30
die Worte heraus: „Das soll meinen armen Aeltern wohl-
thun!" Er hat Wort gehalten; aber vorher hatte der
menschenfreundliche Fürst für diese durch Bewilligung
eines angemessenen lebenslänglichen Jahresgehaltes gesorgt.
47. Drei Freunde.
Traue keinem Freunde, wenn du ihn nicht geprüft
hast; an der Tafel des Gastmahls gibt es mehrere der-
selben, als an der Thür des Kerkers. — Ein Mann
hatte drei Freunde. Zwei derselben liebte er sehr, der
dritte war ihm gleichgültig, ob dieser es gleich am redlich-
sten mit ihm meinte. Einst ward er vor Gericht gefordert,
wo er unschuldig, aber hart verklagt war. „Wer unter
Euch," sprach er, „will mit mir gehen und für mich
zeugen? denn ich bin hart verklaget worden, und der
König zürnet." Der erste seiner Freunde entschuldigte sich
sogleich, daß er nicht mit ihm gehen könne wegen anderer
Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur Thür des
Nathhauses; da wandte er sich und ging zurück aus Furcht
vor dem zornigen Richter. Der dritte, auf den er am
wenigsten gebaut hatte, ging hinein, redete für ihn und
zeugte von seiner Unschuld so freudig, daß der Richter ihn
löslich und beschenkte.
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt; wie be-
tragen sie sich in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott
vor Gericht fordert? Das Geld, sein bester Freund, verlässet
ihn zuerst und gehet nicht mit ihm. Seine Verwandten
und Freunde begleiten ihn bis zur Thür des Grabes und
kehren wieder in ihre Häuser. Der Dritte, den er im Le-
den oft am meisten vergaß, sind seine wohlthätigen Werke.
Sie allein begleiten ihn bis zum Throne des Richters; sie
gehen voran, sprechen für ihn und finden Barmherzigkeit
und Gnade.
48. Lcbensreguttg in der Natur.
Die Vögel fliegen in der Luft gar herrlich und fröh-
lich , hüpfen auf Aesten und Zweigen, und einige schwim-
men zierlich und munter im Wasser umher. Der Hirsch
ist ein schneller Läufer, ihn kann nicht der Jäger durch
seine Füße gewinnen; das Eichkätzchen schwingt sich von
einem Baume zum andern; und alles Gethier auf der
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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232
liess sich nicht für den Unterricht bezahlen, band sich nicht
bei seinen Belehrungen an Ort und Stunde, sondern bei je-
der schicklichen Gelegenheit, auf öffentlichen Spaziergängen,
in den "Werkstätten der Künstler und Handwerker und bei
den Volksversammlungen auf dein Markte liess er sich mit
denen, die eines bessern Unterrichts fähig waren, in lehr-
reiche Unterredungen ein, und gab sich nie das Ansehen eines
Lehrers, vielmehr gestand er freimüthig, dass er selbst nichts
wisse, sondern im Suchen der Weisheit begriffen sei. Beson-
ders gab er sich Mühe den Keim der Sittlichkeit und Tugend
in jungen unverdorbenen Gemüthern zu pflegen, worin er
ihnen selbst als musterhaftes Beispiel voranging. In hohem
Grade massig, enthaltsam und uneigennützig, verband er mit
diesen Tugenden ausserordentliche Milde des Charakters
Unerschrockenheit und unbestechliche Wahrheitsliebe. Dabei
entzog er sich keiner Pflicht, die ihm als Bürger des Vater-
landes oblag. Zu Anfange des peloponnesischen Krieges,
welchen Athen 27 Jahre lang mit Sparta um die Oberherr-
schaft in Griechenland führte, und der mit der völligen Un-
terwerfung Athens endigte, focht er als gemeiner Soldat mit
grosser Tapferkeit, und rettete mit eigener Lebensgefahr
mehreren seiner jüngern Freunde das Leben. Ohne sich zu '
bürgerlichen Ehrenstellen zu drängen, verwaltete er doch
der Reihe nach verschiedene obrigkeitliche Aemter, und
ward selbst zur Würde eines Archonten, der höchsten im
Staate, erhoben Auch hier blieb er seinen Grundsätzen treu,
und widersetzte sich mit aller Stärke uneigennütziger Tu-
gend jedem Beschlusse, der gegen Recht und Billigkeit war.
