52 Werden und vergehen der heimatlichen Gesteine.
leicht noch angenehm ist. Liegt doch die Gefahr, daß hypothetische Sätze
dabei eine festere Fassung erhalten, als ihrem Charakter entspricht, hierbei
ganz besonders nahe. Und doch muß der Lehrer die Schwierigkeiten einer-
seits und die Scheu vor der zuletzt erwähnten Gefahr andrerseits überwinden
im Interesse seiner Schüler, im Interesse eines erfolgreichen Unterrichts.
Mag das Zusammenstellen solcher Gesamtbilder von wissenschaftlicher Seite
als „Dramatisieren" bespöttelt werden: Wir Lehrer wissen, warum wir es
fordern, und lassen uns durch irgendwelchen billigen Spott nicht irremachen!
Damit ist nun ein sehr wichtiger Punkt berührt worden, und wir können
dieses Kapitel nicht schließen, ohne ihn erörtert zu haben. Die Geologie ist
ein Gebiet, das reich ist an hypothetischen Erklärungen. Und
daher kommt es, daß wohl kein zweites Gebiet der Naturwissenschaften
unter einem so starken Wandel der Ansichten zu leiden hat als eben die
Geologie. Eine Erklärung, die heute als sicher gilt, kann morgen in Zweifel
gezogen und übers Jahr vielleicht als vollkommener Irrtum verworfen
werden. Das ist ja auch leicht begreiflich. Man braucht nur daran zu
denken, wie ungeheuer groß die ganze Masse der Erdrinde ist und wie ver-
schwindend klein im Verhältnis dazu die Teile sind, die man davon bisher
untersucht hat, ja noch mehr, die heute überhaupt der Untersuchung zugäng-
lich sind. Jeder neue Aufschluß kann Überraschungen bringen. Und jede
neue Tatsache, die festgestellt wird, kann zu einer Nachprüfung und Berichti-
gung der seither gültigen Erklärungsweise zwingen. Wir können also tat-
sächlich gar nicht sicher wissen, ob nicht ein großer Teil von dem, was heute
als gesichertes Ergebnis der geologischen Wissenschaft gilt, sich einmal als
Irrtum enthüllen, wird. Ob das wahrscheinlich ist, das ist eine Frage, die
außerhalb des Rahmens dieser Erörterung bleiben soll. Wir wollen jedem
Zweifler gestatten, die Unsicherheit der geologischen Hypothesen sich in den
düstersten Farben auszumalen und ihm zugeben, solche Wandlungen, wie
sie hier angedeutet worden sind, seien durchaus möglich!
Was folgt daraus? Sollen und dürfen wir Geologie lehren auf
die Gefahr hin, unfern Jungen Irrtümer beizubringen? Der
Einwand, den diese Frage einschließt, ist gegen die sog. biologische Behand-
lungsweise der pflanzen und Tiere tatsächlich erhoben worden. Aann er
nicht gegen die Behandlung geologischer Fragen mit noch viel größerem
Rechte geltend gemacht werden? Jedenfalls ist er zu wichtig, als daß wir
ihn an dieser Stelle mit Stillschweigen übergehen dürften.
Seien wir nicht allzu ängstlich! Die Irrtümer, die in den Wissenschaften
auftauchen, sind ausgedacht von Männern, die von dem betreffenden Wissens-
gebiete sehr viel mehr verstehen, als je ein Liebhaber auf diesem Gebiete
zu wissen nötig hat. „Die Fehler der Wissenschaften sind ursprünglich Fehler
der Menschen, nur der vorzüglicheren Aöpfe!"
Es sei mir gestattet, hierfür ein interessantes kleines Beispiel anzuführen.
In einer handschriftlichen Abhandlung des Berghauptmanns Werner von
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]
76
Wie arbeitet sich der Lehrer in die Geologie ein?
Linie entlang der Aompaß genau wagerecht angelegt und die Richtung ab-
gelesen. Beim Notieren der Richtung ist die Deklination der Magnetnadel
zu beachten. Da bei uns die Magnetnadel um etwa \0° von der Nord-
südrichtung nach Ivesten abweicht, so muß bei der Feststellung der Streich-
richtung immer die wahre Nordsüdrichtung, nicht die Richtung der Nadel,
beachtet werden.
Unser kleiner Aompaß hat keine Gradeinteilung; wir begnügen uns also
mit Notizen wie „Streichen Nnw—sso" oder „O—w" usw.
