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1. Geschichtliches Lesebuch - S. 82

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
82 Vi. Freytag, Das Hambacher Fest. getagt hätten, nur daß sie die heimische Polizei scheuten. Ja, die preußische Regierung war ihnen besonders anstößig. Der König hatte seinem Volke eine Verfassung verheißen und sein Versprechen nicht erfüllt, die preußische Diplomatie suchte mit Eifer die liberalen Anläufe der süddeutschen Kammern zu verdächtigen, Preußen galt für einen Militärstaat, der doch nicht den Mut habe eine kriegerische Politik zu verfolgen, die preußischen Landschaften endlich ließen sich mit unerträglicher Fügsamkeit das harte Staatswesen gefallen. Man hatte im Süden keine Ahnung, wie groß dort im Osten die Armut, der Mangel an Kapital und an überschüssiger Meuscheukraft nach zehn Jahren des Krieges, einer feindlichen Occupatiou, einer systematischen Aussaugung des Landes und nach einer unerhörten Anspannung für die Befreiung geworden war, man wußte nicht, wie sehr das Gedeihen der alten Provinzen durch die russische Grenzsperre niedergehalten wurde, wie Handel und Handwerk in mehreren hundert Städten noch nach dem Frieden zurückkamen, wie langsam dort die Ersparnisse zu Kapitalien zusammenflössen und wie diese Ersparnisse des Volkes durch Jahrzehnte fast sämtlich verwendet wurden, um in dem Kreditsystem der Landschaften die ruinierten Grundbesitzer zu erhalten und einen allgemeinen Bankerott abzuwehren. Wahrlich, die Zustände der alten Provinzen Preußens in jener Zeit, noch niemals wahrheitsgetreu geschildert, wären wohl der brüderlichen Teilnahme des deutschen Westens wert gewesen. Denn dort im Osten war kaum eine Familie, die nicht an Gut und Leben ihrer Angehörigen schwer beschädigt war und sich in der lebenden Generation mühsam heraufrang. Die Deutschen von der Elbe bis zum Memel hatten hohen Preis dafür gezahlt, daß Schwaben, Alemannen und Pfälzer die Möglichkeit erhielten, in ihren Kammern mit einer deutschen Regierung um verfassungsmäßige Freiheit zu streiten. Daß bei solcher Lage des Staates auch die äußere Politik Preußens lange unfrei war und ängstlich beflissen, im Bann der heiligen Allianz die mühsam geschaffene Ordnung zu bewahren, war nicht unnatürlich, und darum wird das Urteil der Geschichte über das System Friedrich Wilhelms Iii. dereinst vielleicht milder sein als das seiner Zeitgenossen war. Schon im Jahr 1832 hing das politische Geschick Deutschlands weit weniger an den Kammerverhandlungen im deutschen Westen als an der Höhe des Tagelohns in Schlesien und der Mark. Daß die Liberalen Süddeutschlands davon keinerlei Kunde hatten, war der Grundfehler ihrer Rechnung. Unterdes übten in Preußen dreitausend Turnlehrer, zu

