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1. Auswahl erdkundlicher Charakterbilder - S. 61

1907 - Münster i.W. : Aschendorff
Wartburg-Sonntag. ul langsam eindringend auf den lachend flüchtigen „Öfter- dingen". Die Stallrotte unterhält sich köstlich. Heut' ist der zweite Sängertag: wird der Österreicher, der gestern mit dem Schiedsrichter Klingsor in Eisenach ein- ritt, diesmal bestehen? Den Türmer kümmert das wenig. Der sitzt aus seiner erhabenen Warte und reibt fein Messinghorn blank. Von Zeit zu Zeit hat er einen Einsall: er biegt sich mit jähem Ruck herum, greift zwischen das Gerät und hebt handfest eine Deckelkanne zum schnauzbärtigen Mund. Langer, unerschütterlich langer Zug! Heut' ist jeder neue Gast ein neuer Vorwand zum Trunk. Und am späten Lichterabend wird er aus seinem Turm sinulos blasen und lachen und Tänze stampfen, daß sich die wackligen Bretter biegen, und wiederum blasen, umlacht von lustigen jungen Gesellen, die ihn und seine 'Schnur- ren am Sonntagabend zu besuchen pflegen. . . . Aber aus den Ulmen und Buchen und Eichen rund um die umgrünte Burg dringt ein Finkenschlagen und Amselschmettern immer froher in den wachsenden Tag. Immer buntere Festkleider umranken den Berg. Das jnchheit ins bewegte Tal, das zieht empor, lagert sich aus den Wiesen, hält Frühstück. . . . Es ist ein gesunder, reiner und großer Morgen, durch den nun ein anschwellend 'Glockengeläut langsam und feierlich dahinschwimmt und alle Lüfte gewaltig er- füllt. Die Glocken von Eisenach läuten, die Posaunen rufen, Ritter reiten zu Berg — dort Klingsor, daneben Ofterdingen — der Wettkamps wird beginnen! Alles strömt in den überfüllten, nach Blumen und Kränzen duftenden Burghof. * * * Bald halten wir unter Burgtor und Zugbrücke. Sonntagsvolk drängt sich auf der Brücke; die Burg ist voll Menschen, als wär' heut' wirklich ein Fest. Und nun badet der Blick in der Pracht der Land- schaft! Eisenach ist zwar zum Teil durch den Harnstein

2. Auswahl erdkundlicher Charakterbilder - S. 118

1907 - Münster i.W. : Aschendorff
118 Auf dem Brenner. ich auf der Grenzscheide des Südens und Nordens ein- geklemmt bin. Betrachten wir die Gebirge näher oder ferner, und sehen ihre Gipfel bald im Sonnenschein glänzen, bald vom Nebel umzogen, von stürmenden Wolken umsaust, von Regenstrichen gepeitscht, mit Schnee bedeckt, so schrei den wir das alles der Atmosphäre zu, da wir mit Augen ihre Bewegungen und Veränderungen gar wohl sehen und fassen. Die Gebirge hingegen liegen vor unserm äußern Sinn in ihrer herkömmlichen Gestalt unbeweglich da. Wir halten sie für tot, weil sie erstarrt sind; wir glauben sie untätig, weil sie ruhen. Ich aber kann mich schon seit längerer Zeit nicht einbrechen, einer innern stillen, geheimen Wirkung derselben die Veränderungen, die sich in der Atmosphäre zeigen, zum großen Teile zu zuschreiben. Ich glaube nämlich, daß die Masse der Erde überhaupt, und folglich auch besonders ihre hervorragend- sten Grundfesten nicht eine beständige, immer gleiche Anziehungskraft ausüben, sondern daß diese Anziehnngs kraft sich in einem gewissen Pulsieren äußert, so daß sie sich durch innere notwendige, vielleicht auch äußere zu fällige Ursachen bald vermehrt, bald vermindert. Mögen alle andern Versuche, diese Oszillation darzustellen, zu beschränkt und roh sein, die Atmosphäre ist zart und weit genug, um uns von jenen stillen Wirkungen zu unterrichten. Vermindert sich jene Anziehungskraft im Geringsten, alsobald deutet uns die verringerte Schwere, 'die verminderte Elastizität der Lnst diese Wirkung an. Die Atmosphäre kann die Feuchtigkeit, die in ihr chemisch und mechanisch verteilt war, nicht mehr tragen i Wollen senken sich. Regen stürzen nieder, und Regenströme ziehen nach dem Lande zu. Vermehrt aber das Gebirge seine Schwerkraft, fo wird alsobald die Elastizität der Luft wieder hergestellt, und es entspringen zwei wichtige Phä- nomene. Einmal versammeln die Berge ungeheure Wolkenmassen um sich her, halten sie fest und starr wie zweite Gipset über sich, bis sie, durch innern Kampf

