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Speeren dicht um den liegenden Grafen, und Ivo rief ihm zu: „Nur
das Wappenbild auf Eurem Gewände begehre ich. Ergebt Euch, Graf
Markwart, damit meine Knaben Euch nicht die Arme schnüren." Der
Betäubte vermochte kaum zum Zeichen der Ergebung die Hand zu
heben. Ivo sprang herab, löste ihm die Schnur des .Helms und half
ihn: auf das zitternde Roß, aber die behende Schere seines Knappen
hatte dem Gefallenen bereits den seidenen Überwurf gekürzt.
Da gab der Kampfrichter den Bläsern ein Zeichen, das Ende aus-
zurufen. Wer nach dem letzten Posaunenton noch weiterkämpfte, ver-
lor seine Rüstung, darum schwand allmählich das Getöse, die Kämpfer
banden ihre Helme ab und suchten ihre Stelle in dem geminderten
Haufen. Ivo aber sprengte mit entblößtem Haupte in die Mitte des
Raumes, rief den Teilnehmern am Turnier seinen Dank ans und
zog dann langsam mit seiner Schar in den Schranken umher, wäh-
rend der Beifallsruf der Zuschauer wie Donner erklang. Die Ge-
fangenen entließ er, soweit er Macht über sie hatte, ohne Lösegeld.
Es war ein kleines, aber ruhmvolles Turnier. Die Gegner Ivos
hatten den größeren Verlust an geworfenen Helden, wie an ge-
brochenen Rippen, und die Erfurter rühmten als besonderen Zufall,
daß kaum zwei gefährlich verwundet waren. Nur die Beutelustigen
grollten dem Sieger, weil er das Waffenspiel allein auf Speere und
nicht auch auf die stumpfen Schwerter eingerichtet hatte, welche sonst
nach dem Speerkampf geschwungen wurden und reichlicher zu Ge-
fangenen verhalfen.
Gustav Frey tag.
253. Die deutschen Städte im Mittelalter.
1. Das Aussehen der Städte um das Jahr 1300 darf man nicht
mit ihrem heutigen vergleichen. Wer am Morgen in ein Tor herein-
zog, begegnete sicher dem Stadtvieh. Denn der Bürger trieb auch
Landbau, selbst die vornehmen Häuser hatten in engem Hofraume
Viehställe. Schweine liefen in den Straßen umher und fuhren auch
wohl in die Häuser hinein, sich ihre unsaubere Nahrung zu suchen;
auf abgelegenen Plätzen lagerten große Düngerhaufen. Die Haupt-
straßen der vornehmen Städte waren hier und da gepflastert, aber
selbst in Frankfurt wurden noch um 1400 die Hauptwege nur durch
Sand und kleine Steine gebessert, und für die Domherren war es
eine genügende Entschuldigung ihres Ausbleibens bei Versammlungen,
daß der Straßenschmutz zu arg sei. Wer bei schlechtem Wege aus-
ging, fuhr in schwere Holzschuhe; von den Ratsherren wurde gefordert,
daß sie diese vor der Sitzung auszogen.
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Extrahierte Personennamen: Ivo Graf
Markwart Ivo Gustav_Frey Gustav
102
Lmanuel v. Geibel. L.
96. Der Tod des Tiberius.
Bei Kap Misenum winkt ein fürstlich Hans
aus Lorbeerwipfeln zu des Meeres Küsten,
mit Sänlengängen, Mosaiken, Büsten,
und jedem Prunkgerät zu Fest und Schmaus.
Oft sah es nächtlicher Gelage Glanz,
wo lock'ge Knaben, Efeu um die Stirnen,
mit Bechern flogen, silberfüß'ge Dirnen
den Thyrsus schwangen in berauschtem Tanz,
und Jauchzen scholl, Gelächter, Saitenfpiel,
bis aus die Gärten rings der Frühtau fiel.
Doch heut', wie stumm das Haus! Nur hier und dort
ein Fenster hell. — Und wo die Säulen düstern,
wogt am Portal der Sklaven Schwarm mit Flüstern;
es kommen Sänften; Boten sprengen fort;
und jedesmal dann zuckt umher im Kreise
ein Fragen, das nur scheu um Antwort wirbt:
„Was sagt der Arzt? Wie steht es?" — Leise, Leise!
