Sage und Geschichte.
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Bauern Wolf Jsebrand in der Nähe von Hemmingstedt eine Schanze er-
richtet, das Dusendüwelswarf genannt, und erwarteten hier etwa 1000 Mann
stark den Feind.
Am Montag, dem 17. Februar, gegen Morgen hatte sich der Nordwest-
wind, der schon seit dem Abend vorher wehte, zum Sturme entwickelt, der
rastlos schwarze Wolken über das Land dahintrieb und ihren Inhalt, Regen,
Hagel und Schnee mit einander vermischt in wilden Schauern zur Erde
schleuderte. Hans von Ahlefeld, der Feldmarschall, riet vom Aufbruch ab,
und einige holsteinische Adelige, die die Marsch wohl kannten, stimmten ihm
bei; aber Junker Slenz, der Anführer der zu dem Heereszuge angeworbenen,
aus Landsknechten bestehenden großen Garde, hatte nur Spott und Hohn
für ihre Ängstlichkeit.
Der Aufbruch ward befohlen, und unter Trompetenklang ging es die
Norderstraße Meldorfs entlang. Voran marschierte die Garde. Junker Slenz
im goldenen Harnisch an ihrer Spitze, die gewaltige, riesenmäßige Erscheinung,
auf die jeder Landsknecht mit Stolz und Vertrauen blickte. Übermütig zog
das stolze Corps dahin, seine Banner wehten, und aus rauhen Kehlen er-
scholl der Schlachtruf: „Wahr di, Buer, de Gard de kummt!" So ging's
in die fette Marsch hinein.
Aber ein fürchterliches Stück Arbeit war es, auf dem Wege fortzu-
kommen. Das Schlachtgeschrei der Garde, ja fast alles Reden im Zuge
verstummte nach und nach völlig. Die aus den breiten Seitengräben auf
den Weg geworfene Kleierde, die noch nicht festgetreten gewesen war, war
vom Regen vollständig aufgeweicht, und die Füße der Menschen, die Hufe
der Rosse sanken tief in den zähen Schlamm und lösten sich schwer wieder.
Dabei sauste der Sturm fort, und kalter Regen, Schnee und Hagel fuhren
den Marschierenden ohne Aufhören ins Gesicht, auf die die Waffen hal-
tenden Hände, die nach und nach erstarrten, auf die Kleidung, die bald auch
völlig durchnäßt war und den Leib fröstelnd erzittern ließ. So näherte
man sich allmählich dem Dusendüwelswarf. Noch war die Schanze bei dem
strömenden Regen nicht zu erkennen; alles, soweit das Auge blickte, war ein
ödes Grau, Himmel und Erde gleichsam verschlingend. Da blitzt es plötzlich
auf, dann ein Donner, eine Kugel fährt dicht an Junker Slenz und dem
neben ihm reitenden Hauptmanne vorbei. Der Zug stockt unwillkürlich,
aber Slenz weiß ihn schnell wieder zu beleben. „Jetzt haben wir die Bauern!"
ruft er. „Wahr di, Buer, de Gard de kummt!" Die Garde wiederholte
den Schlachtruf, und ihr in zahllosen Schlachten erprobter Mut, die Gewiß-
heit, am Feinde zu sein, der Drang, vorwärts zu kommen, erwärmt für
einen Augenblick die kältestarren Glieder. Auf Anordnung des Führers be-
ginnt man, die Notbrücken über die Gräben rechts und links zu legen; die
Schützen gehen vor und legen ihre Büchsen auf die Gabeln; aber das Pulver
ist feucht geworden, und kein Schuß geht los. Von der Schanze her kommt
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Sage und Geschichte.
315
stehenden Kampfes nahmen die Mannschaften am Tage vorher das heilige
Abendmahl.