Genau rechtwinklig zur Streichlinie wird dann der Neigungsmesser auf
die Schicht aufgesetzt und der Neigungswinkel abgelesen und notiert, z. B.
„Einfallen Sw 230//.
Schichten übereinanderliegen, wie
mächtig jede Schicht ist, woraus sie
^Abb. 26. Falte: a) Sattel, b) Mulde. besteht, ob sie Versteinerungen enthält,
j Marke für das streichen und Einfallen. ^ alle Schichten dieselbe Richtung
Zvinke darüber, worauf man seine Aufmerksamkeit bei diesen Beobachtungen
zu lenken hat, sind aus Abschnitt 3 (S. —26) zu entnehmen. Über alle
diese Erscheinungen macht man sich eingehende Notizen. Das Notieren
der Beobachtungen ist eine ganz unerläßliche Forderung. Es wird auf
diesem Gebiete viel durch Unterlassung gesündigt. Wer viel geologische
Ausflüge macht, der merkt sehr bald, daß er ohne Niederschriften nicht aus-
kommt, und er notiert schon aus Furcht, daß seinem Gedächtnis wichtige
Punkte entschwinden könnten. Man denke nicht, daß man irgendeine ver-
gessene Beobachtung ja späterhin nachholen könne. Niemand kann wissen,
welche Veränderungen die Atmosphärilien oder die Tätigkeit der Menschen
schon in allernächster Zeit an dem Aufschlüsse hervorbringen können. „Man
sollte bei jeder Exkursion die Aufschlüsse so behandeln, als sei man über-
zeugt, daß man sie nicht wieder zu sehen bekommt", so sagte mir einmal
mein Lehrer der Geologie. Und ich möchte dieses lvort als die goldene
Regel für geologische Ausflüge bezeichnen.
Es wird alles notiert, was an dem Aufschlüsse zu sehen ist: Schichten-
folge, Mächtigfeit, Streichen und Einfallen, Beschaffenheit, Zusammensetzung
der einzelnen Schichten, Verwitterungserscheinungen usw. usw. Man notiere
lieber einmal Überflüssiges, als daß man etwas Wichtiges fortläßt. Man
An den Aufschlüssen (Steinbrü-
chen, Sandgruben, tüasserrissen usw.)
wird außer dem Streichen und Ein-
fallen der Gesteinsschichten nun
möglichst alles beobachtet, was
sonst noch zu beobachten ist: ob die
entblößte N?and durchweg aus einem
Gestein besteht oder ob mehrere
haben usw.
TM Hauptwörter (50): [T21: [Erde Sonne Tag Jahr Mond Zeit Stunde Punkt Abschnitt Periode], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau]]
TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T27: [Erde Linie Punkt Breite Länge Kreis Ort Meile Winkel Meridian], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T95: [Gestein Schicht Wasser Boden Erde Granit Gebirge Masse Sand Teil], T180: [Erde Punkt Sonne Kreis Linie Ort Horizont Richtung Aequator Zone], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T47: [Karte Lage Länge Breite Größe Meile Linie Ort Grenze Höhe]]
werden und vergehen der heimatlichen Gesteine. 41
darf, daß anhaltender, starker Landregen ja auch erhöhte Leistungen des
Baches hervorruft, die denen an eigemlichen Hochwassertagen nahekommen
— so ergeben sich als Jahresleistung des Baches
20. 5^ t = \0368 t
oder 20.207,H cbm = *U^8 cbm.
Das entspricht der Ladung von J037 kleinen oder 5j8 großen offenen
Güterwagen, also von \0 —U der längsten Güterzüge. Das ist gewiß eine
Leistung, die nicht unterschätzt werden darf.
Wenn nun aber der Bach jahraus, jahrein solche Erdmengen fortführt,
muß dann nicht schließlich das Tal immer weiter und tiefer werden?
— Das ist tatsächlich der Fall. Allerdings sind ^8 cbm Erde immerhin
noch keine allzugroße Masse. Und die Fläche, auf der die Erde durch das
Wasser abgebaut wird, ist so groß, daß man den Verlust nicht ohne weiteres
bemerkt. Aber daß ein solcher vorhanden ist und daß er schließlich bemerk-
bar werden muß, ist ganz zweifellos, Ja/ es ist auch ohne weiteres klar,
daß der Bach sein Bett auf diese Weise gewühlt hat, indem er die Erd-
massen, die vorher dort lagerten, fortgeschlämmt hat.
