Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
antworten, was ich jetzt fragen werde. Wie ist unsere
deutsche Sprache entstanden? Hat irgend jemand dem
deutschen Volke befohlen, daß es so sprechen sollte, wie es spricht,
oder hat das deutsche Volk selber die Sprache gewollt, die es
spricht?
Nun, wenn irgendwer es dem deutschen Volke befohlen hätte,
dann würde doch wohl erzählt und auch geschrieben worden sein,
wann das gewesen wäre und wer das getan hätte. Denn wir
können jetzt merken, daß sich die Leute gar nicht gerne befehlen
lassen, wie sie sprechen sollen. Die Polen z. B. sind sehr böse dar-
über, daß sie in Deutschland mit deutschen Behörden und andern
Deutschen deutsch reden sollen. Also wenn die Deutschen ge-
zwungen worden wären, so zu sprechen, wie wir jetzt sprechen,
dann hätten sie sich sicherlich auch geärgert und hätten sichs ge-
merkt und hätten es weiter erzählt; und dann wüßten wir's
jetzt. Es bleibt also nichts anderes übrig: Die deutsche Sprache
ist so, wie das deutsche Volk sie hat haben wollen.
Nun haben wir aber vorhin gesehen, wie mehrere Menschen,
wie z. B. ein Verein dazu kommt etwas gemeinsam zu
wollen. Sie müssen zusammenkommen und beraten und be-
schließen. Haben nun unsere Vorfahren das mit der deutschen
Sprache Wohl auch so gemacht? Sind sie zusammen-
gekommen und haben beraten: Wie wollen wir das Ding
hier nennen? Ich schlage vor, wir nennen es Wald;" und ein
anderer macht einen andern Vorschlag und schließlich wird abge-
stimmt mit zweihundert gegen hundert Stimmen, dies Ding heißt
nun in Zukunft Wald! Und ebenso mit allen andern Dingen und
ebenso mit allem, was wir tun und so weiter. Bei jedem einzelnen
Wort hätte beraten und beschlossen werden müssen, ob es so oder
anders heißen soll. Meint wirklich jemand, daß unsere deutschen
Vorfahren ihre Sprache so gemacht haben?
Nein, das meint sicherlich keiner, sondern jeder meint,
daß das ja Unsinn wäre. Viele haben wohl schon ge-
hört oder darüber nachgedacht, wie aus dem Lateinischen
die neuen romanischen Sprachen entstanden sind, das Italienische
und das Französische, das Spanische und das Portugiesische.
Da haben auch Leute nicht etwa einmal plötzlich beschlossen: „von
jetzt ab reden wir nicht mehr lateinisch, von jetzt ab sagen wir
nicht mehr Kikero, sondern Tschitscherone und wir Franzosen
sagen Szißerong, und die Konjugation machen wir anders, und
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Da formte vielleicht der eine oder der andere damals fragen,
ob man im russischen Staat überhaupt schon von
Gesetzen reden könnte, weil das doch alles nur Befehledes
Selb st Herrschers wären und es doch also schiene, als ob
dabei nicht beraten und beschlossen worden sei.
Es gibt wirklich Leute, die sagen: in einem Staat, der
von einem Selbstherrscher regiert wird, da gibt es keine
Gesetze, das Gesetz fängt er st an, wenn das Volk
dabei mitgeredet hat; und das kann nur so ge-
schehen, daß das Volk eben Vertreter wählt, und daß
die Vertreter zusammenkommen und beraten und beschließen. Was
der Selbstherrscher tut, das ist niemals Recht, das kann niemals
Gesetz werden; das ist immer nur brutale Gewalt. Deswegen,
so meinen diese Leute — wenigstens meinen es einige von ihnen —
kann man sich gegen jeden Selbstherrscher ohne weiteres em-
pören und ihn wegjagen oder wenn es durchaus nötig ist, ihn
sogar umbringen; damit tut man kein Unrecht. Das ist einfach Notwehr,
und ein Gewaltherrscher, der uns zwingeu will, das wir ihm gehorchen,
der ist nicht besser als ein Räuber, der uns zwingen will, daß wir
ihm gehorchen und ihm das geben, was er von uns verlangt.
