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Das deutsche Reichsheer. 457
Von Kameradschaft konnte bei solcher Lage der Dinge begreiflicherweise nicht die Rede sein, auch die Subordination ließ viel zu wünschen übrig, und selbst die Ehrlichkeit litt unter der krausen Verwaltung der Truppenteile. Vom Fourier bis zum höchsten Offizier wollte jeder sich bereichern, und fo kam es, daß ein einziges, vielfach zusammengesetztes Kreisregiment mehr kostete, als drei kaiserliche oder preußische Regimenter. Dabei gab es aber nicht selten Kompagnien, bei denen nur 30 Mann im Gliede standen, während für die anderen sieben Achtel, für die „blinden Lücken", die auf dem Papiere geführt wurden, Löhnung, Brot und Kleidung weiter verlangt wurden und der Erlös in die Tasche der Offiziere und Beamten floß. Ja, es kam vor, daß sich die Stände daheim an diesem niederträchtigen Erwerb beteiligten. Desertionen kamen fast täglich vor.
Die Einrichtungen des Reichskriegswesens machten es unmöglich, etwas Großes und Ernstes mit demselben auszurichten. Moser hatte Recht, wenn er im Traktat vom römischen Kaiser behauptet, Deutschland sei ein Staat, der sich zu nichts weniger eigne, als zum Kriegführen, oder wenn er in feiner Abhandlung von den Reichstagsgeschäften erklärt: „die sich bei einem Reichskriege und einer Reichsarmee äußernden Gebrechen sind so groß, auch viel und mancherlei, daß man, so lange das deutsche Reich in feiner jetzigen Verfassung bleibt, demselben auf ewig verbieten sollte, einen Reichskrieg zu führen".
Am günstigsten erscheinen noch die Verhältnisse des Reichskriegswefens in dem großen, gefährlichen Türkenkriege von 1682 bis zum Frieden von Karlowitz (1699). Hier zeigten sich die kirchlich und politisch getrennten Söhne des Vaterlandes ausnahmsweise im edlen Wetteifer vereint; hier verrichteten die Reichskontingente Brandenburgs, Sachsens, Bayerns und selbst des vielherrigeu Schwabens bei dem Entsätze von Wien, bei der glorreichen Erstürmung Ofens und endlich in der Schlacht bei Zenta so ruhmvolle Thaten, daß dieser Krieg als eine Ehrenzeit des deutschen Soldaten noch heute volkstümlich ist. Nicht in dem Sinne, daß der Märker oder der Württemberger, wenn er auf dem Marsche das schöne Lied von dem Prinzen Engen fingt, an Ofen und Zenta dächte, wohl aber ins0fern, als eben das Nachklingen dieses Liedes durch ganz Deutschland bis zum heutigen Tage ein Beweis dafür ist, daß damals, um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts, jene Volksweise dem Gefühle innerer Einheit entsprang.
Den Reichskriegen gegen Frankreich fehlte leider dieser nationale Charakter durchaus. Bayern und Köln scheuten sich nicht, ihre Hände in die blutige Hand des Verwüsters der Pfalz zu legen, um sich mit solcher Bundesgenossenschaft zu höherer Macht emporzuschwingen. Mit französischem Gelde war das bayrische Heer bezahlt, welches ohne Kriegserklärung Ulm wegnahm, um Ludwig Xiv. den Weg nach Wien zu bahnen. Das Reich entsetzte sich über den frechen Friedensbruch; die Stände sicherten die Gestellung des dreifachen Kontingents zur Exekution gegen Bayern zu — aber nicht einmal das Simplum brachten sie auf. Als dann die Opera-
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468 Das deutsche Reichsheer.
tionen mit dem noch ganz unvollständigen Heere begannen, hing an jeder Unternehmung wie ein Bleigewicht der maßgebende Einfluß des Hofgerichtsrats zu Wien; dazu dauerte das „Moderationsgeschäft", d. i. die Erledigung der Gefuche um Herabminderung der Matrikularbeiträge, fort, und während die Stände sich auf das entschiedenste weigerten, Kehl und Philippsburg herzustellen und zu armieren, ging ein Stück deutschen Bodens nach dem andern verloren und fiel der Verwüstung anheim.