Und mehr noch! Die Gelehrten behaupten, daß fast alle Täler durch die
Arbeit des Wassers entstanden sind. Wer das zum ersten Male hört, dem
klingt es kaum glaublich. Wir haben hier einmal Gelegenheit, die Wahr-
scheinlichkeit dieser Behauptung zu untersuchen, indem wir die Frage auf-
werfen: "Könnte unser Bächlein wohl das Tal hinter dem Dorfe
allein ausgenagt haben?
Das Tälchen ist 2 km lang, an seiner Sohle 2^0 m, oben \200 m breit
und durchschnittlich 25 m tief. Sein Hohlraum hat also einen Kubikinhalt
von 36000000 cbm. So viel Erdmassen müßte also der Bach schon fort-
geführt haben. ^)n welcher Zeit wäre das möglich?
Wir hatten oben die Jahresleistung des Baches aus ^^8 cbm berechnet,
wobei wir allerdings nur die Hochwasserleistungen berücksichtigt hatten. Nehmen
wir an, daß diese Leistung seit Jahrtausenden gleich geblieben wäre, so er-
gibt sich, daß der Bach das Tälchen in 3 bis 9 Jahrtausenden ganz allein
in den zuvor ebenen Boden eingewühlt haben kann.
Aber diese Zeit wird wesentlich verkürzt, wenn wir folgendes in Rück-
ficht ziehen:
{. Das Wasser leistet, wenn es ganz normal fließt, ständig eine ge-
ringfügige Transportarbeit. Man braucht nur einmal den Bach zu
betrachten, wenn er ganz ruhig dahinfließt. Durch das klare Wasser kann
man den sandigen Grund beobachten. Und da bemerkt man, wie alle
Augenblicke das eine oder das andere Sandkörnchen von der Stelle rückt,
oft nur einige Millimeter weit. Dieses Spiel geht unablässig fort, Tag
und Nacht. Und wenn auch die Einzelwirkungen ganz geringfügig sind, so
werden sie doch durch die Zeit zu einer beträchtlichen Gesamtleistung ver-
vielfacht. Denken wir bloß einmal, daß in dem Abschnitte des Baches, der
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T70: [Boden Teil Land Wald Gebirge Ebene Gebiet See Klima Tiefland]]
TM Hauptwörter (200): [T89: [Wasser Fluß Quelle Bach See Erde Boden Brunnen Land Ufer], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff]]
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Elsaß-Lothringen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
53
endlich verdankt deutscher Tätigkeit und dem deutschen Wirtschaftsleben
mehr als dieses uns.
Was können wir dem allem als Gabe gegenüberstellen? Zum
Glück fehlt es uns daran nicht. Lothringen ist es, das unsere
zum Geben geöffneten Hände füllt.
Und es ist gut, daß es nun auch einmal einzig und allein Loth-
ringen heißt. Wer von der Schönheit, der Fruchtbarkeit des Reichs-
landes spricht, denkt in allererster Linie ans Elsaß. Der Wein, das
köstlichste Erzeugnis unseres Bodens, ist größtenteils das Kind seiner
Sonne. Wer Lothringen nennt, hat immer ein gewisses Bedauern im Ton.
Jeder weiß, wie schwer der Lothringer auf seinem weniger ergiebigen Boden
schaffen und ringen muß und trotzdem den Ertrag nicht erzielt, wie er dem
Elsässer soviel leichter zufließt. Darum ist es gut, daß das von der Natur
weniger begünstigte Lothringen Schätze sein eigen nennt, um die uns
manches andere deutsche Land beneidet. Tief ins Erdinnere hat die Natur
diese Schätze gebettet, die Erzgänge des Lothringer Landes. Von
dem, was wir dem Reiche zu geben haben, erzählt daher
F. Der elsaß-lothringische Bergbau.
Wenn wir den Wert der lothringischen Erze recht verstehen wollen,
müssen wir sehen, welche Entwickelung die Eisenindustrie aller Länder
genommen hat. Man könnte unsere Zeit mit Recht die Zeit des
Eisens nennen. Nicht nur, daß der weitaus größte Teil der Waren,
die alljährlich über die deutschen Grenzen hinüber nach dem Ausland gehen,
aus den verschiedenen Zweigen der Eisenindustrie stammen. Was wären
alle anderen Industrien ohne das Eisen, ohne Maschinen und Geräte, zu
deren Herstellung man überall und immer wieder des Eisens bedarf! In
welch mannigfacher Weise dient nicht jedem einzelnen Menschen das Eisen!
