Erzählungen und Gedichte.
19
Einige von ihnen, die noch immer das Unrecht schmerzte, das er ihnen ehe-
dem angethan hatte, wollten nun ihren Haß an ihm auslassen. Der arglistige
Fuchs kränkte ihn mit beißenden Reden; der Wolf rief ihm die ärgsten
Schimpfwörter zu; der Ochs stieß ihn mit seinen Hörnern; das wilde Schwein
verwundete ihn mit seinen Hauern, und selbst der träge Esel gab ihm einen
Schlag mit seinem Hufe.
Das edle Pferd allein stand dabei und that ihm nichts, obwohl der
Löwe seine Mutter zerrissen hatte. „Willst du nicht," fragte der Esel, „dem
Löwen auch eins hinter die Ohren geben?" Das Pferd antwortete ernsthaft:
„Ich halte es für niederträchtig, mich an einem Feinde zu rächen, der mir
nicht mehr schaden kann."
Lefsing.
26. Sprichwörter.
1. Eine blinde Henne findet wohl auch ein Korn.
2. Wenn die Maus satt ist, so ist das Mehl bitter.
8. Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.
4. Keine Regel ohne Ausnahme.
5. Kleider machen Leute.
6. Wer die Wahl hat, hat auch die Qual.
7. Gedanken sind zollfrei.
8. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
9. Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.
27. (36.) Der Zaunkönig und der Bär.
Zur Sommerzeit gingen einmal der Bär und der Wolf im Walde
spazieren. Da hörte der Bär so schönen Gesang von einem Vogel und
sprach: „Bruder Wolf, was ist das für ein Vogel, der so schön singt?" —
„Das ist der König der Vögel," sagte der Wolf, „vor dem müssen wir uns
neigen." Es war aber der Zaunkönig. „Wenn das ist," sagte der Bär,
„so möchte ich auch gern seinen königlichen Palast sehen. Komm und führe mich
hin!" — Das geht nicht so, wie du meinst," sprach der Wolf, „du mußt
warten, bis die Frau Königin kommt." Bald darauf kam die Frau Königin
und hatte Futter im Schnabel und der Herr König auch und wollten ihre
Jungen ätzen. Der Bär wäre nun gern gleich hinterdreingegangen; aber
der Wolf hielt ihn am Ärmel und sagte: „Nein, du mußt warten, bis Herr
und Frau Königin wieder fort sind." Also nahmen sie das Loch in acht,
wo das Nest stand, und trabten wieder ab.
Der Bär aber hatte keine Ruhe, wollte den königlichen Palast sehen
und ging nach einer kurzen Weile wieder vor. Da waren König und Königin
richtig ausgeflogen. Er guckte hinein und sah fünf oder sechs Junge, die
lagen darin. „Ist das der königliche Palast?" rief der Bär, „das ist ein
2*
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Erzählungen und Gedichte.
41
2. Es schwammen an der Küste, daß es die Nahrung sei,
den Mönchen in dem Kloster jährlich zwei Fisch' herbei.
Sie hätten sich sollen begnügen!
3. Zwei Störe, groß, gewaltig; dabei war das Gesetz,
daß jährlich sie den einen fingen davon im Netz.
Sie hätten sich sollen begnügen!
4. Der andre schwamm von dannen bis auf das andre Jahr;
da bracht' er einen neuen Gesellen mit sich dar.
Sie hätten sich sollen begnügen!
5. Da fingen wieder einen sie sich für ihren Tisch;
sie fingen regelmäßig jahraus, jahrein den Fisch.
Sie hätten sich sollen begnügen!
6. Einst kamen zwei so große in einem Jahr herbei;
schwer ward die Wahl den Mönchen, welcher zu sangen sei.
Sie hätten sich sollen begnügen!
7. Sie fingen alle beide; den Lohn man da erwarb,
daß sich das ganze Kloster den Magen dran verdarb.
Sie hätten sich sollen begnügen!
8. Der Schaden war der kleinste; der größte kam nachher:
es kam nun gar zum Kloster kein Fisch geschwommen mehr.
Sie hätten sich sollen begnügen!
9. Sie hat so lange gnädig gespeiset Gottes Huld;
daß sie nun des sind ledig, ist ihre eigne Schuld.
Sie hätten sich sollen begnügen! Mckert.
52. (4.) Nützliche Lehren. (2.)
