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empor. Kein zweites Land in Europa, wird behauptet, hat so schöne
Baien und Häfen wie die „Smaragdinsel". Man zählt 14 Häfen für
die größten Schiffe, 17 für Fregatten und gegen 40 für Kauffahrtei-
schiffe. Cork mit Queenstown sind noch heute die Station für die
transatlantischen Postdampfer. — Wo England demnach durch seine
natürliche Beschaffenheit schon ohnedies so ausgezeichnet und ge-
eignet für den Seeverkehr war, versäumte man andrerseits auch nicht,
durch allerlei künstliche Mittel die maritime Zugänglichkeit des Landes
zu erhöhen. Während man die Gesamtlänge aller schiffbaren Flüsse
in England und Wales auf ca. 3175 km. angeben will, beträgt die
Länge der Kanäle über 3500 km.*- Dies Kanalfyftem strahlt in
drei Vereinigungspunkte aus, Birmingham, Manchester und London;
aus je 3 lh!M. Fläche kommt 1 Meile Fluß- oder Kanalstraße.
In Schottland unterstützen die charakteristischen Einschnürungen die
Anlage von Kanälen. Berühmt sind der Clydekanal, der nur 91 km
geführt zu werden brauchte, um die Nordfee mit dem Oceau zu ver-
binden, und der kaledonische Kanal zwischen Firth of Lorn und
Moraybusen. Dort fahren vorüber am Ben Newis, dem höchsten
Berge in Schottland, Fregatten quer durch das Land. — Ein zweites
Mittel, die Schiffahrt zu unterstützen, bietet sich in der Anlage von
Leuchttürmen, und England besitzt deren 330, darunter der berühmte
von Bell Rock vor der Mündung des Tay, ^ und der von Eddystone.
Letzterer liegt vor der Reede von Plymouth, auf der die größte Flotte
der Welt sicher ankern könnte, und dünkt den westwärts in den Ocean
eilenden großen Dampfern wie ein letztes Wahrzeichen Europas, das
den in die Wasserwüste hinaussteuernden Schiffen gleichsam den
Scheidegruß der Heimat nachsendet. Wenn die Leuchtfeuer aus-
gelöscht werden und der kundige Lotse fehlt, fo kann England auf
feine Unzugänglichkeit pochen, und die Wachsamkeit seiner kreuzenden
Flotte sichert dem Lande die Unmöglichkeit einer feindlichen Invasion.
Das hat sich von den Zeiten der Armada, die Großbritannien nord-
wärts umsegeln wollte und an der Felseninsel Fair zerschellte, bis
zu den Kriegen Napoleons I. bewahrheitet. Ein beispielloses Glück
hatte dagegen Wilhelm Iii. Er täuschte die englische Flotte, die
annahm, er würde in Jorkshire landen, fuhr in den Kanal und
konnte in der Bai von Tor Anker werfen, von wo ihn weiter das
Glück nach London und auf den Königsthron geleitete.
So erwuchs in dem Briten das stolze Selbstgefühls die Einsicht
in den Zustand der eigenen Sicherheit und zugleich die Überzeugung,
daß Britannien die anerkannte Meerbeherrscherin sei, wie sich das
in dem Nationalliede ausspricht rule Britannia the waves (Herrsche,
1 Der Bau derselben erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen.
2 Der wasserreichste Strom Großbritanniens.
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Extrahierte Personennamen: Ben_Newis Napoleons_I. Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Europa Cork England England Wales Birmingham London Schottland Schottland England Plymouth Europas England Napoleons Jorkshire London Britannien
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Britannien, über die Wogen), Räch England laufen alle Radien des
Seeverkehrs zusammen, und das leuchtet nicht nur den Europäern
ein, sondern auch den Amerikanern. Hat man doch triumphierend
auf die verblüffende Thatsache hingewiesen, daß der schnellste Weg,
um von New-^)ork aus Post, Passagiere und Güter nach Brasilien
zu bringen, über den britischen Hafen — Liverpool führt. Und
andererseits hat England von dem Mutterlande aus ein Kolonial-
reich erworben, das den sünsten Teil der nicht vom Wasser bedeckten
Landmasse unserer Erdoberfläche einnimmt. Wenn man weiter be-
denkt, daß der vierte Mensch auf Erden ein englischer Unterthan ist,
wird man das stolze Wort des Staatsmannes Fox begreisen können:
England ist nur unser Absteigequartier, aber die Welt, die Welt —
das ist das eigentliche England! 1
Wir treten in die dritte Periode der englischen Geschichte, in die
Zeit des kolossalen industriellen Ausschwungs, die England „zur
größten Werkstätte der Welt" gemacht hat. Die vorhandenen physi-
kalischen Anlagen des Landes haben, wie Ritter sagt, diese staunens-
werte Metamorphose herbeigeführt. Die unerschöpflichen Mineral-
schätze des Bodens fanden dann erst ihre wahre Verwertung, als die
schwarzen Diamanten, an denen England gleichermaßen reich ist, in
ihrer Verwendbarkeit für den Maschinenbetrieb richtig erkannt waren.