Vielleicht noch tiefer gesunken als im spanischen Erbfolgekriege erscheint das Reichskriegswesen im siebenjährigen Kriege. Bei Roßbach, wo von 100 Gewehren des Reichsvolkes kaum 20 losgingen, verlor die Reichsarmee den letzten Kredit und wurde vom eigenen Volke als „Reißausarmee" verhöhnt.
Während das Reich sich mit den jämmerlichsten Kontingenten behelfen mußte, wurden die guten stehenden Truppen ein Gegenstand der Geldspekulation und fremden Interessen dienstbar gemacht. Die teils freiwillig geworbenen, teils in empörender Weise gepreßten, teils aus „kantonpflichtigen" Landeskindern zusammengesetzten Regimenter wurden von Sachsen, Hessen-Kassel, Braunschweig, Anspach und Bayreuth, von Anhalt, Hanau, Waldeck, Württemberg für sogenannte „Snbsidien" an Venedig, Dänemark, England oder Holland vermietet, um in Morea oder Schottland, in Kanada, am Kap der guten Hoffnung oder in Indien zu fechten und zu sterben.
Aus Hessen-Kassel allein wurden schon 1687 an Venedig zum Krieg gegen die Türken in Morea 1000 Mann, 1702 an die Seemächte 9000, 1706 zum Krieg in Italien 11 500 und wieder nach dem Utrechter Frieden an England 12 000 Mann verschachert. Seit der Thronbesteigung Georgs Ii. zahlte England jährlich an den Landgrafen von Hessen 240 000 Pfd. (= 4 800 000 Mark). Im österreichischen Erbfolgekriege standen Hessen gegen Hessen, da der Landgraf Wilhelm Viii. 6000 seiner Landeskinder an Georg Ii. als Bundesgenossen der Kaiserin Maria Theresia, 6000 andere an Kaiser Karl Vii. vertäust hatte. Während der acht Jahre 1775 — 1783 lieferten Braunschweig, Hessen-Kassel, Hessen-Hanau, Ansbach, Waldeck und Anhalt-Zerbst zusammen 29166 Mann an die Engländer und erhielten dafür in Summa 1 790 113 Pfd. = 35 802 260 Mark. Ju den Verträgen wegen des amerikanischen Krieges fetzte man englischerseits fest, daß die Löhnung direkt an die Truppen ausgezahlt werden sollte, weil bei früheren Gelegenheiten einzelne deutsche Fürsten von der hohen englischen Löhnung, die bedeutend mehr betrug als die deutsche, den Mehrbetrag in die eigene Tasche gesteckt hatten.
Wenn man bedenkt, welche kümmerliche Rolle die Reichsarmee im siebenjährigen Kriege gespielt, so erregt es doppelt unwilliges Staunen, kleine deutsche Fürsten kaum 13 Jahre nach dem Friedensschlüsse binnen weniger Monate 20 000 Mann für England liefern zu sehen. Und, was das Schlimmste ist, fast ohne Widerspruch im Reiche. Zwar erteilte 1777 der Wiener Hof feinen Gesandten den Auftrag, die Truppenlieferungen so
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Jourdan durch Franken, Moreau durch Schwaben, der junge Bonaparte von Italien aus in das Herz von Oesterreich dringen und dem Kaiser die Friedensbedingungen unter den Mauern seiner Hauptstadt vorschreiben. Bonaparte ward zum General der italienischen Armee ernannt.
2.