Am 18. April morgens 2 Uhr rückten sie in der Stille und Dunkel-
heit der Nacht in die dritte Parallele ein. Acht Stunden bangen und doch
freudigen Erwartens hatten sie hier zu verbringen, und manch ernster Ge-
danke wird durch die Seelen der harrenden Krieger gezogen sein. „Kurze
Zeit vor Beginn des Sturmes," so erzählt ein Augenzeuge, „kam ein Feld-
geistlicher zu unserer Sturmkolonne und stärkte uns durch eine kurze An-
sprache. Liebe Kameraden, sprach er, in wenig Minuten wird der Augen-
blick da sein, in welchem euer ganzer Mut in Anspruch genommen werden
wird. Ihr geht aber mit dem Bewußtsein in den Kampf, für eine gerechte
Sache zu streiten. Vertrauet auf Gott und geht mit Gott! Verzaget nicht!
Der Herr segne euch und gebe euch seinen himmlischen Frieden! Amen.
Darauf beteten wir mit nassem Auge ein stilles Gebet, und dann rief der
Prediger nochmals: Geht mit Gott! In diesem Augenblicke rief der hinter
uns stehende Beobachtungsposten der Haubitzbatterie, unter der wir uns be-
fanden: Noch zwei Minuten! Eine Generalsalve erfolgte; dann schwieg das
Geschützfeuer, das von 4 Uhr morgens an unausgesetzt getobt hatte. Es war
10 Uhr. Eine lautlose kurze Pause folgte; dann schlugen die Trommler den
Sturmmarsch; die Regimentschöre bliesen Ich bin ein Preuße, und mit
tausendstimmigem Hurra ging es auf die Schanzen los."
Voran ging jeder Sturmkolonne eine zum Ausschwärmen bestimmte
Schützenkompanie; ihr folgten unmittelbar die Pioniere, die allerlei not-
wendige Werkzeuge, als Spaten, Hacken, Äxte, Brechstangen sowie auch Pulver-
säcke von je 30 Pfund mit sich führten, und in einem Abstande von 100 Schritt
folgte die eigentliche Stnrmkolonne. Viele der Stürmenden sanken unter der
feindlichen Kugelsaat; doch drangen die Massen unerschüttert vor, und nur
wenige Minuten vergingen, da wehte das preußische Banner auf der Verbindung
zwischen den feindlichen Werken Nr. Ii und Iii. Es war ein wirres Durch-
einander, was das Ohr vernahm: Geknackter des Gewehrfeuers, preußische
und dänische Kommandorufe, Trommelgewirbel, Kampfgeschrei. Ein Jubel
erhob sich — die Schanze Nr. I war genommen; auf ihrer Höhe flatterte
ein preußisches Banner. Was wäre nun noch für die tapferen Preußen un-
erreichbar gewesen? Die verschiedenen Truppenteile wetteiferten, es einander
zuvorzuthun. Binnen zwanzig Minuten etwa befanden die Preußen sich in
dem Besitze von sechs Schanzen. Die Dänen wehrten sich zwar auf den ihnen
noch übriggebliebenen Plätzen verzweifelt, aber der Tapferkeit der Preußen
vermochten sie nicht zu widerstehen; es blieb ihnen nur der Tod, Flucht oder
Gefangenschaft. Bald nach 12 Uhr war das Eroberungswerk vollendet und
gegen '/s3 Uhr auch der starke Brückenkopf genommen, der die beiden Schiffs-
brücken über den Alsensund deckte. Die Trümmer des dänischen Heeres hatten
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318
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
ziger, der uns in einem Briefe den Übergang, insbesondere den der zwei-
ten Kolonne, lebendig vor Augen führt:
„Solange man von Alsen sprechen wird, wird dieser Übergang als
ein tollkühnes Unternehmen gelten. Vielleicht barg diese Kühnheit das
Geheimnis des Erfolges. Die Anordnung lautete etwa wie folgt: Um 12
Uhr nachts steht alles an den angewiesenen Plätzen; Anzug wie am
Sturmtage; der Mann 80 Patronen. Schlag 2 Uhr setzt die Brigade
Röder als Vortrab über den Alsensund. Das 1. Bataillon vom 24. Re-
giment nimmt den rechten Flügel in der Richtung auf Arnkiel, das 2.
Bataillon vom 24. nimmt die Mitte, sechs Kompanieen vom 64. Regiment
nehmen den linken Flügel und steuern auf Arnkiel-Öre. Die ersten
Kompanieen, die das feindliche Ufer erreichen, stürmen die dortigen
Schützengräben und Batterieen. Wenn dies geschehen ist, wendet sich
das 1. Bataillon vom 24. auf das abgebrannte Gehöft Arnkiel, das 2.