Die Unfälle seines Vaterlands ertrug er, wenn auch mit
tiefem Schmerze, doch mit dem standhaften Muthe, welchen
die Weisheit ihren Verehrern einflösst. Dennoch blieb er
von den Verfolgungen des > ei des und der Missgunst .nicht
frei, und musste ihnen am Ende unterliegen. Schon lange
zuvor hatte ein Dichter eine Komödie auf ihn verfertigt, wo-
rin er ihn als Verführer der Jugend darstellte, und ihn dem
Spotte und Gelächter der Menge Preis gab: durch den Glfich-
muth des Sokrates, welcher bei ihrer Aufführung selbs. ge-
genwärtig war, und sogar, damit ihn Jedermann sehen könne,
einen erhöhten Platz einnahm, blieb sie jedoch ohne die ge-
hoffte Wirkung. Selbst als Athen nach seiner Unterjochung
durch die Spartaner unter der Schreckensregierung der so-
genannten dreissig Tyrannen blutete, und viele der edelsten
Männer unter dem nichtswürdigsten Vorwände zum Tode
geführt wurden, wagte man es nicht, an den vom Volk hoch-
verehrten edlen Greis die Hände zu legen. Endlich gelang
es seinen Feinden aber doch, eine Anklage gegen ihn bei
dem obersten Gerichte anzubringen, deren Hauptinhalt darin
bestand, dass Sokrates die Jugend verführe und die Staats-
religion durch Einfühnidg neuer Gottheiten verderbe, und
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233
dass er dieser Verbrechen wegen den Tod verdiene. Alle
Freunde der Wahrheit und Tugend geriethen darüber in Be-
stürzung. Einige von seinen Schülern wollten seine Ver-
theidigung übernehmen. Sokrates lehnte es ab. Mit ruhiger
Würde erschien er in seinem 71sten Jahre zum ersten Male
vor Gericht, bewies die Nichtigkeit der vorgebrachten An-
klage, und schien weit weniger eine Vertheidigungsrede zu
halten, als vielmehr seine Richter über Recht und Unrecht
zu helehren und zurecht zu weisen. Jeder Besserdenkende
war von seiner Unschuld überzeugt; aber die Mehrzahl sei-
ner Richter, schon vorher gegen ihn eingenommen und durch
die Art seiner Vertheidigung noch mehr erbittert, stimmten
für das Todesurtheil. Man legte ihm Fesseln an und führte
ihn unter lautem Wehklagen und Weinen seiner Freunde
ins Gefangn iss. „Wie könnt ihr doch weinen, ihr Lieben,“
sagte der erhabene Weise, „dass mir das Gericht den Tod
zuerkannt hat, wozu ich von der Natur gleich bei meiner
Geburt verurtheilt ward? Wünscht mir doch lieber Glück
zur Beschleunigung meiner Reise!" Einem seiner Schüler,
der besonders darüber klagte, dass er unschuldig sterben
müsse, legte er sanft lächelnd die Hand auf’s Haupt und
sagte: „Wolltest du denn lieber, dass ich schuldig stürbe?“
Auf die Aufforderung eines andern, doch noch einen Ver-
such zur Darlegung seiner Unschuld zu machen, erwiederte
er: „Wozu das, habe ich das nicht durch mein ganzes Lehen
gethan? War es nicht mein tägliches Geschäft, zu untersu-
chen, was Recht und was Unrecht sei, und jenes zu thun
