94
Vi. Die Perser.
ten lassen, beschloß er, in Person die große Unternehmung zu leiten, welche die Heerschaaren Vorderasiens zum ersten Male auf das europäische Festland führte (um 513 v. Chr.).
Die königlichen Sendboten riefen die ganze Streitkraft des neuorganisir-ten Reiches zum ersten Male in Waffen und vor Allem waren es die Häfen Ioniens, in welchen sich eine unglaubliche Thätigkeit entwickelte. Hier waren die Hülfsmittel, von denen allein Mrius sich ein Gelingen des Feldzuges versprechen konnte, von hier war die Anregung dazu vorzugsweise ausgegangen. Denn die Tyrannen der Städte hofften hier Gelegenheit zu finden, durch wichtige Dienstleistung Auszeichnung und Lohn zu erwerben; die Städte selbst aber waren ja in dem Grade mit dem Pontus verbunden, daß sie ohne den ununterbrochenen Verkehr mit demselben gar nicht bestehen konnten. Sie hofften durch den Zug des Darius dort noch mehr die Herren zu werden, von dem Tribute an die Scythenfürsten und von der steten Angst vor ihren Ueberfällen frei zu werden; sie hofften endlich über den schmalen Ufersaum hinaus mit mehr Sicherheit ihre Handelsbeziehungen ausdehnen zu können. Daher die allgemeine Theilnahme von ganz Ionien an der Unternehmung ; sie erschien fast wie eine national-ionische. Die ionischen Dynasten bildeten den Kriegsrath des Großherrn und alles, was an praktischer Wissenschaft, an Kunst und Technik, an Erfahrung und seemännischer Tüchtigkeit in Ionien vorhanden war, schien nur gereift zu fein, um zu dieser großen Unternehmung dem Perserkönige den Arm zu leihen.
Daß man dem Perserkönige zugleich die Mittel gab, die jenseitigen Hellenenstädte zu unterwerfen, daß man das freie Griechenland immer mehr einschränken und einengen half, daran dachte man in den Handelsstädten nicht. Die ersten Griechenstädte des westlichen Festlandes, namentlich Byzantium, wurden von Griechen den Barbaren preisgegeben, und Mandrokles, der Führer der samischen Techniker, scheute sich nicht, die unter seiner Leitung gebaute Bosporusbrücke, mit welcher der Despot Asiens seine erste Fessel an den Leib von Europa legte, als eine Großthat des hellenischen Geistes zu betrachten, und ein Gemälde, welches die Schiffbrücke und den Uebergattg des Heeres vor den Augen des thronenden Königs darstellte, in das Nationalheiligthum der Samier zu weihen. Auch Darius ließ, als er an der Mündung des Bosporus stand und zum ersten Male in die neue Wasser- und Küstenwelt des Pontus staunend hinausblickte, zum Andenken dieses benk-würbigen Zeitpunkts zwei Säulen errichten, auf betten in persischer Keilschrift und in griechischer Sprache (so sehr betrachtete er die ganze Unternehmung als eine persisch-griechische) die Menge der Völkerschaften seines Heerzuges ausgezeichnet waren.
äetn nächstes Augenmerk war der Jster. Die Schiffe der Ionier gingen vom Bosporus auf bekannter Fährte nach der Münbung des Jsters hinüber, um oberhalb der Flußspaltung eine Brücke zu schlagen, das Lanbheer brang
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68. Die beiden ersten Perserkriege (unter Darms I.). 237
in die städtische Bevölkerung eindrang, um so lebhafter war die Reibung der verschiedenen Bestandtheile unter einander. Viel Gährungsstoff traf zusammen, und die Mitglieder alter Geschlechter, welche in der Mutterstadt zu regieren gewohnt waren, konnten in den Pflanzstädten mit geringerem Erfolge ihre Ansprüche geltend machen. Hier wuchs die buntgemischte Bürgerschaft zu schnell an Menge, Wohlstand und Selbstbewußtsein; die Standesunterschiede glichen sich aus, das Leben war rascher, bewegter; was aus den Mutterstädten.mit herübergekommen war an alten Traditionen, wurde rücksichtsloser beseitigt, wenn es in den neuen Verhältnissen keine Begründung hatte, und alles Neue und Zeitgemäße kräftiger gefördert.