So haben tm vorigen und im vorvorigen Jahrhundert wirk-
lich viele Menschen gedacht. Und wenn sie nicht so gedacht hätten,
dann wären wahrscheinlich die Revolutionen nicht möglich gewesen
oder jedenfalls nicht so groß geworden, wie sie geworden sind.
Die meisten Leute denken jetzt anders darüber. Die sagen so:
In alten Zeiten, bei den alten Römern und Griechen und auch bei
den alten Deutschen kam der Volkswille dadurch zustande daß alle
e r w a ch se n e n Männer zusammenkamen und berieten. Das ist
jetzt nicht mehr so. Jetzt werden einzelne ausgewählt, und die be-
raten für die andern mit. Dieser Zustand hat sich aber erst nach
und nach herausgebildet.
In Preußen verlief die Entwicklung zum Verfassungsstaate
so, daß Friedrich Wilhelm Iv. ein Gesetz derselben Art
gab, wie es die absoluten Könige bis dahin immer gegeben hatten,
ehe es ein Abgeordnetenhaus und ein Herrenhaus gab. Die Ver-
fassung war ein Gesetz des absoluten Herrschers. Deswegen
nannten die Demokraten sie immer die oktroyierte Verfassung;
und sie meinen damit eigentlich, diese Verfassung wäre für die
Preußen ganz und gar nicht heilig; denn sie wäre ja garnicht
auf richtige Weise zustande gekommen. Aber wie sie nun einmal
im Gebrauch war, da wurde die Demokratie plötzlich anderer
20
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm_Iv Friedrich Wilhelm
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Meinung, und nun war die Verfassung die eigentliche Urquelle
aller Herrschaft im Staate, daß heißt also, von da ab ist es de-
mokratisches Dogma, daß nicht etwa der König die Verfassung
gemacht hätte, sondern daß die Verfassung den König gemacht hätte.
Das klingt etwas wunderlich, wenn man das so ausspricht,
aber es ist wirklich demokratische Meinung. Und am deutlichsten
hat des der nationalliberale Abgeordnete Eduard Lasker aus-
gesprochen in seiner Schrift „Zur Verfassungsgeschichte Preußens".
Da steht mit dürren Worten drin, daß die Hohenzollern nur un-
rechtmäßige Gewaltherrscher gewesen wären —denn so muß
man das Fremdwort Usurpatoren, das Lasker gebraucht, über-
setzen — erst von dem Augenblick an, wo die Verfassung auf dem
Papier stand, da wurde durch diese Verfassung ein Volkswille her-
gestellt, und dieser Volkswille erlaubte dann den Hohenzollern, daß
sie von da ab, also von 1848 ab, Könige von Preußen sein sollten.
Man muß aber immer bedenken, daß das nur demokratische
Meinungen sind. Es gibt auch Staatsrechtslehrer, die ähnliche
Meinungen haben. Ganz dieselbe Meinung hat wohl kein Staats-
rechtslehrer: Aber die größten und tüchtigsten Staatsrechtslehrer
denken nicht so; besonders Rudolf Gneist, der auch durchaus
ein liberaler Mann war, der denkt ganz anders darüber. Der
denkt sich die Sache so, wie sie wirklich geworden ist. Die Hohen-
zollern waren rechtmäßige Könige im Verlauf der Weltgeschichte
geworden, und ihr eigener Wille hat doch dabei die Hauptsache
getan. Allerdings wären sie durch eigenen Willen niemals so
weit gekommen, wenn sie nicht der Hauptsache nach immer das
Beste ihres Volkes gewollt hätten, wenn sie nicht im Grunde alle,
wie Friedrich der Große es ausgesprochen hat, weiter nichts hätten
sein wollen, als erste Diener des Staates, aber immerhin,
ihre Herrschaft war durchaus rechtmäßig, auch ihre absolute
Herrschaft. Und daß sie sich Vertreter des Volkes wünschten,
die mit entscheiden sollten, wenn neue Gesetze gegeben werden
sollten, das ging auch aus dem freien Willen der Könige oder
vielmehr des grade regierenden Königs hervor.
