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In vertrauten Kreisen erschien Katharina mild und liebenswürdig,
den Gesandten fremder Höfe und den Dienern ihrer Macht zeigte sie
sich als Herrin. Mitten unter der Größe und den Genüssen orientali-
scher Machtfülle wünschte sie auch als eine Freundin der Philosophie
und der Freiheit gepriesen zu werden. Sie entwarf eine Instruction zu
einem Gesetzbuch, in welchem die Gedanken und Ansichten der da-
mals gefeierten Schriftsteller mit Wärme dargestellt waren. Zur Bera-
thung des Gesetzbuches berief sie (1767) aus dem weiten Umfange ihres
Reiches Abgeordnete nach Moskau. Adel und Städte, Freibauern
und Reichsbauern, alle Völkerschaften des Reiches, Getaufte und Unge-
taufte, sandten Stellvertreter, die ein buntes Gemisch bildeten. Die
Sitzungen wurden mit großer Feierlichkeit eröffnet; aber es zeigte sich
bald, daß durch eine Vereinigung ganz verschiedenartiger, unvorbereiteter
und höchstens der Angelegenheiten ihres Bezirks kundiger Menschen kein
für das Gesammtwohl des großen Reiches ersprießliches Ergebniß zu ge-
winnen war. Katharina beschloß daher, eine von ihr allein ausgehende
Gesetzgebung zu entwerfen und that dieses mit den Erfahrungen ihres
praktischen Verstandes. Zunächst war sie auf Einrichtung einer geordne-
ten Verwaltung bedacht und erreichte durch eine neue Einrichtung
der Statthalterschaften eine bessere Gliederung des Reiches. Die
Gerichte wurden verbessert und Bedrückungen möglichst verhütet. Es
entstanden neue Städte, in welchen, als den Sitzen der Behörden,
sich Verkehr, Reichthum und Thätigkeit steigerte. Katharina ertheilte
zwar dem Adel durch einen kaiserlichen Freibrief eine neue Bestätigung
seiner Vorrechte, aber sie machte auch eine neue Städte-Ordnung
bekannt. Durch diese sollte ein Mittelstand mit staatsbürgerlichem Leben
und bestimmter Stellung in der Gesellschaft gegründet werden. Auch
die vielen neuen Ansiedler, welche Katharina ins Reich rief, ver-
mehrten auf dem Lande und in den Städten die Zahl der freien Leute.
Viele wohlthätige Anstalten, z. B. das große Findelhaus in Mos-
kau, wurden gegründet.
Die Erziehung und Bildung ihres Volkes machte Katha-
rina zu einem vorzüglichen Gegenstände ihrer Sorge. Peter I. hatte
durch Anstalten für die kriegerische Bildung gesorgt, und Katharina ver-
vollkommnete, was vorhanden war, und errichtere neue Anstalten. Aber
sie faßte die Aufgabe von einem allgemeineren Gesichtspunkte; sie errich-
tete eine Erziehungs-Commission, welche Unterrichtsweisen ange-
den, Anstalten zur Bildung von Lehrern und vorzüglich Normalschulen
anlegen sollte. Die Bearbeitung der russischen Sprache vertraute Katha-
rina, dem Beispiele Frankreichs folgend, einer Akademie, die ein Wör-
terbuch herausgab. Um die geistigen Erzeugniffe des Auslandes und des
Alterthums den Russen zugänglich zu machen, machte sie selbst Ueber-
setz ungen derselben und ordnete eine Uebersetzungs-Com Mission
an. Sie beförderte die Versuche der einheimischen Literatur und schrieb
selbst in russischer Sprache für die russische Bühne Schauspiele. Der
Akademie der Wissenschaften, deren Mitglieder meistens Auslän-
der waren, gab sie eine Beziehung auf ihr Reich, indem sie viele Mit-
glieder derselben in die Provinzen schickte, um die Schätze der Natur, oder
die Spuren alter Zeiten, oder die Sitten und die Bildung der verschie-
denen Völkerschaften zu erforschen. Die Akademie der Künste wurde
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T78: [Polen Rußland Preußen Land Orden Russe Stadt Reich Warschau Weichsel], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
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730
Stiftung Gleichzeitig mit dem Papstthum ward auch die Eidgenossen-
emer^clveti- bet Schweizer zertrümmert. In den Freistaaten der Schweiz
Republik, hatten sich mancherlei Verfaffungsformen gebildet, die alle einander darin
ähnlich waren, daß die obrigkeitliche Gewalt nicht der lasse aller ein-
zelnen Bewohner zustand, sondern nur einer bald größeren, bald gerin-
geren Zahl von erblich angesessenen Bürgern. Selbst die kleineren Kan-
tone, die für wahre Demokratien galten, weil alle ins Bürgerrecht auf-
genommene Haukväter zur Landsgemeinde gerufen wurden, hatten doch
auch Schutzverwandte und Dienstleute, die das Bürgerrecht nicht besaßen,
sowie unterthänige Ortschaften und Landvogteien, über welche die Ge-
meinde Herrschaftsrechte ausübte. In den größeren Kantonen gemischter