So hat sich Englands neueste Zeit eigentlich aufgebaut auf den drei
Faktoren Eisen, Steinkohle und Dampfmaschine. Die Jndustrie-
bezirke Englands drängen sich sozusagen um die Irische See herum
und haben, abgesehen von den großen Kohlenlagern von Rewcastle
und Südwales hauptsächlich ihre Stätte in dem westlichen Mittel-
england und den Lowlands von Schottland, wozu noch in Irland,
allerdings ohne die gleichzeitige Ausbeutung der unterirdischen Kohlen-
schätze, die berühmte Leinenindustrie der Provinz Ulster kommt.
Die Kohlenflöze haben in England einen fast unerschöpflichen Reich-
tum. Es arbeitet in den Bergwerken eine halbe Million Arbeiter;
bis unter das Meer werden in den Küstenstrichen die Atollen ge-
trieben, so daß man zu Häupten die Brandung der See rauschen
boren kann, und man rechnet aus den Kops der Bevölkerung einen
Verbrauch von 4000 kg Kohlen. Da das Klima äußerst milde ist,
— die englische Sprache kennt kein Wort für Schlitten — alfo zum
Heizen nicht viel Kohlen im Lande verwendet werden, so kann man
sich denken, einen wie enormen Verbrauch die industriellen Zwecke
für sich in Anspruch nehmen. Und hier hat sich der kaufmännische
Geift des Volkes und seine praktische Anstelligkeit in glänzendster
Enthaltung gezeigt. Ter oben erwähnte Ritter sagt staunend, daj;
* Daher hat auch der Seeheld Nelson die meisten Denkmäler in England.
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Extrahierte Personennamen: Ritter Nelson
Extrahierte Ortsnamen: Britannien England Brasilien Liverpool England England England England England Englands Englands Schottland Irland England England
— Ig —
Was hat denn die nordamerikanischen Kolouieen Englands zur
Losreißung vom Mutterlande getrieben? Die Hartherzigkeit der Eng-
(ander, die die Kolonie im steten Zustande der Unmündigkeit erhalten
wollten und ihr einen Anteil an der Steuergesetzgebung und am
Parlamente verweigerten. Und heutzutage erleben wir in den Zu-
ständen Irlands noch schreiendere Mißstände. Schon seit alter Zeit
befindet sich Grund und Boden in Irland in englischen Händen.
Während aber die englischen Grundherren das System des absenteeism
befolgen, also sich aus ihren Gütern weiter nicht blicken lassen, haben
sie ihren Besitz in Pachtungen ansgethan und ost sogar ihre Äckereien
an die conacre-men nur sür eine Ernte vergeben. Diese landwirt-
schastliche Gepslogenheit sührt zum Elend und zur Verarmung des
ganzen Jrenlandes. Paddy — so nennt man den irischen Bauer
wegen des häufig vorkommenden Vornamens Patrik — mit seinen
wunderbar zersetzten Kleidern, den schwarzen Hut, cauleen, der so-
zusagen die Nationaltracht bildet, aus dem Kopse, schart sich in seinen
elenden mudcabins ^Lehmhütten) um das Torsseuer und führt das
denkbar genügsamste und armseligste Dasein. Natürlich ist aber in
den letzten Zeiträumen das Bewußtsein, zu einer ganz unwürdigen
Existenz verdammt zu sein, mehr und mehr in den Kopsen der cel-
tischen Ureinwohner der Insel ausgedämmert, und zweierlei Folgen
haben sich aus dieser politisch-socialen Lage eigenster Art ergeben.