So dachte nicht nur Rudolf Gneist, sondern auch der König
Friedrich Wilhelm Iv. selbst, der die Verfassung gegeben hat und
vor allem auch sein Bruder, der nach ihm König wurde. Und
da war nun die große Frage: Wie sollte er das deutlich ans-
prechen, daß die Leute, die in den Zeitungen das große Wort
führten, nicht Recht hatten; daß der König sein Amt nicht durch
das Parlament, nicht durch Abstimmung bekommen hätte?
21
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Extrahierte Personennamen: Eduard_Lasker Eduard Lasker Rudolf_Gneist Rudolf Friedrich_der_Große Friedrich Rudolf_Gneist Rudolf Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
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Volk, wenn es in Gefahr ist. So haben alle Völker ihre Könige
und Fürsten und Herzöge zuerst im Kriege gehabt. Dann
aber haben sie's auch praktischer gefunden, daß im Frieden nicht bei
jeder Kleinigkeit alle Leute von ihrer Arbeit weg zusammenkamen
und berieten, sondern daß der eine als Organ für alle da wäre,
und was er sagte und tat, das sollte so sein, als wenn alle das
gewollt hätten. So ist der König und der Fürst von Anfang
an das Organ des ganzen Volkes gewesen; und das, was er be-
fahl, war wirklich Volkswille.
Uebrigens muß man nicht denken, daß die Gesetze, die von
dem Selbstherrscher gegeben werden, etwa nicht vorher beraten
würden. Das hat noch nie ein Selbstherrscher gemacht, daß er
sich allein an seinen Schreibtisch hingesetzt hätte, und ein ganzes
Gesetz mit so und so vielen Paragraphen aufgeschrieben hätte:
„das ist nun Gesetz, so befehle ich's." Aber auch dann, wenn ec
das getan hätte, auch dann wäre das Gesetz überlegt gewesen,
denn ohne sorgfältige Ueberß'gung kann einer so ein Gesetz gar
nicht aufschreiben. In Wirklichkeit aber werden die Gesetze, die
von absoluten Monarchen gegeben werden, genau ebenso sorg-
fältig vorberaten, wie die Gesetze, die in Republiken gegeben
werden. Und in Preußen hat das Gesetzbuch, das Friedrich der
Große hat ausarbeiten lassen, und das dann sein Nachfolger zum
Gesetz gemacht hat, über hundert Jahre lang gegolten. Es ist
ein sehr gutes Gesetzbuch gewesen, das Preußische Allge-
meine Landrecht. Denn Preußen i st ein selbst-
herrlicher Staat gewesen bis zum Jahre 1848; und
dann hat es durch ein selbstherrliches Gesetz auf-
gehört selbstherrlich zu sein. Der König von Preußen
hat befohlen, daß er in Zukunft nicht mehr allein befehlen sollte,
sondern daß Abgeordnete des Volkes mitberaten sollten, was für
Gesetze man machen wollte. Und ein Gesetz sollte nur dann ge-
geben werden, wenn die meisten Abgeordneten auch dafür wären.
Aehnlich so wie in Preußen ist es aber auch in den andern deut-
schen Staaten gegangen; daß sie sich nachher zu einem deutschen
Reich zusammentaten, das konnte auch nur so geschehen, daß jeder
einzelne von diesen Staaten ein Gesetz gab, das hieß: „Wir
wollen auch mit dabei sein, beim deutschen Reich."
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_der
Große Friedrich
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Hi. Volksvertretung.
Ja, was ist denn nun eigentlich die Volksvertretung, das
Abgeordnetenhaus, die Deputiertenkammer, das Parlament oder
wie man es sonst nennt? Wenn der König oder der Fürst schon
das Organ des Volkswillens ist, wozu ist denn da noch ein Organ
des Volkswillens nötig, ist da nicht eins von beiden vollständig
überflüssig?
