Am Mittwoch vor Martinstag, den 7. Nov. 1307, traten die drei Männer, Walther Fürst, Werner Stauffacher und Arnold Melchthal, jeder von zehn Männern begleitet, auf dem Rütli, einer einsamen Wiese am Ufer des Vierwaldstüdter See's, zusammen. Hier stifteten sie einen Bund und schwuren mit ausgestreckten Händen, daß sie alle nach einem gemeinsamen Plan handeln, keiner nach eigenem Gutdünken etwas unternehmen, keiner den andern verlassen wolle:
Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,
In keiner Noth uns trennen und Gefahr.
Das Volk fing an, kecker sein Haupt zu erheben; das reizte Geßler's Uebermnth; um den Gehorsam des Volkes zu prüfen, ließ er auf dem Markte zu Altorf einen Herzogshut auf einer Stange aufstecken und verkündigen. Jeder, der vorbeigehe, sollte diesem Hute dieselbe Ehre erweisen, wie dem Herzoge selbst. Als nun Wilhelm Tell, Walther Fürst's Eidam, mit seinem Knaben vorüberging, ohne dem Hute seine Ehrfurcht zu erweisen, wurde er von den Wächtern ergriffen. Geßler, der zufällig herzukam, befahl dem Tell, der als guter Schütze bekannt war, seinem Sohn einen Apfel vom Haupte zu schießen; dann solle er ohne Strafe davonkommen, wenn er diesen Meisterschuß gethan habe. Tell bat um Gotteswillen, ihn nicht zu einer so unnatürlichen That zu zwingen; Geßler blieb unerbittlich; da schoß Tell und traf den Apfel, ohne den Knaben zu verletzen. Vorher hatte er aber noch einen Pfeil in fein Koller gesteckt, und als ihn Geßler nach der Ursache fragte, wollte er sich anfangs ausweichend entschuldigen; dann aber gedrängt gestand er ein, dieser Pfeil sei für den Landvogt bestimmt gewesen, falls er sein Kind getroffen habe. Da ließ ihn Geßler, der ihm das Leben versprochen hatte, binden, um ihn mit nach Küßnacht zu nehmen und ins Gefängniß zu setzen. Man mußte über den See fahren; auf einmal brach ein wüthenber Winb, der Föhn, los, der dem Schiffe den Untergang drohte. Nur Tell, hieß es, kann in dieser Noth retten; ba hieß Geßler ihn losbinben und ihm die Leitung des Schiffes Übergeben. Tell trieb nun das Schiff dem Ufer zu, und als sie nahe bei einer felsigen Uferstelle waren, der jetzigen Tellplatte, ergriff er Bogen und Pfeil, sprang ans dem Schiff, stieß dieses mit dem Fuß in den See zurück und rettete sich ans Land. Geßler
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Extrahierte Personennamen: Walther Werner_Stauffacher Arnold_Melchthal Wilhelm_Tell Wilhelm Walther_Fürst's_Eidam
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Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
38
immer ernsthaft und traurig aussähen, wenig sprächen, den Bart machten ließen und von Gatt Offenbarungen durch Träume erwarteten. Es lies ihm bald eine Menge van Menschen nach; alle hatten Träume, erzählten sie Münzer, und dieser legte sie ihnen ans. Endlich wnrde der Lärm so arg, daß der Kurfürst den Patron aus dem Lande jagte. Aber er kam bald wieder, und die Bürger von Mühlhausen in Thüringen wählten ihn gar zu ihrem Prediger. Nun erst wurde der Lärm recht arg. Münzer predigte Aufruhr und Ungehorsam gegen die Obrigkeit, und da der Magistrat das nicht dnlden wollte, jagte Münzer denselben aus der Stadt und machte sich zum Bürgermeister. Ta er lehrte, daß alle Güter allen gehören müßten (Kommunismus) und den Reichen ihre Besitzungen wegnahm, so bekam er auch vom Lande großen Zulauf; das faule Volk wollte nicht mehr arbeiten und schmauste nun von dem Gelde der Reichen. Einzelne Horden zogen unter Pfeifer, einem weggelaufene» Mönche, der Münzer an Tollkühnheit noch überbot, in die Nachbarschaft aus, plünderten Häuser und Kirchen und kehrten mit Schätzen beladen wieder