und ihrem Leben.
119
unglaublicher Schnelligkeit, eilt durch dieses noch stürmischere Meer hoch über
den Wolken dahin, die ihm sogar den Anblick der Erde entziehen, und irrt
nicht und findet seinen Weg genau zu dem Dachgiebel, wo es vor einem halben
Jahre gehaust hat!
Hier waltet ein Trieb ob, der um so unbegreiflicher ist, als er weder
mit der Erhaltung noch mit der Fortpflanzung noch mit der Ernährung des
Tieres unmittelbar zusammenhängt. Warum ist es dem Tiere eine Not-
wendigkeit, dasselbe Nest als sein alleiniges Eigentum sein ganzes Leben
lang zu bewohnen, wo doch auf dem Wege viel tausend solcher Nester da sind?
Deutet das nicht auf einen Trieb nach Besitz hin, den hier die Natur selber
geheiligt zu haben scheint? Nur äußerst selten findet sich ein fremder Storch
in einem fremden Neste ein und wahrscheinlich nur, wenn sein eigenes durch
Unglück oder durch Mutwillen während seiner Abwesenheit zerstört worden
ist; aber wenn der wirkliche Eigentümer dazukommt, so entsteht ein Kampf
zwischen den Störchen um den Besitz, der nur mit der Flucht des Eindring-
lings oder dem Tode des einen der Kämpfenden endet. Man hat noch nie
bemerkt, daß der rechtmäßige Eigentümer geflohen ist, wenn auch der Ein-
dringling weit stärker war; lieber läßt er sich töten, als daß er sein Recht
aufgiebt. Der Eindringling dagegen hat das Gefühl des Rechtes nicht und
ergreift die Flucht, wenn er einen Besitzer findet, der ihn bewältigen kann.
Höchst eigentümlich ist auch eine Erscheinung, die bei der Wanderung
der Störche öfter beobachtet worden aber bis heute noch völlig unerklärt
geblieben ist: Wenn der Winter naht und die Störche sich zur Abreise an-
schicken, versammeln sie sich zu einem gemeinsamen Zuge und treffen mit andern
Zügen bald zusammen, um die Reise gemeinschaftlich zu machen. Bevor
aber der Zug ins Weite hinaus beginnt, läßt sich die Storchgesellschaft ge-
wöhnlich auf ein Feld nieder und schließt da einen Kreis, in dessen Mitte
einer oder zwei Störche bleiben. Nach vielem Klappern mit den Schnäbeln
fallen die Störche über die im Kreise sich befindenden her und töten sie,
und sodann erhebt sich der Zug sofort und zieht von dannen. Man nennt
diesen Vorgang Gerichtstag und will darin eine Art Rechtspflege erkennen
gegen irgendwelche verbrecherischen Störche; allein es ist wahrscheinlicher, daß
die schwächlichen und kranken Störche in solcher Weise getötet werden, weil
sie den Zug nicht mitmachen können und ohnehin umkommen würden.
Jedenfalls ist dieser rätselhafte Vorgang höchst wunderbar; und es findet
sich in der Tierwelt nichts Ähnliches, womit er verglichen werden könnte.
21, Bernstein.
136. Raupe und Schmetterling.
Wie eine Raupe sich bald lang hinstreckt, bald zusammenzieht,
bald nach rechts und links krümmt und dabei Gestalt, Länge und Dicke
ihres Körpers stets verändert, das hat schon jeder gesehen; aber nicht
TM Hauptwörter (50): [T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Sage und Geschichte.
