116
Dritte Periode, von 1150—1300.
Außerdem behandelten diese Dichter des Kunstepos noch Legenden und
Erzählungen geistlichen und weltlichen Inhalts. Somit ist der
Gegenstand des Kunstepos nicht das Erlebte und die Erfahrung eines
ganzen Volkes, sondern nur das Erlebnis einzelner Personen, ja oft nur
das von dem phantasiereichen Dichter romanartig Erfundene. Dazu ist die
Darstellung des Stoffes, entsprechend der Auffassung des dem glänzen-
den Ritterstande angehörenden Dichters und entsprechend dem Hörerkreise
von stattlichen Ritterit, holden Frauen und anmutigen Jungfrauen in den
prächtigen Sälen der Herrenhäuser, glänzend und schillernd in immer neuen
Reizen. Daher das bunte Malen und breite Schildern, daher die vielen
Bilder und Gleichnisse, daher die Einmischung von Betrachtungen über
das Erzählte. Auch das, was den Sinn des ritterlichen Sängers erfüllte
und das Wesen des Rittertums ausinachte, spiegelt sich in den Dichtungen
wieder, wie die höfische Sitte, das üppige Leben, der Drang nach Abenteuern
und Phantastischem, der Minnedienst mit allen seinen hohen Ideen, aber
auch mit seinen oft traurigen Verirrungen. So tritt das rein Menschliche
zurück vor den Forderungen der ritterlichen Sitte, der ganzen höfischen
Weise; „die Gestalten der Geschichte und Sage sind innerlich und äußer-
lich umgewandelt zu Gebilden des Rittertums". Der Dichter tritt mit
seiner Subjektivität, mit seiner ganzen Individualität, auch mit seinem
Namen in den Vordergrund; er sucht nicht durch kunstlos einfachen
Stoff, sondern durch den Schmuck und die Zierden, mit welchen er den-
selben ausstattet, anzuziehen und zu fesseln. Dieses Streben bringt ihn
auch dahin, einen Wortschatz zu bilden, der durch starke Einmischung
fremdländischer Ausdrücke nicht selten undeutschen Anflug erhält.
Einfach ist dagegen die metrische Form, in welcher diese Epen ge-
schrieben sind: die sogenännten Reimpaare, welche, durch Teilung der
althochdeutschen Langzeile entstanden, aus Versen mit drei oder vier
Hebungen bestehen, je nachdem die Reime klingend (weiblich) oder stumpf
(männlich) sind (s. Beispiel S. 123).
8 12.
Dichtungen der vorbereitenden Zeit des Kunstepos, von 1150—1180.
Der eigentlichen Blütezeit der höfischen Dichtung ging eine Zeit der
Vorbereitung voraus, welcher noch die Vollendung des Versbaues, die
(mont sauvage) in ■’ftorbfpamen. Zugleich gründet er zum Dienste desselben den Ritter-
orden der Ternpleisen (nach km Vorbilde der Templer gedacht), in welchen nur de-
mütige und herzensreine, dabei aber mit allen heldenhaften Tugenden ausgestattete
Ritter aufgenommen werden können. — Eine Vereinigung der Gralssage mit der Artus-
sage, des geistlichen Rittertums mit dem weltlichen, finden wir im Parzival, Ti-
tnrel und Lohengrin, von welchen drei Werken uns jedoch nur das erste beschäftigen wird.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T106: [Kloster Jahr Schule Mönch Kirche Kind kranke Frau arme Knabe]]
§ 24. Aus Frcidanks Bescheidenheit.
193
1. Der Winsbeke, welcher die Weisheitslehren eines Ritters an
seinen Sohn enthält, ausgezeichnet durch die Innigkeit seines Inhaltes.
(Die Winsbekin, ein didaktisches Zwiegespräch über höfische Zucht und
Sitte zwischen einer adligen Mutter und ihrer Tochter, ist eine Nachahmung
des erstern.)
2. Der welsche Gast (d. h. Fremdling ans Welschland — Italien)
des Thomasin von Zerkläre aus Frianl, welcher um 1216 in
seinem Gedichte als genauer Beobachter und Kenner der Welt eine Art
von System einer Sittenlehre aufstellt, indem er die staste, d. h. Be-
harrlichkeit (etwa das, was wir Charakter nennen), als die Grundlage
aller Tugenden bezeichnet, während ihm die unrasts, die Unbeständigkeit,
die Quelle aller Laster ist.