Der Befehlshaber der italienischen Armee hatte mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen, denn das Heer befand sich im allerkläglichsten Zustande — ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Zucht und Ordnung, ein wahres Lumpengesindel. Doch sobald der junge Held erschien, änderte sich die Sache; sein Geist erfaßte die Gemüther der Soldaten mit unwiderstehlicher Gewalt, bald kam Ordnung und Begeisterung in das zerrüttete Heer und es folgte mit neuem Muth seinem kundigen Führer. Der österreichische General Beaulieu, der unter Waffen grau geworden war, wurde geschlagen; erschrocken trennte sich zuerst der König von Sardinien von dem österreichischen Bunde und bat um Waffenstillstand. Er erhielt ihn nur gegen schwere Opfer. Unaufhaltsam rückte Bonaparte vor. Bei Lodi hatten die Oesterreicher die über den Fluß Adda führende Brücke besetzt und am Eingänge derselben eine Menge Kanonen ausgepflanzt, um augenblicklich Alle zu zerschmettern, die es wagen würden, sie zu betreten. Dennoch beschloß Bonaparte den Sturm. Auf seinen Befehl: „Vorwärts!" stürzten 3000 Grenadiere mit gefälltem Bajonnet, unter dem Rufe: „Es lebe die Republik!" auf die Brücke; aber ein mörderisches Kartätschenfeuer streckte die Anstürmenden reihenweise zu Boden. Schon wichen die Grenadiere bestürzt zurück; da stellten sich Berthier, Massena und Sannes, die Unterbefehlshaber, selbst an ihre Spitze, führten sie im Sturmschritt über die Brücke, eroberten das Geschütz und schlugen das österreichische Heer völlig in die Flucht Dieser Sieg, den Napoleon Bonaparte im Jahre 1796 (10. Mai) erfocht, erfüllte ganz Italien mit Schrecken und Bewunderung. Vor allen eilten die Herzöge von Parma und Modena, den jungen Helden um Frieden zu bitten. Sie erhielten ihn gegen Erlegung großer Kriegssteuern und gegen Auslieferung kostbarer Gemälde und anderer Kunstschätze, die er nach Paris schickte, um durch solche Siegeszeichen die eitlen und schaulustigen Bürger der Hauptstadt für sich zu gewinnen. Auch der Papst und der König von Neapel baten um Waffenstillstand und bezahlten dieses Geschenk ebenfalls mit großen Summen. Der Kaiser Franz, erschreckt durch die Fortschritte der französischen Waffen in Italien, schickte eiligst aus Deutschland seinen General Wurms er mit einem neuen Heere dahin; allein trotz der heldenmütigen Tapferkeit gelang es nicht, den Siegeslauf des jungen republikanischen Feldherrn und seiner begeisterten Truppen zu hemmen. In mehreren Treffen geschlagen, mußte sich Wurmser mit dem Reste seines Heeres in die Festung Mantua werfen. Hier vertheidigte er sich mit dem Muthe eines Löwen und blieb unverzagt, ungeachtet des drückenden Mangels an Lebensmitteln. Um den Hartbedrängten zu entsetzen, schickte der Kaiser ein neues Heer unter dem
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vierten Stande (der Arbeiterllasse) huldigte, nabe daran war, zur Pöbelherrschaft herabzusinken.
6. Die Märzrevolution in Wien und Berlin.
Wie der Feuerfunke in aufgehäuften Zündstoff flog die Kunde von der Pariser Februarrevolution nach Deutschland und Italien hinein und Oesterreich wie Preußen blieben dieß Mal nicht verschont; ihr Staatsbau wurde in seinen Grundfesten erschüttert.
Kaiser Ferdinand I., der Nachfolger des Kaisers Franz seit dem Jahre 1835, war körperlich und geistig schwach und ganz dem Einflüsse Metternichs preis gegeben, dessen Kunst darin bestand, Alles beim Alten zu lassen und Oesterreich dem deutschen Leben zu entfremden. Alle Glaubens -, Lehr- und Lernfreiheit, alle Rede- und Preßfreiheit war unterdrückt. Die Kunde von dem Zusammensturz des Thrones Louis Philipp's elektrisirte die liberale Partei und ganz besonders die Wiener studirende Jugend. Die Ungarn hatten sich schon früher erhoben und der Volksmann Kossuth am 3. März in Presburg eine kühne Rede gehalten, worin er eine Verfassung für alle Länder Oesterreichs verlangte. Am 13. März wurde in Wien der niederösterreichische Landtag eröffnet; Tausende hatten sich vor dem Ständehause versammelt und jubelten einem Studenten zu, der die Rede Kossuth's vorlas. Die Stände wurden genöthigt, eine Deputation in die Hofburg zu entsenden, um dem Kaiser die Wünsche des Volks vorzutragen. Als dieser mit der Antwort zögerte, brach der offene Aufstand aus, und da der milde Ferdinand kein Blutvergießen wollte, so mußte sich das Militär nach kurzen Scharmützeln mit der Bürgerwehr und den Studenten zurückziehen. Der Hof war rathlos; Metternich, der sich feig und charakterlos versteckt hatte, entfloh nach England, und der Kaiser versprach Alles, was man verlangte; Preßfreiheit und Bürgerbewaffnung wurden proflantirt, eine liberale Verfassung in Aussicht gestellt. Die bewaffneten Bürger und Studenten wehrten nun den Ausschweifungen des Pöbels und nahmen die in Wien zusammenströmenden Polen, Ungarn und Italiener als Brüder in ihre Reihen auf. Am 15. März zog Kofsnth mit großem Triumph in Wien ein, um dem Kaiser die Adresse des ungarischen Reichstags zu überbringen, der ein unabhängiges Königreich mit eigener Regierung verlangte. Die Forderungen der Ungarn (Magyaren) wurden sofort gewährt und Graf Batthyani zum Präsidenten des ungarischen Ministeriums ernannt.
