189
lief) Gesicht und sagte, den Brief in der Hand haltend: „Das fein
mein Eimatsort, da wohnen mein Vater und mein Mutter!" Mein
Alter aber saß am Bett und rechnete an den Fingern: „Eins, zwei
vier, — acht. Acht Fahre, Gevatter Franzos! Warum habt Ihr
meine zwölf nicht genommen?"
Die Briefe von unserm Wilhelm kamen nun immer ferner,
und aus einmal blieben sie ganz aus, urrd eines Tages — kommt
mein Alter nach Haus, setzt sich an den Tisch, legt den Kops auf
beide Arme und — weint. Ich dachte, der Himmel siele über
mich,----------der und weinen! —
„Der andere!" stöhnte mein Alter in sich hinein, und ich siel
in Ohnmacht zu Boden.
Da vor der großen Franzosenstadt Paris muß ein Berg sein,
- ich kann den Namen nicht ordentlich aussprechen, — von wo
man die Stadt ganz übersehen kann. Da schossen sie zürn letzten-
nral auseinander, urrd da ist auch denr Wilhelnr eine Kugel mitten
durch die Brust gegangen, wie der Kamerad schrieb, urrd da ist er
begraben mit vielen, vielen andern aus Deutschland. —
Das ist meine Geschichte. Den Franzoserr aber kurierten wir
aus, und mein Alter gab ihm einer: Zehrpfenrrig und brachte ihr:
an das Tor, wo der Weg nach Frankreich geht, den auch nreine
Fungen gezogen waren, sah ihn da abhurnpeln rrnd kam wieder
nach Haus, murmelnd: „Mt raus, nit raus!" —
Gott hab' ihn selig, den Mann, es war ein wrrnderlicher, deirr
Vater, Ärmchen.
■ll-A* ßtbjt blt llttt ♦ Von Clara Viebig.
war im Jahre 1869. Zu Düsseldorf in der Kasernenstraße
^ lebte die Unterosfizierswitwe Josephine Konradi, eine Frau noch
in den besten Jahren, mit ihren beiden Söhnen, dem achtzehnjährigen
Peter und dem zwölfjährigen Fritz. Irr ihreur kleirren Laden hielt sie
allerlei Gebrauchsgegenstünde für Infanteristen feil. Gern kauften
diese bei ihr, dein Soldatenkinde. War sie doch drüben in der Ka-
serne groß geworden als Tochter des Feldwebels Rinke. Der war
vor zwanzig Jahren durch jüheu Tod hinweggerafft; im Herzen der
Tochter lebte er weiter als ein braver, pflichteifriger Soldat, königs-
treu bis ins Mark, begeistert für Preußens Heer und von dessen
hoher Zukunft felsenfest überzeugt. —
Für den 20. August 1869 hatte König Wilhelm den Düssel-
dorfern seinen Besuch versprochen; man hoffte, daß der herzge-
winnende Zauber seiner Person den letzten Rest von Verbitterung
TM Hauptwörter (50): [T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf]]
TM Hauptwörter (200): [T116: [Vater Kind Mutter Sohn Bruder Herr Mann Auge Frau Hand], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution]]
Extrahierte Personennamen: Gevatter_Franzos Wilhelm Clara_Viebig Josephine_Konradi Peter Fritz Rinke August Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Paris Deutschland Frankreich
418
mit das Regen- und Schneewasser nicht so leicht eindringen konnte,
sollte das Dach mit Pech und Kolophonium bestrichen werden;
aber auch diese Stoffe waren in Berlin nicht zu bekommen und
mußten aus Hamburg verschrieben werden. Nur einige Zimmer
konnten für das kurfürstliche Paar wohnlich eingerichtet werden;
die übrigen Räume blieben verfallen und wüst. Da mag die
junge Kurfürstin wohl manchmal seufzend an ihre holländische
Heimat zurückgedacht haben, wo der einfache Bürger in seinem
wohnlich und behaglich eingerichteten Hause lebte. Aber sie
begnügte sich nicht mit Seufzen und Klagen, sondern beschloß:
Es soll und muß anders werden, und ich selbst will meinen
Untertanen zu besseren Zuständen verhelfen!