3. Die Bescheidenheit des Freidank. Hypothesen über die
Person des Dichters sind mehrfach aufgestellt. Nach denselben ist der
Name bald ein Geschlechtsname, bald ein angenommener (Freidank —
Freidenker), und der Dichter kein geringerer als der große Lyriker Walther
von der Vogelweide. Da aber keine dieser Hypothesen als die richtige
sich erhärten läßt, so wissen wir nur, daß der Dichter als wandernder
Sänger im Jahre 1229 an dem Kreuzznge Friedrichs Ii. teilnahm und
in Syrien einen Teil seines Werkes schrieb. Dasselbe ist genannt
„Bescheidenheit", weil es in den wichtigen weltlichen und religiösen
Dingen Bescheid, d. h. Einsicht und richtige Beurteilung geben
soll. Das einen Schatz verständiger, sinniger Ansichten und inhaltsreicher,
goldener Sprichwörter enthaltende Buch genoß bis znm 17. Jahrhundert
ein solches Ansehen, daß es „die weltliche Bibel" genannt wurde. In
neuerer Zeit ist es durch Lessing und Herder wieder bekannt geworden
und ist auch heute noch ein treffliches Laienbrevier.
8 24.
Aus Frcidanks Bescheidenheit.
Eingang.
Ich bin genannt Bescheidenheit,
Die aller Tugend Krone leiht.
Freidank hat mich zurechtgestellt,
Gewiß auch Fehler beigesellt.
von Gott.
Gott dienen ohne Wank,
Der hat sich selber betrogen
Und zimmert auf den Regenbogen.
Das ist der Weisheit Anfang.
Wer um diese kurze Zeit
Läßt die ew'ge Seligkeit,
Wenn der Regenbogen sich zerläßt,
So weiß er nicht mehr, wo sein Nest.
Hense, Lesebuch. I.
13
TM Hauptwörter (50): [T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
§ 28. Lessings Werke. — Die dichterischen Werke. 121
die Laune seines Herrn zu befriedigen; Orsina eine leidenschaftliche, im
Gefühl der gekränkten Liebe von Rachsucht geleitete Italienerin; Emilia
ein Bild der Schönheit und Anmut, ausgezeichnet durch Frömmigkeit und
Milde, jedoch auch energisch genug, den Tod der Entehrung und Schande
vorzuziehen; Claudia eine eitle und nachsichtige Mutter, ihr Mann
Odoardo, gleich dem Grafen Appiani, „das Muster aller männlichen
Tugend"; er ist trotz des Titels der eigentliche Held des Stückes, der
in der Wahrung der sittlichen Unschuld und Ehre das höchste Gut erblickt
und seine Tochter ersticht, um ihre Unschuld und Ehre zu retten. Neben diesen
Personen stehen die charakteristischen Figuren des Banditen, des bedächtigen
Ratsherrn Camillo Rota und des für die Kunst begeisterten Malers Conti.
„So entspringt der Verlauf der Handlung, wie die Kunstregeln
der Hamburgischen Dramaturgie verlangten, aus den Charak-
teren. In der Motivierung ist keine Lücke, und technische Schwierig-
keiten, die sich aus der gewählten Ökonomie ergaben, sind wie mit spielender
Hand gelöst." Daher kann, wie „Minna von Barnhelm" als Muster-
lustspiel, „Emilia Galotti" als Mustertragödie bezeichnet wer-
den, als volle, reife Frucht, erblüht aus Lessings umfassendster Kenntnis
der tragischen Kunst und aus seiner Kritik in der Dramaturgie.
Somit erscheint Lessing auch als Reformator des deutschen Theaters,
indem er nicht bloß maßgebende theoretische Forderungen aufstellte, sondern
dieselben auch schöpferisch betätigte, wenn er selbst auch über seine
dichterische Fähigkeit in großer Bescheidenheit wenig günstig urteilte (letztes
Stück der Dramaturgie).