Es gibt wirklich Leute, die das meinen, und zwar gibt es
nach beiden Seiten hin solche Leute. Es gibt immer noch Leute,
die meinen, alle Volksvertretungen, alle Parlamente wären Un-
sinn, und die wären bloß dazu da, um Skandal zu machen, und die
guten Ges'ltze, die von den Beamten sorgfältig überlegt worden
wären, ein ganz Teil schlechter zu machen. Und auf der andern
Seite gibt es wieder Leute, die meinen, es wäre ein Ueber-
bleibsel aus dem Mittelalter, daß da jemand durch den „Zufall
der Geburt" über alle Leute im ganzen Volk zu sagen haben sollte,
daß der überall mitreden wollte, und sogar täte, als wenn er die
Hauptsache dabei wäre. Und von der einen Seite sagt man, wenn
es vernünftig zuginge, müßten alle Abgeordneten einfach weg-
gejagt werden, das Land wieder so regiert werden, wie vor hun-
dert Jahren, da wär's am besten gegangen. Die besten Gesetze
wären damals gemacht worden; das Preußische Landrecht z. B.
und die Preußische Städteordnung, die jetzt noch gilt, und mit
der alle Preußen zufrieden sind, wenigstens mehr zufrieden, als
mit den meisten andern ähnlichen Einrichtungen. Damals also
wären die besten Einrichtungen gemacht worden, und deswegen
sollte man wieder so regieren wie damals. Und von der andern
Seite sagt man wieder, das Volk wäre jetzt mündig geworden
und brauchte nicht mehr von den Königen und ihren Ministern
und Beamten sich jede Kleinigkeit befehlen zu lassen, sondern es
könnte sich jetzt selber befehlen und könnte die Leute selber aus-
wählen, die das Regieren besorgen sollen. Und wenn sie das
nicht ordentlich besorgten, dann würden sie einfach bei der nächsten
Wahl nicht wiedergewählt. So könnte das Volk immer am besten
darüber aufpassen, ob auch richtig regiert würde. Nun, die Rede
von dem mündigen Volk, die hört sich ja sehr schön an, und es
sind nicht etwa die Sozialdemokraten, die so reden, vielmehr haben
noch vor vierzig Jahren eigentlich fast alle gebildeten und ge-
lehrten Männer in Preußen ebenso gedacht und geredet. Sie
wollten nur den König nickst gerade wegjagen, weil es für den
Staat so eine hübiche Art von Zierat war, daß er einen König
hatte, und zwar noch so einen König mit berühmten Vorfahren
24
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Ti. Das Veto des Kaisers.
Wenn man Leute, die von Politik und Verfassungen und von
dergleichen mehr als andere Leute verstehen, über das Deutsche
Reich reden hört, dann kann man manchmal mit großem Er-
staunen hören, daß das Deutsche Reich, so wie es jetzt ist, eigent-
lich gar keine Monarchie ist. Manche sagen direkt, daß Deutsche
Reich müßte eine Republik genannt werden. Das ist nämlich so:
In jeder Monarchie ist es nötig, daß der König mit jedem neuen
Gesetz einverstanden ist. Wenn der König nicht einverstanden
ist mit dem, was die Andern zum Gesetz machen wollen, so wird
es eben nicht Gesetz. Der König kann sagen: „Ich verbiete, daß
das Gesetz wird", das nennt man ein Veto, weil im Lateinischen
das Wort Veto soviel heißt wie: ich verbiete. Nun ist es in manchen
Staaten allerdings so gewesen, und an manchen Orten auch jetzt
noch so, daß schließlich das Gesetz doch gegeben wird, auch wenn
der König es nicht will; aber dann muß wenigstens noch eine
Weile gewartet werden, und der König muß nach dieser Weile
noch einmal gefragt werden. Da kann der König also mit
seinem Veto das neue Gesetz nicht hindern, aber er kann wenigstens
aufschieben, daß es eingeführt wird, da sagt man: Der König
hat kein absolutes, sondern ein suspensives Veto.
Wie nun damals 1848 und 1849 in Frankfurt beraten wurde,
was der deutsche Kaiser alles zu sagen haben sollte, und was
nicht, da waren die Leute auch lange im Zweifel, ob er ein abso-
lutes oder suspensives Veto haben sollte, aber daß er eines von
beiden haben mußte, wenn er iiberhaupt Kaiser sein wollte, da-
mit waren sie alle einverstanden. Und was für ein Veto hat
nun der deutsche Kaiser? Ein absolutes oder ein suspensives?