Roch mehr als in Ungarn war in Mailand und Venedig das österreichische Regiment verhaßt. Am 18. März erhob sich die ganze Bevölkerung von Mailand und zwang nach einem zweitägigen Straßenkampf den 82jährigen, doch noch immer jugendfrischen, Marschall Radetzky seine Truppen aus der Stadt in das sogenannte Festungs-inereef zwischen Mantua und Verona, Peschiera und Legnago, zurückzu
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von ihren Regierungen mit Festungshaft bedroht gewesen waren. Sie tagten nun mit dem Bundestage.
Eine allgemeine deutsche Nationalversammlung, aus Volkswahlen hervorgegangen, ließ aber auch nicht lange auf sich warten. Ein Vorparlament wurde in der Paulskirche eröffnet und bahnte jene an. Frankfurt, die freie deutsche Reichsstadt, die so manche glanzvolle Kaiserwahl gesehen, war nun wieder der Mittelpunkt deutsch-nationalen Lebens und Strebens geworden. Am 18. Mai zogen aus dem altehrwürdigen Kaisersaal im Römer 330 Abgeordnete des deutschen Volks nach der Paulskirche, wo das erste National-Parlament sein schweres Werk, das zersplitterte Deutschland verfassungsmäßig zu einigen, unter dem Vorsitze Heinrichs von Gagern begann. Auf dessen Vorschlag wurde am 29. Juni der beim Volke beliebte Erzherzog Johann von Oesterreich (Bruder des Kaisers Ferdinand) zum Reichs-Verweser erwählt, um die Beschlüsse der Nationalversammlung zu vollziehen und das Reich dem Auslande gegenüber zu vertreten. Der alte Bundestag löste sich auf.
Da ohne ein Reichsheer der Reichsverweser und die Nationalversammlung machtlos war, so wurde beschlossen, daß die Bundestruppen dem Reichsverweser huldigen sollten. Dies geschah am 6. August, aber nur theilweis; von den Truppen Oesterreichs, Preußens und Hannovers ward es unterlassen.
Die beiden Hauptmächte, von denen die Gestaltung Deutschlands in erster Linie abhing, waren zu sehr von der Bändigung der Revolution in ihrer eigenen Mitte in Anspruch genommen und ließen vorläufig der Frankfurter Nationalversammlung freien Lauf. Diese berieth so gründlich wie möglich über die Grundrechte des deutschen Volks. Während sie damit beschäftigt war, trat eine Frage an sie heran, an deren Lösung sie praktisch ihre Macht erproben konnte.
Es war der Erbfolgestreit in Schleswig - Holstein. Holstein, obwohl der dänischen Krone Unterthan, war deutsches Bundesland und nach altem Vertragsrecht zugleich mit Schleswig derart verbunden, daß, falls der dänische Mannsstamm erlöschen würde, die Regierung an den Herzog von Augustenburg kommen mußte. Da nun König Christian Viii. von Dänemark blos einen kinderlosen Sohn hatte, so erließ er, um die Herzogthümer in größter Abhängigkeit von Dänemark zu erhalten, am 8. Juli 1846 einen „offenen Brief", der das dänische Erbfolgerecht auch auf Schleswig-Holstein ausdehnte, und als Friedrich Vii. mit dem am 20. Jan. 1848 erfolgten Tode seines Vaters zur Regierung gelangte, gab derselbe eine Verfassung, in welcher Schleswig der dänischen Monarchie einverleibt wurde. Deutsche Sprache und Sitte wurde von den Danen auf brutalste Weise unterdrückt. Dagegen protesürten nun die Herzogthümer und verlangten für sich eine besondere Verfassung. Dies Verlangen wurde von den Dänen mit Hohn zurückgewiesen, und so trat in den Herzogtümern eine provisorische Regie-
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nieinsamen Bundesangelegenheiten wurden von Abgeordneten besorgt, die in Frankfurt a. M. tagten, d. H. beriethen und beschlossen. In diesem Bundestage führte Oesterreich den Vorsitz; es hatte nebst den 4 Königreichen je vier Stimmen, aber auch die kleinsten hatten je eine Stimme, so daß in pleno 70 Stimmen vorhanden waren. Nur bei Veränderung oder Abfassung von Grundgesetzen trat dieses Plenum zusammen. Berieth man im engeren Rath — wie es meist der Fall war — so führten die größeren Staaten je eine (Viril-)Stimme und die kleineren vereinigten sich zu einer (Curiat-) Stimme. So konnten einige kleinste Fürstenthümer, die zusammen noch lange nicht die Größe einer Provinz des Königreichs Preußen hatten, sich zu einer Stimme vereinigen, die ebenso viel galt als das ganze Preußen, und Oesterreich und Preußen galten bei der Abstimmung nicht mehr als das kleine Sachsen und Württemberg.