2. Geschichtliches Lesebuch - S. 57

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Iv. v. Sybel. Einwirkung der Julirevolution auf Deutschland. 57 leise, Verkennen der Bedürfnisse des realen Lebens neben Übertreibung des juristischen Formalismus, Nachlassen des geistigen Verkehrs zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Beamten und Volk, in Preußen ebenso wie in den kleineren Staaten. Ein nicht immer nötiger Befehlshaberton galt für unerläßlich zur Aufrechthaltung der Autorität, und vollends die Sicherheitspolizei, angestachelt durch die politischen Sorgen der höchsten Stellen, bewegte sich in einem hofmeisternden, argwöhnischen und kleinlichen Treiben, welches die herrschende Mißstimmung nie zur Ruhe kommen ließ. Denn trotz alles Guten, welches wir eben berichtet haben, blieb der Zorn über die Ausnahmegesetze von 1832 im Wachsen und verbreitete sich durch alle Klassen der Bevölkerung. Zwar die äußere Ordnung wurde an keiner Stelle mehr gestört; die Zeitungen lagen in den Fesseln der Censur, und das neue badische Preßgesetz mußte nach Bundesbefehl durch den Großherzog zurückgenommen werden. In den Kammern verlor die liberale Partei wieder die Majorität und hielt sich in behutsamer Defensive, um nicht neue Gewaltschritte des Bundes hervorzurufen. Aber nur um so tiefer fraß sich der Groll in die Herzen ein. Viele Tausende, die 1830 bei den Aufläufen in Kassel und Dresden den Pöbelexceffen gewehrt oder 1832 ans dem Hambacher Feste harmlos gejubelt hatten, gelobten sich jetzt, wenn es wieder losginge, selbst mit kräftigem Handeln dabei zu fein. Neun Zehntel der deutschen Bürger erfüllten sich im Angesichte der Reaktion mit demokratischen Gedanken, die Gemäßigten mit Begeisterung für den parlamentarischen Staat, wo ein Beschluß der Volksvertretung die Minister aus dem Amte entfernt oder in dasselbe einsetzt, die Heißblütigen mit dem Ideale der Republik, wo der Wille des gesamten Volkes über Gesetzgebung und Exekutive in unbeschränkter Freiheit entscheidet. Noch hatte keine Erfahrung darüber belehrt, wie notwendig jedem großen Gemeinwesen ein mächtiges Organ der Stetigkeit in seiner Politik ist, ein Organ, für welches keine andere Staatsform gleiche Aussicht wie die Erbmouarchie darbietet. Auch darüber war man begreiflicher Weise damals noch nicht klar, daß die parlamentarische Regierung in England nur deshalb einen sichern und gedeihlichen Gang hatte behaupten können, weil sowohl die Volksvertretung als die Verwaltung von zwei fest organisierten und politisch geschulten Adelsgruppen geleitet wurde, die sich im Besitz der Ministerien ohne Störung der Geschäfte ablösten. Außer aller Beachtung blieb die für die Beurteilung eines demokratischen Staatswesens entscheidende That-

3. Geschichtliches Lesebuch - S. 60

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
60 Iv. v. Sybel, Einwirkung der Julirevolution auf Deutschland. horsam unter den Satzungen der klerikalen Hierarchie auferlegt hatte. Der Kampf mit den Staatsgewalten konnte nicht ausbleiben. In Preußen entspann er sich in Sachen des theologischen Universitätsunterrichts und der gemischten Ehen: nach langen Verhanblungen kam es 1837 zum offenen Zwiespalt, und die Regierung ließ den wortbrüchig geworbenen Erzbischof von Köln nach Minben in Haft bringen, den in gleichem Sinne wirkenben Erzbischof von Posen aber durch gerichtliches Urteil absetzen. Das Kölner Domkapitel und der Fürstbischof von Breslau hielten zur Regierung, bei der rheinischen und polnischen Bevölkerung jeboch zeigte sich eine heftige Gärung. Eben bamals war in München der eifrig klerikale Herr von Abel leitenber Minister geworben und ließ der ultramontanen Presse bei den heftigsten Angriffen gegen Preußen freien Lauf, und bieses Mal erhob auch Metternich, welcher soeben den Jesuiten den von Kaiser Franz stets geweigerten Zugang nach Österreich eröffnet hatte, keinen Einspruch gegen die bunbeswibrige Verstattung schrankenloser Preßfreiheit. So war in allen deutschen Lauben eine in den mannigfachsten Farben durch einanber wirbelnbe Bewegung der Geister erwacht. Der ganze bisherige Zustand war ohne eine Spur materieller Auflehnung durch eine kecke Kritik in Frage gestellt. Da trat 1837 ein Ereignis ein, welches die politische Agitation für ein volles Jahrzehnt in ihren Bestrebungen fixierte und ihr einen unverrückbaren gemeinsamen Zielpunkt gab: der Verfafsungssturz in Hannover durch den neuen König Ernst August. Unter lügenhaften Vorwanben, hauptsächlich zu dem Zwecke freierer persönlicher Verfügung über das Staatsvermögen unternommen, staub die Umwälzung sowohl mit dem Lanbrecht als mit der Wiener Schlußakte in fchreienbem Wibersprnch. Der Unwille in ganz Dentschlanb trat offen au das Licht, als mit einem neuen Gewaltstreich der König sieben Göttinger Professoren, die unter Dahlmanns Vorgang ihrem Verfaffungseibe treu zu bleiben erklärten, kurzer Hand absetzte und brei berselben aus dem Laube jagte. Die deutschen Volksvertretungen, Universitäten, Spruchkollegien wetteiferten, in den schärfsten Beschlüssen und Gutachten der öffentlichen Entrüstung Ausbruck zu geben; die Verteidigungsschriften Dahlmanns und Jakob Grimms stmbert die weiteste Verbreitung; ein großer Verein, der sich zur Unterstützung der Vertriebenen gebilbet hatte, gewann Mitglieber in allen deutschen Städten. Dagegen war in Hannover selbst nach der ersten Aufwallung bei der bebächtigen nieberfächsischen Bevölkerung der Kampfeseifer Weber heiß noch thätig, inbefsen kam es zu einer