Keines von Beiden, er hat gar keins, er hat kein Veto. Wenn
der Bundesrat und der Reichstag beide beschlossen haben, das
und das soll im Deutschen Reich Gesetz sein, dann hilft es dem
deutschen Kaiser gar nichts, wenn er sagt: „Nein, ich will nicht,
daß das Gesetz wird", sondern er muß einfach unterschreiben, was
Bundesrat und Reichstag beschlossen haben. Deswegen sagen
einige Leute, der deutsche Kaiser hätte eines von den wichtigsten
Rechten nicht, die jeder Monarch haben muß, und deswegen wäre
er eigentlich kein richtiger Monarch.
Und dann ist noch ein Grund mehr da, weswegen man wirk-
lich nicht unbedingt sagen kann, daß Deutschland eine Monarchie
ist. Das Wort Monarchie heißt Alleinherrschaft, das bedeutet
also, daß einer durchaus der Höchste ist und daß er über alle
40
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Ortsnamen: Deutsche_Reich Deutsche
Reich Frankfurt Deutschen_Reich Deutschland
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Bund zusammengebracht hatten, in dem sie sich über manchedinge
gemeinsam beraten wollten und der auch gemeinsam gegen ihre
Feinde, wenn es sein müßte, Krieg führen wollte; es ist aber nie
recht dazu gekommen. Und es ist ein wahres Glück, daß es nie
dazu gekommen ist, denn wahrscheinlich hätten wir es sonst er-
lebt, daß so tapfere Soldaten, wie die deutschen, von den Feinden
besiegt worden wären, weil ihre Führer nicht einig genug ge-
wesen waren. Es hatte schon 1814 manchmal so ausgesehen, als
ob es Wohl so kommen könnte, obwohl damals noch die Wnt gegen
Napoleon, und ein bißchen doch wohl auch die Furcht vor ihm,
alle Deutschen zusammenhielt und auch die anderen Verbündeten.
Derdeutschebund war nun aber kein Staat. Er hatte
keinen einheitlichen Willen, er hatte keinen Kaiser und keine
Volksvertretung, sondern nur einen Bundestag. Da kamen
nämlich in Frankfurt a. M. die Gesandten von allen Staaten zu-
sammen und berieten über alles, was alle Staaten gemeinsam
einrichten wollten. Aber sehr viel konnte gar nicht dabei heraus-
kommen, denn es war gar nicht ohne weiteres möglich, daß ein
Staat gegen seinen Willen gezwungen werden konnte. In wich-
tigen Dingen konnte jeder Staat sagen: „Nein, da mache ich
nicht mit." Und es war nun auch in kurzem so, daß
die anderen großen Völker sich um die Deutschen ganz
und gar nicht mehr kümmerten, als gäbe es auf der
Erde gar kein deutsches Volk. Die Deutschen aber, wenigstens
die tüchtigsten unter ihnen, waren damals wütend und grimmig
darüber. Unsere Väter und Großväter haben auch mitge-
macht dabei und werden wahrscheinlich auch mit grimmig und
wütend gewesen sein. Die Deutschen wollten durchaus wieder
einen Kaiser haben, und sie wollten eine deutsche Volks-
vertretung haben. Und der Kaiser und die Volksvertretung
zusammen, die sollten die Gesetze geben, durch die das deutsche
Volk wieder einig werden könnte. Und sie sollten auch dafür
sorgen, daß die andern Völker wieder Respekt vor den Deut-
schen bekämen. Die Landesherren aber und viele andere mit
ihnen wollten von solchen Einrichtungen gar nicht recht etwas
wissen, aus denselben Gründen, aus denen sie selber oder
Väter im Jahre 1815 gegen die Einrichtung eines Deutschen
Reiches gewesen waren. Und wenn irgendeiner sagte, „wir
wollen ein Deutsches Reich haben und einen deutschen Kaiser",
dann wurde ihm gesagt: „Du willst also deinen Landesherrn
absetzen und willst die Gesetze entzwei machen, die es in
32
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
besondere Sache. Es ist gar nicht möglich, Verfassungen oder
Gesetze so aufzuschreiben, d-aß man dabei vorher alles überlegt,
was möglicherweise passieren kann, und es kommt daher vor, daß
so ein Verfassungsparagraph oder auch ein Gesetzparagraph
hinterher, wenn er angewendet werden soll, und manchmal auch,
wenn er schon jahrelang angewendet ist, ganz anders auszusehen
scheint, als damals, wo die Leute ihn beraten haben und wo sie
gesagt haben: so soll es sein. Und wenn sich so etwas heraus-
stellt, dann Pflegen die Leute oft sehr entschieden auf folche Ge-
setze zu schelten.