Bataillon durchstreift die Fohlenkoppel bis zum südlichen Ausgang der-
selben ; die Vierundsechziger säubern den äussersten linken Flügel an
der Augustenburger Förde und dringen ebenfalls bis zum Südrande der
Fohlenkoppel vor. Hier warten Vierundzwanziger und Vierundsechziger
weitere Befehle ab.
Am 28. abends halb zehn Uhr marschierten wir nach dreimaligem
Hoch auf den König aus der Büffelkoppel. Um D/a Uhr morgens mach-
ten wir Halt dicht hinter einer am Strande gelegenen Ziegelei. Von
hier aus sollten wir übergehen. Die Pioniere und die zu ihrer Hilfe-
leistung befehligten Schiffer waren eben damit beschäftigt, die Boote ins
Wasser zu bringen — eine mühevolle und nicht ganz geräuschlose Arbeit.
Dennoch blieb am jenseitigen Ufer, das man auf 800 Schritt in der
Dämmerung erkennen konnte, alles in geheimnisvoller Stille. Nun, —
macht euch fertig! Zwei Uhr. Es kam der Befehl zum Einsteigen.
Die Leute mussten, da viele unserer Boote auf den Kiel gebaut und
die Ufer sehr flach waren, bis an den Leib ins Wasser. Ein angeneh-
mes Morgenbad! Die Patronen waren im Brotbeutel um den Hals ge-
bunden. Ungeachtet aller dieser Hindernisse ging das Einsteigen rasch
von statten.
Drei Minuten nach 2 Uhr schwammen wir auf dem Alsensund.
Die 5. Kompanie und ein Teil der 6. hatte die Spitze. Unser Boot
war unter den vordersten. Wenn wir nach links hin blickten, nordwärts
nach Arnkiel-Öre zu, sah es in der Morgendämmerung aus, als schwäm-
men Züge wilder Enten über den Sund. Alles still. Peinlichste Erwar-
tung. Die Ruderer griffen rascher ein; da mit einem Male brach ein
Donnerwetter über unsern Köpfen los. Granaten-, Kartätsch- und Ge-
wehrfeuer begrüfsten uns vom andern Ufer: Feuerzeichen brannten auf
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Sage und Geschichte.
319
6er ganzen Insel. Das 1. Bataillon vom 60. Regiment, das vollständig
aufgelöst am Rande des Satruper Holzes von dem Augenblick an, wo
wir entdeckt waren, durch Schnellfeuer unsern Übergang decken sollte,
knatterte jetzt über den Sund hin; — man war von hinten kaum siche-
rer als von vorn. Trotz aller Gefahr das grofsartigste Feuerwerk, das
ich all mein Lebtag gesehen habe. Hurra! vorwärts, vorwärts! waren
die ununterbrochenen Rufe. Es war zauberhaft. Die Kartätschen plät-
scherten um einen herum, dass das Wasser hoch aufspritzte. Eine Gra-
nate schlug einen Kahn unserer Kompanie in Stücke; eine ganze Wand
war weggerissen; im Augenblick gingen Boot und Mannschaften in die
Tiefe. Alles schrie auf; die nächsten Boote wollten retten. Vorwärts!
donnerte eine Kommandostimme dazwischen. Es stand Grösseres auf
dem Spiele! Drei Mann ertranken; die andern schwammen glücklich
dem Ufer zu.
Die 5. Kompanie war die erste am Ufer. Mit Hurra ging es die
steile Uferwand hinauf auf die Schützengräben zu. Was sich wehrte,
wurde niedergemacht, andere wurden gefangen genommen. Noch andere
wichen der Fohlenkoppel zu, wir hinterdrein, — es war wieder das
reine Kesseltreiben. Am Rande hielten wir, um Atem zu schöpfen.