Zu Ende geht's; der greise Tiger stirbt.
Bei matter Ampeln Zwielicht droben lag
der kranke Cäsar auf dem Purpurkissen.
Sein fahl Gesicht, von Schwüren wild zerrissen,
erschien noch grauser heut', als sonst es pflag.
Hohl glomm das Auge. Durch die Schläfe wallte
des Fiebers Glut, daß jede Ader schlug;
niemand war bei ihm, als der Arzt, der alte,
und Macro, der des Hauses Schlüssel trug.
Und jetzt mit halbersticktem Schreckensruf
aus feinen Decken fuhr empor der Sieche,
hoch auf sich bäumend: „Schafs mir Kühlung, Grieche!
Eis! Eis! Im Busen trag' ich den Vesuv.
O wie das brennt! Doch grimmer brennt das Denken
im Haupt mir; ich verfluch' es tausendmal,
und kann's doch lassen nicht zu meiner Qual;
o gib mir Lethe, Lethe, mich zu tränken!
Umsonst! Dort wälzt sich's wieder schon heran
wie Rauchgewölk und ballt sich zu Gestalten —
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Extrahierte Personennamen: Geibel Tiberius Hans Schmaus Cäsar
17
12. Der rechte Ritter sprengt heran
und warnt den Grafen sanft und gut.
Doch daß hetzt ihn der linke Mann
zu schadenfrohem Frevelmut.
Der Graf verschmäht des Rechten Warnen
und läßt vom Linken sich umgarnen.
13. „Hinweg, du Hund!" schnaubt fürchterlich
der Gras den armen Pflüger an.
„Sonst hetz' ich selbst, beim Teufel! dich.
Hallo, Gesellen, drauf und dran!
Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen,
knallt ihm die Peitschen um die Ohren!"
14. Gesagt, getan! Der Wildgraf schwang
sich übern Hagen rasch voran,
und hinterher bei Knall und Klang
der Troß mit Hund und Roß und Mann;
und Hund und Mann und Roß zerstampfte
die Halmen, daß der Acker dampfte.
15. Vom nahen Lärm emporgescheucht,
feldein und -aus, bergab und -an
gesprengt, verfolgt, doch unerreicht,
ereilt das Wild des Angers Plan
und mischt sich, da verschont zu werden,
schlau mitten zwischen zahme Herden.
16. Doch hin und her durch Flur und Wald,
und her und hin durch Wald und Flur
verfolgen und erwittern bald
die raschen Hunde seine Spur.
Der Hirt, voll Angst für seine Herde,
wirft vor dem Grafen sich zur Erde.
17. „Erbarmen, Herr, Erbarmen! Laßt
mein armes, stilles Vieh in Ruh'!
Bedenket, lieber Herr, hier grast
so mancher armen Witwe Kuh.
Ihr ein und alles spart der Armen!
Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!"
Kappey u. Koch, Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. V. 2
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355
einen Reif und jprang mit einem gewaltigen Satz auf Herakles los.
Der hatte den Bogen, welcher ihm hier nichts nützen konnte, rasch beiseite
geworfen, und als der Löwe mit den fürchterlichen Krallen ihn gerade
packen wollte, versetzte er ihm mit dem harten Knopf seiner Keule einen
solchen Schlag an die Stirn, daß das Untier zurücktaumelte, die Augen
verdrehte und unsicher auf den Beinen hin- und herschwankte. Jetzt warf
Herakles auch die Keule aus der Hand, sprang dem Löwen entgegen, trat
ihm mit den Füßen aus die Hinterbeine, umschlang seinen Hals mit den
Armen und drückte so lange, bis das Tier erstickt war. Umsonst suchte
er dann dem toten Löwen das Fell abzustreifen; kein Stein und kein
Eisen war dazu scharf genug. Da lud er sich die ganze Last auf die
Schultern und ging damit seines Weges nach Mykenä. Als der feige
Eurystheus den Helden mit dem gräßlichen Ungeheuer daherkommen sah,
bekam er vor der göttlichen Stärke des Herakles eine solche Angst, daß
er sich in ein ehernes Faß unter die Erde verkroch. Er ließ dem Helden
durch einen Herold sagen, daß er forthin nicht wieder vor sein Angesicht
komme, sondern seine Siegesbeute nur vor den Toren der Stadt ab-
geben sollte.