Die Iren sind entweder ausgewandert und bilden jetzt in den Ver-
einigten Staaten Amerikas einen starken Bruchteil der Bevölkerung,
während die Einwohnerzahl Irlands bei jeder Volkszählung einen
erheblichen Rückgang ausweist, — oder die uuzusriedeuen Bewohner
der Smaragdinsel stiften geheime Verschwörungen an und nehmen
ihre Zuslucht zu scheußlichen Verbrechen. So hat sich der unheim-
liche Bund der Ferner gebildet, die sich nach einem gälischen Helden
also nennen, und Tipperary, als the golden vale wegen seiner Frucht-
barkeit und Anmut gepriesen, hat vielleicht gerade darum den Fluch
aus sich nehmen müssen, als „klassischer Boden der agrarischen Mord-
thaten" bezeichnet zu werden.
Wir kommen zu dem dritten Ruhme Englands, ein besonders
ausgebildetes Land der Industrie und vorgeschrittensten Technik zu
sein. Und wirklich berichten ja die Zeitungen fast jährlich von
staunenswerten Betätigungen des erfinderischen Menschengeistes in
Bezug auf Riesenbauten und geschickte Benutzung der maschinellen
Kräfte; da werden in turmhohen Eisenbahnbrücken Meeresarme über-
spannt, wie beim Tay^ und in der Britanniabrücke; 2 in Glasgow,
„der Geburtsstätte der Dampsmaschinen," zeigt man als höchstes Bau-
1 die Hängebrücke von Cliston (Bristol) über den Avon, über 80 m hoch.
2 zwischen Wales und Anglesea über die Menai Stroits, 32 in über dein
höchsten Wasserstande.
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Extrahierte Personennamen: Paddy_— Menai_Stroits
Extrahierte Ortsnamen: Englands Irlands Irland Amerikas Irlands Englands Glasgow Bristol Wales
— 34 —
frankreich hat sich eine andere Scene des Kampfes gegen die Unter-
drücker und Bedränger abgespielt, das ist die Stelle, wo Kaiser
Napoleon Iii. dem mutigen Vercingetorix, dem Gegner Eäsars, die
Kolossalstatue setzen ließ mit den Worten: „Das geeinigte, eine
einzige Nation bildende, von demselben Geiste beseelte Gallien kann
die ganze Welt Heraussordern. Vercingetorix an die versammelten
Gallier". In der Mitte liegt das vulkanische Centralplateau. Hier
sinden sich die berühmten Thermen von Vichy, hier die wunderbaren
basaltischen Gebilde, wie der Riesendamm von Vals, der an den
irländischen Giantscauseway erinnert, hier ist endlich das merkwürdige
Land der Auvergne, das man Wohl als die „Akropolis von Frank-
reich" bezeichnet und das sich in dem scheußlichen und armen Limousin,
wo der Schnee 8 Monate liegen soll, zur westlichen Ebene hinab-
zieht. Schon das alte Gebirge des Landes hat Höhen von über
1700 m, und aus dieses sind nun die Vulkanberge ausgesetzt, so daß
der Puy de Sancy, ein Gipfel des Mont Dore, mit 1886 111 als
höchster Punkt des inneren Frankreichs zwischen Alpen und Pyrenäen
erscheint. In der Nähe ist der Puy de Dome, ebenfalls ein er-
loschener Vulkanberg, an dem Pascal 1648 zum ersten Male das Baro-
meter zur Höhenmessung in Anwendung brachte. Pascal ist übrigens
einer der wenigen berühmteren Anvergnaten, und er ist in der sran-
zösischen Litteratur mehr durch die Schärfe seines Geistes, als durch
den Schwung der Phantasie und das Feuer der Begeisterung aus-
gezeichnet, und das ist für sein Heimatland recht charakteristisch; die
Gegend macht einen ungemütlichen Eindruck. Selbst die Städte,
wie Clermont, haben etwas Düsteres, da die Häuser hoch und schwarz
aus Lava aufgebaut sind. Auf den Bergkuppen hingen die Schlösser