Dem aus so vielerlei nichtdeutschen Völkerschaften zusammengesetzten Kaiserstaat Oesterreich, dessen reindeutsche Bevölkerung viel geringer war, als die des Königreichs Preußen, war diese Zersplitterung Deutschlands gerade recht, weil er mit Hülfe der kleinen Staaten, welche das Uebergreifen Preußens fürchteten und ihre Souveränetät nicht opfern wollten, die deutsche Hauptmacht überstimmen und niederhalten konnte. Vorläufig gingen beide Staaten Hand in Hand, da nach den vorangegangenen schweren Kriegsnöthen das Bedürfniß des Friedens allgemein war und die wie durch ein Wunder geschehene Niederwerfung Napoleons die Gemüther religiös gestimmt hatte. Noch in Paris (am 26. Sept. 1815) hatten Alexander, Friedrich Wilhelm und Franz I. die „heilige Allianz" geschlossen, worin sie gelobten, sich als Brüder zu lieben und ihre Völker im Geiste des Evangeliums als Glieder Einer christlichen Familie zu regieren.
Doch die deutschen Völker waren aus ihrem geistigen Schlummer und ihrer politischen Gleichgültigkeit erweckt und verlangten nach einer Staatsverfassung, die ihnen das Recht gewährte, über die Verwendung der von ihnen gezahlten Steuern Rechenschaft zu fordern, und bei Erlaß neuer Gesetze zu Rathe gezogen zu werden. In Nassau, Baden, Württemberg und Bayern, wo der französische Einfluß sich mächtiger geltend gemacht hatte als in Norddeutschland, mußten sich die Regierungen zu freisinnigeren Verfassungen bequemen. Langsamer ging es aber in Oesterreich und Preußen. Zwar hatte der wohlwollende und ehrliche, wenn auch in seinen Ansichten etwas befangene und in seinen Entschlüssen zaghafte König Friedrich Wilhelm Iii. schon von Wien aus am 22. Mai 1815 eine Kabinets - Ordre erlassen, worin er seinem treuen, opferfreudigen Volke, das in der Stunde der Gefahr Land und Herrscherhaus gerettet, zur Belohnung für dessen Hingebung nicht nur die Berufung der Provinzialstände, sondern auch Reichsstände zur Vertretung des Gesammt - Staates versprach. Allein die Räthe und Hofleute (meist aus dem hohen Adel), welche ihre Standesinteressen ge-
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erachte. „Preußen , so sagte er offen, „muß seine Kraft zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Mal verpaßt ist. Preußens Grenzen sind zu einem gesunden Staatskörper nicht günstig.' Große Fragen werden aber nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse entschieden, sondern durch Blut und Eisen."
Alle Widersacher Preußens und die radikalen „Freiheitsmänner" Zumal meinten, .König Wilhelm und sein Minister wolle eine neue Aera absolutistischer Königsherrschaft beginnen; Preußen wurde verhöhnt und der deutschen Hegemonie (Oberleitung) für unfähig erklärt. Oesterreich benutzte diese Krisis und schrieb im August 1863 einen Fürsten kongreß nach Frankfurt uis, um dem deutschen Reiche nach seinem (Oesterreichs) Smne eine Verfassung zu geben. Neben einem Fürstenhause sollte als Abgeordnetenhaus eine Delegirtenversammlung (aus Abgeordneten der einzelnen Landesvertretungen Deutschlands) gebildet werden. Der König von Preußen, den der österreichische Verfassungsentwurf auf Eine Linie mit dem Könige von Bayern stellte, erschien nicht am Fürstentage, der auch bei den meisten Norddeutschen keinen Anklang fand, und so löste sich der Versuch wieder in Nebel auf.