Aber fast im selben Augenblick kam General Röder zu uns heran und
rief uns schon von weitem und rückwärts deutend zu, die Strandbatterie
zu nehmen, an der wir in unserm Verfolgungseifer vorbeigestürmt waren,
ohne ihrer zu achten. Nun also kehrt! Wahrhaftig, da kracht es von
derselben Uferstelle aus, an der wir gelandet waren, oder doch keine
200 Schritt von ihr entfernt über den Alsensund hin, als ob wir noch
alle auf dem Wasser schwämmen und nicht schon am Rande der Fohlen-
koppel stünden. Aber es waren die letzten Schüsse aus dieser Schanze.
In zehn Minuten war sie unser; drei schwere Geschütze samt einer An-
zahl Espingolen, dazu 2 Offiziere und 50 Mann fielen in unsere Hände.
Die Gefangenen wurden dem Ufer zugetrieben und dort von den rück-
kehrenden Booten aufgenommen. Wir schwenkten dann wieder rechts,
bis wir unter fortwährendem leichten Gefecht den Südrand der Fohlen-
koppel erreicht hatten. Hier machten wir Halt. Zur Rechten, dem
Alsensunde zu, hatten wir das 1. Bataillon unseres Regiments; zur
Linken, der Augustenburger Förde zu, die sechs Kompanieen vom
Olsten. In dieser Stellung warteten wir die Befehle zu weiterem Vor-
gehen ab. Es mochte drei Uhr geworden sein.“
Der Übergang nach Alsen ist eine glänzend rasche That gleich
dem Düppelsturm. Die ersten sechs Schanzen waren in zehn Minuten
genommen worden; man darf sagen, in ebenfalls zehn Minuten wurde
Alsen genommen. Zwar hatte die Brigade Röder nach ihrer Landung
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322
Vi. Bilder aus der Erdkunde,
König Wilhelm ruft seine Unterthanen zu den Waffen, da entstand eine ge-
waltige Bewegung unter allen treuen Preußen, nicht nur soweit die Macht
der'hohenzollern reichte, nicht nur bis zu den schwarz-weißen Grenzpfählen
sondern weit darüber hinaus. Aus den entlegensten Ländern kamen die
Wehrpflichtigen herbeigeeilt. Sie zogen in Hellen Haufen oder einsam ihren
Weg, in einem Lande bewundert, im anderen verspottet, aber überall wie
Männer, die nichts kümmert als ihre Pflicht.
In dem Dorfe Lunow in der Uckermark lebte eine Witwe, deren Sohn
Reservist mar aber Hunderte von Meilen weit tief in Rußland in Arbeit stand.
Jetzt erhielt sie von ihm aus einer preußischen Stadt den folgenden Brief:
Meine geliebte Mutter! ... Ich arbeitete in Orly (bei Pskow), dreißig
Meilen von Petersburg. Nachrichten von Deutschland hatte ich so wenig
wie irgend ein anderer Landsmann, deren wir wohl 300 in der Stadt waren.
Preußen waren 120 dabei; die anderen waren meist Sachsen und Bayern.
Eines Tages wurde uns bekannt, daß der Kaiser nach der Stadt käme.
Alles war in Bewegung, ihn würdig zu empfangen. Bevor aber der Tag
herankam, erhielten wir noch eine andere Nachricht durch die preußische Ge-
sandtschaft in Petersburg, nämlich: das Vaterland sei in Gefahr, und der
König rufe alle braven Preußen ins Vaterland zurück. Einer sagte es dem
andern, aber alle hatten wir nur den einen Gedanken: Auf nach Preußen
und das Schwert in die Hand! Das war der Ruf, mit dem wir an dem-
selben Tage die Arbeit kündigten. Liebe Mutter, es blieb nicht ein Preuße
da. Der Tag unserer Abreise war derselbe, an dem der Kaiser kam. Schon
früh war das Militär auf dem Bahnhöfe, um ihn zu empfangen. Wir ver-
sammelten uns, um Rußland vielleicht für immer zu verlassen. Es hatten
sich viele Neugierige um uns versammelt, die unseren Abmarsch erwarten
und mit ansehen wollten. Jeder von uns hatte eine schwarz-weiße Schärpe
erhalten; und nun, ein Musikcorps an der Spitze, marschierten wir unter
den Klängen des Liedes „Ich bin ein Preuße" dem Bahnhöfe zu. Da
öffneten sich die Fenster, und mancher Abschiedsgruß wurde uns von den
Russen, denen wir liebe Gäste sind, nachgesandt.