Eisen regiert die Welt.
So wichtig, wie es ist, so wenig gleichmäßig ist es über die Erde
verteilt. Nur wenige Länder hat die Natur mit dem ausgestattet, was
doch alle so nötig brauchen. Welches Land daher unter die Glücklichen,
unter die eisenreichen Länder, zählt, das muß, wenn sein Volk nur fleißig
und rührig genug ist, der Kaufmann der Welt werden. Landwirtschaftliche
Erzeugnisse, Getreide oder Vieh kann man zur Not auf den meisten Böden
ziehen. Das Eisen allein ist eine Gabe des Glücks.
Unser deutsches Vaterland gehört zu den wenigen Glücklichen. Es
hat auch alle Aussicht, dieses Glück noch recht lange zu genießen. Den
TM Hauptwörter (50): [T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T6: [Eisen Gold Silber Kupfer Wasser Blei Metall Salz Kalk Stein], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T188: [Handel Industrie Ackerbau Land Viehzucht Bewohner Gewerbe Bevölkerung Stadt Bergbau], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T107: [Eisen Gold Silber Kupfer Blei Metall Salz Zinn Stein Mineral], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte]]
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Elsaß-Lothringen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
71
Die Zeit Napoleons I. hat die Textilindustrie noch fester an Frank-
reich anrücken lassen. Napoleons Eroberungen eröffneten ihr neue Absatz-
märkte. Die Kontinentalsperre schloß den gefürchteten Gegner, die englische
Textilindustrie, aus. Die Fabriken von Elsaß und von Lothringen blühten.
Als das Jahr 1870 die Wiedervereinigung mit Deutschland brachte,
war unsere Textilindustrie derart erstarkt, daß sie wohl sorgenlos in die
Zukunft blicken durfte. Ja, sie durfte sich gewissermaßen als Er-
oberer fühlen. Der Jubelruf: „Elsaß-Lothringen wieder deutsch!" fand
in allen deutschen Landen freudigen Widerhall. Wenn es jemanden gab,
der nicht ganz so hell mit einstimmte, so waren es die deutschen Baumwoll-
und Wollspinner und -drucker und die Tuchfabrikanten. Die sahen mit heim-
lichem Bangen den neuen Tagen entgegen; denn sie wußten, daß ihnen in
der elsässischen Textilindustrie ein gefährlicher Feind erstanden sei. Ein paar
Zahlen werden darüber aufklären, ob diese Befürchtungen begründet waren.
Im Kampf der Industrien sind die Maschinen die Waffen. Wie
man im Völkerkriege die Kämpfer und Kanonen zählt, um die Stärke der
Gegner richtig einzuschätzen, so muß man in der Textilindustrie z. B. die
Zahl der verschiedenen Vorrichtungen und Maschinen zum Spinnen und
Weben feststellen, um die Stärke des Elsaß mit der des übrigen Deutschland
vergleichen zu können.
Da sind Zunächst die Spindeln, auf die man den gesponnenen Faden
aufwickelt, damit er sich nicht verwirrt, dann die Webstühle, die aus dem
gesponnenen Faden die Gewebe Herstellen, und endlich die Druckmaschinen,
die dem Stoff farbige Muster aufdrucken. Nun, in der Zahl dieser Waffen
stand das Elsaß 1870 dem gesamten übrigen Deutschland beinahe gleich.
Im Jahre 1868 zählte man im
Spindeln Webstühle Druckmaschinen
Elsaß 2131000 48 536 100
übrigen Deutschland 3 000 000 37 000 100
Genaue, sichere Angaben sind zwar nicht vorhanden. Nach einer anderen
Aufstellung zählte das Elsaß 1871 allein: 1435 000 Baumwollspindeln,
während für das übrige Deutschland 3 Millionen angegeben werden. Jeden-
falls war die Sorge der deutschen Textilindustrie nicht unberechtigt, daß das
wiedergewonnene Land seine Erzeugnisse in Massen auf den deutschen Markt
werfen und den altdeutschen den Platz streitig machen würde.
