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1. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 7

1877 - Stuttgart : Heitz
7 Und sieh, aus den Felsen, geschwätzig, schnell, Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell. (Ebenda.) Und hohler und hohler hört man's heulen. (Derselbe, Taucher.) Von dem Dome Schwer und bang Tönt die Glocke Grabgesang. (Derselbe, Lied von der Glocke.) Die Bildlichkeit des Ausdrucks hängt mit der Fülle der An- schauungen des Dichters zusammen; aber obwohl sich keine Regeln geben lassen, in welchen Fällen der Dichter zu ihr seine Zuflucht nehmen soll, kann er doch vor Abwegen gewarnt werden, auf welche eine zügellose Phantasie ihn führen könnte. Es giebt Fehler a) des einzelnen Bildes und d) der Zusammen- stellung mehrerer Bilder. Unter jene hat man zu rechnen: 1) Die Unrichtigkeit, welche auf einem Verstoß gegen die natürliche Wahrheit der Dinge beruht; 2) die Mattigkeit, wenn der Vergleichungspunkt nicht schlagend genug hervortritt, so daß das Bild als überflüssig erscheint; 3) die Geschmacklosigkeit, wenn das Bild an und für sich widerlich oder ungereimt oder wenn es zu weit hergeholt ist; 4) die Trivialität, wenn ein Bild durch häufigen Gebrauch stereotyp geworden ist. Eine Zusammenstellung oder Häufung von Bildern verleitet zu Katachresen, worunter man Verstöße gegen die Einheit des Bildes versteht, indem der Dichter aus einem Bilde in den eigent- lichen (nicht bildlichen) Ausdruck, oder aus einem Bilde in das andere verfällt: Der Kugel Saat pfeift. — Man muß den Strom der Zeit bei der Stirnlocke fassen. Rhythmus und Metrum. Man verlangt von einem Gedichte auch, daß es Wohl- klang habe. Dieser entsteht theils durch die Wahl solcher Wörter, welche, neben einander gestellt, einen angenehmen Eindruck auf das Ohr machen, theils durch die regelmäßige Abwechselung langer und kurzer Sylben, theils durch den Reim. Wenn wir z. B. in den bekannten Worten Johanna's in Schiller's Jungfrau von Orleans:

2. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 13

1877 - Stuttgart : Heitz
13 Unnatur dieser Geistesproducte bei. Am besten beurtheilt ihn Schiller in einem Briefe an Göthe: „Die Eigenschaft des Alexandriners sich in zwei gleiche Hälften zu trennen, und die Natur des Reims, aus zwei Alexandrinern ein Couplet zu machen, bestimmen nicht bloß die ganze Sprache, sie bestimmen auch den ganzen innern Geist dieser Stücke. Die Charaktere, die Gesinnungen, das Betragen der Personen, alles stellt sich dadurch unter die Regel des Gegensatzes, und wie die Geige des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet; so auch die zwei- schenklige Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüths und die Gedanken. Der Verstand wird ununterbrochen aufge- fordert, und jedes Gefühl, jeder Gedanke in diese Form, wie in das Bette des Prokrustes gezwängt." Die Nachahmung des französischen Geschmacks in der deutschen Literatur führte auch bei uns den Alexandriner ein; er wurde in der Lyrik und im Drama der Lieblingsvers unserer gelehrten Zopfpoesie bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Neuerdings hat ihn Rückert mit Glück in der Lehrdichtung angewandt (Brahmanische Erzählungen, Weisheit des Brah manen): Was hat dich, Geist, vermocht, aus Gott hervorzuwallen? Er hat dich nicht verbannt, du bist nicht abgefallen. Die Liebe nur hat dich, die Liebe dich vertrieben; Er wollte, daß er dich, daß du ihn könntest lieben. Wär' er nicht außer dir, wie könnt'st du suchen ihn? Wärst du nicht außer ihm, wie könnt' er an dich ziehn? Bei dem Trimeter, gleichfalls einem sechsfüßigen jambischen Verse, liegt die Cäsur im Gegentheil so, daß sie den Vers nicht in zwei gleiche Hälften scheidet. Der Trimeter ist der Vers der griechischen Tragiker; doch haben ihn auch die Neueren ange- wandt, z. B. Göthe in der „Helena", (3. Akt des 2. Theiles vom Faust) und Schiller in den Montgomery-Scenen der „Jung- frau von Orleans" (Theil Iii.) und in einer Scene der „Braut von Messina." Es kommen auch Jamben mit Anapästen vor, selten Anapäste allein; aber beide mit einander bringen eine recht gute Wirkung hervor; z. B. Doch als die Priester hoben Den blanken Opferstahl,

3. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 21

1877 - Stuttgart : Heitz
21 riegelten. Sie kommen aber nur selten vor. Göthe liebt sie besonders in Chorgesängen, z. B. in dem Chor der Schmiede ans der „Pandora": Der es entzündete, Sich es verbündete, Schmiedete, ründete Kronen dem Haupt. Und in dem Chor der Engel im „Faust": Thätig ihn Preisenden, Liebe Beweisenden, Brüderlich Speisenden, Predigend Reisenden, Wonne Verheißenden, Euch ist der Meister nah, Euch ist er da! Vom Reime verschieden ist die Alliteration. Sie war üblich im germanischen Alterthum, ehe die Deutschen den Reim allgemein angenommen hatten. *) Sie besteht darin, daß man Wörter mit gleichen Anfangsbuchstaben zusammenhäuft, z. B. Wonne weht von Thal und Hügel, Weht von Flur und Wiesenplan, Weht vom glatten Wasserspiegel, Wonne weht mit weichem Flügel Des Piloten Wange an. Endlich ist noch zu erwähnen die Assonanz (d. h. wörtlich: der Anklang) am Ende des Verses an Stelle des Reimes. Sie besteht in gleichem Vokal; wenn also z. B. Land: Band ein Reim ist, so ist Land: Stab eine Assonanz. In die deutsche Literatur ist diese Form eingeführt worden durch die Nachahmung der spanischen volksthümlichen Romanzen. Diese bestehen aus *) Der Vers wurde in den ältesten Zeiten construirt durch die bedeutsamsten Worte Lesselben und diese hervorragendsten Wörter, die Träger des Verses, die man eben darum Liedstäbe nannte, correspondirten einander durch gleiche Anfangsbuchstaben. Man nennt diese Versform, welche von dem Reime noch nichts weiß, den Stabreim (von den drei Liedstäben, auf denen die Zeile ruht) oder die Alliteration. Die Nibelungenstrophe besteht aus vier paarweise gereimten Verszeilcn, von denen ^ede wieder in zwei ungleichartige Hälften zerfällt, indem die erste Hälfte einen weiblichen (klingenden), die zweite einen männlichen (stumpfen) Schluß hat. Der zweite Halbvers der vierten Zeile markirt das Ende der Strophe durch ein volleres Austönen, indem er statt drei Hebungen vier, ja in der Gudrunstrophe sogar fünf Hebungen hat. In dieser Strophe ist das Nibelungenlied und die Gudrun gedichtet; doch hat die Gudrunstrophe noch Ln den beiden letzten Verszeilen weibliche Endungen.

4. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 22

1877 - Stuttgart : Heitz
22 4zeiligen Strophen mit trochäischem Versmaaß, deren erster und dritter Vers reimlos sind, der zweite und vierte aber die Assonanz haben, und zwar meist auf denselben Vokal durch die ganze Strophe. Als Beispiel diene das schöne Gedicht Uhlands (f 1862) in Tübingen: Romanze vom kleinen Däumling. Kleiner Däumling! kleiner Däumling I Allwürts ist dein Ruhm posaunet. Schon die Kindlein in der Wiege Sieht man der Geschichte staunen. Welches Auge muß nicht weinen, Wie du liefst durch Waldesgrausen, Als die Wölfe hungrig heulten, Und die Nachtorkane sausten! Welches Herz muß nicht erzittern, Wie du lagst im Riesenhause \ Und den Oger hörtest nahen. Der nach deinem Fleisch geschnaubet! Dich und deine sechs Gebrüder Hast vom Tode du erkaufet, Listiglich die sieben Kappen Mit den sieben Kronen tauschend. Als der Riese lag am Felsen, Schnarchend, daß die Wälder rauschten^ Hast du keck die Meilenstiefel Von den Füßen ihm gemauset. Einem vielbedrängten König Bist als Bote du gelaufen; Köstlich war dein Botenbrod: Eine Braut vom Königshause. Kleiner Däumling! kleiner Däumling! Mächtig ist dein Ruhm erbrauset, Mit den Siebenmeilenstieseln Schritt er schon durch manch Jahrtausend.

5. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 75

1877 - Stuttgart : Heitz
Auf ein heiliges Räthsel. O könnt' ich dir, liebliche Freundin, Ueberliefern sogleich glücklich das lösende Wort. — Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze, Stufenweise geführt, bildet zu Blüthen und Frucht. Aus dem Saamen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde Stille befruchtender Schooß hold in das Leben entläßt, Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten, Gleich den zärtesten Bau keimender Blätter empfiehlt. Einfach schlief in dem Saamen die Kraft; ein beginnendes Vorbild Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt, Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos; Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt, Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend. Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht. Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung; Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind. Gleich daraus ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet, Knoten aus Knoten gethürmt, immer das erste Gebild, Zwar nicht immer das gleiche, denn mannichsaltig erzeugt sich, Ausgebildet, du siehst's, immer das folgende Blatt, Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Theile, Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ. Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung, Die, bei manchem Geschlecht, dich zum Erstaunen bewegt. Viel gerippt und gezackt auf mastig strotzender Fläche, Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein. Doch hier hält die Natur mit mächtigen Händen die Bildung An, und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin. Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gesäße, Und gleich zeigt die Gestalt zartere Wirkungen an. Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke, Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus. Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an. Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin. Um die Achse gedrängt entscheidet der bergende Kelch sich, Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt. Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung, Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft. Immer staunst du auf's Neue, sobald sich am Stengel die Blume Ueber dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt. Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündigung; Ja das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand. Und zusammen zieht es sich schnell; die zärtesten Formen,

6. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 91

1877 - Stuttgart : Heitz
91 der im Jahre 1482 zu Venedig auf öffentlichem Markte einen Knaul Bind- faden in die Wolken fchmiß, und daran in die Luft kletterte, bis man ihn nicht mehr gesehen. Er wird mit dem 9. Jänner dieses Jahres anfangen, feine Einthalerkünste auf dem hiesigen Kaufhause*) öffentlich-heimlich den Augen des Publikums vorzulegen, und wöchentlich zu besseren fortschreiten, bis er endlich zu seinen 500 Louisdorstücken kommt, worunter sich einige befinden, die, ohne Prahlerei zu reden, das Wunderbare selbst übertreffen, ja so zu sagen schlechterdings unmöglich sind. Es hat derselbe die Gnade gehabt, vor allen hohen und niedrigen Poten- taten aller 4 Welttheile, und noch vorige Woche auch sogar im 5ten vor Jhro Majestät der Königin Oberea auf Otahaiti, mit dem größten Beifalle feine Künste zu machen. Er wird sich hier alle Tage und alle Stunden des Tagel sehen lassen, ausgenommen Montags und Donnerstags nicht, da er dem ehrwürdigen Congrefse seiner Landsleute zu Philadelphia die Grillen verjagt, und nicht von 11—12 des Vormittags, da er zu Constantinopel engagirt ist, und nicht von 12—1, da er speiset. Von den Alltagsstückchen zu einem Thaler wollen wi» einige angeben, nicht sowohl die besten, als vielmehr die, welche sich mit den wenigsten Worten fassen lassen. 1. Nimmt er, ohne aus der Stube zu gehen, den Wetterhahn von der Jacobikirche ab, und setzt ihn auf die Johanniskirche, und wiederum die Fahne des Johanniskirchthurms auf die Jacobikirche. Wenn Z sie ein paar Minuten gesteckt, bringt er sie wieder an Ort und Stelle. Nb. Alles ohne Magnet, durch die bloße Geschwindigkeit. 2. Nimmt er 6 Loth des besten Arseniks, pulverisirt und kocht ihn in zwei Kannen Milch, und tractirt die Damen damit. Sobald ihnen übel wird, läßt er sie 2—3 Löffel voll geschmolznes Blei nachtrinken, und die Gesellschaft geht gutes Muthes und lachend auseinander. 3. Läßt er sich eine Holzaxt bringen, und schlägt damit einem Chapeau vor den Kopf, daß er wie todt zur Erde fällt. Auf der Erde versetzt er ihm den zweiten Streich, da dann der Chapeau aufsteht und gemeiniglich fragt: was das für eine Musik sei? Uebrigens so gesund wie vorher. 4. Er zieht 3—4 Damen die Zähne sanft aus, läßt sie von der Gesell- schaft in einem Beutel sorgfältig durch einander schütteln, ladet sie alsdann in ein kleines Feldstück, und feuert sie besagten Damen auf die Köpfe, da denn jede ihre Zähne rein und weiß wieder hat. 5. Ein metaphysisches Stück, worin er zeigt, daß wirklich etwas zugleich sein und nicht sein kann. Erfordert große Zubereitung und Kosten, und giebt er es bloß der Universität zu Ehren für einen Thaler. 6. Nimmt er alle Uhren, Ringe und Juwelen der Anwesenden, auch baares Geld, wenn es verlangt wird, und stellt jedem einen Schein aus, *) Ein zu Gastmahlen, Festivitäten und dergl. großen Zusammenkünften gewöbnlich gebrauchtes Haus in Güttingen, dicht am Marktplatze.

7. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 154

1877 - Stuttgart : Heitz
154 ordnet, daß ihre schönen Schultern unverhüllt und von dem hohen Spitz- kragen zart umsäumt erschienen. Sie hatte den Kopf hoch gehoben und etwas zur rechten Seite gewen- det; ihr glänzendes röthliches Haar war frei empor gekämmt, und zeigte die große runde Stirn mit den hochgewölbten Augenbrauen. Auf der Mitte des Kopfes nach hinten über saß eine brillantene Krone, und die Fülle von Locken, die ihr reiches Haar zuließ, siel von da, wie es scheinen sollte, in leichter Nachlässigkeit von beiden Seiten nieder. Die Lippen waren wie zu einer rednerischen Bewegung geöffnet, und die rechte Hand, von großer Schönheit, hielt in ihrem Schooße die Oden des Horaz. Etwas zur Linken zeigte sich auf einer Herme die Büste des Plato und darunter, aus dem Bilde schon herausgehend, so daß man nur einen Theil eines Tabourets gewahrte, sah man den königlichen Hermelin, auf den Elisabeth so eben, wie der Horaz in ihrer Hand andeutete, den Musen huldigend, mit ihrer linken Hand den Zepter niederlegte. Wie reich und bedeutungsvoll dies Bild auch in seinen Beiwerken sein mochte, es war dem Künstler doch vollkommen gelungen, sie sämmtlich der mächtigen Persönlichkeit der königlichen Frau unterzuordnen. Dieser kühne, überzeugte Blick, diese stolz gehobenen Lippen kündigten vollkommen sie als diejenige an, die Sixtus der Fünfte nächst sich selbst und Heinrich dem Vierten zu den drei einzigen Selbstherrschern rechnete, und gewiß mußte vor ihrem Bilde ein Jeder in seinen Ausruf einstimmen: En §ran cervello di prin- cipessa! Links ihr zur Seite hing das Bild ihres Vaters, Heinrich des Achten, von seinem Liebling Holbein mit aller Kunst und Sorgfalt dieses großen Meisters ausgeführt. Er war zur Zeit der Vermählung seiner Schwester mit Ludwig dem Zwölften bei dem Hoflager zu Calais gemalt, zur schönsten Zeit seines männlichen Alters und in dem vollen Glanze des damals uner- meßlichen Kleiderauswandes. Er saß zurückgelehnt in einem thronartigen Sessel, einen kleinen mit Juwelen besetzten und mit einer Feder aufgeklappten Hut halb zurückge- schoben auf dem hohen Kopfe; die eine Hand über die auf einem Tische seit- wärts stehende Krone gelegt, hielt er in der andern seine eigene Uebersetzung des Neuen Tastementes. Sein Gesicht schaute halb lächelnd gerade aus. Es lag mehr Hohn und Triumph als Freude oder Heiterkeit darin, und dem Beobachter mußte leicht der Uebergang zu finden sein von diesen noch jugendlich überwölbten Zügen zu dem wilden Gepräge des später so blutdürstigen Tyrannen. Ihm gegenüber hingen die Bilder seiner beiden Kinder, Eduard des Sechsten und dessen grausamer Schwester, der nachherigen Königin Maria. König Eduard war als Knabe abgebildet; er hatte seinen Lieblingshund, ein großes, wejßes Windspiel, mit dem rechten Arme umfaßt, und schien die zarte, schwankende Gestalt an ihm zu stützen. Seine dichten braunen Locken hingen schlicht um das bleiche, kranke Antlitz, und die großen dunkeln Augen

8. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 156

1877 - Stuttgart : Heitz
15g Wie ein Engel, als Bote eines besseren Lebens der Welt auf kurze Zeit gesandt, so blickte aus diesen tiefen blauen Augen der Himmel in der eignen Brust. Fünfzehnjährig schon Gemahlin des ihrer so würdigen Guil- sord, war als Braut sie dargestellt. Im Weggehen aufgehalten, wie cs schien, stand sie mit leichter Grazie aufgerichtet vor einem Sessel, und blickte mit dem vollen Antlitze aus dem Bilde. Die seine jugendliche Gestalt, die kaum die Gränzen der Kindheit überschritten, war in die Farben des väter- lichen Hauses Susfolk, in weißen Silberstoff mit himmelblauer Robe, gekleidet. Ihr wunderschönes blondes Haar floß wie gesponnenes Gold in zarten Wellen ohne Zwang den halb gewendeten Rücken entlang, und reichte über die Hälfte der kindlichen Gestalt; an den Schläfen von der weißen Stirn gescheitelt, war es mit blauen Schleifen zierlich aufgebunden, und auf dem Hintertheile des Kopfes ruhte die herzogliche Krone. Eine Säulenhalle zog bis in die weite Ferne sich als Hintergrund, und am Ende derselben sah man perspektivisch verkleinert Lord Guilford daher eilen. „Ach," rief Richmond, von so viel Unglück und so viel Tugend tief be- wegt, „hätte nie dein kindlich Haupt ein schwereres Diadem belastet, als diese leichte Herzogskrone, das unbestrittene Erbtheil deiner Väter!" Noch blieb er sinnend stehen, dem spiegelhellen Boden zugewendet. Es blieb ein Bild noch zu betrachten übrig, er wußte es wohl. Doch zögernd verschob er seinen Anblick, als müßte er erst das eigene Herz betrachten und seinen schnellen Schlagen lauschen. Sollt' er als Mann erfahren, was ihn als Knabe schon bewegt? Mußt' er es eingestehn, daß das wunderbare Loos ihm gefallen sei, an ein Bild die süßesten Regungen des Gefühls verschenkt zu haben? „Nein!" rief er, „dem Knaben gehört diese Schwärmerei!" Er wandte muthig sich, er stand davor, und wie am Strahl der Sonne der leichte Nachtfrost einer Mainacht zu einem Thautropfen sich verwandelt, so verschwamm in seinem ersten Blick Wille, Absicht, jeder Widerstand der Ueber- legung, und Herz und Seele sogen sich fest an ihren alten Wahn. Dicht an der hellen Eingangsthür und wie in einem Schreine, da die Holzwand herausgehoben war, es einzulassen, hing ein Brustbild, dessen Nah- men in einem runden Medaillon das lebenvolle Antlitz der schönen unglück- lichen Königin von Schottland umfaßte. Der Nahmen trug in Gold und Farben und reichen Edelsteinen die drei Wappen, welche die unglückliche Frau mit Eigenthumsrecht behauptete. Die Wappen Schottlands und Frankreichs waren an dem oberen Rande, unter der dreidoppclten Krone im Mittelpunkte des Rahmens, das Wappen Englands, das zu behaupten, ihr so großen, nur mit Blut gesühnten Haß der eifersüchtigen Elisabeth zuzog, unter den beiden ersteren. Reich mit Laubwerk und Emaillen war das Krinstwerk dieses Rahmens ausgeführt, und enthielt in Arabeskenform noch viele Anspielungen auf den hohen Geist der königlichen Frau. Das Ganze war umschlungen von einem emaillirten Bande, auf dem in goldener Schrift dienamen Plato, Aristoteles, Horaz, Pindar, Homer, Dante und Ariost, als der Gefährten ihrer Einsamkeit, zu lesen waren, und wie vorzüglich auch das Bild zu nennen war, der Nahmen an sich blieb ein schätzbares Kunstwerk.

9. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 162

1877 - Stuttgart : Heitz
162 anlächelnde Bruder ruhte und mit warmen Mänteln überdeckt war, zog er ein klirrend schreiendes Tischchen von getriebenem Kupfer herbei, das seine Staubdecke räumen mußte, und auf dessen mit künstlichen Bildern eingelegter Platte Reginald mit jugendlich gelenkiger Geschicklichkeit die Mundvorräthe ausbreitete. Bald war so eine Art Bequemlichkeit eingetreten, die wenigstens als Gegensatz des draußen wüthenden Sturmwinds so genannt werden konnte, da das Kamin wirklich in hellen, prasselnden Flammen die zer- trümmerte Pracht das vorigen Jahrhunderts verzehrte, und damit in seiner Nähe eine wohlthuende Wärme verbreitete. Ludwig griff nun auch, sichtlich erquickt, zu den Speisen, und fühlte sich besonders von dem alten starken Weine neu belebt. „Jetzt," rief Reginald, „bin ich erquickt, und unsere Leute werden es auch sein. Ruhe Du hier, mein Lieber! Ich will mit den Leuten und unsern Pistolen die-nächsten Räume untersuchen; denn ein offenes Haus will ein nöthiges Bedenken erregen. Behalte Du eine Deiner geladenen Pistolen hier; mit den andern bewaffnen wir uns." Ludwig war es zufrieden, und Reginald durchspähte zuerst ihren Auf- enthalt. Das Zimmer war mit kostbaren, aber verwitterten Gobelins be- hängen; darunter standen fest und unversehrt verschlossene Schränke, die eine fortgesetzte Sculptur in Ebenholz waren, und, mit Gold, Silber und Elfen- bein untermischt, Gegenstände aus dem alten und neuen Testamente dar- stellten. In der Gegend des Thronhimmels stand eine lange, eben so kost- bar gearbeitete Tafel, über die ein verstaubter Teppich von purpurrothem Sammet mit goldnen Franzen hing. Außer der Eingangsthüre befanden sich noch zwei kleinere in diesem Zimmer; die eine öffnete sich nach einer offenen Gallerie, von der ihnen sogleich der Sturm entgegenwehte, der sie der festen Thüre froh werden ließ. Dagegen war neben dem Thronhimmel eine vierte größere Thüre, die Neugierde und Verdacht in ihnen erweckte, da sie mit mehreren Schlössern und eisernen Balken verwahrt war, die nach einigen Versuchen, sie zu öffnen, sich als zu stark befestigt zeigten, um den Eingang möglich zu machen. Dies machte aus Reginald einen sehr unangenehmen Ein- druck, und er fühlte damit Sorge und Unruhe in sich angeregt, obwohl er bemüht war, sie zu verbergen, da er Ludwig's eintretende Ruhe zu stören fürchtete. Um so sorgfältiger untersuchte er die anstoßenden Räume, und alle zeigten sich durchaus beruhigend. Er befahl einem der Diener, mit dem Pistol in der Hand, im Vorsaal zu lagern; den zweiten ließ er vor der Thüre nach der Gallerie sich legen; er selbst aber nahm Ludwig gegenüber am kupfernen Tischchen Platz, so daß er die geheimnißvolle Thür im Auge behielt. Er hoffte, Ludwig's leichten krankhaften Schlummer bewachen zu können, trank mehr Wein als gewöhnlich, um sich munter zu erhalten, und da das sonderbare, wehklagende Geschrei der vom Sturm umwehten Zinnen und Thürme in dem mannichfachsten Wechsel seine Phantasie anregte, fühlte er sich auch der Müdigkeit widerstehend, die ihn von dem Augenblick an be- drohte, als Ludwig vor ihm in gleichmäßigeren, ruhigeren Schlaf versank. Er faßte das scharf geladene Pistol fest in der rechten Hand, und sich in

10. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 143

1877 - Stuttgart : Heitz
143 „Doch wenn er dann den Weg der Besserung nicht wählt, „So zeig's nach Pflicht der Kirche an. „Das will auch ich jetzt thun. Es ist — es ist — „Was meint ihr? Soll ich namentlich sie nennen? „Ich sollte billig wohl; doch wißt — „Allein, warum nicht? — Gut, ihr sollt sie kennen! „Vielleicht bringt dies zu ihrer Pflicht „Sie noch zurück, so leid mir's thut, sie zu beschämen. „Es ist — doch ohne Makel könnt' ich nicht „Den Namen nur einmal auf meine Zunge nehmen, „Ich will sie denn auf andre Art der Welt „Kund machen, und einmal an ihr das Strafamt schärfen. „Dort sitzt sie! Wie sie sich nicht stellt! „Jetzt werd' ich mein Gebetbuch nach ihr werfen. „Gebt Acht! Gebt Acht! aus welch' es fällt!" — Indem er nun empor mit seinem Buche fuhr, Ward jede bange vor dem Falle, Und jede bückte sich. — „Verdorbene Natur! „Ich dacht', es wäre Eine nur; „Nun seh' ich erst, sie sind es Alle!" 6. Der Roman, die Novelle und das Mährchen. Der Roman schildert das wirkliche menschliche Leben nach der großen Mannigfaltigkeit seiner möglichen Ereignisse. Aber zum Unterschiede vom Epos, welches seine Culturgemälde an einen Völkerkampf anknüpft, hält der Roman sich an ein individuelles Erlebniß und an erfundene Helden. Da nun das alltägliche Leben selten so viel Interessantes enthält, daß seine Beschreibung an- ziehend sein könnte, verschönert der Roman die menschlichen Be- gebenheiten, und stellt sie so dar, daß die Leser Vergnügen empfin- den. Darum gehört der Roman zu den Gedichten, obgleich er in ungebundener Rede geschrieben ist. Der Romandichter kann seinen Stoff aus der Geschichte entlehnen, oder ihn selbst erfinden. Auch im ersteren Falle bleibt ihm unbenommen, die wahre Geschichte nach seinem Zwecke zu verändern, hinzuzusetzen und wegzulassen, wie er will. Man nennt solche Dichtungen historische Romane. Also an historische Wahrheit ist der Dichter nicht gebunden; wohl aber an die höhere, allgemein menschliche Wahrheit. Richt
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