402 Xxi. §. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I. rc.
können, so mochte man sagen, es sei das nur durch die eigne Schuld
der Fürsten möglich gemacht, durch ihre Unsittlichkeit, ihre Frevel,
ihre Unklugheit, ihre Untüchtigkeit, durch die Gunst der Zeitumstände,
die Unmündigkeit der Herrschern, s. w. Jetzt aber sollte sich's zeigen,
daß die Idee, für welche die Päpste kämpften, die geistliche Welt-
monarchie, wirklich so tiefe Wurzeln in der Zeitentwicklung und in den
Völkern habe, daß es selbst einer Reihe der gewaltigsten, consequen-
testen, ruhmreichsten Kaiser, die je auf dem deutschen Thron gesessen
haben, nicht gelingen konnte, sich mit den Waffen weltlicher Macht
und Klugheit den Päpsten gegenüber zu behaupten. Wir sind einge-
treten in die wunderbar herrliche Zeit der höchsten Entfaltung des
deutsch-mittelalterlichen Volkslebens, in die Zeit der hochgepriesenen
hohenstaufischen Kaiser. Alles, was von dem Wohlstand, der Bildung,
dem künstlerischen Schaffen und allgemeinen Lebensgenuß, den pracht-
vollen Bauten, den schwelgerischen Hofhaltungen, den glänzenden Tur-
nieren und aller sonstigen Pracht des Ritterwesens und der Lieblichkeit
des Minnesanges uns erzählt wird oder noch heute erhalten ist,
drängt sich vorzugsweise in dies Jahrhundert zusammen, wo die drei
großen Hohenstaufen Friedrich I. und Ii. und zwischen ihnen Hein-
rich Vi. auf dem deutschen Kaiserthron saßen. Alle drei bekämpften
sie nach einem festen Plane, mit unermüdeter Beharrlichkeit, mit
eben so viel Klugheit als Kühnheit die päpstliche Macht, die sich
über sie erheben wollte und erhoben hatte. Aber sie unterlagen —
unterlagen so vollständig, so jammervoll, daß nie ein großartigeres
Trauerspiel einen thränenreichern Ausgang genommen hat. Schon
gleich Friedrich I. Barbarossa (1132 — 80), der hochbegabte,
fromme und mannhafte Kaiser, voll hochstrebender Plane und un-
überwindlicher Tapferkeit, mußte nach langwierigem harten Streit sich
demüthigen vor den Päpsten. Mit kriegerischem Glanz und großen
Entwürfen zog Friedrich I. zum ersten Male 1154 über die Alpen
nach Italien. Dort in der Lombardei, wo man die Herrschaft und
die Gerechtsame der deutschen Kaiser schon fast vergessen hatte oder
verachtete, wo die Unzahl reicher und mächtiger Städte, voll Ueber-
fluß und Wohllebens, die kaiserlichen Befehle und Beamten hoffartig
verwarfen, sollte die Kaiserhoheit in neuem Glanz erstehen, alle Wi-
derspenstige unterdrückt und ein sicheres und gehorsames Reich ge-
gründet werden. War doch des Kaisers Friedrich Wort und Ent-
scheidung von den Königen in Dänemark wie in Ungarn, von den
Herzogen in Polen und den Erzgrafen in Burgund gefürchtet, ehrten
ihn doch die Könige von England und Frankreich durch höfliche
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452 Xxü. §. 9. Gleichzeitige Schwächung Frankreichs und des Papstthums.
hat freilich sein roher und träger Sohn Wenzel wieder umgestürzt
oder verfallen lassen. Doch blieb Böhmen noch immer eines der
am meisten vorgeschrittenen deutschen Länder. Schwerer mußten es die
Marken empfinden, daß die feste und weise Hand Kaiser Karl's
nicht ntehr die Regierung führte. Sie kamen in die Hände Sieg-
ln und's, der aber viel zu sehr mit der Erwerbung der ungarischen Krone
beschäftigt war (er hatte die Erbtochter von Ungarn geheirathet) und seine
deutschen Länder schmählich aussaugen und verkommen ließ. Aber dieser
jammervolle Zustand sollte für die Mark Brandenburg nur Einleitung
und Uebergang sein für eine desto schönere und bedeutungsvolle Zu-
kunft, die mit dem Eintritt des glorreichen und gesegneten hohenzoller-
schen Hauses begann. Unfähig, die Marken selber zu verwalten, in be-
ständiger Geldverlegenheit und dem Burggrafen Friedrich mannig-
fach verpflichtet, übergab Siegmund dem Hohenzoller Friedrich,
Burggraf von Nürnberg, die Mark Brandenburg, erst nur pfandweise,
dann 1415 als eignes Kurfürstenthum, ihm und seinen Erben mit allen
Rechten eines deutschen Reichsfürsten und Erzkämmerers. Damals
ahnte Siegmund schwerlich, wie schnell sein eigner Stamm ver-
löschen und wie hehr und gewaltig der königliche Baum erwachsen
werde, dessen erstes Reis er damals in den brandenburgifchen Boden
senkte.