Die Kühnheit der Unternehmung, die Freude am Gelingen, die anregende Neuheit der Orts- und Lebensverhältniffe, der Austausch zwischen Menschen der verschiedensten Herkunft: dies Alles trug dazu bei, den ausgewanderten Bürgern einen besondern Schwung, eine gesteigerte Thatkraft zu verleihen und ihren Niederlassungen einen Glanz zu geben, welcher die Städte des Mutterlandes überstrahlte. Die Colonieen waren ja auf lauter ausgewählten Plätzen angelegt; daher waren ihre Producte vorzüglich. So kam es allmählich, daß alles Beste außerhalb des eigentlichen Hellas zu finden war, das beste Korn und Vieh, die besten Fische, der beste Käse u. s. w. Ferner gab der reichliche Raum, welcher den Ansiedlern zu Gebote stand, Gelegenheit, von Anfang die Städte in größerem Maßstabe und planmäßig anzulegen; hier wurde zur Kunst ausgebildet, was in den Mutterstädten dem Gerathewohl überlassen geblieben war. In den schönen Neustädten entfaltete sich ein glänzenderes Leben, als es das Mutterland kannte. Man wollte sich des rascherworbenen Reichthums freuen, man spottete der altväterlichen Satzungen, mit denen sich die Altstädter des Mutterlandes das Leben verkümmerten, und der Gast aus Sybaris, welcher einmal an der Bürgertafel Spartas Theil genommen, meinte, er könne seitdem den Spartanern ihren Todesmuth nicht mehr so hoch anrechnen. Die Sybariten suchten durch ihre Festspiele Olympia zu verdunkeln, die stolze Selbstgenügsamkeit der einzelnen Städte verdrängte den gemeinsamen Patriotismus, und während der Bedrängniß des Mutterlandes durch die Perser blieben alle Colonieen theilnahmlos.
68. Die beiden ersten Perserkriege (unter Darius I.).
(Nach K. Köhnhorn, Geschichte der Griechen, mit einer Einleitung aus Fr. Jacobs' Hellas.)
Die Perserkriege, in denen das größte Volk dem kleinsten, das mächtigste dem schwächsten im ungleichsten Kampfe unterlag, machen nicht nur in der
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206
Ix. Die Griechen.
einzige Säule des Staates, immer mehr der Verweichlichung und dem bürgerlichen Treiben weichen mußte, seitdem Streben nach Geld und Gut auch bei den Edelleuten am Eurotas Eingang gesunden hatte.
Um daher die Adelsherrschaft zu sichern, erfand Chilon, den die Griechen unter die Zahl ihrer weisen Männer rechnen, als er 580 in die Gerusia gewählt worden war, eine neue Beschränkung der königlichen Gewalt. Die legislative Besugniß der Könige war hinreichend durch die Gerusia und die große Versammlung des Adels beschränkt; die Gefahren lagen in der Exe-cutivgewalt, welche den Königen geblieben war. Um diese zu beaufsichtigen und unschädlich zu machen, durste man sich nicht mit einer nachträglichen Con-trole begnügen. Der Adel mußte in der Lage sein, selbständig in die Regierung einzugreifen, über die Machtmittel des Staates unmittelbar zu verfügen, er mußte eine Regierung neben und gegen die Staatsverwaltung der Könige gründen. Dazu schien eine neue Behörde, beweglicher als die Gerusia, als die große Adelsversammlung, erforderlich, abgesehen davon, daß diese beiden Körperschaften seit Alters unter dem Vorsitze der Könige standen. Aber man blieb dem Geiste der Stabilität treuer, wenn man eine bereits bestehende Behörde zur Beaufsichtigung des Königthums, zu dieser Gegenregierung benutzen, wenn man eine solche in diesem Sinne umwandeln konnte. Für diesen Zweck bot stch dasephorat dar, welches die Könige Theopomp und Polydor während des ersten messenischen Krieges eingeführt hatten. Damals hatten jene beiden