und dieses ztr unterlassen?“ — Einer Sitte zufolge konnte
in Athen ein Verurtheilter, der kein Staatsverbrecher war,
die Todesart wählen. Als er desshalb befragt wurde, ant-
wortete er: „Ich halte mich desshalb, weil ich mich mein
ganzes Leben hindurch bemüht habe, meiue Mitbürger tugend-
haft zu machen, für würdig, in das Prytaneum (eine Anstalt,
worin verdiente Männer auf öffentliche Kosten gespeist wur-
den), ausgenommen zu werden.“ Hierauf wurde ihm der
Giftbecher, eine gewöhnliche Art der Hinrichtung in Athen,
zuerkannt. „Meine Richter,“ sagte er, als man ihm dieses
Urtheil bekannt machte, „werden es bereuen, wenn sie der
Vorwurf trifft, einen Weisen getödtet zu haben; denn so
wenig ich mir auch selbst diesen Namen beilege, so wird
man mir ihn doch nach meinem Tode beilegen. Mich trifft
nur der Tod, der mir ohnehin nahe ist; sie aber die Schande
und die Qual eines bösen Gewissens.“ Seine Hinrichtung
verzögerte sich um mehrere Wochen. Während dieser Zeit
blieb er über alle Furcht vor dem Tode erhaben. Jeden Tag
versammelten sich seine Schüler um ihn, mit welchen er sich
mit den wichtigsten Gegenständen, besonders über Unsterb-
lichkeit der Seele und ihre Fortdauer nach dem Tode, unter-
hielt. An seinem Todestage begrüsste er bei offenem Fen-
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239
Ehrlichkeit kann Ehre geben,
Aber bloßer Reichthum nicht.
Jedem frei vors Auge treten
Können, o wie schön ist das!
Keine Schuldigkeit verspäten,
Welchen Frieden gibt mir das!
Gegen einen Jeden ehrlich,
Doch mit kluger Vorsicht sein,
O wie frommt das unaufhörlich
Wie viel Segen bringt das ein!
Alle guten Menschen schämen
Sich des Falschen, der betrügt;
Sollt' ich mir das Kleinod nehmen,
Das im guten Namen liegt?
Werd ich auch nicht reich auf Erden,
Soll es mich doch nicht gereu'n.
Nur ein guter Mensch zu werden,
Soll mein stetes Streben fein.
Wenn ich diesen Titel habe,
Hab' ich's schönste Lobgedicht,
Und mich peinigt einst am Grabe
Des Gewissens Borwurf nicht.
202. Hermann.
Unter der Regierung des ersten römischen Kaisers Au-
gusts machten die Römer große Anstrengungen, Deutschland
zu erobern. Mehrere Kriegszüge hatten sie schon unter-
nommen, und die Gegenden der Weser und dem Rheine
waren ihnen dem Anschein nach gänzlich unterworfen. Va-
rus, der gegen das Jahr 9 nach Christi Geburt in Deutsch-
land den Oberbefehl führte, hielt schon auf römische Weise
Gericht in den deutschen Gauen, und, was die Deutschen
am meisten aufbrachte, er ließ nach römischer Sitte die
Beile mit den Nuthenbündeln vor sich hertragen, welche
ein Zeichen seines Rechtes über Leben und Tod und körperliche
Züchtigung sein sollte Eine Züchtigung aber mit Schlä-
gen wäre dem freien deutschen Manne die entsetzlichste Be-
schimpfung gewesen, und das Recht über sein Leben räumte
er keinem Menschen, sondern allein der Gottheit ein.
