268 Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
erklärung für nothwendig zu gerechter Feindseligkeit, und die Fe-
cialen verrichteten dieses Geschäft, so wie auch die Schließung vou
Frieden und Bündnissen, unter religiösen Gebräuchen: aber damit
glaubten sie auch, sey Alles gethan. An dem Feinde erkannten sie
kaum ein Menschenrecht mehr; und nur sklavische Göttcrfurcht be-
wachte die beschworene Treue. Doch der Aberglaube ersann Mittel
der Erpiation, und leicht fand die Leidenschaft den Vorwand des
Bruches. An die Namen von Caudium, Numantia, Karthago,
Korinth, Perseus, Jugurtha — an die Namen aller Länder
und Völker und Könige, die ihr Unglück mit Rom in Derhältniß
brachte, sind häßliche, abscheuliche, zum Thcile schauderhafte Erinne-
rungen geknüpft. Die äußere Geschichte Roms ist ein fortlau-
fender Frevel (*).
Iii. Geseze und Sitten (**).
§.18. Ueberhaupt.
Dieser Zeitraum hat keine so großen Gesezgcber, als der vorige
erzeugt. Kein würdiger Nachfolger eines Solon, eines Numa wird
genannt. Auch scheint die Wiegeuzcit der Staaten die günstigste für
die Schöpfungen eines legislatorischen Genies. Ist einmal einer Na-
tion durch längere Dauer ein bestimmter Charakter eingeprägt, haben
ihre Sitten und Gebräuche Consistenz erhalten; so läßt sich wohl theil-
weis verbessern oder anders gestalten, aber eine völlige Umschaffung
oder Wiedergeburt ist schwerer.
In der That ist, was wir von Gcsezen dieses Zeitraumes zu sagen
haben, meist nur Stückwerk, durch das Bedürfniß des Augenblicks
und lokaler Verhältnisse diktirt, keineswegs aber das Ergebniß eines
Systems oder einer wissenschaftlichen Gesezgebung. Zwar sind zu einer
solchen in den Werken der Griechen, vorzüglich in den aristote-
lischen Schriften, schäzbare Materialien enthalten; und die Römer
(zumal Cicero) haben selbe benüzt: aber in der Ausübung fin-
den wir noch wenig Spur wissenschaftlicher Grundsäze oder eines all-
gemeinen Fortschreitens der Gesezgebungskunst.
Auch haben die Hauptvölker noch insgesammt ihre besonderen Cha-
raktere, ihre eigenen Nationalphysiognomieen beibehalten: ein jedes
(*) Raptores orbis, postquam cuncta vastantibus defuere terrae, et mare
scrutantur. Si locuples hostis est, avari, si pauper, ambitiosi, quos non
oriens non occidens satiaverit; soli omnium opes atque inopiam pari allectu
concupiscunt. Auferre, trucidare, rapere falsis nominibus imperium; atque,
ubi solitudinem faciunt, pacem appellant. Tacit. Agrie.
(**) Gvguets Untersuchungen von dem Urspning der Geseze, Künste
und Wissenschaften u. s. w. aus dem Französischen im Ausz. und neu bea»
beitet von Sattler. Nürnberg 17l6.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T55: [Rom Krieg Römer Jahr Heer Cäsar Hannibal Pompejus Marius Schlacht]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
277
Zweites Kap. Religion.
selbe war — so wie Numa sie einführte (*) — hetrurischen Ur-
sprungs, aber gleichwohl in den meisten Stücken der griechischen
ähnlich. Auch mochte schon in den frühesten Zeiten auf mancherlei
Wegen die griechische Mythologie nach Italien gelangt seyn, und
der nachmalige nähere Verkehr der Römer mit den Griechen veran-
laßte noch eine genauere Gleichförmigkeit. Wir treffen in Rom die-
selben Gottheiten, wie in Hellas, nur mit verändertem Namen, die-
selben Göttergeschichten, nur minder poetisch, und sehr ähnliche Ge-
bräuche an, nur etwas modifiât nach den übrigen Begriffen und
Verhältnissen der Römer und vermehrt durch einige Nationalgötter
(wie Aeneas, Quirinus re.) und andere, welche eigens die Klngs
heit der Gesezgeber zu moralischen oder politischen Zwecken geschaffen,
als Fides, Terminus n. s. w. So finden wir auch eine ganz
ähnliche Gottesverehrung durch Gebete, Opfer (leider auch Men-
schenopfer! * **), vielerlei Feste, Spiele und Mysterien. Von den hei-
ligen Spielen (den circensischen, amphitheatralischen und
scenischen) wird an einem anderen Orte die Rede seyn. Die My-
sterien waren der Ceres, Proserpina, Bona Dca und dem
Bacchus geweiht, aber minder wichtig, als die griechischen. Der
Tempel waren viele, die meisten prächtig; airch wurde in Hainen,
Höhlen rc. die Gottheit verehrt.