275
275. Dominikus Dietrich von Stratzburg.
Im Jahre 1660 starb der regierende Ammeister, d. h. der Oberbürger-
meister, der damaligen deutschen freien Reichsstadt Straßburg. Zu seinem
Amtsnachfolger erwählten die Bürger einmütig Dominikus Dietrich, einen
echt deutschen Mann von altem Schrot und Korn und dazu einen treuen,
gläubigen evangelischen Christen. Er war 1620 geboren und hatte also
erst als achtundzmanzigjähriger Mann aus eigener Anschauung kennen ge-
lernt, wie ein Land im Frieden aussieht. Und als nach dreißig Jahre
langem Blutvergießen, Rauben, Plündern, Brennen und Morden im Jahre
1648 auch in Straßburg sich die Klänge des Paul Gerhardschen Liedes zum
Himmel aufschwangen: „Gottlob, nun ist erschollen das edle Fried- und
Freudenwort," da hatte er zwar mit seinen Mitbürgern darüber gejubelt, daß
seine geliebte Vaterstadt sich aus den Verhandlungen des westfälischen Friedens
noch glücklich als freie und protestantische deutsche Reichsstadt herausgerettet
hatte; er hatte aber auch mit ihnen gebangt und gezagt bei der Frage,
wie lange es der Stadt gelingen werde, sich diese kostbaren Güter zu be-
wahren. Jetzt, als er 40 Jahre alt war, wälzte das Vertrauen seiner
Mitbürger, das ihn zum Oberhaupte der Stadt wählte, die schwere Last auf
seine Schultern, das schwache Schifflein durch die tosenden Wellen unge-
fährdet hindurchzusteuern.
Straßburg gehörte als freie, unabhängige Stadt zum heiligen römischen
Reiche deutscher Nation. Ja, das mochte ihr Ehre und Ansehen schaffen,
Schutz und Rückhalt gewährte ihr diese Stellung nicht. Denn was war
das deutsche Reich so, wie es aus dem dreißigjährigen Kriege hervorgegangen
war, anders als ein lose zusammengeworfener Haufen einzelner Länder
und Länderchen ohne Einheit und Zusammenhalt? Trotz seines Hauptes, das
den stolzen Titel Kaiser führte, außer dem leeren Namen aber so gut wie
nichts mehr vom Kaisertum besaß, war es ein kraftloser Körper, der keins
seiner Glieder gegen Angriffe von außen her zu verteidigen vermochte.
Und wie sehr hätte gerade Straßburg eines kräftigen Schutzes bedurft!
War doch diese Stadt, weil im westfälischen Frieden das ganze schöne Elsaß
mit Ausnahme der darin liegenden Bistümer und freien Reichsstädte schmäh-
licherweise an Frankreich abgetreten war, rings umgeben von dieser fremden
Macht; und saß doch in Frankreich gerade damals ein König auf dem Throne,
der mit seinem berüchtigten Grundsätze „Der Staat bin ich" nur zwei Ziele
seines Strebcns kannte: im eigenen Lande unumschränkte Alleinherrschaft
über Hab und Gut, über Leib und Leben, ja selbst über die Gewissen seiner
Unterthanen, nach außen Machtentfaltung und Ausdehnung seiner Reichs-
grenzen. Ludwig Xiv, so hieß dieser König, vor dem Europa zitterte,
wenn er zürnte, schien da, wo bei anderen Menschen das Gewissen seine
Stelle hat, nur teuflische Klugheit, Hinterlist und Tücke zu besitzen. Da war
18'
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
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Extrahierte Personennamen: Dominikus_Dietrich_von_Stratzburg Dominikus_Dietrich Ludwig_Xiv Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Straßburg Frankreich Frankreich Europa
Sage und Geschichte.
287
dann drückt mich Müh’ den ganzen
Tag,
dass meine Kinder gross und klein
sich ihrer Feierstunde freu’n !“
Gewiss, so hat der Held gedacht;
er hat sein Denken wahr gemacht.
Drum, wo man Gutes liebt und ehrt,
sein Angedenken ewig währt;
und jedes Kindlein ehrfurchtsvoll
den Edlen kennen lernen soll.
Fröhlich.
283. (262 a.) König Friedrich und sein Nnchhnr.
Der König Friedrich Ii von Preußen hatte acht Stunden von Berlin
ein schönes Lustschloß und war gern darin, wenn nur nicht ganz nahe dabei
die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstens stehen ein königliches Schloß
und eine Mühle nicht gut neben einander, obgleich das Weißbrot auch in dem
Schlosse nicht übel schmeckt, wenn die Mühle fein gemahlen und der Ofen
wohl gebacken hat. Außerdem aber, wenn der König in seinen besten Ge-
danken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal ließ der Müller
seine Mühle klappern und dachte auch nicht an den Herrn Nachbar; und die
Gedanken des Königs störten zwar das Räderwerk der Mühle nicht, aber
manchmal das Klapperwerk der Räder die Gedanken des Königs. Eines Tages
ließ er den Müller zu sich kommen. „Ihr begreift," sagte er zu ihm, „daß
wir zwei nicht neben einander bestehen können. Einer muß weichen. Was
gebt Ihr mir für mein Schlößlein?" Der Müller sagte: „Wie hoch haltet
Ihr es, königlicher Herr Nachbar?" Der König erwiderte ihm: „Wunderlicher
Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, daß Ihr mein Schloß kaufen könnt.
Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?" Der Müller erwiderte: „Gnädigster Herr,
so habt Ihr auch nicht so viel Geld, daß Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt.
Sie ist mir nicht feil." Der König that gern ein Gebot, auch das zweite
und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede: „Sie ist mir nicht feil.
Wie ich darin geboren bin, so will ich darin sterben, und wie sie mir von
meinem Vater erhalten worden ist, sollen sie meine Nachkommen von mir
erhalten und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der
König eine ernsthaftere Sprache an. „Wißt Ihr auch, guter Mann, daß ich
gar nicht nötig habe, viele Worte zu machen? Ich lasse Eure Mühle schätzen
und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld oder nicht!" Da lächelte der
unerschrockene Müller und erwiderte dem König: „Gut gesagt, allergnädigster
Herr, wenn nur das Kammergericht zu Berlin nicht wäre!" — nämlich, daß
er es wollte auf einen richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der König
Der ganze Ghor fiel jubelnd ein:
„Der alte Fritz will König sein
und weiss nicht mal, dass dieser Frist
des Mittwochs keine Schule ist!“ —
Der König stille vor sich lacht
und hat in seinem Sinn gedacht:
„Wie reich bist, liebe Einfalt, du!
Ich alter Mann hab’ keine Ruh’;
des Morgens ruft mich Sorge wach;
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Friedrich_Ii_von_Preußen Friedrich
190
Iii. Gemeinschafts- und Berufsleben
daheim in süsser, behaglicher Ruhe von den kühnen Thaten vernimmt,
die von den Mannschaften deutscher Rettungsstationen vollbracht
werden, anfangen wird, Teilnahme zu gewinnen für das deutsche Rettungs-
wesen zur See; dass er, nun die Aufforderung ergangen ist, diese treff-
lichen und segensreichen Einrichtungen zu unterstützen, an die einfache
Erzählung denken und seine milde Hand zu reichlichen Spenden öffnen,
auch seine Freunde und Verwandten auffordern werde, sich als Mitglieder
der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger
aufnehmen Zu lassen. Aus: Frz. Hoffmann, „Neuer deutscher Jugendfreund".
209. Das Feuer.
Wohlthätig ist des Feuers Macht,
wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht;
und was er bildet, was er schafft,
das dankt er dieser Himmelskraft.
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
wenn sie der Fessel sich entrafft,
einhertritt auf der eignen Spur,
die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen,
wachsend ohne Widerstand
durch die volkbelebten Gassen
wälzt den ungeheuren Brand!
denn die Elemente hassen
das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
quillt der Segen,
strömt der Regen;
aus der Wolke ohne Wahl
zuckt der Strahl.
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
ist der Himmel.
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Straßen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule;
durch der Straße lange Zeile
wächst es fort mit Windeseile.
Kochend wie aus Ofens Rachen
glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
unter Trümmern;
alles rennet, rettet, flüchtet;
taghell ist die Nacht gelichtet.
Durch der Hände lange Kette
um die Wette
fliegt der Eimer; hoch im Bogen
spritzen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
der die Flamme brausend sucht;
prasselnd in die dürre Frucht
fällt sie, in des Speichers Räume,
in der Sparren dürre Bäume;
und als wollte sie im Wehen
mit sich fort der Erde Wucht
reißen in gewalt'ger Flucht,
wächst sie in des Himmels Höhen —
riesengroß!
Hoffnungslos
weicht der Mensch der Götterstärke;
müßig sieht er seine Werke
und bewundernd untergehn.
Leergebrannt
ist die Stätte,
wilder Stürme rauhes Bette.