des Adels, und die ganze Auvergne steckte voll von Raubrittern,
denen erst Ludwig Xiv. 1665 das Handwerk legte. Die Bauern
sind häßliche Menschen und ziehen vielfach in die Ebenen hinab, um
bei der Ernte behülflich zu sein, oder in die großen Städte als Kessel-
macher. Merkwürdig ist, daß in dem Lande sich noch mannigfach
das lateinische Sprachidiom erhalten hat, wie denn der Bauer seinen
Pslugstier mit sta dos anredet. Das Land ist abgeholzt, sast nur
mit dichtem Heidekraut bedeckt und eignet sich also nur zur Viehzucht,
die die Bewohner nicht zu ernähren vermag. — Man hat mit Recht
darauf hingewiesen, daß die ganze Bergfestung, wie man die Auvergne
schlechthin nennen kann, von Westen her schwerer zugänglich erscheint,
und daß demnach weder die Engländer noch die Goten und die Grafen
von Toulouse ihre Herrschast über diese „Akropolis" ausgebreitet
haben. Vielmehr öffnet sich die ganze Berglandschaft nach Norden,
durch die Thäler des Allier und der Loire hin, und so zeigt sich auch
hier die überraschend glückliche Thatsache, daß alle die französischen
Landschaften sich um eine zur Eentralstelle gleichsam prädestinierte
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Ludwig_Xiv Ludwig
— 109 —
schast mag ja auch die Unterwürfigkeit begünstigt haben. Aber
etwas anderes ist charakteristisch. Sie schließen sich gern zusammen
und übertragen einem aus ihrer Mitte die Fuhrung. Es pocht nicht
jeder aus seine Individualität, und man sieht ein, ein Volk, aus
solchem Holz geschnitzt, ist zu einer führenden Stellung, zu einer
politischen Rolle berufen und vorausbestimmt. Zudem hat es Nuß-
land nie an energischen Herrschern gefehlt. Schon das muß als ein
günstiges Omen gleich am Anfang der russischen Geschichte betrachtet
werden, daß Wladimir, „der Zar Peter des 10. Jahrhunderts," eine
Enkelin an König Heinrich I. von Frankreich vermählen konnte, so
daß alle französischen Könige das Blut seines Geschlechts in ihren
Adern tragen. Die Tüchtigkeit der Regenten verband sich dem Cha-
rakter des halbasiatischen Volkstums gemäß oft nüt einer grausamen
Wildheit; deshalb legte man dem Zar Iwan den Namen des Schreck-
lichen bei. Es geht die Sage, daß er den Baumeister der oben er-
wähnten „Ananaskirche" gefragt hätte, ob er sich getraue, ein zweites
Bauwerk derart vollenden zu können. Und auf die bejahende Ant-
wort hin ließ er ihn schnell enthaupten, damit nur er ein so Herr-
liches Gotteshaus besitze. Dann solgt um 1700 Peter der Große,
dem man eine wilde Energie gewiß nicht absprechen wird. Im
18. Jahrhundert regierten vier Frauen, Katharina I., Anna, Elisa-
beth und Katharina Ii. oder die Große, der Rußland so ungemein
viel zu verdanken hat, was uns Deutsche um so mehr freut, als
sie in Stettin geboren war und völlig als unsere Landsmännin
angesehen werden kann. Im 19. Jahrhundert war Nikolaus I.
ein mächtiger Fürst, der schon in seiner äußeren Erscheinung das
Majestätische und Jmperatorische spüren ließ. Als das Cholera-
schrecken 1831 in Petersburg alle Gemüter lähmte und ein wilder
Aufruhr die Stadt durchtobte, erscheint er ohne Begleitung unter
der wütenden Menge. Man raunt sich zu: Gossu dar (der Herr ist
da). Dann steigt er auf die Stufen einer Kirche und donnert den
Nuffen zu: na kalenn (aus die Kniee). Widerstandslos haben zehn-
tausend Menschen dem Befehl gehorcht.