Könige für jeden der fünf Bezirke der Stadt einen Aufseher (Ephoros) ernannt, die während ihrer langen Abwesenheiten im Felde ihre Stelle im täglichen Gericht, in den Processen über Mein und Dein vertreten sollten. Das Amt war stehend geworden; die Könige ernannten die Ephoren, sc wie die übrigen Beamten des Staates, und wechselten mit den Personen, so oft es ihnen gut schien. Da die Klagen des Marktes die Thätigkeit der Ephoren vorzugsweise in Anspruch nahmen, da sie neben der richterlichen auch die Funktion einer städtischen Polizeibehörde übten, hatten sie ein Amtshaus am Markte, in welchem sie stets bei einander waren und mit einander speisten. Nun hatte Asteropus bereits die wichtige Neuerung durchgesetzt, den Königen die Ernennung der Ephoren zu entziehen; ihre Wahl wurde seitdem alljährlich von dem gesammten Adel vollzogen. Es war dies eine bedeutende Erwerbung für den Adel. Einmal war damit den Königen der Weg versperrt, ihre Anhänger zum Ephorat zu ernennen, durch diese die Periöken im Marktverkehr und im Gericht begünstigen zu lasten und dadurch die Anhänglichkeit derselben zu gewinnen; andererseits waren die Rechte der Edelleute dadurch erheblich erweitert worden. Das Recht, die Geronten zu wählen, hatte geringen Werth. Die achtundzwanzig Sitze der Gerusia wurden nur durch den Tod der Inhaber erledigt; die selten vorkommenden Neuwahlen wurden innerhalb der einzelnen Obe, deren Vertreter gerade mit Tode abgegangen war, vollzogen; die Wählbarkeit war auf wenige Familienhäupter beschränkt und an ein Alter
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Ix. Die Griechen.
wirksam auszuüben, mußte den Ephoren selbst eine ausgedehnte Executivge-walt übertragen werden. Diese erhielten das Recht, jeden Beamten zu sus-pendiren, zu verhaften und vor der Gerusia, sogar auf den Tod, anzuklagen, für besondere Zwecke im Kriege und im Frieden Commissare auszusenden und Beamte zu ernennen. Die Beute des Krieges sollte an die Ephoren abgeliefert werden^ Sie hatten demnach den Schatz des Staates in Händen. Das Siegel der Ephoren (es trug das Bild des Königs Polydorns) wurde daisiegel des Staates. Alle öffentlichen Urkunden mußten durch Beidrückung desselben von ihnen beglaubigt werden. Hierdurch erhielten die Ephoren das Recht, alle wichtigen Beschlüsse der Könige und der Gerusia zu bestätigen oder zu verwerfen. Wenn den Königen das Recht blieb, den Staat nach Außen zu vertreten und mit den fremden Gesandten zu verhandeln, so waren die Ephoren trotzdem nicht ohne Einfluß auf die auswärtigen Verhältnisse. Wie über die inneren, stand es den Ephoren zu, auch über die auswärtigen Verhältnisse des Staates Anträge an die Gerusia und die Adels-Versammlung zu richten und dieselben in dieser zu vertreten. Die Aufbietung des Heeres wurde in ihre Hand gelegt. Ueber Krieg und Frieden hatten die Könige auch bisher nur in Gemeinschaft mit der Gerusia und der Adelsversammlung entscheiden können. Wenn die Ausbietung, die Zahl und Ausrüstung der Armee nun den Ephoren überlassen wurde, so hatten diese dadurch mittelbar in letzter Stelle auch über Krieg und Frieden zu entscheiden. Die Periöken wurden der Aufsicht der Könige entzogen und unter die Polizei der Ephoren gestellt. Diese polizeiliche Gewalt war unbeschränkt; sie konnten die Todesstrafe gegen jeden Periöken verfügen, sie konnten jeden Heloten aus dem Wege räumen lassen, lieber die Spartaner blieb den Ephoren die Civilgerichtsbarkeit, wie sie dieselbe seit den Zeiten Theopomp's geführt.