1. Mit den Wölfen muss man heulen. Das heisst: Wenn
man zu unvernünftigen Leuten kommt, muss man auch unvernünftig thun
wie sie. Merke: Nein! das muss man nicht; sondern erstlich: Du sollst
dich nicht unter die Wölfe mischen sondern ihnen aus dem Wege gehen.
Zweitens: Wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen:
Ich bin ein Mensch und kein Wolf; ich kann nicht so schön heulen
wie ihr. Drittens: Wenn ein Fall kommt, wo du meinst, es sei nimmer
anders von ihnen loszukommen, so kannst du ein- oder zweimal mit-
beilen, aber du sollst nicht mit ihnen beifsen und anderer Leute
Schafe fressen; sonst kommt zuletzt der Jäger, und du wirst mit ihnen
geschossen. Eher lass dich von den Wölfen fressen, als dass du mit
ihnen nur ein Lamm frisst!
2. Frisch gewagt ist halb gewonnen. Daraus folgt: Frisch
gewagt ist auch halb verloren. Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt
man auch: Wagen gewinnt, Wagen verliert. Was muss also
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4
I. Fabeln, Märchen und belehrende
„Nun gut!“ sprach die alte zu der kleinen, „du hast so schön
geraten, so magst du der Katze die Schelle anhängen.“
„Ich?“ sprach die junge Maus, „nein, das kann ich doch nicht
wagen!“ — „Und ich auch nicht, und ich auch nicht!“ riefen die andern.
Schnell lief die ganze Versammlung aus einander. Die Katze aber geht
noch ohne Schelle umher bis auf den heutigen Tag. Brandauer.
5. (6.) Drei Paare and einer.
Du hast zwei Ohren und einen Mund; willst du's beklagen?
Gar vieles sollst du hören und — wenig drauf sagen.
Du hast zwei Augen und einen Mund; mach' dir's zu eigen!
Gar manches sollst du sehen und — manches verschweigen.
Du hast zwei Hände und einen Mund; lern' es ermessen!
Zweie sind da zur Arbeit und — einer zum Essen. Rackert.
6. (16 a.) Der Wolf und das Lämmlein.
Ein Wolf und ein Lämmlein kamen von ungefähr beide an einen Bach,
um zu trinken. Der Wolf trank oben am Bache, das Lämmlein aber weiter
unten. Da nun der Wolf des Lämmleins gewahr ward, lief er zu ihm und
sprach: „Warum trübst du mir das Wasser, daß ich nicht trinken kann?"
Das Lämmlein antwortete: „Wie kann ich dir das Wasser trüben? Trinkst
du doch über mir und möchtest es mir wohl trüben." Der Wolf sprach:
„Wie? Fluchst du mir noch dazu?" Das Lämmlein antwortete: „Ich fluche
dir ja nicht." Der Wolf sprach: „Ja, dein Vater that mir vor sechs Mon-
den auch ein solches." Das Lämmlein antwortete: „Bin ich doch dazumal
noch gar nicht geboren gewesen; wie soll ich meines Vaters Schuld entgelten?"
Der Wolf sprach: „So hast du mir aber meine Wiesen und Äcker abgenagt
und verderbet." Das Lämmlein antwortete: „Wie ist das möglich? Hab'
ich doch noch keine Zähne!" — „Ei," sprach der Wolf, „und wenn du gleich
viel Ausreden hast, so sollst du doch heute nicht ungefressen bleiben." Also
würgte er das unschuldige Lämmlein und fraß es. Luther.
7. Die gefährliche Brücke.
1. Ein guter, dummer Bauernknabe,
den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm,
und der trotz seinem Herrn mit einer guten Gabe,
recht dreist zu lügen, wiederkam,
ging kurz nach der vollbrachten Reise
mit seinem Vater über Land.
Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand,
log auf die unverschämt'ste Weise.
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Erzählungen und Gedichte.
15
22. (133.) Die Bärenhaut.
Zwei Jägerburschen hörten von einem großen, starken Bären, der sich
im nahen Walde aufhalten sollte, und freuten sich schon im voraus auf
den schönen Pelz, den sie ihm abziehen wollten. „Wenn ich ihn schieße,"
sagte der eine, „so lasse ich mir aus dem Pelz einen Mantel machen; der
soll mich im Winter hübsch wärmen." — „Nein!" sagte der andere, „schieße
ich ihn, so verkaufe ich den Pelz. Der Kürschner bezahlt mir zehn Thaler
dafür; die sollen mir schön in dem Beutel klingen."