3. Auswahl erdkundlicher Charakterbilder - S. 195

1907 - Münster i.W. : Aschendorff
Vom Kassai bis Mukenge. Palmen beschattet wird. Tambo selbst ist an einer regel- mäßigen Palmenallee angelegt, die von 50 zu 50 in kreisförmig erweitert ist, um hier Hütten und Wohn- räume auszunehmen. Im Zentrum dieser Kreise sieht man des Abends die Eingeborenen um ein Feuer ge- schart, wo sie gemütlich plaudernd ihren Hanf rauchen. Nicht nnnder schön sind drei nördlich von Tambo ange- baute Ortschaften, von denen aus die Täler des Kalambei und des Dischibi ein hübsches Panorama abgeben. An letzterem entlang ziehen sich ausgedehnte Maniokfelder, und jenseits derselben sieht man die düstern Umrisse des Urwaldes. Das Wesen des Baluba ändert sich von hier ab, die Hütten von Tambo sind geräumig und in anderer Art hergestellt wie die der bisher berührten Ortschaften. Wir finden hier die Hausform. Die Bevölkerung hat nicht mehr den scheuen Charakter, der uns noch vor wenigen Tagen so unangenehm aufgefallen war. Der nächste Marsch führte über hügeliges, mit mehreren kleinern Urwaldparzellen und Baumfavanne bedecktes Gelände nach dem Dorfe Mukelle. Nur der Tfchikamakama und sein Schwesterbach, der Kange, durch- schneiden mit feuchten Niederungen unfern Pfad. Auch der folgende Tag brachte uns dasselbe landschaftliche Bild, nur die Zahl der Wasseradern ward größer. Der Aufenthalt, den sie und einzelne Urwaldungen bereiteten, war doch fo erheblich, daß wir erst spät am Tage einen Platz erreichten, wo wir trotz seiner ungünstigen Lage unser Lager aufschlagen mußten. Wasser und Ortschaften waren weit entfernt. Die Leute machten keine ver- gnügten Gesichter, doch der kommende Tag entschädigte sie durch einen kurzen Marsch und die günstige Lage des neuen Rastplatzes. Vom Lager aus konnten wir das schöne Tal des Luengo von der Quelle bis zur Eiumün- dnng des Kaminango verfolgen. Die Savanne war mit Baumgruppen angefüllt. Im Osten lag ein größerer Urwald, im Norden zwischen kleinern Urwaldstrecken 13*

4. Auswahl erdkundlicher Charakterbilder - S. 119

1907 - Münster i.W. : Aschendorff
Aus dem Brenner. 11'* elektrischer Kräfte bestimmt, als Gewitter, Nebel und Regen niedergehen; sodann wirkt aus den Überrest die elastische Luft, welche nun wieder mehr Wasser zu fassen, auszulösen und zu verarbeiten fähig ist. Ich sah das Aufzehren einer solchen Wolke ganz deutlich; sie hing nni den stillsten Gipfel, das Abendrot beschien sie: langsam, langsam sonderten ihre Enden sich ab; einige Flocken wurden weggezogen und in die Höhe gehoben; diese ver- schwanden, und so verschwand die ganze Masse nach und nack und ward vor meinen Augen wie ein Rocken von einer unsichtbaren Hand ganz eigentlich abgesponnen. Nun von dem abhängigen, durch Klima, Berghöhe, Feuchtigkeit aus das Mannigfaltigste bedingten Pflau- zenreich einige Worte. Auch hierin habe ich keine sonder- liche Veränderung, doch Gewinn gefunden. Äpfel und Birnen hängen schon häusig vor Innsbruck iu dem Tale, Pfirsiche und Trauben hingegen bringen sie aus Welsch- land oder vielmehr aus dem mittägigen Tirol. Uni Innsbruck bauen sie viel Türkisch- und Heidekorn, das sie Blende nennen. Den Brenner heraus sah ich die ersten Lärchenbäume, bei Schemberg den ersten Zirbel. Ob wohl das Harfnermädchen hier auch nachgefragt hätte? Was mich noch aufmerksam machte, war der Eiu- fluß, den die Gebirgshöhe auf die Pflanzen zu habeu schien. Nicht nur neue Pflanzen fand ich da, sondern das Wachstum der alten verändert; wenn in der tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und mastiger waren, die Augen näher aneinander standen und die Blätter breit waren, so wurden höher ins Gebirge hinauf Zweige und Stengel zarter, die Augen rückten auseinander, so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum stattfand und die Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ich bemerkte dies bei einer Weide und einer Gentiana, und überzeugte mich, daß es nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walcheusee bemerkte ich längere und schlankere Binsen als im Unterlande. Die Kalkalpen, welche ich bisher durchschnitten, habeu