11. Der schleswig-holsteinische Krieg. Das Jahr 1864.
Wir haben schon unter Nr. 7 bei den Wirren des Frankfurter Parlaments des Malmöer Waffenstillstandes gedacht, der für Deutschland eine Schmach war. Es sollte jedoch damit noch nicht sein Bewenden haben. Als am 1. April die festgesetzte Frist abgelaufen war und die Dänen, welche durchaus nicht nachgeben wollten, sich unterdessen noch mehr gerüstet hatten, entbrannte der Kampf auf's Neue. In den Hafen Eckernförde waren dänische Schiffe eingedrungen; eine deutsche Strandbatterie sprengte das Linienschiff Christian Viii. in die Luft und zwang die Fregatte Gefion, sich zu ergeben. Die deutschen Neichstruppen drangen bis nach Fridericia und Veile in Jütland vor, nachdem sie ant 13. April die Düppeler Schanzen erstürmt und ant 20. April die Dänen bei Kolding geschlagen hatten. Die Dänen aber machten aus Fridericia einen glücklichen Ausfall und schlugen das deutsche Belagerungsheer. Preußen, von den Seemächten gedrängt, schloß am 10. Juli mit Dänemark einen Waffenstillstand, und die deutschen Truppen mußten Schleswig räumen.
Die Waffenruhe dauerte bis zu Anfang des folgenden Jahres (1850). Ant 2. Juli kam zu London der Friede zu Stande, in welchem Schleswig den Dänen überlassen wurde. Die Herzogtümer griffen abermals zu den Waffen; am 25. Juli wurden aber bei Jbftedt 26,000 Schleswig - Holsteiner von 37,000 Dänen zurückgeschlagen, und nun mußten sich die Herzogthümer dem Willen der Großmächte fügen und diese entschieden, abermals in London (8. Mai 1852), daß nicht der Herzog von Augustenburg, dm das Volk verlangte, sondern Prinz Christian von Glücksburg die Herrschaft über Schleswig-Holstein
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Es wurden Friedensverhandlungen mit Dänemark angeknüpft, die ohne Ergebniß blieben, und der Krieg begann von Neuem. Die Preußen setzten (29. Juni) nach der wohlvertheidigten Insel Alsen über (unter Herwarth von Bittenfeld) und gewannen auch diese Insel. Die alliirten Truppen drangen weit über den Lymfjord bis an die äußerste Spitze von Jütland vor; die Dänen bequemten sich endlich zum Frieden, der am 1. August vorläufig in Wien verabredet, am 30. Oktober 1864 unterzeichnet ward. Der König von Dänemark entsagte allen seinen Rechten auf die Herzogthümer Schleswig-Holstein und Lauenburg zu Gunsten des Kaisers von Oesterreich und des Königs von Preußen. Die deutschen Länder im Norden der Elbe (Nordalbingien) waren von der dänischen Fremdherrschaft befreit, die Schmach von 1850 war gesühnt.