Unterdessen war es Zeit geworden, in den Wald zu gehen. Als sie
aber dort so allein waren und von ferne das Brummen des Bären hörten,
da wurde es ihnen doch ein wenig bange. Als der Bär nun gar näher
kam, da warf der, welcher den Pelz verkaufen wollte, seine Flinte weg und
kletterte so schnell als möglich auf einen Baum. Der andere aber, der sich
auch nicht zu bleiben getraute, konnte nicht mehr flüchten. Zum Glück fiel
ihm ein, daß Bären keinen toten Menschen anrühren. Er warf sich also
auf den Boden, hielt den Atem an und streckte sich hin, als wenn er tot
wäre. Der Bär kam grimmig auf ihn zu; als er aber sah, daß der Bursche
kein Glied rührte, beroch er ihn ein wenig und lief dann weiter, ohne ihm
ein Leid zu thun. Wie nun der Bär weit genug fort war, erholten sich
die beiden von ihrem Schrecken; der eine stieg von dem Baume herunter,
und der andere stand vom Boden auf.
Da fragte der, welcher von oben zugesehen hatte, den andern spöttisch:
„Hör' einmal, was hat dir denn der Bür ins Ohr gesagt?" — „Ja," er-
widerte der andere, „alles habe ich nicht genau verstanden; aber eins hat
er mir deutlich ins rechte Ohr gesagt, nämlich: Man soll die Haut des
Bären nicht verkaufen, bevor man den Bären hat. Und in das linke Ohr
hat er mir gesagt: Wer seinen Freund in der Not im Stiche läßt, ist ein
schlechter Kerl." Curtmann.
23. (32.) Blau Veilchen.
1. Ein kleines Blauveilchen
stand eben erst ein Weilchen
unten im Thal am Bach;
da dacht' es einmal nach
und sprach:
„Daß ich hier unten blüh',
lohnt sich kaum der Müh';
muß mich überall bücken
und drücken;
bin so ins^Niedre gestellt,
sehe gar nichts von der Welt.
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62
I. Fabeln, Märchen und belehrende
Da konnt,' er doch der Lust nicht
wehren.
Er sah nicht des Kameles Wut
und nicht den Drachen in der Flut
und nicht der Mäuse Tückespiel,
als ihm die Beer' ins Auge fiel.
Er liess das Tier von oben rauschen
und unter sich den Drachen
lauschen
und neben sich die Mäuse nagen,
griff nach den Beerlein mit Be-
hagen.
Sie deuchten ihm zu essen gut,
ass Beer' auf Beerlein wohlgemut,
und durch die Süssigkeit im Essen
war alle seine Furcht vergessen.
Du fragst: Wer ist der thöricht'
Mann,
der so die Furcht vergessen kann?
So wiss’, o Freund, der Mann
bist du;
vernimm die Deutung auch dazu!
Es ist der Drach’ im Brunnen-
grund
des Todes aufgesperrter Schlund,
und das Kamel, das oben droht,
es ist des Lebens Angst und Not.
Du bist’s, der zwischen Tod und
Leben
am grünen Strauch der Welt musst
schweben.
Die beiden, so die Wurzel nagen,
dich samt den Zweigen, die dich
tragen,
zu liefern in des Todes Macht,
die Mäuse heissen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze wohl ver-
borgen
vom Abend heimlich bis zum
Morgen;
es nagt vom Morgen bis zum Abend
die weisse, wurzeluntergrabend.
Und zwischen diesem Graus und
Wust
lockt dich die Beere — Sinnenlust,
dass du Kamel — die Lebensnot,
dass du im Grund den Drachen
— Tod,
dass du die Mäuse — Tag und
Nacht,
vergissest und auf nichts hast acht,
als dass du recht viel Beerlein
haschest,
aus Grabes Brunnenritzen naschest.
Friedr. Rückert.
69. (4.) Nützliche Lehren. (3.)