oder ganz aristokratischer Verfassung trat die oligarchische Richtung noch
mehr hervor. In Bern, dem größten der verbündeten Kantone, waren
die sämmtlichen Einwohner deß Landgebietes Unterthanen der Haupt-
stadt, aber unter den Bürgern der letzteren hatten nur etwa drittehalb
hundert Familien das Recht, in den Rath erwählt werden zu können;
die Zahl derer aber, auf welche sich die Wahl zu beschränken pflegte,
belief sich 1785 auf neun und sechzig Familien. Das Stadtadelsregi-
ment bot manche schöne Seiten dar, und die väterliche Regierung der
gnädigen Herrn von Bern konnte für musterhaft gelten. Doch machten
sich auch manche Gebrechen bemerkbar, wie in der regimentßfähigen
Bürgerschaft ein dein Adelstölze ähnlicher Dünkel und dagegen in den
von der Regierung ausgeschlossenen Klassen ein Geist der Unzufriedenheit
und des Mißmuths, der in dem bestehenden Verhältnisse der Regierenden
und der Regierten die entschiedenste Ungerechtigkeit sah. Am ungünstig-
sten war die Stimmung in dem wälschen Theile des becner Gebiets, in
der 1536 dem Herzoge von Savoien entrissenen Landschaft Waat. Die
Bewohner, den Franzosen durch Sprache und Denkweise verwandt, be-
gannen zu Anfange der Revolution ihre Ausschließung vom Staats-
regiment als einen Zustand arger Unterdrückung zu betrachten, und wur-
den revolutionären Entwürfen und Grundsätzen geneigt. Die Patrioten
des Waatlandes richteten Vorstellungen an den Senat zu Bern und
baten, der Provinz die Rechte zu gewähren, die ihr bei dem Regierungs-
wechsel zugesichert worden waren. Die Weigerung veranlaßte Unruhen,
in deren Folge mehrere der Bittsteller auswanderten und über einige die
Acht ausgesprochen ward. Ausgewanderte Waatländer wandten sich an
daß Direktorium, und dieses nahm das Hülfegesuch freundlich auf. So-
bald ein kleines französisches Heer an der Grenze erschien, stand das
Waatland auf und sagte sich von dem Rathe zu Bern los. Der regie-
rende Rath wurde durch Furcht gelähmt und meinte durch Unterhand-
lungen das Vaterland retten zu können. Der Anführer der bernischen
im Waatlande stehenden Kriegsmacht, Oberst Weiß, wurde auf ein un-
bedingt friedliches Verhalten angewiesen. Ebenso herrschte Unentschlos-
senheit auf der Tagsatzung, welche nach Aarau ausgeschrieben war, um
über die von der Gesammtheit zu stellende Hülfe zu rathschlagen. Zu
dem Mangel kräftiger Einheit, der den erschlafften Bund der Eidgenos-
sen 'zum Widerstande gegen einen auswärtigen Feind ungeschickt machte,
kam noch die in den Kantonen herrschende politische Gehrung, die von
dem französischen Geschäftsträger zu Basel, Mengaud, durch alle
Künste des Jakobinismus genährt wurde. Ueberall gab es Schweizer,
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T44: [Alpen See Stadt Schweiz Italien Meer Berg Insel Fuß Inn], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Mengaud
Extrahierte Ortsnamen: Schweiz
Republik Bern Bern Basel
781
die eine Veränderung der alten Verfassungen entweder aus Eigennutz
wünschten oder dieselbe für unvermeidlich hielten. In Lau 1 an ne ver-
einigten sich die Revolutionsfreunde zu einer Generalversammlung des
waatländischen Volkes und steckten eine Fabne auf mit der Aufschrift:
Lemanische Republik. In Basel brach eine Revolution aus; das
bisher dem Rathe und der Bürgerschaft unterthänige Landvolk zog in
die Stadt, schaffte die Stadtverfaffung ab und rief eine neue demokrati-
sche aus. Die Regierung von Bern entschloß sich, um ähnlichen Auf-
tritten zuvorzukommen, allen ihren Mitbürgern, ohne Unterschied der
Geburt und des Wobnorts, gleiche Rechte einzuräumen. Luzern, Frei-
burg, Solothurn und Schaff Hausen kündigten durch Bekannt-
machungen gleiche Vorsätze an.
Die Unentschlossenheit wirkte auch auf die Kciegsoperationen. Das
Heer der Schweizer war anfangs dem französischen überlegen, aber die
Schweizer ließen sich durch trügerische Unterhandlungen so lange hin-
halten, bis der französische Feldherr Brune durch die Ankunft neuer
Truppen unter Schauenburg verstärkt war. Nun nahmen die Fran-
zosen Solothurn und Freiburg mit Slurm und« drangen gegen
Bern vor. Zwar wurde von mehreren bernischen Heerhaufen tapfer
gefochten, aber die Franzosen gelangten bis vor die Thore von Bern,
und die Regierung suchte nun durch eine Kapitulation Leben und Eigen-
thum der Bewohner zu retten. Die Schweizertruppen zerstreuten sich
jetzt, fielen aber vorher über ihre Anführer her und tödteten mehrere,
weil sie glaubten, daß ihre Niederlage nur das Werk der Vecrätherei
sein könne.