2. Die Hydra.
Bald darauf hatte der König Eurystheus eine zweite Arbeit ersonnen,
um den gefürchteten Dienstmann zu beschäftigen. Er befahl dem Herakles,
die lernäische Hydra zu erlegen. Das war eine unmäßig große Schlange
mit neun Köpfen, von denen acht sterblich, der in der Mitte stehende
aber unsterblich war. Sie hielt sich in dem Sumpfe von Lerna, nicht
weit von Argos, auf und überfiel von da aus die Herden und verheerte
das Land.
Um dieses Ungeheuer zu bekämpfen, nahm Herakles seinen tapferen
Neffen Jolaos als Waffengefährten mit. Der lenkte an seiner Seite die
Rosse des Wagens, auf dem sie bis in die Nähe der Höhle fuhren, in
welcher die Schlange ihr Lager hatte. Dort sprang Herakles mit seinem
Bogen vom Wagen herab, wickelte Werg mit Pech und Schwefel um die
Pfeile, zündete sie an und schoß damit in die Höhle hinein, um die Hydra
aus ihrem Schlupfwinkel aufzuscheuchen. Wütend fuhr sie hervor, und
es war grauenvoll anzusehen, wie sie den ungeheuren Leib daherwälzte
und drohend aus den neun emporgestreckten Hälsen zischende Zungen
fletschte. Mit vorgehaltenem Schild und funkelndem Schwert sprang
Herakles aus sie ein, und während sie mit dem Schweif ihm einen Fuß
umringelte, schlug er ihr mit raschen Hieben Kopf auf Kops herunter.
Aber er richtete damit nichts aus; für jeden abgehauenen Kopf wuchsen
der Schlange alsbald zwei neue aus dem blutenden Rumpfe hervor.
Gleichzeitig kam der Hydra ein Riesenkrebs aus dem Sumpfe zu
23*
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421
Wort, sondern meist nur scharfen Tadel, rauhes Scheltwort oder harte
Drohungen.
Sie ließ aber alles über sich ergehen; keine Träne floß ihr vom Auge,
oft aber wollte ihr schier das Herz brechen vor Jammer und Not. Nur
mit den Möwen, die sie am Tage umschwärmten, pflog sie heimliche Zwie-
sprach, und die wilden Schwäne, welche im Herbst von Mitternacht her-
geflogen kamen, fragte sie nach ihren Geliebten in der Heimat: nach ihrer
Mutter Hilde in der Burg Matelane, nach Herwig und Ortwein, nach
Wate und Horand. Aber die weißen Vögel zogen ohne Heimatgruß und
Antwort von dannen, und seufzend klagte Gudrun: „Sie hören mich nicht;
kein Gruß kommt aus der Heimat zu mir, und ich habe nun wohl nichts
mehr zu hoffen."
Wohl schalt sie sich kleinmütig und verzagt und bat ihren Geliebten
in der Stille ihres Herzens ob solcher Anwandlung um Verzeihung; er-
blickte sie aber ein Segel auf hoher See, so schwoll ihr das Herz in neuer
Hoffnung.
7. Der Winter kam mit seinen rauhen Stürmen, seiner nordischen
Dunkelheit und bitteren Kälte. Frau Gerlind aber kannte kein Erbarmen,
sie trieb Gudrun und ihre Genossin trotz Schnee und Sturm tagtäglich
an den Strand hinaus. Da standen die Armen im wilden Wogengebraus
und schafften mit allen Kräften, damit sie ihre Glieder vor der Erstarrung
des Frostes behüteten. Aber ihr Lohn waren Scheltworte, hartes Brot
und ein kaltes Nachtlager in öder Kammer. Keine ihrer Gespielinnen litt
solche Not wie sie, und wenn eine sie erblickte in ihrem Elend, so stürzten
ihr die Tränen aus den Augen vor unaussprechlichem Mitleiden.