1. Einmal ist keinmal. Dies ist das erlogenste und schlimmste
unter allen Sprichwörtern; und wer es gemacht hat, der war ein schlechter
Rechenmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens einmal, und davon
läßt sich nichts abmarkten. Wer einmal gestohlen hat, der kann sein Leben
lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen sagen: Gottlob! ich
habe mich nie an fremdem Gut vergriffen; und wenn der Dieb erhascht und
gehängt wird, alsdann ist einmal nicht keinmal. — Aber das ist noch nicht
alles, sondern man kann meistens mit Wahrheit sagen: Einmal ist zehnmal
und hundert- und tausendmal. Denn wer das Böse einmal angefangen hat,
der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern
B; und alsdann tritt zuletzt ein anderes Sprichwort ein: Der Krug geht
so lange zum Brunnen, bis er bricht.
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und ihrem Leben.
67
seltener auch mit seinem Weibchen. Sein Heller Ruf klingt weit durch die
Lüfte und erfüllt das kleinere Geflügel mit Schrecken. Wenn er sich seiner
Beute nähert, senkt er sich allmählich festen Blickes auf sein Opfer und stößt
dann blitzschnell in schiefer Linie darauf los. Keins unserer kleineren Tiere
ist vor seiner Kralle sicher; Rehkälber, Hasen, wilde Gänse, Lämmer, Ziegen,
die er kühn vor Ställen und Häusern wegholt, Füchse, Dachse, Katzen, Feld-
und Waldhühner, Hunde, Trappen, Störche, zahmes Geflügel, selbst Ratten,
Maulwürfe und Mäuse sind ihm angenehm, vorzüglich aber Hasen, die er
seinen Jungen stundenweit mit ungeschwächter Kraft zuträgt. Den Vier-
füßler rettet der flüchtigste Lauf nicht; eher den kleinen Vogel der hastige
Flug. Der Adler setzt seine Jagd mit ebenso großer Beharrlichkeit wie
List fort und ermüdet das flinke Rebhuhn und die rasche Waldschnepfe durch
fortgesetzte Verfolgung. Oft jagt er dem Wanderfalken seine Taube, dem
Habicht sein Haselhuhn ab. Wo er einmal gute Beute gemacht hat, dahin
kehrt er gern zurück. Im Winter stößt er oft auf Aas. In der Gefangen-
schaft kann er ohne völlige Erschöpfung vier bis fünf Wochen lang hungern.
An den unzugänglichsten Felswänden baut er aus groben Stöcken,
Stengeln, Heidekraut und Haaren einen roh gefügten, flachen Horst, den er
mit drei bis vier weißen, braungesprenkelten, sehr großen Eiern besetzt.
Den Mitte Mai ausschlüpfenden Jungen bringen die Eltern allerlei Wild-
bret zu und zerfleischen es vor ihren Augen am Rande des Nestes.
Obgleich minder gewaltig als die Lämmergeier, sind die Steinadler
doch von stolzerer, würdigerer Haltung, die das Gepräge der Freiheit und
Unabhängigkeit trägt. Ihre Kraft ist außerordentlich. — Ein mächtiger
Adler am Säntisstocke stürzte sich auf einen Ziegenbock herab und versuchte,
ihn in die Luft zu entführen. Teils erschreckt durch das Geschrei der nahen
Heuerleute, teils weil ihm die Last doch zu schwer wurde, ließ er sie bald
wieder fallen. Das gerettete Tier wog nicht weniger als sechzig Pfund,
eine Last, die alle ähnlichen Maße bekannt gewordener Raubfälle weit übersteigt.
Ein besonderes Abenteuer begab sich im November 1865 im Grau-
bündener Oberlande: Als der Postwagen in die Nähe des bergunikränzten
Tavanasa gelangte, bemerkten die Reisenden in den Lüften zwei heftig mit
einander kämpfende Steinadler. Die Tiere zausten sich, daß die Federn
stoben, und verkrallten sich so, daß sie auf die Erde herabstürzten. Der
Schaffner sprang aus dem Wagen und schlug mit dem Stocke eines Fahr-
gastes beide tot. afci;ubi.
75. Gott weitz es.
1. Weißt du, wieviel Sterne
stehen
an dein blauen Himmelszelt?
Weißt du, wieviel Wolken gehen
weithin über alle Welt?
Gott der Herr hat sie gezählet,
daß ihm auch nicht eines fehlet
an der ganzen großen Zahl.