,,Nathan der Weise", ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen,
erschien 1779. „Nathan" ist ein Tendenzstück, hervorgegangen aus
jenen durch die Herausgabe der „Wolfenbütteler Fragmente eines Un-
genannten" (S. 109) hervorgerufenen religiösen Kämpfen. Da er nämlich
wegen dieser heftigen Streitigkeiten von der herzoglichen Regierung der
Zensursreiheit, die er als Bibliothekar bisher genossen hatte, beraubt wurde,
verlegte er die Polemik auf die Bühne, indem er versuchte, ob man ihn
„auf seiner alten Kanzel, auf dem Theater, wenigstens noch ungestört
wolle predigen lassen". So enthält diese Predigt Lessings religiöses
Glaubensbekenntnis in poetischer Form, die Ansicht, daß der gött-
liche Ursprung der Religionen sich nicht erweisen lasse, da keine
der geoffenbarten Religionen nachzuweisen vermöge, daß sie die wahre
sei; die richtige Religion sei die der tätigen Liebe, der Humanität.
Zur Veranschaulichung dieser Ansicht dient folgende dramatische Handlung,
die in die Zeit des dritten Kreuzzuges (1189—1192) verlegt ist und in
Jerusalem ihren Schauplatz hat.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T49: [König Königin Herzog Peter Hof Elisabeth Minister Tod Graf Regierung], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte]]
26 I. Beschreibende Prosa: Geschichtliche und geographische Charakteristik.
Wenn es außerdem in seinen Ausbreitungs- und Erhebungs-Verhält-
nissen der beschränkteste, am leichtesten überschauliche, am meisten gegliederte,
am meisten gangbare, belebte und bewegte, in seinen klimatischen der am
meisten gemäßigte und einheitliche; wenn es vermöge der durch alle diese
Eigenschaften geförderten Entwicklung seiner Völker der herrschende, geistig
gestaltende, fortbildende Erdteil, der Vorkämpfer der höheren Tendenzen
der Menschheit ist: so mußte natürlich die Mitte eines solchen, d. h. Deutsch-
land, eine ganz andere Bedeutung erhalten, als die Mitte jener kolossaleren
Erdteile, welche eine derartige Natur und Wirksamkeit nicht aufzuweisen
haben; es mußten die Bezüge zu dem vergleichungsweise mit letzteren klein
zu nennenden Ganzen und zu den übrigen einzelnen Teilen desselben be-
schleunigter, gedrängter, fester, gewissermaßen unvermeidlicher und not-
wendiger werden.
Auf diese Weise ist Deutschland in der That vermöge seiner centralen
Lage für den Zusammenhang dieses Ganzen unentbehrlich, ist, wie
für den Körper der Herzschlag, sein Lebenspunkt. Nur durch Deutsch-
land werden die übrigen Teile Europas zu einer wahrhaften Einheit
zusammengehalten. Sich anschließend an das mittlere sowohl der südlichen
wie nördlichen Glieder desselben, verknüpft es den Süden mit dem skan-
dinavischen Norden; und mit den entsprechenden Erhebungsformen ebenso
an dem gebirgigen West-Europa wie an dem flachen Ost-Europa an-
liegend und in sie übergehend, vermittelt es die Verbindung der gegliederten
und gebirgigen atlantischen Länder im Westen mit den einförmigen und
weiten sarmatischen Ebenen im Osten. Ringsum in Europa befindet sich
kein Land und keines der angrenzenden Meere, mit welchem Deutschland
nicht verwachsen oder mittelbar in leichte Berührung zu bringen ist.
Rings um dasselbe wie um ihren Mittelpunkt gruppieren sich Rußland
mit Polen, Skandinavien, Großbritannien, die Niederlande (Holland und
Belgien), Frankreich, die Schweiz, Italien, die Türkei, Ungarn, Galizien und
stehen mit ihm in unmittelbarer oder durch die vorhin genannten Gewässer,
die ihm einen kurzen und leichten Weg nach Süd-, Nord- und Nordwest-
Europa eröffnen, in naher, mittelbarer Verbindung.
