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1. Dichtung des Mittelalters - S. 116

1884 - Freiburg im Breisgau : Herder
116 Dritte Periode, von 1150—1300. Außerdem behandelten diese Dichter des Kunstepos noch Legenden und Erzählungen geistlichen und weltlichen Inhalts. Somit ist der Gegenstand des Kunstepos nicht das Erlebte und die Erfahrung eines ganzen Volkes, sondern nur das Erlebnis einzelner Personen, ja oft nur das von dem phantasiereichen Dichter romanartig Erfundene. Dazu ist die Darstellung des Stoffes, entsprechend der Auffassung des dem glänzen- den Ritterstande angehörenden Dichters und entsprechend dem Hörerkreise von stattlichen Ritterit, holden Frauen und anmutigen Jungfrauen in den prächtigen Sälen der Herrenhäuser, glänzend und schillernd in immer neuen Reizen. Daher das bunte Malen und breite Schildern, daher die vielen Bilder und Gleichnisse, daher die Einmischung von Betrachtungen über das Erzählte. Auch das, was den Sinn des ritterlichen Sängers erfüllte und das Wesen des Rittertums ausinachte, spiegelt sich in den Dichtungen wieder, wie die höfische Sitte, das üppige Leben, der Drang nach Abenteuern und Phantastischem, der Minnedienst mit allen seinen hohen Ideen, aber auch mit seinen oft traurigen Verirrungen. So tritt das rein Menschliche zurück vor den Forderungen der ritterlichen Sitte, der ganzen höfischen Weise; „die Gestalten der Geschichte und Sage sind innerlich und äußer- lich umgewandelt zu Gebilden des Rittertums". Der Dichter tritt mit seiner Subjektivität, mit seiner ganzen Individualität, auch mit seinem Namen in den Vordergrund; er sucht nicht durch kunstlos einfachen Stoff, sondern durch den Schmuck und die Zierden, mit welchen er den- selben ausstattet, anzuziehen und zu fesseln. Dieses Streben bringt ihn auch dahin, einen Wortschatz zu bilden, der durch starke Einmischung fremdländischer Ausdrücke nicht selten undeutschen Anflug erhält. Einfach ist dagegen die metrische Form, in welcher diese Epen ge- schrieben sind: die sogenännten Reimpaare, welche, durch Teilung der althochdeutschen Langzeile entstanden, aus Versen mit drei oder vier Hebungen bestehen, je nachdem die Reime klingend (weiblich) oder stumpf (männlich) sind (s. Beispiel S. 123). 8 12. Dichtungen der vorbereitenden Zeit des Kunstepos, von 1150—1180. Der eigentlichen Blütezeit der höfischen Dichtung ging eine Zeit der Vorbereitung voraus, welcher noch die Vollendung des Versbaues, die (mont sauvage) in ■’ftorbfpamen. Zugleich gründet er zum Dienste desselben den Ritter- orden der Ternpleisen (nach km Vorbilde der Templer gedacht), in welchen nur de- mütige und herzensreine, dabei aber mit allen heldenhaften Tugenden ausgestattete Ritter aufgenommen werden können. — Eine Vereinigung der Gralssage mit der Artus- sage, des geistlichen Rittertums mit dem weltlichen, finden wir im Parzival, Ti- tnrel und Lohengrin, von welchen drei Werken uns jedoch nur das erste beschäftigen wird.