§. 9. Gleichzeitige Schwächung Frankreichs und des
Pap st th ums.
Schwerlich würde Deutschland den großen Umschwung seiner
Verfassung, da es aus einem Lebenstaat zu einer Fürsten- und Stüdte-
republik sich umgestaltete, so ungestört haben vollziehen können, wären
nicht seine beiden alten Widersacher, Frankreich und die Päpste, voll-
ständig nach einer andern Seite in Anspruch genommen und selbst
in einem bedenklichen Rückgang ihrer Macht begriffen gewesen. Frank-
reich war in einen schweren Krieg mit England verwickelt; denn
der König Eduard Iii. behauptete nach dem Aussterben der
Hauptlinie der Capetinger (1328), ein näheres ^Anrecht auf
den französischen Thron zu haben als die Seitenlinie der Valois, und
da nun König Philipp Vi. von Valois die englischen Besi-
tzungen in Frankreich angriff (fast das ganze südwestliche Frank-
reich gehörte damals dem englischen Könige), so entspann sich
ein blutiger und langwieriger Krieg, der hauptsächlich auf fran-
zösischem Boden ausgefochten wurde und das französische Reich
mehr als ein Mal an den Rand des Verderbens brachte. In
der furchtbaren Schlacht von Cressy 1346 sollen elf französische
Prinzen und 1200 Ritter umgekommen sein. In der Schlacht von
Poitierö 1356 wurde König Johann, der seinem Vater Philipp
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_mannig- Friedrich Siegmund_dem_Hohenzoller_Friedrich Friedrich Burggraf_von_Nürnberg Siegmund Eduard Philipp_Vi Philipp Cressy König_Johann Johann
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Ungarn Brandenburg Brandenburg Frankreichs Deutschland Frankreich England Frankreich Frank-
Xxi. §. 11. Kreuzzüge Wider die Ketzer.
417
unruhigen Gewissens, insonderheit aus dem demüthigen Forschen in
der heiligen Schrift sich immer lauter und allgemeiner solche Stim-
men erhoben, welche die ganze bestehende Kirche für besteckt, für wi-
derchristlich erklärten und mit Verwerfung aller gewohnten Formen
des Gottesdienstes und der kirchlichen Gemeinschaft sich in kleineren
Kreisen ihre eignen Gottesdienste, auch wobl ihre eignen Lehren zu-
recht machten. Sie thaten das nach dem Maße ihrer Erkenntniß, und
da die unter den verschiedenen Gegnern der herrschenden Kirche sehr
verschieden war, so wichen auch die Forderungen, Lehren und gottes-
dienstlichen Gebräuche der Einzelnen bedeutend von einander ab. Schon
von Alters her hatte es innerhalb der abendländischen Kirche viel
fromme Gemüther, viel erleuchtete Männer gegeben, welche freimüthi-
ges Zeugniß abgaben gegen die Verderbniß der Geistlichkeit, gegen
die Verwerflichkeit einzelner kirchlicher Lehrbeftimmungen, gegen die
falsche Richtung und Verweltlichung des ganzen kirchlichen Systems.