200. Das preußische Krömmg$= und Grdensfest.
D«s Krönungs- und Grdensfest ist ein althistorisches preußisches Fest
zur Erinnerung an die Uönigskrönung im Jahre 1701. alljähr-
lich werden am 18. Januar die neuernannten Bitter des höchsten
preußischen Ordens vom Schwarzen Bdler in das Kapitel aufgenommen
und am daraus folgenden Sonntage wird das Urönungs- und Grdens-
fest gefeiert. Wenige Tage vorher erscheint ein Diener der General-
Grdenskommission bei den Geladenen. Erwartungsvoll wird der Um-
schlag des überreichten Briefes geöffnet: „Buf allerhöchsten Befehl
Seiner Majestät des Kaisers und Königs. Einladung zum Krönungs-
und Grdensfeste aus dem Königlichen Schlosse am ... für ... Königliche
General-Grdenskommission." So liest der erfreute Empfänger aus der
großen roten Karte, die ihm zugleich verkündet, daß ihm sein König
einen Orden zu verleihen beabsichtigt.
Wer zum Tragen einer Uniform berechtigt ist, erscheint in Uni-
form, alle andern in Frack mit weißer Binde und weißen Hand-
schuhen. Schon von 9 Uhr an rollen Wagen aller Brt in das Portal
an der Hofapotheke im altersgrauen Königsschlosse. In den Braun-
schweigischen Kammern an der Wasserseite des Schlosses versammeln
sich allmählich die Eingeladenen. Da sind Uniformen aller Brt: Gffi-
ziere in Paradeuniform, hohe Beamte in reichen, silber- oder goldge-
stickten Fracks, Ständeuniformen aller Brt, der grüne Hofjagdanzug,
der rote Johanniterrock und daneben der bescheidene schwarze Zivil-
frack; alles vereinigt sich zu einem bunten festlichen Bilde.
Da erscheint um 10 Uhr ein Beamter der Grdenskommission,
und nun ruft der Beamte einzeln die neuen Bitter auf. Ein jeder
begibt sich in den Uebensaal, wo auf langen Tischen die Orden in
Umschlägen mit Bufschriften bereitliegen. Der Vorsitzende der Kom-
TM Hauptwörter (50): [T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T32: [Tag Jahr Monat Mai Juli März Juni April Ende Oktober], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief], T123: [Haar Mann Kopf Frau Hand Fuß Kleidung Mantel Hut Schuh], T82: [Musik Stadt Hof Zeit Theater Fest Leben Leute Herr Art], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte]]
Extrahierte Ortsnamen: Berlin Hamburg Hofapotheke Paradeuniform
429
Derselbe 6. Juli des Jahres 1798 steigt auch über Berlin
herauf. Die Hauptstadt des Königreichs Preußen hat ihr Huldi-
gungsfest. Die ständische Ritterschaft der Mark, Berlins Bürger-
schaft und Abgeordnete der märkischen Stände wollen dem König
die Treue schwören. Die Glocken des Doms hallen feierlich über
Berlin dahin, König Friedrich Wilhelm Iii. schreitet mit seinen
Prinzen und seinem Gefolge zu Fuß aus dem Domportal über
den Schloßplatz in das Schloß. Der schlichte Sinn des könig-
lichen Mannes hat sich allen Prunk und alle Pracht verbeten.
Der Magistrat von Berlin, die Korporationen der Gewerke, die
Abgeordneten der märkischen Stände sind im Lustgarten aufmar-
schiert. Im Weißen Saal des Königlichen Schlosses aber sammeln
sich Ritterschaft und Hof. Hier steht dichtgedrängt, Mann neben
Mann, der Adel Preußens, königlich gesinnt bis auf die Knochen,
und es ist wohl kein Geschlecht unter ihnen, davon nicht Vater,
Sohn oder Bruder mitgezogen waren in die Kriege des großen
Königs. Hier blinkten Ordenssterne und Uniformen, darunter die
wallenden Mäntel des Johanniterordens, die Generalität der Stadt
in ihrer Galauniform, dazwischen die prächtigen Monturen des
Regiments des Gensdarmes und der vornehmen Kavallerieregimen-
ter, die Minister in ihren goldgestickten Röcken.
Und auf das glänzende Bild sah vom Balkon des Saales
die schöne junge Königin Preußens herunter, in römischer Gewan-
dung, die Stirn bediademt, die Haltung stolz und frauenhaft zu-
gleich.