Aus einmal erschallt Militärmusik vor uns. Der Kaiser ist da und
kommt an der Spitze seiner Garden in die Stadt. Wir wollen ausbiegen
in eine andere Straße, aber das geht nicht mehr, und der Kaiser hält
plötzlich vor uns. Halt! erschallt es, und alles ist totenstill; die Russen
kreideweiß vor Angst, wir ruhig und gelassen wartend, was kommen würde.
Da reitet der Kaiser, nachdem er uns eine Zeit lang gemustert, an uns
heran: „Wer seid ihr?" — „Preußen, Ew. Majestät!" Ich stand ihm zu-
fällig am nächsten und mußte antworten. „Was bedeutet dieser Aufzug?"
— „Wir ziehen in unser Vaterland zurück." — „Gefällt es euch in meinem
Lande nicht mehr, oder treibt man euch hier fort?" Liebe Mutter, da trat
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324
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
majestätisch sass er hoch zu Rosse; der Anblick dieser Heldengestalt er-
füllte die Seinigen mit Begeisterung. Er achtete nicht darauf, dass
Kanonenkugeln dicht neben ihm vorüberflogen und in die Erde ein-
schlugen. Plötzlich saust eine Granate heran und tötet einige Soldaten
in seiner Kühe. Der König hatte seinen Blick auf die Schlachtreihen
gerichtet und merkte gar nicht, wie sehr sein Leben bedroht war.
Keiner seiner Begleiter wagte es, ihn zu bitten, dass er sich nicht so
der Gefahr aussetze. Nur einer hatte den Mut; es war Graf Bismarck,
des Königs erster Ratgeber und Minister. Er ritt an den König heran
und sagte: „Ich bitte Ew. Majestät, Ihr Leben nicht in Gefahr zu
bringen!" Der König sagte mit freundlichem Ernste: „Sie haben
recht gethan. Aber wie kann ich davonreiten, wenn mein Heer im
Feuer steht? Bei diesen Tapferen ist mein Platz. Ich weiss, wohin
ein König von Preussen gehört.“
Auf der ganzen Linie tobte die Schlacht, am blutigsten vor Sa-
dowa und dem dichten Gehölz, aus dem ein furchtbares Geschützfeuer
die anstürmenden Preussen empfing. Diese nahmen eine Höhe nach
der anderen, aber um Mittag stand die Schlacht: vorwärts konnten
die Preussen nicht weiter, rückwärts wollten sie nicht. Sehnsuchtsvoll
schauten sie alle nach der linken Seite hin, woher der Kronprinz kommen
sollte. Da zeigten sich endlich um 1 Uhr weit links hinter den Anhöhen
aufschiefsende Rauchwölkchen. „Der Kronprinz, der Kronprinz, er ist
es!“ so lief es von Mund zu Mund, und neuer Mut und neue Kraft
durchströmte die ermatteten Preussen.
Der Kronprinz war zur rechten Zeit aufgebrochen, aber die
grundlosen Wege und eine starke feindliche Abteilung hatten seinen
Marsch aufgehalten. Dennoch war er mit den Garden zur bestimmten
Stunde da, und zwischen 2 und 3 Uhr war seine ganze Armee im Kampfe.
Nun gab es kein Halten mehr für die Österreicher. Ihre linke Flanke
ward von General Herwarth, ihre rechte vom Kronprinzen gesprengt. Das
preussische Geschütz erschien nun auf den Höhen und räumte furchtbar
unter den Fliehenden auf.
Jetzt stellte sich König Wilhelm selbst an die Spitze seiner
Reiterei, um den Sieg zu vollenden. Als der greise Held dahinflog,
umbrauste ihn tausendstimmiger Jubel; „Heil dir im Siegerkranz“ erscholl
es, wohin er kam. Und noch an demselben Abend begegnete er auf
dem Schlachtfelde seinem sieggekrönten Sohne, dem Kronprinzen, den
er nach Wochen so zum ersten Male wiedersah. Vater und Sohn stürzten
sich in die Arme, und heisse Thränen der Freude strömten über ihre
Wangen. Nach Keck.