12. Das Jahr 1866. Preußen erringt die Hegemonie.
Der schleswig-holsteinische Krieg, weit entfernt, die deutsche Frage zu lösen, hatte die Spannung zwischen Oesterreich und Preußen einerseits, zwischen den Kleinstaaten und Preußen andererseits, erst recht auf die Spitze getrieben. Daß es so nicht bleiben konnte, daß es zu einem Entscheidungskampfe zwischen den beiden rivalisirenden Großmächten kommen müsse, fühlte man allgemein. Die gemeinsame Verwaltung der Herzogthümer erwies sich immer schwieriger. Zwar trafen König Wilhelm und dessen nun zum Grafen ernannter Minister Bismarck mit dem Kaiser Franz Joseph und dessen Minister (Graf Mensdorsf) zusammen — in Gastein und Salzburg, wo zur Vermeidung des Bruderkrieges die Auskunft getroffen wurde, Preußen solle Schleswig, Oesterreich oagegen Holstein verwalten und das kleine Lauenburg solle an Preußen fallen, welches dafür an Oesterreich 2 72 Million Thaler zahlte. Allein das Alles war nur ein Hinausschieben des Kampfes und in der Voraussicht desselben beeilte sich Franz Joseph, den Verfassungsstreit mit Ungarn beizulegen, indem er mit Deak, dem Führer der gemäßigten Oppositionspartei des ungarischen Landtages, ein Abkommen traf, nach welchem die Länder der Stephanskrone wieder ein Gesammtkönigreich Ungarn mit eigener Verfassung und Verwaltung ausmachen sollten. Oesterreich theilte sich in zwei Hälften diesseits und jenseits der Leitha (des Grenzflüßchens zwischen Deutsch-Oesterreich und Ungarn) — in ein Cisleithanien und Transleithanien. Bismarck hatte schon früher den österreichischen Staatsmännern den Rath ertheilt, Oesterreich solle seinen Schwerpunkt nach Ofen-Pest verlegen und dem französischen Gesandten in Wien, Herzog von Gramont, hatte er gelegentlich in Carlsbad gesagt, er fürchte durchaus nicht einen Krieg mit dem verarmten und zerrütteten Kaiserstaate, ja er wünsche ihn sogar. Im Herbst 1865 war er nach Biarritz, wo damals der französische Kaiser weilte, geeilt, um mit diesem über die Neutralität Frankreichs zu unterhandeln, die er auch durch die Drohung einer Allianz mit Rußland erlangte. Im März 1866 kam -der italienische General Govone nach Berlin, ein Bündniß mit Preußen
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Extrahierte Ortsnamen: Wien Lauenburg Oesterreich Nordalbingien Oesterreich Gastein Salzburg Oesterreich Holstein Lauenburg Oesterreich Ungarn Oesterreich Ungarn Oesterreich Wien Carlsbad Biarritz Berlin
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ziehen. Auch Venedig erhob sich am 22. März unter dem Advokaten Manin und zwang den unfähigen Kommandanten Zichy zur Uebergabe. Der Papst Pius Ix. fühlte sich in seinem Kirchenstaat auch nicht mehr sicher und entwich nach der Festung Gaeta zum König von Neapel. Die Herzöge von Parma und Modena mußten sich nach Oesterreich flüchten, und nun eilte der König von Sardinien, Carlo Alberto, den Lombarden zu Hülse, in der Hoffnung, ein oberitalienisches Königreich zu gründen, das stark genug wäre, zwischen Frankreich und Oesterreich sich zu behaupten. Doch der unerschütterliche tapfere Radetzky schlug ihn in einer Hauptschlacht beicustozza am 25. Juli und im folgenden Jahre am 23. März bei Novara so entscheidend, daß er in Verzweiflung die Krone seinem Sohne Viktor Emmanuel übergab, der am 6. August zu Mailand mit Oesterreich Frieden schloß. Am 22. August kapitulirte auch Venedig und eine französische Armee unter Oudinot rückte in den Kirchenstaat ein, eroberte Rom und stellte die alte Papstherrschaft wieder her.
In Preußen war seitdem I.juli 1840 Friedrichwilhelm Iv. seinem Vater in der Regierung gefolgt — ein wohlwollender, vielseitig gebildeter, sehr beredter Fürst, aber kein Mann der That, von dem man also auch nicht erwarten durfte, daß er dem Einfluß Metternichs sich entziehen und das Uebergewicht Oesterreichs brechen würde. Wiederholt an das von Friedrich Wilhelm 111. gegebene Versprechen gemahnt, eine das ganze Land umfassende Verfassung zu geben und Reichsstände einzuberufen, erklärte er, daß er nimmermehr zugeben werde, „daß sich ein beschriebenes Blatt (die Verfassungsurkunde) zwischen unserem Herrn im Himmel und das Land als eine zweite Vorsehung eindränge". Das Jahr 1848 brachte ihm zum Bewußtsein, daß ein solches „Stück Papier" doch etwas werth sei und daß er sich eine schwere Demüthigung erspart haben würde, wenn er es sechs oder acht Jahre früher seinem Volke bewilligt hätte.