Aber eine weitere Ausbreitung solcher gegenkirchlichen Behauptungen,
die Bildung besonderer Gemeinschaften, die sich geradezu von der kirch-
lichen Praxis lossagten, trat doch eigentlich erst seit dem zwölften Jahr-
hundert hervor. Da war man durch die Kreuzzüge und den ander-
weitigen regen Verkehr mit dem Morgenland bekannter geworden, mit
den aus alter Zeit noch in den griechischen Ländern vorhandenen
Irrlehren; das neue, kühne, hochfliegende Wesen dieser muthigen und
ausdauernden Feinde der bestehenden Kirche erwarb ihnen besonders
in Italien und im südlichen Frankreich und am Rhein entlang eine
unerwartete Theilnahme. Katharer, Reine, nannten sie sich, und
im Allgemeinen können selbst ihre Feinde ihnen das Zeugniß nicht
versagen, daß ihr Wandel reiner und heiliger gewesen, als er durch-
schnittlich innerhalb der Kirche zu finden war. Aber ihre Lehren
waren zum Theil ganz ungeheuerlich und widersinnig. Man fand
Leute unter ihnen, die zwei Götter glaubten, einen guten und einen
bösen, oder die Welt für ungcschaffen und ewig, oder das ganze
Weltall für Gott erklärten, oder die sich selbst dem Sohne Gottes
gleichftellten oder im alleinigen Besitz des heiligen Geistes zu sein
Vorgaben. Daß Päpste und Bischöfe, Priester und Mönche gegen
solche heillose Jrrthümer zu Felde zogen, war ja recht und gut, wenn
sie es nur mit dem Wort der Wahrheit und dem Schwert des Gei-
stes gethan hätten. Aber schlimmer wurde es, als zu Papst Jnno-
.cenz Iii. Zeiten eine neue Secte sich ausbreitete, die Waldenser,
die ganz und allein sich auf das Wort Gottes stützten, und nur das
wollten als recht und wahr gelten lassen, was in der heiligen Schrift
v. Rohden, Leitfaden. 27
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Xxii. §. ]2. Eintritt der spanischen Macht mit ihren Entdeckungen rc. 463
§. 12. Eintritt der spanischen Macht mit ihren Ent-
deckungen in die Völkergeschichte.
Von den östlichen Grenzlündern des südlichen Europa müssen
wir uns, ehe wir wieder zu dem Mittelpunkte unserer Geschichte, nach
Deutschland zurückkehren, noch erst zu dem äußersten Westen wenden,
zu den Völkern der pyrenäischen Halbinsel. Deren Privaterziehung
(wenn man es so nennen mag) war soeben vollendet und sie wur-
den nun berufen zum Miteingreifen in die Entwicklung der europäischen
Christenheit. Es war freilich ein trauriger und bald vollendeter Be-
ruf, der ihnen zu Theil geworden ist, nämlich der, die wankende Macht
des Papstthums und des gesammten Katholicismus mit ganzer Kraft,
mit List und Gewalt zu stützen und ihm neue Siege zu verschaf-
fen nicht bloß in Europa, sondern auch in den fernen Ländern neu
entdeckter Welttheile. Denn obwohl jetzt ein neuer Zeitabschnitt sich
vorbereitet, da ein mündig gewordenes Geschlecht dem Gängelbande
der päpstlichen Priesterschaft sich entzieht und die, welche sich nach
Wahrheit sehnen, die Wahrheit wirklich finden und bekennen können,
so haben wir doch nirgend eine Zusage, daß das Papstreich lediglich
durch die Verbreitung evangelischer Wahrheit gestürzt werden wird.
Das sind ganz andere Mächte, die es stürzen sollen. Wider die Be-
kenner der Wahrheit entwickelt es nach augenblicklichem Zurückweichen
und trotz der bedeutenden Verringerung seines Gebiets eine desto grö-
ßere Energie des Widerstandes und des Angriffs, und Spanien ist es,
welches ihm zu diesem Zweck diesseits und jenseits des Oceans gleich
anfangs und für lange Zeit seine geistigen Kräfte und seine Waffen leiht.