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Extrahierte Personennamen: Graf_Bismarck Herwarth König_Wilhelm Wilhelm
330
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
7. um die Tapfern, die Treuen, die Wacht am Rhein,
um die Brüder, die heute gefallen,
um sie alle — es ging uns durch Mark und Bein —
erhub sie gebrochenes Lallen.
8. Und nun kam die Nacht, und wir ritten hindann;
rundum die Wachtfeuer lohten;
die Rosse schnoben, der Regen rann, —
und wir dachten der Toten, der Toten. Fremgrath.
316. Napoleon und Bismarck nach der Schlacht
bei Sedan.
(Aus einem Briefe Bismarcks.)
Vendresse *), 3. September.
Vorgestern vor Tagesgrauen verließ ich mein hiesiges Quartier, kehre
heute zurück und habe in der Zwischenzeit die große Schlacht von Sedan
am 1. erlebt, in der wir gegen 30 000 Gefangene machten und den Rest
der französischen Armee, der wir seit Bar le Duc nachjagten, in die
Festung warfen, wo sie sich mit dem Kaiser kriegsgefangen ergeben mußte.
Gestern früh 5 Uhr, nachdem ich bis 1 Uhr früh mit Moltke und den
französischen Generalen über die abzuschließende Kapitulation verhandelt hatte,
weckte mich General Reille8), den ich kenne, um mir zu sagen, daß Napoleon
mich zu sprechen wünschte. Ich ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen
Sedan, fand den Kaiser im offenen Wagen mit drei Adjutanten und drei
zu Pferde daneben auf der Landstraße vor Sedan haltend. Ich saß ab,
grüßte ihn ebenso höflich wie in den Tuilerien und fragte nach seinen Be-
fehlen. Er wünschte, den König zu sehen. Ich sagte ihm der Wahrheit gemäß,
daß Se. Majestät drei Meilen davon, an denuorte, wo ich jetzt schreibe, sein
Quartier habe. Auf Napoleons Frage, wohin er sich begeben solle, bot ich
ihm, da ich der Gegend unkundig, mein Quartier in Doncherp 4) an, einem
kleinen Orte in der Nähe dicht bei Sedan; er nahm es an und fuhr von seinen
sechs Franzosen, von mir und von Karl 5), der mir inzwischen nachgeritten war,
geleitet durch den einsamen Morgen nach unserer Seite zu. Vor dem Ort wurde
es ihm leid wegen der möglichen Menschenmenge, und er fragte mich, ob er in
einem einsamen Arbeiterhause am Wege absteigen könne. Ich ließ es besehen
durch Karl, der meldete, es sei ärmlich und unrein. „Das macht nichts
aus", meinte Napoleon, und ich stieg mit ihm eine gebrechliche, enge Stiege
hinauf. In einer Kammer von zehn Fuß im Geviert, mit einem fichtenen
Tische und zwei Binsenstühlen saßen wir eine Stunde; die andern waren
unten. Ein gewaltiger Kontrast mit unserm letzten Beisammensein 1867 in
den Tuilerien! Unsere Unterhaltung war schwierig, wenn ich nicht Dinge
0 Spr. Wang'drähß. 2) Dük. 8) Rejj'. 4) Dong'scheri. b) Bismarcks Reitknecht.
TM Hauptwörter (50): [T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon Napoleons Karl Karl Karl Karl Napoleon Bismarcks_Reitknecht
Extrahierte Ortsnamen: Rhein Sedan Bismarcks Sedan Sedan Sedan Doncherp Sedan
Sage und Geschichte.
335
als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem
Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und Städte Folge zu leisten und
die deutsche Kaiserwürde anzunehmen.
Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußen
fortan den kaiserlichen Titel in allen Unsern Beziehungen und Angelegen-
heiten des deutschen Reiches führen und hoffen zu Gott, daß es der deutschen
Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit
das Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen.
Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht,
in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen,
den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die
geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen.
Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt
sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermutigen Kämpfe in dauerndem
Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die
seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frankreichs
gewähren.
Uns aber und Unsern Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott ver-
leihen, allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen
Eroberungen sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem
Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung!