Die Franzosen bemächtigten sich zunächst in Bern des Schatzes und
des Zeughauses; dann dehnten sie das Plünderungssystem auch auf an-
dere Kantone aus. Die schweizerische Eidgenoffenschaft wurde für eine
untheilbare helvetische Republik erklärt und ihr die Einführung
einer Verfassung nach französischem Zuschnitt anbefohlen. Das Land
wurde mit dem Unterhalte und der Bekleidung der französischen Armee
belastet, mit starken Schatzungen belegt und die Arsenale, Magazine
und die Staatskassen ausgeplündert. Zu Aarau versammelten sich die
Abgeordneten von zehn Kantonen, und am 27. April 1798 wurde ein
helvetisches Direktorium eingeführt. Aber die kleinen demokrati-
schen Kantone, Schwytz, Uri, Appenzell, Glarus, Zug und Untermal-
den, wollten von der neuen Verfassung nichts wissen, und auch die Be-
wohner neuer Kantone, wie Thurgau und St. Gallen, theilten die Ab-
neigung gegen die neue Verfassung. Es kam zu mehreren blutigen Tref-
fen, am Zürcher See und in den benachbarten Thälern, zum Theil an
den Stellen früherer Freiheitßkämpfe, bei Morgarten, Küßnacht, Rap-
perswyl und anderen, und die Enkel der alten Eidgenossen bewiesen,
daß die alte Schweizerkraft noch nicht erloschen war. Aber endlich muß.
ten die Schweizer doch die neue Verfassung annehmen.
Der republikanische Haushalt kostete noch mehr als der monarchi- gsks
lche, und das Direktorium juchte deßhalb durch Unterjochungß- und Paris zurück
Plünderungskriege außerordentliche Zuschüsse zu erhalten, um das Miß- nwgypttn
Verhältniß der .Einkünfte gegen die Ausgaben zu decken. Auch bemühte
es sich durch äußere politische Größe die innere Gebrechlichkeit zu ver-
TM Hauptwörter (50): [T44: [Alpen See Stadt Schweiz Italien Meer Berg Insel Fuß Inn], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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TM Hauptwörter (200): [T68: [Schweiz Zürich Kanton Bern See Stadt Genf Basel Schweizer Schwyz], T98: [König Jahr Mitglied Verfassung Regierung Republik Präsident Kammer Gewalt Staat], T156: [Schlacht Sieg Feind Heer König Mann Kampf Tag Tapferkeit Franzose], T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
15
ihre Gesänge und dachten mit Scheu und Ehrfurcht an die geheim-
nißvolle Macht dieser Jungfrauen. Ein anderes Orakel befand sich
auf einer dem Volke der Nanneten (Nantes) gehörenden und in der
Mündung der Loire liegenden Insel, welche kein männlicher Fuß
betreten durfte. Diese Priesterinnen waren verpflichtet, zu gewissen
Zeiten das Dach ihres Tempels zu zerstören und es dann in einer
Nacht wieder aufzubauen. Wenn eine derselben von den Materia-
lien etwas fallen ließ, so wurde sie, wie man erzählte, von ihren
Gefährtinnen auf der Stelle zerrissen. Diese Priesterinnen waren
verheirathet und besuchten einige Male im Jahre ihre Männer,
welche auf dem der Insel gegenüber liegenden Lande wohnten, ver-
ließen sie aber wieder vor Tages Anbruch. Die Inseln an der
Küste von Armorika waren bei den Alten wegen der magischen
Künste der Druiden berühmt. Auf manchen derselben hörten die
Schifffahrer zu gewissen Zeilen lärmende Gesänge und Klänge der
Cymbeln. Als der römische Feldherr Paulinus Suetonius die brit-
tische Insel Mona (Anglesea) angriff, standen Druiden am Ufer
und sprachen mit aufgehobenen Händen Verwünschungen gegen die
Römer aus, während Druidinnen in Trauerkleidern, mit aufgelöstem
Haar, brennende Fackeln schwangen. Die Druiden waren beson-
ders wegen ihrer Weissagungen berühmt, der Vorstellung der Kel-
ten und Germanen gemäß, die der weiblichen Natur und besonders
der jungfräulichen ein tieferes Gefühl für das Leben des Alls und
somit einen Blick in die Zukunft zuschrieben. Bei den Kelten gal-
ten jedoch die Frauen weniger als bei den Germanen, und es ist
keine Spur vorhanden, daß eine Druidin eine Bedeutung erlangt
hat, wie Aurinia, Velcda und andere bei den alten Deutschen.
