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206. Gregor Tu. und Heinrichlt.
Nachdem das sächsische Herrschergeschlecht ausgestorben war, wählten die
deutschen Fürsten einen neuen Kaiser aus fränkischem Hause, Konrad Ii.
Dessen Sohn Heinrich Iii. regierte sehr kräftig, aber starb zu früh und hinterließ
als Erben des Reiches einen erst sechsjährigen Knaben, Heinrich Iv. Um seine
Vormundschaft und Erziehung stritten sich zwei Erzbischöfe; aber indem er bald
von übermäßiger Strenge geleitet, bald durch zu große Milde und Nachsicht ver-
zogen ward, erwuchs er zu einem leidenschaftlichen und jähzornigen Jüngling, der
nur seinen Gelüsten folgte. Kaum mündig geworden, bedrückte er die Sachsen
ungebührlich und behandelte sie übermütig und grausam; sie empörten sich und
zwangen ihn zu einem Frieden, worin er alle in ihrem Lande angelegten Burgen
der Zerstörung preisgeben mußte. Später unterwarf er zwar wieder die Sachsen,
aber da er anfing, die zerstörten Schlösser wieder aufzubauen, wandten sie sich
mit ihren Klagen an den Papst Gregor Vii., dessen Herrschsucht keine Grenzen
kannte, indem er sogar auch alle weltlichen Herrscher sich unterwerfen wollte und
erklärte, die geistliche Herrschaft müsse die weltliche leiten, wie die Sonne den
Mond.
Auf die Klage der Sachsen forderte der Papst den Kaiser zur Rechenschaft.
Als Heinrich sich dieser Zumutung weigerte, that Gregor ihn in den Bann, d. h.
er verbot ihm, in die Kirche und zum heiligen Abendmahle zu gehen, und ließ den
Deutschen verkünden, sie brauchten ihrem Kaiser nicht mehr zu gehorchen. Gern
wäre Heinrich nun gleich an der Spitze eines Heeres nach Rom gestürmt und
hätte den stolzen Papst fortgejagt, aber seine Fürsten erklärten ihm: „Herr Kaiser,
wir dürfen dir nicht gehorchen, so lange du im Banne bist!" Was sollte der
Kaiser nun machen? Er reiste, von seiner Frau und nur einem Bedienten be-
gleitet, mitten im Winter nach Italien. Die Kaiserin ließ sich in eine Ochsenhaut
nähen und so von den eiskalten Alpen hinabgleiten. Der Papst war gerade im
Schlosse Canossa*). Er ließ den Kaiser nicht gleich vor sich, sondern schickte ihm
einen wollenen Kittel — ein Bußkleid — zu. Das mußte der arme Heinrich an
den bloßen Leib ziehen und damit barfuß und im bloßen Kopfe drei Tage und
drei Nächte unter freiem Himmel auf dem Schloßhofe zu Canossa zubringen. Da
erst sprach ihn der Papst vom Banne los und schärfte ihm ein, künftig ja gehorsam
zu sein. Seine Verbrechen sollten später untersucht und gerichtet werden. Einen
so harten Bescheid hatte Heinrich nicht erwartet. Mit Unwillen und Zorn im
Herzen schied er von Gregor, nach der günstigen Stunde sich sehnend, wo er sich
rächen könnte. Kaiser Heinrich kam nach Deutschland zurück. Seine Fürsten
bedauerten ihn, waren zornig auf den stolzen Papst und halfen ihrem Herrn wider
Rudolf von Schwaben, den seine Feinde zum Kaiser hatten machen wollen.
Dann zog er nach Italien und setzte Gregor Vii. ab, aber der neue Papst
that ihn aufs neue in den Bann. Die Geistlichen verleiteten Heinrichs eigene
Söhne, wider ihren Vater das Schwert zu ergreifen — ja, am Ende ihn gar ab-
zusetzen. Der arme Heinrich starb, nachdem er 65 Schlachten geliefert hatte, im
^ahre 1106, durfte aber, da er im Bann war, nicht einmal ordentlich begraben
*) Bei Modena in Oberitalien. Die Ruinen von dem berühmten Schlosse sind noch vor-
handen, in welchem der schwache Kaiser sich so schmachvoll vor dem hochmütigen, herrschsiichtigen
Papst beugte.
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Extrahierte Personennamen: Gregor_Tu Gregor Konrad_Ii Konrad Heinrich_Iii Heinrich Heinrich_Iv Heinrich Gregor_Vii Gregor Heinrich Heinrich Gregor Gregor Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Gregor Gregor Heinrich Heinrich Rudolf_von_Schwaben Rudolf Gregor_Vii Gregor Heinrichs Heinrich Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Sachsen Sachsen Rom Italien Deutschland Italien Modena Oberitalien
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verstanden cs Otto's Nachfolger nicht, diesen Gedanken festzuhalten und weiter zu
verwirklichen. So kam es, daß nach gut 100 Jahren die Macht des Papsttums
eine erstaunliche Höhe erreicht hatte.
