert drein; indes er macht sich zum dritten Male ins Wasser und watet
hinüber; ist's doch Mariens Sohne zulieb. Und siehe, da stand am User
ein Knäblein, das war ganz wundersam anzuschauen: Auf seinem Haupte
die Haare waren wie lauter Gold und glänzten so hell. Sein Kleid war
schneeweiß. Dazu trug's in seiner linken Hand ein Kreuz und daran ein
Fähnlein und darauf abgebildet ein Lamm. In der rechten Hand aber trug's
eine Kugel, und darauf stand ein Kreuz. — Unser Offerus nimmt nun das Kind
federleicht mit einem Finger in die Höhe und setzt es auf seine breite Schulter.
Aber im Wasser — es war wunderlich — da ward ihm das Kind immer
schwerer und immer schwerer von Schritt zu Schritt; ja, er meinte, er könnte es
nimmermehr hinüberbringen und durch die hohe Flut tragen, sondern jetzt, jetzt
müßt' er mit ihm zusammenbrechen. Endlich — der Schweiß läuft von seiner
Stirn, und alle Glieder zittern — kommt er ans andere Ufer und fällt keuchend
hin. Da steht aber das Junkerlein vor ihm. Wie die helle Sonne glänzt sein
Gesicht. Es nimmt Wasser aus dem Fluß und läßt es auf Offerus' greises Haupt
träufeln zu dreien Malen, tauft ihn und spricht: „Dir sind deine Sünden
vergeben. Hinfort sollst du Christophorus heißen, denn du hast der Welt
Heiland getragen, und sollst eingehen zu deines Herrn Freude!" — und ver-
schwand. Da ftel Christophorus auf sein Angesicht und betete an. Aber nach
dreien Tagen haben die Engel seine Seele in Abrahams Schoß getragen.
Das ist die Sage von Christophorus, zu deutsch Christusträger. Andere
erzählen's anders. Und diese Sage, und wäre auch kein Christophorus wirk-
lich auf der Welt gewesen, ist dennoch gar sinnig. Nämlich sie will uns
zeigen, was eines Christen Aufgabe ist: Christum zu tragen, das ist dem
Größten zu dienen. ^-,4011.
338. (202.) Wo wohnt der liebe Gott?
1. Wo wohnt der liebe Gott?
Sieh dort den blauen Himmel an,
wie fest er steht so lange Zeit,
sich wölbt so hoch, sich streckt so weit,
daß ihn kein Mensch erfassen kann;
und sieh der Sterne goldnen Schein
gleich als viel tausend Fensterlein:
das ist des lieben Gottes Haus;
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Extrahierte Personennamen: Christophorus Abrahams Christophorus Christusträger Christophorus
Extrahierte Ortsnamen: Gottes Mariens Christophorus Abrahams Gottes
Erzählungen und Gedichte.
13
zum Bett der Grossmutter und verschluckte sie. Dann that er ihre Klei-
der an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vor-
hänge vor.
Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen, und als
es so viel zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm
die Grossmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr.
Es wunderte sich, dass die Thür aufstand, und wie es in die Stube trat,
so kam es ihm so seltsam darin vor, dass es dachte: Ei, du mein Gott,
wie ängstlich wird mir’s heute zu Mut, und bin sonst so gern bei der
Grossmutter! Es rief: „Guten Morgen!“ bekam aber keine Antwort.
Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück. Da lag die
Grossmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so
wunderlich aus. „Ei, Grossmutter, was hast du für grosse Ohren?“ —
„Dass ich dich besser hören kann.“ — „Ei, Grossmutter, was hast du für
grosse Augen?“ — „Dass ich dich besser sehen kann.“ — „Ei, Grossmutter,
was hast du für grosse Hände?“ — „Dass ich dich besser packen kann.“ —
„Aber, Grossmutter, was hast du für ein entsetzlich grosses Maul?“ —
„Dass ich dich besser fressen kann.“ Kaum hatte der Wolf das gesagt, so
that er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen.
Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins
Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging
eben an dem Hause vorbei und dachte: Wie die alte Frau schnarcht!
du musst doch sehen, ob ihr etwas fehlt. Da trat er in die Stube, und
wie er vor das Bett kam, so sah er, dass der Wolf darin lag. „Finde
ich dich hier, du alter Sünder?“ sagte er, „ich habe dich lange gesucht.“
Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte
die Grossmutter gefressen haben, und sie wäre noch zu retten, schoss
nicht sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolfe
den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte gethan hatte, da
sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang
das Mädchen heraus und rief: „Ach, wie war ich erschrocken; wie war’s
so dunkel in dem Wolf seinem Leib!“ Und dann kam die alte Gross-
mutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäpp-
chen aber holte geschwind grosse Steine; damit füllten sie dem Wolf
den Leib; und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine
waren so schwer, dass er gleich niedersank und sich tot fiel.
Da waren alle drei vergnügt. Der Jäger zog dem Wolfe den Pelz
ab und ging damit heim; die Grossmutter als den Kuchen und trank
den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder; Rot-
käppchen aber dachte: Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege
ab in den Wald laufen, wenn dir’s die Mutter verboten hat! 2, .j
Gebr. Grimm.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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und ihrem Leben.
79
Da trägt der Kirschbaum Blatt um Blatt,
viel tausend Blätter grün und frisch.
2. Und's Würmlein, aus dem Ei erwacht's.
Es schlief in seinem Winterhaus.
Es streckt sich, sperrt das Mäulchen auf
und reibt die blöden Augen aus.
3. Und drauf so hat's mit stillem Zahn
genagt am Blättlein da und dort
und spricht: „Wie ist's Gemüs' so gut!
man kommt davon schier nicht mehr fort."
4. Und wieder spricht der liebe Gott:
„Deck' jetzt dem Bienlein auch den Tisch!"
Da trägt der Kirschbaum Blüt' um Blüt',
viel tausend Blüten weiß und frisch.
5. Und's Bienlein sieht's und fliegt drauf los
früh in der Sonne Morgenschein
und denkt: „Welch kostbar Porzellan!
das wird gewiß mein Kaffee sein.
6. Wie sind die Schälchen rein gespült!"
Sein trocken Zünglein streckt's hinein;
es trinkt und spricht: „Wie schmeckt's so süß!
hier muß der Zucker wohlfeil sein."
7. Zum Sommer spricht der liebe Gott:
„Geh, deck' dem Spätzlein auch den Tisch!"
Da trägt der Kirschbaum Frucht um Frucht,
viel tausend Kirschen rot und frisch.
8. Und's Spätzlein sagt: „Ist's so gemeint,
da setzt man sich und fragt nicht lang';
das giebt mir Kraft in Mark und Bein
und stärkt die Stimm' zu neuem Sang."
9. Zum Herbste spricht der liebe Gott:
„Räum' ab! sie haben alle jetzt."
Da hat's vom Berge kühl geweht
und kleine Reife schon gesetzt.
10. Die Blättlein werden gelb und rot,
und eines fällt dem andern nach;
denn was vom Boden aufwärts kommt,
muß auch zum Boden allgemach.
11. Zum Winter spricht er dann zum Schluß:
„Deck' weidlich zu, was übrig ist!"
Da streut er Schnee im Überfluß.
Hebel, übersetzt von Schneider.
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und ihrem Leben.
85
2. Und drängen die Nebel noch so dicht
sich vor den Blick der Sonne,
sie wecket doch mit ihrem Licht
einmal die Welt zur Wonne.
3. Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht!
mir soll darob nicht bangen;
auf leisen Sohlen über Nacht
kommt doch der Lenz gegangen.
4. Da wacht die Erde grünend auf,
weiß nicht, wie ihr geschehen,
und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
und möchte vor Lust vergehen.
5. Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
und schmückt sich mit Rosen und Ähren
und läßt die Brünnlein rieseln klar,
als wären es Freudenzähren.
6. Drum still! und wie es frieren mag,
o Herz, gieb dich zufrieden!
es ist ein großer Maientag
der ganzen Welt beschieden.
7. Und wenn dir oft auch bangt und graut,
als sei die Hüll' auf Erden:
nur unverzagt auf Gott vertraut,
es muß doch Frühling werden! Geib-i.