In naher Verbindung mit den Druiden standen die Barden
oder Sänger. Sie hatten nicht nur die Lehren der Druiden in
Verse gebracht, sondern dichteten auch von der Abstammung der
Fürsten, und neben der didaktischen und epischen Poesie fehlten auch
lyrische Lieder nicht. Die Barden bedienten sich bei ihren Vorträ-
gen eines Instrumentes, welches im Kimrischen Kruit, irisch Cro-
tha, deutsch Grota oder Rota genannt wird. Das Instrument war
einer Violine ähnlich, nur etwas größer und hatte sechs Saiten,
von denen vier mit dem Bogen gestrichen wurden. Wälsche und
Irländer oder Schotten waren die Meister der Harfe und Rota im
ganzen Mittelalter.
Die Religion der Kelten war Naturreligion. Die Gallier ver- Diereilgivn.
ehrten in dem Gotte Teutates die schaffende Kraft der Natur.
Teutates hieß im Galischen Vater des Volkes, und dieser Gott
wurde als Stammvater des keltischen oder gallischen Völkerzweiges
gedacht. Wenn Cäsar berichtet, daß die Gallier von dem Dis pater
abzustammen behauptet hätten, so ist sein Irrthum daher entstan-
den, daß im Galischen Di Gott hieß und er diesen Namen für den
Dis pater genommen hat. Die Gallier dachten in dem Teutates
sehr mannigfaltige Begriffe vereinigt, welche später als besondere
Aeußerungen seiner Macht getrennt und als besondere Götter auf-
gefaßt wurden. Teutates war der Stifter des bürgerlichen Lebens,
des Handels, der Wissenschaften und Künste und wird von Cäsar
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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32
%t!mnbetb Die Germanen find neben den Griechen und Römern der wich-
Gcrmanen. tigste Zweig des indogermanischen Völkerstammes. Wie für die
alte Geschichte der griechisch-lateinische Völkerzweig der wichtigste
ist, so ist es für die mittlere und neuere Geschichte der germanische.
Der germanische Völkerzweig ist wahrscheinlich zunächst nach dem
keltischen aus Asien in-Europa eingewandert. Der Name Germa-
nen kann seiner Ableitung und Wortbedeutung nach nicht mit Zu-
verlässigkeit erklärt werden. Einige Gelehrte haben ihn mit den
alten deutschen Namen Erman, Hermann, Jrman und Jrmin in
Verbindung gebracht; > andere sind der Meinung, daß derselbe kein
einheimischer Name gewesen, sondern von den Kelten den Deut-
schen beigelegt worden sei und nach der einen Ansicht Bewohner
rauher Waldgebirge, nach einer anderen Schreier oder tapfere Kriegs-
männer bedeute. Die Ableitungen von dem lateinischen Worte ger-
manus, welches Bruder bedeutet, von dem altdeutschen Worte Ger
d. i. Speer, und von Wehre sind längst verworfen. Der Name
Suevi, besser Suebi, ist die Bezeichnung der Völker der alten un-
steten (schwebenden) Lebensweise. Bei Tacitus umfaßt der Name
Suevi die östlichen Völker und an diesen vorzüglich schildert Strabo
die alte Sitte. Der Mittelpunkt des Suevenstaates lag bei den
Semnonen, wo die suevischen Völker in grauser Feier ihre Verbin-
dung erneuerten. Später haben einzelne Völker die alten Gesammt-
namen zu ihrer besonderen Bezeichnung gewählt. Ueber die Her-
leitung des seit dem neunten Jahrhundert aufgenommenen Namens
Deutsche sind die Gelehrten nicht einig. Nach der einen Ansicht
soll er von dem altdeutschen Worte Diutan d. i. deuten, verständ-
lich machen, nach der anderen von dem gothischen Worte Thiuda
d. i. Volk herzuleiten sein. Nach der ersteren Ableitung würden
Deutsche diejenigen, welche dieselbe Sprache sprechen, nach der zwei-
ten Leute desselben Volkes bezeichnen. Die Germanen waren in eine
mannigfache Reihe von Völkerschaften verzweigt, deren Entstehung vor
alle Geschichte fällt; aber trotz aller Zersplitterung und trotz aller Stam-
mesunterschiede machten diese Glieder doch auf die Fremden den Ein-
druck des Zusammengehörens zu einem großen Ganzen, zu einer nach
außen hin abgegrenzten Nationalität. Auch bei den Germanen selbst ist
vom Anfange an ein gewisses Bewußtsein der Nationalität, wenn auch
mehr in der Absonderung von dem Fremden als in festem Anschlie-
ßen an den Volksgenossen sichtbar, vorhanden gewesen.