4. Geschichtliches Lesebuch - S. 107

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. 107 imstande, wenig Worte zu Ihnen zu reden. — Ich gelobe hier feierlich vor dem ganzen deutschen Volke, daß seine Interessen mir über alles gehen, daß sie die Richtschnur meines Betragens sein werden, solange ein Blutstropfen in meinen Adern rinnt; ich gelobe hier feierlich, als das von Ihnen gewählte Organ Ihrer Versammlung, die höchste Unparteilichkeit. Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen schassen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. (Stürmisches-Bravo.) Den Berus und die Vollmacht, dieses Versassuugs-werk zu schassen, hat die Schwierigkeit in unsere Hände gelegt, um nicht zu sagen die Unmöglichkeit, daß ey auf anderem Wege zustande kommen könnte. Die Schwierigkeit, eine Verständigung unter den Regierungen zustande zu bringen, hat das Vorparlament richtig vorgefühlt und uns den Charakter einer konstituierenden Versammlung vindiciert. Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen; diese Mitwirkung auch der Staaten-Regierungen zu erwirken, liegt mit im Berufe dieser Versammlung. Wenn über manches Zweifel besteht und Ansichten auseinandergehen, über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel, es ist die Forderung der ganzen Nation. Die Einheit will sie, die Einheit wird sie haben, sie befestigen, sie allein wird schützen vor allen Schwierigkeiten, die von außen kommen mögen, die im Innern drohen." Die Versammlung, der diese Worte galten, ging an ihr Werk, fest überzeugt von ihrem Recht und ihrer Macht: in dem uner-schüttlichen Glauben, daß sie dürfe und daß sie könne, was sie sich vorgesetzt, daß ihre Vollmacht unbestreitbar und unanfechtbar sei wie das Licht der Sonne und daß dem nationalen Willen, dem sie Körper und Gestalt zu verleihen habe, nichts unerreichbar sei, daß ihm nichts, schlechterdings gar nichts widerstehen werde. Von diesem Glauben war Heinrich von Gagern erfüllt mit Leib und Seele; ihn bekannte er in dieser seiner ersten Rede mit dem Brustton tiefster Durchdrungenheit und in Worten, die zündend einschlugen, weil sie ganz kunstlos und unmittelbar das trafen, worüber alle einig waren oder einig zu sein glaubten, und nichts von dem berührten, was die Geister trennte. Und in der Seelenkraft, mit der er hier zum erstenmal gewirkt, lag nun das, was ihm an der Spitze dieses Parlaments eine ganz eigenartige Stellung gab. Obgleich weder ein geistreicher Kops, noch ein