Alle diese Länder, obwohl Teile eines größern Landorganismus,
des Kontinents Europa, haben doch auch wieder jedes im Vergleiche zu
den übrigen durch Lage, Begrenzung, innere Gestaltung und durch Be-
völkerung ein eigentümliches Gepräge und stellen in gewissem Grade
kleinere Individuen auf der Oberfläche jenes größern Ganzen dar. Dem-
nach kommen von allen Seiten her mit dem in der Mitte gelegenen
Deutschland eine Zahl Länder-Individuen in Berührung, und es ist
undenkbar, daß sie nicht, jedes in seiner Weise, sowohl auf dasselbe
in höherem oder niedrigerem Grade Einstuß geübt als auch von daher
TM Hauptwörter (50): [T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone]]
TM Hauptwörter (100): [T50: [Klima Land Meer Gebirge Europa Zone Norden Küste Süden Winter], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
TM Hauptwörter (200): [T193: [Meer Halbinsel Gebirge Norden Süden Osten Westen Küste Insel Europa], T109: [Europa Asien Afrika Amerika Australien Insel Erdteil Land Zone Klima], T176: [Frankreich England Rußland Deutschland Preußen Krieg Italien Spanien Schweden Holland], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm]]
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Europas West-Europa Ost-Europa Europa Deutschland Skandinavien Niederlande Holland Belgien Frankreich Italien Ungarn Galizien Nordwest-
Europa Europa Deutschland
6. Wesen der Romanze und der Ballade.
297
Stoff ruhig, plastisch, hell und durchsichtig dar; dabei zeigt sie die dem
Volke eigene gemessene Breite, eine gewisse Umständlichkeit in der Aus-
führung, die sich bei jedoch gleichmäßig fortschreitender Erzählung oft auch
auf kleine Momente erstreckt.
Dieser epischen Behandlung unterliegt nun ein Stoff, der die charak-
teristischen Eigenschaften des Spaniers, vorzugsweise des Kastiliers, auf
das treueste wiederspiegelt. Diese sind aber hochfliegender Nationalstolz,
tiefe Frömmigkeit, ritterliches Ehrgefühl und heißblütige Phantasie. Eben-
dieselben Eigenschaften durchziehen den ganzen Stoff der Romanze. Der-
selbe zeigt uns ein national begeistertes Volk im Kampfe gegen einen
Feind, den es um so tapferer angreift, als es, durchdrungen von der
Wahrheit seiner Religion und derselben in frommem Glauben auf das
innigste ergeben, in dem politischen Feinde auch einen religiösen Gegner
bekämpft; derselbe zeigt uns Helden, die bei christlicher Frömmigkeit und
oft demutsvoller Bescheidenheit dennoch, entflammt von Gedanken des
Idealen und Romantischen, in ritterlichstem Streben nur das hohe Ziel
der vollen Freiheit des Vaterlandes und der Niederwerfung des Islams
kennen. So faßt das dichtende Volk die Begebenheiten mehr von einem
idealen Standpunkte auf und läßt daher, um die idealen Beweggründe
des Handelns der ritterlichen Helden deutlich erkennen zu lassen, auch die
Tendenz, die Idee derselben mit Hilfe der Reflexion hervortreten.
Ein solcher Stoff hat nichts Schauerliches, nichts Grauenhaftes, er
ist vielmehr, wenn auch nicht oft heiter, sondern meistens ernst, fast stets
durchzogen von einer gewissen Milde, die uns angenehm berührt und uns
selbst mit furchtbaren, grausigen Kämpfen zu versöhnen versteht. Daher
erscheint uns auch der Cid vom Volke gefeiert, wenngleich in Widerstreit
mit der Geschichte, als das Ideal eines christlichen Helden, den jede ritter-
liche Tugend, Tapferkeit, Freiheitsliebe, Frömmigkeit, Demut, Hochherzig-
keit u. s. w., auf das glänzendste ziert.
Der lebhaften Phantasie des spanischen Volkes endlich entsprechend,
liebt die Romanze in vollem Einklänge mit dem sonnigen, farbenprächtigen
Laude, auf dessen Boden sie blühte, lichtvolle Schilderungen, glän-
zende Einzelheiten, stimmungsreiche und schwungvolle Diktion.