Die Zweige Nach Tacitus feierten die Germanen in alten Liedern als ihre
der er Stammväter den aus der Erde entsprossenen Gott Tuisco und
Germanen, Sohn Mannus, von dessen drei Söhnen die drei Volks-
stämme der Jngävonen, Jstävonen und Herminonen ent-
sprossen wären. Tuisco oder Tiuseo bedeutet Gott, oberster Gott,
unter welchem sie sich wohl den Allvater Wodan oder Odin dach-
ten. Mann aber ist der Mensch, der erste Mensch, und die Eigen-
namen der Jngävonen, Jstävonen und Herminonen bedeuten die
Edlen, Vornehmen, Starken. Die Jngävonen wohnen im Tief-
lande längs der Küste: die Herminonen find im Oberlande aus-
gebreitet, die Jstävonen aber im Osten. Aber auch in Skandi-
navien waren Germanen, die Hillevionen d. h. Bewohner des
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Hermann Schreier Strabo
62
Wichte und
Elbe.
mit den Männern; das Geschäft und die Bestimmung der Halb-
göttinnen ist, daß sie den obern Göttern dienen und den Men-
schen deren Willen verkündigen. Das Amt der Halbgöttinnen ist
bedeutsamer und von tieferem Einfluß auf das Leben und Treiben
der Menschen als die Thaten der Helden; ihr Ansehen und ihr
Kultus ist größer als die Verehrung der Heroen. Von jeher wurde
bei den Deutschen die Frau mit Achtung und Ehrfurcht behandelt;
die Deutschen glaubten, daß den Frauen etwas Göttliches und Vor-
ahnendes inwohne, daß Zauber und Weissagung besonders ihre
Gaben seien. Dies galt nun in besonders hohem Grade von den
halbgöttlichen Frauen, welche daher kluge, weise Frauen hie-
ßen. Unter diesen stehen obenan die drei Schicksalsgöttinnen, die
Moiren der Griechen, die Parzen der Römer, unsere Norni:
Wurt, Werdandi und Skuld, das Gewordene, das Werdende,
das Werdensollende, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wurt,
die Vergangenheit, war von Herzen gütig und durch ihr Alter ehr-
würdig ; sie wurde vorzugsweise verehrt und war gleichsam die
Vorsteherin der drei Nornen. Ganz das Gegentheil von ihr war
die jüngste, Skuld; jugendlich rasch naht sie heran und im Nahen
verschwindet sie schon wieder, ihrer zweiten Schwester Platz zu
machen. Ihrer ewigen Beweglichkeit ist die Ruhe der älteren Schwe-
ster verhaßt; was sie im Schilde führt, weiß Niemand.
Die Walküren, die göttlichen Botinnen Allvaters, waren
es, welche den Wal (die Erschlagenen auf dem Schlachtfelde) kü-
ren, kiesen, holen, in Empfang nehmen und die Helden in die
göttliche Wohnung Wuotans tragen. Von diesem Walten in der
Schlacht heißen sie auch Schlachtmädchen, und weil sie gerüstet mit
Schild und Helm ausziehen, Schildjungfrauen, Helmjungfrauen.
Sie sind die Schutzgeister der Helden. Wie die Nornen, so spin-
nen und weben auch die ihnen verwandten Walküren, und zwar
nicht nur die Geschicke der Schlacht, sondern sie spinnen auch am
Seestrande fitzend köstlichen Flachs. Dann ziehen sie Schwanhemden
an. Oft finden die Helden sie auch, wann sie sich in der kühlen
Fluth baden, nehmen das am Ufer liegende Schwangewand und
bringen dadurch die Jungfrauen in ihre Gewalt. Die Seen, an
welchen die Schwanjungfrauen erscheinen, liegen meist in
den tiefen, geheimen Schatten eines Waldes und deshalb heißen
die Jungfrauen auch Waldfrauen, Waldminnen, Meer-
minnen.
Von den Halbgöttern unterscheidet sich eine ganze Reihe von
Wesen hauptsächlich dadurch, daß sie nicht wie jene von den Men-
schen ausgehen, sondern gleichsam ein Reich für sich bilden und nur
durch Zufall oder Drang der Umstände bewogen werden, mit Men-
schen zu verkehren. Sie besitzen die Kraft den Menschen zu schaden
und zu helfen, scheuen sich aber vor ihm, weil sie ihm leiblich nicht
gewachsen sind. Entweder find sie weit unter menschlicher Größe
oder ungestalt. Die weiblichen Wesen erscheinen edler und gleichen
den Göttinnen und weisen Frauen; die männlichen Geister scheiden
sich bestimmter ab von Göttern wie von Helden. Die Namen dieser
Wesen find Wichte, Elbe oder Elben, und es giebt weiße,
TM Hauptwörter (50): [T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T22: [Gott Zeus Sohn Tempel Göttin König Held Mensch Opfer Erde], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend]]
TM Hauptwörter (200): [T120: [Gott Göttin Zeus Tempel Sohn Gottheit Priester Erde Mensch Opfer], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod], T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung]]
72
Zauberei und
Weissagung.
Leben, wie auf der Erde, nur daß alles viel schöner und herrlicher
erscheint, alles ist aus Gold gemacht, wenn es gleich den blöden
Augen der Sterblichen nicht darnach aussieht. An der Spitze der
in solchen Bergen wohnenden Helden stehen die alten Fürsten und
Könige wie z. B. Siegfried und Dietrich von Bern und aus spä-
terer, christlicher Zeit Karl der Große, Otto der Große und Fried-
rich Barbarossa. Fast alle, denen es vergönnt war, die alten Kaiser
zu schauen, fanden sie schlafend. Mitunter erwacht der Kaiser und
fragt den Eintretenden, ob die Raben noch um den Berg flögen?