5. Geschichtliches Lesebuch - S. 150

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
150 X. Aus der Frankfurter Nationalversammlung. richtig damit, es lasse sich dem nicht widersprechen, es sei gar nicht auszukommen in Haus und Hof ohne das Einmaleins; gerade ebenso ist es im Staatswesen mit dem Erbrechte beschaffen, welches ich hier zu verteidigen übernommen habe. Da läßt sich freilich auseinandersetzen, vor welchen Übeln das Erbrecht uns bewahrt, wie es bewahrt vor den mannigfachen und schwer empfundenen Übeln der Wahlberechtigung, wie es bewahrt vor den Übeln des Zwischenreichs zc. Aber am Ende kehrt es doch immer auf das allereinfachste zurück, und wir müssen zugestehen, daß gerade da das Erbrecht sich am unliebenswürdigsten beweist, wo es am meisten staatsmännisch auftritt, indem es nämlich in seiner vollkommenen Ausbildung auf höchst ungalante Weise alle Frauen ausschließt von dem Throne, solange noch einer vom Mannesstamme vorhanden ist, indem es alle Jüngeren ausschließt, alle jüngeren Prinzen, solange noch ein älterer da ist, indem es endlich keinem Prinzen einen Teil am Genusse der Herrschaft vergönnt, bis die Reihe an ihn gekommen ist, überhaupt aber jedem Erbberechtigten nur das Ganze des Staates übrig läßt, indem es ihn jedes Anrechts an einen Staatsteil beraubt. Und dennoch hat dieses System der Erbherrschaft neben so vielen Herbigkeiten auch seine zarte und in das innere Wefen der Menschheit dringende Seite. Nachdem es vor allen Dingen den Staat sichergestellt hat, denn der Staat muß in alle Wege die Hauptsache bleiben, führt es in das Staatswesen die Wärme der Familie ein, indem es die Herrschaft an ein regierendes Haupt knüpft. Ich weiß gar wohl, meine Herren, daß ich hiermit, wenn ich das Lob der Erbherrschaft rede, eine Saite anschlage, die in den Augen vieler von Ihnen längst zersprungen ist. Das aber hindert mich auf keine Weise. Erlauben Sie, daß ich eine schlichte Thatsache schlicht erzähle, die sich zu Ende des Jahres 1812 in Mitteldeutschland begab. Damals war der erste Strahl der Hoffnung nach Deutschland gedrungen, daß wir wohl des fremden Regiments erledigt werden möchten. Da fanden sich in Mitteldeutschland Volksversammlungen vornehmlich von Landleuten und Bauern zusammen. Man beredete sich, wie es zunächst werden solle. Darin waren alle einig, die Fremden müßten vertrieben werden, aber sollte man den alten Fürsten wieder aufnehmen, das war die Frage. Es begab sich, daß auch in einem Lande, ich will es lieber nicht nennen, wo der alte Fürst keineswegs gelobt und sonderlich geliebt war, — man wußte ihm manches, was nicht zum Frieden diente, nachzureden, — in der Schänke eines Dorses diese Sache verhandelt ward. Viel war hin-

6. Geschichtliches Lesebuch - S. 190

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
190 Xiii. Denkschrift Bismarcks vom März 1858. vorzugsweise zu erfüllen hat, ist die, Österreich als den ausschließlichen Vertreter deutscher Einheit und deutscher Interessen darzustellen und zur Anschauung zu bringen, daß nur Österreich die Macht und den Beruf habe, den gesunden und besseren Teil der Gedanken, welche in der revolutionären Zeit das Volk bewegten, ins Leben zu führen, und daß Österreich sich hierzu des Bundes als des verfassungsmäßigen Werkzeuges bebieue. Von allem, was Österreich will, hat diese Presse zu beweisen, daß es den deutschen Interessen entspricht, jebert Wiberspruch bagegen als nnbentsch, partiknlaristisch und als mutwillige Beförbernng der Zwietracht in Deutschland zu braubmarkeu. Ferner stehen den Bestrebungen Österreichs in ganz Dentschlanb, besonbers aber im ©üben und Westen die Sympathieen der Mehrheit unter den Jnbnstriellen und Gelbmännern zur Seite, welche auf ver-schiebeueu Wegen Vorteile von Österreich ziehen oder von bessert Zollsystem erwarten. Gerabe eine der schwächsten Seiten bieses Kaiserstaates, nämlich sein Finanzsystem, ist für benselben eine erhebliche Quelle politischen Einflusses. Wie der Arzt an einem Kranken, der gut bezahlt, so hängen die Kapitalisten an Österreich. Die unverhältnismüßige Höhe der österreichischen Staatsschulbeu bringt es mit sich, daß die Anzahl der Besitzer österreichischer Wertpapiere sehr groß ist, und der hohe, bnrchschnittlich 6- bis 7 prozentige Zinsfuß berselben, der aus ihrem niebrigen Kurse hervorgeht, lockt zu Kapitalanlagen in österreichischen Schulbpapieren um so mehr an, als von Wien ans kein Mittel verabsäumt wirb, biefen Papieren den Markt im Aus-laube zu öffnen und zu erhalten. Man gewährt den Inhabern jebe Erleichterung, ihre Zinsen unverkürzt im Auslanbe zu beziehen, wäh-renb beispielsweise ein Besitzer preußischer Staatspapiere bei dem Mangel analoger Einrichtungen mannigfachen Abzügen, Verlusten und Weitläufigkeiten ausgesetzt ist, um zu seinen Zinsen zu gelangen. Durch seine Betriebsamkeit und den hohen Zinsfuß weiß Österreich die Unsicherheit seiner Staatsschulbeu im Vergleich mit den preußischen mehr als aufzuwiegen, und es erreicht babei zwei Vorteile, einmal hilft es durch auslänbifches Kapital bern Mangel im Jnlanbe ab, dann aber, was hier hauptsächlich in Betracht kommt, wirb jeber Besitzer österreichischer Staatspapiere ein politischer Anhänger Österreichs, in bemselben Maße, wie sein Vermögen von dem Wohlergehen, den Erfolgen und dem barauf begrünbeten Krebit bieses Staates abhängig gemacht worben ist.