Gegeben Hauptquartier Versailles den 18. Januar 1871.
Wilhelm."
Kaum war des Kanzlers letztes Wort verhallt, so trat der Großherzog
von Baden vor und rief mit erhobener Rechten: „Seine Majestät der deutsche
Kaiser, König Wilhelm lebe hoch!" Da brauste der Kaiserruf zum ersten Male
durch die goldenen Räume; da neigten sich die mit den Siegen von Leipzig
und Waterloo, von Düppel, Königgrätz, Wörth, Gravelotte und Sedan ge-
schmückten Banner huldigend vor ihrem nun kaiserlichen Kriegsherrn. Als
erster Diener im Reich aber trat der Kronprinz tiefbewegt vor den Vater
hin und beugte sein Knie zum huldigenden Handkuß. Der Kaiser aber hob
ihn empor, umarmte und küßte ihn. In den Augen ergrauter Krieger sah
man manche Freudenthräne glänzen.
Die Musikcorps hatten sich unterdessen in dem an die Spiegelgalerie an-
stoßenden Saale aufgestellt und begrüßten den Kaiser, als er in Begleitung der
Fürsten und Generale den Festraum verließ, mit dem Hohenfriedberger Marsch.
„Unser Fritz" aber führte von diesem Tage an den ihm vom Kaiser verliehenen
Titel Kronprinz des deutschen Reiches und von Preußen.
Nötige.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T51: [Armee General Schlacht Franzose Truppe Mann Feind Heer Metz Preußen], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Wilhelm Düppel
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Frankreichs Versailles Baden Leipzig Sedan
256
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
nicht in »einer Eigenschaft als König von Dänemark sei er erwählt
worden. Bei allen Heiligen schwur er für sich und seine Nachkommen,
das Recht der Lande treu zu bewahren. Diese aber sollten ewig zu-
sammen bleiben ungeteilt; kein Krieg sollte geführt werden ausser zum
Nutzen der Lande und mit Einwilligung des Landtags; die Einwohner
aber sollten über die Königsau und die Elbe hinaus nicht zum Kriegs-
dienste verpflichtet sein.
Diese Wahl erregte in Hamburg und in Lübeck, dem Haupte der
mächtigen Hansa, grossen Unwillen. In der lübschen Chronik heisst es:
„Also wurden die Holsten Dänen, verschmäheten ihren Erbherren und
gaben sich aus freien Stücken ohne Schwertschlag unter den König von
Dänemark, wogegen ihre Vorfahren sich so manches Jahr mit bewaffneter
Hand erfolgreich gewehrt hatten. Denn sie führten manchen Krieg mit
den Dänen, wobei ihnen die Städte der Hansa mit grossem Volk und
grossen Kosten behilflich waren. Auch war mancher Herr und Fürst und
ritterlicher Mann in dem Streite gefallen, weil sie den Dänen nicht Unterthan
sondern frei sein wollten. Und das alles hatten die Holsten zu der Zeit
vergessen und wurden freiwillig zu eigen; und das machte die Gierigkeit
der Holsten und die Verschlagenheit der Dänen; denn der König erkaufte
sie mit Geld und Gabe und mancherlei Versprechen und gelobte allen
Schlosshauptleuten, sie sollten lebenslang ihre Schlösser behalten. So
wurden sie durch Eigennutz verblendet und gaben das Gut des ganzen
Landes um kleinen Vorteils willen preis. Ihnen aber ward nicht einmal
gehalten, was ihnen versprochen war; denn der König nahm ihnen die
Schlösser noch in demselben Jahre und setzte andere Hauptleute darauf.“
Nach Sach.
261. (256.) Die Entdeckung Amerikas.