Auf die Bejahung der Frage erwiedert er: So muß ich hundert
Jahre länger schlafen. Auch Sagen von Frauen und Jungfrauen,
die in Berge verwünscht sind, werden fast auf allen deutschen Ber-
gen, die eine Burg tragen, erzählt. Diese verwünschten Frauen
und Jungfrauen sind schneeweiß gekleidet und tragen in der Hand
oder am Gürtel ein Bund Schlüssel, oft auch einen Strauß weißer
oder blauer Blumen. Sie erscheinen am liebsten Schäfern und Hir-
tenknaben, die ihre Heerden in der Nähe der Burgen weiden. Mit
wem sie zusammentreffen, den beschenken sie mit scheinbar werthlosen
Dingen, die sich bei näherem Zusehen in Gold verwandeln. Alle
Verwünschten sehnen sich nach Erlösung. Mit dem in die Berghöhle
entrückten Helden ist meistens ein ungeheurer Hort (Schatz) versenkt,
den Schlangen, Drachen oder abscheuliche Hunde hüten. Eine Blume,
die Springwurzel oder die Wünschelruthe bringt in den Besitz des
Schatzes, sie sprengt die Wände der Berge, sie ist der Schlüssel
zum Schatz.
Aus den heiligsten Geschäften, Gottesdienst und Dichtkunst,
muß der Ursprung der Zauberei hergeleitet werden. Priester und
Dichter, Vertraute der Götter und göttlicher Eingebung theilhaft,
grenzen an Weissager und Zauberer. Neben dem Götterkultus stand
finstere Zauberei. Der Zauber wurde im Alterthum von Männern
wie von Frauen geübt, jedoch vorzugsweise den letzteren zugeschrie-
den. Daher kam es, daß die Hexerei d. i. die alte Zauberkunst
meist von Frauen getrieben wurde. Der Zauberer hat das Vermö-
gen sich unsichtbar zu machen oder in Thiergestalten zu schlüpfen.
Zauberer verwandeln sich in Wölfe, Zauberinnen in Katzen; die letz-
teren nehmen auch Vogelgestalt an, gewöhnlich die der Gans d. i.
des Schwans.
Von jeher hat der Mensch den Schleier zu lüften gesucht, den
Zeit und Raum über seine wichtigsten Angelegenheiten geworfen
haben. Durch Anwendung geheimer Mittel glaubt er Auskunft zu
erlangen. Erlaubte und unerlaubte Weissagungen waren von
jeher ein Geschäft des Priesters und des Zauberers. Die priesterliche,
heilige Weissagung scheint, wie der Priesterstand selbst, in gewissen
Geschlechtern fortgeerbt worden zu sein. Auch konnte jemand die
Gabe der Weissagung dadurch erlangen, daß er dem, welcher sie
besaß, auf den rechten Fuß trat und über die linke Schulter schaute.
Auch die Glückskinder, die mit der Glückshaube, mit einer Haut
um den Kopf, geboren waren, sahen Geister. Zur Erforschung des
Geschehenen dienten in den Gerichtsverhandlungen die Gottesurtheile,
bei denen der Angeschuldigte selbst den Ritus vornehmen mußte.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T22: [Gott Zeus Sohn Tempel Göttin König Held Mensch Opfer Erde], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau]]
TM Hauptwörter (200): [T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod], T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz], T120: [Gott Göttin Zeus Tempel Sohn Gottheit Priester Erde Mensch Opfer]]
Extrahierte Personennamen: Siegfried Siegfried Karl_der_Große Karl Otto Barbarossa Barbarossa
97
werden windische Kaufleute, welche des Handels wegen die Ostsee
befuhren, erwähnt. Frühzeitig wurden auch slawische Handelsstädte
gegründet. Alle bedeutenderen Städte in Rußland, Polen und
Pommern blühten bereits vor der Einführung des Christenthums;
ihr Ursprung scheint in die ältesten Zeiten hinaufzureichen. Tiefe
Städte waren der Natur des ebenen waldigen Landes gemäß von
Holz. Auch in mancherlei Gewerben, z. B. im Schmieden und
Zimmern, im Häuser- und Schiffsbau, in der Gerberei, in Ric-
merarbeiten und im Bergbau waren die Slawen wohlbewandert.
Schon im sechsten Jahrhundert wurden sie nicht nur von Awaren,
sondern auch von den Griechen als Schiffsbaumcistcr gebraucht.
Daß später, im zehnten und elften Jahrhundert, Handel und Ge-
werbe bei den Slawen fast gänzlich verschwanden, daß ihre Städte
sanken, und Rohheit und Trägheit unter ihnen einriffen, davon ist
die Schuld mehr den gräulichen Unterdrückungen von außen her,
als dem Ermatten des gewerbfleißigen Sinnes der -Slawen selbst
beizumessen.