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Extrahierte Personennamen: Hermann
Extrahierte Ortsnamen: Borwurf Deutschland Rheine Christi Deutsch-
225
Reisen in entfernte Länder. Die Rechtschaffenheit,
welche er in seinem Gewerbe bewies, die Einsicht
und Weisheit, welche er sich durch Nachdenken und
Umgang erworben hatte , verschafften ihm bald in so
hohem Grade die Achtung seiner Vaterstadt Athen,
dass man ihm nicht nur eines der obersten obrigkeit-
lichen Aemter übertrug, sondern ihm auch den Auf-
trag ertheilte, dem Staate ganz neue Gesetze zu ge-
den. Bei seiner Gesetzgebung, die in der Folge
andern Völkern, und insbesondere auch den Rö-
mern , zum Muster diente, liess er es nicht bloss da-
bei bewenden, öffentlichen Verbrechen und Lastern
vorzubeugen, vielmehr suchte er dadurch die Sitten
seiner Mitbürger zu bessern, ihren Sinn zu veredeln
und sie zu guten Menschen zu bilden. So setzte er
z. B. fest, dass Kinder nicht nur zur Achtung und zum
Gehorsam gegen ihre Aeitern, sondern auch zu ihrer
Pflege im Alter verpflichtet sein sollten. Wer diess
unterliess , w urde durch öffentliche Schande gebrand-
markt. Auf den Vater- und Muttermord setzte er
gar keine Strafe, weil er ein solches Verbrechen für
ganz unnatürlich und bei gesunden Sinnen selbst für
unmöglich hielt. Den Ehebruch hingegen bedrohte
er mit Todesstrafe, und auf den Undank gegen
Wohlthäter setzte er den Verlust des Bürgerrechts.
Von Verstorbenen wollte er, dass man entweder gar
nicht, oder nicht anders als rühmlich sprechen solle.
In einem ähnlichen Geiste waren alle seine Gesetze
abgefasst, und ob sie gleich nicht lange in ihrer Rein-
heit bestanden , so war doch sein Ruhm auf immer
begründet. Er galt nicht nur in Griechenland, son-
dern auch in fernen Ländern für den weisesten
Menschen.
Auf einer seiner Reisen , die er nachmals unter-
nahm, kam er auch zu Krösus, dem König von Ly-
dien, welcher seinen Stolz darin suchte, nicht nur
für den reichsten und mächtigsten, sondern auch für
den gelehrtesten Fürsten seiner Zeit zu gelten. Krö-
sus, von der Ankunft des grossen Gesetzgebers von
Athen benachrichtigt, traf alle Anstalten, um ihm
gleich beim Empfange eine grosse Meinung von sich
Fischrr's Lesestücke. ' 15
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258
angelegt hatte. Letzt sahe er erst, wie Welt sein Volk noch zurück war;
setzt wußte er aber auch, waö er thun, und wie ers angreifen Müsse,
um den Grund zu seiner Bildung zu legen. Und wenn es ihm auch
nicht gelang, Alles so herzustellen, wie es vor seiner Seele stand, vor-
züglich, da er die längste Zeit seiner segensreichen Regierung mit aus-
wärtigen Mächten Krieg zu führen hatte, so hat er doch den Ruhm
für sich, eben dadurch, daß er sich nicht schämte, noch als Mann und
Kaiser Lehrling zu sein, seinem Volke für alle Folgezeit unendlich
viel genützt zu haben.
2ü. Erhebung -es deutschen Volkes.