Christoph Kolumbus ward im Jahre 1456 geboren. Sein Vater, ein
Seemann, hatte ihm eine sorgfältige Erziehung gegeben und nahm ihn schon
in seinem vierzehnten Jahre auf seinen Seereisen mit. Im Jahre 1477
war Kolumbus in Island. In einem Seegefechte, an dem er teilnahm,
geriet einst sein Schiff in Brand. Der Jüngling stürzte sich ins Meer und
erreichte schwimmend nach großer Anstrengung das Land. Später begab
er sich nach Portugal, das damals durch seine Unternehmungen zur See
die Aufmerksamkeit Europas auf sich zog. Hier heiratete er die Tochter eines
Seefahrers, der bei ausgebreiteten Kenntnissen treffliche Karten und Werk-
zeuge besaß. Diese benutzte Kolumbus, und immer fester ward bei ihm
der Gedanke, daß sich das altberühmte Land Indien, das er sich allerdings
viel größer und darum weit näher dachte, auch nach Westen zu erreichen
lassen müsse. Vergebens bemühte er sich in Portugal, vergebens in seiner
Vaterstadt Genua um Unterstützung für seine Pläne. Auch in Spanien er-
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258
Iv. Bilder aus der Erdkunde,
Krank kehrte er nach Spanien zurück, wo er kühl aufgenommen wurde. Alle
die Versprechungen, die ihm früher gemacht worden waren, blieben unerfüllt.
So starb der große Entdecker, schon bei Lebzeiten vergessen, mit Undank belohnt.
Durch die Entdeckung Amerikas kamen zunächst unermeßliche Reichtümer
nack Spanien; aber auch für ganz Europa ist sie von großer Bedeutung ge-
worden. Die Gewächse Indiens wurden nach dem neu entdeckten Erdteile
verpflanzt und gediehen daselbst wie in ihrer Heimat. Die Handelsleute
wandten sich darum fortan nicht mehr nach dem fernen Indien sondern holten
die kostbaren Schätze aus dem näheren Westen. Seitdem verödeten die
Handelsstraßen, auf denen von Süden her über die Alpen die Waren zu
uns gekommen waren; die Kaufleute machten jetzt den umgekehrten Weg und
versorgten von Norden her über Holland, Hamburg und Bremen unser Land
mit den fremdländischen Erzeugnissen. Aber nicht allein die indischen Gewürze
kamen dorther; Amerika bot im Laufe der Zeit auch Erzeugnisse seines eigenen
Bodens; so sind der Tabak und die Kartoffel von dort nach Europa und
auch zu uns gekommen.
Viele Deutsche ließen sich auch in späterer Zeit von der Menge Gold
und Silber locken, die der fremde Erdteil bot, und verließen Haus und Heimat,
um in der neuen Welt ihr Glück zu versuchen.
262. (256 a.) Das Ei des Kolumbus.
Bet einem Feste, das der Kardinal Mendoza dem Kolumbus zu Ehren
veranstaltete, hielt er ihm eine große Lobrede wegen der von ihm gemachten
Entdeckung. Die anwesenden Herren vom Hofe nahmen es übel auf, daß
einem Ausländer, noch dazu einem Manne, der nicht einmal von adeliger
Herkunft sei, so große Auszeichnung zu teil wurde. „Mich dünkt," hub einer
der königlichen Kammerherren an, „der Weg nach der sogenannten neuen
Welt war nicht so schwer zu finden; das Weltmeer stand überall offen, und
kein spanischer Seefahrer würde den Weg verfehlt haben." Mit vornehmem
Gelächter gab die Gesellschaft zu dieser Äußerung ihren Beifall zu erkennen,
und mehrere Stimmen riefen: „Ja, das hätte ein jeder von uns gekonnt!"
„Ich bin weit davon entfernt," entgegnete Kolumbus, „mir etwas als
Ruhm anzumaßen, was ich nur einer gnädigen Fügung des Himmels zu-
schreiben darf; indessen kommt es doch bei vielen Dingen in der Welt, die
uns leicht auszuführen scheinen, oft nur darauf an, daß |ie ein anderer uns
vormacht. Dürfte ich," sagte Kolumbus zu jenem Kammerherrn gewendet,
„Sie wohl ersuchen, dies Ei" — er hatte sich von einem Diener ein Hühnerei
bringen lassen — „so auf die Spitze zu stellen, daß es nicht umfällt?" Der
Kammerherr versuchte von der einen wie von der andern Seite vergeblich,
das Ei zum Stehen zu bringen. Der Nachbar bat es sich aus, aber es wollte
ihm ebenso wenig gelingen. Nun drängten sich die andern hinzu; ein jeder
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