Die Slawen waren in viele kleine Gemeinden gespalten und Die Staats
vermochten nicht sich zu einer höheren politischen Ansicht zu erhe- ml)slltmist
den; sie vereinigten sich nicht zu gleichen Plänen, um mit Hintan-
setzung aller persönlichen Leidenschaften das Vaterland zu fördern
und den Eingriffen der Fremden zu wehren. Dieser Fehler ist die
Ursache, daß die Slawen, obgleich ein großes, starkes und ausge-
breitetes Volk, schon seit der frühesten Zeit leicht andern Völkern
unterlagen, daß sie wegen inneren Haders lieber fremde Fürsten
wählten, als daß sie einheimischen Zwist bei Seite setzend einander
untergeben waren. Die Staatsangelegenheiten wurden durch das
Volk selbst entschieden; in der Familie herrschte unumschränkt das
Familienoberhaupt. Die in den allgemeinen Volksversammlungen er-
wählten Häuptlinge, Lechen, Pane, Wladyken, Zupane, Bojaren,
Knesen u. s. w. genannt, leiteten die allgemeinen Angelegenheiten,
als den Kultus, die Staatsverwaltung, das Recht, die Gerichte, den
Handel und Wandel, sowie Krieg und Frieden. Die Gesetze wurden
theils mündlich vom Vater auf den Sohn vererbt, theils von den Prie-
stern auf Tafeln geschrieben. Alle Slawen waren ursprünglich gleich
frei und gleich berechtigt, einander vollkommen gleich; doch scheint ein
Unterschied des Standes und der Erblichkeit der höchsten Wurden, aber
mit Beibehaltung der Volksherrschaft, bei einigen Stämmen, na-
mentlich den Nachbarn der Deutschen, schon ziemlich früh Eingang
gefunden zu haben. Leibeigenschaft und Sklaverei waren den Sla-
wen völlig fremd. Alle Slawen, vom obersten Häuptling bis zum
geringsten Slawen herab, genossen in ihrem Vaterlande gleiche Frei-
heit. Auch dann noch, als ein Abel sich gebildet hatte, blieben die
Nichtadeligen frei, obwohl durch die Entstehung des Adels die
Verhältnisse der Nichtadeligen nach und nach große Veränderungen
erlitten. Leibeigenschaft und Sklaverei kam zu den nördlichen Sla-
wen erst durch die Deutschen, zu den südlichen durch die Griechen.
Unter die ältesten slawischen Satzungen gehört diese, daß jeder ge-
fangene Slawen, in wessen Gewalt er sich auch befand, sofort frei
ward, sobald er slawisches Land betrat; niemand hatte dann mehr
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TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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und daran nahmen die Römer wie die Germanen Antheil. Für
die Römer bestanden aber noch eine Zeitlang einige ihrer städtischen
Einrichtungen fort, die Curie mit dem Defensor zur Aufnahme und
Eintragung von Testamenten, Schenkungen und ähnlichen Acten.
Dagegen findet sich keine Spur von einer besonderen Gerichtsbar-
keit dieser Magistrate, von einer eigenen von dem Staate aner-
kannten Gemeindeverbindung der Stadtbewohner, überhaupt von
einer selbständigen Stellung der Städte innerhalb des Reiches.
Mehrere Stadtgebiete oder Gaue waren zu einer Landschaft ®ie
oder Provinz vereinigt und über diese ein Herzog gesetzt, zunächst
zum Oberbefehl über das Kriegswesen der Landschaft und alles was
mit der Landesvertheidigung zusammenhing, dann aber auch zur Auf-
sicht über die bürgerliche Verwaltung und die Rechtspstege. Dem
Herzoge waren die Grafen untergeordnet. Wo die Einsetzung der
Herzöge zur Regel geworden war, blieb dem Grafen die Leitung
der Gerichte, wenn auch dem Herzoge eine gerichtliche Gewalt nicht
fehlen konnte. Der Herzog hatte theils eine allgemein aufsehende,
für die Interessen des Landes sorgende, den Einzelnen schützende
für wichtigere Geschäfte bestimmte höhere Gewalt, theils die beson-
dere Stellung als oberster Befehlshaber. Die letzte überwog fort-
während, und sie gab am Ende auch den Anlaß, daß regelmäßig
in allen Provinzen des Reichs Herzöge eingesetzt wurden. Der Um-
fang ihres Gebietes war sehr verschieden, bald drei bis vier Gaue,
bald mehrere bis zu zwölf. Dabei wurde häufig auf landschaftliche
Verbindungen Rücksicht genommen, die sich aus früherer Zeit er-
halten oder erst gebildet hatten. Auf deutschem Boden waren es
die Landschaften der einzelnen größeren Stämme, welche der Ge-
walt eines Herzogs untergeordnet wurden. Aber eben hier hat das
Amt der Herzöge bald den Charakter einer mehr selbständigen Herr-
schergewalt angenommen. Sie wurden dem fränkischen Könige ge-
genüber die Vertreter der einzelnen Stämme, die Repräsentanten
ihrer volksthümlichen Verschiedenheit innerhalb der Einheit des Rei-
ches; sie gewannen nach unten an Macht und Einfluß, nach oben
an Unabhängigkeit, und wurden so die Träger einer Entwickelung,
bte für den späteren Zustand des fränkischen Reiches und seiner
Verfassung höchst bedeutungsvoll werden sollte.