Der epischen Ebenmäßigkeit, der ruhigen Entwicklung der Er-
zählung angemessen, ist die Romanze ursprünglich stets in Versen mit fallen-
dem Rhythmus geschrieben, und zwar so, daß der vierfüßig trochäische Vers
der Nationalvers des spanischen Volkes genannt werden kann. Bei dem
großen Reichtume, den die spanische Sprache au voll tönenden Vokalen
besitzt, sind die Verse stets durch Assonanz, oft auch durch Reim ver-
bunden. Diese Form, die sogenannten Redondilien (Redondillas), weisen
schon die ältesten Romanzen auf. Bald jedoch führte mau, wie auch die
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
348
Ii. Lehrende Prosa: Poetik und Ästhetik.
und den Antinous, die Töchter der Niobe und den Laokoon schwerlich zu
erreichen getraut, dennoch mit nnverrücktem Fleiße diese Meisterwerke der
alten Kunst nachzeichnet, nachformt und studiert, weil er an ihnen die
höchsten Regeln der Kunst wahrnimmt: so sollen auch wir die Muster
der alten Denkart und an ihnen ihre Einfalt und Würde, ihre bestimmte
Genauigkeit und Wahrheit, ihren Wohlklang, ihre schöne Ründe und
Harmonie, ihre Kürze mit ihrem Reichtume zum Vorbilde unserer Ge-
dankenweise und unseres Vortrages, insonderheit in frühen Jahren, un-
ablässig studieren. Dies thun wir nicht nur, um Latein schreiben zu
lernen, wiewohl auch dieses ein nützlicher, rühmlicher und beneidenswerter
Zweck ist, sondern nach Art der Alten denken und schreiben zu lernen,
gesetzt, daß wir auch in der Sprache der Hottentotten schreiben müßten.
Denn auch in der Sprache der Hottentotten würde man gar bald den
erkennen, der aus dem Kastalischen Quell der griechischen Musen getrunken
oder seinen Ausdruck zur Bestimmtheit und Würde der römischen Schrift-
steller gebildet hat. Er möge nachher Briefe oder Akten, Predigten oder
Quittungen zu schreiben haben, nie wird er sich undeutsch und unvernünftig,
hinkend, lahm, unverständlich, ohne Zusammenhang oder schielend ausdrücken,
nie seine Schreibart mit unnützen Tautologien durchweben. Der Sinn
der Humanität, d. h. der echten Menschenvernunft, des wahren Menschen-
verstandes, der reinen menschlichen Empfindung, ist ihm aufgeschlossen,
und so lernt er Richtigkeit und Wahrheit, Genauigkeit und innere Güte
über alles schätzen und lieben. Er sucht nach diesen Grazien der mensch-
lichen Denkart und Lebensweise allenthalben und freut sich über sie, wo
er sie findet. Er wird sie in seinen Umgang, seine Geschäfte, von welcher
Art diese auch sein mögen, einzuführen suchen und ihre Tugenden auch
in seinen Sitten ausdrücken lernen, kurz, er wird ein gebildeter Mensch
sein und sich als einen solchen im kleinsten und größten zeigen. So die
lluwmuiora, in alten und neuen Schriftstellern studieren, ist etwas anderes,
als, wie jener es nannte, die Aalautiora nach neuester Art und Kunst
treiben; bei welchen Auluntioribus mancher so weit kommt, daß er sogar
seine Sprache vergißt und weder grammatisch noch selbst orthographisch
zu schreiben weiß, geschweige, daß in seinen Vorträgen und Aufsätzen an
einen gebildeten Menschenverstand oder an eine richtige Menschenvernunft
zu denken wäre.
Sind diese Grundsätze richtig, so ergiebt sich, daß, was in den
Schriften der Alten und Neuen zu Bildung der Humanität eines Menschen,
insonderheit eines Jünglings dient, auch zu den llurnauioridrw gehöre,
es möge solches Beredsamkeit oder Poesie, Philosophie oder Geschichte heißen.
Es ist schon gesagt, daß die Alten jene Unterscheidung zwischen schönen
und gründlichen Wissenschaften nicht kannten. Ihr Schönes mußte gründ-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache]]
TM Hauptwörter (200): [T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
182
I. Beschreibende Prosa: Litteraturgeschichte.
Das Volkslied war ihm die Blume der Eigenheit eines Volkes, seiner
Sprache und seines Landes, seiner Geschäste und Vorurteile, seiner Leiden-
schaften und Anmaßungen, seiner Musik und seiner Seele. Mit un-
vergleichlicher Beweglichkeit des Geistes und mit wunderbarer Kunst der
Nachbildung sammelte und übersetzte er die „Stimmen der Völker" unter
allen Erdstrichen und aus allen Zeitaltern, gleich aufmerksam ans die
Gemütslaute der Grönländer, Lappen, Tataren, Wenden und Morlaken,
wie ans die Laute der Schotten, Spanier, Italiener und Franzosen. Dies
ist das greifbarste und darum auch das anerkannteste Verdienst Herders.