In Berlin hatten am 6. März die Volksversammlungen „vor den Zelten" begonnen, am 13. März kam es zum ersten Zusammenstoß mit dem Militär. Am 17. März erschien eine Kölner Deputation und am folgenden Tage eine Berliner Deputation vor dem Könige und verlangte größere konstitutionelle Freiheit und zugleich Umgestaltung des so verächtlich gewordenen deutschen Bundes zu einem einheitlich regierten Bundesstaat, in welchem auch das deutsche Volk durch seine Abgeordneten vertreten wäre. Der König sagte zu und entließ die Abgeordneten sehr freundlich, das vor dem Residenzschlosse versammelte Volk brachte freudig bewegt dem Könige ein Lebehoch, der zwei Mal auf den Balkon heraustretend von tausendstimmigem Jubel begrüßt wurde.
Nun aber siel es auf, daß alle Eingänge des Schlosses mit Militär besetzt waren und es erhoben sich von allen Seiten Rufe: Militär fortl Diese Zumuthung wies der König entschieden zurück. Als nun zwei Schüsse fielen, glaubten die Volksmassen, man habe sie getäuscht und
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.°"°rr-ichischen Gesammt-Monarchie verbleiben. Gagern, der Präsident der Nationalversammlung, hatte richtig erkannt, daß eine ®t|[t1?“''3 Deutschlands mit Oesterreich nicht möglich sei; die Groß, deutschen aber hielten eine Abtrennung Oesterreichs für ein Unalück wahrend d.e Kleindeutschen Oesterreich bei Seite lassen und die Seftmfg
Sä9»* U^on,Sunbe6staate" Preußen überlassen wollten ^ 1049 hatte man sich im Franffurter Parlament so wert geeinigt oder vielmehr nicht geeinigt, daß mit einer qerinaen -idjdntüt mit 290 gegen 248 Stimmen, beschlossen wurde, den Könia von Preußen, Friedrich Wilhelm Iv., zum erblichen Kaiser der Deutschen zu wählen Der Kömg empfing die Franffurter Deputation am 3. April und erklärte rhr, daß er ohne freie Zustimmung der deutschen Fürsten ble ^one nicht annehmen könne. So schmerzlich die Ablehnung für alle Vaterlandsfreunde war, als sie das letzte Mittel, über den Jammer de^ alten Bundestags hinauszukommen, verworfen sahen: so war es dennoch kein Unglück für Deutschland, daß Friedrich Wilhelm Iv. nicht annahm; Preußen wäre mit Rußland und Oesterreich und dem größeren Theil der Kleinstaaten Deutschlands in Krieg gerathen in einem Moment,^wo es in sich selber zu wenig gefestigt war.
Für das Frankfurter Parlament war aber die Ablehnung der Kayerkrone von Seiten Preußens ein Todesstreich. Oesterreich, Preußen und mehrere andere Negierungen riefen ihre Abgeordneten aus Frankfurt ab und die Nationalversammlung schmolz zu einem Rumpfparla-
Sieni?Dnc re-ttoa 100 Nasalen zusammen, welche sich vermaßen, die Jmchsverfafirnig dennoch in Deutschland zur Geltung zu bringen. In Dresden brach am 3. Mai ein Aufruhr aus, weil sich der König weigerte, die Reichsverfassung einzuführen und den reaktionären Herrn von Beust zu seinem Minister machte; auch in Pfalzbayern und dem durchwühlten Baden, wo am 9. Mai die Besatzung der Bundesfestung Rastatt sich mit der Bürgerwehr verbrüderte und die Garnison von Karlsruhe ihren Rittmeister ermordete, kam es zu bedrohlichen Aufstanden. Sie wurden jedoch von preußischen Truvpen unter Anführung des Prinzen von Preußen niedergeworfen, der am 13. Juni in die Pfalz rückte, die Freischaaren auf's rechte Rheinufer warf, am 20. Juni wieder den Rhein überschritt und die Aufständischen unter Anführung des Polen Mieroslawsky bei Waghäusel am 21. Juni in die Flucht schlug.
^er Reichsverweser, der es nie zu rechter Bedeutung gebracht, kehrte nach Tyrol zurück; das Rumpfparlament siedelte nach Stuttgart über und wählte aus^ seiner Mitte eine aus sieben Personen bestehende Reichsregentschaft; auf Befehl des Württembergischen Ministers wart) aber schon nach wenigen Tagen das Sitzungslokal geschlossen und die mit so großen Hoffnungen begonnene Nationalversammlung des deutschen Reichs hatte ihr rühmloses Ende erreicht.
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