heim, und mm wollte Münzer das ganze Land aufwiegeln. Er schrieb an die Bergleute im Mansfeldfchen: „Nim ist es hohe Zeit; ganz Deutschland, Frankreich und Welfchland sind wach. Der Meister will ein Spiel mit uns machen, die Bösewichter müssen dran. Die Bauern sind auf, an 300 000 stark, und der Hause wird je länger je größer." So brach er auf und lagerte sich beim Städtchen F r a n k e n h a u s e n in Thüringen. Indessen zogen die benachbarten Fürsten Truppen zusammen, dem tollen Hansen die Köpfe zurecht zu setzen. Johann der Standhafte, Philipp von Hessen und andere führten ein Heer gegen die Aufrührer. Aus Mitleid mit dem verblendeten Volke schickten sie erst einen Edelknaben an sie ab und ließen ihnen Gnade anbieten, wenn sie gleich auseinandergingen und Münzer auslieferten.
Dieser erschrak über die Gefahr, in der er schwebte, trat auf und hielt eine feurige Rede an die Bauern, die damit endigte, daß sie sich nur nicht vor den Kugeln der Feinde fürchten sollten, denn die würde er alle mit seinem Ärmel auffangen, und wer in der
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Extrahierte Personennamen: Johann Philipp_von_Hessen Philipp
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Frankreich Thüringen
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
33
gutdenkende, aber unüberlegte Andreas Bo den st ein, genannt Karl stadt, Professor in Wittenberg. Das erfuhr Luther und wurde entsetzlich böse; denn er fürchtete mit Recht, daß nun alle Welt sagen würde: „Da sieht man, was die neue Lehre anrichtet!" Nun war kein Halten mehr. Ohne erst den Kurfürsten zu fragen, reiste er auf der Stelle nach Wittenberg und predigte acht Tage hintereinander gegen die Unruhen der Bilderstürmer mit solcher Kraft, daß alle zur Ordnung zurückkehrten. Luther blieb nun fortwährend in Wittenberg und wirkte rüstig für die Ausbreitung der Reformation. Wollte er sich von der Arbeit erholen, so drechselte er oder arbeitete in seinem Gärtchen. Im Jahre 1524 legte er das Mönchskleid ab und kleidete sich nun weltlich. Daß er einen schwarzen Anzug wählte und daß Schwarz die Farbe der evangelischen Geistlichkeit geworden ist, hing von einem Zufalle ab. Der Kurfürst nämlich pflegte Luther zu feiner Kleidung dann und wann ein Stück schwarzes Tuch zu schicken, weil dies damals die Hoftracht war, und weil Luther sich so trug, so glaubten auch seine Schüler, sich so tragen zu müssen. — Im Jahre 1525 sagte sich Luther von dem Mönchsstande ganz los und heiratete ein tugendhaftes Fräulein, Katharina von Bora, die früherhin Nonne gewesen war. Er lebte mit ihr überaus glücklich, besonders als er Vater mehrerer Kinder wurde, die er zärtlich liebte, wie einige Briefe an sie beweisen, die wir noch übrig haben*). Späterhin reisten er und Melanchthon in Sachsen umher, um zu untersuchen,
*) Katharina war, 24 Jahre alt, 1523 aus Kloster Nimptschen bei Grimma mit acht andern Nonnen entflohen. Luther verschaffte ihnen in Wittenberg Unterkommen in anständigen Häusern. Vergebens warb ein Prediger um ihre Hand, obgleich Luther seine Werbung unterstützte. Glücklicher war Luther selbst. Er wurde mit ihr am 13. Juni 1525 getraut. Sic hatten sechs Kinder, von denen zwei früh starben. Nach Luthers Tode lebte sie noch ein Jahr in Wittenberg. Als die Kaiserlichen (1547) hierher kamen, wanderte sie mit ihren Kindern aus und erfuhr manchen Kummer. Sie kehrte zwar nach Wittenberg zurück, ging aber (1552), durch die Pest vertrieben, nach Torgau. Unterwegs wurden die Pferde scheu: sie sprang aus dem Wagen und beschädigte sich so, daß sie am 20. Dezember 1552 in Torgau starb. Hier liegt sie in der Pfarrkirche begraben.