In den öden Fensterhöhlen
wohnt das Grauen;
und des Himmels Wolken schauen
hoch hinein.
Schiller.
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Sage und Geschichte.
255
668 Drückens nicht verraten; aber als die Stadt Mainz bei einer Fehde
erobert und fast ganz zerstört wurde, wobei auch die Fustsche Werk-
stätte nicht verschont blieb, da wanderten die Druckergehilfen aus' und
gründeten in verschiedenen Städten neue Druckereien. Rocsbach.
260. Die Wahl Christians I zum Herzog von
Schleswig-Holstein.
Als Adolf Viii, der letzte Herzog in Schleswig und Holstein aus
dem schauenburgi8chen Hause, der gute Herzog, wie ihn seine Unter-
thanen zu nennen pflegten, im Jahre 1459 ohne Erben gestorben war,
ergriff die Gemüter des Volkes grosse Besorgnis, wie es mit der Nach-
folge in der Landesherrschaft werden solle. Denn es waren zwei Fürsten,
die Ansprüche auf die Nachfolge machten: Graf Otto von Schauenburg,
der noch einen kleinen Teil von Holstein, nämlich die Grafschaft Pinne-
berg besass, und Christian I, der König von Dänemark. Von der Ritter-
schaft waren einige für den Grafen Otto, andere für den König Christian,
dem auch Adolf schon früher, ehe er noch König wurde, die Nachfolge
in Schleswig und Holstein hatte zuwenden wollen. Die Stände beider
Lande traten zusammen und schwuren, dass sie jetzt einträchtig einen
Herrn wählen wollten; denn nur auf diese Weise konnten Schleswig und
Holstein unter einem gemeinsamen Landesherrn zusammenbleiben. Sie
berieten zuerst in Neumünster in Gegenwart des Grafen Otto und seiner
Söhne, dann in Rendsburg zusammen mit den Abgesandten der Städte
Lübeck und Hamburg. Aber es kam zu keiner Entscheidung, sondern
es wurde nur beschlossen, dass sie erst zu Ripen das Begehren Christians
vernehmen wollten; darnach solle in Lübeck ein Tag gehalten werden,
wo beide Bewerber ihre Ansprüche darlegen wollten; und wer von beiden
das beste Recht habe, solle Fürst des Landes werden. Am 3. März
1460 kamen die Stände mit Christian und dem dänischen Reichsrat in
Ripen zusammen. Als nun der König feierlich versprach, dass er seine
Mitbewerber mit Geld abfinden und die Rechte des Landes schützen
wolle, wurden alsbald in der Versammlung Stimmen laut, dass man rasch
den König wählen und es ihm überlassen möge, sich mit seinen Mit-
bewerbern abzufinden. Ohne sich um das Versprechen zu kümmern,
dass sie in Lübeck zusammenkommen wollten, entschlossen sich die
Stände, die Wahl sofort vorzunehmen, und von dem Rathause zu Ripen
verkündigte der Bischof Nikolaus von Schleswig mit lauter Stimme dem
versammelten Volke, dass der Rat der Holsten zum Besten ihrer Lande
den König Christian von Dänemark zu einem Herzoge von Schleswig
und Grafen zu Holstein erkoren habe. Der neue Landesherr stellte
darauf eine Urkunde aus, worin er erklärte, aus persönlicher Gunst und
TM Hauptwörter (50): [T35: [Preußen Königreich Bayern Sachsen Staat Hannover Baden König Provinz Land], T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
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Extrahierte Personennamen: Christians Adolf_Viii Adolf Graf_Otto_von_Schauenburg Otto Christian_I Otto Christian Adolf Adolf Otto Christians März Christian Nikolaus_von_Schleswig Nikolaus Christian_von_Dänemark
Sage und Geschichte.
219
Das Meer hat seine Nachbarn früh zur Schiffahrt gelockt. Die An-
wohner beider Küsten zeigen sich geübt zur See; vor allem die an der West-
seite versuchen sich auch in weiteren Fahrten. Aber auch daheim in den
flachen, noch nicht durch Deiche geschützten Marschgegenden und auf den
vorliegenden Inseln hatten sie mit dem Meere zu kämpfen, das oft ver-
wüstend einbrach und im Laufe der Jahrhunderte viel des fruchtbaren
Landes, auch zahlreiche Ortschaften zerstörte und ihre Bewohner ertränkte.