Die elsässische Textilindustrie hinwiederum dachte mit Schrecken daran,
daß sie bisher in Frankreich ihre besten Kunden gehabt. Die mußte sie jetzt
TM Hauptwörter (50): [T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr]]
TM Hauptwörter (100): [T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
TM Hauptwörter (200): [T1: [Maschine Fabrik Herstellung Industrie Papier Leder Wolle Leinwand Fabrikation Art], T71: [Deutschland Krieg Preußen Volk Napoleon Frankreich Macht Frieden Europa Land], T78: [Mill Staat Million Deutschland Reich Europa Einwohner Land Jahr deutsch], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke]]
Extrahierte Personennamen: Napoleons_I. Napoleons
Extrahierte Ortsnamen: Napoleons Lothringen Deutschland Deutschland Deutschland Webstühle Druckmaschinen
Elsaß Deutschland Deutschland Frankreich
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Elsaß-Lothringen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
107
unzweideutig und völlig frei sagen zu können, wie sie ihr Land regiert haben
möchten. An uns selber liegt es, daß der Wille und die Meinung des
Volkes nun auch wirklich zum Ausdruck kommt.
Deshalb ist die Wahl eine ernste, verantwortungsvolle Pflicht. Nur
kurz ist der Augenblick, da der Wähler vor der Urne seinen Wahlzettel
abgibt. Nur in diesem einen Augenblick hat er Einfluß auf die Regierung
des Landes. Nur da kann er seinen Willen einmal, alle fünf Jahre für
ein paar kurze Sekunden, zur Geltung bringen. Sind erst die 60 Abgeord-
neten gewählt, dann bilden sie „das Volk von Elsaß-Lothringen". Die
Wähler haben wenig oder nichts mehr zu sagen. Jener flüchtige Augenblick
will darum wohl bedacht sein. Der Wähler muß sich vorher darüber klar
geworden sein, was er in der Wahlstunde will. Er hat Zeit genug, in
ernstem Nachdenken zu überlegen, was er als das Beste für sein Volk und
sein Land ansehen muß. Niemand sage, er liebe sein Heimatland, der in
jenem Augenblicke an etwas anders denkt als an das Wohl dieser Heimat.
Der Mann, den man wühlt, muß für das Wohl des ganzen Volkes mit-
beraten und mitabstimmen. Denn obwohl er nur von einem Teile des
Landes, von einem Wahlkreise gewählt ist, gilt das, was er mitbeschließen
hilft, doch für das ganze Volk. Darum überlege jeder, ob der Mann, dessen
Namen der Stimmzettel trägt, auch wirklich das Wohl des ganzen Landes
kennt und will. Wer in der Zweiten Kammer sitzt, ist gewissermaßen
Beamter des elsaß-lothringischen Volkes, dazu angestellt, die Rechte
dieses Volkes zu wahren. Da wäre es doch mehr als töricht, einen Mann
zu dieser Stellung kommen zu lassen, von dem man nicht voll überzeugt ist,
daß er die nötigen Fähigkeiten für sein Amt besitzt.
Bevor wir nun den Landtag an der Arbeit sehen, müssen wir erst
noch den zweiten Teil desselben kennen lernen.
Die Erste Kammer. Man fragt sich vielleicht: Wozu denn noch
eine Erste Kammer? Die Zweite ist doch schon die Vertretung des elsaß-
lothringischen Volkes. Selbständige Männer haben ihre Mitglieder gewählt.
— Man braucht nicht allzulange zu suchen, um zu finden, daß trotzdem
noch eine Erste Kammer notwendig ist.
Der einzelne Wähler soll aus seinem Wahlkreise oder aus einem
andern, denn der Abgeordnete braucht nicht im Wahlkreise zu wohnen, den
Mann heraussuchen, der am würdigsten und am geeignetsten wäre, das Volk
von Elsaß-Lothringen in der Zweiten Kammer zu vertreten. Wie kann er
denn das! Der einfache Mann kennt oft nur ganz wenig Menschen außer
den Bewohnern seines Dorfes. Hier findet er aber selten den passenden
Mann. Er hat auch viel zu viel mit seinem Berufe zu tun, als daß er
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Elsaß-Lothringen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
108
herumreisen und Ausschau halten könnte. Es muß also irgend jemand anders
für ihn den geeigneten Mann suchen. Das besorgen in der Regel die Par-
teien. Seiner Partei muß also jeder Wähler schon glauben, daß der Mann,
den sie als „Kandidaten" aufstellt, auch würdig sei.