Es war eine fundamentale Veränderung der Verfassung, welche Chilon durchgeführt hatte. Die öffentlichen Urkunden wurden seit dieser Zeit nicht mehr nach den Regierungsjahren der Könige datirt, sondern mit dem Namen des ersten Ephoren des Jahres bezeichnet. Chilon, der öfter zum Ephoren gewählt wurde, war im Jahre 560 oder 566 erster Ephor.
Nachdem der Eompromiß, welchen Lykurg einst zwischen den streitenden Königsfamilien geschlossen, zu der wunderlichen Einrichtung des Doppelkönigthums geführt, bot die Verfassung Sparta's jetzt das noch sonderbarere Schauspiel einer erblichen Monarchie, welche fünf jährlich wechselnden Beamten gehorchen muß, welche diesen verantwortlich ist und von ihnen suspendirt und bestraft werden kann. Und doch standen dieser Monarchie noch immer die vollen Ehrenrechte, doch stand ihr noch immer der Oberbefehl über das Heer, das Recht über Leben und Tod im Felde zu. Doch führten die beiden Könige noch immer den Vorsitz im höchsten Rathe und im höchsten Gerichte des Landes, doch bekleideten sie noch immer die höchsten Priesterthümer, ver-
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184. (Konstantin der Große.
675
und dem Staate den Frieden wieder geben wollte, wurde die Lehre des Arius verworfen und das unergründliche Geheimniß der gleichen Ewigkeit von Vater und Sohn durch das Wort o>oo u aios (consubstantialis, wesensgleich) im Symbolum ausgedrückt. Doch gewann der Arianismus immer mehr Boden und eine Synode zu Tyrus (335) entsetzte den Hauptgegner des Arius, den jungen Bischof Athanasius von Alexandrien, seines Amtes, worauf er vom Kaiser in ein mildes Exil nach Trier, der kaiserlichen Residenz in Gallien, gesandt wurde. Der fast 80jährige Arius sollte unter großen Feierlichkeiten in Constantinopel wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen werden, starb aber am Vorabend oder am Morgen des festlichen Tages unter so plötzlichen und so furchtbaren Eonvulsionen, daß der Verdacht der Vergiftung nahe lag.
Bald nach dem jähen, höchst verdächtigen Hinscheiden des Arius fühlte auch Constantin sein Ende nahen, während er sich mit großen Rüstungen zu einem Perserkriege beschäftigte. Er hatte seine drei Sohne und zwei seiner Neffen*) zu Reichserben ausersehen und bereits in ihre künftigen Gebiete abgesandt. Erst unmittelbar vor seinem Tode empfing er die Taufe von dem arianifchen Bischöfe von Nicomedien, in dessen Armen er bald nachher verschied. Wenn Genie, militärische und organisatorische Gaben ersten Ranges, epochemachende Verdienste um die Menschheit den ihm beigelegten Namen „der Große" zu rechtfertigen scheinen, so wird man doch nicht läng-nen können, daß Eonstantin's Charakter unter dem Einflüsse der begierig eingesogenen Schmeicheleien des Hofes in Constantinopel immer unerfteulicher geworden war, daß die großen Züge, welche seinem Wesen einen theils scheinbaren, theils wirklichen Adel verliehen hatten, in der neuen Residenz zusammengeschrumpft oder verzerrt waren.
*) Constantius Chlorrrs, f 306, Gem. 1. Helena.
2. Theodora.
Constantin I. d. Gr.
Gem. 1. Minervina, 2. Fausta.
Dalmatius'.
-, ns«««», , 354/ Dalmatius, 7 337.
Licinius, f 326. i Julianus, Hannibalian -j-338.
Crispus, f 326.
Constantin Ii., Coristantius 11., Constans, Helena,
f 340. f 361 f 350 Gem. Juliarus.
Constantia Postuma Gem. Kaiser Gratianus.
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Extrahierte Personennamen: Athanasius_von_Alexandrien Arius Constantin Constantius_Chlorrrs Helena Theodora Constantin_I. Minervina Fausta Constantin Constans Helena Constantia_Postuma Gratianus
— 44 —
bestehen. Die Stimme, welche bis dahin der Bayernherzog gehabt hatte, fiel durch das neue Gesetz an feinen Verwandten, der neben anderen Besitzungen einen großen Teil der heutigen Rheinpfalz fein eigen nannte und den Titel Pfalzgraf bei Rhein führte.
