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1. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 61

1910 - Berlin : Singer
— 61 — den Preis, daß ihnen die arbeitenden Klassen des Volkes zur beliebigen Plünderung überlassen würden. Die Schmarotzer des Hofadels zerstörten für die unsinnigsten Verschwendungs-zwecke den erarbeiteten Wohlstand der Nation, unterstützt von den Schmarotzern des Hofpfaffentums, auf dessen Betrieb Ludwig Xiv. die gewerbfleihigsten Bewohner des Landes, die Hugenotten, ebenso vertrieb, wie Philipp Ii. die Mauren vertrieben hatte. Immer aber war Frankreich noch die vorherrschende Macht auf dem europäischen Kontinente; nur in Oesterreich, das sich von der Niederlage des Dreißigjährigen Krieges durch glänzende Siege über die Türken erholt hatte, besaß es einen ebenbürtigen Nebenbuhler; im Anfange des 18. Jahrhunderts zerfleischten sich beide Mächte in einer ganzen Reihe mörderischer Schlachten um das Recht, den spanischen Thron zu besetzen. Im Norden Europas sank Schweden schnell von der vorübergehenden Großmachtstellung herab, die es sich durch die Ausräubung Deutschlands geschaffen hatte, während Polen in feudaler Anarchie verkam. Polen war durch die Verlegung der Welthandelswege von den Ufern des Mittelländischen Meeres an die Gestade des Atlantischen Ozeans noch schwerer geschädigt worden als Italien und Deutschland; es war dann zwar die Kornkammer der westeuropäischen Völker geworden, allein die polnischen Junker hatten sich des Getreidehandels zu bemächtigen und die Ansammlung des Kaufmannskapitals zu hindern gewußt, das die historische Voraussetzung der modernen Entwickelung war. Sie würgten die polnischen Städte ab und hielten durch die tolle Verschwendung der in ihre eigenen Taschen fließenden Handelsprofite das Land gewaltsam im feudalen Sumpfe fest. Ueber Schweden und Polen aber erhob sich eine neue Macht in Rußland, einem barbarischen Erobererstaate, den der Zar Peter so weit europäisierte, daß er für ein eroberndes Vordringen nach Westen befähigt wurde. Zwischen Frankreich und Rußland, von beiden gleich schwer bedroht, lag nun das Deutsche Reich in seiner jämmerlichen Verfassung, ausgeraubt und verfault, zerrissen in dreihundert Souveränitäten. Alle Einrichtungen des Reichs waren in hoffnungslosem Verfall. Der Kaiser besaß fast nur noch das Recht, Adelstitel zu verleihen; der Reichstag in Regensburg war ein Gesandtenkongreß, der seine Zeit mit dem nichtigsten Klatsch und Kram vertrödelte, das Reichskammergericht in Wetzlar die berüchtigste Verschleppungsanstalt in Europa und das Reichsheer ein verlotterter Haufe von Vogelscheuchen.

2. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 139

1910 - Berlin : Singer
— 139 — ist, so ist das höchste Gesetz des Menschen nicht die Gottes-, sondern die Menschenliebe. Feuerbach brach gänzlich mit dem philosophischen Idealismus und verkündete den philosophischen Materialismus. Aber auch für ihn blieb ein letzter Schritt übrig, den er nicht zu tun vermochte. Im Sinne seiner Philosophie immer ein fester Demokrat, war er den Regierungen in hohem Maße verdächtig. Er gelangte auf keinen akademischen Lehrstuhl, und seine ehrenvolle Armut fesselte ihn an ein einsames Dorf, wo ihm die historische Welt mehr oder minder verschlossen blieb. Sein Materialismus blieb auf die Natur beschränkt, was er selbst oft als eine Unzulänglichkeit empfand, ohne doch je zu einer klaren Würdigung der Tatsache zu gelangen, daß der Mensch nicht bloß in der Natur, sondern auch in der Gesellschaft lebt, daß der Materialismus also nicht nur Natur-, sondern auch Gesellschaftswissenschaft ist. Während sich so die deutsche Philosophie revolutionär zu entwickeln begann, hatte eine ähnliche Entwickelung auch im deutschen Proletariat eingesetzt, unter den deutschen Handwerksburschen, die im Auslande lebten, fei es, weil sie nach 1830 von der Reaktion über die Grenze getrieben waren, sei es, weil sie auf der Wanderschaft im Auslande hängen geblieben waren. Ziemlich gleichzeitig, um das Jahr 1835, entstanden geheime Organisationen deutscher Handwerksburschen in Paris und in der Schweiz, dort als Bund der Geächteten, hier als Junges Deutschland, das sich an das Junge Europa unter der Leitung des italienischen Revolutionärs Mazzini anschloß. In beiden Geheimbünden herrschte die bürgerlich-demokratische Richtung vor. Das Junge Deutschland hatte in der Schweiz zunächst freieren Spielraum, wurde aber auf Andrängen des Deutschen Bundestages von den schweizerischen Regierungen unterdrückt. Im Bunde der Geächteten aber gewannen die proletarischen Tendenzen mehr und mehr das Uebergewicht; er wandelte sich in den Bund der Gerechten um, der enge Beziehungen mit der Gesellschaft der Jahreszeiten anknüpfte, aber so auch in deren Katastrophe verwickelt wurde. Er siedelte nunmehr nach London über. Hier stifteten einige seiner Mitglieder am 7. Februar 1840 den Kommunistischen Arbeiterverein, der heute noch besteht. In Paris aber sammelte der Schneider Weitling die zersprengten Elemente und begab sich dann in die Schweiz, um die kommunistische Propaganda zu betreiben.

3. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 154

1910 - Berlin : Singer
— 154 — gelungen, wenn sie nur mit der bürgerlichen Klasse zu tun gehabt hätte. Allein die Berliner Arbeiter ließen sich nicht so wohlfeil abspeisen; sie veranstalteten große Versammlungen vor den Toren der Stadt, wo sie Preß- und Vereinsfreiheit, auch schon Garantie der Arbeit und ein Arbeitsministerium forderten. Mit dieser Opposition war nicht zu spaßen, wie die Regierung sehr bald erfahren mußte, als sie die Versammlungen mit Waffengewalt sprengen und die heimkehrenden Massen von den Soldaten niedermetzeln ließ. Anfangs sah zwar die bürgerliche Klasse diesen Blutbädern gleichmütig zu, aber als der künstlich geschürte Blutdurst der Truppen sich selbst an den ruhigsten Bürgern vergriff, da begann auch sie rebellisch zu werden. In diesen sich häufenden Zündstoff fiel wie ein Feuerfunken die Nachricht, daß am 13. März in Wien die Revolution ausgebrochen sei und den bis dahin allmächtigen Staatskanzler Metternich verjagt habe. Dazu drohte eine große Deputation, die aus Köln an den König gesandt wurde, ziemlich unverblümt mit dem Abfall der Rheinlande, wenn nicht endlich Reformen eingeführt würden. Nun wollte die Regierung einlenken, aber es war zu spät. Die militärischen Mißhandlungen hatten den Geduldsfaden auch der Spießbürger zerrissen. Sie veranstalteten zur Mittagsstunde des 18. März eine friedliche Massenversammlung vor dem königlichen Schlosse, die die Zurückziehung des Militärs aus der Stadt verlangen sollte. Die Beschwichtigungsversuche des Königs und der Minister verfingen nicht mehr, und als nunmehr eine Schwadron Dragoner und eine Kompagnie Infanterie den Schloßplatz räumen sollte, fielen aus ihren Reihen zwei Schüsse, die das Signal zum Straßenkampf gaben. Ob die beiden Schüsse sich zufällig entladen haben, ober ob der Prinz von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm, den Befehl zum Feuern gegeben hat, läßt sich heute nicht mehr aufklären und ist auch insofern ganz gleichgültig, als es zweifellos feststeht, daß der Prinz an den militärischen Metzeleien die Hauptschuld trug, indem er in den Berliner Kasernen die Truppen fanatifierte. Die Behauptung aber, daß die Truppen in dem Straßenkampfe gesiegt hätten und nur durch einen übereilten Befehl des Königs aus der Stadt geschickt morden seien, ist eine nachträgliche Erfindung der Gegenrevolution. Vielmehr wußten die Barrikadenkämpfer die 14 000 Soldaten und die 36 Geschütze, die ihnen gegenüberstanden, im Laufe der Nacht so mürbe zu machen, daß die militärischen

4. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 46

1910 - Berlin : Singer
— 46 — werfung des Bauernaufstandes eine blutige Menschenjagd auf sie zu eröffnen. Selbst die ohnmächtige Reichsgewalt beteiligte sich an dieser nichtswürdigen Verfolgung: im Jahre 1529 fetzte der Reichstag in Speyer die Strafe des Feuertodes auf die Wiedertaufe. Ueberall in Deutschland flammten die Scheiterhaufen, auf denen gefangene Wiedertäufer einen heldenmütigen Märtyrertod erlitten. So wurden sie in Deutschland ausgerottet oder über die Grenze getrieben, und endlich erwachte in den niederländischen Wiedertäusern das Bewußtsein, daß sie sich mit denselben Mitteln wehren müßten, mit denen sie gepeinigt wurden, nämlich mit Waffen. Jan Mathys, ein Bäcker in Harlem, und Johann Bockelfon, ein Schneider in Leyden, wurden die Häupter dieser wiedertäufe-rischen Richtung. In der altkatholischen Stadt Münster, einem Hauptsitze des römischen Wesens im nordwestlichen Deutschland, fanden sie eine Stätte, um den gewaltsamen Widerstand gegen die Verfolger ihrer Brüder zu rüsten. Die Stadt lag in heftigem Kampfe mit ihrem Bischof, dessen sich die Bürgerschaft nicht ohne Hilfe der städtischen Plebejer erwehren konnte, wodurch diese eine große Macht erhielten. Es gelang der wiedertäuferischen Bewegung, sich in vollkommen gesetzmäßiger Weise der städtischen Aemter zu versichern und den Angriffen des Bischofs einen so hartnäckigen wie hochherzigen Widerstand entgegenzusetzen, den zu brechen schließlich das ganze Reich aufgeboten werden mußte. Erst nach fünfvierteljährlicher Belagerung fiel die durch Hunger bezwungene Stadt, und in dem scheußlichen Morden ihrer tapferen Verteidiger feierte der christliche Bischof seinen Sieg. Was aber seit vier Jahrhunderten ein bürgerlicher Historiker dem anderen nacherzählt von dem Wiedertäuferregiment in Münster, das eine wüste Orgie von unmenschlicher Grausamkeit und viehischer Wollust gewesen sein soll, das ist dreist erlogen oder frech entstellt. 6. Iesuitismus, Kalvinismus, Luthertum. Der Sieg der Fürsten in dem großen Bauernkriege, dessen tiefste Ursache darin wurzelte, daß der Widerstreit der wirtschaftlichen Interessen in den verschiedenen Teilen Deutschlands das Entstehen einer großen modernen Nation hinderte, wurde noch verstärkt durch die nun beginnende Verarmung der deutschen Städte, die ihre tiefste Ursache darin hatte, daß sich der Welthandel von den Gestaden des Mittelländischen Meeres an die Ufer des Atlantischen Ozeans zu verlegen begann.

5. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 78

1910 - Berlin : Singer
- 78 — noch länger stürzte er sich in historische und philosophische Studien, ehe er sich wieder der dramatischen Dichtkunst zuwandte. 6. Kant. Etwas später als unsere klassische Literatur begann sich unsere klassische Philosophie zu entwickeln. Ihr erster Vertreter war Immanuel Kant (1724—1804), der als der Sohn eines Sattlers in Königsberg geboren wurde. Von seinem Leben ist wenig zu berichten; es war ein einförmiges und eintöniges Gelehrtendasein, das sich ganz innerhalb des damaligen deutschen Spießbürgertums abspielte; über das Weichbild seiner Vaterstadt ist Kant nie hinausgekommen, bis auf einige Jahre, die er als Hauslehrer auf ostpreußischen Gütern verlebte. Kant war durchaus eine unsoziale Natur, unsozial in dem Sinne, daß ihm jede Form des Gemeinschaftslebens zuwider war bis auf die Ehe und Familie. Politische und nationale Interessen lagen ihm völlig fern; er huldigte seinem angestammten Könige ebenso untertänig wie der Zarin Elisabeth, nachdem russische Truppen im Siebenjährigen Kriege Königsberg besetzt hatten. Als er am Abend seines Lebens noch von der preußischen Zensur behelligt wurde, focht er diesen Konflikt keineswegs mannhaft aus. Ein Philister durch und durch in seinem persönlichen Leben, war Kant ein bedeutender Gelehrter, der die Geschichte der Wissenschaften namentlich durch drei große Leistungen bereichert hat. So hoffnungslos die Versuche sind, ihn als einen „zeitlosen" Denker hinzustellen, der heute noch nicht überwunden sei und niemals überwunden werden könne, so töricht wäre es, ihm für seine Zeit eine bahnbrechende Beveutung abzusprechen. Sein erstes unvergessenes Verdienst erwarb er sich durch seine Allgemeine Naturgeschichte, worin er die Verfassung und den mechanischen Ursprung des ganzen Weltgebäudes abzuhandeln unternahm. Er wies darin die Entstehung der Sonne und aller Planeten aus einer rotierenden Nebelmasse nach und gab damit einen folgenreichen Anstoß. Diese erste Schrift Kants erschien bereits im Jahre 1755. Ein Vierteljahrhundert später, im Jahre 1781, veröffentlichte er seine Kritik der reinen Vernunft, durch die er eine befreiende Tat vollbrachte. Er zertrümmerte die dogmatische Philosophie, die an deutschen Universitäten aufgewuchert war, zur Zeit, wo in den westeuropäischen Kulturvölkern mit dem Aufkommen

6. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 79

1910 - Berlin : Singer
- 79 - der kapitalistischen Produktionsweise die materialistische Weltanschauung neu erwacht war und namentlich in Frankreich glänzende Schlachten gegen den höfischen, feudalen und klerikalen Despotismus schlug. Die dogmatische Philosophie war nichts anderes als eine verkappte Theologie, ja sie war noch gemeingefährlicher als die echte und offene Theologie, die einfach verlangte, daß an Gott und Unsterblichkeit geglaubt werden müsse, ohne Prüfung des Verstandes, während die dogmatische Philosophie durch angeblich vernünftige Gründe beweisen wollte, was außerhalb der menschlichen Erkenntnis liegt. Kant selbst hatte in seinen jungen Jahren dieser Philosophie gehuldigt, aber der englische Skeptizismus, eine Philosophie, die überhaupt an der Erkennbarkeit der Dinge zweifelte, erregte in ihm Bedenken, die ihn dann dazu führten, die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens zu prüfen. Der Kern seiner neuen Lehre bestand darin, daß die ganze Erscheinungswelt, wie wir sie mit unseren Sinnen und unserem Verstände auffaffen, vollständig durch die Einrichtung unserer Sinne und unseres Verstandes bestimmt werde, und daß mir daher das wahrewesen der Dinge (das „Ding an sich") nicht erkennen könnten, daß aber unsere Erkenntnis deshalb doch keineswegs wertlos und zweideutig, sondern vielmehr durch unabänderliche Gesetze geregelt, notwendig und von unserem Wesen unzertrennlich sei. Diese empirische Erkenntnis (Erkenntnis durch Erfahrung) ist die einzige Art, wie mir von den Dingen überhaupt etrnas erfahren, rnenn sie uns auch die Dinge nicht so zeigt, mie sie sind, sondern roie der Mensch sie vermöge seiner Organisation notwendig sehen muß. Die Philosophie, die diese Schranken übersteigen will, gerät notwendig in Irrtümer, so namentlich, wenn sie beweisen will, daß unseren Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit eine außerhalb liegende Wirklichkeit entspricht. Die Zertrümmerung der dogmatischen Philosophie, die Kant auf diese Weise vollzog, war ein großer historischer Fortschritt, aber seine Erkenntnistheorie war an sich keineswegs neu. Ihr Grundgedanke, daß wir die Dinge nicht erkennen wie sie sind, sondern wie sie unseren Sinnen erscheinen, war lange vor Kant von anderen Philosophen, ja schon von den Denkern des griechischen Altertums ausgesprochen worden; eigentümlich war nur die Nutzanwendung, die Kant aus dem Gedanken zog, daß wir die Welt nicht unmittelbar erkennen, sondern nur durch unsere unvollkommenen Sinne. Er vernichtete dadurch den Anspruch der dogmatischen Philosophie,

7. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 122

1910 - Berlin : Singer
— 122 — modernen bürgerlichen Gesellschaft noch verständnislos gegenüber. Wie Fichte auf Kant, fo folgte auf Fichte der dritte unserer klassischen Philosophen, Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770 bis 1831). Auch seine Philosophensprache ist für uns unverständlich geworden; es genügt, das historische Schwergewicht seiner Philosophie zu erkennen. Hatte Kant durch seine Theorie des Himmels die Entwickelung in die Natur eingeführt, fo führte Hegel sie in die Geschichte ein. Hatte Fichte an die dialektische Methode der altgriechischen Philosophie angeknüpft, so machte Hegel diese Methode zum Springquell alles Lebens. Mit dem Begriff des Seins ist auch der Begriff des Nichts gegeben, und aus dem Kampfe beider entsteht der höhere Begriff des Werdens. Alles ist und ist zugleich nicht, denn alles fließt, ist in steter Veränderung, in stetem Werden und Vergehen begriffen. Hegel faßte die Geschichte der Menschheit als einen in steter Bewegung, Veränderung und Umbildung begriffenen, vom Niederen zum Höheren aufsteigenden Prozeß auf, und er versuchte mit gewaltiger Geistesarbeit, in den verschiedensten Fächern der historischen Wissenschaft, den inneren Zusammenhang, den allmählichen Stufengang dieses Prozesses durch alle scheinbaren Irrwege und Zufälligkeiten zu verfolgen. Da er die Dinge für Abbilder der Begriffe nahm, so gelangte er wohl zu sehr willkürlichen Geschichtskonstruktionen, aber da so halsstarrige Dinge, wie geschichtliche Tatsachen, sich nicht so leicht unter das Joch der Begriffe spannen ließen, so kam er auch zu genialen Blicken in den Zusammenhang der Menschheitsgeschichte. Bescheidener als Kant, oder doch als Kants Bewunderer, beanspruchte Hegel kein „zeitloser Denker" zu sein, sondern seine Philosophie war ihm nur feine Zeit, in Gedanken erfaßt. Hieraus ergab sich schon der eminent historische Charakter seiner Lehre. Mit feiner historischen Dialektik eroberte Hegel ungezählte Provinzen des Geistes und befruchtete durch das Prinzip der Entwickelung die historischen Wissenschaften in einer Weise, deren die Kantische Philosophie völlig unfähig war. Von 1815 ab bis zu Hegels Tode im Jahre 1831 und noch darüber hinaus beherrschte feine Philosophie das deutsche Geistesleben. Da es eine Zeit der politischen und sozialen Reaktion war, so herrschte ihre konservative Seite vor; das Ideal des Rechtsstaates, das Hegel in seiner Rechtsphilosophie

8. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 146

1910 - Berlin : Singer
— 146 — Philosophie. Nachdem Ludwig Feuerbach mit ihrem Idealismus völlig gebrochen und sich dem naturwissenschaftlichen Materialismus zugewandt hatte, taten Karl Marx und Friedrich Engels den entscheidenden Schritt, den Materialismus auch als Gesellschaftswissenschaft zu begründen. 6. Alarx und Engels. Karl Marx (1818—1883) war der Sohn eines Advokatanwalts in Trier. Er genoß in feinem Elternhause eine sorgfältige Erziehung, doch atmete er in ihm noch nicht revolutionäre Luft. Das ist für den jungen Marx in einer Beziehung ebenso entscheidend • gewesen, wie in anderer Beziehung die Tatsache, daß er in dem Teile Deutschlands geboren wurde, der vom Pfluge der französischen Revolution am gründlichsten durchackert worden war. Nach ein paar lustigen Semestern, die der Jüngling an der rheinischen Universität Bonn verlebt hatte, und nach seiner frühzeitigen Verlobung mit einem Mäbchen, das sich zu einer ebenso hochherzigen Freunbin der Arbeiterklasse entwickeln sollte, wie Karl Marx selbst, sanbte der besorgte Vater, der beutscher und selbst preußischer Patriot war, das junge übermütige Blut nach Berlin, um solibe und vernünftig zu werden. Den jungen Marx, der feine sonnige Heimat liebte, lockte sonst nichts nach Berlin, am wenigsten die Hegelsche Philosophie, die ihm vollkommen fremd war. Nur ein Zufall führte ihn in den Kreis der Berliner Junghegelianer, der sich um Bruno Bauer versammelt hatte. An diesen schloß sich Karl Marx aufs engste an, eben zur Zeit, wo in Bauer die Gedanken feiner epochemachertben Evangelienkritik zu reifen begannen. Indem Bauer die christliche Religion als geistiges Probukt der antiken Welt nachzuweisen unternahm, war namentlich auch ein grünbliches Stubium der griechisch-römischen Philosophenschulen nctwenbig, beren Lehren auf die Gestaltung des christlichen Glaubens eingewirkt hatten. So würde die historische Darstellung dieser Schulen die erste wissenschaftliche Arbeit, an die sich Karl Marx wagte. Ein Bruchteil davon ist uns in seiner Doktordissertation erhalten. Es zeigt ihn noch tief versunken in der Hegelei, aber doch auch schon als souveränen Beherrscher ihrer dialektischen Methode. In den Kreisen der Berliner Junghegelianer hat Marx unzweifelhaft viel gelernt.

9. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 149

1910 - Berlin : Singer
— 149 — Sozialismus mit der Politik nicht zu befassen habe. Er wollte vielmehr gerade an die praktischen Kämpfe der Zeit anknüpfen, um die Zeit über sich selbst zu verständigen. Er berief sich auf Feuerbachs Satz, wonach der Mensch die Religion, nicht aber die Religion den Menschen machte, um an seinem Teile fortzufahren: der Mensch ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen; der Mensch, das ist die Welt des Menschen, ist der Staat, die Gesellschaft. Nachdem die Philosophie das Jenseits der Wahrheit beseitigt hat, ist es die Aufgabe der Geschichte, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Die Kritik des Himmels muß sich in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik verwandeln. Mit einem bewunderungswürdigen Scharfsinn wies Marx an den deutschen Zuständen nach, was seitdem eine bald siebzigjährige Geschichte bestätigt hat, daß der Emanzipationskampf des deutschen Bürgertums im Sande verlaufen, der Emanzipationskampf der Arbeiterklasse sich aber um so kräftiger entwickeln werde, oder wie er es in seiner noch philosophisch angehauchten Sprache ausdrückte, daß in Deutschland nicht mehr die politische, sondern nur noch die menschliche Emanzipation möglich sei. Wenn der Mensch seine individuellen Kräfte als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert habe und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trenne, erst dann sei die menschliche Emanzipation vollbracht. Marx sagte seinen alten Freunden, den Junghegelianern: Ihr könnt die Philosophie nicht verwirklichen, ohne sie aufzuheben, aber er vergaß nicht, was er von ihnen gelernt hatte, und sagte der Bourgeoisie: Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen. Wie die Philosophie im Proletariat seine materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz ist das Proletariat. Die Philosophie kann nicht verwirklicht werden ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie. Wenn Marx durch seine geistige Entwickelung mit seinen Jugendfreunden auseinander gekommen war, so gewann er nunmehr in einem Mitarbeiter der Deutsch-Französischen Jahrbücher einen mehr als ausreichenden Ersatz dafür: in Friedrich Engels, mit dem er von nun an vierzig Jahre Schulter an Schulter gekämpft hat. Engels (1820—1895) war der

10. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 175

1910 - Berlin : Singer
- 175 — ment zu verlangen, wiesen ihre Wortführer mit der ganzen sittlichen Entrüstung gekränkter Biedermänner zurück. Gegen eine so schwächliche Politik erhob nun ein einzelner Mann seine warnende Stimme. Er hieß Ferdinand Lassalle. 6. Lassalle. Lassalle (1825—1864) war der Sohn eines Seidenhändlers in Breslau. Seine Familie gehörte dem osteuropäischen Judentum an, das noch tief im Schacher und Wucher steckte. Nicht als ob an der bürgerlichen Ehrbarkeit seines Vaters etwas auszusetzen gewesen wäre! Aber wie das Tagebuch des fünfzehnjährigen Knaben zeigt, erwies sich die moderne Bildung, die seinem elterlichen Hause angeflogen war, in jedem Augenblick lebhafterer Erregung als ein sehr dünner Firnis. Das Judentum des Knaben Lassalle war noch ganz unverfälscht, und seine ersten Träume gingen dahin, an der Spitze der Juden sie mit den Massen in der Hand von allen Ketten zu befreien, die sie noch zu tragen hatten. Im übrigen machte sich der eingebildete und naseweise Junge auf dem Breslauer Gymnasium bald unmöglich, und gegen den Willen seiner Eltern, die ihn gern studieren lassen wollten, siedelte er im Frühjahr 1840 an die Handelsschule in Leipzig über. Jedoch so unbedacht der Entschluß war, so heilsam erwiesen sich seine Folgen. Die Schlacken des jüdischen Schachers, die dem Knaben Lassalle noch anhingen, schliffen sich ab an dem christlichen Schacher, der in der Leipziger Handelsschule nach allen Regeln der Kunst gelehrt wurde. Und indem sich Lassalle von dem Schacher abwandte, wandte er sich auch von dem Judentum ab; die fleißige Beschäftigung mit den deutschen Klassikern öffnete feine Augen für die Geistesschätze der modernen Kultur. Im Unterschiede von Marx und Engels wuchs Lassalle aus persönlicher Bedrängnis zum Revolutionär empor. Von jener Selbstverständigung über die Kämpfe und Wünsche der Zeit, die Marx und Engels in ihren Anfängen suchten, stand in Lassalles Lexikon nichts geschrieben. Sobald sein Selbstbewußtsein erwacht war, wußte er, was er zu tun und zu lassen hatte. An seinem sechzehnten Geburtstage war er sich klar über seine Zukunft, über die Zukunft des Agitators, des Redners, des Schriftstellers, der für die heiligsten Interessen der Menschheit kämpft, und fei es bis zur eigenen Vernichtung. Seine Eltern fügten sich wiederum feinem energischen Willen, und im Herbst 1841 begann Lassalle seine neue Laufbahn.
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