5. Auswahl erdkundlicher Charakterbilder - S. 148

1907 - Münster i.W. : Aschendorff
148 Der Hardangerfjord. Seiten auf ein paar hundert Meter zusammenrücken. Draußen am Eingang des Fjords liegt jenes Kinversik, wo im Frühjahr die Kirschen blühen - drinnen am Ende der Bucht hängt das Eisfeld des Folgefond zwischen zer- rissenem, dunkeln Felsgeklüft bis auf einige hundert Fuß zum Meer herab, während dazwischen Wasserfälle wie Silberfäden von dein Gletscher weg bis zur Tiefe gleiten. Am Eingang schaut man fröhlich rundum in fünf verschie dene Seearme hinaus; im Innern glaubt man von den Felshöhen und Gletschern erdrückt zu werben; draußen strahlt der Sonnenglanz des Sommers noch im üppigsten Grün; drinnen droht der Winter, kaum aus dem Tal vertrieben, schon wieder von der Hochburg des ewigen Eises herab. Auch die dazwischen liegenden Bilder sind nicht minder reizend. Schroffe Felskegel, Nuts genannt, ragen oben wie dunkle Bastionen aus der Schneeburg hervor. Einmal über das andere springen steile Fels- hänge gleich Kulissen von beiden Seiten in den Fjord vor und schaffen zu dem düster-majestätischen Hinter- gruud eine neue Szenerie. Hinter ihnen öffnen sich bald freundliche, kleine Wiesentäler, bald zerrissenes Geklüste, während das moosumkleidete Felsgestade, von lieblichen Baumgruppen und Gebüsch unterbrochen, einer Weih- nachtskrippe 'gleicht. Hier öffnet sich plötzlich eine wilde Seitenschlucht, dort tobt ein Waldbach über die Felsen hernieder. Und wieder verengt und öffnet sich der Sund, und Alpenhütten schauen traulich aus einer Lichtung hoch oben hernieder, während unten ein weißes Kirchlein aus dichtem Birkengezweig hervorblitzt. Wenn unten schon alles dunkelt, Fels und Wald gespenstig ineinander- fließen, glüht oben am Firn noch die Sonne im blitzen- den Weiß, dann goldig und glühend rot — und die Klip- pen und Bäume oben am Rande des Schneegefildes scheinen in Glut getaucht. Lange kämpft der wunder- bare Schimmer mit der hereinbrechenden Nacht. Dann starren die wilden Riffe und Abhänge schwarz wie Berg- gespenster in den Himmel auf; unheimlich wie ein Grab-