Meisterwerke. Bd. Ix. Nösselt, Weltgeschichte Iii. 3
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Extrahierte Personennamen: Andreas_Bo Karl Karl Schwarz Katharina_von_Bora Melanchthon Katharina Luther
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204
Übles zuzufügen, aber auch den Vögten zu wehren, das Land zu ver-
derben. Und die dreißig andern Schweizer streckten auch die Hände auf
und thaten den Eid, wie jene, zu Gott, die Freiheit mannhaft zu be-
haupten. Und sie wählten die Neujahrsnacht zum Werk. Dann gingen sie
auseinander, jeder in sein Thal zu seiner Hütte und winterten das Vieh.
Dem Vogt Hermann Geßler ward nicht wohl, denn er hatte
ein böses Gewissen. Es dünkte ihn, als wenn das Volk muthiger
einherginge und trotziger aussähe. Darum ließ er den herzoglichen
Hut von Österreich erhöhen aus einer Stange in Uri, und befahl,
wer vorübergehe, solle demselben Ehrerbietung erweisen. Daran wollte
er erkennen, wer wider Österreich sei.
Und Wilhelm Tell, der Schütz aus Bürgten, einer von den
Männern auf dem Rütli, ging vorüber; aber er beugte sich nicht.
Alsbald führten sie ihn gefangen zum Vogt, und dieser sprach ergrimmt:
„Trotziger Schütze, so strafe dich deine eigene Kunst! Einen Apfel lege
ich auf das Haupt deines Söhnleins Walther, den schieße herab und fehle
nicht!" Und sie Landen das Kind und legten auf das Haupt desselben
einen Apfel und führten den Schützen weit davon. Er zielte. Da
schwirrte die Bogensehne; und der Pfeil durchbohrte den Apfel. Alles
Volk jauchzte freudig. Geßler aber fragte den Schützen: „Wozu
trägst du noch den andern Pfeil bei dir?" Es antwortete Teil:
„Hätte der erste nicht den Apfel getroffen, dann gewiß der andere
dein Herz!"
Deß erschrak der Vogt und ließ den Schützen greifen und auf ein
Schiff führen nach Küßnacht, wohin er selbst zu fahren gedachte.
Denn den Tell im Lande Uri einzukerkern, schien wegen des Volkes
nicht rathsam; ihn aber in ausländische Gefangenschaft zu schleppen,
war wider des Landes Rechtsame. Darum fürchtete der Vogt Zusam-
menlauf des Volkes und fuhr schleunig ab, wiewohl der warme Föhn-
wind blies. Der See ging hohl und die Wellen schlugen schäumend
über, daß Men bange ward, und die Schiffsleute verzagten. Je weiter
im See, je größer in Todesnoth; denn da steigen Üferberge jäh aus
dem Abgrund des Gewässers wie Mauern zum Himmel. In schwerer
Angst ließ Geßler dem Tell die Fesseln abthun, damit derselbe, als
guter Schiffer, das Fahrzeug lenke. Aber der Tell lenkte gegen die
kahle Wand des Gebirges, wo eine nackte Felsplatte wenige Schritte
weit in den See hervortritt. Schwung und Sprung; — der Tell hinaus
auf die Platte, das Schiff hinaus auf den Vierwaldstädter-See.