Papst Gregor Vii. war es, der einen mächtigen und allgewaltigen Ein-
fluß in kirchlichen und staatlichen Dingen an den Tag legte. König Heinrich Iv.
hat in Canossa jene geistliche Übermacht so bitter gekostet, wie gewiß nie ein
Fürst vor oder nach ihm. Um aber Rom zur priesterlichen und kaiserlichen Herr-
schaft zu erheben, entzog er die Besetzung geistlicher Stellen den weltlichen Ge-
walten, und andererseits setzte er die Ehelosigkeit der Priester durch (das Cölibat),
wodurch er letztere von der staatlichen Gemeinschaft losriß und sie nur dem kirch-
lichen Vorteil dienstbar machte. Die Bestrebungen Gregor Vii. gelangten unter
seinen Nachfolgern immer mehr zur Geltung; ja, die päpstliche Macht hat sich seit
ihm noch bedeutend gesteigert. Der Papst allein berief die Kirchenversammlungen
und führte auf ihnen in Person oder durch seine Stellvertreter den Vorsitz. Er
hatte das Recht der Befreiung von allen Kirchengesetzen und das der Heilig-
sprechung. Indem die Bischöfe und Äbte dem Nachfolger Christi den Huldigungs-
cid schwören mußten und nur von ihm das Bischofsamt erhalten konnten, waren
sic vollständig von ihm abhängig. Dazu kam, daß das Vermögen der Kirche durch
Schenkungen und Vermächtnisse besonders zur Zeit der Krcuzzüge zu einer ansehn-
lichen Höhe angewachsen war, wodurch ihr Einfluß noch um ein Bedeutendes wuchs.
Derjenige Papst aber, unter welchem die Kirche ihre höchste Macht entfaltete,
war Innocenz Iii. (1198—1216). Sein höchstes Bestreben war, den päpst-
lichen Stuhl über alle Gewalten der Erde zu erheben, indem der Gedanke, daß er
Stellvertreter Gottes auf Erden sei, alle seine Handlungen leitete. Er machte den
Kirchenstaat (in Italien) unabhängig, empfing von den Königen Europas Zins und
erhob Rom noch einmal zur Beherrscherin der gebildeten Welt. Wie Papst
Innocenz eifrig bemüht war, einerseits die Kirche streng zu ordnen und ihre
Stellung überall zu heben, so war er andererseits darauf bedacht, ihr Ansehen auch
gegen diejenigen zur Geltung zu bringen, welche die Auswüchse der katholischen
Lehre verwarfen*). In einem über alle Maßen grausamen Kreuzzuge wurden
diese Andersdenkenden im Anfang des 13. Jahrhunderts fast vernichtet. Die Aus-
rottung ihrer geheimen Überreste übertrug der Papst geheimen Gerichten. So
entstand die Inquisition (Gerichte zur Aufspürung und Verurteilung von
Ketzern). Die Nachfolger dieses gewaltigen Papstes wurden in ihren Bestrebungen
und Kämpfen gegen die weltliche Gewalt noch durch Errichtung mehrfacher Orden
(Bettelorden) unterstützt. Das Grundgesetz eines desselben, des Dominikanerordens,
war Aufopferung für den allein seligmachenden Glauben; ein anderer, der Fran-
ciskanerorden, ward mit dem Rechte beschenkt, daß seine Mitglieder überall predigen
und Beichte hören durften (Ohrcnbcichtcn). — Das Werk der Päpste Gregor Vii.
und Innocenz Iii. ist in seiner Entwickelung stetig fortgeschritten, und jetzt?
Innerlich steht das Papsttum der Gegenwart ungebrochen, ja noch größer
in seiner Herrschsucht und Anmaßung da als zu Innocenz' Zeit; nur seine äußere
Weltmacht hat im Laufe der Geschichte den alten Glanz verloren — hoffentlich
für immer! Das Papsttum verschanzt sich nicht mehr wie früher hinter fran-
zösischen Gewehren und Kanonen; cs herrscht nicht mehr über den Kirchenstaat,
*) Gegen die Albigenser (Katharer und Waldenser — deren Verein um 1180 durch
Petrus Waldus von Lyon gestiftet mar).
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Extrahierte Personennamen: Gregor_Vii Gregor Heinrich_Iv Heinrich Gregor Innocenz_Iii Innocenz Innocenz Innocenz Gregor Innocenz_Iii Innocenz Petrus_Waldus
Extrahierte Ortsnamen: Canossa Heilig- Christi Italien Europas Rom Lyon