5*
188
Ii. Bilder aus der Natur
das mit dem Hammer nicht verarbeitet werden kann. Damit es nun aber
auch für die Werkstatt der Schlosser und Schmiede brauchbar werde, muß
der Kohlenstoff mit Gewalt entfernt werden. Man bringt daher die Eisen-
würfel in einem Hammerwerk zur Weißglühhitze. Dann schlagen mächtige
Hämmer auf die erweichte Masse, und die darin enthaltene Kohle verbrennt,
so daß kaum eine Spur davon im Eisen verbleibt. Das spröde Metall ist
nun so zähe und dehnbar geworden, daß es sich leicht schmieden, zu feinem
Draht ausziehen und in dünne Bleche auswalzen läßt. So gewinnt man
das St ab eisen. Zwei glühende Stücke Stabeisen lassen sich zusammen-
schweißen; sie werden durch bloßes Hämmern so vereinigt, daß sie fortan
nur eine Masse bilden. Das ist ein Vorzug, den das Eisen vor den meisten
andern Metallen voraus hat.
Der Stahl nimmt durch verschiedene Grade des Erhitzens verschiedene
Farben und Härtegrade an. Wenn man eine Stricknadel in eine Kerzen-
flamme hält und zum Glühen bringt, so wird an der heißesten Stelle der
Stahl schwarz aussehen und weiter und weiter bläulich, rötlich und gelblich
erscheinen. Läßt man den Stahl glühen und kühlt ihn dann plötzlich im
Wasser ab, so wird er spröde und härter als jeder andere Körper mit Aus-
nahme des Diamanten. Aus dem gehärteten Stahl werden die meisten
Werkzeuge gemacht. Grube.
154. (197.) Der Hirt und die Schäflein.
1. Auf einer großen Weide gehen
viel tausend Schafe silberweiß.
Wie wir sie heute wandeln sehen,
sah sie der allerältste Greis.
2. Sie altern nie und trinken Leben
aus einem unerschöpften Born.
Ein Hirt ist ihnen zugegeben
mit schön gebognem Silberhorn.
3. Er treibt sie aus zu goldnen Thoren,
er überzählt sie jede Nacht
und hat der Lämmer keins verloren,
so oft er auch den Weg vollbracht.
4. Ein treuer Hund hilft sie ihm leiten;
ein muntrer Widder geht voran.
Die Herde, kannst du sie mir deuten?
I und auch den Hirten zeig' mir an!
Schiller.
155. (198.) Das Kamel.
Das eigentliche Tier der Sahara, so ganz und gar für die Natur
der Wüste gebaut, ist das Kamel. Sein Höcker ersetzt das Futter, das die
Wüste dem Tiere so oft versagt. Er besteht nämlich aus einer fettigen Masse,
die unverhältnismäßig anwächst, wenn das Kamel reichliche Nahrung empfängt,
dagegen zusammenschrumpft, wenn es lange ohne Nahrung bleibt. Will
man eine große Reise unternehmen, so wird der Höcker vorher erst untersucht.
Findet er sich gut mir Fett besetzt, so kann das Tier selbst bei mäßigem
Futter große Mühsale ertragen. Die Natur hat ihm also in dem Höcker
gewissermaßen eine Vorratskammer gegeben, die in ähnlicher Weise seinen
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TM Hauptwörter (200): [T107: [Eisen Gold Silber Kupfer Blei Metall Salz Zinn Stein Mineral], T195: [Pferd Tier Hund Schaf Löwe Wolf Rind Mensch Schwein Thiere], T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T124: [Wasser Luft Sauerstoff Körper Stoff Kohlensäure Teil Feuer Pflanze Kalk], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
Sage und Geschichte.
275
275. Dominikus Dietrich von Stratzburg.
Im Jahre 1660 starb der regierende Ammeister, d. h. der Oberbürger-
meister, der damaligen deutschen freien Reichsstadt Straßburg. Zu seinem
Amtsnachfolger erwählten die Bürger einmütig Dominikus Dietrich, einen
echt deutschen Mann von altem Schrot und Korn und dazu einen treuen,
gläubigen evangelischen Christen. Er war 1620 geboren und hatte also
erst als achtundzmanzigjähriger Mann aus eigener Anschauung kennen ge-
lernt, wie ein Land im Frieden aussieht. Und als nach dreißig Jahre
langem Blutvergießen, Rauben, Plündern, Brennen und Morden im Jahre
1648 auch in Straßburg sich die Klänge des Paul Gerhardschen Liedes zum
Himmel aufschwangen: „Gottlob, nun ist erschollen das edle Fried- und
Freudenwort," da hatte er zwar mit seinen Mitbürgern darüber gejubelt, daß
seine geliebte Vaterstadt sich aus den Verhandlungen des westfälischen Friedens
noch glücklich als freie und protestantische deutsche Reichsstadt herausgerettet
hatte; er hatte aber auch mit ihnen gebangt und gezagt bei der Frage,
wie lange es der Stadt gelingen werde, sich diese kostbaren Güter zu be-
wahren. Jetzt, als er 40 Jahre alt war, wälzte das Vertrauen seiner
Mitbürger, das ihn zum Oberhaupte der Stadt wählte, die schwere Last auf
seine Schultern, das schwache Schifflein durch die tosenden Wellen unge-
fährdet hindurchzusteuern.