8. Julfest ward in der Burg gefeiert; die Herrschaft des blinden
Hödur ging zu Ende, Baldur kehrte wieder und mit ihm das Licht und
die Hoffnung.
So sing auch Gudrun nach langer, dumpfer Winternacht wieder aufs
neue an zu hoffen. Oft unterbrach sie die rauhe Arbeit und spähte gegen
Norden hinaus, ob nicht noch weiße Segel über den wallenden Fluten
erschienen. Törichte Hoffnung! Kein Kiel durchfurchte die fturmgepeitschten
Wogen; ein Tag ging nach dem andern dahin; einer so rauh, so trübe,
wie der andere. Wenn sie im Morgengrauen das Fenster trat, so seufzte
sie tief im Angesicht des weiten Meeres, und von ihren Lippen floß die
Klage:
Gudruns Klage.
1. Nun geht in grauer Frühe
der scharfe Märzenwind,
und meiner Qual und Mühe
ein neuer Tag beginnt.
Ich wall' hinab zum Strande
durch Reif und Dornen hin,
zu waschen die Gewände
der grimmen Königin.
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397
245. Odin und Frigga.
1. Odin ist der vornehmste und höchste aller Äsen; er ist der
Vater der Götter und Menschen. Wenn er auszieht zum Streite
mit den Helden Walhallas, so deckt ein Goldhelm sein Haupt, die
Brust schirmt ein blanker Panzer, zur Seite hängt das kostbare
Schwert, und in der Hand führt er Gungnir, den herrlichen Spieß.
Allein nicht immer erscheint er in so glänzender Rüstung. Oftmals
trägt er einen blauen Mantel, mit goldenen Sternen besät, und auf
dem Kopfe einen breiten Hut. Lang ist das Haar seines Hauptes,
und der Bart wallt tief herab auf die Brust. Nur ein Auge hat
der hohe Äse; dieses aber ist groß und schön, und sprühende Lichter
brechen daraus hervor. Das andere Auge hat er dem Riesen Mim er
zum Pfande geben müssen, da dieser ihm einen Trunk aus seinem
weisheitsvollen Brunnen verstattete.
2. Sitzt er zu Tische mit den Helden Walhallas, so liegen die
Wölfe Geri und Freki zu seinen Füßen. Ihnen gibt er das Fleisch,
welches ihm vorgelegt wird; denn er bedarf keiner Speise; Met und
Wein sind seine Nahrung. Hugin und Munin, zwei nachtschwarze
Raben, sitzen auf seinen Schultern. Jeden Morgen erheben sie sich
und fliegen aus in die weite Welt, und mittags kehren sie wieder
und flüstern dem Weltenvater alles in die Ohren, was sie auf weitem
Fluge gehört und gesehen haben.
3. Sleipnir heißt Odins Roß. Es ist grau von Farbe und hat
acht Füße und läuft so schnell wie der Wind. Durch wehende
Lüfte, über Wasser und Land trägt es seinen Herrn mit gleicher
Windesschnelle, darum darf man wohl sagen, daß Sleipnir das beste
und edelste aller Rosse ist.
4. Odin ist der Gott des Krieges und Lenker der Schlachten.
Das Klirren der Schwerter und der Schilde Gekrach: das ist Musik
für sein Ohr. Wo Kriegsmannen scharfe Schwerthiebe tauschen, da
weilt er gern, und große Helden sind seine liebsten Gesellen. Ihnen
wendet er Glück zu im Kampfe und verleiht an sie seinen Spieß
Gungnir, welcher nimmer das Ziel fehlt. — Doch ist Odin auch der
Gott der Dichtkunst und hoher Weisheit.
5. Die Gemahlin des Weltenvaters heißt Frigga: sie ist von
großer Schönheit und teilt mit Odin den Thron, von welchem sie
alle Welten überschauen können. Gustav Schalk.