Und doch. Auch den Parteien dürfte es schwer fallen, immer die
klügsten und tüchtigsten Männer herauszufinden; ganz einfach darum, weil
diese Männer sich nicht immer finden lassen wollen. Wer heute in die
Zweite Kammer gewählt werden soll, muß tatsächlich eine große Last auf sich
nehmen. Wochenlang vor der Wahl schon finden Versammlungen statt. Hier
hat der Bewerber um einen Sitz in der Zweiten Kammer zu reden, hier
muß er andern Parteien entgegentreten. Das alles bringt Mühe, Arbeit,
Zeitverlust, Geldopfer, Aufregung, Verdruß, wohl gar Feindschaft mit sich.
Manch einer scheut dies, trotzdem er klug ist und als Volksvertreter in der
Kammer viel Gutes wirken könnte; er hält sich lieber in der Stille und
überläßt den Kammersitz andern. Es ist klar, daß auf diese Weise der
Arbeit im Landtage mancher wirklich taugliche und nützliche Mann vor-
enthalten wird.
Ferner: Da die Parteien den Kandidaten aufstellen, sieht natürlich
jede Partei darauf, daß der Kandidat auch die Meinung der Partei
habe. Sie achtet weniger auf Stand und Beruf; obschon sie selbstredend
auch diese Dinge nicht unberücksichtigt läßt. Für das Wohl des elsaß-
lothringischen Volkes aber ist es von höchster Wichtigkeit, daß in der Ver-
sammlung, die in Straßburg mitregiert, möglichst alle Berufe vertreten sind,
damit jeder Beruf gewissermaßen seinen Fürsprecher, seinen Anwalt im
Landtage habe, der die Wünsche seiner Berufsgenossen vorbringen, der vor
allem auch sagen kann, ob ein neues Gesetz diesem Berufe förderlich ist oder
nicht. Es kann aber sehr leicht vorkommen, daß in der Zweiten Kammer
kein Landwirt, oder kein Fabrikbesitzer, oder kein Handwerker, oder kein
Vertreter irgend eines andern wichtigen Berufes sitzt.
Diesen und andern Mängeln, die eine Zweite Kammer möglicher-
weise haben kann, soll die Erste Kammer vorbeugen. In ihr haben nach
dem Gesetz vom 31. Mai 191.1 Sitz und Stimme: die obersten Vertreter
der verschiedenen Bekenntnisse, die Bischöfe von Straßburg und Metz und die
Präsidenten der beiden evangelischen Bekenntnisse (Augsburger Konfession und
Reformierte), dazu der Präsident des obersten elsaß-lothringischen Gerichts,
des Oberlandesgerichts in Colmar. Je einen Vertreter dürfen wählen: die
Professoren der Universität Straßburg, die israelitischen Konsistorien, die
Gemeinderäte von Straßburg, Metz, Colmar, Mülhausen, die Handels-
kammern von Straßburg, Metz, Colmar, Mülhausen. Je zwei Ver-
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T8: [König Paris Regierung Minister Parlament Volk Frankreich Kammer Mitglied Verfassung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T80: [Rhein Stadt Festung Mainz Maas Straßburg Frankreich Metz Elsaß Deutschland], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T98: [König Jahr Mitglied Verfassung Regierung Republik Präsident Kammer Gewalt Staat], T144: [Stadt Frankreich Münster Straßburg Metz Mainz Elsaß Bischof Frieden Trier]]
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Elsaß-Lothringen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
112
Recht, offen zu sprechen, („Immunität") nicht mißbraucht, daß er, der vor dem
Richter sicher ist, nicht jemanden beleidigt, der ihn nur durch den Richter zur
Rechenschaft ziehen kann. Wem das Vertrauen des Volkes das höchste
Amt überträgt, das dieses Volk zu vergeben hat, der muß vor allen andern
durch ehrenhafte Gesinnung und Handlungsweise sich auszeichnen, der darf
im Schutze der Immunität nicht jemand beleidigen, der sich nicht verteidigen
kann. Endlich muß ihn ein hohes Pflichtgefühl davon abhalten, daß er
anklagt, wo niemand gefehlt hat, daß er tadelt, nur um zu tadeln.
„Kontrolle der Verwaltung" ist also eine Hauptaufgabe des Landtags.