In Nöten und Gefahren ist hier die Kraft der Friesen gestählt, der Sinn
gehärtet; fest und unbeugsam ist ihr Charakter.
Ernst und stramm in Wesen und Haltung zeigen sich diese Nieder-
deutschen alle, zähe festhaltend an alter Sitte und altem Recht, auch hart
und trotzig, zum Kampf und Streit geneigt. Noch im zwölften Jahrhundert
heißt es von den Holsten: „Wer nichts zu rauben weiß, gilt für träge und
unrühmlich." Wilden Waldeseln, die der Zähmung bedürfen, vergleicht sie
ein Geschichtsschreiber jener Zeit. Freiheitsstolz und trotzig treten allezeit die
Dithmarscher auf. Milder erscheint der Bewohner Wagriens und Angelns, wo
fremde Einwanderung sich mit der altheimischen Bevölkerung gemischt hat.
Altdeutsche Verhältnisse, freie Bauern in Gemeinden verbunden, die ihre
Angelegenheiten selbst besorgen, haben sich in einzelnen Teilen des Landes
länger als anderswo erhalten. Daneben macht sich aber auch hier im Laufe
der Zeit die Ausbildung einer streitbaren Ritterschaft, eines regen städtischen
Lebens, später fürstlicher Macht und Herrschaft geltend. Dieselben Umstände,
die auch anderswo das deutsche Staatsleben bedingen, aber in mannigfach
eigentümlicher Ausbildung, treten uns entgegen. Dazu kommt in einem Teile des
Landes ein Einfluß dänischer Verhältnisse, die bei der alten Stammgemein-
schaft der Völker sich den deutschen Einrichtungen nicht so fremdartig gegen-
überstellen, wie man manchmal zu meinen geneigt ist. Auch die Völker, so
oft sie sich feindlich gegenüberstanden, haben zu andern Zeiten friedlich zu-
sammengelebt; und mannigfache Übergänge von dem einen zum andern zeigen
sich gerade auf dem Boden Schleswigs. Die Berührung und Reibung der
verschiedenen Nationalitäten hat auch nur dazu gedient, größere Regsamkeit
und Beweglichkeit zu erzeugen: der Schleswiger ist geistig lebendiger als sein
Nachbar in Holstein.
235. (247.) Der Mäuseturm.
1. Am Mäuseturm um Mitternacht
des Bischofs Hatto Geist erwacht.
Er flieht um die Zinnen im Höllenschein,
und glühende Mäuslein hinter ihm drein.
2. Der Hungrigen hast du, Hatto, gelacht,
die Scheuer Gottes zur Hölle gemacht;
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Extrahierte Personennamen: Ernst Hatto Hatto Scheuer_Gottes
276
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
denn freilich nicht zu erwarten, daß er aus Achtung vor Recht und Ver-
trägen dauernd auf den Besitz der herrlichen freien Reichsstadt verzichten werde.
Im Sommer des Jahres 1681 sammelte er in verschiedenen Teilen
des Elsaß zahlreiche Kriegsvölker, die in aller Stille einen immer enger
geschlossenen Kreis um die Reichsstadt bildeten. Mitten im Frieden über-
rumpelte dann plötzlich der französische Oberst Baron Asfeld die schwach be-
setzte straßburgische Zollschanze am Rhein. Die kleine Besatzung vermochte
natürlich keinen erfolgreichen Widerstand zu leisten und mußte sich nach
tapferer Gegenwehr ergeben. Das war die Schreckenskunde, mit der am
frühen Morgen des 28. September, eines Sonntages, Dominikus Dietrich
geweckt wurde; und noch ehe die Kirchenglocken die Gemeinde zum Gottes-
dienst luden, rief die große Sturmglocke vom Münster herab die waffenfähigen
Bürger auf die Wälle. Hier rüstete man alles zur Verteidigung, derweil
dort im Münster Tausende von Andächtigen das Lied anstimmten: „Aus
tiefer Not schrei' ich zu dir." Sie thaten's mit der bangen Frage im Herzen,
ob's auch vielleicht der letzte evangelische Gottesdienst sein möchte, der im
ehrwürdigen Münster gefeiert würde.