Straßburg gehörte als freie, unabhängige Stadt zum heiligen römischen
Reiche deutscher Nation. Ja, das mochte ihr Ehre und Ansehen schaffen,
Schutz und Rückhalt gewährte ihr diese Stellung nicht. Denn was war
das deutsche Reich so, wie es aus dem dreißigjährigen Kriege hervorgegangen
war, anders als ein lose zusammengeworfener Haufen einzelner Länder
und Länderchen ohne Einheit und Zusammenhalt? Trotz seines Hauptes, das
den stolzen Titel Kaiser führte, außer dem leeren Namen aber so gut wie
nichts mehr vom Kaisertum besaß, war es ein kraftloser Körper, der keins
seiner Glieder gegen Angriffe von außen her zu verteidigen vermochte.
Und wie sehr hätte gerade Straßburg eines kräftigen Schutzes bedurft!
War doch diese Stadt, weil im westfälischen Frieden das ganze schöne Elsaß
mit Ausnahme der darin liegenden Bistümer und freien Reichsstädte schmäh-
licherweise an Frankreich abgetreten war, rings umgeben von dieser fremden
Macht; und saß doch in Frankreich gerade damals ein König auf dem Throne,
der mit seinem berüchtigten Grundsätze „Der Staat bin ich" nur zwei Ziele
seines Strebcns kannte: im eigenen Lande unumschränkte Alleinherrschaft
über Hab und Gut, über Leib und Leben, ja selbst über die Gewissen seiner
Unterthanen, nach außen Machtentfaltung und Ausdehnung seiner Reichs-
grenzen. Ludwig Xiv, so hieß dieser König, vor dem Europa zitterte,
wenn er zürnte, schien da, wo bei anderen Menschen das Gewissen seine
Stelle hat, nur teuflische Klugheit, Hinterlist und Tücke zu besitzen. Da war
18'
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
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Extrahierte Personennamen: Dominikus_Dietrich_von_Stratzburg Dominikus_Dietrich Ludwig_Xiv Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Straßburg Frankreich Frankreich Europa
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I Fabeln, Märchen und belehrende
erbärmlicher Palast! Ihr seid auch keine Königskinder, ihr seid unehrliche
Kinder!" Wie das die jungen Zaunkönige hörten, wurden sie gewaltig bös
und schrieen: „Nein, das sind wir nicht; unsere Eltern sind ehrliche Leute.
Bär, das soll ausgemacht werden mit dir!" Dem Bären und dem Wolfe
ward angst; sie kehrten um und setzten sich in ihre Höhlen.
Die jungen Zaunkönige aber schrieen und lärmten fort, und als ihre
Eltern wieder Futter brachten, sagten sie: „Wir rühren kein Fliegenbeinchen
an, und sollten wir verhungern, bis ihr erst ausgemacht habt, ob wir ehr-
liche Kinder sind oder nicht; der Bär ist da gewesen und hat uns gescholten."
Da sagte der alte König: „Seid nur ruhig, das soll ausgemacht werden!"
flog darauf mit der Frau Königin dem Büren vor seine Höhle und rief
hinein: „Alter Brummbär, warum hast du meine Kinder gescholten? Das
soll dir übel bekommen; das wollen wir in einem blutigen Kriege ausmachen."
Also war dem Bären der Krieg angekündigt, und ward alles vierfüßige Ge-
tier berufen: Ochs, Esel, Rind, Hirsch, Reh und was die Erde sonst alles
trägt. Der Zaunkönig aber berief alles, was in der Luft fliegt; nicht allein
die Vögel, groß und klein, sondern auch die Mücken, Hornissen, Bienen und
Fliegen mußten herbei.