Sie geht aber noch weiter, als wir dies bis jetzt nachgewiesen haben. Jene
allgemeine Kontrolle kann einmal in einem Jahre ausfallen, weil kein Ab-
geordneter etwas zu klagen hat. Alljährlich nötig ist aber die Kontrolle
über die Verwendung der Staatsgelder, über den Staatshaushalt. Wie
jeder verständige Hausvater entwirft die Landesregierung jährlich einen Plan
über die Ausgaben und Einnahmen des nächsten Jahres. Der einfache
Mann ist mit dem seinen bald fertig. Der Haushaltsplan des Staates aber
besteht aus einer langen, langen Reihe von Namen und Zahlen. Da finden
sich unter den Einnahmen zunächst die Gewinne aus dem Holzverkauf
unserer Staatswaldungen. Dann kommt die große Liste der verschiedenen
Steuern und sonstigen Einnahmen. Bei jeder Steuer ist angegeben, wieviel
sie im nächsten Jahr einbringen soll. Man weiß das natürlich nicht auf
den Pfennig genau voraus. Aber nach den vorhergehenden Jahren kann
man ungefähr berechnen, wieviel Holz unsere Staatswaldungen verkaufen,
wieviel Geld die einzelnen Steuern werden einbringen können. Ebenso
sorgfältig und genau wird die Liste der Ausgaben ausgeführt. Da steht
also, wieviel Geld für die Schulen unseres Landes, wieviel für die Gehälter
der Beamten, wieviel für Landwirtschaft, für den Straßenbau, für die
Kirchen des Landes und vieles andere ausgegeben werden soll. Dieser ganze
Plan, der Etat oder das Budget, wie man ihn mit zwei Fremdwörtern
wohl noch nennt, wird vom Ministerium entworfen. Dem Statthalter fällt
die Aufgabe zu, diese Aufstellung zuerst ganz genau zu prüfen. Da hat er
oft mit dem Staatssekretär und dem Ministerium lange daran zu arbeiten.
Ist die Prüfung beendet, so geht die Aufstellung an den Landesherrn, den
Kaiser. Dieser muß damit einverstanden sein. Dann legt sie der Statt-
halter im Namen des Kaisers der Zweiten Kammer vor. Die berät oft
wochenlang darüber, sie hat hier etwas auszusetzen und dort etwas zu
ändern. Bald will sie einen Posten gestrichen, bald einen neuen eingesetzt
haben. Wenn endlich die ganze Aufftellung durchberaten ist, geht sie an die
Erste Kammer. Diese prüft nun die Aufstellung, wie sie von der Zweiten
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T47: [Karte Lage Länge Breite Größe Meile Linie Ort Grenze Höhe], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]
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90
will wohlverstanden sein. Nicht einer der Staaten regiert, auch nicht etwa
der größte, mächtigste: Preußen, es regieren alle zusammen.
Diese Einrichtung ist echt deutsch, weil sie unter allen Umständen
gerecht sein, niemand verletzen will; gerecht gegen die vielen Staaten, die
1871 das Reich gegründet haben. Wir brauchen nur nochmals zurück-
zuschallen und uns zu erinnern, daß die deutschen Fürsten und Staaten
einen Hauptteil ihrer Rechte 1871 aufgegeben haben. Sollte man sie aber
mit einem Schlage aller Macht, die sie drei Menschenalter hindurch besessen,
berauben und alle Macht einem übertragen? Das widerstrebte jenem
Riesen, der ebenso deutsch als groß war, das hätte nur den Anfang zu
Neid, Eifersucht und Unzufriedenheit gegeben.
Um es allen recht zu machen, schuf Bismarck den Bund es rat.
Jeder deutsche Fürst und jede der drei freien Städte erhielt das Recht,
Abgesandte nach Berlin zu schicken. Denen sagt ihr Auftraggeber, wie
nach seiner Meinung das Reich regiert sein müsse, was zu tun wäre, damit
es blühe und gedeihe, damit das Wohl aller Deutschen gefördert werde.
In Berlin beraten diese Abgesandten gemeinsam. Dabei reden sie so, als
ob sie selber die Fürsten ihres Landes wären. Sie haben dazu Vollmacht
erhalten, heißen darum auch die „Bundesratsbevollmächtigten". Es ist
ihnen ganz genau gesagt worden, was derjenige will, der sie gesandt hat.
Sie arbeiten gemeinsam die Befehle, die „Verordnungen" aus, die fürs
ganze Reich gelten follen. Sie handeln also wie der wirkliche Regent des
Reiches. Nicht einer allein kann befehlen, nur alle zusammen dürfen es.
Bismarck nahm demnach jedem Einzelstaate seine Herrschermacht, um sie
allen zusammen wiederzugeben, um sie ihnen als etwas Gemeinsames
wiederzugeben. Keiner aus ihrer Mitte konnte und sollte Alleinherrscher
sein, keiner sollte verletzt werden, darum wurden sie alle gemeinsam Re-
genten des Reiches.