Der Ammeister hatte sofort nach dem Eintreffen der unerhörten
Kunde einen Unterhändler in das französische Lager gesandt und von dem
Obersten Asfeld Aufklärung über den Gewaltstreich gefordert, hatte aber nur
die Antwort bekommen, er habe auf Befehl des Kriegsministers Louvois
gehandelt. Dieser werde am folgenden Tage selber in der Zollschanze er-
scheinen und erwarte dann die Vertreter der Stadt, um mit ihnen zu ver-
handeln. Nunmehr berief Dietrich den Magistrat zusammen und fand alle
Ratsherrn in Übereinstimmung mit der ganzen Bürgerschaft entschlossen, die
Stadt gegen den ruchlosen Angriff zu verteidigen, wenn nur einige Aussicht
aus Hilfe von außen vorhanden wäre. Eilboten sprengten aus, die dem
Kaiser und dem Reichstag die Bitte um schleunige Hilfe bringen, und andere,
die den straßburgischen Ämtern hin und her im Elsaß den Befehl über-
mitteln sollten, alle streitbaren Kräfte unverzüglich in die Stadt hineinzu-
werfen. Allein als am andern Tage Dominikus Dietrich sich selbst an der
Spitze einer städtischen Abordnung zum Minister Louvois ins französische
Lager begab, da mußte er sich davon überzeugen, daß der feindliche eiserne
Ring um Straßburg schon so fest geschlossen war, daß auf Entsatz keine
Hoffnung mehr blieb. Von Verhandlungen war kaum die Rede. Die
Straßburger Abgeordneten hatten von Louvois einfach die Erklärung ent-
gegenzunehmen, daß die Stadt sich bis zum nächsten Tage frühmorgens zu
entscheiden habe, ob sie ihre Thore öffnen oder sich in einep Aschenhaufen
verwandeln lassen wolle. Bei der gänzlichen Aussichtslosigkeit der Gegen-
wehr blieb der armen Stadt keine andere Wahl als die Übergabe.
Drei prunkvolle aber für sie überaus schmerzliche Einzüge in ihre
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
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Sage und Geschichte.
277
Stadt mußten nun im Laufe weniger Wochen die Straßburger Bürger mit
ansehen: Am 30. September 1681 zog mit klingendem Spiel das franzö-
sische Heer durch die geöffneten Thore ein; und in dumpfer Betäubung und
stummer Niedergeschlagenheit schaute das Volk dem Einmarsch zu. Am 20.
Oktober zog der Bischof Franz Egon von Fürstenberg unter Pauken- und
Trommelschall in seine neue Residenz ein und weihte tags darauf das
wiedergewonnene Münster, in dem am 28. September zum letzten Male
lutherischer Gottesdienst gehalten war, zum Gebrauch für den katholischen
Gottesdienst ein. Mit tiefem Schmerz sah die treue protestantische Gemeinde zu,
wie ihr das herrliche Gotteshaus entrissen ward, um den fünf katholischen
Familien — denn mehr gab es damals in Straßburg nicht — zum Ge-
brauch überwiesen zu werden. Am 23. Oktober endlich hielt der König
Ludwig Xiv selber mit der ganzen königlichen Familie, glänzendem Gefolge
und großem Gepränge seinen Einzug in die Stadt; und mit Abscheu mußten
die Straßburger es mit ansehen und anhören, wie der Bischof ihn mit
seinem ganzen stolzen Klerus am Portal des Münsters empfing, ihn segnete und
sich nicht entblödete, ihn mit den Worten zu begrüßen: „Herr, nun lässest du
deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland
gesehen." Den Evangelischen wurde an Stelle des herrlichen Münsters die
alte Dominikanerkirche zum Gebrauche eingeräumt, die seit hundert Jahren
nicht mehr als Gotteshaus benutzt worden war sondern als Speicher gedient
hatte. Es standen sogar Mühlen darin, die mit Pferden getrieben wurden,
so daß der Fußboden schuhhoch mit Kot und Unrat bedeckt war.