Als nun die Zeit kam, wo der Krieg angehen sollte, da schickte der
Zaunkönig Kundschafter aus, wer der kommandierende General des Feindes
wäre. Die Mücke war die listigste von allen, schwärmte im Walde, wo der
Feind sich versammelte, und setzte sich endlich unter ein Blatt auf den Baum,
wo die Parole ausgegeben wurde. Da stand der Bär, rief den Fuchs vor
sich und sprach: „Fuchs, du bist der schlaueste unter allem Getier; du sollst
General sein und uns anführen!" — „Gut", sagte der Fuchs, „aber was für
Zeichen wollen wir verabreden?" Niemand wußte es. Da sprach der Fuchs:
„Ich habe einen schönen, langen, buschigen Schwanz, der sieht fast aus wie
ein roter Federbusch. Wenn ich den Schwanz in die Höhe halte, so geht die
Sache gut, und ihr müßt darauf los marschieren; lass' ich ihn aber herunter-
hängen, so lauft, was ihr könnt." Als die Mücke das gehört hatte, flog
fick wieder heim und verriet dem Zaunkönige alles haarklein.
Als der Tag anbrach, wo die Schlacht sollte geliefert werden, hu! da
kam das vierfüßige Getier dahergerannt mit Gebraus, daß die Erde zitterte.
Zaunkönig mit seiner Armee kam auch durch die Luft daher; die schnurrte,
schrie und schwärmte, daß einem angst und bange wurde; und sie gingen
von beiden Seiten an einander. Der Zaunkönig aber schickte die Hornisse
hinab, sie sollte sich dem Fuchs unter den Schwanz setzen und aus Leibes-
kräften stechen. Wie nun der Fuchs den ersten Stich bekam, zuckte er, daß
er das eine Bein aufhob; doch ertrug er's und hielt den Schwanz noch in
die Höhe; beim zweiten Stiche mußte er ihn einen Augenblick herunterlassen;
beim dritten Stiche aber konnte er sich nicht mehr halten, schrie und nahm
Erzählungen und Gedichte.
11
der Listige, „friß nur nicht zu viel!" Da sagte der Wolf: „Ich gehe nicht
eher fort, als bis das Faß leer ist." Indem kam der Bauer, der den Lärm
von des Fuchses Sprüngen gehört hatte, in den Keller. Als der Fuchs ihn
sah, mar er mit einem Satze zum Loche hinaus. Der Wolf wollte nach,
aber er hatte sich so dick gefressen, daß er nicht mehr durch konnte sondern
stecken blieb. Da kam der Bauer mit einem Knüppel und schlug ihn tot.
Der Fuchs aber sprang in den Wald und war froh, daß er den alten
Nimmersatt los war. Gebr. Gnmm.
19. (25.) Der Löwe und der Wolf.
1. Inmitten seiner Reichsreviere
schlug König Leu und Meister Bär
den Richtstuhl auf; das Volk der Tiere
stund nach der Ordnung um sie her.
2. Die Kuh erschien zuerst und klagte
der Tiere strengem Oberhaupt:
ihr Kind, das Kalb, hab', eh' es tagte,
ein unbekannter Dieb geraubt.
3. Der Löwe sah umher, zu hören,
wem sonst davon was wissend sei.
„Ich," sprach der Wolf, „kann heilig schwören,
Herr König, ich war nicht dabei."
4. „Und wer verklagt dich?" sprach der König.
„Verleumder," fiel ihm jener ein,
„ich bin jetzt krank und esse wenig
und kann es nicht gewesen sein."
5. „Schweig!" rief der Löwe, „das Gewissen
läßt einen Buben nirgends ruhn.
Du hast der Kuh ihr Kalb zerrissen;
der Bär soll dir desgleichen thun!"
6. So starb der Wolf; und wie man saget,
verriet sein Bauch, was er gethan.
Wer sich entschuldigt, eh' man klaget,
der giebt sich selbst zum Thäter an. «Mwer.
20. (27 a.) Rotkäppchen.
Es war einmal eine kleine süsse Dirne, die hatte jedermann lieb, der
sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Grossmutter; die wusste gar nicht,
was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein
Käppchen von rotem Sammet; und weil ihm das so wohl stand und es
nichts anderes mehr tragen wollte, hiess es nur das Rotkäppchen. Eines
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