6. Auswahl erdkundlicher Charakterbilder - S. 172

1907 - Münster i.W. : Aschendorff
172 Die Llanos des Orinoko. jährlich vor Betäubung viele Pferde in der Furt er- Iranken. Auch fliehen alle andern Fische die Nähe diese»' furchtbaren Aale. Selbst den Angelnden am hohen Ufer schrecken sie. wenn die feuchte Schnur ihm die Erschüt- terung aus der Ferne zuleitet. So bricht hier elektrisches Feuer aus deiu Schöße der Gewässer ans. Ein malerisches Schauspiel gewährt der Fang der Gymnoten. Man jagt Maultiere und Pferde in einen Sumpf, welchen die Indianer eng umzingeln, bis der ungewohnte Lärm die mutigen Fische znm Angriffe reizt. Schlangenartig sieht man sie aus dem Wasser schwimmen und sich verschlageu unter den Bauch der Pferde drän- gen. Von diesen erliegen viele der Starke unsichtbarer Schläge. Mit gesträubter Mähne, schnaubend, wilde Angst ini funkelnden Auge, fliehen andere das tobende Ungewitter. Aber die Indianer, mit laugen Barnbus- stäben bewaffnet, treiben sie in die Mitte der Lache zurück. Allmählich läßt die Wnt des ungleichen Kampfes nach. Wie entladene Wolken zerstreuen sich die ermüdeten Fische. Sie bedürfen einer langen Ruhe und einer reich- lichen Nahrung, um zu sammeln, was sie an galvanischer Krast verschwendet haben. Schwächer und schwächer er- schüttern nun allmählich ihre Schläge. Vom Geräusch der stampfenden Pferde erschreckt, nahen sie sich furchtsam dein Ufer, wo sie durch Harpunen verwundet und mit dürrem, uicht leitendem Holze auf die Steppe gezogen werden. Dies ist der wunderbare Kampf der Pferde und Fische. Was unsichtbar die lebendige Waffe dieser Wasser- bewohner ist; was, durch die Berührung feuchter und ungleichartiger Teile erweckt, iu allen Organen der Tiere und Pflanzen umtreibt; was die weite Hinum'lsdecke donnernd eutflammt, was Eisen an Eisen bindet und den stillen, wiederkehrenden Gang der leitenden Nadel lenkt! alles, wie die Farbe des geteilten Lichtstrahls, fließt ans einer Quelle; alles schmilzt in eine ewige, allverbreitende Kraft zusammen.

7. Auswahl erdkundlicher Charakterbilder - S. 177

1907 - Münster i.W. : Aschendorff
Niagara. 1' < Weise unterbricht. An einem Punkte ist die Wassermasse so groß und gleichzeitig wahrscheinlich die Felsbank so geglättet, daß jene sich wie ein grüner Glasfluß ohne ein Bläschen oder ein Sprühen herüberbiegt. Wie spielen dann an diesem hellgrünen, klaren, schön gebogenen Spie- gel die Schaumstreifen hinaus, sobald er senkrecht zu fallen beginnt; welches Lichterspiel und welche Bewegung ist auf seiner Oberfläche, ehe er sich in die erst rieselnden und bald prasselnden und brüllenden Schaumsäulen auflöst; wie ost ist der Kern einer solchen Säule, die sich von der klaren Masse ablöst, bereits Schaum, während die Hülle noch klar und grün wie ein Glasslnß! Und wie nn- Zähliges Einzelne ist in dem großen Bilde von Augenblick zu Augenblick anders geworden! Selbst das eigentliche Wesen der Bewegungen, der Grundton, wenn ich so sagen kann, sowohl dieses als des amerikanischen Falles läßt ja unzählige Variationen zu. Das Herabbiegen der Wassermassen über die Felsbank, ihr Zerstäuben, sobald sie senkrecht zu fallen beginnen und den Zusammenhang verlieren, das Beisammenbleiben einzelner Wellen (wie- wohl in Staub aufgelöst) und der lockere Zusammenhalt dieser Wellen in den Schaumwellen oder Strehnen, ans denen sie wohl oft sprühend hinausflattern, meist aber ziemlich regelmäßig und mit Konzentration der Staub- massen nach unten neben- und übereinander herab- fallen — das sind alles nur allgemeine Formen, wie man sie eben dem Gedächtnis einzuprägen sucht. Man tritt aber vor die Sache selber hin und sieht diese Formen alsbald in tausend Erscheinungen entfaltet. Gerade das ist es ja, was uns in die Betrachtung eines solchen reichen Bildes so ties versenkt, so an es sesselt, daß wir nicht los- kommen können — der unerschöpfliche Reichtum, in den die im Grunde so einfachen Bewegungen, Farben, Töne usw. auseinandergehen. Die Einfachheit der Erscheinung beschränkt uns wohltuend, während ihr innerer Reichtum spannt und nicht ermüden läßt. Der Grundton schläfert ein, während die Variationen uns in diesen Träumen so Lennarz, Erdkundliche Charakterbilder. 12