Ludwigs Xiv brennender Wunsch war nun, daß in Straßburg, da-
mit es eine gefügige französische Stadt würde, das katholische Bekenntnis zur
allgemeinen Herrschaft gelange; und damit das rasch von statten gehe,
mußte der von allen seinen Mitbürgern so hoch verehrte Ammeister ein
zur Nachahmung hinreißendes Beispiel geben. Weil aber Dominikus Dietrich
jede Zumutung, seinen Glauben zu verleugnen, standhaft ablehnte, so sollte
er dazu gezwungen werden. Und das wurde so eingeleitet: Im Februar
1685 erhielt er einen Kabinettsbefehl aus Paris, bei Hofe zu Versailles zu
erscheinen, weil sich der König persönlich mit ihm über wichtige Angelegen-
heiten der Stadt besprechen wolle. Mit tief bekümmertem Herzen trat der
sechsundsechzigjährige Ammeister die Reise nach Paris und Versailles an,
deren eigentlicher Zweck ihm deutlich genug bewußt war.
In sehr zuvorkommender Weise wurde er von den Ministern empfangen;
aber die Höflichkeit der Behandlung ließ merklich nach, als Dominikus
Dietrich allen Andeutungen gegenüber, daß sein Übertritt zur römischen Kirche
dem Könige erwünscht sein würde, völlig taub blieb. Wochenlang mußte er
täglich in seiner Amtstracht bet Hofe erscheinen. Aber weder erhielt er die
in Aussicht gestellte Audienz beim Könige noch eine Aufklärung über den
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
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Dietrich
Extrahierte Ortsnamen: Straßburg Straßburg Paris Paris Versailles
294
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
— Gewiß wird es besser werden; das verbürgt der Glaube an Gott. Aber
es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich
auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem
jetzt freilich glänzenden Throne ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit
und Gerechtigkeit; und er ist nur klug, und er richtet sich nicht nach ewigen
Gesetzen. Dabei befleckt er seine Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten.
Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er
und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches
Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Er
ist von seinem Glücke geblendet, und er meint, alles zu vermögen. Dabei
ist er ohne alle Mäßigung; und wer nicht Maß halten kann, verliert das
Gleichgewicht und fällt. Ich glaube fest an Gott, also auch an eine sittliche
Weltordnung. Diese sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deshalb bin
ich der Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird.
Diese hoffen, wünschen und erwarten alle besseren Menschen; und durch die
Lobredner der jetzigen und ihres großen Helden darf man sich nicht irre
machen lassen. Ganz unverkennbar ist alles, was geschehen ist und geschieht,
nicht das Letzte und Gute, wie es werden und bleiben soll, sondern nur die
Anbahnung des Weges zu einem besseren Ziele hin. Dieses Ziel scheint aber
in weiter Entfernung zu liegen; wir werden es wahrscheinlich nicht erreicht
sehen und darüber hinsterben. Wie Gott will; alles wie er will! Aber ich
finde Trost, Kraft und Mut und Heiterkeit in dieser Hoffnung, die tief in
meiner Seele liegt. Ist doch alles in dieser Welt nur Übergang! Wir müssen
durch. Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und besser
werden!"
3. Drei Jahre verlebte die königliche Familie fern von der Hauptstadt
in selbstgewählter Zurückgezogenheit und Beschränkung. Jetzt sehnte sich die
Königin heim nach Berlin; und endlich im Dezember 1809 ward die Reise
angetreten, die durch die Liebe des Volkes sich zu einem Triumphzuge ge-
staltete. Am 23. Dezember, an demselben Tage, an dem vor sechzehn Jah-
ren die Braut eingezogen war, hielt das Königspaar seinen Einzug. Der
Empfang hätte nicht herzlicher sein können; doch mehr Augen waren naß
von Wehmut und von Schmerz als von Freude. Der schönen Königin, die
sich dem begrüßenden Volke am Fenster zeigte, sah man an den rotgeweinten
Augen den tiefen Gram in der Wonne an.
Und nicht lange mehr sollte sie unter ihrem Volke weilen. Öfter fühlte
sie sich körperlich angegriffen, und Todesahnungen gingen durch ihre Seele.