Nun kletterte der Erlöste den Berg hinauf und stoh durch das
Land Schwyz. Und er dachte in seinem bekümmerten Herzen: „Wohin
entstiehen dem Zorne des Gewaltherrn? Und entrinne ich seiner Bos-
heit, so hat er in der Heimath mein Weib und Kind zum Pfand.
Was wird nicht der Geßler gegen die Meinigen verhängen, wenn
Landenberg schon, um zwei gebrochener Finger seines Knechtes willen,
dem Alten von Melchthal beide Augen ausbohrte! Wo ist der Richter-
stuhl, vor den ich Geßler lade, wenn der König selbst des ganzen
TM Hauptwörter (50): [T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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Extrahierte Personennamen: Hermann_Geßler Wilhelm_Tell Wilhelm
213
Vögte vergebens geklagt hätten vor dem Könige. Sie meinten, der
Tod sei viel leichter, als so schmähliches Joch. Darum beschlossen sie,
jeder solle in seinem Lande mit vertrauten, herzhaften Männern spre-
chen und erforschen, weß Sinnes das Volk sei.
Nach diesem kamen sie oft in verabredeten nächtlichen Stunden zu-
sammen an einem heimlichen Orte am See. Der lag fast mitten inne
zwischen Uri, Unterwalden und Schwyz, auf einer schmalen, um-
büschten Wiese, am Fuße der Felsen des Seelisberges, gegenüber dem
Dörflein Brunnen. Man heißt ihn vom ausgerotteten Gestrüpp das
Rütli; da waren sie von Menschen und Wohnungen weit. Bald
brachte jeglicher frohe Botschaft mit: allem Volke sei viel leichter der
Tod, als das schmähliche Joch.
Wie sie aber im Herbste des Jahres 1307 zusammenkamen, und
jeder von den Dreien mit sich zur Matte auf Rütli zehn treue Ehren-
männer geführt hatte, entschlossen, die alte Landesfreiheit über alles,
das Leben für nichts zu achten, erhoben die frommen Drei ihre Hände
zum gestirnten Himmel und schwuren zu Gott dem Herrn: in Treue
für die Rechte des unschuldigen Volkes zu leben und zu sterben, alles
gemeinschaftlich, nichts eigenmächtig zu wagen und zu tragen, kein Un-
recht zu dulden, aber auch kein Unrecht zu thun, des Grafen von Habs-
burg Recht und Eigenthum zu ehren und keinem der Königsvögte
Übles zuzufügen, aber auch den Vögten zu wehren, das Land zu ver-
derben. Und die dreißig andern streckten die Hände auf und thaten
den Eid, wie jene, zu Gott, die Freiheit mannhaft zu behaupten. Und
sie wählten die Neujahrsnacht zum Werk. Dann gingen sie aus ein-
ander, jeder in sein Thal zu seiner Hütte und winterten das Vieh.
Dem Vogt Hermann Geßler ward nicht wohl, denn er hatte
ein böses Gewisses. Es dünkte ihn, als wenn das Volk muthiger ein-
herginge und trotziger aussähe. Darum ließ er den herzoglichen Hut
von Österreich erhöhen auf einer Stange in Uri, und befahl, wer vor-
übergehe, solle demselben Ehrerbietung erweisen. Daran wollte er er-
kennen, wer wider Österreich sei.
Und Wilhelm Teil, der Schütz aus Bürglen, einer von den Män-
nern auf dem Rütli, ging vorüber; aber er beugte sich nicht. Alsbald
führten sie ihn gefangen zum Vogt, und dieser sprach ergrimmt: „Trotzi-
ger Schütze, so strafe dich deine eigene Kunst. Einen Apfel lege ich
auf das Haupt deines Söhnleins, den schieße herab und fehle nicht!"