Im ersten Augenblick, da wir uns jetzt von dem jammervollen
Bild des untergehenden Griechen- und des aufsteigenden Türkenreichs
nach der spanischen Halbinsel hinüber wenden, werden wir freilich mit
Bewunderung und Freude erfüllt. Da sehen wir nämlich ein umge-
kehrtes Schauspiel: die einst so mächtige arabische Herrschaft in Spa-
nien geht zu Grunde, das letzte mohamedanische Königreich Gra-
nada wird unterworfen und in großer Herrlichkeit breiten sich die
einst von den Arabern bis in die äußersten Schlupfwinkel der nörd-
lichen Gebirge verfolgten Christen, im Glanze tausendfacher Siege,
als zwei oder drei mächtige Königreiche von den Pyrenäen bis zur Spitze
von Gibraltar aus. Aber so wie man den Blick wendet und im Hin-
tergründe der siegreichen Ehristcnschaaren die Scheiterhaufen flammen
sieht, auf denen Juden und Saracene» und Ketzer zu Tausenden er-
barmungslos verbrannt werden, wenn man in die finsteren Kerker der
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Extrahierte Personennamen: Gibraltar
Extrahierte Ortsnamen: Europa Deutschland Europa Spanien
Xxii. §. 15. Innerer Verfall des Papstthums. 475
sitze der schnödesten Unzucht, sowie sie zugleich die Hochschulen der
gemeinsten Gewinnsucht, des schlauen Betrugs, der unverschämten Ehr-
sucht und Herrschsucht waren. Immer von Neuem hatte man angefangen,
die Klofterwirthschaf tzu reformiren, andere Klosterregeln, andere Orden
hatte man in's Leben gerufen; aber ohne die Zucht und Klarheit des
göttlichen Wortes waren sie alle nach und nach in dasselbe sittliche
Verderben hineingerathen. Weder jene Bahnbrecher Gregor's Vh.,
die eifrigen Cluniacenser, noch Norbert's Prämonstratenser, noch
die Cistercienser des heiligen Bernhard, weder die Franciscaner noch
die Dominicaner, einen so ehrenwerthen Anlauf auch manche von
ihnen nahmen, konnten die sittliche Verwilderung von sich fern halten.
Ueber allem diesen Moder und Elend eines faulenden Kirchen-
wesens thronten die Päpste in ihrer Herrlichkeit zu Rom. Man
sollte meinen, der Jammer über die vom Scheitel bis zur Fußsohle so
arg verunstaltete Christenheit, die fast keine Spur der ursprünglichen
bräutlichen Schönheit mehr durchscheinen ließ, würde ihr Herz auf's
Tiefste verwundet, würde ihre Augen zu Thränenquellen gemacht haben.
Aber daran dachten sie nicht. Macht und Herrlichkeit, Hoheit und
Ehre, Reichthum und Genuß, das war es, wonach die Seele der
allermeisten Päpste dürstete; sie wollten die Herren der Welt sein,
nicht, wie sie sich zu nennen wagten: „Knechte der Knechte Christi."
Je eifriger ihnen seit dem Avignonschen Exil und dem päpstlichen
Schisma ihre unumschränkte Gewalt bestritten wurde, je heftiger sich
die Landesfürsten, die allgemeinen Concilien, die Pariser gelehrten
Redner, die franciscanischen Minoriten und so viele Stimmen aus
dem Volke erhüben wider die göttliche Ehre, die sie für sich bean-
spruchten, desto eifersüchtiger, desto unverschämter, desto gewaltsamer
wurden ihre Anmaßungen. Mit Feuer und Schwert erwehrten sie
sich der Ketzer, die ihre Autorität in Zweifel zogen, die Bannflüche
und Jnterdicte, die Inquisitionen und Scheiterhaufen folgten sich im-
mer rascher und schonungsloser. Wo es mit Gewalt nicht möglich
war, da wurden durch Geld, durch List, durch augenblickliche Zuge-
ständnisse die widrigen Stimmen zum Schweigen gebracht. Nicht die
würdigsten Geistlichen, sondern die ergebensten Anhänger setzten sie
auf die Bischofsstühle, in die kirchlichen Aemter; nicht Seelen zu ge-
winnen, sondern Geld zu gewinnen für sich und für die päpstliche
Casse, war ihre Aufgabe. Immer neue Abgaben wurden der Chri-
stenheit angesonnen; alle Länder durchschwärmten die Legaten des
Papstes, nicht um die kirchlichen Verhältnisse zu ordnen, sondern um
sie zu verwirren, um die Eingriffe der päpstlichen Allgewalt in alle
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476 Xxn. §. 15. Innerer Verfall des Papstthums.
bischöflichen und priesterlichen Rechte zur Geltung zu bringen. Alle
Versuche einzelner Kirchenlehrer und Fürsten, alle Concilienbeschlüsse
konnten diesen schreienden Uebelständen keine Abhülfe bringen. Es
gelang den Päpsten, alle ihre ungemessenen Ansprüche, und wenn auch
nicht in weltlichen, so doch in geistlichen Dingen ihre ganze Macht-
stellung unvermindert zu behaupten. Der Papst erklärte sich noch im-
mer für den Herrn über alle Fürsten, für den Inhaber aller bischöf-
lichen Gewalt, für den untrüglichen Gesetzgeber und die Quelle des
kirchlichen Glaubens. Zwar ging ein banges Gefühl durch das
ganze fünfzehnte Jahrhundert, daß das Papftthum, welches selbst nim-
mermehr die Hand zur Herbeiführung besserer Zustände bieten würde,
von unten her durch einen gewaltsamen Ausbruch des gequälten Vol-
kes würde heimgesucht und schwer gezüchtigt werden; aber die Päpste
in der Fülle ihrer Macht und ihres sinnlichen Wohllebens wollten
solche Warnungen nicht hören.