Bei einem so gearteten Volke und bei solchen immer von neuem
wiederkehrenden energischen Herrschern will das westlichere Europa aus
der Angst nicht herauskommen, als ob uns alle das Slaventum der-
einst verschlingen werde. Erst neuerdings hat Nietzsche dieser Be-
sürchtung Ausdruck gegeben. Fast unheimlich ist ja das Anwachsen
der Bevölkerung. Wir haben heute dreimal soviel Russen als vor
hundert Jahren, und die Volksmasse allein des europäischen Ruß-
lands mit 106 Millionen erscheint unzählig und beängstigend. Aber
hinter, solcher Angst birgt sich doch nur das Gefühl der eigenen
schwäche; ein gesundes Westeuropa kann auch gegenüber solchen
Zahlen die Furcht bezwingen; denn es sprechen verschiedene Gründe
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Extrahierte Personennamen: Wladimir Peter Heinrich_I._von_Frankreich Heinrich_I. Iwan Peter_der_Große Katharina_I. Anna Katharina_Ii Nikolaus_I. Nikolaus_I. Nietzsche
Extrahierte Ortsnamen: Stettin Petersburg Europa Westeuropa
— 00 —
australischen Eukalypten, die ihre Wurzeln tief in das^ Erdreich ein-
senken, die Striche von ihrem Überfluß an Sumpfwasser allmählich
zu befreien. — Das arme italienische Volk bekundet seit je große
Neigung auszuwandern, und namentlich für die benachbarten Länder
haben sie, fozufagen, die Rolle der auswanderungslustigen Chinesen
übernommen. Bewundert wird dann ihre erstaunliche Anspruchs-
losigkeit und Lebhaftigkeit, wenn sie sich ihre polenta nach den Ge-
setzen der Kreisteilung vergnügt einteilen und ihrer drei bei einer
Flasche Wein mehr Spektakel machen als dreißig Deutsche, die Gam-
brinus einen Eimer opfern. Die Auswanderung beträgt, in manchen
Strichen über 3% der Bevölkerung. — Das schwerste Übel, an dem
endlich der Staat krankt, ist die mangelhafte Schulbildung des Volks,
namentlich wenn man tiefer in die Halbinsel nach Süden vordringt,
wo die ehemalige Mißwirtschaft der Bourbonen noch immer in ihren
beklagenswerten Folgen sich spüren läßt. Ehre und Anerkennung
sei der jetzigen Regierung, daß sie auch hier Wandel zu schaffen be-
strebt ist! Italienische Sprache und Bildung stehen sonst hoch in
Achtung, das ganze östliche Mittelmeer hat noch heute das Italienisch
zur Verkehrssprache, und nun sollten die eigenen Landeskinder die
wissenschaftliche Pflege ihrer Muttersprache vernachlässigen? Recht
prunkhaft nimmt es sich aus, daß Italien 19 Universitäten zählt,
aber auch da wird des Guten fast „zu viel geboten, und an inten-
filiere Geistespflege ist bei dieser Überzahl nicht mehr zu denken.
Die Regierung ist daher daraus aus, die kleineren Hochschulen all-
mählich eingehen zu lassen und dadurch Mittel in die Hand zu be-
kommen, um an den größeren Universitäten wirklich Vorzügliches
zu leisten. _
Dieselben Vorzüge des Klimas und einer entzückenden Vegetation
wie in Süditalien treffen wir auch in Süd- und Ostspanien und bei
dem Ostrande der südlichen Balkanhalbinsel. Valencia heißt z. B.
„das spanische Paradies", und von den Huertas und Vegas haben
wir schon im ersten Teile gesprochen. ^ Dasür macht das Innere der
pyrenäischen Halbinsel stellenweise einen fast trostlosen Eindruck. Aber
das Starre, Unbewegliche der Natur paßt zum Volkscharakter des
Spaniers, der seine ganze Empfindungsglut nach einer Richtung hin
ausströmen läßt, dann aber wieder in völliger Abgeschlossenheit und
Unzugänglichkeit sich stolz gegen alle fremden Einwirkungen verschließt.
Diese Mischung einer glühenden Leidenschaftlichkeit und sanatischen
Anhängerschaft an das Althergebrachte erzeugte in dem spanischen
Volke das Blütezeitalter unter Philipp Ii., wo der Spanier mit
Todesverachtung überall für den althergebrachten katholischen Glauben
1 Erdkundliche Aufsätze, S. 60.
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kämpfte. Man kann sagen, ein solches Zeitalter fand in Philipp Ii.
(1556—1598) den entsprechenden König und Gebieter, der mit un-
beugsamer Beharrlichkeit das eine politische Ziel verfolgte, den alten
Glauben gegen alle Anfechtungen der Glaubensneuerung zu ver-
teidigen und ihm zum Triumphe zu verhelfen. Er schuf sich in dem
Escorial in dem Guadarramagebirge seinen charakteristischen Palast
und Wohnsitz. Dieses Klosterschloß wurde zu Ehren des heiligen
Laurentius erbaut, und da der Heilige auf einem Roste gemartert
wurde, so gab man dem riesigen Gebäude die Gestalt eines Rostes.
