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1. Die deutsche Kultur - S. 143

1907 - Leipzig : Brandstetter
Gutsbesitzer und reiche Kaufleute schätzten sich glücklich, wenn ihnen der Adelsbrief verliehen wurde. Der Kaiser und die Landesfürsten, die besonders in damaliger Zeit viel Geld brauchen konnten, machten aus der Verleihung der Adelsbriefe ein einträgliches Geschäft. „Nun mutz man auch riechen nach der Hof-Luft, woher dieselb am meisten wehet, dahin man sich zu wenden hat, damit man immer Gnadenluft behalte", so heißt es in einem „Complimentirbüchlein" der damaligen Zeit, und nach diesem Grundsätze richtete man auch sein Tun und Handeln ein. Durch Gunstbuhlerei und Schmeichelei strebte alle Welt nach Rang und Titel. Sie machten den Wert des Menschen aus, der höhergestellte Mann war auch immer der bessere. Auch der kleine Mann, der Handwerker, wollte von dem beglückenden Nimbus des Hofes etwas Vorteil haben. Er strebte nach Hoftiteln: erst als „Hofbäcker" oder „Hofschuhmacher" glaubte er etwas Rechtes zu sein. Und auch sonst kamen solcher äußerlichen Sucht unglaublich viel neue Titel und Ehrungen entgegen. Der Grundzug der allgemeinen Lebensauffassung war in jener Zeit die barste unsittlichste Äußerlichkeit, der niedrigste Nützlichkeitsstandpunkt. Der Charakter des damaligen Bürgertums, das in seinem Selbstgefühl stark erschüttert war, ist Charakterlosigkeit. So wie die Hofgesellschaft und der Adel sich nach unten abschlössen, so suchte jeder Stand gegen den anderen vornehmer zu sein. Der Gelehrte schloß sich vom Ungelehrten, der Beamte vom Bürger, der Kaufmann vom Handwerker fein säuberlich ab; am niedrigsten stand natürlich der Bauer, über den sich der Bürger hoch erhaben fühlte, vor allem wegen seiner Aneignung der neuen Bildung. Die Rangabstufungen kamen in den vielen Titeln und Anredeformen zum Ausdruck, mit deren Aufzählung man ganze Bücher füllte. Man mußte sich sehr wohl in acht nehmen, einen „wohledlen", „hochweisen", „hoch-wohlgebornen", „hochgelehrten", „großgünstigen" Herren nicht mit einer geringwertigeren Titulatur anzureden. Die Kommis der Kaufleute hießen „Bediente", die Diener derselben „Bursche". Beide redete man nur mit „er" an. Dagegen nannten die Kinder ihre Eltern und die vornehmen Eheleute einander nur „Sie". Das vornehme Bürgertum suchte im Luxus mit dem Adel zu wetteifern, z. B. im Halten von Bedienten, im Kleiderprunk und Tafellurus, im Protzen mit prachtvollen Kutschen, mit vergoldeten und samtgefütterten Schlitten. Auch in der Erziehung der Kinder ahmte man die adelige Erziehung durch Hofmeister nach, denn auch der vornehme Bürgerssohn sollte ein rechter „galanter" und „politischer" Mann werden, ein Weltmann mit feinen Umgangsformen. Das Palais der Vornehmen wurde das allgemeine Muster für die Wohnung der wohlhabenden Schichten des Bürgertums. Überall 143