Das Detail der römischen Mythologie kann ich wohl bei meinen
Lesern voraussezen. Doch ist nicht dieses oder das blose Gerüste,
das Materielle der römischen Religion, was den Welthistoriker in-
tereffirt, sondern der innere Charakter derselben und ihr Verhält-
niß zum Staate und zur allgemeinen Kultur.
Die Römer waren sehr religiös. Kein öffentliches, kein wichti-
geres Privatgeschäft wurde ohne Anrufung der Götter und ohne reli-
giöse Gebräuche begangen. Sie glaubten sich ringsum von Göttern
umgeben, den Zeugen ihrer geheimsten Handlungen, den Rächern des
Lasters, den Leitern und selbst Verkündern des Schicksals. Rom war
schon Herrscherin der Welt, als dieser fromme Sinn noch währte.
Erst in den Zeiten der Bürgerkriege lehrte die griechische Philosophie
die Römer zweifeln; und später riß mit dem äußersten Sittenver-
derbniffe auch Unglaube in den höheren Ständen ein. Wenn wir die
('•*) Schon Romulus soll sechzig Priester aus den angesehensten Männern
gewählt haben. Aber erst sein Nachfolger gab — gleichfalls der Sage nach —
dem Religionswesen eine feste Gestalt.
(**) In großen Gefahren, als bei einigen gallischen Kriegen, wurden
Menschen geschlachtet. Nach der Niederlage bei Canna begrub man vier
Personen lebendig. Der mildere Gebrauch, alljährlich eine Zahl Menschen-
figuren in die Tiber zu werfen, floß wohl ursprünglich aus derselben Quelle.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T22: [Gott Zeus Sohn Tempel Göttin König Held Mensch Opfer Erde], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T53: [Rom Stadt König Romulus Tempel Römer Sohn Forum Zeit Alba], T63: [Jahr Senat Plebejer Gesetz Volk Recht Staat Bürger Gewalt Rom]]
TM Hauptwörter (200): [T120: [Gott Göttin Zeus Tempel Sohn Gottheit Priester Erde Mensch Opfer], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz]]
Extrahierte Personennamen: Canna
Extrahierte Ortsnamen: Italien Rom Hellas Bona_Dca
203
Allgemeiner Ucberblick.
Uebungen — waren mehrere Spiele — wie die pythischen — aus-
schließend, oder wenigstens vorzugsweise, gewidmet. Zwar erlangte
niemals der Dichter, der die beste Hymne gesungen, oder der Tonlünst-
ler, der die schönste Melodie erdacht, die ausschweifende Lobpreisung
Desjenigen, der am schnellsten das olympische Stadinm durchlaufen (*):
aber dennoch Ruhm genug, um die Seele der Preiswerber durch Nach-
eiferung zu entzünden, und ihr Genie znm kühnsten Fluge zu starken.
Zudem waren solche Spiele für sich selbst, als Schauplaze aufgereg-
ter Leidenschaften, so wie unverhüllter Menschenformen und lebendi-
ger Kräfte, als Versammlungspnnkte ungezählter Volkshaufen ans
alten Ländern der griechischen Zunge, auch für die trägste Phantasie
erhebend, für die reizbare begeisternd. Endlich fanden hier der Redner,
der Philosoph, der Historiker, so auch der bildende Künstler, die herr-
lichste Gelegenheit, die Schöpfungen ihres Genies — wenn sie auch
ohne Beziehung auf den eigentlichen Wettkampf waren — einer ge-
drängten und geschmackvollen Versammlung vorzulegen, und durch
ihren lohnenden Beifall zu neuer Anstrengung sich zu ermuntern.