Die Fürsten, welche als wahlberechtigt bezeichnet wurden, hießen von nun an Kurfürsten (küreu^wähleu).
Ihre Länder wurden unteilbar und erblich nach dem Rechte der Erstgeburt.
12. Vom Tode Karls Iv. bis zu den Kaisern aus dem Hause Österreich. 1378—1438.
Außer Karl Iv. ijt aus dem Haufe Luxemburg-Böhmen noch der letzte Kaiser, Sigismund, für die deutsche Geschichte wichtig geworden. Während seiner Regierung wurde in der freien Reichsstadt Konstanz eine große Kirchenverfammlung abgehalten, welche eine allgemeine Verbesserung der kirchlichen Verhältnisse zum Zwecke hatte. Sigismund und viele Fürsten waren anwesend. Bei dieser Gelegenheit übergab der Kaiser am 18. April 1415 die Mark Brandenbnrg mit der Kurwürde zum Lohn für treu geleistete Dienste Friedrich Vi. von Nürnberg aus dem Hause Hohenzollern erb- und eigentümlich.
13. Kaiser aus dem Hause Österreich. 1438—1806.
Nach dem Tode Sigismunds,, wählten die Kurfürsten seinen Schwiegersohn Albrecht von Österreich aus dem Hause Habsburg zum Kaiser. Von da an ist die Kaiserwürde ununterbrochen bis zum Jahre 1806 beim Hause Habs- $ bürg geblieben. Einer der hervorragendsten Fürsten dieses ' Hauses ist Kaiser
^Taa-irntsicm I. 1493—1519.
Seine Negierungszeit fällt ungefähr mit dem Schluß des Mittelalters und dem Anbruch der Neuzeit zusammen. Als er 1493 zur Regierung kam, sah es in Europa ganz anders aus als zur Zeit der Hohenstaufen.
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Extrahierte Personennamen: Karls Karl_Iv Karl Sigismund Sigismund Friedrich_Vi Friedrich Sigismunds Albrecht_von_Österreich Albrecht
Extrahierte Ortsnamen: Rheinpfalz Rhein Karls Nürnberg Europa
— 43 —
10. Vom Tode Rudolfs von Haüsburg bis Karl Iv.
1291—1347.
Rudolf hatte trotz seiner unleugbaren Verdienste um »das Reich es nicht dahin bringen können, daß sein ältester L Sohn zum Kaiser gewählt worden wäre. Seine nächsten ! Nachfolger vermochten ebenfalls nicht. die Krone bei ihrer l Familie zu erhalten. Bei der Wayl suchten die Wahl-z fürsten jedesmal möglichst viel für sich herauszuschlagen, / indem die neuen Kaiser vor ihrer Wahl versprechen mußten, Ii ihnen dieses oder jenes Land, dieses oder jenes Recht zu überlassen. Die Kaiser suchten sich dann dadurch wieder : schadlos zu halten, daß sie von den erledigten Reichslehen möglichst viel an ihre Familie brachten und so ihren Privatbesitz vergrößerten.
11. Karl Iv. 1347—1378.
Erst mit dem Jahre 1347 kam wieder ein Geschlecht zur Regierung, welches dem Lande mehrere Kaiser hintereinander gab. Es ist dies das Haus Luxemburg-Böhmen. Der dritte Nachfolger Rudolfs war ein Graf von Luxemburg gewesen. Ihm war es durch die Heirat seines Sohnes mit der Erbin von Böhmen gelungen, dieses Land sür seine j. Familie zu gewinnen. Sein Enkel Karl wurde 1347 als Karl Iv. Kaiser. Deutschland hat ihm ein Werk zu verdanken, welches für die Zukunft von großer Bedeutung geworden ist. Er erließ nämlich 1356 ein Reichsgesetz, welches die Kaiserwahl ordnete und denjenigen Fürsten, welche den Kaiser zu wählen hatten, auch eine hervorragende Macht im Reiche sicherte. Dieses Gesetz ist bekannt unter dem Namen „die goldene Butte"; es wird so genannt, weil das dem Gesetze angehängte Siegel in einer goldenen Kapsel (Bulla) eingeschlossen war. Veranlaßt war das Gesetz durch Streitigkeiten, welche über die Frage entstanden waren, wer denn 1 eigentlich von den Fürsten zur Kaiserwahl berechtigt sei. Die Berechtigung erhielten die drei geistlichen Fürsten von Mainz, Köln und Trier, welche die Wahl schon seit Jahren 1 ausgeübt hatten. Von den weltlichen Fürsten blieb die Berechtigung sür Sachsen, Brandenburg und Böhmen
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Extrahierte Personennamen: Rudolfs Karl_Iv Karl Rudolf Rudolf Karl_Iv Karl Rudolfs Karl Karl Karl_Iv Karl
Extrahierte Ortsnamen: Rudolfs Haüsburg Rudolfs Luxemburg Deutschland Mainz Sachsen Brandenburg