2. Die deutsche Kultur - S. 146

1907 - Leipzig : Brandstetter
Deutschlands. Ter Adel verlernte allmählich den Übermut, womit er auf das Bürgertum herabgesehen, und das Bürgertum die Schwäche, womit es sich vor dem Adel erniedrigt hatte. Ein Teil des Adels fing an, sich seines Müßigganges und seiner Verachtung heimischer Sitte zu schämen und mit den Vertretern des Bürgertums in der Liebe zu Kunst und Wissenschaft zu wetteifern. Das Gewerbe, das noch krampfhaft an der ganz verknöcherten Zunftverfassung festhielt, machte erst raschere Fortschritte, als am Anfang des 19. Jahrhunderts die Gewerbefreiheit durchgeführt wurde. Ebenso ging der Handel nur langsam zu neuen Formen über, da er durch die Zersplitterung des Münz-, Matz- und Gewichtswesens und durch die schlechten Verkehrsverhältnisse stark gehemmt war. Bei den damaligen Zuständen, den Kriegen, der häufigen Rechtsunsicherheit des Schwächeren, dem auf dem niederen Volke lastenden Steuerdruck, dem geringen Lohn, herrschte vielfach eine tiefe unverschuldete Armut, die durch Teuerungen, wie in den siebziger und achtziger Jahren, noch verstärkt wurde. Wohl herrschte in den besseren Kreisen noch vielfach leichtsinnige Vergnügungssucht, im ganzen war aber das alltägliche Leben ziemlich überall auf einen einfachen Ton gestimmt. Die gewöhnliche Geselligkeit, die immer noch steife Formen ängstlich bewahrte, spielte sich meist harmlos in den Kaffeegärten an den einzelnen Familientischen oder im Lustwandeln auf schmalen Gängen bei Musik ab. Sehr stark war allerdings die öffentliche Geselligkeit entwickelt. Bälle für die gute Gesellschaft, meist Maskenbälle, gab es um 1800 auch in kleineren Städten in großer Zahl. Ähnlich wie mit der sonstigen Lebenshaltung war es auch mit der Tracht. In Gesellschaft erschien der Herr in seidenen Strümpfen, feinem Kleid, gestickter Wäsche und steifer Frisur, die Dame im Reifrock, hohen Stelzschuhen und gepudertem, hochragendem Haaraufbau. Immerhin war auch die Tracht von einem gesunderen Zeitgeist nicht unberührt geblieben. Die dunklen Farben wurden, namentlich in der Männertracht, beliebter, Perücke und Zopf verschwanden, die lange Hose, der weite Rock und eine unförmliche Halsbinde kamen in Mode. In der Frauentracht kam die sog. griechische Tracht in Aufnahme, die aber im 19. Jahrhundert bald wieder verdrängt wurde. Das Bürgertum konnte sich erst dann frei entwickeln, als ihm seine politischen Rechte zurückgegeben waren. Der geistigen Wiedergeburt folgte am Anfang des 19. Jahrhunderts die politische, Bei der das Bürgertum in erster Linie beteiligt war. Unter dem Drucke der Fremdherrschaft brach sich überall die Ansicht Bahn, daß man dem Bürgertum größere Freiheiten und größere Teilnahme an der Verwaltung zugestehen müsse, wenn sich die Bürger mit größerer Liebe als bisher dem Dienste des Vaterlandes weihen sollten. Am 146