Und sie banden das Kind und legten auf das Haupt desselben einen
Apfel und führten den Schützen weit davon. Er zielte. Da schwirrte
die Bogensehne. Da brach der Pfeil den Apfel. Alles Volk jauchzte
freudig. Geßler aber fragte den Schützen: „Wozu trägst du noch den
andern Pfeil bei dir?" Es antwortete Tell: „Hätte der erste nicht
den Apfel getroffen, dann gewiß der andere dein Herz!"
Deß erschrak der Vogt und ließ den Schützen greifen und auf ein
Schiff führen nach Küß nacht, wohin er selbst zu fahren gedachte.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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— 214
Denn den Tell im Lande Uri einzukerkern, schien wegen des Volkes
nicht rathsam; ihn aber in ausländische Gefangenschaft zu schleppen,
war wider des Landes Rechtsame. Darum sirrchtete der Vogt Zusain-
menlanf des Volkes und fuhr schleunig ab, wiewohl der warme Föhn-
wind blies. Der See ging hohl, und die Wellen schlugen schäumend
über, daß allen bange ward, und die Schiffsleute verzagten. Je weiter
im See, je größer in Todesnoth; denn da steigeu Uferberge jäh ans
dem Abgrund des Gewässers wie Mauern zum Himmel. In schwerer
Angst ließ Geßler dem Tell die Fesseln abthun, damit derselbe, als
guter Schiffer, das Fahrzeug lenke. Aber der Tell lenkte gegen die
kahle Wand des Gebirges, wo eine nackte Felsplatte wenige Schritte
weit in den See hervortritt. Schwung und Sprung; — der Tell
hinaus auf die Platte, das Schiff hinaus auf den See.
Run kletterte der Erlös'te den Berg hinauf und floh durch das
Land Schwyz. Und er dachte in seinem bekümmerten Herzen: „Wo-
hin entfliehen dem Zorne des Gewaltherrn? Und entrinne ich seiner
Bosheit, so hat er in der Heimath mein Weib und Kind zum Pfand.
Was wird nicht der Geßler gegen die Meinigen verhängen, wenn Lan-
denberg schon, um zwei gebrochener Finger seines Knechtes willen, dem
Alten von Melchthal beide Augen ausbohrte! Wo ist der Richterstuhl,
vor den ich Geßler lade, wenn der König selbst des ganzen Volkes
Klage nicht mehr anhört? Ist aber kein Gesetz gültig, und keiner, der
da richtet zwischen mir und ihm, so stehen wir, Geßler, du und ich,
gesetzlos beide, und Nothwehr richtet. Soll eins von beiden fallen,
unschuldig Weib und Kind und Vaterland, oder, Vogt Geßler,
du: so falle du, und Freiheit steige wieder!"
So dachte der Tell und flog mit Pfeil und Bogen gen Küß-
nacht und harrte in der hohlen Gasse bei dem Ort. Da kam
der Vogt; da schwirrte die Bogensehne; da brach der freie Pfeil das
Herz des Gewaltherrn.
Das ganze Volk erschrak freudig, als es den Tod seines Unter-
drückers vernahm. Die That des Tell verlieh höhern Muth; allein
noch war die Nacht des Neujahrs nicht gekommen.
23. Die Fehmgerichte.
Im Mittelalter bestanden durch ganz Deutschland furchtbare
heimliche Gerichte, die grobe Verbrecher aller Art vor ihren Richter-
stuhl zogen und, wenn sie sich nicht genügend rechtfertigen konnten, mit
dem Tode bestraften. Es war gefährlich, sich vor ihnen zu stellen,
und noch gefährlicher, sich ans ihre Vorladung nicht einzufinden. Ihren
ersten und vornehmsten Sitz hatten sie in Westphalen (in Dort-
mund), daruln hießen sie auch die westphälischen Freigerichte; den
Namen Fehingerichte hatten sie aber von dem altdeutschen Worte
verfehmen, das so viel heißt als verbannen.
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181
6. Bonifacius,
der Apostel der Deutschen.
(716-755.)