2. Dichtung des Mittelalters - S. 193

1884 - Freiburg im Breisgau : Herder
§ 24. Aus Frcidanks Bescheidenheit. 193 1. Der Winsbeke, welcher die Weisheitslehren eines Ritters an seinen Sohn enthält, ausgezeichnet durch die Innigkeit seines Inhaltes. (Die Winsbekin, ein didaktisches Zwiegespräch über höfische Zucht und Sitte zwischen einer adligen Mutter und ihrer Tochter, ist eine Nachahmung des erstern.) 2. Der welsche Gast (d. h. Fremdling ans Welschland — Italien) des Thomasin von Zerkläre aus Frianl, welcher um 1216 in seinem Gedichte als genauer Beobachter und Kenner der Welt eine Art von System einer Sittenlehre aufstellt, indem er die staste, d. h. Be- harrlichkeit (etwa das, was wir Charakter nennen), als die Grundlage aller Tugenden bezeichnet, während ihm die unrasts, die Unbeständigkeit, die Quelle aller Laster ist. 3. Die Bescheidenheit des Freidank. Hypothesen über die Person des Dichters sind mehrfach aufgestellt. Nach denselben ist der Name bald ein Geschlechtsname, bald ein angenommener (Freidank — Freidenker), und der Dichter kein geringerer als der große Lyriker Walther von der Vogelweide. Da aber keine dieser Hypothesen als die richtige sich erhärten läßt, so wissen wir nur, daß der Dichter als wandernder Sänger im Jahre 1229 an dem Kreuzznge Friedrichs Ii. teilnahm und in Syrien einen Teil seines Werkes schrieb. Dasselbe ist genannt „Bescheidenheit", weil es in den wichtigen weltlichen und religiösen Dingen Bescheid, d. h. Einsicht und richtige Beurteilung geben soll. Das einen Schatz verständiger, sinniger Ansichten und inhaltsreicher, goldener Sprichwörter enthaltende Buch genoß bis znm 17. Jahrhundert ein solches Ansehen, daß es „die weltliche Bibel" genannt wurde. In neuerer Zeit ist es durch Lessing und Herder wieder bekannt geworden und ist auch heute noch ein treffliches Laienbrevier. 8 24. Aus Frcidanks Bescheidenheit. Eingang. Ich bin genannt Bescheidenheit, Die aller Tugend Krone leiht. Freidank hat mich zurechtgestellt, Gewiß auch Fehler beigesellt. von Gott. Gott dienen ohne Wank, Der hat sich selber betrogen Und zimmert auf den Regenbogen. Das ist der Weisheit Anfang. Wer um diese kurze Zeit Läßt die ew'ge Seligkeit, Wenn der Regenbogen sich zerläßt, So weiß er nicht mehr, wo sein Nest. Hense, Lesebuch. I. 13

3. Dichtung der Neuzeit - S. 121

1908 - Freiburg im Breisgau : Herder
§ 28. Lessings Werke. — Die dichterischen Werke. 121 die Laune seines Herrn zu befriedigen; Orsina eine leidenschaftliche, im Gefühl der gekränkten Liebe von Rachsucht geleitete Italienerin; Emilia ein Bild der Schönheit und Anmut, ausgezeichnet durch Frömmigkeit und Milde, jedoch auch energisch genug, den Tod der Entehrung und Schande vorzuziehen; Claudia eine eitle und nachsichtige Mutter, ihr Mann Odoardo, gleich dem Grafen Appiani, „das Muster aller männlichen Tugend"; er ist trotz des Titels der eigentliche Held des Stückes, der in der Wahrung der sittlichen Unschuld und Ehre das höchste Gut erblickt und seine Tochter ersticht, um ihre Unschuld und Ehre zu retten. Neben diesen Personen stehen die charakteristischen Figuren des Banditen, des bedächtigen Ratsherrn Camillo Rota und des für die Kunst begeisterten Malers Conti. „So entspringt der Verlauf der Handlung, wie die Kunstregeln der Hamburgischen Dramaturgie verlangten, aus den Charak- teren. In der Motivierung ist keine Lücke, und technische Schwierig- keiten, die sich aus der gewählten Ökonomie ergaben, sind wie mit spielender Hand gelöst." Daher kann, wie „Minna von Barnhelm" als Muster- lustspiel, „Emilia Galotti" als Mustertragödie bezeichnet wer- den, als volle, reife Frucht, erblüht aus Lessings umfassendster Kenntnis der tragischen Kunst und aus seiner Kritik in der Dramaturgie. Somit erscheint Lessing auch als Reformator des deutschen Theaters, indem er nicht bloß maßgebende theoretische Forderungen aufstellte, sondern dieselben auch schöpferisch betätigte, wenn er selbst auch über seine dichterische Fähigkeit in großer Bescheidenheit wenig günstig urteilte (letztes Stück der Dramaturgie). ,,Nathan der Weise", ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen, erschien 1779. „Nathan" ist ein Tendenzstück, hervorgegangen aus jenen durch die Herausgabe der „Wolfenbütteler Fragmente eines Un- genannten" (S. 109) hervorgerufenen religiösen Kämpfen. Da er nämlich wegen dieser heftigen Streitigkeiten von der herzoglichen Regierung der Zensursreiheit, die er als Bibliothekar bisher genossen hatte, beraubt wurde, verlegte er die Polemik auf die Bühne, indem er versuchte, ob man ihn „auf seiner alten Kanzel, auf dem Theater, wenigstens noch ungestört wolle predigen lassen". So enthält diese Predigt Lessings religiöses Glaubensbekenntnis in poetischer Form, die Ansicht, daß der gött- liche Ursprung der Religionen sich nicht erweisen lasse, da keine der geoffenbarten Religionen nachzuweisen vermöge, daß sie die wahre sei; die richtige Religion sei die der tätigen Liebe, der Humanität. Zur Veranschaulichung dieser Ansicht dient folgende dramatische Handlung, die in die Zeit des dritten Kreuzzuges (1189—1192) verlegt ist und in Jerusalem ihren Schauplatz hat.

4. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 26

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
26 I. Beschreibende Prosa: Geschichtliche und geographische Charakteristik. Wenn es außerdem in seinen Ausbreitungs- und Erhebungs-Verhält- nissen der beschränkteste, am leichtesten überschauliche, am meisten gegliederte, am meisten gangbare, belebte und bewegte, in seinen klimatischen der am meisten gemäßigte und einheitliche; wenn es vermöge der durch alle diese Eigenschaften geförderten Entwicklung seiner Völker der herrschende, geistig gestaltende, fortbildende Erdteil, der Vorkämpfer der höheren Tendenzen der Menschheit ist: so mußte natürlich die Mitte eines solchen, d. h. Deutsch- land, eine ganz andere Bedeutung erhalten, als die Mitte jener kolossaleren Erdteile, welche eine derartige Natur und Wirksamkeit nicht aufzuweisen haben; es mußten die Bezüge zu dem vergleichungsweise mit letzteren klein zu nennenden Ganzen und zu den übrigen einzelnen Teilen desselben be- schleunigter, gedrängter, fester, gewissermaßen unvermeidlicher und not- wendiger werden. Auf diese Weise ist Deutschland in der That vermöge seiner centralen Lage für den Zusammenhang dieses Ganzen unentbehrlich, ist, wie für den Körper der Herzschlag, sein Lebenspunkt. Nur durch Deutsch- land werden die übrigen Teile Europas zu einer wahrhaften Einheit zusammengehalten. Sich anschließend an das mittlere sowohl der südlichen wie nördlichen Glieder desselben, verknüpft es den Süden mit dem skan- dinavischen Norden; und mit den entsprechenden Erhebungsformen ebenso an dem gebirgigen West-Europa wie an dem flachen Ost-Europa an- liegend und in sie übergehend, vermittelt es die Verbindung der gegliederten und gebirgigen atlantischen Länder im Westen mit den einförmigen und weiten sarmatischen Ebenen im Osten. Ringsum in Europa befindet sich kein Land und keines der angrenzenden Meere, mit welchem Deutschland nicht verwachsen oder mittelbar in leichte Berührung zu bringen ist. Rings um dasselbe wie um ihren Mittelpunkt gruppieren sich Rußland mit Polen, Skandinavien, Großbritannien, die Niederlande (Holland und Belgien), Frankreich, die Schweiz, Italien, die Türkei, Ungarn, Galizien und stehen mit ihm in unmittelbarer oder durch die vorhin genannten Gewässer, die ihm einen kurzen und leichten Weg nach Süd-, Nord- und Nordwest- Europa eröffnen, in naher, mittelbarer Verbindung. Alle diese Länder, obwohl Teile eines größern Landorganismus, des Kontinents Europa, haben doch auch wieder jedes im Vergleiche zu den übrigen durch Lage, Begrenzung, innere Gestaltung und durch Be- völkerung ein eigentümliches Gepräge und stellen in gewissem Grade kleinere Individuen auf der Oberfläche jenes größern Ganzen dar. Dem- nach kommen von allen Seiten her mit dem in der Mitte gelegenen Deutschland eine Zahl Länder-Individuen in Berührung, und es ist undenkbar, daß sie nicht, jedes in seiner Weise, sowohl auf dasselbe in höherem oder niedrigerem Grade Einstuß geübt als auch von daher

5. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 297

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
6. Wesen der Romanze und der Ballade. 297 Stoff ruhig, plastisch, hell und durchsichtig dar; dabei zeigt sie die dem Volke eigene gemessene Breite, eine gewisse Umständlichkeit in der Aus- führung, die sich bei jedoch gleichmäßig fortschreitender Erzählung oft auch auf kleine Momente erstreckt. Dieser epischen Behandlung unterliegt nun ein Stoff, der die charak- teristischen Eigenschaften des Spaniers, vorzugsweise des Kastiliers, auf das treueste wiederspiegelt. Diese sind aber hochfliegender Nationalstolz, tiefe Frömmigkeit, ritterliches Ehrgefühl und heißblütige Phantasie. Eben- dieselben Eigenschaften durchziehen den ganzen Stoff der Romanze. Der- selbe zeigt uns ein national begeistertes Volk im Kampfe gegen einen Feind, den es um so tapferer angreift, als es, durchdrungen von der Wahrheit seiner Religion und derselben in frommem Glauben auf das innigste ergeben, in dem politischen Feinde auch einen religiösen Gegner bekämpft; derselbe zeigt uns Helden, die bei christlicher Frömmigkeit und oft demutsvoller Bescheidenheit dennoch, entflammt von Gedanken des Idealen und Romantischen, in ritterlichstem Streben nur das hohe Ziel der vollen Freiheit des Vaterlandes und der Niederwerfung des Islams kennen. So faßt das dichtende Volk die Begebenheiten mehr von einem idealen Standpunkte auf und läßt daher, um die idealen Beweggründe des Handelns der ritterlichen Helden deutlich erkennen zu lassen, auch die Tendenz, die Idee derselben mit Hilfe der Reflexion hervortreten. Ein solcher Stoff hat nichts Schauerliches, nichts Grauenhaftes, er ist vielmehr, wenn auch nicht oft heiter, sondern meistens ernst, fast stets durchzogen von einer gewissen Milde, die uns angenehm berührt und uns selbst mit furchtbaren, grausigen Kämpfen zu versöhnen versteht. Daher erscheint uns auch der Cid vom Volke gefeiert, wenngleich in Widerstreit mit der Geschichte, als das Ideal eines christlichen Helden, den jede ritter- liche Tugend, Tapferkeit, Freiheitsliebe, Frömmigkeit, Demut, Hochherzig- keit u. s. w., auf das glänzendste ziert. Der lebhaften Phantasie des spanischen Volkes endlich entsprechend, liebt die Romanze in vollem Einklänge mit dem sonnigen, farbenprächtigen Laude, auf dessen Boden sie blühte, lichtvolle Schilderungen, glän- zende Einzelheiten, stimmungsreiche und schwungvolle Diktion. Der epischen Ebenmäßigkeit, der ruhigen Entwicklung der Er- zählung angemessen, ist die Romanze ursprünglich stets in Versen mit fallen- dem Rhythmus geschrieben, und zwar so, daß der vierfüßig trochäische Vers der Nationalvers des spanischen Volkes genannt werden kann. Bei dem großen Reichtume, den die spanische Sprache au voll tönenden Vokalen besitzt, sind die Verse stets durch Assonanz, oft auch durch Reim ver- bunden. Diese Form, die sogenannten Redondilien (Redondillas), weisen schon die ältesten Romanzen auf. Bald jedoch führte mau, wie auch die

6. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 348

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
348 Ii. Lehrende Prosa: Poetik und Ästhetik. und den Antinous, die Töchter der Niobe und den Laokoon schwerlich zu erreichen getraut, dennoch mit nnverrücktem Fleiße diese Meisterwerke der alten Kunst nachzeichnet, nachformt und studiert, weil er an ihnen die höchsten Regeln der Kunst wahrnimmt: so sollen auch wir die Muster der alten Denkart und an ihnen ihre Einfalt und Würde, ihre bestimmte Genauigkeit und Wahrheit, ihren Wohlklang, ihre schöne Ründe und Harmonie, ihre Kürze mit ihrem Reichtume zum Vorbilde unserer Ge- dankenweise und unseres Vortrages, insonderheit in frühen Jahren, un- ablässig studieren. Dies thun wir nicht nur, um Latein schreiben zu lernen, wiewohl auch dieses ein nützlicher, rühmlicher und beneidenswerter Zweck ist, sondern nach Art der Alten denken und schreiben zu lernen, gesetzt, daß wir auch in der Sprache der Hottentotten schreiben müßten. Denn auch in der Sprache der Hottentotten würde man gar bald den erkennen, der aus dem Kastalischen Quell der griechischen Musen getrunken oder seinen Ausdruck zur Bestimmtheit und Würde der römischen Schrift- steller gebildet hat. Er möge nachher Briefe oder Akten, Predigten oder Quittungen zu schreiben haben, nie wird er sich undeutsch und unvernünftig, hinkend, lahm, unverständlich, ohne Zusammenhang oder schielend ausdrücken, nie seine Schreibart mit unnützen Tautologien durchweben. Der Sinn der Humanität, d. h. der echten Menschenvernunft, des wahren Menschen- verstandes, der reinen menschlichen Empfindung, ist ihm aufgeschlossen, und so lernt er Richtigkeit und Wahrheit, Genauigkeit und innere Güte über alles schätzen und lieben. Er sucht nach diesen Grazien der mensch- lichen Denkart und Lebensweise allenthalben und freut sich über sie, wo er sie findet. Er wird sie in seinen Umgang, seine Geschäfte, von welcher Art diese auch sein mögen, einzuführen suchen und ihre Tugenden auch in seinen Sitten ausdrücken lernen, kurz, er wird ein gebildeter Mensch sein und sich als einen solchen im kleinsten und größten zeigen. So die lluwmuiora, in alten und neuen Schriftstellern studieren, ist etwas anderes, als, wie jener es nannte, die Aalautiora nach neuester Art und Kunst treiben; bei welchen Auluntioribus mancher so weit kommt, daß er sogar seine Sprache vergißt und weder grammatisch noch selbst orthographisch zu schreiben weiß, geschweige, daß in seinen Vorträgen und Aufsätzen an einen gebildeten Menschenverstand oder an eine richtige Menschenvernunft zu denken wäre. Sind diese Grundsätze richtig, so ergiebt sich, daß, was in den Schriften der Alten und Neuen zu Bildung der Humanität eines Menschen, insonderheit eines Jünglings dient, auch zu den llurnauioridrw gehöre, es möge solches Beredsamkeit oder Poesie, Philosophie oder Geschichte heißen. Es ist schon gesagt, daß die Alten jene Unterscheidung zwischen schönen und gründlichen Wissenschaften nicht kannten. Ihr Schönes mußte gründ-

7. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 182

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
182 I. Beschreibende Prosa: Litteraturgeschichte. Das Volkslied war ihm die Blume der Eigenheit eines Volkes, seiner Sprache und seines Landes, seiner Geschäste und Vorurteile, seiner Leiden- schaften und Anmaßungen, seiner Musik und seiner Seele. Mit un- vergleichlicher Beweglichkeit des Geistes und mit wunderbarer Kunst der Nachbildung sammelte und übersetzte er die „Stimmen der Völker" unter allen Erdstrichen und aus allen Zeitaltern, gleich aufmerksam ans die Gemütslaute der Grönländer, Lappen, Tataren, Wenden und Morlaken, wie ans die Laute der Schotten, Spanier, Italiener und Franzosen. Dies ist das greifbarste und darum auch das anerkannteste Verdienst Herders. Und doch wird man diesem Verdienste nicht in seinem vollen Umfange gerecht, wenn man die gewaltigen wissenschaftlichen Anschauungen außer acht läßt, welche Herder sogleich aus diesen neuen Entdeckungen zu ziehen wußte. Was Herder 1773 in seiner herrlichen Abhandlung „Über Ossian und die Lieder alter Völker", was er in der Einleitung zum zweiten Teile der von ihm 1779 bei Wepgand in Leipzig herausgegebenen „Volks- lieder" über" die sinnliche Kraft und Anschaulichkeit, über die schwung- hafte, zwingende Frische und Kühnheit des Volksliedes sagte, ist bis auf den heutigen Tag unübertroffen und hat für die Wiederbelebung unserer eigenen Liederdichtung die segensreichsten Früchte getragen. Und von nicht minder unermeßlichem Einflüsse war der geniale Scharfsinn, mit welchem Herder immer und überall den großen geschichtlichen Hintergrund dieser schlichten Volksphantasie hervorhob. Einige der allerfruchtbarsten Zweige der heutigen Wissenschaft haben hier ihre triebkrästige Wurzel. Es zeigte und bethätigte sich glänzend, was Herder gedacht und erstrebt hatte, wenn er in jenen riugeuden Lehrjahren zu Riga einen Montesquieu der Litteraturgeschichte verlangte. Herder ist es gewesen, welcher die ersten Grundlagen zum Aufbau der vergleichenden allgemeinen Litteraturgeschichte, des Erforschens der Poesie in allen Gestalten und Wandlungen gelegt hat. In der Abhandlung über die „Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst" ist diese hohe Aufgabe in folgenden Sätzen ausgesprochen: „Die gemeinen Volkssagen, Märchen und Mythologien sind gewissermaßen Resultat des Volksglaubens, seiner sinnlichen An- schauungen, Kräfte und Triebe, wo man träumt, weil man nicht weiß, glaubt, weil man nicht sieht, wo man mit der ganzen ungeteilten und ungebildeten Seele wirkt; also ein großer Gegenstand für den Ge- schichtsschreiber der Menschheit, für den Poeten und Poetiker und Philo- sophen. Sagen einer und derselben Art haben sich mit den nordischen Völkern über viele Länder und Zeiten ergoffen, jeden Ortes aber und in jeder Zeit sich anders gestaltet; wo sind die allgemeinsten und sonderbar- sten Volkssagen entsprungen, wie gewandert, wie verbreitet und geteilt?" Ferner: „Die kriegerische Nation singt Thaten, die zärtliche singt Liebe;

8. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 193

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
22. Goethes Hermann und Dorothea. 193 Epopöenhelden, die man sich gepanzert und dabei mit Allongeperrücken und Manschetten vorstellen kann; sondern etwas, das uns mit ähnlicher Ehrerbietung erfüllen könnte, als den Griechen zu Homers Zeit die heroische Kraft seiner großen Gestalten, an welchen die Welt schon damals hinauf- sah, einflößen mußte. Und was wäre dies anderes als edle Einfalt? Mag der Weltmann immerhin darüber spotten, daß hier die Wirtin zum Goldenen Löwen als ein Vorbild weiblicher Vernunft und milder Größe besungen wird; daß Hermann seiner Geliebten, einer Bäuerin, den Vor- schlag thut, als Magd in das Haus seiner Eltern zu kommen: der Dichter befragt nur Natur und Sittlichkeit, und wo sie reden, versinkt jede Über-. einkunft der Meinung und der Mode in ihr Nichts. Die Sitten wären also gefunden; aber nun hat der Dichter eine epische Begebenheit zu suchen. In der glücklichen Beschränkung jener Stände finden zerstörende Leidenschaften, kühne Unternehmungen, erstau- nenswerte Thaten natürlicherweise nicht statt. Und dennoch bedarf er zwar keiner tragischen Verwicklung, aber doch eines Vorfalles, der Größe für die Phantasie habe. Er muß seine Menschen in entscheidende Lagen stellen, damit nicht bloß die Oberfläche ihres Daseins geschildert, sondern ihr Innerstes an das Licht gedrängt werde. Wenn nun die Dichtung nicht über den stillen Kreis des häuslichen Lebens hinausgeht und nur die anlockendsten Scenen desselben zu schmücken sucht, so ergiebt sich hier- aus die Idee zu ländlichen Sittengemälden im epischen Vortrage: einer anmutigen, gemischten Gattung, wovon wir an Vossens „Luise" ein so vor- treffliches und in seiner Art einziges Beispiel besitzen. Ein eigentliches Epos ist es freilich nicht, wie es denn der Dichter selbst auch nicht so genannt hat, da es mehr Darstellung des Ruhenden, als ruhige Dar- stellung des Fortschreitenden ist. Denn Familienfeste, wie ein Spaziergang, ein Besuch nach einiger Trennung, selbst eine auf überraschende Art früher gefeierte Hochzeit zweier Liebenden, deren Verbindung schon vor dem An- fange des Gedichtes ausgemacht war, und deren Gefühle für einander durch das Ganze hin unverändert bleiben, sind etwas nur physisch, in der Zeit, nicht ethisch, d. h. im Gemüte und in den inneren Verhältnissen der Handelnden Fortschreitendes. Der große Hebel, womit in unseren angeblichen Schilderungen des Privatlebens, Romanen und Schauspielen, meist alles in Bewegung gesetzt wird, ist die Liebe. Die phantastische Vorstellungsart, das, wodurch die Natur den Menschen in das Heiligtum der geselligen Bande nur einführt, was die in ihm schlummernden Kräfte zu edler Thätigkeit zu wecken be- stimmt ist, als den Mittelpunkt und das letzte Ziel des Lebens anzusehen und es dadurch in eine müßige Schwelgerei des Gefühls zu verwandeln, ist uns leider so geläufig, daß wir die Häßlichkeit und Verworrenheit H ens e, Lesebuch. Hl 13

9. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 483

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
Ii. Psychologie. 483 § 17. Während das Temperament etwas Angeborenes ist, welches frei- lich gezügelt und geleitet und in Ausschreitungen gemildert werden kann, ans welches Geschlecht, Lebensalter (dem Kindesalter ist meistens eigen das sanguinische Temperament, dem Jünglingsalter das cholerische, dem Mannesalter das melancholische, dem Greisenalter das phlegmatische), Nassen und Standesunterschiede von wesentlichem Einflüsse sind, ist der Charakter etwas Erworbenes, Angeeignetes Er ist die durch Selbst- bestimmung bewirkte Gewöhnung des Geistes zu einer bestimmten Richtung der Gesinnungs- und Handlungsweise. Diese Gewöhnung wird bewirkt durch Befolgung von Grundsätzen, so daß wir denjenigen einen Charakter nennen, der Grundsätze hat und sein Wollen und Han- deln nach denselben richtet. Je nachdem diese Grundsätze sittlich gut oder schlecht sind, ist auch der Charakter gut oder schlecht. Da diese Grund- sätze von dem einzelnen Menschen erst gebildet werden müssen, so folgt, daß der Charakter nur allmählich und erst im Verlaufe des Lebens sich bildet. Derjenige, der sich nicht eine auf Grundsätzen beruhende Lebensrich- tnng angeeignet hat, der vielmehr sich beeinflussen läßt von wechselnden Stimmungen und Verhältnissen, heißt charakterlos. Da die Charakter- anlage und die Charakteransbildnng bei den einzelnen Menschen verschieden ist, so ist auch die Charakterverschiedenheit eine sehr große. Temperament und Charakter zusammengenommen bilden die Indi- vidualität, die Persönlichkeit des Menschen. B. Aufsatzlehre. Die Rhetorik (ß prjtopi'/.^ sc. xsp-rj) oder Redekunst, deren wesentlichster Teil die Aufsatzlehre ist, wird schon von Cicero und von Quintilian (in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr.) in seiner trefflichen Anleitung zur Redekunst (Oe inritntione oratoria libri Xii) in 5 Teile geschieden, die bezeichnet werden mit den Namen: inventio, dispositio, elocutio, in ein oria und pronuntiatio. Inventio ist die Auffindung des Stoffes, dessen man zu einer Rede oder zu einem Aufsatze bedarf, ämpomtio die Anordnung und Gliederung des durch die inventio gefundenen Stoffes, elocutio die sprachliche Dur- st e l l u n g desselben oder der Stil, ineinoria die Aufnahme des nieder- geschriebenen oder des nur meditierten Aufsatzes in das Gedächtnis, 1 1 Vgl. den Aufsatz: „Über den Charakter", S. 418. 31 *

10. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 454

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
454 Ii. Lehrende Prosa: Philosophische Propädeutik, Pädagogik und Ethik. ohne feindlich zusammenzustoßen; hier liegen für alle gemeinsame Ziele, und es ist doch zugleich in ihrer Auffassung und Verfolgung jeder Eigen- tümlichkeit, der Völker wie der Individuen, der freieste Spielraum ge- lassen. Je lebendiger ein Volk von dem Werte der Bildung durchdrungen ist, je höher es die geistigen und sittlichen Interessen stellt, je ernster, hingebender und selbstloser es sie verfolgt, um so harmonischer wird sich sein nationales Leben dem der Menschheit einfügen, um so vollständiger wird in demselben der Gegensatz der Nationalität und der Humanität gelöst sein. Unter allen neueren Völkern ist nun wohl keines, dem die Erfüllung dieser Forderung durch seine natürliche Begabung wie durch seine bis- herige Entwicklung in höherem Maße erleichtert würde, als dem unsern. In der deutschen Art lag es ja von jeher, sich mehr nach innen als nach außen zu wenden, sich mit den sittlichen, religiösen, philosophischen Fragen lebhafter und anhaltender zu beschäftigen, als mit den Dingen, welche den meisten für die Macht und den Wohlstand der Völker die wichtigsten zu sein scheinen. Das deutsche Volk hat sich diesem Zuge seiner Natur Jahrhunderte lang einseitig überlassen, und es hat deshalb die Erfolge, die es im Gebiete des geistigen Lebens errang, mit langer Vernachlässigung und schwerer Schädigung seiner materiellen Interessen erkauft. Als andere Völker sich zu starken Nationalstaaten zusammen- faßten, ging von Deutschland der epochemachende Anstoß zur Befreiung und Umgestaltung des religiösen Bewußtseins aus; aber seiner politischen Einheit wurden durch den Streit der Konfessionen unheilbare Wunden geschlagen. Als unsere Nachbarn jenseits der Vogesen ihr Staatswesen unter krampfhaften Zuckungen ernenebten, feierten wir das goldene Zeit- alter unserer Poesie und unserer Philosophie; aber unser Vaterland lag blutend und zerrissen zu den Füßen des fremden Eroberers. Während andere durch Handel und Industrie zu hohem Wohlstände gelangten, blieb Deutschland in seiner wirtschaftlichen Entwicklung um ebensoviel zurück, als es in der Wissenschaft und Litteratur seinen Nebenbuhlern vorauseilte. Wenn Engländer und Franzosen in stolzem Nationalgefühl andere Völker nicht selten verletzten und hochmütig auf sie herabsahen, waren die Deut- schen zwar immer geneigt, das Fremde anzuerkennen und sich anzueignen, aber sie ließen sich auch nur zu oft verleiten, das Einheimische zu ver- achten und zu verleugnen, der nationalen Selbstüberhebung Selbstweg- werfung entgegenzubringen. In unsern Tagen hat sich dieses geändert; das heutige Deutschland darf sich in seinem wirtschaftlichen wie in seinem politischen Leben, in seinen kriegerischen so gut wie in seinen wissenschaft- lichen Leistungen jedem andern in freudigem Selbstgefühle zur Seite stellen; es war unserem glücklichen Geschlechte beschieden, die Höhe zu
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