3. Die deutsche Kultur - S. 157

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herrschend. Der Adel war infolge des übermäßigen Aufwandes bei häuslichen und öffentlichen Festen verarmt, daß er zur Wegelagerung griff, um nur das Leben zu fristen. Ein wildes Räuberleben, ungeheuerliche Saufgelage mit unflätigem Gespräch lösten die heiligsten Bande der Familie. Wie das Leben und Treiben des Adels auf das Familienleben des Bürgerstandes gewirkt hat, erzählt der Prediger Berthold von Regensburg in nicht gerade schmeichelhafter Weise: „An der Eitelkeit und Putzsucht der Zeit hat das Weib seinen vollen Anteil. Die Hälfte des Jahres wendet sie an ihr Haar. Wenn sie nicht viererlei oder sechserlei Kleidung zur Verfügung hat, so hat ihr Mann keine ruhige Stunde. In Pfauenhüten, mit gestickten Kleidern und langen Schleppen schwänzeln die Mädchen und Frauen durch die Gassen, an Gewand und Kopfputz zupfend, daß man sie recht begaffe. Die mütterliche Pflicht wird nicht immer so geübt, wie es das Wohl der Kinder erheischt. Auch beim weiblichen Geschlecht ist eine Nimmersatte Vergnügungswut eingerissen, durch die die Sittsamkeit und Tugendhaftigkeit von Frauen und Mädchen schwer leidet. Selbst von der Trunksucht und Spielsucht der Männer sind die Frauen angesteckt. Der Mann vertrinkt sein Schwert, die Frau ihren Kopfputz. Zwar kirchlicher sind die Weiber als die Männer. Man sieht sie häufiger im Gottesdienst; aber sie lassen hier wie im „Heimgarten" (in Gesellschaft) ihren Mund nicht stille stehen mit unnützem Geschwätz. Die eine erzählt von der Faulheit und Verschlagenheit ihrer Magd, die andere klagt, daß ihr Kind so viel Arbeit koste, oder daß es nicht recht zunehme." 5. Die Blütezeit des Bürgertums. Während das Rittertum im ausgehenden Mittelalter allmählich zur Bedeutungslosigkeit herabsank, wuchs und erstarkte das Bürgertum der Städte immer mehr. Die Blüte des Handwerks und des Handels führte einen hohen Wohlstand des städtischen Bürgertums herbei. Der wirtschaftliche Aufschwung gab aber wieder Anlaß zu frohem Lebensgenuß. Man wollte nicht nur erwerben, sondern auch genießen, sich ausleben im Guten wie im Schlechten. Gewaltig war oft die Leidenschaft, ungezügelt die sinnliche Genußsucht, entsetzlich oft der Unflat. Aber das waren Zeichen nicht eines verkommenen Geschlechts, sondern eines jugendlich-kräftigen Volkes. Auch das Frauenleben des endenden Mittelalters stand unter dem Zeichen der unbefangenen, derben Lebenslust. Diese äußerte sich vor allem in der Entfaltung eines großen Kleiderlums und in dem Verlangen nach Vergnügungen aller Art. Um dem übertriebenen Aufwand in kostbaren Stoffen zu steuern, mußten städtische Lumsgesetze und 157

4. Die deutsche Kultur - S. 202

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inspektionsbezirke ernannten außerordentlichen Vertreter des Königs, die Königsboten. Zur Durchführung seiner Aufgaben standen dem König das gesamte Staatsgut und die Staatseinnahmen (Zölle, Abgaben, Strafen und Bannbutzen) zur Verfügung. dieser Steigerung der königlichen Gewalt hat das fränkische Jicich die Selbständigkeit der Stämme nicht völlig zu überwinden vermocht. In den ordentlichen Gerichten, den Hundertschaftsgerichten, wurde, obwohl Vorsitz und Leitung einem königlichen Beamten, dem Grafen, zustand, das Urteil von der Gerichtsgemeinde, von den versammelten Volksfreien, gesprochen. Auch in dem vom König versammelten Heer wurde bisweilen die Erinnerung an die altgermanische Landsgemeinde wach, indem es die Entscheidung traf, ob ein Kriegszug unternommen werden sollte oder nicht. Als eine Nachahmung der altgermanischen Volksversammlung richteten die Könige das „Märzfeld" ein, eine jährliche Heerschau, womit Beratungen über allgemeine Angelegenheiten verbunden waren. Vor allem wurde die Macht des fränkischen Reichskönigtums bald durch den wachsenden Einfluß der weltlichen und geistlichen Großen wesentlich eingeschränkt. Schon während des 6. Jahrhunderts bediente sich der König des Beirats seiner Großen bei wichtigen Reichsangelegenheiten. Durch die massenhaften Schenkungen von Königsgut an die Kirche und an den unzuverlässigen Dienstadel schwächten die Könige selbst ihre eigne Macht, daß sie kaum über eine wichtige Reichsangelegenheit zu entscheiden sich getrauten, ohne sich mit ihren Großen eins zu wissen. Während der Regierung der letzten Merowinger sank das Königtum zu einem reinen Schattenkönigtum herab. Tatsächlich war die Reichsgewalt in den Händen des Oberhaupts des Adels, des H a u s m e i e r s. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts verdrängte der Hausmeier Pipin das Merowingergeschlecht endgültig vom fränkischen Königsthron. Der letzte Merowingerkönig Childe-rich Iii. wurde ins Kloster gesteckt, und die fränkischen Großen huldigten Pipin selbst als König. Dieser Thronerwerb wurde bestätigt durch den Spruch des römischen Bischofs. Zu hohem Ansehen Brachte Karl d e r Große das fränkische Königtum. Der Grundgedanke seines wohlerwogenen Planes war: die Königsgewalt zu befestigen und zu erweitern. Dazu diente seine fast vierzigjährige kriegerische Tätigkeit und die eingehende Fürsorge, die er den inneren Angelegenheiten seines großen Reiches widmete. Durch die Erneuerung des weströmischen Kaisertitels (im Jahre 800) erlangte Karl der Große zwar keine Vermehrung seiner Macht oder seines Gebietes, wohl aber wuchs sein Ansehen als höchster Beschützer der Christenheit und Nachfolger der Beherrscher des römischen Weltreiches. 202