2. Die Lage Europa's im Anfänge der neuesten Zeit.
5
Reform vom Jahre 1812 eifrigst den Forderungen der neuen Zeit
anzupassen gesucht, damit die Sympathieen und materiellen Interessen
des südlichen Eilandes ganz an diejenigen Großbritanniens gekettet
würden. Seit 1815 beherrschte Ferdinand I., wie er sich nunmehr
nannte, beide Königreiche, indem er zugleich alle Verpflichtungen
gegen die Insel beseitigte und durch ein geheimes Gelöbniß, in seinen
Staaten hinfort keine Verfassung dulden zu wollen, den Argwohn
Oesterreichs überwand, das mit der neuen Staatenordnung die
Schlüssel von ganz Italien für sich in Anspruch nahm*).
In dem andern italienischen Königreich Sardinien oder „Pie-
mont", folgten auf Karl Emanuel Iv. (1796—1802) seine zwei
Brüder nach einander, bis im Jahre 1831 die ältere Linie des
Hauses Savoyen-Piemont ausstarb und die jüngere (Carignan)
folgte. Karl Emanuel Iv. hatte im Jahre 1798 die ihm von der
französischen Republik abgeforderte Entsagung auf alle seine Fest-
land-Besitzungen unter Protest gegeben und sich auf die Insel Sar-
dinien zurückgezogen. In Folge seiner Abdankung führte sein Bruder
Victor Emanuel (1802—1821) den Königstitel auf Sardinien. Dieser
kehrte am 20. Alai 1814 nach Turin zurück und wurde sofort den
seltsamsten Reactionären zur Beute: er erklärte die Gesetze von 1770
wieder für gültig, alle französischen selbst rückwirkend für ungültig,
Bannrechte, Erstgeburtsrechte, Fideicommisse, namentlich aber alle pri-
vilegirten Gerichtsstände für wiederhergestellt. Nur die Vermehrung
der Steuern und der Polizeigewalt wurde von dem napoleonischen
System beibehalten. Das neue Königreich Sardinien ward verstärkt
durch das Gebiet der herrenlosen ehemaligen Republik Genua und
durch die altpiemontesische (seit 1388) kleine Provinz Nizza, welche
geographisch die Fortsetzung des genuesischen Uferlandes bildet, aber
bei der schwachen Wassergrenze gegen Frankreich viermal in den
Besitz der Franzosen gekommen ist.
Die cisalpinische Republik hatte sich in eine italienische verwan-
delt, die wieder seit 1805 in ein Königreich Italien umgeformt wor-
den war, das Napoleon als König beherrschte. Er hatte seinen
Stiefsohn, Eugen Beauharnais, zum Vicekönig ernannt. Das Land
befand sich sichtlich in einem blühenden Zustand und im Fortschreiten,
als es in Folge der großen Umwälzung von 1813 und 1814 an
Oesterreich zurückftel, und sich demgemäß aus einem Königreiche Ita-
lien in ein lombardisch-venetianisches Königreich verwandelte.
Die österreichische Regierung leitete zwar die innere Verwaltung
dieses Königreiches mit größerer Kraft und Thätigkeit, als jede andere
Regierung Italiens; allein im Ganzen begünstigte sie, in Gemäßheit
des ihr eigenthümlichen Charakters, mehr die Wiederherstellung des
Alten, als die Beförderung und Aufrechthaltung des Neuen. Dies
System erzeugte eine stille Unzufriedenheit und Gährung in den
*) Nach Reinhold Pauli, Geschichte Englands seit 1814.