Natürlich kann die Stimme des Fürsten von Reuß im Bundesrate
nicht dasselbe Gewicht haben wie die des Königs von Bayern oder von
Preußen. Je nach der Größe und Macht des Staates darf der Fürst
mehr oder weniger Abgesandte schicken. (Preußen sendet 17, Bayern 6,
Sachsen und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, Mecklenburg-
Schwerin und Braunschweig je 2, alle andern je 1. Es müssen allerdings
nicht so viele Abgesandte sein, als jeder Staat Stimmen hat.)
In dieser Versammlung nun besitzt seit dem 31. Mai 1911
der elsaß-lothringische Staat drei Stimmen. Er hilft also mit bei
der Regierung des Reichs. Den deutschen Fürsten und freien Städten ist das
Recht der Mitregierung eine Entschädigung für alles das, was sie 1871
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Extrahierte Personennamen: Bismarck Bismarck
Extrahierte Ortsnamen: Berlin Berlin Bayern Bayern Sachsen Württemberg Baden Hessen Mecklenburg-
Schwerin Braunschweig
Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Elsaß-Lothringen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
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vorbringen, sollen dafür sorgen, daß diese, wenn irgend möglich, erfüllt
werden.
An Wünschen und Forderungen fehlt es aber bei uns nicht. Hier
nur einige Andeutungen. Unsere Landwirtschaft ist zwar dankbar für die
Getreide- und Viehzölle, möchte aber die Futtermittel (Gerste, Mais, Malz
usw.) möglichst billig vom Ausland beziehen können. Unsere Weinbauern
freuen sich wohl des Reichsweingesetzes, möchten es aber noch verbessert
haben. Die lothringische Eisenindustrie ruft nach der Kanalisierung von
Mosel und Saar. All diese und noch manche andere Wünsche des Landes
können jetzt im Bundesrate nicht bloß vorgebracht werden. Das war auch
schon vor dem 31. Mai 1911 möglich. Jetzt kann Elsaß-Lothringen aber
mit abstimmen. Seine drei Stimmen allein bringen zwar die Entscheidung
noch nicht. 61 „Stimmen" zählt der Bundesrat. Es müßten also mindestens
31 die Wünsche unseres Landes zu den ihren machen, wenn dieselben Ver-
wirklichung erfahren sollen. Aber vielleicht können die 3 elsaß-lothringischen
Stimmen mit dazu beitragen, daß die notwendige „Mehrheit" zustande
kommt. (Die Erörterung über die Fälle, wann die elsaß-lothringischen
Stimmen gezählt werden, scheidet hier aus; kommt in den 2. Jahrgang.)
Es ist dafür gesorgt, daß die elsaß-lothringischen Wünsche und For-
derungen auch richtig und sachgemäß geltend gemacht werden. Unsere drei
Bundesratsbevollmächtigten gehören zugleich zu den höchsten Staatsbeamten
unseres Landes. Wen das Vertrauen des Kaisers an so hohe Posten stellt,
der wird wohl ihrer auch würdig sein. Wer aber sollte besser wissen, was
dem Lande gut ist, als die drei Männer, zu denen die Wünsche des ganzen
Volkes dringen, die gewohnt sind, aus den vielen, vielen Wünschen, die laut
werden, das herauszufinden, was dem ganzen Lande frommt?
Mag Elsaß-Lothringen auch in gewissen Punkten den andern deutschen
Staaten noch nicht gleichgestellt sein, so darf doch auch nicht verkannt werden,
daß es in den wichtigsten Stücken so handeln kann, als ob es ihnen bereits
gleichgestellt wäre.
Erst nach 40 Jahren deutscher Zeit hat der Bundesrat den Abge-
sandten unseres Staates seine Pforten geöffnet. Viel früher tat sich den
Abgeordneten des elsaß-lothringischen Volkes das andere große Haus auf,
in dem an der Schaffung von Reichsgesetzen mitgearbeitet wird, der Reichstag.
Schon seit dem 1. Januar 1874 schickt Elsaß-Lothringen wie jedes andere
deutsche Land seine Vertreter in den Reichstag. Drei Männer können
im Bundesrate den elsaß-lothringischen Staat vertreten, fünfzehn vertreten
im Reichstag das elsaß-lothringische Volk.
Zwei Wege sind uns demnach geöffnet, um im Reiche zur Geltung
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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