5. Die deutsche Kultur - S. 211

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solche Bündnisse nicht gegen Kaiser und Reich gerichtet sein. Auch den freien Städten wurde eine entscheidende Mitwirkung bei den Neichs-tagsverhandlungen zugesprochen. Diese Bestimmungen des Westfälischen Friedens vollendeten, was durchs die Verordnungen des hohenstaufischen Kaisers Friedrich Ii. in den Jahren 1220 und 1232 begonnen hatte und was in der „Goldenen Bulle" weiter durchgeführt war: die Schwächung der einheitlichen Reichsgewalt bis zur völligen Ohnmacht und die Stärkung der Macht der Landesfürsten. Die Landesherren waren von jetzt an, wenn nicht dem Namen, so doch der Sache nach, so gut wie gänzlich unabhängig, souverän. Die Reichsgewalt lag fortan bei Kaiser und Reich, d. H. bei dem Kaiser als Einzelperson und dem Reichstagskollegium, das sich aus den Landesfürsten und den Vertretern der Reichsstädte zusammensetzte. Die durch den Westfälischen Frieden geschaffene Verfassung galt * ™ Äöjun9 des Reiches im Jahre 1806. In der Zeit nach dem Westfälischen Frieden hatte die Reichsgemalt nicht mehr die Kraft irgendwie 3u betätigen. Der Deutsche Kaiser arbeitete als österreichischer Landherr nur an der Vergrößerung des Besitzstandes seiner Hausmacht und die übrigen deutschen Fürsten folgten seinem Beispiel, jn diese Zeit fallt die Ausbildung der beiden deutschen Großmächte: Preußen und Österreich. Im Frieden zu Lüneville (1801) wurde die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich „in des Kaisers und des Reiches Namen ausgesprochen. Die „erblichen" Fürsten, welche verloren, sollten eine Entschädigung dafür „im Schoße des Reiches erhalten. Diese Entschädigung erfolgte durch den 7 ^ a^olishauptschluß (25. Februar 1803), nach welchem sämtliche g e i st l i ch e n S t ä n d e — mit alleiniger Ausnahme des Kurfursten-Erzkanzlers und der Ritterorden - aufhörten, Landes-Herren zu em und bloß geistliche Würdenträger blieben. Ebenso verloren lamtliche Reichsstädte mit Ausnahme von sechs ihre Reich--Unmittelbarkeit und wurden Landstädte. So schmählich die Verhandlungen über die Neugestaltung der Staaten waren, in denen sich die Ver reter der einzelnen deutschen Staaten Napoleon gegenüber an Versprechungen und Bestechungssummen gegenseitig zu überbieten » I«: 1 °urd° doch das Ergebnis dieser Abmachungen Sltn m ? k ter Zersplitterung Deutschlands in nahezu 300 wlaaten war dadurch wenigstens einigermaßen abgeholfen Bei Grün- "^Män ,ein6urr !1806> »urde noch eine stärker! Verminderung der selbständigen Staaten dadurch herbeigeführt, daß eine Menae unterem ^elchsunmittelbarer Herrschaften den Rheinbundstaaten unterstellt wurden. Obwohl der Rheinbund gestiftet sein sollte un-beschadet der Zugehörigkeit seiner Mitglieder zum römisch-deutschen