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 57

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Iv. v. Sybel. Einwirkung der Julirevolution auf Deutschland. 57 leise, Verkennen der Bedürfnisse des realen Lebens neben Übertreibung des juristischen Formalismus, Nachlassen des geistigen Verkehrs zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Beamten und Volk, in Preußen ebenso wie in den kleineren Staaten. Ein nicht immer nötiger Befehlshaberton galt für unerläßlich zur Aufrechthaltung der Autorität, und vollends die Sicherheitspolizei, angestachelt durch die politischen Sorgen der höchsten Stellen, bewegte sich in einem hofmeisternden, argwöhnischen und kleinlichen Treiben, welches die herrschende Mißstimmung nie zur Ruhe kommen ließ. Denn trotz alles Guten, welches wir eben berichtet haben, blieb der Zorn über die Ausnahmegesetze von 1832 im Wachsen und verbreitete sich durch alle Klassen der Bevölkerung. Zwar die äußere Ordnung wurde an keiner Stelle mehr gestört; die Zeitungen lagen in den Fesseln der Censur, und das neue badische Preßgesetz mußte nach Bundesbefehl durch den Großherzog zurückgenommen werden. In den Kammern verlor die liberale Partei wieder die Majorität und hielt sich in behutsamer Defensive, um nicht neue Gewaltschritte des Bundes hervorzurufen. Aber nur um so tiefer fraß sich der Groll in die Herzen ein. Viele Tausende, die 1830 bei den Aufläufen in Kassel und Dresden den Pöbelexceffen gewehrt oder 1832 ans dem Hambacher Feste harmlos gejubelt hatten, gelobten sich jetzt, wenn es wieder losginge, selbst mit kräftigem Handeln dabei zu fein. Neun Zehntel der deutschen Bürger erfüllten sich im Angesichte der Reaktion mit demokratischen Gedanken, die Gemäßigten mit Begeisterung für den parlamentarischen Staat, wo ein Beschluß der Volksvertretung die Minister aus dem Amte entfernt oder in dasselbe einsetzt, die Heißblütigen mit dem Ideale der Republik, wo der Wille des gesamten Volkes über Gesetzgebung und Exekutive in unbeschränkter Freiheit entscheidet. Noch hatte keine Erfahrung darüber belehrt, wie notwendig jedem großen Gemeinwesen ein mächtiges Organ der Stetigkeit in seiner Politik ist, ein Organ, für welches keine andere Staatsform gleiche Aussicht wie die Erbmouarchie darbietet. Auch darüber war man begreiflicher Weise damals noch nicht klar, daß die parlamentarische Regierung in England nur deshalb einen sichern und gedeihlichen Gang hatte behaupten können, weil sowohl die Volksvertretung als die Verwaltung von zwei fest organisierten und politisch geschulten Adelsgruppen geleitet wurde, die sich im Besitz der Ministerien ohne Störung der Geschäfte ablösten. Außer aller Beachtung blieb die für die Beurteilung eines demokratischen Staatswesens entscheidende That-