Der eben geschilderte innere Verfall, und die seit Bonifa-
cius Viii. begonnene Schwächung der Papstmacht durch einzelne Lan-
desherren und Könige waren bereits Vorzeichen und Wirkungen des
herannahenden göttlichen Gerichts. Denn wiewohl der Herr diese von
den Kräften der Tiefe emporgehobene Kirchenmacht eben so wie sämmt-
liche Formen der Weltmacht zur Ausführung seiner großen Heilsrath-
schlüsse, zum Aufbau seines Reiches gebrauchte, so hat er doch nichts
desto weniger auch über das Papstreich, wie über alle jene Weltreiche
das Gericht und das Verderben einbrechen lassen zu seiner Zeit. Als
sie die Zwecke, welche der Herr durch sie erreichen wollte, erfüllt hat-
ten, da waren sie auch reif geworden zum Gericht. Der Hauptzweck
aber, zu welchem das Papstreich dem Herrn dienen mußte, war, wie
wir schon früher sahen, die pädagogische, gleichsam alttestamentlich
gesetzliche Eingewöhnung der starren und trotzigen Völker des Mittel-
alters unter die kirchliche und sittliche Zucht des Christenthums. In
dem gleichen Maße, als eine Anzahl germanischer und ein Bruchtheil
romanischer Nationen zur Mündigkeit heranreiste, um selbständig die
Wahrheit zu erkennen, und im Geist und in der Wahrheit dem Herrn
nachzuwandeln, in demselben Maße häuften sich auch die Schläge des
göttlichen Zorns über das verfaulte römische Wesen. Ein Hauptschlag
stand jetzt eben bevor. Mit der Reformation begann jenes gewaltige
Erdbeben, welches alle kirchlichen Verhältnisse des Abendlandes umstürzte
und die Stadt Rom oder die römische Kirche, welche damals das ganze
mittlere und westliche Europa überdeckte, in drei Theile zerspaltete.
Vom sechzehnten Capitel der Apokalypse an werden uns die Gerichte,
von welchen die päpstliche Macht betroffen wird, vorgeführt. Alle
Bestandtheile, aus denen sie sich auferbaut hat, die Erde oder der Rest
des altrömischen Reichs, das Meer oder die nördlichen und östlichen
Heidenvölker um die alten römischen Grenzen her, die Wasserströme
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496 Xxiii. §. 6. Nlederbeucning und Wiederaufrichtung der Papstmacht.
reits erfüllen zu sollen, wonach „die große Stadt, die das Reich hat
über die Könige auf Erden, von eben diesen Königen bloß und wüste
gemacht und mit Feuer verbrannt werden wird." Aber solche Zeit
steht noch bevor. Viel zu sehr hatte der katholische Kaiser den
Papst nöthig, als daß er ihn gänzlich hätte verderben sollen. Wir
sehen ihn bald wieder Unterhandlungen mit seinem Gefangenen an-
knüpfen, ihn freigeben, sich mit ihm verbünden. Mit heimlichem
Widerwillen, aber durch die Umstände gezwungen, tritt der Papst
wieder auf die Seite des Kaisers. Er muß den übermächtigen Nach-
bar in Italien dulden, muß sich bereit erklären, seine politischen Ent-
würfe zu unterstützen — aber Eins bedingt er sich dafür aus, Eins
gewährt ihm der Kaiser zur erwünschten Entschädigung: seinen kräf-
tigen Arm zur Ausrottung der lutherischen Ketzerei. Im Jahr 1529
kommt Kaiser Karl selber aus Spanien nach Italien. In Bologna
trifft er mit dem Papst zusammen. Er ist auf dem Wege nach Deutsch-
land. Da werden die schärfsten Maßregeln gegen die hartnäckigen
Ketzer in Deutschland verabredet. Und bemerken wir es wohl. Der
Kaiser war jetzt ein Anderer, als vor neun Jahren, er war jetzt in die
Jahre der Reife und der Selbständigkeit eingetreten. Von jetzt an
sehen wir ihn im Rache wie im Felde überall selbst an der Spitze,
bei ihm steht immer die letzte Entscheidung, überall sieht er selbst,
urthellt er selbst, handelt er selbst. Unermüdlich ist er in den Staats-
geschäften, unüberwindlich im Felde. Und alle dieft so lange gesparte
Kraft, alle den frischen Eifer einer langsam bedachten, aber nun ent-
schieden ergriffenen Politik ist der Kaiser entschlossen zur neuen
Kräftigung des Papstthums in Deutschland gegen die Protestanten
zu kehren.