Und doch wird man diesem Verdienste nicht in seinem vollen Umfange
gerecht, wenn man die gewaltigen wissenschaftlichen Anschauungen außer
acht läßt, welche Herder sogleich aus diesen neuen Entdeckungen zu ziehen
wußte. Was Herder 1773 in seiner herrlichen Abhandlung „Über Ossian
und die Lieder alter Völker", was er in der Einleitung zum zweiten
Teile der von ihm 1779 bei Wepgand in Leipzig herausgegebenen „Volks-
lieder" über" die sinnliche Kraft und Anschaulichkeit, über die schwung-
hafte, zwingende Frische und Kühnheit des Volksliedes sagte, ist bis auf
den heutigen Tag unübertroffen und hat für die Wiederbelebung unserer
eigenen Liederdichtung die segensreichsten Früchte getragen. Und von nicht
minder unermeßlichem Einflüsse war der geniale Scharfsinn, mit welchem
Herder immer und überall den großen geschichtlichen Hintergrund dieser
schlichten Volksphantasie hervorhob. Einige der allerfruchtbarsten Zweige
der heutigen Wissenschaft haben hier ihre triebkrästige Wurzel. Es zeigte
und bethätigte sich glänzend, was Herder gedacht und erstrebt hatte,
wenn er in jenen riugeuden Lehrjahren zu Riga einen Montesquieu der
Litteraturgeschichte verlangte. Herder ist es gewesen, welcher die ersten
Grundlagen zum Aufbau der vergleichenden allgemeinen Litteraturgeschichte,
des Erforschens der Poesie in allen Gestalten und Wandlungen gelegt
hat. In der Abhandlung über die „Ähnlichkeit der mittleren englischen
und deutschen Dichtkunst" ist diese hohe Aufgabe in folgenden Sätzen
ausgesprochen: „Die gemeinen Volkssagen, Märchen und Mythologien
sind gewissermaßen Resultat des Volksglaubens, seiner sinnlichen An-
schauungen, Kräfte und Triebe, wo man träumt, weil man nicht weiß,
glaubt, weil man nicht sieht, wo man mit der ganzen ungeteilten
und ungebildeten Seele wirkt; also ein großer Gegenstand für den Ge-
schichtsschreiber der Menschheit, für den Poeten und Poetiker und Philo-
sophen. Sagen einer und derselben Art haben sich mit den nordischen
Völkern über viele Länder und Zeiten ergoffen, jeden Ortes aber und in
jeder Zeit sich anders gestaltet; wo sind die allgemeinsten und sonderbar-
sten Volkssagen entsprungen, wie gewandert, wie verbreitet und geteilt?"
Ferner: „Die kriegerische Nation singt Thaten, die zärtliche singt Liebe;
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
22. Goethes Hermann und Dorothea.
193
Epopöenhelden, die man sich gepanzert und dabei mit Allongeperrücken
und Manschetten vorstellen kann; sondern etwas, das uns mit ähnlicher
Ehrerbietung erfüllen könnte, als den Griechen zu Homers Zeit die heroische
Kraft seiner großen Gestalten, an welchen die Welt schon damals hinauf-
sah, einflößen mußte. Und was wäre dies anderes als edle Einfalt?
Mag der Weltmann immerhin darüber spotten, daß hier die Wirtin zum
Goldenen Löwen als ein Vorbild weiblicher Vernunft und milder Größe
besungen wird; daß Hermann seiner Geliebten, einer Bäuerin, den Vor-
schlag thut, als Magd in das Haus seiner Eltern zu kommen: der Dichter
befragt nur Natur und Sittlichkeit, und wo sie reden, versinkt jede Über-.
einkunft der Meinung und der Mode in ihr Nichts.