99. Der Ameisler.
Wer in den Wald geht, der kommt selten leer zurück. Zerrt er schon
keinen Baumstamm hinter sich her, so hat er doch vielleicht ein frisches
Stöcklein in der Hand; schleppt er keine Reisigfuhr, so trägt er doch wohl
ein grünes Zweiglein am Hute; hat er schon keinen Korb mit Wildobst bei
sich, so doch ein Sträußlein duftiger Beeren; und trägt er auch kein erlegtes
Wildbret heim, so nimmt er doch vielleicht, ohne es zu wissen, Ameisen oder
Käfer mit sich, die munter auf ihm umherspazieren.
Mancher aber geht in den Wald, um etwas heimzubringen, wovon
andere sich schwerlich etwas träumen lassen. Da kannst du im Walde einem
sonderbaren Manne begegnen. Seinem zerfahrenen Gewände nach könnte
es ein Bettelmann sein; er hat auch einen großen Sack auf dem Rücken.
Aber über diesem Bündel und an all seinen Gliedern, von den geflickten
Schuhen bis zum verwitterten Hute, laufen in großer Hast zahllose Ameisen
auf und nieder, hin und her, in Schreck und Angst und wissen sich keinen
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau]]
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in Familie, Gemeinde und Staat.
171
Sein Sarras war, man glaubt es kaum,
so groß schier als ein Weberbaum.
3. Er hatte Knochen wie ein Gaul und eine freche Stirn
und ein entsetzlich großes Maul und nur ein kleines Hirn;
gab jedem einen Rippenstoß
und flunkerte und prahlte groß.
4. So kam er alle Tage her und sprach Israel Hohn:
„Wer ist der Mann? Wer wagt's mit mir? sei's Vater oder Sohn;
er komme her, der Lumpenhund!
Ich box' ihn nieder auf den Grund."
5. Da kam in seinem Schäferrock ein Jüngling zart und fein;
er hatte nichts als seinen Stock, die Schleuder und den Stein
und sprach: „Du hast viel Stolz und Wehr;
ich komm' im Namen Gottes her."
6. Und damit schleudert' er auf ihn und traf die Stirne gar;
da fiel der große Esel hin, so lang und dick er war;
und David haut in guter Ruh'
ihm nun den Kopf noch ab dazu.
7. Trau' nicht auf deinen Tressenhut noch auf den Klunker dran!
Ein großes Maul es auch nicht thut, das lern' vom langen Mann;
und von dem kleinen lerne wohl,
wie man mit Ehren fechten soll! Claudius.
195. (152.) Was mich nicht brennt, das blas' ich nicht.
Wie mancher hat schon gesagt: „Was mich nicht brennt, das blas' ich
nicht!" und ist vorübergegangen, wo er hätte helfen sollen. So aber dachte
der brave Christoph Kollheim in einem Dörflein bei Duderstadt nicht. Der
war ein blutarmer Schelm und ein Witwer dazu und hatte drei Kinder,
die gar oft sagten: „Vater, wie sind wir so hungrig!" — Das hört ein
Vater gern, wenn er Brot genug hat und noch etwas dazu; aber wie
schneidet das ins Herz, wenn keins da ist! Und just so qing's dem armen
Kollheim oft genug. Das Betteln verstand er nicht; aber er verstand,
Schuhe zu flicken, Kochlöffel zu schnitzen, Besen zu binden und solcher kleinen
Künste mehr. Das that er denn auch so fleißig, daß er sich kümmerlich mit
seinen Kindern durchbrachte; aber es kam doch manch ein „langer Tag."
Kollheim hatte einen recht guten Freund, der hieß Volkmann; dieser
war auch ein Witwer und hatte sieben unerzogene Kinder. Gleich und
gleich gesellt sich gern, heißt es im Sprichwort. Volkmann und seine Kinder
hatten auch der Fasttage so viele, daß sie schier die Kunst des Hungerns bald
gelernt hätten, wenn nicht das Lehrgeld gar zu schwer wäre.
Da sagte einmal Volkmann zu seinem Busenfreunde: „Ich ziehe nach
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Extrahierte Personennamen: David David Claudius Christoph_Kollheim Kollheim Volkmann Volkmann Volkmann
Extrahierte Ortsnamen: Israel Gottes Duderstadt Kollheim