Von diesen griechischen Spielen waren die r ö m i sch e n durchaus
an Charakter und Zweck verschieden. Die griechischen Athleten waren
freie Bürger; an einigen Spielen nahmen die vorneh msten Män-
ner, ja selbst Könige der griechischen Zunge, wenigstens durch Stell-
vertreter, Theit. Bei den Römern waren die Spiele blose Volksbe-
lustigung, die durch gedungene Leute vom niedrigsten Pöbel oder durch
abgcrichtete Sklaven geschah. Anstatt, wie bei den Griechen, die edle
Ruhmbegierde zu entzünden, durch Wetteifer das Talent zu erhöhen,
und ein Band der Vereinigung für freie Völker zu scyn, bewirkten
die römischen Spiele späterhin das Vergessen der Freiheit, und nähr-
ten zugleich die Frivolität und die Barbarei des Charakters. Von
den Ausschweifungen und den selbst staatsvcrderblichen Faktionen
des Circus wird noch in der späteren Kaisergeschichte die Rede seyn.
Eine noch schärfere Rüge verdienen die amphitheatralischen
Spiele, welche wir schon in den Zeiten der Republik in ihrer empö-
renden Abscheulichkeit erblicken. Im 490stcn Jahre nach Erbauung der
Stadt wurden znm erstenmal öffentliche gladiatorische Spiele gege-
den. Als eine barbarische Privatleichenfeier waren sie schon von
(*) Wahrhaft abenteuerlich ist die Ehre, die solchen olympischen Siegern
widerfuhr. Sie wurden von den größten Dichtern besungen, in die Annalen
verzeichnet, im Triumphgepränge von ihren Mitbürgern eingeholt, oft mit
reichen Gaben belohnt und lebenslang verehrt. Es war unmöglich für den
Retter des Vaterlandes niehr zu thun. Aber gerade durch solche Ver-
herrlichung der olympischen Sieger übte und vervollkoirmmete sich die bildende
und redende Kunst.
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T22: [Gott Zeus Sohn Tempel Göttin König Held Mensch Opfer Erde], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T167: [Fest Tag Kirche Jerusalem Spiel Stadt Hofer Volk Jahr Zeit], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
226
Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
belebend für die Kraft, aber der Philosophie hinderlich und unfruchtbar
für die Moral.
Diese Mangel wurden großenteils vergütet durch die glückliche
Organisation der Priesterschaft, welche zwar hier, wie allent-
halben, Feindin der Volksanfklärung war, aber nach ihren Verhält-
nissen derselben nur wenig zu schaden vermochte. Nicht die Priester
waren die Lehrer des Volks und die Erzieher der Jugend; cs wurde
nicht, wie im Orient, durch einen, wohl gar erblichen, Verein ihre
Macht gestärkt, das Monopol der Kenntnisse gehörte nicht Ihnen. Allen
im Volke war der Tempel der Wissenschaft offen (auch hier ist der
Geist der Freiheit sichtbar); Jeder mochte auf selbstgcwählter Bahn und
ungehindert seine Kraft versuchen, Jeder durch eigenthümlichen Geistes-
crwerb den allgemeinen Nationalschaz mehren, und in gegenseitigem
Wetteifer den Sporn zu unermüdeter Thätigkeit finden.
4) Und solches umso mehr, da auch die bürg erlichen Ge sez e
und Anstalten — insbesondere die wichtigen, so enthusiastisch began-
genen öffentlichen Spiele — auf die Erhöhung (euer schönen Riva-
lität zwischen Gemeinden, wie zwischen Einzelnen berechnet waren,
und die meisten Gcsezgeber, vorzüglich durch die Einführung einer
öffentlichen Erziehung dafür gesorgt hatten, daß von der frühe-
sten Jugend an in den Herzen der Bürger die Ruhmbegierde, der Na-
tionalstolz, die Liebe der Freiheit und des Vaterlandes entzündet, immer-
dar genährt und ein reges Streben nach allem Großen und Edlen
erzeugt würde.
§. 3. Und Ausbreitung.