Jetzt führte der Oberhofmarschall die Gesandten ein; feier-
lich kamen sie daher in ihren goldverbrämten Plüschröcken, den
Dreimaster unter dem Arm, wohlfrisiert, das Haar nach damaliger
Sitte gepudert. Der König, der dritte Friedrich Wilhelm, ist
unter den Thronhimmel getreten, die Eidesformel schallt laut
durch den Saal, und Hunderte von Händen erheben sich, ihm den
Eid zu schwören. Von draußen dröhnt der Kanonendonner über
den Schloßplatz, die Glocken läuten, und die brausenden Vivats
der Volksmenge erfüllen die Luft. „Das ganze Volk leistete den
Eid, dichtgedrängt, Kopf an Kopf auf dem weiten Raum, und
der Anblick des Platzes war großartig und ergreifend, das ganze
Schauspiel über alles Wort hinaus rührend und erhaben,“ schreibt
die Frau Oberhofmeisterin von Voß. Sie steht neben der schö-
nen Königin, und die leuchtenden blauen deutschen Augen der
königlichen Frau schweifen über die Menge. Sie fühlt die hohe
Stunde mit diesem treuen Volk, dem sie Königin geworden ist.
TM Hauptwörter (50): [T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
TM Hauptwörter (100): [T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf]]
TM Hauptwörter (200): [T123: [Haar Mann Kopf Frau Hand Fuß Kleidung Mantel Hut Schuh], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief], T25: [Stadt Schloß Straße Garten Berg Dorf Nähe Park Ufer Haus], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm_Iii Friedrich Wilhelm Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Berlin Berlins Berlin Domportal Schloßplatz Berlin Schloßplatz
469
gehalten wurde; in Cassel eine Adresse des Magistrats, in
Güttingen die ganze Universitätsjugend; von Braunschweig
hatte ein Extrazug Hunderte von Menschen an meine Station
gebracht; in Magdeburg waren alle Wagen und Transport-
wagen mit Menschen besetzt; in Potsdam der Perron Kopf
an Kopf, und nun hier! Eine solche Masse Menschen und
Wagen, alle aufgefahren nebeneinander vom Bahnhof, Anhalt-
straße, Königgrätzer Straße bis zum Brandenburger Tor und
Unter den Linden auf der andern Seite, alle Fenster voller
Menschen, Illumination und an dem Palais unabsehbar Men-
schen, denen ich mehrere Male am Fenster und unter der
Veranda mich zeigen mußte, und noch diesen Moment, 1j2ll
Uhr, dauert das Singen und Schreien fort! Mich erfüllt eine
komplette Angst bei diesem Enthusiasmus, denn was für Chan-
cen bietet nicht der Krieg, wo all dieser Jubel oft verstummen
könnte und — müßte! ■—
In Brandenburg kamen mir Fritz, Bismarck, Roon und
Moltke entgegen. Wir besprachen die ganze Lage, und ich
setzte für morgen ein Konseil an, nicht ahnend, was mir bei
der Ankunft bevorstand! Vom Feldmarschall, Generalen, Ma-
gistrat wurde ich empfangen und trat mit Urnen in das Zim-
mer, diese Personen zu begrüßen, als Bismarck ein Telegramm
öffnete — die Kriegserklärung stand im Wolffschen Telegramm,
worauf Thäte eines vorlas, das die vollständigen Details bereits
enthielt.
Denke Dir meinen Eindruck, solche Nachricht beim ersten
Schritt in die Residenz! Natürlich war der erste Gedanke,
sofort mit der Mobilmachung der ganzen Armee zu antworten,
was sofort besprochen und befohlen wurde. Und jetzt sind
die Befehlstelegramme schon nach allen Seiten fort! Und
ebenso sind die Süddeutschen aufgefordert, das gleiche zu tun,
von denen beide 7ioch die allerbesten Aussprüche eingingen und
auch von einem völligen Enthusiasmus dort berichtet wird!
Kurzum, es ist ein Nationalgefühl, wie man es wohl niemals
so allgemein und gleich erlebt hat. Aber welche Erwartungen
werden mir aufgebürdet7 Wie wird ihnen entsprochen werden
können ? ! Gott mit uns !
Dein treuester, tief ergriffener Freund
Wilhelm.
TM Hauptwörter (50): [T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T35: [König Bismarck Wilhelm Kaiser General Minister Stein Berlin Graf Moltke], T3: [Hebel Last Brief Ende Gewicht Rolle Gleichgewicht Punkt Seite Fig], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief]]