Schon länger waren die ersten vorläufigen Wirkungen der neuge-
kräftigten Papstmacht und des entschieden kaiserlichen Katholicismus
in Deutschland wahrgenommen. Die katholisch gesinnten Fürsten und
Städte, insonderheit die geistlichen Fürsten, deren Eristenz bedroht
war, deren Besitzungen hier und da bereits eingezogen wurden, erhüben
wieder ihr Haupt, traten aus einer abwehrenden wieder in eine angrei-
fende Haltung. Da wurden die Lutherischen verfolgt, da wurde das
erste Märtyrerblut der evangelischen Kirche vergossen. Die Herzoge von
Bayern und die kleineren mit dem päpstlichen Legaten verbundenen Für-
sten und Bischöfe hatten gleich nach ihrer Absonderung von der großen
Gesammtaufgabe des deutschen Volks angefangen, evangelisch gesinnte
Priester zu entsetzen, in's Gefängniß zu werfen, adlige Besitzer aus
ihren Gütern zu vertreiben, Beamte peinlich zu verhören, Bürger und
Bauern hinzurichten. Besonders eifrige Prediger wurden mit der Zunge
an den Pranger genagelt, andere mit dem Staupbesen gestrichen, Luther's
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Italien Spanien Italien Bologna Deutsch- Deutschland Deutschland Deutschland Bayern
Xxiii. §. 6. Niederbeugung und Wiederaufrichtung der Papstmacht. 497
Bücher vom Henker verbrannt. In Karl's burgundischen Landen,
unter den Friesen, bei den Ditmarsen finden wir ähnliche Verfolgungen.
Wie schmählich sind die beiden jungen Mönche Vos und Esch in
Brüssel in den Flammen erstickt; wie schrecklich ist der fromme Hein-
rich von Zütphen in Meldorf zu Tode gemartert. Noch viel gewalt-
samer war man zu Werke gegangen nach dem Bauernkrieg. Unter
dem Vorwand, die Empörer zu strafen, schlug man die Evangelischen
nieder. In Franken wurden an 40 evangelische Prediger neben der
Landstraße an die Bäume gehenkt. Erzherzog Ferdinand, des
Kaisers Bruder, der 1526 die Kronen von Ungarn und Böhmen zu
gewinnen hoffte, zeigte sich zwar den Böhmen gegenüber gut husfitisch,
allein eben so entschieden trat er vor den Ungarn als strenger Katholik
auf. In Wien wurden evangelisch gesinnte Bürger enthauptet. Wirk-
lich gewann er beide Reiche und befestigte und vergrößerte die östrei-
chisch-habsburgische Hausmacht, während Karl's Heere die italienischen
Provinzen vertheidigten oder neu gewannen. Da hatte denn auch der
Reichstag, der 1529 nach Spei er zusammenberufen war, eine sehr
veränderte Gestalt. Die geistlichen Fürsten und ihre Freunde hatten
das entschiedene Uebergewicht. Die kaiserlichen Commissarien waren
so eifrig katholisch wie möglich. Sie beantragten nichts weniger, als
die Aufhebung des Reichstagsbeschluffes von 1526, wonach jeder Fürst
in Sachen der Religion sich nach eignem Gewissen zu verhalten hatte.
Keine Neuerung soll mehr vorgenommen werden, Alles soll bleiben wie
es ist, Messe und geistliche Gerichtsbarkeit wieder hergestellt und beibe-
halten werden bis zur Versammlung eines allgemeinen Conciliums.