Die Sitten wären also gefunden; aber nun hat der Dichter eine
epische Begebenheit zu suchen. In der glücklichen Beschränkung jener
Stände finden zerstörende Leidenschaften, kühne Unternehmungen, erstau-
nenswerte Thaten natürlicherweise nicht statt. Und dennoch bedarf er
zwar keiner tragischen Verwicklung, aber doch eines Vorfalles, der Größe
für die Phantasie habe. Er muß seine Menschen in entscheidende Lagen
stellen, damit nicht bloß die Oberfläche ihres Daseins geschildert, sondern
ihr Innerstes an das Licht gedrängt werde. Wenn nun die Dichtung
nicht über den stillen Kreis des häuslichen Lebens hinausgeht und nur
die anlockendsten Scenen desselben zu schmücken sucht, so ergiebt sich hier-
aus die Idee zu ländlichen Sittengemälden im epischen Vortrage: einer
anmutigen, gemischten Gattung, wovon wir an Vossens „Luise" ein so vor-
treffliches und in seiner Art einziges Beispiel besitzen. Ein eigentliches
Epos ist es freilich nicht, wie es denn der Dichter selbst auch nicht so
genannt hat, da es mehr Darstellung des Ruhenden, als ruhige Dar-
stellung des Fortschreitenden ist. Denn Familienfeste, wie ein Spaziergang,
ein Besuch nach einiger Trennung, selbst eine auf überraschende Art früher
gefeierte Hochzeit zweier Liebenden, deren Verbindung schon vor dem An-
fange des Gedichtes ausgemacht war, und deren Gefühle für einander
durch das Ganze hin unverändert bleiben, sind etwas nur physisch, in der
Zeit, nicht ethisch, d. h. im Gemüte und in den inneren Verhältnissen der
Handelnden Fortschreitendes.
Der große Hebel, womit in unseren angeblichen Schilderungen des
Privatlebens, Romanen und Schauspielen, meist alles in Bewegung gesetzt
wird, ist die Liebe. Die phantastische Vorstellungsart, das, wodurch die
Natur den Menschen in das Heiligtum der geselligen Bande nur einführt,
was die in ihm schlummernden Kräfte zu edler Thätigkeit zu wecken be-
stimmt ist, als den Mittelpunkt und das letzte Ziel des Lebens anzusehen
und es dadurch in eine müßige Schwelgerei des Gefühls zu verwandeln,
ist uns leider so geläufig, daß wir die Häßlichkeit und Verworrenheit
H ens e, Lesebuch. Hl 13
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung]]
Extrahierte Personennamen: Hermann Dorothea Hermann
Ii. Psychologie.
483
§ 17.
Während das Temperament etwas Angeborenes ist, welches frei-
lich gezügelt und geleitet und in Ausschreitungen gemildert werden kann,
ans welches Geschlecht, Lebensalter (dem Kindesalter ist meistens eigen
das sanguinische Temperament, dem Jünglingsalter das cholerische, dem
Mannesalter das melancholische, dem Greisenalter das phlegmatische),
Nassen und Standesunterschiede von wesentlichem Einflüsse sind, ist der
Charakter etwas Erworbenes, Angeeignetes Er ist die durch Selbst-
bestimmung bewirkte Gewöhnung des Geistes zu einer bestimmten
Richtung der Gesinnungs- und Handlungsweise. Diese Gewöhnung wird
bewirkt durch Befolgung von Grundsätzen, so daß wir denjenigen
einen Charakter nennen, der Grundsätze hat und sein Wollen und Han-
deln nach denselben richtet. Je nachdem diese Grundsätze sittlich gut oder
schlecht sind, ist auch der Charakter gut oder schlecht. Da diese Grund-
sätze von dem einzelnen Menschen erst gebildet werden müssen, so folgt,
daß der Charakter nur allmählich und erst im Verlaufe des Lebens
sich bildet.
Derjenige, der sich nicht eine auf Grundsätzen beruhende Lebensrich-
tnng angeeignet hat, der vielmehr sich beeinflussen läßt von wechselnden
Stimmungen und Verhältnissen, heißt charakterlos. Da die Charakter-
anlage und die Charakteransbildnng bei den einzelnen Menschen verschieden
ist, so ist auch die Charakterverschiedenheit eine sehr große.
Temperament und Charakter zusammengenommen bilden die Indi-
vidualität, die Persönlichkeit des Menschen.