Napoleon, Kaiser der Franzosen, halte seine Gewalt-
herrschaft über einen grossen Theil von Europa ausgebrei-
tet. Insbesondere seufzte auch Deutschland unter seinem
Scepter. Mehrere deutsche Fürsten halte er ihrer Länder
beraubt, andere genöthigt, mit ihm in einen für sie ver-
derblichen Hund zu treten; über alle übte er eine schmach-
volle Herrschaft aus. In allen deutschen Ländern zogen
seine Beauftragten und Bevollmächtigten umher, welche
bald Geld, bald Mannschaften, bald andere Zeichen der
Unterwürfigkeit forderten. Seine Kriegsheere lagerten
auf deutschem Boden, und erlaubten sich selbst mitten im
Frieden ungestraft jede Gewaltthätigkeit. Die deutsche .lu-
gend wurde für den französischen Kriegsdienst ausgeho-
den, und zur Fühlung französischer Kriege in ferne Län-
der geschleppt. und dennoch nur mit deutschem Gelde
besoldet. Der deutsche Landmann musste sein Korn und
sein Vieh, der deutsche Handwerker seine Arbeit in fran-
zösische Magazinen liefern, und als Gegenzahlung erhiel-
ten sie nichts, als Verachtung und Misshandlung, und
lernten nichts, als französische Leichtfertigkeit und fran-
zösische Laster. Ja. man ging sogar damit um, den Deut-
schen ihre Gesetze und ihre Sprache zu nehmen. Hier
und da war schon das französische Gesetzbuch eingeführt,
und wurden Rechtssachen in französischer Sprache ver-
handelt. Niemand durste es wagen, ein freies Wort zu
sprechen ; die deutschen Buchdruckereien waren unter
französische Aufsicht gestellt, und ohne Erlaubnis der
französischen Gewalthaber durfte nicht einmal eine Kinder-
schrift erscheinen. — Solche Schmach konnte das kräftige
deutsche Volk, dem es nur an einem tüchtigen Führer
fehlte , nicht lange ertragen. Lange schon kochte der
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270
und in den sogenannten Bohlenstuben im Sommer weit
kühler und im Winter weit wärmer als in den steinernen
Gebäuden ist. Das Wasser ist sowohl ein guter als ein
schlechter Wärmeleiter; bringt man nämlich das Wasser
über das Feuer, so theilt sich die Wärme bald der ganzen
Masse mit; ist dagegen das Wasser unter dem Feuer, so
wird es nur sehr langsam oder wohl auch gar nicht er-
wärmt. Dafür liefern die warmen Stellen in den Flüssen
einen sehr schlagenden Beweis; die dem Flußbett eigen-
thümlichc Wärme vermag mehr über das darüber hinrau-
schende Wasser, als die grimmigste Kälte, die von oben
herabdrückt und solche Stellen kaum mit einer leichten Eis-
rinde zu bedecken vermag. Aus gleichem Grunde frieren
tiefe Wasser nie ganz aus. Umgekehrt wirkt ein kleines
Feuer, selbst das Flämmchen einer Oellampe so stark auf
ein blecheruers Gefäß mit Wasser, das über demselben
steht.
Hier werde noch der Feuerprobe gedacht, welche in
den Zeiten des Mittelalters zur Ermittelung von Ver-
brechen als ein Gottesgericht pflegte angewandt zu werden.
Zu ihr wurde nächst andern Gottesurtl,eilen in solchen
Fällen geschritten, wenn die Schuld oder Unschuld eines
Angeklagten auf keine andere Weise ermittelt werden konnte,
und sie bestand darin, daß der Unglückliche, welcher ihr
anheim fiel, nachdem er 3 Tage zuvor unter Aufsicht des
Priesters gefastet und gebetet hatte, entweder ein glühen-
des Stück Eisen eine Zeit lang in der Hand halten, oder
mit bloßen Füßen über eine Anzahl glühender Pflugschaare
langsam gehen mußte. Seine Schuld oder Unschuld war
erwiesen, je nachdem 3 Tage darauf, während dessen der
leidende Theil' sorgfältig verbunden und versiegelt wurde,
sich eine Brandspur vorfand oder nicht. Abgesehen von
der Grausamkeit und der Sinnlosigkeit dieses Verfahrens,
kannre man auch damals schon ähnliche Mittel und wandte
sie bei denen, welche man begünstigen wollte, an, wie sie
sich heut zu Tage noch die sogenannten Fcuermenschen,
teilte, die für Geld allerlei Feuerproben au sich vorneh-
men, bedienen und deren eins in einer Mischung von
Alaun und Vitriolsäure besteht, womit man die Körper-
theile bestreicht, welche man der Gluth aussetzen will.