7. Geschichtliches Lesebuch - S. 18

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
18 Ii. ü. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. Man muß es gestehen, niemals ist einem großen, mit frischem Siegeslorbeer gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auferlegt worden, als es damals dem deutschen durch die Bundesakte geschah. Die mächtigen Gedanken, welche Preußens Wiedergeburt und damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten, waren hier in ihr Gegenteil verwandelt. Es war kein Wunder, daß in weiten Kreisen ein erbitterter Widerspruch erscholl. Die zurückgekehrten jüngeren Kämpfer erfüllten die Universitäten mit ihrer patriotischen Entrüstung und suchten durch die Gründung der allgemeinen Burschenschaft die gesamte gebildete Jugend Deutschlands mit ihrem Enthusiasmus für Einheit, Recht und Freiheit zu erfüllen 1). Die Bestrebungen, die in diesen Vereinen herrschten, waren bei der größten Mehrheit durchaus idealer Art. Sie sannen nicht auf Umsturz des Vorhandenen, sondern auf Erziehung des kommenden Geschlechts. Durch sittliche Hebung und patriotische Begeisterung hofften sie den Staat der Zukunft zu dem große’n Ziele der nationalen Einheit hinzuführen. Allerdings hatten sie über die Formen dieses Staats sehr oft unklare und unpraktische Vorstellungen, und einzelne Gruppen unter ihnen steigerten die Begeisterung zu wildem Fanatismus und waren bereit, Schwert und Dolch zum Tyrannenmord zu ergreifen. Niemals aber gelang es ihnen, in dem großen Vereine für solche Entwürfe einen erheblichen Anhang zu gewinnen. Gleichzeitig erhielten Bayern und Baden ihre Verfaffung, und in München, wie in Karlsruhe erhob die liberale Mehrheit der Abgeordneten den Ruf nach Erweiterung ihrer Rechte und entwickelte ein Programm, in welchem alle jene zu Wien abgewiesenen preußischen Forderungen nebst inhaltreichen Zusätzen wiederkehrten. Eine sehr lebhafte Bewegung der Presse in Süddeutschland, Thüringen und am Rhein unterstützte sie in Zeitungen, Zeitschriften und großem Werken: noch heute sind die Namen von Rotteck, Oken, E. Welcker, Görres unvergessen. Man hat damals und später die unwissenschaftliche Flachheit und den halb revolutionären Charakter dieser Publizistik gerügt, und in der That ist es nicht zu bestreiten, daß die damalige liberale Schule sich oft nicht weniger ungeschult und unpraktisch gezeigt hat, als die Teutonen der Burschenschaft. Eine Mischung halbwahrer oder irriger Vorstellungen von altdeutscher Freiheit, englischem Parlamentsrecht, radikalen französischen Theorien ist in diesen Schriften nicht zu verkennen; auch sie verfielen dem Haupt- 1) Vgl. Nr. Iii, Seite 33 ff.