B. Aufsatzlehre.
Die Rhetorik (ß prjtopi'/.^ sc. xsp-rj) oder Redekunst, deren
wesentlichster Teil die Aufsatzlehre ist, wird schon von Cicero und
von Quintilian (in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr.)
in seiner trefflichen Anleitung zur Redekunst (Oe inritntione oratoria
libri Xii) in 5 Teile geschieden, die bezeichnet werden mit den Namen:
inventio, dispositio, elocutio, in ein oria und pronuntiatio. Inventio
ist die Auffindung des Stoffes, dessen man zu einer Rede oder zu
einem Aufsatze bedarf, ämpomtio die Anordnung und Gliederung des
durch die inventio gefundenen Stoffes, elocutio die sprachliche Dur-
st e l l u n g desselben oder der Stil, ineinoria die Aufnahme des nieder-
geschriebenen oder des nur meditierten Aufsatzes in das Gedächtnis, 1
1 Vgl. den Aufsatz: „Über den Charakter", S. 418.
31 *
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter]]
454 Ii. Lehrende Prosa: Philosophische Propädeutik, Pädagogik und Ethik.
ohne feindlich zusammenzustoßen; hier liegen für alle gemeinsame Ziele,
und es ist doch zugleich in ihrer Auffassung und Verfolgung jeder Eigen-
tümlichkeit, der Völker wie der Individuen, der freieste Spielraum ge-
lassen. Je lebendiger ein Volk von dem Werte der Bildung durchdrungen
ist, je höher es die geistigen und sittlichen Interessen stellt, je ernster,
hingebender und selbstloser es sie verfolgt, um so harmonischer wird sich
sein nationales Leben dem der Menschheit einfügen, um so vollständiger
wird in demselben der Gegensatz der Nationalität und der Humanität
gelöst sein.
Unter allen neueren Völkern ist nun wohl keines, dem die Erfüllung
dieser Forderung durch seine natürliche Begabung wie durch seine bis-
herige Entwicklung in höherem Maße erleichtert würde, als dem unsern.
In der deutschen Art lag es ja von jeher, sich mehr nach innen als
nach außen zu wenden, sich mit den sittlichen, religiösen, philosophischen
Fragen lebhafter und anhaltender zu beschäftigen, als mit den Dingen,
welche den meisten für die Macht und den Wohlstand der Völker die
wichtigsten zu sein scheinen. Das deutsche Volk hat sich diesem Zuge
seiner Natur Jahrhunderte lang einseitig überlassen, und es hat deshalb
die Erfolge, die es im Gebiete des geistigen Lebens errang, mit langer
Vernachlässigung und schwerer Schädigung seiner materiellen Interessen
erkauft. Als andere Völker sich zu starken Nationalstaaten zusammen-
faßten, ging von Deutschland der epochemachende Anstoß zur Befreiung
und Umgestaltung des religiösen Bewußtseins aus; aber seiner politischen
Einheit wurden durch den Streit der Konfessionen unheilbare Wunden
geschlagen. Als unsere Nachbarn jenseits der Vogesen ihr Staatswesen
unter krampfhaften Zuckungen ernenebten, feierten wir das goldene Zeit-
alter unserer Poesie und unserer Philosophie; aber unser Vaterland lag
blutend und zerrissen zu den Füßen des fremden Eroberers. Während
andere durch Handel und Industrie zu hohem Wohlstände gelangten, blieb
Deutschland in seiner wirtschaftlichen Entwicklung um ebensoviel zurück, als
es in der Wissenschaft und Litteratur seinen Nebenbuhlern vorauseilte.
Wenn Engländer und Franzosen in stolzem Nationalgefühl andere Völker
nicht selten verletzten und hochmütig auf sie herabsahen, waren die Deut-
schen zwar immer geneigt, das Fremde anzuerkennen und sich anzueignen,
aber sie ließen sich auch nur zu oft verleiten, das Einheimische zu ver-
achten und zu verleugnen, der nationalen Selbstüberhebung Selbstweg-
werfung entgegenzubringen. In unsern Tagen hat sich dieses geändert;
das heutige Deutschland darf sich in seinem wirtschaftlichen wie in seinem
politischen Leben, in seinen kriegerischen so gut wie in seinen wissenschaft-
lichen Leistungen jedem andern in freudigem Selbstgefühle zur Seite
stellen; es war unserem glücklichen Geschlechte beschieden, die Höhe zu
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
TM Hauptwörter (200): [T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk]]
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Deutschland