Sie verlangte noch einmal nach der mecklenburgischen Heimat zu ihrem
Vater und ihren Geschwistern. Ende Juni ward die Reise dahin angetreten.
Welch eine Freude für die glückliche Gattin und Mutter, nun auch die Ihri-
gen wiederzusehen! Aber überraschend schnell entwickelte sich die Krankheit,
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Extrahierte Personennamen: Napoleon_Bonaparte Napoleon
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Iv. Bilder aus der Erdkunde,
größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes zu hinterlassen, auf den
sie Anspruch haben." Diese Kundgebung machte einen tiefen Eindruck im
ganzen Vülke. Mit warmen Worten legte auch Fürst Bismarck im Reichstag
die Absichten des Kaisers klar. „Es ist sein Bestreben," sagte er, „daß auch
die bisher Schutzlosen im Staate die Überzeugung gewinnen, daß der Staat
nicht bloß ihrer gedenkt, wenn sie Rekruten stellen oder Steuern zahlen sollen,
sondern daß er auch an sie denkt, wenn es gilt, sie zu schützen und zu stützen,
damit sie mit ihren schwachen Kräften auf der großen Heerstraße des Lebens
nicht übergerannt und nicht niedergetreten werden." Um sein schönes Ziel
rascher zu erreichen, erließ der Kaiser im folgenden Jahre eine zweite Bot-
schaft. Er wies darin auf sein hohes Alter hin und sprach den Wunsch aus,
den Segen der neuen Gesetze noch vor seinem Ende zu sehen. Die Botschaft
schloß mit den zu Herzen gehenden Worten: „Unsere kaiserlichen Pflichten
gebieten Uns, kein in Unserer Macht stehendes Mittel zu versäumen, um die
Besserung der Lage der Arbeiter und den Frieden der Berufsklassen unter
einander zu befördern, solange Gott uns Frist giebt zu wirken."
Die beiden Gesetze, welche die Arbeiter gegen die durch Erkrankung
oder Unglücksfälle hervorgerufene Rot sicher stellen, kamen in den Jahren
1883 und 1884 zu stände. Die Kosten der Krankenversicherung tragen zum
größeren Teil die Arbeitgeber, zum kleineren die Arbeiter; zur Unfallver-
sicherung aber brauchen die Arbeiter nichts zu leisten. Auch für die Hinter-
bliebenen verunglückter Arbeiter wird Sorge getragen. Seitdem diese Ver-
sicherungen in Kraft getreten sind, ist nian noch eifriger darauf bedacht, durch
geeignete Vorkehrungen in Fabriken und Werkstätten Erkrankungen und Un-
fälle der Arbeiter zu verhüten.
Sollte indessen das Versprechen der kaiserlichen Botschaft ganz eingelöst
werden, so blieb noch übrig, die Alters- und Jnvaliditätsversiche-
rung einzurichten. Hieran ging die Regierung im Jahre 1887. Man war
sich von vornherein klar, daß gegen die Folgen von Alter und Invalidität
ein viel weiterer Kreis geschützt werden müßte als gegen die Folgen von
Krankheiten und Unfällen, und daß deshalb hier ein Nersicherungsumsang
gewählt werden müßte, in welchem möglichst alle als Arbeiter, Gehilfen, Ge-
sellen, Lehrlinge oder Dienstboten beschäftigten Personen ihren Platz fünden.
Den Ausgang der ganzen Angelegenheit erlebte Kaiser Wilhem I nicht
mehr; erst unter seinem Enkel kam das Gesetz zu stände, das am 1. Januar
1891 Gültigkeit erlangte. Es darf mit Recht behauptet werden, daß kein
Land in der ganzen Welt sich in solcher Weise der arbeitenden Klassen ange-
nommen hat wie Deutschland.
Dem Kaiser Wilhelm I aber bleibt der Ruhm, den Anstoß gegeben zu
haben zu Einrichtungen, deren Segen zu leugnen nur die wagen können, die
von der Erregung oder Erhaltung von Unzufriedenheit in den Kreisen der
Arbeiter für sich einen Nutzen erhoffen. Nach Conrad.
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Extrahierte Personennamen: Wilhem_I Wilhelm Conrad