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 72

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
72 V. Pfizer, Stellung von Österreich und Preußen. beurkunden. Auch ist der bisherige Entwickelungsgang der preußischen Macht in ihrem stetigen Wachstum und ihrem kräftigen organischen Fortschreiten den gemeinschaftlichen Gesetzen der Natur und des Völkerlebens so gemäß, daß man nicht zweifeln darf, Preußen, wenn es seine Aufgabe richtig erkennt, die ihm bestimmte Stelle bald einnehmen zu sehen. Unter der Pflege des großen Kurfürsten hat sich der neue Staat aus einem kräftigen Keime entwickelt und sich zum ersten jugendlichen Selbstbewußtsein aufgeschwungen unter Friedrich dem Großen, der, als der Schöpfer seines Volksgefühls, dieser Lebenskraft und Seele einer jeden Nation, Preußens zweiter Stifter und sein eigentlicher Begründer geworden ist. Und wenn auch bald nach ihm das allzuhoch gesteigerte Selbstgefühl des preußischen Volks in seinem eigenen Übermaß unterzugehen drohte, so hat dasselbe gleichwohl sich von solcher Energie gezeigt, daß es die Feuerprobe des Unglücks und der Erniedrigung bestand und nach der Art gesunder, unverdorbener Naturen nur um so frischer und gediegener aus jener Entwicklungskrankheit sich erhob, von der es nun mit sichern Schritten jenem Höhepunkt der Jugend entgegengeht, wo das Magere und Herbe zur Fülle und Milde reift, zur Kraft die Schönheit und zur Form die Seele tritt, weil das mit der körperlichen Gestaltung fertig gewordene und in sich selbst zurückgegangene Lebensprincip den äußerlich vollendeten, aber starren Organismus nun von innen heraus verklärt, die tiefern geistigeren Kräfte, bisher schlummernd und zurückgedrängt, erwachen, und eine freigewordene Begeisterung ihre Blüten treiben kann. Selbst dem oberflächlichen Beobachter kann es nämlich nicht entgehen, daß das preußische Volk bis jetzt bloß ein äußeres, kein inneres politisches Leben hat, daß Dressur und Kunst der unzulänglichen Natur noch hin und wieder nachhelfen muß, und daß manchen seiner Institutionen eine gewisse Dürftigkeit und Magerkeit anklebt. Kein Staat leistet mit gleich beschränkten Mitteln soviel, als der preußische bis jetzt geleistet hat. Um aber seine Stelle unter den Mächten, welche das Schicksal der Welt bestimmen, zu behaupten, mithin seine Rolle gegen außen fortspielen zu können, mußte bei Preußen bisher alles politische Leben nach außen drängen, auf Erhöhung der Kraft des Staates gegen außen gerichtet sein. Die Einheit des Willens, die Konzentration der Kraft, die ungehemmte Raschheit der Vollziehung ist, so lange Preußens materielle Hilfsquellen nicht bedeutend zunehmen, sein höchstes Gesetz. Um auf seiner künst-

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 154

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
154 X. Aus der Frankfurter Nationalversammlung. dürfe das Opfer seines Daseins nicht für eine ungewisse deutsche Zukunft bringen. Diese Männer vergessen dabei freilich etwas Großes, sie vergessen, daß die Grundlage, auf welche der große Kurfürst und Friedrich Ii. bauten, daß diese Grundlage, namentlich die der absoluten Herrschaft, für immer verschwunden ist; sie vergessen, daß damals, als Preußen so tief gesunken war, Deutschland mit ihm sank; sie vergessen, daß damals, als Preußen wieder erstand und herrlich erstand, Deutschland mit ihm erstand, und daß beide Größen nicht ohne einander wieder erstanden wären. Ich will meine Meinung unbekümmert sagen, wie übel sie auch von verschiedenen Seiten aufgenommen werde. Ihr dämpft das Feuer der Anarchie in Deutschland nicht, Ihr dämpft dieses zerstörende Feuer weder in den kleinen Staaten, noch in den mittlern, noch in den großen endlich und in den größten der rein deutschen Staaten, als nur aus einem Wege, nur ans dein Wege, daß Ihr eine kraftvolle Einheit einsetzet und durch diese Einheit die Bahn für die deutsche Volkskraft eröffnet, die zur Macht führt. Die Bahn der Macht ist die einzige, die den gärenden Freiheitstrieb befriedigen und sättigen wird, der sich bisher selbst nicht erkannt hat. Denn es ist nicht bloß die Freiheit, die er meint, es ist zur größeren Hälfte die Macht, die ihm bisher versagte, nach der es ihn gelüstet. Deutschland muß als solches endlich in die Reihe der politischen Großmächte des Weltteils eintreten. Das kann nur durch Preußen geschehen, und weder Preußen kann ohne Deutschland, noch Deutschland ohne Preußen genesen. Und so komme ich doch am Ende wieder auf das, was ich das Einmaleins nannte, zurück. Deun das ist denn doch wohl ein ganz Einfaches, daß eine Macht wie Preußen nicht auf die Probe berufen werden kann. Man kann einen Teil feines Wesens allenfalls hingeben an ein anderes, man kann allenfalls mithelfen zur Herrschaft, man kann das politische Pfuscherwerk einer Trias oder eines Turnus mit aufputzen helfen; allein sein ganzes Wesen, das giebt man nicht für drei, sechs oder zwöls Jahre hin, sein ganzes Wesen giebt man nur hin, uni in ein höheres Wesen für alle Dauer überzugehen. Meine Herren, ich verdamme niemandes Abstimmung, allein, was mich persönlich angeht, ich würde glauben, gebrochen zu haben mit allem, was mir vaterländisch teuer und heilig ist, gebrochen zu haben mit meinem Vaterlande, wertn ich anders meine Stimme abgäbe als für die Einheit Deutschlands, für die erbliche Krone meines Vaterlandes. — So bin ich gesonnen und werde so gesonnen bleiben und bis an mein Ende den Glauben festhalten,