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 60

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
60 Iv. v. Sybel, Einwirkung der Julirevolution auf Deutschland. horsam unter den Satzungen der klerikalen Hierarchie auferlegt hatte. Der Kampf mit den Staatsgewalten konnte nicht ausbleiben. In Preußen entspann er sich in Sachen des theologischen Universitätsunterrichts und der gemischten Ehen: nach langen Verhanblungen kam es 1837 zum offenen Zwiespalt, und die Regierung ließ den wortbrüchig geworbenen Erzbischof von Köln nach Minben in Haft bringen, den in gleichem Sinne wirkenben Erzbischof von Posen aber durch gerichtliches Urteil absetzen. Das Kölner Domkapitel und der Fürstbischof von Breslau hielten zur Regierung, bei der rheinischen und polnischen Bevölkerung jeboch zeigte sich eine heftige Gärung. Eben bamals war in München der eifrig klerikale Herr von Abel leitenber Minister geworben und ließ der ultramontanen Presse bei den heftigsten Angriffen gegen Preußen freien Lauf, und bieses Mal erhob auch Metternich, welcher soeben den Jesuiten den von Kaiser Franz stets geweigerten Zugang nach Österreich eröffnet hatte, keinen Einspruch gegen die bunbeswibrige Verstattung schrankenloser Preßfreiheit. So war in allen deutschen Lauben eine in den mannigfachsten Farben durch einanber wirbelnbe Bewegung der Geister erwacht. Der ganze bisherige Zustand war ohne eine Spur materieller Auflehnung durch eine kecke Kritik in Frage gestellt. Da trat 1837 ein Ereignis ein, welches die politische Agitation für ein volles Jahrzehnt in ihren Bestrebungen fixierte und ihr einen unverrückbaren gemeinsamen Zielpunkt gab: der Verfafsungssturz in Hannover durch den neuen König Ernst August. Unter lügenhaften Vorwanben, hauptsächlich zu dem Zwecke freierer persönlicher Verfügung über das Staatsvermögen unternommen, staub die Umwälzung sowohl mit dem Lanbrecht als mit der Wiener Schlußakte in fchreienbem Wibersprnch. Der Unwille in ganz Dentschlanb trat offen au das Licht, als mit einem neuen Gewaltstreich der König sieben Göttinger Professoren, die unter Dahlmanns Vorgang ihrem Verfaffungseibe treu zu bleiben erklärten, kurzer Hand absetzte und brei berselben aus dem Laube jagte. Die deutschen Volksvertretungen, Universitäten, Spruchkollegien wetteiferten, in den schärfsten Beschlüssen und Gutachten der öffentlichen Entrüstung Ausbruck zu geben; die Verteidigungsschriften Dahlmanns und Jakob Grimms stmbert die weiteste Verbreitung; ein großer Verein, der sich zur Unterstützung der Vertriebenen gebilbet hatte, gewann Mitglieber in allen deutschen Städten. Dagegen war in Hannover selbst nach der ersten Aufwallung bei der bebächtigen nieberfächsischen Bevölkerung der Kampfeseifer Weber heiß noch thätig, inbefsen kam es zu einer

10. Geschichtliches Lesebuch - S. 107

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
Viii. Oncken, Das Schattenreich in der Paulskirche. 107 imstande, wenig Worte zu Ihnen zu reden. — Ich gelobe hier feierlich vor dem ganzen deutschen Volke, daß seine Interessen mir über alles gehen, daß sie die Richtschnur meines Betragens sein werden, solange ein Blutstropfen in meinen Adern rinnt; ich gelobe hier feierlich, als das von Ihnen gewählte Organ Ihrer Versammlung, die höchste Unparteilichkeit. Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen schassen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. (Stürmisches-Bravo.) Den Berus und die Vollmacht, dieses Versassuugs-werk zu schassen, hat die Schwierigkeit in unsere Hände gelegt, um nicht zu sagen die Unmöglichkeit, daß ey auf anderem Wege zustande kommen könnte. Die Schwierigkeit, eine Verständigung unter den Regierungen zustande zu bringen, hat das Vorparlament richtig vorgefühlt und uns den Charakter einer konstituierenden Versammlung vindiciert. Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen; diese Mitwirkung auch der Staaten-Regierungen zu erwirken, liegt mit im Berufe dieser Versammlung. Wenn über manches Zweifel besteht und Ansichten auseinandergehen, über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel, es ist die Forderung der ganzen Nation. Die Einheit will sie, die Einheit wird sie haben, sie befestigen, sie allein wird schützen vor allen Schwierigkeiten, die von außen kommen mögen, die im Innern drohen." Die Versammlung, der diese Worte galten, ging an ihr Werk, fest überzeugt von ihrem Recht und ihrer Macht: in dem uner-schüttlichen Glauben, daß sie dürfe und daß sie könne, was sie sich vorgesetzt, daß ihre Vollmacht unbestreitbar und unanfechtbar sei wie das Licht der Sonne und daß dem nationalen Willen, dem sie Körper und Gestalt zu verleihen habe, nichts unerreichbar sei, daß ihm nichts, schlechterdings gar nichts widerstehen werde. Von diesem Glauben war Heinrich von Gagern erfüllt mit Leib und Seele; ihn bekannte er in dieser seiner ersten Rede mit dem Brustton tiefster Durchdrungenheit und in Worten, die zündend einschlugen, weil sie ganz kunstlos und unmittelbar das trafen, worüber alle einig waren oder einig zu sein glaubten, und nichts von dem berührten, was die Geister trennte. Und in der Seelenkraft, mit der er hier zum erstenmal gewirkt, lag nun das, was ihm an der Spitze dieses Parlaments eine ganz eigenartige Stellung gab. Obgleich weder ein geistreicher Kops, noch ein
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