Die Frage, ob der Kaiser ein Veto hat oder nicht, scheint ja
also, wie ich euch eben auseinander setzte, ganz klar zu sein. In
der Verfassung scheint ganz klar zu stehen: Ter Kaiser hat kein
Veto; was Bundesrat und Reichstag beschließen, das muß Gesetz
werden, der Kaiser muß es unterschreiben, und der Reichskanzler,
den der Kaiser zu ernennen hat, der muß es mit dem Kaiser unter-
schreiben, er muß es, wie man es nennt, gegenzeichnen:
denn damit wird der Reichskanzler dafür verantwortlich, daß das
ein gutes und richtiges Gesetz ist. Da ist nun wohl schon
einmal gefragt worden, und zwar war es kein geringerer als
Fürst Bismarck selbst, der das gefragt hat: „Was will man denn
nun machen, wenn der Kaiser oder der Reichskanzler sagt: nein,
ich unterschreibe das Gesetz nicht"? Wenn der Reichskanzler z. B.
sagt: „Ich soll dafür die Verantwortung übernehmen, daß das ein
gutes und richtiges Gesetz ist? Das kann ich ja gar nicht, denn
ich glaube gar nicht, daß es ein gutes und richtiges Gesetz ist.
Ich habe ja, wie im Bundesrat und im Reichstag darüber beraten
wurde, große Reden gehalten und habe allen Leuten auseinander
gesetzt, daß dieses Gesetz nicht gut und nicht richtig sein würde.
Wie soll ich da nun auf einmal unterschreiben und mich selber
dafür verantwortlich machen, daß das Gesetz nun gut und richtig ist."
Wenn der Reichskanzler das sagt, ist dann der Kaiser ver-
pflichtet, ihn wegzuschicken und sich einen neuen Reichskanzler zu
suchen? Davon steht nichts in der Reichsverfassung. Und wenn
der Kaiser das nun auch täte, dann wäre es immer noch möglich,
daß er überhaupt keinen Reichskanzler fände unter den Leuten,
die er für tüchtig genug zum Reichskanzler hält; daß
er also da keinen Einzigen fände, der die Verantwortung über-
nehmen wollte. Was würde da nun werden? So viel ist sicher:
damit irgend etwas Gesetz werden kann, da muß es als Gesetz
bekannt gemacht werden; und für das Reich gibt es dazu das
42
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Das Deutsche Reich und Preußen.
Der Reichstag hat über das mitzureden, was im ganzen
Deutschen Reich für Gesetze gemacht werden sollen und was
da für Geld ausgegeben werden darf und was dafür im
ganzen Reich für Steuern eingeführt werden sollen. Das
preußische Abgeordnetenhaus hat nur in Preußen zu sagen,
aber da hat es auch über alle Gesetze mitzusagen, die
für Preußen gegeben werden sollen, und über alles mit-
zubestimmen, was in Preußen ausgegeben werden darf; und
dann auch, was für Steuern in Preußen eingeführt werden
müssen, damit so viel Geld zusammenkommt, wie nötig ist. Nun
ist das aber doch so, daß Preußen für sich allein die größere
Hälfte von Deutschland ist. Und da kommt es sehr oft vor, daß
die Leute gar nicht recht wissen, ob sie ein Gesetz für Preußen
geben sollen, das dann also im übrigen Deutschland nicht gilt,
oder ob sie das Gesetz nicht lieber gleich für das ganze Deutsche
Reich geben sollen. Denn die höchsten, die regieren, sind ja im
Reich und in Preußen dieselben, der König von Preußen ist zu-
gleich deutscher Kaiser und der Reichskanzler ist zugleich preußi-
scher Ministerpräsident.