10. Geschichtliches Lesebuch - S. 302

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
302 Xxi. Rede des deutschen Reichskanzlers Fürsten Bismarck. täten gewachsen zu sein, so erhebe ich damit den Anspruch, daß wir noch größere Anstrengungen machen müssen als andere Mächte zu gleichem Zwecke, wegen unserer geographischen Lage. Wir liegen mitten in Europa. Wir haben mindestens drei Angriffsfronten. Frankreich hat nnr feine östliche Grenze, Rußland nur seine westliche Grenze, auf der es angegriffen werden kann. Wir sind außerdem der Gefahr der Koalition nach der ganzen Entwickelung der Weltgeschichte, nach unserer geographischen Lage und nach dem vielleicht minderen Zusammenhang, den die deutsche Nation bisher in sich gehabt hat im Vergleich mit anderen, mehr ausgesetzt als irgend ein anderes Volk. Gott hat uns in eine Situation gesetzt, in welcher wir durch unsere Nachbarn daran verhindert werden, irgendwie in Trägheit oder Versumpfung zu geraten. Er hat uns die kriegerischste und unruhigste Nation, die Franzosen, an die Seite gesetzt, und er hat in Rußland kriegerische Neigungen groß werden laffen, die in früheren Jahrhunderten nicht in dem Maße vorhanden waren. So bekommen wir gewisfermaßen von beiden Seiten die Sporen und werden zu einer Anstrengung gezwungen, die wir vielleicht sonst nicht machen würden. Die Hechte im europäischen Karpfenteich hindern uns, Karpfen zu werden (Heiterkeit), indem sie uns ihre Stacheln in unseren beiden Flanken fühlen laffen; sie zwingen uns zu einer Anstrengung, die wir freiwillig vielleicht nicht leisten würden, sie zwingen uns auch zu einem Zusammenhalten unter uns Deutschen, das unserer innersten Natur widerstrebt (Heiterkeit); sonst streben wir lieber auseinander. Aber die französisch-russische Presse, zwischen die wir genommen werden, zwingt uns zum Zusammenhalten und wird unsere Kohäsionsfähigkeit auch durch Zusammendrücken erheblich steigern, sodaß wir in dieselbe Lage der Unzerreißbarkeit kommen, die fast allen anderen Nationen eigentümlich ist, und die uns bis jetzt noch fehlt. (Bravo!) Wir müffen dieser Bestimmung der Vorsehung aber auch entsprechen, indem wir uns so stark machen, daß die Hechte uns nicht mehr thun als uns ermuntern. (Heiterkeit.) Wir hatten ja früher in den Zeiten der heiligen Alliance — mir fällt ein altes amerikanisches Lied dabei ein, welches ich von meinem verstorbenen Freunde Motley gelernt habe; das sagt: In good old colonial times, when we lived under a king — nun, das waren eben patriarchalische Zeiten, da hatten wir eine Menge Geländer, an denen wir uns halten konnten, und eine Menge Deiche, die uns vor den wilden europäischen Fluten schützten. Da war der deutsche Bund,
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