Das Gebäude enthält 20 Hose, 96 Kreuzgänge, 890 Thüren,
1000 Säulen, 5000 Fenster und hat 5 Billionen Dukaten gekostet.
Und von diesem Schlosse aus regierte Philipp sein unermeßliches
Reich nach starren, argwöhnischen Grundsätzen, ganz wie ihn Schüler-
in seinem Ton Carlos uns geschildert hat. Damals war wirklich
die beherrschte Monarchie noch unermeßlich. Denn außer den nieder-
ländischen und italischen Besitzungen waren die reichsten Lande Ame-
rikas, Mexiko, Peru nebst Quito, Ehile u. s. w., ihm unterthan. Man
hat nachgerechnet, daß Spanien allein aus Peru in 248 Jahren
9 Milliarden Piaster erpreßt hat. Und heutzutage ist Spanien von
diesem kolossalen auswärtigen Besitz nichts mehr geblieben. Die
fleißigen Niederlande, das paradiesische Neapel sind von Spanien
losgetrennt, zu Ansang des 19. Jahrhunderts begannen die amerika-
nischen Kolonieen ihren erfolgreichen Unabhängigkeitskampf, und noch
ehe das Jahrhundert seine ehernen Pforten schloß, verloren die
Spanier im Kampse mit den Amerikanern auch noch ihre letzten
Kolonieen, Kuba und die Philippinen. Gegenwärtig sind 2 un-
bedeutende Küstenstriche an der Westküste Afrikas, sowie Ceuta und
die afrikanischen Inseln: die Kanarien, Fernando Po und Annabon
die letzten armseligen Reste eines einst weltberühmten Kolonialreiches.
Die Erwerbungen in der neuen Welt sind auf das Heldenzeitalter
um den Beginn der Neuzeit zurückzuführen, wo die spanischen und
portugiesischen Entdecker den Königen ihrer Heimatländer die un-
ermeßlichen Ländereien in Amerika und Asien erwarben. Damals
erbat sich der König von Frankreich von dem König von Portugal
eine Abschrift des Testamentes Adams, wonach die Könige von Por-
tugal und Spanien zu Erben der Welt eingesetzt wären. Sehr
charakteristisch war es, daß die Romanen allein der Golddurst von
Erwerbung zu Erwerbung leitete, sie suchten das „Eldorado" (Gold-
land), und auf dem erbeuteten Golde ruhte der Fluch, es machte
seine Besitzer nicht froh, wie das in dem tiefsinnigen Märchen vom
Nibelungenschatze in deutscher Herzinnigkeit uns erzählt wird. Das
Gold nahm durch Spanien nur seinen Durchgang; andere Länder
wurden reich, Spanien verarmte, und Philipp starb als „Bettler".
Acan hat daraus hingewiesen, daß Philipp, der 1580 auch noch Por-
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Extrahierte Personennamen: Philipp_Ii Philipp Philipp Philipp Carlos Philipp Philipp Philipp Philipp
Extrahierte Ortsnamen: Mexiko Peru Quito Spanien Peru Spanien Niederlande Neapel Spanien Kuba Afrikas Ceuta Amerika Asien Frankreich Portugal Spanien Spanien Spanien
— 58 —
überwältigendem Eindruck ist daneben die Kathedrale S. Maria de
la Sede, eine der schönsten gotischen Kirchen der Welt mit der be-
rühmten, 5000 Pfeifen zählenden Orgel. Endlich liegt in Granada
der seenhaste Palast, die Alhambra. Mitten in dieser herrlichen
Bega, die „ein vom Tau benetzter Rosenkranz" genannt wird, ragt
die Akropolis von Granada empor, eben die Alhambra, „das Herr-
lichste Bauwerk, das Menschenhand vollbrachte". Vieles in dem
imposanten Gebäude ist ja schon versallen oder dient anderen Zwecken,
aber noch deuten Hose und Säle auf die einstige Pracht. Der Hof
des Löwenbrunnens ist mit Recht berühmt. Er gleicht einem schönen
Saale und ist aus allen Seiten mit offenen Bogen, die von zarten
Säulen getragen werden, umgeben. Charakteristisch sind auch hier
die Flächen zwischen den Bogen „mit reich gemusterten durchbrochenen
Ziegeln ausgefüllt, so daß die Wände ausgespannten arabischen
Teppichen ähneln". — Die Araber haben während ihrer Herrschast
in Spanien auch eine Zeit hoher geistiger Blüte erlebt, und ihr Ein-
flnß auf die Wissenschaft ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung
gewesen. Namentlich wurden bei ihnen die exakten Wissenschaften
gepflegt, wie denn die Semiten von je eine besondere Begabung
z. B. für die Heilkunde gezeigt haben. Als der Kardinal Z^imenez