246. Walhalla.
1. Der größte Saal in Odins Haus heißt Walhalla. Er hat 540
Türen und ist von großer Pracht und Herrlichkeit. Säulen und Pforten
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Extrahierte Personennamen: Frigga Odin Geri Odin Frigga Gustav_Schalk Gustav Walhalla
399
feiner gedenkt weiter der Hiebe, die er von dem andern bekommen. Schon
steht in Walhalla das köstliche Mahl bereit, und die Schildmädchen öffnen
den heimkehrenden Helden die Pforten. Speere und Schilde werden an
die Wand gehängt; die tapfern Mannen setzen sich zu Tische und langen
durstig nach den blinkenden Trinkhörnern, die liebliche Jungfrauen ihnen
reichen. Gustav Schalk.
247. Baldur.
1. Viele hohe und herrliche Gestalten wandeln in Walhalla und über
die Menschenerde; allein, wer dürfte sich an Schönheit mit Baldur ver-
gleichen! Lieblich ist das Licht seiner Angen, und in seinem Angesichte
wohnt zaubervolle Anmut. Hoheit und göttliche Huld leuchten auf seiner
Stirn.
2. Baldur ist der Gott des Lichtes, der holden Sommertage, der
Milde und Güte. Im ewigen Sonnenlichte steht sein Haus Breideblick;
ringsumher ist Himmels friede, und nie vernimmt hier das Ohr rauhes
Scheltwort oder Schwerthieb und schlimmes Eisenklirren. Götter und
Menschenkinder haben ihn lieb, und den Worten seines Mundes lauschen
die hohen Äsen mit Wohlgefallen. Sinnvolle Weisheit künden seine Lippen,
und seine Zunge spricht immer zum Frieden.
3. Doch sinstere Mächte ruhen nimmer. Sie sinnen und trachten,
Göttern und Menschenkindern zu schaden. Auch Baldur sollte von ihrer
Tücke nicht verschont bleiben. Schlimme Träume störten seinen Schlummer
und kündeten Unheil seinem huldvollen Leben. Die Äsen befiel Bestürzung
und Sorge. Odin aber sprach: „Mein Rat ist, alle Geschöpfe, lebendige
und leblose hierher zu entbieten und Eide von ihnen zu nehmen, daß sie
meinem Sohn Baldur nicht schaden wollen." Dieser Vorschlag deuchte
allen der beste, und Odin sandte seine Boten in die Welt, den Wesen
seinen Willen zu künden. Da kamen Menschen und Tiere und Feuer
und Wasser, Eisen und Erze, Steine und Erden, Bäume und Sträucher,
Gifte und Krankheiten; und Frigga nahm heilige Eide von ihnen, daß sie
Baldur verschonen wollten.
4. Nun kehrte wieder Freude in Asgard ein, und die Äsen gingen
zu fröhlichen Gelagen und tranken aus goldenen Schalen den würzigen
Met. Auf weitem Plane standen sie und kurzweilten mit Baldur.
Einige schossen auf ihn mit Pfeilen, andere schleuderten Steine nach seinem
Haupt, und noch andere hieben mit scharfen Schwertern auf ihn ein.
Froh wie ein Kind stand Baldur im Kreise und achtete gar nicht des
Angriffs; denn es konnte ihm ja kein Leid geschehen; alle Dinge hatten
geschworen, seiner zu schonen. Da kam Loki vorüber, und finsterer In-
grimm stieg in seiner boshaften Seele auf, da er sah, daß der gute Äse
trotz aller Streiche unverletzt blieb. Er nahm die Gestalt eines alten
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Extrahierte Personennamen: Gustav_Schalk Gustav Odin Frigga
8
Doch kommt und seht, hier ist der Grt,
nach dem gefragt mich Euer U)ort.
Hier wohnt, verhüllt von Erd' und Stein,
nun Euer totes Mütterlein."
5. Da steht der Arieger lang' und schweigt,
das Haupt hinab zur Brust geneigt.
Er steht und starrt zum teuern Grab
mit tränenfeuchtem Blick hinab.
6. Dann schüttelt er sein Haupt und spricht:
,,^)hr irrt, hier wohnt die Tote nicht.
U)ie schloss' ein Raum, so eng und klein,
die Liebe einer Mutter ein!"
Johann Nepomuk Vogt.
11. Der blinde König.
1. Was steht der nord'schen Fechter
Schar
hoch aus des Meeres Bord?
Was will in seinem grauen Haar
der blinde König dort?