Es waren schon über 600 Jahre seit Christi Geburt verflossen,
und in unserm Vaterlande war das Christenthum noch fast ganz un-
bekannt; hier beteten noch die Heiden die alten Götter an und brachten
ihnen Opfer dar, selbst Menschenopfer. Da kamen aus Irland und
England mehrere Glaubensboten (Missionare) nach Deutschland,
um die Lehre des Heiles den verschiedenen Volksstämmen unseres großen
Vaterlandes zu verkündigen. Um das Jahr 600 n. Chr. kam Colum-
ban zu den Baiern, Kilian um 650 zu den Ostfranken, Willi-
brord um 700 zu den Friesen. Unter allen diesen Missionaren
aber zeichnete sich durch seinen unermüdlichen Eifer am meisten aus
Winfried oder Bonifacius, welcher deswegen auch der Apostel
der Deutschen genannt wird. Es war im Jahre 716, als Boni-
facius nach Deutschland kam. In Thüringen, wo er das Christen-
thum verkündete, und zwar im jetzigen Hessen, nicht weit von Kassel,
in der fruchtbaren Ebene zwischen der Eder und Fulda, stand bei
Hofgeismar von uralten Zeiten her eine mächtige Eiche, welche von dem
heidnischen Volke als ein Heiligthum des Donnergottes verehrt wurde.
Als Bonifacius, der Apostel der Deutschen, nach Hessen kam, und
die Abgötterei wahrnahm, welche an diesem Baume getrieben wurde,
ergrimmte er in seinem Herzen und hatte den Muth, trotz der Ver-
wünschungen der Priester und trotz des Entsetzens des abergläubischen
Volkes, die Axt an die heilige Eiche zu legen. Als sie endlich zu-
sammenstürzte, ohne daß ein Blitzstrahl den verwegenen Fremdling er-
schlug, erkannte das hessische Volk die Nichtigkeit seiner bisherigen Ab-
götterei, hörte der Predigt des christlichen Apostels zu und ließ sich
von ihm taufen. Bonifacius aber erbaute aus dem Holze der ge-
fällten Eiche ein Kirchlein. Dann durchzog er das Land, bekehrte
Tausende zum Christenthum und gründete eine Menge Klöster, von
welchen Fulda sein Lieblingsaufenthalt und eine berühmte Hochschule
wurde. Im Jahre 751 wurde er seiner vielen Verdienste wegen vom
Papste zum Erzbischof von Mainz ernannt. Aber auch in feinem
hohen Alter konnte Bonifacius nicht ruhen. Als Greis zog er noch-
mals aus, die Friesen an der Nordsee zu bekehren. Mit einer An-
zahl von Begleitern (man sagt 70) begab er sich zu ihnen. Die Be-
schwerden der Reise achtete er nicht; die Wildheit der Friesen fürchtete
er nicht. Er zog umher im Lande, predigte und taufte, und zerstörte
die Götzenbilder und gründete Kirchen. Als er nun einst mit seinen
Gefährten auf freiem Felde unter Zelten lagerte, überfiel ihn ein
Haufe heidnischer Friesen; diese erschlugen ihn sammt seinen Begleitern
am 5. Juni 755. Sein Leichnam wurde von den Christen gefunden,
mit hohen Ehren nach Mainz gebracht und später in der Kirche w
Fulda beigesetzt.
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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212
heit, so hat er in der Heimath mein Weib und Kind zum Pfand.
Was wird nicht der Geßler gegen die Meinigen verhängen, wenn
Laudenberg schon, um zwei gebrochener Finger feines Knechtes willen,
dem Alten von Melchthal beide Augen ausbohrte! Wo ist der Richter-
stuhl, vor den ich Geßler lade, wenn der König selbst des ganzen
Volkes Klage nicht mehr anhört? Ist aber kein Gesetz gültig, und
keiner, der da richtet zwischen mir und ihm; so stehen wir, Geßler,
du und ich, gesetzlos beide, und Nothwehr richtet. Soll eins von
beiden fallen, unschuldig Weib und Kind und Vaterland, oder,
Vogt Geßler, du: so falle du, und Freiheit steige wieder!"