6. Die deutsche Kultur - S. 223

1907 - Leipzig : Brandstetter
Seitdem die Deutschen infolge der Völkerwanderung größere Staaten gegründet und feste Sitze gewonnen hatten, machte sich bei ihnen das Bedürfnis nach geschriebenen Gesetzen geltend. So entstanden vom 5. bis zum 9. Jahrhundert bei allen deutschen Stämmen Aufzeichnungen des Rechts, die man mit den Namen Volksrechte zu bezeichnen pflegt. Das älteste Volksrecht ist das der salischen Franken, desjenigen Stammes, der die Herrschaft über alle übrigen gewann. (Lex Salica.) Es ist entstanden, bald nachdem sich die Salfranken auf römischem Boden festgesetzt hatten, also im 5. Jahrhundert, noch vor der Begründung des fränkischen Reiches durch Chlodwig. Im 6. Jahrhundert entstanden die Gesetzbücher der rechtsrheinischen Franken, der Alemannen, der Burgunder, im 8. Jahrhundert das bojoarische, noch später die der Thüringer, der Sachsen und der Friesen. Da im fränkischen Reiche der Grundsatz galt, daß jeder Genosse eines Stammes nach seinen Stammesrechten gerichtet werden nutzte, so haben die Volksrechte der einzelnen Stämme eine große Bedeutung für das Rechtsleben. Freilich machte sich dadurch eine große Zersplitterung in der Rechtsentwicklung geltend. Dem vielgestaltigen, teils germanischen, teils römischen Sonderrechte gegenüber schuf die königliche Gewalt des Frankenreiches in den allgemeinen Reichsgesetzen (Kapitularien) auch ein für das ganze Reichsgebiet und alle Reichsangehörigen geltendes Recht. (Amtsrecht.) Die Bedeutung dieser Reichsgesetzgebung lag vorwiegend auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts; die Entwicklung des Privatrechts verblieb der Sonderentwicklung. Wo das königliche Verordnungsrecht eingriff, brachte es die Grundsätze des fränkischen Rechts zu allgemeiner Geltung. Der Plan, eine Reichseinheit auf fränkischer Grundlage zu schaffen, mußte sich natürlich in erster Linie auch auf eine einheitliche Gestaltung der Rechtspflege erstrecken. Infolgedessen erlitt das altgermanische Volksgericht in der fränkischen Monarchie mehrfache Schmälerungen. Die Könige zogen manche Sachen, namentlich Strafsachen, vor ihren Richterstuhl; auch konnte man vom Volksgericht Berufung zum Königsgericht einlegen. Die Menge jener kleinen Freien, die in irgend einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem weltlichen oder geistlichen Großen standen, wurden immer mehr dem Volksgericht entzogen. Die Grundherren übten über ihre Hörigen das Schutzrecht (mundium) aus, wodurch diese völlig ihrer Gewalt ausgeliefert waren. Streitigkeiten, die zwischen dem Herrn und seinen Hörigen oder zwischen diesen untereinander entstanden, schlichtete der Herr als Schiedsrichter. Zwar konnte sich der Freigeborne an das Volksgericht wenden, allein nur selten mochte er dies wagen. Durch die Gewährung der Immunität (Befreiung von Abgaben und Lasten) an Klöster, Bistümer und weltliche Große wurden viele Freie dem unmittelbaren 223