Ans diesen Betrachtungen, in Verbindung mit Dem, was zerstreut
sowohl in der detaillirten Geschichte, als unter den übrigen Rubriken
von den Griechen gesagt ist, läßt sich die hohe Stufe, so wie der Cha-
rakter der griechischen Kultur würdigen und begreifen. Sie war
nicht rein und nicht ohne große Gebrechen, überhaupt mehr ästhe-
tisch, als rationell; für den Genuß des Lebensund die freie Reg-
samkeit der Kräfte vortrefflich, jedoch mit parteiischer Begünstigung
des Schönen vordem Nüzlichen, und weder dem Weltbürger-
sinne, noch der wahren Moral gedeihlich; ein anziehender Abdruck
des freudig erblühenden Jünglingsalters. Darum wäre es wohl
thöricht, ihre Rückkehr oder Nachbildung unter uns zu wünschen. Wir
können nicht mehr Griechen seyn, <> aber freuen wollen wir uns wenig-
stens" — wie ein geistvoller Schriftsteller sagt — "daß cs einmal Grie-
chen gegeben, und daß, wie jede Blüthe der menschlichen Denkart, so
auch diese ihren Ort und ihre Zeit zur schönsten Entwicklung fand." —
Wie weit die griechische Kultur durch Kolonien, Handel und
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T165: [Kunst Wissenschaft Handel Gewerbe Bildung Land Stadt Schule Zeit Volk], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
260
Drittes Kap. Kunst und Wissenschaft.
§. 10. Beredsainkeit.
Nicht minder, als durch die Dichtkunst glanzten die Griechen
durch Beredsainkeit hervor. Wenn jene in einer glücklichen Na-
turanlage und in der Harmonie der schönsten, klangvollsten aller
Sprachen eine mächtige Begünstigung fand: so war diese vorzugs-
weise die Frucht der freien Verfassung. Gleichwohl hob sich, bei
der Leidenschaft der Griechen für Poesie, die Prose nur langsam; selbst
Gescze wurden in Versen abgefaßt. Empedoklcs und Parmeni-
dcs trugen die Lehrsäze ihrer Philosophie in dichterischer Sprache vor.
Endlich bewirkten Pherccydes aus Scyros und Kadmns von Milet
die Aufnahme der ungebundenen Rede. Schriftsteller aller Art, be-
sonders Geschichtschreiber, vervollkommneten sie, und die lebendige
Beredsamkeit blühte auf in Volksversammlungen, Senaten und Ge-
richten. Auch die Redekunst gedieh, und verstärkte die Kraft der
natürlichen Suade. In Sicilien stiftete Korar von Syrakus die
erste Schule der Rhetorik; bald kamen ähnliche in Griechenland auf.
In diesen, wie in den philosophischen. Schulen herrschten aber nur
allzulang die Sophisten, welche mit ihrer spizfindigen und feilen
Kunst dem Verstand und Herzen schadeten. Gorgias vor den meisten
Anderen war berühmt in derselben, und erwarb sich großen Reichthum.
Die edlere Beredsamkeit siegte jedoch im Ganzen, und auch hier, wie
sonst allenthalben, hat der Ruhm Athens den der übrigen Griechen
überstrahlt. Kaum mögen neben den athenischen Rednern noch
andere genannt werden.
Wir haben der merkwürdigsten unter denselben — von Solon
und Pisistratus an durch alle Zeiten der Freiheit —, als eines
Thcmistokles, Perikles (des Donnernden), Alcibiades, Äschi-
nes, vor Allen aber des großen Demosthenes (*), theils in der
politischen Geschichte, theils in jener der Staatsverfassnng (S. 232)
gedacht. Auch Antiphon, Andocides, Lysias, Lykurgus, Dc-
m ades und viele Andere haben Ruhm erlangt; aber Mehrere schän-
deten denselben durch feile Gesinnung. Nicht also der ehrwürdige Iso-
krates, welchem jene zum Theil ihre Bildung verdankten. Isokra-
ste den Römern gefallen sollte, erheischte, konnte die Sitte anfkommen, die
Deklamation der Rolle davon zu trennen, und einem anderen Schauspieler
zu überlasten. Endlich machte die Vervollkommnung der Geberdensprache die
Deklamation ganz entbehrlich. Von dem Künstler Memphis wird behauptet,
daß er nicht nur leidenschaftliche Rollen, sondern sogar Lehrsäze einer abstrak-
ten Philosophie durch Mimik dargestellt habe! —
(*) Diesem herrlichen Manne hat Heeren (Ideen Iii. Thl. S. 411 f.)