So dachte der Teil und flog mit Pfeil und Vogen gen Küßnacht
und harrte in der hohlen Gasse bei dem Ort. Da kam der Vogt;
da schwirrte die Bogensehne; da durchbohrte der freie Pfeil das Herz
des Gewaltherren Hermann Geßler von Brunnegg.
Das ganze Volk erschrak freudig, als es den Tod seines Unter-
drückers vernahm. Die That des Tell verlieh höhern Muth. In der
Nacht des Neujahrs wurden die Landespeiniger vertrieben und ihre
Zwingburgen gebrochen. — Also hat durch des stolzen Kaisers
Albrecht von Österreich knechtende Herrschaft das deutsche Reich
die Schweiz verloren.
Nach Albrecht von Österreich kam der Graf Heinrich von
Luxemburg oder Lützelburg als Heinrich Vii. auf den deutschen Kaiser-
thron (1308—1313). Durch die Vermählung seines Lohnes mit Elis ab eth,
der Enkelin Ottokars, des Königs von Böhmen, gewann er die böhmi-
sche Krone, welche in der Eolge zu der deutschen Kaiserkrone kam.
In Bayern hatte Otto der Erlauchte 2 Söhne hinterlassen: Ludwig (der
Strenge) und Heinrich. Sie regierten anfangs gemeinschaftlich, später aber
theilten sie das väterliche Erbe. Heinrich bekam Ni ederb ay e rn und be-
hielt Landshut als Residenz. Ludwig nahm Oberbayern und die Pfalz
und erbaute sich eine Burg zu München. Dies war die erste Theilung
Bayerns. Ludwig (der Strenge) starb 1294 zu Heidelberg und seine beiden
Söhne Rudolph und Ludwig (der Bayer) regierten anfangs gemeinschaftlich
in Oberbayern und in der Pfalz; später aber theilten sie das Land aber-
mals. Budelph bekam die Pfalz, Ludwig Oberbayern. In Nieder-
bayern war zu derselben Zeit ein minderjähriger Prinz, über welchen Ludwig
der Bayer nach dem Willen des Vaters die Vormundschaft führen sollte.
Diese Anordnung missfiel aber dem niederbayerischen Adel, welcher Friedrich
den Schönen, Herzog von Österreich, zu Hülfe rief. Es kam zu einer
Schlacht (bei Gammelsdorf); Friedrich der Schöne wurde geschlagen und
Ludwig führte nun bis zur Volljährigkeit des Prinzen die Verwaltung über
Niederbayern.
3g. Kaiser Ludwig der Bayer. — Die Schlacht
bei Aurpfirrg.
(1322.)
Durch den Sieg bei Gammelsdorf gegen Herzog Friedrich, fceft
Schönen, von Österreich (1313), so wie durch Biedersinn und
TM Hauptwörter (50): [T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind]]
TM Hauptwörter (100): [T7: [König Kaiser Rudolf Friedrich Sohn Böhmen Haus Karl Ludwig Albrecht], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T58: [Kloster Jahr Mönch Kirche Schweiz Bischof Abt Zürich Bonifatius Bern]]
TM Hauptwörter (200): [T171: [Heinrich Otto Herzog Kaiser König Friedrich Sohn Konrad Sachsen Schwaben], T4: [Orden Ritter Peter Kreuzzug Land Jahr Jerusalem Johanniter Arnold Frankreich], T64: [Vater Sohn Jahr Tod Mutter Regierung König Kind Heinrich Bruder], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch]]
Extrahierte Personennamen: Hermann_Geßler_von_Brunnegg Albrecht_von_Österreich Albrecht Albrecht_von_Österreich Albrecht Heinrich_von Heinrich Heinrich_Vii Heinrich Ottokars Otto Ludwig Ludwig Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Budelph Ludwig_Oberbayern Ludwig Ludwig
der_Bayer Ludwig Friedrich Friedrich Friedrich_der_Schöne Friedrich Ludwig Ludwig Ludwig_der_Bayer Ludwig Friedrich Friedrich
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für die Rechte des unschuldigen Volkes zu leben und zu sterben, alles
gemeinschaftlich, nichts eigenmächtig zu wagen und zu tragen, kein Un-
recht zu dulden, aber auch kein Unrecht zu thun, des Grafen von Habs-
burg Recht und Eigenthum zu ehren und keinem der Königsvögte
Übles zuzufügen, aber auch' den Vögten zu wehren, das Land zu ver-
derben. Und die dreißig andern streckten die Hände auf und thaten
den Eid, wie jeüe, zu Gott, die Freiheit mannhaft zu behaupten.