7. Die deutsche Kultur - S. 224

1907 - Leipzig : Brandstetter
Schutze des Volksgerichtes entzogen und der Hof- oder Gutgerichtsbarkeit unterstellt, die sich später zu der sog. Patrimonialgerichtsbarkeit ausgebildet hat. Wie in wirtschaftlicher Hinsicht, so vollzog sich auch im Rechtswesen eine immer stärkere Herabdrückung der Freien in Abhängigkeit. Das altgermanische Volksgericht verschwand nach und nach, das Gerichtswesen kam unter unmittelbare königliche Leitung. Auch Karl der Große, der manche Änderungen zugunsten der Ärmeren im Rechtswesen durchführte, konnte die Entwicklung nicht eindämmen. Die Richter, welchen er den Namen „Schöffen" gab, wurden zwar noch von und aus der Versammlung der Freien gewählt, allein der Einfluß, den die königlichen Beamten auf die Wahl ausübten, machten diese zu einer leeren Förmlichkeit. Die Zentgrafen, welche den Gemeindegerichten vorsahen, die Gaugrafen, welche die Gaugerichte leiteten, die Sendgrafen, die alle Vierteljahre größere Bezirke bereisten, um das Gerichtswesen zu überwachen, sie alle ernannte der König. Als oberstes Gericht galt das königliche Hofgericht unter dem Vorsitz des Pfalzgrafen. Dadurch, daß die Gerichtssitzungen nicht mehr im Freien, sondern in geschlossenen Räumen abgehalten wurden, litt die Öffentlichkeit der Rechtspflege, des Rechtsschutzes stärkste Bürgschaft. Das Strafrecht erweiterte sich außerordentlich; an die Stelle des Wergeldes trat auch bei Freien immer häufiger Bestrafung an Leib und Leben oder wenigstens an der Ehre. Der Kirche räumte Karl der Große eine ausgedehnte Mitwirkung bei der Rechtspflege ein, die meist die weltlichen Strafen noch durch kirchliche Strafen verschärfte. Eine Folge des Einflusses der Kirche war die Bevorzugung und weitere Ausbildung der sog. „Gottesurteile". So wurde z. B. der Angeklagte ins Wasser geworfen und galt für schuldig, wenn er oben schwamm; oder er mußte Über eine glühende Pflugschar schreiten und ward freigesprochen, wenn er diese Probe glücklich bestand. 3. Die mittelalterliche Rechtspflege. Mit dem Frankenreich zerfiel auch die von Karl dem Großen erstrebte einheitliche Gestaltung des Rechtswesens. Das Reich zerfiel in eine große Zahl von Herrschaften, die eine immer größere Unabhängigkeit von dem Kaiser erreichten und auch das Gerichtswesen in ihre Hand bekamen. Die geschriebenen Gesetze verloren ihre Geltung, das Gewohnheitsrecht lebte wieder auf und bildete sich in den verschiedensten Formen aus. War dadurch zwar die Volkstümlichkeit des Rechtes gesichert, so entstand doch auch eine große Rechtsunsicherheit. Erst seit dem 11. und 12. Jahrhundert wurde das geltende Recht schriftlich niedergelegt. Auf diese Weise entstanden die 224