Uebrigens ist es bekannt, daß die menschliche Haut ein
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211
öffentlichen Unterrichtes und in gewissen Fällen die in
den Angelegenheiten der evangelischen Kirche (in Evan-
gelicis) beauftragten Staatöminister.
Da der Lehrer es sich Vorbehalten hatte, von der
Verfassung des sächsischen Staates, von den in dem-
selben zwischen dem Regenten und den Unterthanen
bestehenden Verbindlichkeiten und Rechten und mehreren
andern dahin einschlagendcn Gegenständen später ein-
mal ausführlich zu sprechen: so hatte er nur noch
Einiges über die innere Einrichtung des Staates selbst
zu erwähnen. Daß der König das Oberhaupt des
Staates und daß von ihm die Verwaltung und Lei-
tung der öffentlichen Angelegenheiten den Staats-
Ministern übertragen sei, wußten die Kinder bereits.
Die einzelnen Ministerien, fuhr der Lehrer fort, sind
folgende: 1) Das Ministerium der Justiz, in dessen
Hand die oberste Rechtspflege liegt; unter ihm stehen
zunächst das Oberappellationsgericht zu Dres-
den und die Appellationsgerichte der 4 Landes-
bezirke und unter diesen wieder die königlichen Justiz-
ämter, sowie die städtischen und gutsherrlichen Unter-
gerichte. 2) Das Ministerium der Finanzen, wel-
ches die gesammte Einnahme und Ausgabe des Staa-
tes verwaltet. Jene kommt von den dem Staate ge-
hörigen Grundstücken, Waldungen, Flößen, Jagden,
Bergwerken, von dem Postweseu, Chausseegelde und
Salzverkaufe, sowie von den theils auf die Grund-
stücke der Staatsbürger,^ theils auf Gegenstände des
Verbrauchs gelegten Steüern; sie wird als Ausgabe
zum Unterhalte des königlichen Hauses, der öffentlichen
Anstalten und Beamten, des Heeres und zur Tilgung
der Staatsschulden verwendet. 3) Das Ministerium
des Innern; unter seiner Obhut stehen alle auf
Sicherheit, Ordnung und Gewerbe der Einwohner
bezüglichen Anstalten, also unter andern auch die
Communalgarden in den Städten, das Corps der
Gensdarmen und die Strafanstalten zu Waldheim und
Zwickau, sowie die Landesarbeitsanstalt für weibliche
Sträflinge zu Hubertusburg. 4) Das Ministerium des
Krieges, welches die hinsichtlich des Heeres nöthigen
14*
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TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
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— 218
meisten für dieselbe sprechen und wirken würden, Je-
doch können in den Städten, wo das Gewerbe vor-
herrscht, auch llnangesessene gewählt werden, wenn sie
ein bestimmtes Einkommen haben und sich sonst zu
Deputieren eignen. Überbieg muß ein Wähler das
25. und ein Landstand das 30. Jahr erfüllt haben,
und weder dieser, noch jener darf in Eoncurs verfallen
sein, oder entehrender Vergehen halber vor Gericht
gestanden haben, ohne daß er völlig freigesprochen
worden ist.
3.