1498 sämtliche in der Stadt vorgefundenen arabischen Bücher — es
waren wohl 80000 — verbrennen ließ, schied er die Bücher medi-
zwischen und naturhistorischen Inhalts aus, die jetzt einen wertvollen
Teil der Bibliothek des Escorial ausmachen. Was für Förderung
verdankt ferner die abendländische Kulturwelt dem Arabertum in Be-
zug auf Erdkunde, Astronomie und mathematische Wissenschaft! Ziffer,
Algebra sind Wörter arabischen Ursprungs, ebenso Zenith und Nadir;
die /ueydlrj ovvxa^ig des Ptolemäus wurde in das Arabische über-
setzt, und in dieser Verkleidung wurde der Almagest der Brunnen,
aus dem Europa seine astronomische Kenntnis schöpfte. Die pyre-
näische Halbinsel war damals reich bevölkert; allein das Land süd-
lich vom Duero soll 25 — 30 Millionen beherbergt haben, und die
Araber brauchten das Sprichwort: wen Gott lieb hat, dem giebt er
sein Brot in Spanien zu essen. In noch älterer Zeit war Spanien
womöglich noch berühmter; es galt als das antike Mexiko und hatte
in der Römerzeit wohl 40 Millionen Bewohner. Die Gegend von
Sevilla hat den berühmten Kaiser Trajan erzeugt, und ebenso stammen
die Vorsahren des Hadrian daher. Im grauesten Altertum haben
endlich die Phönizier das Land Tarschisch ausgesucht, ^eben die Tief-
ebene des Guadalquivir, und sie fanden dort so viel Silber, daß sie
Anker und Schiffsgerätschasten aus diesem edlen Metalle verfertigt
haben sollen. Hört man diese Angaben, so muß man bekennen, daß
Spanien heutzutage einen bedenklichen Rückgang erlitten^ hat,^ es
zählt nur etwa 17 Millionen Einwohner, und das Land ist vielfach
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des Flusses in dieser Gegend russisch-normannische Ansiedler an, um
von der Beraubung der Flußschiffer zu leben. Später folgten
Kosaken. — Nach der rumänischen Grenze zu ist noch der Fluß
Dniestr zu erwähnen, der Tyras der Alten, der eine reifende Strö-
mung hat, so daß das Urteil des Ovid millo tardior amne Tyras
sich wohl nur aus das Mündungsgebiet beziehen kann. Der kurze
Laus der Newa endlich ist nicht allein durch seine merkantile Be-
deutung von Wichtigkeit, wie wir das weiter unten sehen werden,
sondern ganz Petersburg ist in einer noch nie dagewesenen Weise
von dem Wasser des Flusses abhängig. Da die Stadt auf Sumpf-
boden erbaut ist, liefert die Newa alles Wasser zum Kochen und —
Trinken, und es sind zwei sür die ganze Stadt wichtige Festtage,
wenn am 6. Januar unter feierlichen und religiösen Ceremonien die
Wasserweihe vollzogen wird, und wenn bei Frühlingsansang das Eis
des Flusses zu tauen ansängt und unter dem Donner der Kanonen
der Kaiser den ihm überbrachten Becher des Newawassers aus das
Wohl seiner Residenz leert.
Den Reichtum Rußlands und seine ganze Machtstellung bedingt
der Ural. Dies hat schon Ritter behauptet. Das etwa 2000 km
lange Gebirge ist das einzige größere in Europa, das genau in der
meridionalen Richtung verläuft, also eigentlich an die Streichungs-
linien der amerikanischen Gebirge erinnert. Seine geringe Erhebung
sichert ihm aber nicht einen so durchgreifenden Einfluß wie eben den
Höhenzügen der westlichen Hemisphäre; dennoch empfiehlt es sich recht
gut als Scheide zweier Erdteile. Die reichen Laubwälder Rußlands,
also Europas, finden sich nur aus seiner westlichen Seite, weder die
Eiche noch die Linde überschreiten seinen Kamm, und auf der asiatischen
Seite beginnen die unermeßlichen Tannenwälder und weiter südlich
die Steppenlandschasten Sibiriens. Die staunenswerte Bedeutung
des Gebirges liegt vor allem in seinen Mineralschätzen. Fast un-
erschöpslich sind die Eisensteinlager, so daß es 2/3 alles russischen
Eisens liefert und die Bergbeamten äußerten: wir könnten ägyptische
Pyramiden aus reinem Eisen bauen, wenn nur die Brennmaterialien
da wären. Peter der Große siedelte am Ural Schmiede aus Tula
an, beschenkte sie mit großen Waldflächen, und dieselben haben hier