ein würdiges Denkmal gesezt. Und auch Sich selbst. In der Auswahl der
Lieblingecharaktere spiegelt stch die eigene Seele des Schriftstellers.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T14: [Athen Stadt Athener Sparta Spartaner Griechenland Krieg Perser Flotte König]]
TM Hauptwörter (100): [T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T31: [Athen Athener Spartaner Flotte Perser Stadt Sparta Krieg Schlacht Griechenland], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T22: [Athen Athener Sparta Solon Spartaner Staat Jahr Stadt Krieg Mann], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
500 Drittes Kap. Kunst und Wissenschaft.
den Potybins (s. oben S. 5) insbesondere gewürdigt. Es ist aller-
dings zu beklagen, daß von so vielen Schriftstellern theils gar Nichts,
theils nur unbedeutende Bruchstücke erhalten wurden; aber die spä-
teren, die wir noch befizen, haben wenigstens aus jenen geschöpft.
Auch ist es nach den Proben, die vor uns liegen, wahrscheinlich, und
bei der Betrachtung des Zeitgeistes in der macedonischen und römi-
schen Periode — denn nur die Freiheit kann Großes erzeugen —
leicht erklärbar, daß unter allen Verlorenen Keiner war, der einen
Thucydidcs oder Tenophon erreicht hätte.
Ueber die Historiographie der Hebräer (s. oben S. 97 die
Quellen ihrer Geschichte) ist in diesem Zeiträume nichts Besonderes
zu sagen.
§. 12. Römische.
Dafür fordert Rom unsere volle Aufmerksamkeit. Zwar viele von
den Schriftstellern, die wir unter den Quellen dieser Periode anfzähl-
ten (oben S. 111 f.), gehören erst dem folgenden Zeiträume an; aber
die größten haben schon den gegenwärtigen oder doch gleich den An-
fang des nächsten verherrlicht; eine allgemeine Charakteristik dersel-
den mag hier füglich ihre Stelle stnden. Vieles davon wird auch auf
die griechischen Geschichtschreiber passen.
Unter allen ernsten Disciplinen wurde, die Rechtswissenschaft
ausgenommen, von den Römern die Geschichte am meisten geschäzt.
Nationalstolz trieb sie an, sich an den Thaten der Vorfahren zu er-
gözen, und sie hatten die Wirksamkeit großer Beispiele zur Erhebung
des Charakters erkannt. Daher, sobald unter ihnen die Geschichte,
mit der allgemeinen Kultur, einigermaßen aus der Km'dheit hervor-
trat, Ehre in reichem Maße den Geschichtschreibern zu Theil wurde,
und bald auch die Ersten im Staate nach dieser Ehre strebten. Nicht
weit er Dichter war, sondern weil er die Thaten der Römer
besungen, wurde Ennius so laut gepriesen und seine Leiche der
Beisezung im Familienbegräbnisse der Scipionen gewürdigt. M. Por-
cius Cato aber, der in seiner altrömischen Strenge gegen die Ein-
führung verschiedener Wissenschaften, als verschwistert mit Weichlich-
keit und Verderbniß, eiferte, suchte seinen eigenen Ruhm durch Ver-
fassung historischer Bücher zu erhöhen. Wenn wir von ihm an durch
fast alle folgende Zeiten die Reihe der römischen Geschichtschreiber
durchgehen; so finden wir uns meist unter den ausgezeichnetsten —
oft erlauchten — Männern des Staates. Fa bi ns Pictor, dessen
Haus Rom so viele Consuln und Diktatoren gegeben, Fnlvius No-
bili or, Posthum ins Alb in ns, Pi so Frugis, Aemilius
Scauruö, Lntatius Catulnö und viele Andere — insgesammt
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T20: [Rom Jahr Cäsar Senat Kaiser Pompejus Antonius Tod Krieg Sohn]]
TM Hauptwörter (100): [T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T55: [Rom Krieg Römer Jahr Heer Cäsar Hannibal Pompejus Marius Schlacht], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T162: [Jahr Rom Senat Plebejer Volk Gracchus Cicero Gesetz Konsul Marius], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
Extrahierte Personennamen: Cato Frugis Aemilius
Scauruö Lntatius_Catulnö
t
Histo r i e. 50l
Consuln und zum Thei'l aus den vornehmsten Geschlechtern —, Hor-
tensius, Atticus, M. Brutus, Asiuiuö Pollio re., deren
Name allein zu ihrem Ruhme hinreicht, schrieben (wenn gleich sezt
meist verlorene) Geschichten: ja selbst der gefürchtete Sulla, der
große Julius Cäsar und der glückliche Alleinherrscher Augustus
hielten cs ihrer nicht uuwerth, mit eigener Hand ihre Thaten fitv die
Nachwelt aufzuzeichnen. Auch die Geschichtschreiber des folgenden Zeit-
raums sind meist ihren Vorgängern ähnlich an Rang und Würde.