Diese erwähnten Landstände, erzählte der Lehrer
weiter, werden alle 3 Jahre zu einem Landtage einbe-
rufen, weil ohne ihre Zustimmung kein Gesetz erlas-
sen oder abgeändert, keine Abgabe aufgehoben oder
eingeführt und keine zu einem andern, als dem be-
stimmten Zwecke verwendet werden darf. Es muß da-
her jeder von dem Könige ausgehende Gesetzvorschlag
an sie zur Berathung abgegeben werden, und zwar
an jede Kammer besonders, da jede ihre Sitzung für
sich hält. Jedes Mitglied in derselben kann dann
frei und offen seine Meinung dafür und dagegen sa-
gen, und die anwesenden Minister oder königlichen
Bevollmächtigten geben die nöthigen Erlaüterungen und
Aufschlüsse. Nach erfolgter Berathung wird abgestimmt,
und die Mehrheit der Stimmen entscheidet. — Dieß
Alles geschieht (mit wenig Ausnahmen) öffentlich, so
daß Jedermann zuhören kann; und wir, die wir dieß
nicht können, bekommen die ganzen Verhandlungen
Wort für Wort in den Landtagsblättern zu lesen. —
Was wird dann aber, wenn eine Kammer ein Gesetz
annimmt, welches die andere verwirft? wandte Lud-
wig ein. Da suchen sich die Kammern, versetzte der
Lehrer, durch eine Deputation aus ihrem beiderseitigen
Mittel zu vereinigen, und ist das nicht möglich: so
ist zur Verwerfung eines Gesetzvorschlags erforderlich,
daß in einer der beiden Kammern wenigstens zwei
Dritttheile der Anwesenden für die Verwerfung gestimmt
haben. Tritt der Fall ein, daß drei Viertheile der
anwefenden Glieder eines Standes sich durch einen Be-
schluß in ihren Rechten gekränkt glauben: so können
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TM Hauptwörter (200): [T98: [König Jahr Mitglied Verfassung Regierung Republik Präsident Kammer Gewalt Staat], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T62: [Gericht Recht Gesetz Richter Jahr Volksversammlung Senat Plebejer Beamter König], T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
223
beaufsichtigen, und können demselben auch in anderer
Hinsicht Vorschläge und Beschwerden eröffnen. Letz-
terer tritt bei Wahlen der Rathsmitglieder, bei Ver-
änderung der Stadtverfassung und bei wichtigen Ver-
fügungen über das Stadtvermögcn in Wirksamkeit.
Wählen nur die Bürger zu Nathspersonen und Ge-
meindevertretern immer nur einsichtsvolle und redliche
Männer: so kann wohl nicht leicht Etwas beschlossen
und eingeführt werden, was ihnen Nachtheil brächte.
Was die Städteordnung für die Städte ist, ist
die Landgemeindeordnung für die Dörfer. Nach ihr
wird in jeder Gemeinde, welche 25 angesessene Mitglie-
der zählt, ein Gemeinderath gewählt, der die Gemein-
deangelegenheiten unter Aufsicht der Obrigkeit und Re-
gierungsbehörde verwaltet. Dieser Gemeinderath besteht
aus einem Gemeindevorstand, einem oder mehreren
Gemeindeältesten und aus einer geringem oder großem
Anzahl Ausschußpersonen, von denen jährlich ein Dritt-
theil austritt. Wählen können nur ansässige Gemcin-
deglieder und auch von denen verlieren das Stimmrecht:
1) Alle, welche länger als 2 Jahre die Landes-
und Gemeindeabgabcn schuldig sind, so lange
solche nicht entrichtet werden.
2) Alle, welche von der Armenkasse ernährt wer-
denmüssen, so lange solches geschieht, oder die
erhaltene Unterstützung nicht ersetzt worden ist.
3) llnmündige und solche, die als Verschwender
unter Vormundschaft stehen, so lange die Vor-
mundschaft dauert.
4) Alle, welche von öffentlichen Ämtern abgesetzt
worden sind.
5) Alle, zu deren Vermögen ein Schuldenwesen
entstanden ist, so lange die Glaübiger nicht be-
zahlt sind.
6) Alle, welche eines entehrenden Verbrechens we-
gen in Untersuchung waren, ohne von allem
Verdacht völlig freigesprochen worden zu sein.
Können auch Unangesessene nicht wählen: so können
sie doch gewählt werden. Wer aber aus den oben an-
gegebenen Gründen sein Stimmrecht verloren hat, ist
natürlich auch nicht wählbar.
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