Und sie wählten die Neujahrsnacht zum Werk. Dann gingen sie aus
einander, jeder in sein Thal zu seiner Hütte und winterten das Vieh.
Dem Vogt Hermann Geßler ward nicht wohl, denn er hatte
ein böses Gewissen. Es dünkte ihn, als wenn das Volk muthiger
einherginge und trotziger aussähe. Darum ließ er den herzoglichen
Hut von Österreich erhöhen auf einer Stange in Uri, und befahl,
wer vorübergehe, solle demselben Ehrerbietung erweisen. Daran wollte
er erkennen, wer wider Österreich sei.
Und Wilhelm Tell, der Schütz aus Bürglen, einer von den
Männern auf dem Rütli, ging vorüber; aber er beugte sich nicht.
Alsbald führten sie ihn gefangen zum Vogt, und dieser sprach ergrimmt:
„Trotziger Schütze, so strafe dich deine eigene Kunst. Einen Apfel
lege ich auf das Haupt deines Söhnleins, den schieße herab und fehle
nicht!" Und sie Landen das Kind uich legten auf das Haupt desselben
einen Apfel und führten den Schützen weit davon. Er zielte. Da
schwirrte die Bogensehne. Da brach der Pfeil den Apfel. Alles
Volk jauchzte freudig. Geßler aber fragte den Schützen: „Wozu
trägst du noch den andern Pfeil bei dir?" Es antwortete Tell:
„Hätte der erste nicht den Apfel getroffen, dann gewiß der andere
dein Herz!"
Deß erschrak der Vogt und ließ den Schützen greifen und auf ein
Schiff führen nach Küßnacht, wohin er selbst zu fahren gedachte.
Denn den Tell im Lande Uri einzukerkern, schien wegen des Volkes
nicht rathsam; ihn aber in ausländische Gefangenschaft zu schleppen,
war wider des Landes Rechtsame. Darum fürchtete der Vogt Zusam-
menlauf des Volkes und fuhr schleunig ab, wiewohl der warme Föhn-
wind blies. Der See ging hohl ukid die Wellen schlugen schäumend
über, daß allen bange ward, und die Schiffsleute verzagten. Je weiter
im See, je größer in Todesnoth; denn da steigen Uferberge jäh aus
dem Abgrund des Gewässers wie Mauern zum Himmel. In schwerer
Angst ließ Geßler dem Tell die Fesseln abthun, damit derselbe, als
guter Schiffer, das Fahrzeug lenke. Aber der Tell lenkte gegen die
kahle Wand des Gebirges, wo eine nackte Felsplatte wenige Schritte
weit in den See hervortritt. Schwung und Sprung; — der Tell
hinaus auf die Platte, das Schiff hinaus auf den See.
Nun kletterte der Erlös'te den Berg hinauf und stoh durch das
Land Schwyz. Und er dachte in seinem bekümmerten Herzen: „Wohin
entfliehen dem Zorne des Gewaltherrn? Und entrinne ich seiner Bos-
heit, so hat er in der Heimath mein Weib und Kind zum Pfand.
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