Von solchen Männern lassen sich freilich, nach ihrer vollkommeneren
Ausbildung und ihrem Standpunkte, im voraus ganz andere Werke
erwarten, als von unbedeutenden Privatpersonen, denen bei allem
Talente und Fleiß der Gang der großen Geschäfte völlig verborgen
bleibt. Dieser einzige Umstand schon gibt den alten Geschichtschreibern
gegen die neueren eine Ueberlegenheit, die sehr schwer wieder aus-
geglichen wird. Aber noch sind jenen andere Vortheile eigen: Sie
hatten meist nur Ein Volk, wenigstens nur ein Hauptvolk bei ihren
Darstellungen im Auge, und bei diesem einen Volke waren Krieg und
Staatsverfassung fast die einzigen Punkte, auf die sie Rücksicht nahmen.
Leichter war es, so wenige Gegenstände zur Einheit zu verbinden
und lebendig zu schildern, was man selbst und lebendig erfahren hatte,
als — wie den neueren obliegt — aus den Schicksalen vieler Völker
und aus den vielfältigen Bestimmungen ihres Zustandes, welche zum
Theil die neuere Staatskunst erst geschaffen, zum Theil erst ihrer
Aufmerksamkeit wcrrh gefunden (als Ackerbau und Handel, Religion,
Wissenschaft, Gesezgebung und Finanz rc.), ein beseeltes Ganzes zu
bilden (*). Schreiben wir daher den geringeren ästhetischen Werth der
neueren Geschichtsbücher gegen die alten nicht schlechterdings dem ge-
ringeren Genie ihrer Verfasser, sondern vielmehr dem durch den Gang
der Civilisatiou nothwendig geänderten Ton und Inhalt der Geschich-
ten zu, und erkennen wir, daß, wenn unsere Historiker weniger schön
und energisch und national, als die alten sind, sie dafür unpartei-
ischer, vielseitiger und genauer, reicher an Materialien (durch die
Druckerei und den Verkehr der Völker), mehr ausgesezt dem Tadel
und der Zurechtweisung, mit größeren Schwierigkeiten der Darstellung
ringend, daher desto lobenswürdiger bei dem Gelingen sind.
Iv Mathematische und physikalische Wissenschaften.
§. 13. Vor Aristoteles.
Diese Wissenschaften hatten die Griechen von den Orientalen er-
halteu, in mäßiger Ausbildung. Sie führten sie weiter; doch konnte
(*) Vergl. Antillen vom Unterschiede zwischen den alten und neuen Ge-
schichtschreibern.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T165: [Kunst Wissenschaft Handel Gewerbe Bildung Land Stadt Schule Zeit Volk], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
Extrahierte Personennamen: Brutus Brutus Asiuiuö_Pollio Sulla Julius_Cäsar Cäsar Augustus Augustus
502
Drittes Kap. Kunst und Wissenschaft.
bei erst kurz eröffnetcr Laufbahn alle Kraft des Genies die Beschrän,
kung nicht heben, di< in dem Mangel großer Vorarbeiten vervoll-
kommneter Instrumente, wohlberechneter Anstalten und in anderen, so-
wohl literarischen, als auch religiösen und politischen, Verhältnissen
lag. Die Fortschritte der Griechen sind unvergleichbar geringer, als
jene der neueren Zeit.
Bis auf Aristoteles waren die einzelnen Disciplinen weder
unter sich, noch von der eigentlichen Philosophie gehörig gesondert; die
Gelehrten — welche von Pythagoras an überhaupt den Namen
der Philosophen führten — trieben meistens alle zugleich. So
wurde einerseits der betrachtende Geist durch die Menge ungleichar-
tiger Gegenstände zerstreut; anderseits, bei der Behandlung, das Ideale
mit dem Realen, zum Nachtheile beiderlei Erkenntniß, vielfältig ver-
mischt. Die Wissenschaften hoben sich nur wenig, so lange dieses
Verhältniß bestand.
Doch wurde durch einzelne große Männer wenigstens die Bahn eröff-
net; es wurden Materialien zum Baue gesammelt, und der Grund gelegt.