8. Die deutsche Kultur - S. 225

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sog. Rechtsbücher, die Landrechte, Dienstrechte, Lehnrechte, Hofrechte und Stadtrechte. Die berühmtesten Quellen des deutschen Rechts sind zwischen 1215 und 1276 entstanden: der „Sachsenspiegel", der eine Sammlung von norddeutschen und der „ S ch w a b e n s p i e g e l", der eine Sammlung von süddeutschen Rechtsgewohnheiten und Gesetzen darstellt. Rechtszustände besonderer Art gab es in den mittelalterlichen Städten, in denen sich verschiedene ganz neue Verhältnisse entwickelten. Jede Stadt hatte ihr besonderes Recht, das zunächst durch das der Stadt erteilte Privilegium geregelt wurde. Die Summe der Rechte, die einen Ort zu einer Stadt machten, nannte man das Weichbildrecht und das Gebiet, auf welchem diese Rechte hafteten, das Weichbild der Stadt. Das Stadtrecht enthielt Bestimmungen über das Markt-, Münz- und Zollrecht, besonders auch über die eigne Gerichtsbarkeit der Städte. Die ältesten städtischen Privilegien wurden nicht der Stadt, sondern dem Herrn der Stadt erteilt; sie waren Immunitätsprivilegien, durch welche dem Stadtherrn (Bischof oder adeligen Herrn) die gräfliche Gewalt übertragen wurde. Mit der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung einer Reihe von Bürgern, die durch den Handel reich wurden und neuen, größeren Grundbesitz erwarben, gingen die Verwaltungsämter zum Teil an diese über. In dem Kampf der Städte mit den Stadtherren um Erringung größerer Selbständigkeit siegte das Bürgertum. Die Bürgervertretung bekam im 12. und 13. Jahrhundert die Rechtsprechung im Stadtgebiet, die Polizei, die Wahrnehmung der bürgerlichen Handels- und Gewerbeinteressen, die Münze, den Zoll, die Finanzverwaltung und die Bürgerwehr in ihre Hand. Wie die Städte, so erlangten auch die einzelnen Landesherren größere Selbständigkeit in der Handhabung des Rechtswesens. Solange sie sich auf einer Zwischenstufe zwischen bloßen Beamten des Kaisers und selbständigen Fürsten befanden, hatten sie kein Gesetzgebungsrecht. Aber durch die Gewährung der „Immunitäten" oder Ausnahmegerichte, durch Verordnungen und Verfügungen, namentlich aber durch die Befugnis, die ihnen der Landfrieden von 1287 eingeräumt hatte, besondere Bestimmungen mit ihrer Landstände Genehmigung zu erlassen, um den Frieden zu bessern und zu befestigen, entstanden die landes-^..e y r J i ch e n Gerichte. Sie glichen in ihrer Einrichtung zwar den königlichen Grafengerichten, aber die Bezirke der Erafengerichte waren durch sie nach allen Seiten hin durchbrochen und die Einheitlichkeit der Rechtsverhältnisse gestört. An jedem Herrenhof, in jedem Dorf, in jeder Mark entwickelten sich eigene Rechtssätze. Besonders im Bauernrecht fehlte es an Gesetzen, die für größere Bezirke Geltung hatten; nur die allgemeinsten Hofmann, Die deutsche Kultur. 16 ook

9. Die deutsche Kultur - S. 229

1907 - Leipzig : Brandstetter
5. Das Eindringen des römischen Rechts. Schon bei der ersten Berührung der Germanen mit den Römern gewann das römische Recht Einfluß auf die deutsche Rechtspflege; im Mittelalter aber wurde das heimische Recht und das alte Volksgericht von ihm mehr und mehr verdrängt. Schon im 13. Jahrhundert begann es teilweise Eingang in Deutschland zu finden; im 14., mehr noch im 15. wurde es auf deutschen Universitäten gelehrt; im 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden unter seinem Einflüsse die „Stadt- und Landrechte"; um die gleiche Zeit fing man an, Doktoren des römischen Rechts als Mitglieder der Gerichtshöfe und zu anderen öffentlichen Ämtern zu verwenden, und im Laufe des 16. Jahrhunderts waren die oberen Gerichte insgesamt mit gelehrten Richtern besetzt. Dem Kaiser und den Landesfürsten wurde die Überzeugung beigebracht, daß sich für das „römische Reich" auch nur das römische Recht gezieme. Die Kaiser begünstigten seine Einführung, wurde ihre Stellung doch dadurch weit über das bisherige Maß erhoben („der Kaiser ist ein lebendiges Gesetz, das über alle anderen geht, ein irdischer Gott", sagte ein römischer Jurist beim Reichstag zu Nürnberg 1524). Die Landesfürsten wünschten das Eindringen des neuen Rechts, denn je mehr die alte Gerichtsverfassung verschwand, desto mehr wurde ihre Macht befestigt. Das deutsche Volksgericht kannte nur den Laienrichter, den ungelehrten Richter; in den landesherrlichen Gerichten aber wurden die vom Landesherrn ernannten und absetzbaren Beamten willige Werkzeuge für die Willkürherrschaft der Fürsten. Von den Kanzleien des Kaisers und der Fürsten verbreitete sich das römische Recht weiter, bis es sich bei der Errichtung des Reichskammergerichts im Jahre 1495 allgemeine Anerkennung und gesetzliche Bestätigung erworben hatte. Die Aufnahme des römischen Rechtes ist nicht vom Volke ausgegangen, sondern von oben, von den Landesherren dem Volke aus-gezwungen worden. Wie wenig wohltätig das neue Recht vom Volke empfunden wurde, gab sich in einem wilden Haß und im heftigsten Widerstände kund. „Nach der verabscheuungswürdigen Lehre der neuen Rechtsgelehrten", sagt ein damaliger Schriftsteller, „soll der Fürst im Lande alles sein, das Volk aber nichts. Das Volk soll nur gehorchen und Steuern zahlen und Dienste verrichten und obendrein nicht bloß dem Fürsten gehorchen, sondern auch seinen Beamten, die sich als die eigentlichen Herren des Landes aufzuspielen beginnen und die Geschäfte so zu gestalten wissen, daß die Fürsten selbst möglichst wenig regieren." Ein anderer Beobachter sagt: „Im Volke werden sie (die Juristen) von hoch und niedrig verachtet und gehaßt, weil sie demselben, wie die Klage geht, alle seine alten Gewohnheiten 229