Man hat denn nun manchmal versucht, einen andern
Mann zum preußischen Ministerpräsidenten zu machen,
also einen, der nicht zugleich Reichskanzler ist. Denn man sollte
denken, so ein Reichskanzler hat doch wirklich genug zu tun, daß
er nicht noch nebenbei alle Arbeiten des preußischen Ministerpräsi-
denten machen kann. Und ein preußischer Ministerpräsi-
dent hat auch, ehe es ein Deutsches Reich gab, reichlich zu tun ge-
habt, so daß es eigentlich besser wäre, wenn er nicht noch neben-
bei die Arbeiten vom Reichskanzler zu machen hätte. Und ehe
das Deutsche Reich gegründet war, oder vielmehr noch früher, ehe
der Norddeutsche Bund gegründet war — denn vorm Deutschen
Reich gab es doch einen Norddeutschen Bund, weil damals die
süddeutschen Staaten noch nicht mitmachen durften, das litt Na-
poleon nicht, und Napoleon hatte damals in der Welt noch etwas
44
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T67: [Preußen Bund Staat König Regierung Deutschland Verfassung Frankfurt Reichstag Bundestag], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T19: [Reich deutsch Kaiser Reiche Zeit Karl Jahr Ende Konstantin groß], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
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Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
zu sagen, und wir Teutschen mußten uns noch von fremden Völ-
kern etwas gefallen lassen; das sind wir jetzt schon so lange nicht
mehr gewöhnt, so daß wir es fast vergessen haben —, also ehe es
einen Norddeutschen Bund gab, da hat Fürst Bismarck selber ge-
dacht, der Bundeskanzler, das könnte ein anderer sein als der
preußische Ministerpräsident. Aber er hat sich das so gedacht,
daß der Bundeskanzler immer das tun müßte, was die
preußischen Minister und besonders der preußische Ministerpräsi-
dent wollte. Das wäre also so gewesen, daß der preußische Mi-
nisterpräsident seine Befehle vom König von Preußen bekommen
und der Bundeskanzler sie vom preußischen Ministerpräsidenten
bekommen hätte. Aber gleich wie er sich das alles so zurecht dachte,
daß das als Verfassung im Norddeutschen Bund aufgeschrieben
werden könnte, da merkte er gleich, daß das doch nicht ging, und
daß die Leute doch alle meinen würden, der Bundeskanzler, der
doch der höchste in der Regierung des ganzen Bundes wäre, der
müßte doch etwas Vornehmeres lein als der preußische Minister-
präsident. Und ganz besonders wie nun alle damit einverstanden
waren, daß der Bundeskanzler „verantwortlich" sein sollte, da
meinte Fürst Bismarck gleich, wenn das so sein sollte, dann müßte
er selber auch Bundeskanzler sein, sonst ginge das nicht. „Verant-
wortlich" wird nämlich im Staatsrecht immer nur der genannt,
der sich nicht damit ausreden kann: „Der und der hat mir das be-
fohlen." So sind alle preußischen Minister verantwortlich, aber
im Reich ist nur der Reichskanzler verantwort-
l i ch. Die Staatssekeretäre müssen nach der Verfassung dem
Reichskanzler gehorchen. Also für das, was die Staatssekretäre
tun, ist der Reichskanzler verantwortlich. Der Reichskanzler ist
der einzige verantwortliche Beamte des Reiches.
Natürlich ist jeder Beamte seinem Vorgesetzten verantwortlich,
aber doch hauptsächlich dafür, daß er alles richtig so macht, wies
ihm befohlen wird, und daß er wenigstens nichts getan hat, was
direkt gegen das ist, was ihm befohlen ist. Aber ein Minister
und der Reichskanzler sind auch verantwortlich für alles, was in
der Politik schlecht gegangen ist. Die fiub auch dann verantwort-
lich, wenn sie, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, „gar nichts
dafür können". Allerdings, bestraft werden sie weiter nicht, wenn
ihre Politik schief gegangen ist; dafür gibt es wenigstens bei uns
noch keine Strafe. Aber es ist Strafe genug, wenn nachher alle
die, die von dem Minister erzählen und schreiben, alle
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