Um die reine Mathe sis haben sich Pythagoras und Tha>
les, auch des Leztercn Schüler Anarimander (der erste Verfer-
tiger von Landkarten) und Ana rag oras (von welchem unten ein
Mehreres) verdient gemacht. Aber Pythagoras entstellte die Wissenschaft
der Zahlen durch mystischen Gebrauch; und die wahre Vervollkomm-
nung der Geometrie blieb der platonischen Schule Vorbehalten.
Dagegen wurde die Astronomie durch den Fleiß der jonischen,
und noch mehr der pythagoräischen Schule, gehoben. T ha les berech-
nete eine Sonnenfinsterniß; Pythagoras aber erkannte das wahre
Weltsystem zum Theil bestimmt, zum Theil durch kühne Muth-
maßnngcn; wiewohl solche Lehre, als dem Zeugniß der Sinne zu sehr
widerstrebend, außer dem Kreise seiner Schule keinen Eingang fand. Die
I a h r es b e r e chn u n g wurde nach einander durch Thatcs, M c to n
und Kal lip p us verbessert (hievon und von den späteren Fortschritten
hierin s. I. B. Einleit. §. 50.), zur Messung der kleineren Zeittheile aber
hatten schon die Orientalen Sonnen - und Wasseruhren erfunden.
Mechanik, Hydrostatik, Hydraulik und noch mehr die op-
tischen Wissenschaften blieben vvrjezt noch in- der Kindheit., So auch
im Ganzen genommen die Naturwissenschaften. Noch war der
Gesichtskreis zu sehr beschränkt. Die Produkte ferner Länder und Zonen
fehlten dem vergleichenden Beobachter, und man hatte keine Vorrich-
tungen zu Experimenten. Aus wenigen und mangelhaften Daten ließ
sich keine reale Wissenschaft bauen; spekulative Theorieen, die den
Mangel ersezen sollten, verwandelten die Unwissenheit in Irrthum,
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T30: [Periode Abschnitt erster zweiter Zeitraum dritter Jahr Kapitel Sonne Planet]]
TM Hauptwörter (200): [T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T124: [Wasser Luft Sauerstoff Körper Stoff Kohlensäure Teil Feuer Pflanze Kalk], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
Mathematische und Physik. Wissenschasten. 305
und die Thorheiten der Magie, die ans dem Fetischmns und Pric-
stcrbetrng hcrvorgegangcn, benahmen dem Forschungsgeiste die Flüget.
Einige große Geister (wie Demokrit) warfen die Fesseln von
sich; doch konnten sie nur Licht in einzelne Räume bringen. Die Zweige
der Naturkunde, die dem gemeinen Bedürfnisse näher tagen, wurden
nicht ohne Erfolg bearbeitet, insbesondere die Metallurgie und
soviel von der Chemie, als die Fabriken und Gewerbe und auch
die Medizin zu ihrem unmittelbaren Gebrauche erheischten.
Die Arzneikunde hatte sich zuerst von der Philosophie und von
den übrigen Wissenschaften gesondert, um einen eigenen Gang zu
gehen, ohne jedoch von dem bald hemmenden, bald befördernden Ein-
fluß derselben befreit zu werden. Noch weniger machte sie sich vom
Aberglauben los; lange Zeit suchten die Kranken in Tempeln Ge-
nesung. Die Priester derselben bewahrten die Kenntniß verschiedener
Heilmittel als Geheimnisse, und überall wurde die Arzneiknnde nur
empirisch, nicht rationell getrieben. Der unvollkommene Zustand
der Naturwissenschaft hielt sie in unvermeidlicher Beschränkung, Re-
ligiosität verbot lange Zeit das Zergliedern menschlicher Leichen. In
diesen Verhältnissen erscheint der große Umfang der Kenntnisse eines
Hippokrates wahrhaft bewunderungswürdig. Auf impirische Weise,
insbesondere durch Vergleichung der in Tempeln (etwa ans Votiv-
tafeln) verzeichnten Heilungsarten einzelner Krankheitsfälle, war er da-
zu gelangt, aber er brachte den Geist der Wissenschaft zu solchem
Studium, und zog ans zerstreuten Erfahrungen allgemeine Grundsäze s*).
Später geriet!) die Arzneiknnde auf den entgegengesezten Abweg.