Er ruft in bitterm Harme,
auf seinen Stab gelehnt,
daß überm Meeresarme
das Eiland widertönt:
2. „Gib, Räuber, ans dem Felsverlies
die Tochter mir zurück!
Ihr Harfenspiel, ihr Lied so süß
war meines Alters Glück.
Vom Tanz auf grünem Strande
hast du sie weggeraubt;
dir ist es ewig Schande,
mir beugt's das graue Haupt."
3. Da tritt aus seiner Kluft hervor
der Räuber, groß und wild;
er schwingt sein Hünenschwert empor
und schlägt an seinen Schild:
„Du hast ja viele Wächter,
warum denn litten's die?
Dir dient so mancher Fechter,
und keiner kämpft um sie?"
4. Noch stehn die Fechter alle stumm,
tritt keiner aus den Reihn;
der blinde König kehrt sich um:
„Bin ich denn ganz allein?"
Da faßt des Vaters Rechte
sein junger Sohn so warm:
„Vergönnt mir's, daß ich fechte!
Wohl fühl' ich Kraft im Arm."
5. „O Sohn, der Feind ist riesen-
stark,
ihm hielt noch keiner stand,
und doch, in dir ist edles Mark,
ich fühl's am Druck der Hand.
Nimm hier die alte Klinge!
sie ist der Skalden Preis;
und fällst du, so verschlinge
die Flut mich armen Greis!"
6. Und horch! esschäumet, undesrauscht
der Nachen übers Meer;
der blinde König steht und lauscht,
und alles schweigt umher,
bis drüben sich erhoben
der Schild und Schwerter Schall
und Kampfgeschrei und Toben
und dumpfer Widerhall.
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Extrahierte Personennamen: Johann_Nepomuk_Vogt Johann
359
Bald kam der Wagen dem Himmel zu nahe und bald der Erde, und es
verdorrten die Blumen, und die Quellen vertrockneten, und es war so
heiß, daß die Berge anfingen zu schmelzen. Einmal war er über Afrika,
da wurden alle Menschen im Lande von der Sonnenglut schwarz gebrannt,
und die schwarze Farbe blieb bei Kind und Kindeskind, und die Menschen
werden Mohren genannt. Die Göttin Güa war Königin über die Erde,
und wie die Bäume und Blumen und Quellen von der heißen Sonne
jämmerlich umkamen, bat sie Zeus, daß er die Erde nicht möge verderben
lassen. Da nahm Zeus einen Blitz und schleuderte ihn nach Phaeton,
der fiel vom Sonnenwagen herab und war tot. Helios hatte es gesehen,
und sein Herz war in großer Trauer, aber er flog hin und ergriff die
Zügel der Sonnenrosse und lenkte den Wagen wieder in die rechte Bahn.
Viele Tage war der Himmel mit dunklen Wolken bedeckt, und Helios ließ
sich von den Menschen nicht sehen. \/ C. Witt.
K
231. Dädalus und Ikarus.
1. Auf der Insel Kreta lebte ein König, der hieß Minos. Seine
Gewalt war groß, und er hatte viele Schiffe und bewaffnete Knechte.
Ein kunstfertiger Mann, namens Dädalus, hatte dem Könige ein
wunderbares Haus mit vielen, vielen Gemächern gebaut. Wer hin-
einging, konnte sich nicht mehr herausfinden. Im Hause wohnte ein
Ungeheuer, und alle Jahre wurden Gefangene hineingebracht, die
irrten umher, bis das Ungeheuer kam und sie auffraß. Das wunder-
bare Haus wurde das Labyrinth genannt.
2. Der König wünschte, daß Dädalus noch andere künstliche
Sachen zurichtete, und wollte ihn nicht aus dem Lande lassen. Er
stellte am Meere bewaffnete Knechte auf, daß Dädalus zu keinem
Schiffe gelangen könnte. Da dachte Dädalus: „Hat meine Kunst
dem Könige gedient, so soll sie mir nun selber dienen!“ Und er
ging in seine Werkstatt und bildete aus Wachs und Vogelfedern
zwei große Flügel für sich und zwei kleinere Flügel für seinen
jungen Sohn, der Ikarus hieß. Wenn es dunkel war, übten sie sich,
mit den wächsernen Flügeln zu tun, wie die Vögel tun. Sie hatten
die Flügel an die Arme gebunden und schlugen damit in die Luft
und flogen in die Höhe.
