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1. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 497

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
Iii. Die sprachliche Darstellung. 497 Güterverlust läßt sich ersetzen, über andern Verlust tröstet die Zeit — nur ein Übel ist unheilbar: wenn der Mensch sich selbst aufgiebt. 3. Satzfiguren, welche eine Gegenüberstellung von Gedanken enthalten. Dahin gehören: a) Die Vergleichung. Diese setzt neben den eigentlichen Ausdruck einen verwandten, der einer andern Begrifsssphäre entlehnt ist. Es besteht die Vergleichung daher aus drei Teilen: ans Bild, Gegenbild und dem tartiuin eoinparationis, d. h. dem Merkmale oder dem Vergleichungs- punkte, in welchem die beiden verglichenen Gegenstände übereinstimmen, z.b.: Tosenden Winden gleich ans die Feinde losstürzen; Vernehm' ich dich, so wendet sich, o Teurer! Wie sich die Blume nach der Sonne wendet, Die Seele, von dem Strahle deiner Worte Getroffen, sich dem süßen Troste nach (Goethes Iphigenie). Bild und Gegenbild werden durch eine vergleichende Partikel verbunden, das tertium eoinparationm wird meistens ausgelassen. Die Vergleichung wird zu einem Gleichnisse, wenn sie weiter ausgeführt wird, so daß sie zu einem Gemälde wird, z. B.: Steht nicht da, schroff und unzugänglich, Wie die Felsenklippe, die der Strandende, Vergeblich ringend, zu erfassen strebt; Gleichnis zwischen dem menschlichen Leben und einem Flusse. Das Gleichnis wird zur Parallele, wenn die Ähnlichkeiten zwi- schen Bild und Gegenbild vollständig nebeneinander gestellt werden, d) Der Parallelismusz die Gegenüberstellung ähnlicher Gedanken, z. B.: Es toben die Völker, und die Nationen brüten Verderbliches, o) Die Anti- these (Mvuftsai?), die Gegenüberstellung von Gedanken mit entgegengesetz- tem Inhalte, z. B.: Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang. Die Antithese wird zum Kontraste, wenn Satz und Gegensatz parallel in Anti- thesen nebeneinander gestellt werden, z. B.: Der König furchtbar präch- tig, wie blut'ger Nordlichtschein, Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein. Werden zwei widersprechende Vorstellungen in einem Satze grammatisch miteinander verbunden, so entsteht ä) das Oxymoron Gtög.kug?)v — spitze oder witzige Dummheit), z.b.: der arme Reiche; ein beredtes Schweigen; Es wird mir eng im weiten Land, o) Das Para- doxon (mcpáoosov = das Unerwartete), wenn unter scheinbarem Wider- sprüche ein überraschender Gedanke eintritt, z. B.: Am größten ist der Große in dem Kleinen; Die Feinde gerieten nahe genug aneinander, Doch um als Freund, als Gast sich zu bewirten, f) Die Ironie (etpcovcia) sagt das Gegenteil von dem, was sie meint, z. B.: Jst's der im Nachen, den ihr sucht? — Reit' zu! Wenn ihr frisch beilegt, holt ihr ihn noch ein. — Ein vorzügliches Muster einer weit durchgeführten Ironie ist die Rede des Antonius an das Volk in Shakespeares „Julius Cäsar". Ton und Zu- sammenhang lassen meistens keinen Zweifel, was eigentlich gemeint sei. 1 Dieser Parallelismus ist vorzugsweise der hebräischen Poesie eigen. H ense, Lesebuch. Iii. oo

2. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 500

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
500 C. Musteraufsätze für Schüler. um ein wirtlich Dach; Segel, statt: Schiff; die Biene, statt: Honig; Die ganze Stadt jubelt, statt: viele Einwohner, b) Das Besondere für das Allgemeine und umgekehrt, das Individuum für die Gattung und umgekehrt, z. B.: der Süd, statt: Wind überhaupt; Mücenas, statt: Beschützer der Künste und Wissenschaften; Eiche, statt: Baum; Künstler, statt: Musiker, Maler, Bildhauer, o) Das Bestimmte für das Unbestimmte, das Kleinere für das Größere und um- gekehrt, z. B.: Tausendmal gedenk' ich dein; Und schaudernd dacht' ich's, da kroch's heran, Regte hundert Gelenke zugleich. Findet in letzterem Falle eine Vergrößerung über die Wahrheit oder Wirklichkeit hinaus statt, so entsteht die Hyperbel (u7rspßo>.7j — Übertreibung), z. B.: Bis zum Himmel spritzt der dampfende Gischt; Er eilt dahin, hurtiger als der Wind; ein Strom von Thränen. Eine meist nur scheinbare Verminde- rung oder Herabsetzung unter die Wahrheit ist die Litotes (Xtror/js — Geringfügigkeit), z. B.: Nicht unbedachtsam zog ich hin, Das Ungeheuer zu bekriegen; ein nicht gemeiner Geist; ein nicht unedles Wort. Die Nedefigureu und Tropen werden nur dann ihren Zweck der Belebung und Veranschaulichung erreichen, wenn sie wahr, natürlich und ungesucht sind. Ein absichtliches Suchen nach den- selben und eine unnatürliche Häufung beeinträchtigen eher den Stil, als daß sie denselben fördern und beleben. 6. Musteraufsätze für Schüler. I. Sedeutung der drei Eingangsliedchen in Schiller» „Wilhelm Teil". Disposition. Einleitung: Die Kunst des Dichters, in dem Drama „Wilhelm Tell" ein Land mit seinen Einwohnern, welches er nie gesehen, auf das treueste zu zeichnen. Abhandlung: Diese Kunst zeigt sich sofort in den drei Eingangs- liedchen, denn sie zeichnen klar: I. Das Land: 1. die Seen, 2. die Matten, 3. das Hochgebirge. Ii. Die Leute: 1. Fischer, 2. Hirten, 3. Jäger; diese drei Klassen der Bevölkerung sind die Träger der Handlung. Schluß: Durch diese meisterhafte Schilderung ist für das Stück von vornherein eine große Teilnahme erweckt.

3. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 501

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
I. Bedeutung der drei Eiugaugsliedcheu in Schillers „Wilhelm Teil". 501 Ausführung. So sehr auch der Dichter Schiller den sehnlichsten Wunsch hegte, zum Zwecke einer Bearbeitung der Tellsage die Schweiz und besonders die Orte zu sehen, an welchen die Sage spielte, so gestatteten seine knappen Verhältnisse ihm doch nicht die Verwirklichung dieses Wunsches. Er sah sich daher genötigt, seine Zuflucht zu nehmen zu geographischen, natur- geschichtlichen und geschichtlichen Werken über das Schweizerland. Sein Studium hatte den herrlichsten Erfolg: der Dichter hat uns Land und Leute in meisterhafter Kunst mit einer solchen Treue und Klarheit ge- zeichnet, daß wir wähnen, Alpenluft zu atmen und das Schweizervolk des 14. Jahrhunderts in Wirklichkeit vor uns zu sehen. Diese Kunst bekundet er sofort zum Beginne des Dramas durch die drei Eingaugsliedchen, in welchen er uns Land und Leute meisterhaft vor die Seele führt. Die erste Scene zeigt uns den Vierwaldstättersee mit seiner herrlichen Umgebung in Hellem Sonnenscheine, während der Kuhreigen ertönt, unter- mischt von dem harmonischen Geläute der Herdeuglocken. Im Scheine der glitzernden Sonnenstrahlen lächelt der See und ladet mit der dem Wasser innewohnenden, in so mancher Sage verherrlichten, geheimnis- vollen Kraft zum Bade. Der Vierwaldstättersee ist der Ort, auf welchem und an welchem die hauptsächlichsten Handlungen des Stückes sich voll- ziehen werden; er ist das entzückende Bild der übrigen Seen des Landes, die durch ihre zauberhafte Pracht die Schweiz zu einem so wunderherr- lichen Lande gestalten. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, jene saftigen Alpenweiden, die bei der geringen Anzahl der Thalwiesen dem Vieh für den Sommer die Nahrung bieten. Sie sind den Tieren und den Menschen für den Sommer der liebste Aufenthalt, sind reich an Naturschöuheiten und bieten freieste, frischeste Luft. Den Matten gegenüber liegen hochragende Felsen, die uns das Hochgebirge in seiner großartigen Furchtbarkeit vor das Auge führen. Hier sind die weiten Schneefelder, hier die Gletscher mit ihren dem Wanderer so gefährlichen Nissen; hier ist der ewige, starre Winter, oft noch eingehüllt in dichte Nebel; hier rollt der Donner der stürzenden Lawinen. So lernen wir das Land mit seinen lieblichen Seen, seinen grünen Matten und seinen riesenhohen Bergen kennen. Ein gleich anschauliches Bild entwirft uns der Dichter von den Bewohnern dieses Landes, die vorzugsweise aus Fischern, Hirten und Jägern bestehen.

4. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 511

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
V. Bürgers „Settore" eine Musterballade. 511 der er nichts geheim hat, seine Mitwirkung bei der Überwältigung Brun- hildens mitteilt und ihr den Ring und Gürtel derselben schenkt, nicht allein nicht geschwächt, sondern vielmehr noch gehoben wird. Verstehen können wir daher auch die unendliche Klage Kriemhildens um den ihr ge- raubten so teuren Gemahl, ja, wir sind fast geneigt, ihr zu verzeihen, daß sie den unvergleichlichen, so innig geliebten Helden au seinen Mördern so furchtbar rächte; war er doch der herrlichste von allen, dessen Bild in ihr niemals verdunkelt werden konnte, dessen Gestalt auch heute noch dem deutschen Volksepos zur höchsten Zierde gereicht. V. Bürgers „Lenore" eine Mnsterballade. Disposition. A. Das Wesen der Ballade und ihre Einführung i}t die deutsche Littera- tur durch Bürger vermittelst der „Lenore". B. Diese ist eine wahre Musterballade: I. Durch ihren Stoff. 1. Derselbe ist zum Teil der Geschichte, vorwiegend aber der Sage entlehnt; 2. derselbe ist düster, selbst grausig und erschütternd; 3. er zeigt volkstümlichen Charakter, und zwar: a) Durch den Hinweis auf einen im Andenken des Volkes lebenden großen Krieg und durch die Behandlung einer all- gemein bekannten Volkssage; b) durch die dem Volke entnommenen Gestalten; o) durch manche volkstümliche Ausdrücke und Wendungen. Ii. Durch ihre Anlage; dieselbe zeigt: 1. Dramatischen Aufbau; 2. Anwendung des Dialoges; 3. stete Steigerung der Darstellung. Iii. Durch ihre Form: 1. Versmaß und Reimstellung; 2. Benutzung verschiedener Figuren. 6. Lenore ist daher ein wahres Kunstwerk, eine Musterballade, welche dem Dichter nach Schlegels Wort die Unsterblichkeit sichert. Ausführung. Die Ballade, schottisch-englischen Ursprungs, liebt einen ernsten, düstern, ja selbst grauenhaften und unheimlichen historischen, meist der Volkssage entnommenen Stoff, den sie in knapper Form bei rasch fort- schreitender, oft dramatisch gehaltener Handlung zur Anschauung bringt.

5. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 516

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
516 C. Musteraufsätze für Schüler. 2. Hintergrund desselben: a) Thatsachen; b) Zustände. Ii. Wegen seiner Form. 1. Anlage; 2. Sprache; 3. Versform. 0. Zusammenfassung. Ausführung. Der römische Geschichtschreiber Tacitus erzählt uns in dem Buche über Land und Leute des alten Germaniens unter anderem, daß die alten Deutschen bei allen wichtigen Begebenheiten des Lebens ihren Empfin- dungen einen poetischen Ausdruck gegeben hätten. An Stoff zum Singen konnte es ja bei dem Thatendrange und der Unternehmungslust unserer Vorfahren und vor allem bei den großen Heereszügen zur Zeit der Völker- wanderung nicht fehlen, und selbst ohne das Zeugnis der Römer können wir aus vereinzelten Zügen der spätern Dichtung, aus dem Reichtume und der Form der deutschen Eigennamen und aus dem Ausdrucke deutscher Rechtsformeln, die sich bei aller Beweglichkeit des äußern Lebens wie ein fester Besitz von Vater auf Sohn vererbten, den Schluß ziehen, daß es den Germanen an einer reichen und lebhaften Phantasie, dem Haupt- werkzeuge der dichterischen Mnse, nicht gefehlt hat. Leider ist von dem reichen Liedersegen, der aus so günstigen Verhältnissen mit Notwendigkeit erblühen mußte, sozusagen nichts übrig geblieben. Der einzige nennens- werte Nest ist das „Hildebrandslied", das uns durch einen mehr als ge- wöhnlichen Zufall, aber ebenfalls als Bruchstück, überliefert worden ist. Eine nähere Betrachtung dieses Liedes, das schon wegen seines Alters ehrwürdig erscheint, wird ergeben, daß wir an demselben ein Kleinod ersten Ranges besitzen, und daß es aus mehr als bloß chronologischen Gründen an der Spitze der deutschen Litteraturgeschichte zu stehen verdient. Der Stoff des Liedes ist dem ostgotischen Sagenkreise entnommen. Die darin auftretenden Personen sind der in der deutschen Sage so sehr gefeierte alte Recke Hildebraud, der auch in anderen bedeutsamen Erzeug- nissen deutscher Dichtung, besonders im „Nibelungenliede", eine hervor- ragende Rolle spielt, und sein heldenhafter Sohn Hadubraud. Die Schick- sale beider Personen bis zu ihrem in dem Liede geschilderten Zusammen- treffen erregen nicht allein deswegen unsere Teilnahme, weil sich in ihnen der gewöhnliche Gang des damaligen Heldeulebens wiederspiegelt, sondern auch, weil uns darin rührende, allgemein menschliche Verhältnisse in einem

6. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 519

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
Vi. Das Hildebrandslied ein Kleinod altdeutscher Dichtung. 519 Heiße Vaterliebe und das brennende Gefühl der Ehre, die dem Helden über alles geht, toben darin und zerren den vor innerem Schmerze in stöhnende Jammerlaute Ausbrechenden hin und her. Die Ehre siegt, sie heischt den Kampf, kostet es auch das Blut des einzigen geliebten Sohnes. In Wahrheit eine Scene, wie sie packender, erschütternder, herzzerreißen- der nicht gedacht werden kann, wie sie nur wenige dichterische Schöpfungen zu bieten vermögen. Und nun geschieht das Entsetzliche. Ein wütender Kampf bricht los. Waffen blitzen und sausen, und furchtbar sind ihre Wirkungen. Den Ausgang erfahren wir leider nicht, weil das Ende des Liedes nicht erhalten ist. Der Verlust ist jedoch zu verschmerzen, da wir das, was den Höhepunkt des Gedichtes ausmacht und ihm seine Groß- artigkeit und seinen Hauptwert verleiht, die Schilderung des innern Seelenkampfes, glücklicherweise ganz besitzen. Wird unsere Aufmerksamkeit auch vorzugsweise durch die Personen und die Handlung, welche sozusagen den Vordergrund des Liedes aus- machen, in Anspruch genommen, so erfahren wir auch noch manches andere, was der Beachtung wert ist. Auch die Schicksale Dietrichs von Bern und seines Feindes Otaker erhalten in dem Liede hinreichende Beleuchtung. Jener ist in einem Kampfe gegen diesen unterlegen, freilich im Wider- sprüche mit der Geschichte; er zieht an den Hof Etzels, der, wie wir aus dem „Nibelungenliede" wissen, in der Sage als eine Zufluchtsstätte für alle unglücklichen Landesflüchtigen und zugleich als Schauplatz ihrer wei- teren Heldenthaten gilt. Otaker ist der glückliche Sieger und hat ein starkes, wohlgeschütztes Reich gegründet. Dietrich ist ein echter germa- nischer Volkskönig, der seinen Unterthanen mehr Freund als Herrscher ist; aber auch Otaker ist ein Mann, von dem man, nach dem Verfahren gegen Hildebrands Familie zu rechnen, für das Verhältnis zu seinen Unter- thanen nur das Beste annehmen darf. So entfaltet sich denn im Hinter- gründe des Liedes ein bemerkenswertes Stück germanischer Geschichte. Nicht minder ansprechend ist, was dasselbe über die Zustände und Sitten dieses Zeitabschnittes, namentlich über die Mittel und den Brauch des Kampfes, zu melden weiß. Lanzen mit eschenen Schäften, Kampfbeile von Stein und Schwerter sind die Angriffs-, Ringpanzer und Schilde von Lindenholz sind die Verteidigungswaffen, goldene Armringe dagegen ein gesuchter Schmuck des Kriegers. Zuerst werden die Lanzen geworfen, dann stürmt man mit Beil und Schwert gegeneinander. Ziel des Kampfes ist der Tod des Feindes, Lohn desselben seine erbeutete Rüstung. Der Zweikampf der Anführer inmitten der feindlich gegenüberstehenden Heere ist ein beliebtes Mittel, einen Krieg zum Austrage zu bringen. Alle diese Dinge erregen doppeltes Interesse, wenn mau sich erinnert, daß die Kampfsitten der Helden der Homerischen „Ilias" fast dasselbe Bild dar-

7. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 521

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
Vi. Das Hildebrandslied ein Kleinod altdeutscher Dichtung. 521 der Schrift anvertraut wurde, so ist es leicht begreiflich, daß auch eine Anzahl niederdeutscher Ausdrucke in den Text hineingerateu ist. Aber auch jeder dieser Ausdrücke ist dem Sprachforscher willkommen, und die Mischung zweier Sprachformeu ist zugleich ein sprechender Beweis dafür, daß man es hier mit einem echten Erzeugnisse des Volkes zu thun hat. Wie vortrefflich ist serner diese Sprache, wenn man sie vom dichterischen Standpunkte betrachtet! Wie sehr eignen sich die vollen und kräftigen Laute derselben zur Wiedergabe eines so tüchtigen Inhaltes! Wie knapp und sparsam, und doch wie klar und anschaulich ist der Ausdruck! Kein Wort ist zu viel und keines zu wenig, keine überflüssige Zierde, kein Schwulst, sondern überall die einfachste, verständlichste Bezeichnung. Nicht weniger bemerkenswert ist endlich das Versmaß des Liedes, die allen alten germanischen Dichtungen, wie der „Edda", dem „Beowulf- liede" und dem „Heliand", eigentümliche, durch einen Einschnitt doppelt geteilte und durch den Stabreim zusammengehaltene Langzeile, welche die Grundlage vieler Versmaße der spätern deutschen Dichtung geworden ist: so der gereimten Zeile Otfrieds, der Nibelungen- und der Gndrnnstrophe, der Reimpaare der höfischen Epiker. Und für diese altnationale Lang- zeile mit ihrem für markige Darstellungen vortrefflich geeigneten geraden Takte von vier Hebungen und ihrer dem Hexameter nicht ungleichen, feier- lich würdigen Länge liefert gerade das Hildebrandslied nebst einigen kleinen, poetisch unbedeutenden Resten aus der alten Zeit wenigstens für das hochdeutsche Gebiet das einzige Beispiel. Das Hildebrandslied ist also nach Inhalt und Form eine außer- ordentlich wertvolle Dichtung: es schildert auf dem Hintergründe eines bedeutenden Zeitabschnittes der deutschen Geschichte das durch die Umstände äußerst ergreifend sich gestaltende Geschick von zwei hervorragenden Er- scheinungen der deutschen Heldensage, den Kampf ans Leben und Tod zwi- schen zwei Männern, die sich in Wirklichkeit von Herzen gut und zugethan sind. Diese Aufgabe, die einen Dichter ersten Ranges zu erfordern scheint, wird mit Meisterschaft gelöst, und zu alledem kommt noch das Wertvolle der Sprach- und Versform. Es wird also nicht zu viel gesagt, wenn dieses Lied ein Kleinod altdeutscher Dichtung genannt wird. H. Vockeradn. 1 Heinrich Vockeradt, geboren am 3. September 1844 zu Lippstadt, Gymnasialdirektor zu Recklinghausen.

8. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 522

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
522 C. Musteraufsätze für Schüler. Vii. Der Schild des Achilles bei Homer und das „Lied von der Glocke" von Schiller. (Ein Vergleich.) Disposition. A. Ähnlichkeit zwischen Homer und Schiller. B. Thema: Der Schild des Achilles u. s. w. I. Ähnlichkeiten: 1. Beide Dichter knüpfen an die Schilderung der Verfertigung eines Werkzeuges Darstellungen aus dem menschlichen Leben und lassen dieses Werkzeug vor uns entstehen. 2. Beide Dichter entwerfen ein umfassendes Bild vom menschlichen Leben. a) vom Privatleben: ol) vom Familienleben; ß) von den menschlichen Beschäftignugen: aa) vom Erwerben; bb) vom Genießen. b) vom öffentlichen Leben: a) im Frieden; ß) im Kriege. Ii. Verschiedenheiten. 1. Äußere: a) metrische Form; b) Weise der Darstellung. 2. Innere: a) Zwecke beider Dichter; b) Schiller stellt mehr dar als Homer. 0. Beide Dichtungen sind berühmte Meisterwerke. Ausführung. Homer und Schiller sind zwei gefeierte Namen, die auf dem Gebiete der Litteratur wie zwei Sterne erster Größe erglänzen. Zwar trennen Jahrtausende die Zeit ihres Lebens und Schaffens; zwar stellt der eine das Altertum mit seinen auf das Diesseits beschränkten, alles Mensch- liche mit einem Hauche von Schönheit und Anmut umwehenden Ansichten dar, der andere dagegen die moderne Zeit mit ihrem Schmerze über den Druck und Mangel des Irdischen und ihrem Sehnen nach glücklichen überirdischen Verhältnissen. Aber trotzdem zeigen beide Dichter doch so manche Verwandtschaft und Ähnlichkeit, daß es durchaus nicht befremdend

9. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 523

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
Vii. Der Schild des Achilles bei Homer und Schillers „Lied von der Glocke". 523 klingt, sie in einem Atem nebeneinander zu nennen. Beide stehen auf den Höhepunkten der Litteratur zweier geistig verwandten und poetisch hochbegabten Völker, beide haben dem Leben und Fühlen dieser Völker den treffendsten und schönsten Ausdruck verliehen, beide berühren sich vielfach in der Art ihrer Auffassung und sprachlichen Darstellung; Schiller ins- besondere hat den Werken seines Vorgängers aus dem grauen Altertume stets ein liebevolles Studium gewidmet und, wie viele andere große Dichter, außerordentlich viel von ihm gelernt. Es ist also keine unan- gemessene Aufgabe, nicht bloß zwischen den beiden Dichtern, sondern auch zwischen ihren Werken Vergleiche anzustellen. Besonders geeignet zu einem solchen Vergleiche sind zwei Darstellungen, welche wegen ihres ansprechenden Inhaltes und ihrer schönen Form sich einer besondern Berühmtheit er- freuen: die Beschreibung des Achilleischen Schildes im 18. Buche der „Ilias" und das „Lied von der Glocke". Beide Darstellungen bieten eine ganze Reihe von überraschenden Ähnlichkeiten. Der griechische Dichter wie der deutsche haben sich zunächst die Aufgabe gestellt, von einem für das Leben des Menschen bedeutsamen Werkzeuge ein anschauliches Bild zu entwerfen: jener von einem für seinen Haupthelden außerordentlich wichtigen Waffenstücke, das kein geringerer verfertigt, als der kunstgeübte Gott Hephästus; dieser von einem mehr friedlichen Werkzeuge, das, „selbst herzlos, ohne Mitgefühl des Lebens wechselvolles Spiel mit seinem Schwünge begleitet". Beide Dichter lassen diese Werkzeuge nach den Gesetzen der poetischen Darstellung, wie sie Lessing im „Laokoon" mit so vortrefflicher Klarheit entwickelt hat, stück- und ab- schnittweise vor unseren Augen entstehen. Hephästus tritt bei Homer, um Lessings Worte zu gebrauchen, mit Hammer und Zange vor seinen Am- boß, und nachdem er die Platten aus dem Gröbsten geschmiedet, schwellen die Bilder, die er zu dessen Auszierung bestimmt, vor unseren Augen, eines nach dem andern, unter seinen feineren Schlägen aus dem Erze her- vor. In ähnlicher Weise läßt Schiller die Glocke entstehen; er läßt zuerst die Glockenform bilden, dann die Glockenspeife bereiten und endlich den Guß vornehmen und die Glocke aus der Form herausschälen. Aber der Dichter klebt nicht bloß an der Außenseite der Dinge, er dringt ins Innere derselben und sucht die nur für die Sinne vorhandene Materie zu vergeistigen und zum Träger einer Idee zu machen. Beiden Dichtern wird der von ihnen beschriebene Vorgang die Veranlassung, ein buntes, farbenreiches und möglichst vollständiges Bild vom menschlichen Leben zu entwerfen, indem der eine in mehr antiker Weise durch plastische Bilder unserer Anschauung zu Hilfe kommt, der andere in mehr modernem Sinne die Form der bloßen sprachlichen Schilderung zur Anwendung bringt: dort hämmert und meißelt Hephästus, hier spricht und schildert

10. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 525

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
Vii. Der Schild des Achilles bei Homer und Schillers „Lied von der Glocke". 525 Doch nicht bloß zum mühevollen, rastlosen Ringen, Kämpfen und Erwerben ist der Mensch geschaffen, er soll auch des Daseins Freuden genießen. Homers Pflüger werden nach jeder Furche, die sie gezogen, durch einen Becher Weins erquickt, für die Schnitter wird ein leckeres Mahl bereitet, und in einem besondern Bilde schwingen Jungfrauen und Jünglinge, herrlich gekleidet und geschmückt, inmitten einer frohen Schar von Zuschauern sich zum Tanze. Nicht minder sammeln sich bei Schiller die Hausbewohner nach vollbrachtem Tagewerke um des Lichts gesellige Flamme, und das Volk der Schnitter fliegt zum Tanze des Erntefestes. An die Scenen aus dem Privatleben schließen sich bei beiden Dich- tern Bilder aus dem öffentlichen Leben. Die Segnungen des Friedens wie die Greuel des Krieges finden beredten Ausdruck. Homer bringt in einem fignrenreichen Gemälde die Rechtspflege seiner Zeit zur Anschauung. Auf dem Markte der Stadt fechten, von einer zahlreicher:, lebhaft sich beteiligenden Volksmenge umgeben, zwei Männer vor dem Richterstuhle der Stadtobersten einen Rechtsstreit aus. Es handelt sich um das Sühngeld für einen Erschlagenen. Für den besten Richterspruch liegen zwei Talente Goldes bereit. Die Zeiten der wilden Blutrache sind also schon vorüber, die Menschen genießen bereits die Wohlthat ge- ordneter Gesetze, auf die auch Schiller einen Lobgesang anstimmt mit den Worten: Heil'ge Ordnung, segensreiche Himmelstochter, Die der Städte Ban gegründet, Eintrat in der Menschen Hütten, Sie gewöhnt zu sanften Sitten. Schrecklich ist die Kehrseite dieses Bildes, wenn „des rauhen Krieges Horden" die Länder dnrchtoben und der Himmel von dein Brande der Dörfer und Städte schrecklich wiederstrahlt. Bei Homer kommt diese Nachtseite des menschlichen Lebens in der Schildermrg einer Belagerung zur Geltung, bei Schiller irr der Darstellung des schrecklichsten aller Kriege, eines Revolutionär und Bürgerkrieges. Dort legen die Belagerten, durch die Forderungen der Belagerer empört, einen Hinterhalt, überfallen die Herden ihrer Feinde und messen sich mit diesen im blutigen Kampfe; hier ziehen Würgerbanden und Horden von entmenschten Weibern umher und sinken durch Greuel und Schandthaten jeglicher Art unter das blnt- dürstige Raubtier herab. Lebensbilder von heiterer urid ernster, von freudiger und trauriger Art ziehen also in ganz ähnlicher Weise bei beiden Dichtern an uns vor- über; aber den Ähnlichkeiten stehen auch Verschiedenheiten gegenüber. Mehr
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