Die Aerzte gencralisiten zu viel, und zwar nach Hypothesen und idea-
len Spekulationen, nicht nach Grundsäzen der Erfahrung. Man trug
die verschiedenen Systeme der philosophischen Schulen, und
mit ihnen Sektcngeist und Verblendung, auf die Arzneiwissenschaft
über, schwor zu einer bestimmten Methode, und huldigte dem Ansehen
des Meisters, nicht jenem der Natur. So wurde das Fortschrciten
unmöglich, und — mit Ausnahme der Anatomie, welche beträcht-
lich gewann — war man an richtigen ärztlichen Kenntnissen in Angn-
stus Zeiten' ärmer, als in jenen des Hippokrates.
§. 14. Nach Aristoteles.
Von Aristoteles hebt eine neue Periode in der Geschichte der
Wissenschaften an. Dieser große Denker, dessen ungeheueres Genie das
ganze Reich der Erkenntniß umfaßte, sonderte die einzelnen Gebiete
/(’) An Ihm wurde sein eigenes Wort erfüllt: (pikoaocpos
iccs'eoi’."
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
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Extrahierte Personennamen: Aristoteles Aristoteles
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Drittes Kap. Kunst und Wissenschaft.
und Ph er ec yd cs Schüler, verließ, wie man sagt, sein Vaterland,
um Potykratcs Herrschaft zu entfliehen, und trat, nach vieljäh-
u'gen Reisen, in Großgriechenland als politischer und morali-
scher Reformator ans. Zll Croton, welches damals von Pöbetmacht
bedroht und durch Sittenverderbniß tief hcrabgcbracht war, stiftete
er durch Lehre, Beispiel und durch den Einfluß einer zahlreichen Ver-
brüderung, die er an viele mystische und symbolische Gebrauche —
die Haupttendenz war Selbstbeherrschung — band, eine bewunde-
rungswürdige Revolution, deren Wirkung sich nicht auf Croton be-
schränkte, sondern — durch den Eifer einzelner Schüler und durch
Stiftung von Töchteranstalten über viele Städte Großgricchcn-
lands, ja selbst nach Afrika, verbreitete. Aber Er Selbst erfuhr
noch die gewaltsame Zerstörung seines Bundes durch die wnthende
Gegenpartei. Die Verfolgung war allgemein. Ein Tyrann ließ die
Pythagoräer in ihrem Versammlungshause verbrennen. Pythagoras
Selbst starb nach vielfältiger Bcdrängniß.
Die pythagoräische Schule bestand aus äußeren und inneren
Kreisen. Mühsame Prüfungen bahnten den Weg zu den leztercn, und
erst in diesen wurde man des höheren Unterrichtes gewürdigt. Das
Lehrsystem des großen Meisters, wie Alles, was ihn betrifft, ist in
schwer zu durchdringendes Dunkel gehüllt. Doch scheint er eine rei-
nere Ansicht von Gott und der Welt gehabt, einen die Materie
durchdringenden und beherrschenden Weltgeist, die Unsterblichkeit der
Seele (*) und das Walten gleichförmiger, allgemeiner Gesezc in
allen Reichen der Natur und des Himmels erkannt zu haben. Bei
der Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Sprache, solche hohe und ab-
strakte Begriffe würdig auszudrücken, nahm Pythagoras von den
Eigenschaften und Verhältnissen der Zahlen, so wie von jenen der
Töne, Anlaß, beide in die Metaphysik einznführen, und Arith-
metik und Musik als den Typus der Weltordnung zu betrachten.
Das eine und unveränderte Wesen der die Natur beherrschenden
Intelligenz ist die Mo veis, die wandelbare Materie mag Au« und
die Summe beider oder die Welt Trices heißen. Weiter: die h armón i-
sch cn Töne gespannter Saiten entstehen aus der Theilung derselben
nach den Zahlverhältnissen. Also sind Zahlen der Grund der Har-
monie und, da diese in dem ganzen Weltall herrscht, auch aller
Natnrgeseze, ja selbst der Moral, deren Summe in der Har-
monie des Empfindens und Handelns besteht.
(*) Charakteristisch war dabei die Lehre von der Seeteuwanderung,
welche auch dem Verbote des Fleischessens zum Grunde diente.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T187: [Religion Christus Christ Christentum Zeit Jahr Volk Christenthum Heide Geburt], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]