3. Als sie nun so das Fliegen gelernt hatten, machten sie sich
eines Morgens auf die Flucht und wollten nach der Insel Sizilien
fliehen, die aber wohl hundert Meilen von Kreta entfernt ist. Am
Meere standen die Wächter, die der König bestellt hatte, aber sie
konnten die beiden nicht fangen. Bald flogen diese über dem weiten
Meer, der Vater voran, er kannte den Weg. Ikaros war zuerst äugst-
TM Hauptwörter (50): [T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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damit gegen den Leib des Pferdes. Da gab es einen dumpfen Wider-
hall, >vie aus einem Kellergewölbe; doch die Trojaner ahnten nichts
Schlimmes, denn ihr Sinn war verblendet.
7. Indem erhob sich ein neues Geschrei in der Nähe. Die herum-
streifenden Jünglinge hatten in einem nahen Gesträuch einen unbe-
waffneten Griechen entdeckt und schleppten ihn nun gefangen herbei.
Es war der listige Sinon. Mit ängstlicher Miene und gerungenen
Händen, heuchlerische Tränen vergießend, stand er da, ein rechtes Bild
des Jammers, so daß die gutmütigen Trojaner Mitleid mit ihm
empfanden und ihn fragten, was er in ihrem Lande noch zu suchen
habe. Ja, sie trösteten ihn: er solle sich nicht fürchten, es werde ihm
niemand ein Leid antun. Sinon trocknete seine Tränen, seufzte laut
auf und sprach mit weinerlicher Stimme: „Ach, ihr guten Leute, ich
kann nicht lügen; Sinon hat noch nie eine Unwahrheit gesagt! Ver-
nehmet also: ich bin ein Grieche. Gewiß habt ihr schon von dem
listigen König Odysseus gehört. Dieser Bösewicht hatte einen Haß auf
mich geworfen und trachtete schon lange danach, mich zu verderben.
Endlich verabredete er zu diesem Zwecke mit dem lügnerischen Priester
Kalchas einen niederträchtigen Plan. Meine Landsleute hatten bereits
dieses hölzerne Pferd fertig und wollten eben absegeln, denn sie waren
des fruchtlosen blutigen Streites gründlich satt; da trat der Wahrsager
mitten unter sie und verkündete mit erhobener Stimme, es sei der
Wille der Götter, daß vor der Abfahrt von hier ein Grieche ge-
opfert werde, so wie einst in Aulis Iphigenie habe sterben müssen.
Vor diesen Worten erschraken alle; denn jeder fürchtete, er könne das
Opfer sein. Niemand wagte es, den Seher nach dem Namen des
Todgeweihten zu fragen, bis endlich Odysseus auf ihn zulief und ihn
beschwor, nicht länger mit der Wahrheit zurückzuhalten; und wenn
er selbst das Opfer sein sollte, so werde er sich nicht weigern, für das
allgemeine Wohl sein Leben zu lassen. So sprach der Heuchler.
Kalchas aber tat, als wolle es ihm gar nicht über die Zunge; endlich
nannte er meinen Namen. Nun waren die anderen alle froh, daß
sie mit heiler Haut davonkamen, sprangen auf mich zu, banden mich
mit Stricken und übergaben mich dem heimtückischen Priester. Zum
Glück war es schon spät am Abend, deshalb verschob er das Opfer
auf den nächsten Morgen. In der Nacht aber gelang es mir, meine
Bande zu lösen und aus dem Zelte des Kalchas zu schlüpfen. Ich
lief, so weit mich meine Beine trugen, und versteckte mich dort in
jenem Gebüsch. Am Morgen kamen sie zu Hunderten aus dem Lager,
um mich zu suchen. Auch an meinem Schlupfwinkel gingen sie vorbei,
aber ein Gott war mir gnädig; sie fanden mich nicht. Endlich wurden
sie des Herumlaufens müde, und ich hörte nicht weit von mir den
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