Die Stätte für die eigene Bewegung des Volkes war die Ver- Dasgcnchts-
sammlung der Hundertschaft. Außerdem kamen gewiß auch die irf,en
Dorfgenossen zusammen und beriethen in ihren Angelegenheiten; von
Dorfgerichten ist aber nicht die Rede. Die grundbesitzenden Ge-
meindeglieder bildeten die Versammlung der Hundertschaft; sie wa-
ren die Urtheiler, welche das Recht nach alter Gewohnheit wiesen.
Den Vorsitz im Gericht hatte der Centenar, später der Graf
oder auch dessen Stellvertreter, welchen beiden letzteren aber der
Centenar unter dem Namen eines Judex zur Seite stand, damit
er dem Urtheile des Volkes durch Untersuchung der Verhältnisse und
durch Nachweis der gesetzlichen Bestimmungen zu Hülfe komme. In
der Gerichtsversammluug pflegte ein Theil des Volkes zu stehen,
ein anderer im engeren Kreise zu sitzen, an erhöhtem Platze, wie
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durch die Bekanntschaft mit römischer Kultur etwas besser und bequemer
eingerichtet. Daß man römische Münzen kannte und nach ihnen rech-
nete, erscheint als die bedeutendste Anlehnung an fremde Verhältnisse.
Mit dem Grundbesitz hängt alles Recht in der Gemeinde zu-
sammen. In der Gemeinde ist der Grundbesitz, verbunden mit vol-
ler Freiheit und fränkischer Abstammung, von entschiedener Bedeu-
tung. Wichtig sind auch die verwandtschaftlichen Verbindungen,
welche innerhalb der einzelner! Gemeinden und über sie hinaus die
freien Volksgenossen verbinden. Auf ihnen beruht das Recht zu erben
und für den erschlagenen Verwandten das Wehrgeld zu empfangen,
aber auch die Pflicht, dem Verwandten unter gewissen Voraus-
setzungen bei der Zahlung der Buße zu unterstützen, ihn vor Ge-
richt zu vertreten und zu vertheidigen. Einen politischen Charak-
ter haben aber diese Vereinigungen der Blutsverwandten nickt.
Die Römer, welche ihren Grundbesitz behalten haben, stehen
in vielen Beziehungen nur den Leten oder Liten gleich, die einen
Theil des Volkes ausmachen, aber keine politischen Rechte haben.
Diesen fehlt das volle Recht der Freiheit mit dem freien Eigen-
thum. Dieses soll auch nicht an die Weiber fallen. Dagegen ist
eine Theilung der Ländereien unter gleichberechtigte Erben zulässig
gewesen. Da die Mündigkeit früher mit dem zehnten, später mit
dem zwölften Jahre eintrat, während Grundbesitz daheim nicht leicht
vor dem Tode des Vaters erworben werden konnte, so gab es eine
zahlreiche wehrhafte Jugend, welche geneigt war außer der Hei-
math ihr Glück zu versuchen. Diese hat wohl in den Heeren der
Römer gedient und ist in den Eroberungskriegen den Königen ge-
folgt. Aber dem kriegerischen Treiben ausziehender Sckaaren ste-
hen die stätigen, auf dem Grundbesitz beruhenden Verhältnisse der
Heimath gegenüber. Hier gab es Hundertschaften, wie wir sie frü-
her kennen gelernt haben, welche ihre Versammlungen hielten und
ihre Vorsteher hatten. Der Vorsteher wurde von der Hundertschaft
gewählt, er leitete die Versammlung und besorgte die gemeinsamen
Angelegenheiten. Wahrscheinlich zog er auch an der Spitze seiner
Abtheilung des Volkes in den Krieg.
Alle Geschäfte, welche für das Recht von Wichtigkeit waren,
vollzog man in eigenthümlich feierlicher Weise. Symbolische Hand-
lungen von sinnlich lebendiger Kraft wurden vorgenommen, um
das Geschäft dem Gedächtniß einzuprägen. Man springt im Hemd,
unbeschuht, einen Stock in der Hand, über den Zaun des Hosts,
wenn man Haus und Hof verlassen und aufgeben will. Den Besitz
desselben und die daran haftende Verpflichtung überträgt man auf
die nächsten Verwandten dadurch, daß man Erde aus den vier
Ecken des Hauses nimmt und auf der Schwelle stehend über die
Schulter auf dieselben hinwirft. Andere Uebertragungen finden statt,
indem man dem andern einen Halm in den Schooß wirft. Um sich
als Besitzer von Haus und Land zu bethätigen, muß der Empfän-
ger drei Gäste bei sich aufnehmen und sie mit Brei bewirthen.
Die Verlobung der Wittwe und wahrscheinlich auch die der Jung-
frau fand durch einen Scheinkauf statt. Die Frau, welche zur zwei-
ten Ehe schritt, mußte sich in besonderer Weise mit den Verwand-
ten des ersten Mannes abfinden. Wer aus der Familie, der
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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