Die Mehrheit der versammelten Reichsstände nahm diese Vorschläge
an; sie wurden zum Beschluß erhoben. Dadurch wäre das in den
letzten Jahren rechtsgültig aufgerichtete und durchgeführte Reformations-
werk wieder rückgängig gemacht, alle reformatorischen Stiftungen in
Frage gestellt worden. Die evangelischen Stände waren entschlossen,
sich den einseitigen Beschlüssen der katholischen Majorität nicht zu fügen.
In öffentlicher Sitzung legten sie eine feierliche Verwahrung dagegen
ein: sie würden sich nach wie vor nach dem Beschlüsse von 1526 halten,
dessen Rechtsverbindlichkeit nicht in Zweifel gezogen werden könne. Von
dieser ihrer Protestation führen sie den Namen Protestanten. So endigte
der Reichstag in offenbarer Entzweiung. Und der Kaiser? Da er
eben in Italien, alle seine Feinde als überwunden in demüthiger Hal-
tung vor sich sah, da er sich krönen ließ mit der alten römischen Kai-
serkrone, und den Schwur erneuerte, den Papst und die römische Kirche
gegen alle ihre Feinde zu vertheidigen, kam die Gesandtschaft der evan-
gelischen Stände aus Deutschland, und that ihm Meldung von der ge-
schehenen Protestation auf dem Reichstag zu Speier. Dürfen wir uns
wundern, daß er sie ungnädig empfing, daß er sich desto fester in seinem
Vorhaben bestärkte, diese ärgerlichen Wirren endlich zu beseitigen? Mit
den katholischen Ständen in der Schweiz hatte die habsburgische
Macht ein enges Bündniß geschlossen, in Folge dessen es zu einem
Krieg und nach einigen Jahren (1531) zu einer Niederlage der evan-
gelischen Züricher kam, in der auch Zwingli siel. Nichts Anderes,
v. Rohden, Leitfaden. 32
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg]]
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Extrahierte Personennamen: Esch Ferdinand Ferdinand
Extrahierte Ortsnamen: Karl's Brüssel Meldorf Ungarn Ungarn Wien Conciliums Italien Deutschland
Xxiii. §. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und in England. 503
auf den Thron David's in dem neuen Zion, und beanspruchte nichts
Geringeres als die Herrschaft über die gesammte Welt. Man sieht, wie
die Ertreme sich berühren. Dasselbe, was die Päpste alle die Jahrhun-
derte angestrebt, was Niemand eifriger als diese Wiedertäufer bekämpften,
das entwickelte sich jetzt aus ihrer eignen Mitte, eine sinnliche Nach-
bildung und Verzerrung der geistlichen Weltmonarchie unsers Herrn
und Heilandes. Wie hätte solch' ein Greuel lange Bestand haben sol-
len? Diese Propheten und ihre Helfershelfer und ihre Weiber, alle
mit Blut und Wollust und unflätigen Lastern besudelt, erlitten allesammt
die Strafe ihrer Frevel. Das Heer des Bischofs und seiner Bundes-
genossen brach in die Stadt. Da wurde Alles niedergeschlagen, abge-
schlachtet, hingerichtet. Auch in anderen Gegenden Deutschlands, in der
Schweiz, in den Niederlanden sehen wir die Scheiterhaufen flammen und
die Richtschwerter in Bewegung, um der heillosen Wiedertäuferei zu
steuern. Da sind manche fromme und gottselige Männer und Frauen,
die zum Theil unschuldig in den Jrrthum verstrickt waren, jämmerlich
umgebracht. Aber die Bluttaufe wirkte auch hier etwas Aehnliches, wie
bei den Hussiten. Viele wurden nüchtern aus des Teufels Strick,
und aus den Resten erbaute sich die ehrwürdige Gemeinschaft der Tauf-
gesinnten oder Mennoniten. Andere, die nach England, nach Nord-
Amerika geflüchtet waren, haben dort geraume Zeit ebenfalls in demü-
thiger Stille sich selbst erbauend zugebracht. Erst neuerdings, in diesen
Jahren kirchlicher und politischer Gährung, kehren etliche jener unruhi-
gen Geister von dort wieder, um in Deutschland und anderswo ihren
alten Kampf gegen die bestehenden Ordnungen der Christenheit auf's
Neue zu beginnen.
§. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und
in England.