10. Die deutsche Kultur - S. 230

1907 - Leipzig : Brandstetter
und Rechte verkümmern und unterdrücken. Man sieht sie für eine noch schlimmere Plage an als die Raubritter, die nur äußeres Gut wegnehmen; sie seien, sagt man, wie eine Pest, welche sich zum Verderben alles alten Rechtes über das Land ergossen." Zwischen dem Volk und den Beamten begann sich eine tiefe 5xluft aufzutun. Das deutsche Volk sah sich, wie es meinte, einer Bande von geldlüsternen Schurken ausgeliefert, die das Recht nach ihrem Willen beugten und das Volk, das sie noch zu Prozessen hetzten, auf alle Weise aussogen. Insbesondere wurden die Advokaten und „Fürsprecher" mit Anklagen überschüttet, ja nicht selten war solch ein „Rechtsverdreher" körperlichen Mißhandlungen ausgesetzt. Es wurde vom Volke bitter empfunden, daß die Handhabung der Rechtspflege sehr im argen lag und selbst vom Reichsoberhaupte keine Abhilfe geschaffen wurde. Die verwirrten Rechtsverhältnisse ließen die alte Selbsthilfe im Fehdewesen wieder furchtbar aufleben. In dem Eindringen des römischen Rechts sah das Volk für solche beklagenswerte Dinge keine Besserung, es wurde vielmehr erst recht mißtrauisch gegen die Gerichte. Im Bauernkrieg erhob sich das Volk gegen die Vergewaltigung, freilich nicht mit der Fähigkeit, aufzubauen, sondern nur zu zerstören. Die Mängel der Rechtspflege führten infolge einer Beschwerde des Reichskammergerichts Verhandlungen auf den Reichstagen herbei, bis man 1531 durch die „Carolina", die Kriminalordnung Karls V., zu einer gesicherten Ordnung des Gerichtswesens kam. Freilich waren auch darin die Rechtsprechenden aus dem Volke durch gelehrte Richter ersetzt und an Stelle des mündlichen und öffentlichen Verfahrens das schriftliche und geheime getreten. Mehr als 300 Jahre sollte es dauern, bis das alte germanische Gerichtsverfahren mit Mündlichkeit und Öffentlichkeit, mit Schöffen und Geschworenen wieder in sein Recht eingesetzt wurde. 6. Das peinliche Recht. Die Carolina oder die „Peinliche Gerichtsordnung" Kaiser Karls V. war ein Versuch, die im Strafrechte schon über ein Jahrhundert lang herrschende Willkür und Grausamkeit zu zügeln, durch Gerechtigkeit das unvermeidliche Einschreiten gegen das Wüten wilder, rechtloser Triebe zu regeln. Allerdings hat die Carolina die unmenschlichen Strafen ihrer Zeit nicht gemildert, weil sie dies nicht hätte wagen dürfen; aber sie hat zum Schutze des Angeklagten gegen Willkür zweckmäßige Maßregeln vorgesehen, z. B. Ausstellung eines Verteidigers, Anerkennung der Notwehr; sie brachte das deutsche Recht gegenüber dem römischen zur Geltung, versuchte für Besetzung der Gerichte mit ehrbaren Personen zu sorgen, beschränkte die Anwendung der Folter und verlangte anständige Gefängnisse. Sind trotzdem diese 230
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