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Extrahierte Personennamen: Ferdinand_I. Ferdinand_I. Karl_Emanuel_Iv Karl Karl_Emanuel_Iv Karl Victor_Emanuel_( Napoleon Eugen_Beauharnais Eugen Reinhold_Pauli
110
10. Großbritannien bis zum Tode Georg's Iv.
Landtruppen) und gegen die grenzenlose Verschwendung des Hofes,
namentlich gegen das unsittliche Leben des Prinz-Regenten, des nach-
maligen Königs Georg Iv., dessen Civilliste (von 800,000 Pfund)
jährlich um eine halbe Million überschritten wurde. Dazu kam eine
Stockung des Handels mit dem Ende des Krieges, der bisher zur
Verfertigung seiner Werkzeuge jährlich an 50 Millionen eingebracht
hatte, und die sanguinischen Hoffnungen, die man auf die Folgen
der Oeffnung aller Häfen des Continentes gemacht hatte, zeigten sich
bald als täuschend, weil das durch die Leiden des Krieges ausge-
sogene Festland in seiner Armuth die massenhaft über den Ocean
herbeigeführten Waaren nicht bezahlen konnte, deren Preise also
nothwendig sinken mußten, so daß die Speculation statt des gehoff-
ten Gewinnes nur schwere Verluste hatte. Um das Unglück noch
zu erhöhen, brachte das Jahr 1816 eine allgemeine Mißernte, im
Westen und Süden Europa's durch unaufhörliche Regengüsse, im
Norden und Osten durch hartnäckige Dürre. Die Preise aller Feld-
früchte stiegen rasch auf das Doppelte, ohne daß sichere Aussicht
vorhanden war, auch nach Oeffnung der Häfen alsbald hinreichende
Zufuhr zu schaffen.
Noch ehe die Noth sich bis zu dieser Höhe steigerte, hatten die
am schwersten betroffenen Theile der Bevölkerung Gewaltthätigkeiten
begonnen. Zahlreiche Schaaren brodloser Arbeiter durchzogen das
Land und zerstörten, trotz der bei den Brod-Unruhen von 1812 auf
solche Verbrechen gesetzten Todesstrafe, die Maschinen als die Ur-
sache ihres Unglückes und bemächtigten sich der Vorräthe in Küche
und Keller. Alle Mittel der Wohlthätigkeit und Polizeigewalt (Ar-
menhaus und Gefängniß) erwiesen sich ohnmächtig, das Uebel stei-
gerte sich noch, als mit dem Friedensschlüsse große Massen, die in
Heer und Flotte und den Werkstätten des Staates gedient hatten,
verdienstlos wurden und, meistens verwegene Gemüther und der
lohnenden Beschäftigung des Friedens entwöhnt, sich den Landstrei-
chern und Dieben zugesellten und als endlich überall Theuerung und
Stockung drohten.
Unter diesem Drucke der allgemeinen Noth begann William
Cobbett eine radikale Agitation. Er hatte, gestützt auf die An-
schauungen, die er als Soldat in Nordamerika gewonnen, schon
seit dem Jahre 1802 in einer unter dem Namen des „Politischen
Registers" herausgegebenen Wochenschrift die drückenden Korngesetze,
das maßlose Anschwellen der Staatsschuld, das als unhaltbar er-
kannte parlamentarische System immer offener und schonungsloser
bekämpft. Zu stolz und ungestüm, um jemals die edleren Kräfte
der Opposition für sich zu gewinnen, entwarf er sogleich das äußerste
Programm: allgemeines Stimmrecht, jährliche Parlamentswahlen
(statt der siebenjährigen), geheime Abstimmung, und stürzte sich, zu-
mal nachdem er 1810 wegen eines Preßvergehens 2 Jahre einge-
sperrt worden, immer weiter in die Agitation. Was der Staats-
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Extrahierte Personennamen: Georg_Iv. William
Cobbett