Da der ruhige Fortschritt des Reformationswerkes in unserm
Vaterland für die nächsten 10 Jahre nach dem augsburger Reichstag
(1530) unsere Aufmerksamkeit nicht weiter in Anspruch nimmt, so wird
hier der Ort sein, einen Augenblick hinüberzuschauen nach den Nach-
barländern, wo die Reformation von eigenthümlichen Anfängen aus-
ging und eine besondere Gestalt annahm. Die lutherische Refor-
mation hatte sich in sämmtliche katholische Länder des Nordens und
Ostens Bahn gemacht. Die griechische Kirche und das Osma-
nenreich blieben von dieser Bewegung unberührt. In Italien und
Spanien waren wohl Anfänge, aber keine Entwicklung. Frankreich
aber und England gingen ihren eignen Gang. In England
finden wir eine doppelte Reformation, die eine von oben her, vom Kö-
nig, die andere von unten her, aus dem Volk. Die königliche Re-
formation beschränkte sich ursprünglich darauf, daß der König sich
an die Stelle des Papstes setzte, Klöster einzog, die Geistlichkeit zum
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Extrahierte Ortsnamen: England Deutschlands Schweiz Niederlanden Jrrthum England Amerika Deutschland England Italien Spanien Frankreich England England
504 Xxiii. §. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und in England.
Gehorsam zwang, übrigens bis auf geringe Aenderungen den ganzen
äußern Bestand der katholischen Kirche sammt ihrer Lehre unange-
tastet ließ. Später wurde zwar auch die Lehre geändert und der
evangelischen gleichförmig gemacht, aber die äußere Erscheinung, der
Gottesdienst und die Verfassung der Kirche blieb nach wie vor. Die
andere Reformation aber, die vom Volke ausging, hat keineswegs
ihre eigenthümliche Q-uelle in England, auch nicht in Schottland, son-
dern nach beiden Ländern wie auch nach Frankreich wurde sie hinüber-
geleitet aus dem neuen Ursprungs- und Mittelpunkt der Reformation,
den Gott der Herr soeben für die westlichen Völker in Gens auf-
gerichtet hatte. Nämlich die züricher oder die zwing lische Refor-
mation beschränkte sich doch eigentlich nur auf die deutsch redenden
Cantone der Schweiz und übte zugleich einen sehr anregenden, er-
frischenden und belebenden Einfluß auf die südwestlichen Kreise Deutsch-
lands, so weit diese auf die evangelische Seite bereits hinübergetre-
ten waren. Dagegen für die französische Schweiz, für alles fran-
zösisch redende Volk mußte die zwinglische Reformation gleichsam erst
in's Französische übersetzt werden, nicht bloß in die französische Sprache,
sondern auch in französische Auffassung, Begriff und Wesen. Dazu
hatte sich der Herr ein besonderes und ausgezeichnetes Werkzeug aus-
ersehen, den gewaltigen Calvin. Es war im Jahre 1536, als er
nach Genf kam und dort von dem zwinglischenprediger Farel, sei-
nem gleichfalls aus Frankreich entflohenen Landsmann, feftgehalten
wurde. Er hatte schon unter den Erstlingen der Reformation in
Frankreich durch Predigt und Schrift vielfach gearbeitet, und hatte
auch bereits sein berühmtes Werk, seine Institutionen oder Glaubens-
lehre, herausgegeben. Dieser Calvin bietet uns das vollständigste
Bild eines von der Hand Gottes erfaßten Franzosen. Nicht der er-
quickliche Strom einer seligen Herzensfreude in der freien Hingebung
an den Herrn, sondern der eiserne Zwang einer strengen Furcht, eines
völligen sich selbst zum Opfer bringenden Gehorsams ist es, was diese
Seele erfüllt. Während der Deutsche, insonderheit der Norddeutsche,
bei Luther, zum Theil auch noch bei Zwingli die heitere, gemüthliche,
tiefsinnige und doch so herzerquickliche Sprache und Weise eines deut-
schen Gemüthes mit inniger Befriedigung währnimmt, fühlt er sich
durch die unerschütterliche Strenge, durch den starren Eifer des Calvin
bisweilen wie mit steinernen Händen angefaßt —da bleibt nichts übrig als
stumme, sich selbst preisgebende Unterwerfung. Es mag ja sein, daß
das leichtsinnige flüchtige französische Gemüth nicht anders in die
Wege Gottes geleitet und darin festgehalten werden kann, als durch
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Extrahierte Personennamen: Luther Zwingli
Extrahierte Ortsnamen: England England Schottland Frankreich Genf Frankreich Frankreich Gottes