kolossale Reichtümer erworben, wie die aus der Geschichte der Na-
poleoniden bekannten Demidoffs. Ebenso ansehnlich ist die Ausbeute
des Gebirges an Edelmetallen, worunter die Goldseisen am Ostfuß
des Urals besonders erwähnenswert sind. Das sonst selten gefundene
Platina wird hier in reichem Maße gewonnen. Rußland machte
sogar den gewagten Versuch, daraus Münzen prägen zu lassen; im
ganzen waren davon schließlich 10 Millionen Mark im Umlauf, sie
sind aber seit 1863 wieder eingezogen. Da Platin als Edelmetall
nicht rostet, sindet es bei subtilen Wägungen als Gewicht seine Ver-
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Extrahierte Ortsnamen: Petersburg Europa Europas Sibiriens Tula Goldseisen
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in gewissem Sinne Englands und Irlands Wohlthäter genannt
werden kann, bringt leider viel Regen und Redet mit sich. Am
übelsten in dieser Hinsicht ist Irland daran, das ja allerdings dem
durch diese häusigen Niederschläge geförderten Graswuchs den Namen
des Emerald-Island i Smaragdinsel) verdankt. Während im mittleren
Deutschland nur etwa 155 Regentage gezählt werden, steigert sich
deren Zahl in: westlichen England aus 200 und an der Westküste
Irlands auf 250. Als daher der an der Küste Irlands Hinsahrende
Passagier verzweifelt den Kapitän fragte: Regnet es denn hier in
Irland immer? antwortete dieser gleichmütig: Nun, manchmal schneit
es auch. Valentia hat einen Januar wie Florenz, dafür aber einen
Juli wie Archangel. Berüchtigt ist in England das Vorherrschen
kalter Winde im Frühjahre, und die häusigen und heftigen Stürme
werden als eine besondere Schattenseite des britischen Klimas hervor-
gehoben. Ich spreche aber hier nicht allein von dieser physikalischen
Beeinträchtigung des agrarischen Kulturzustandes, viel einschneidender
sind gewisse sociale Mißstände. England und Schottland, von Jr-
land vorläufig ganz zu geschweigen, geht es eigentlich wie Italien zur
Zeit der Gracchen. Auch hier könnte der römische Volkstribun den
bedauerlichen Rückgang des Bauernstandes mit bitterem Schmerze
wahrnehmen. Statt des normalen Zustaudes kleinerer und behag-
licher Bauernwirtschasten sind hier, ganz wie in dem alten Italien,
die Latifundien an ihre Stelle getreten, so daß etwa 2000 Latifundien-
Herren die Hälfte des englischen Bodens ihr eigen nennen und in
Schottland 600 Herren 4/5 des Landes besitzen. In Sutherland
Eounty gebietet ein Magnat sogar über 86^ ^M. Die Pächter,
denen nur kürzere Zeiträume zur Pachtung zugestanden werden,
haben darum kein sonderliches Interesse, die Bodenwirtschaft rationell
zu heben, und die „fportliebeuden Magnaten lassen absichtlich weite
Flächen ihrer Besitzungen wüst liegen, um daraus gelegentlich große
Jagden abzuhalten". Die Parallele mit dem alten Rom kann aber
noch weiter geführt werden. Die Folge ist, daß von der Einwohner-
zahl immer ein Drittel in seinem Brotbedars abhängig vom Auslande
ist. Das sind wirtschaftlich sehr ungünstige Verhältnisse.
Ein zweiter Vorzug, aus den die Briten seit je stolz gewesen
sind, beruht aus der Annahme, daß sie politisch ein freiheitliches Volk
sind. Mit Emphase wird in dem berühmten Nationalliede in jedem
Refrain gesungen: Britons never shall be slaves ibriten werden
nimmer Sklaven sein), d. h. also nach außen und nach innen hin
dulden die Briten keine Gewalt und Tyrannei. Was die Knechtung
von außen her betrifft, so haben wir schon oben entwickelt, daß dem
wunderbaren Jnselreiche ja nur mit einer Flotte beizukommen ist und
daß selbst ein Napoleon I. sich nur beglückwünschen konnte, als
er 1805 seine zur Landung in England in Boulogne zusammen-
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Extrahierte Personennamen: Napoleon_I.
Extrahierte Ortsnamen: Englands Irlands Irland Deutschland England Westküste
Irlands Irland Florenz England England Schottland Italien Italien Schottland Sutherland
Eounty England Boulogne