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Diagramm für Aktuelle Auwahl statistik

1. Bd. 1 - S. 14

1911 - Leipzig : Scheffer
antworten, was ich jetzt fragen werde. Wie ist unsere deutsche Sprache entstanden? Hat irgend jemand dem deutschen Volke befohlen, daß es so sprechen sollte, wie es spricht, oder hat das deutsche Volk selber die Sprache gewollt, die es spricht? Nun, wenn irgendwer es dem deutschen Volke befohlen hätte, dann würde doch wohl erzählt und auch geschrieben worden sein, wann das gewesen wäre und wer das getan hätte. Denn wir können jetzt merken, daß sich die Leute gar nicht gerne befehlen lassen, wie sie sprechen sollen. Die Polen z. B. sind sehr böse dar- über, daß sie in Deutschland mit deutschen Behörden und andern Deutschen deutsch reden sollen. Also wenn die Deutschen ge- zwungen worden wären, so zu sprechen, wie wir jetzt sprechen, dann hätten sie sich sicherlich auch geärgert und hätten sichs ge- merkt und hätten es weiter erzählt; und dann wüßten wir's jetzt. Es bleibt also nichts anderes übrig: Die deutsche Sprache ist so, wie das deutsche Volk sie hat haben wollen. Nun haben wir aber vorhin gesehen, wie mehrere Menschen, wie z. B. ein Verein dazu kommt etwas gemeinsam zu wollen. Sie müssen zusammenkommen und beraten und be- schließen. Haben nun unsere Vorfahren das mit der deutschen Sprache Wohl auch so gemacht? Sind sie zusammen- gekommen und haben beraten: Wie wollen wir das Ding hier nennen? Ich schlage vor, wir nennen es Wald;" und ein anderer macht einen andern Vorschlag und schließlich wird abge- stimmt mit zweihundert gegen hundert Stimmen, dies Ding heißt nun in Zukunft Wald! Und ebenso mit allen andern Dingen und ebenso mit allem, was wir tun und so weiter. Bei jedem einzelnen Wort hätte beraten und beschlossen werden müssen, ob es so oder anders heißen soll. Meint wirklich jemand, daß unsere deutschen Vorfahren ihre Sprache so gemacht haben? Nein, das meint sicherlich keiner, sondern jeder meint, daß das ja Unsinn wäre. Viele haben wohl schon ge- hört oder darüber nachgedacht, wie aus dem Lateinischen die neuen romanischen Sprachen entstanden sind, das Italienische und das Französische, das Spanische und das Portugiesische. Da haben auch Leute nicht etwa einmal plötzlich beschlossen: „von jetzt ab reden wir nicht mehr lateinisch, von jetzt ab sagen wir nicht mehr Kikero, sondern Tschitscherone und wir Franzosen sagen Szißerong, und die Konjugation machen wir anders, und 14

2. Bd. 1 - S. 20

1911 - Leipzig : Scheffer
Da formte vielleicht der eine oder der andere damals fragen, ob man im russischen Staat überhaupt schon von Gesetzen reden könnte, weil das doch alles nur Befehledes Selb st Herrschers wären und es doch also schiene, als ob dabei nicht beraten und beschlossen worden sei. Es gibt wirklich Leute, die sagen: in einem Staat, der von einem Selbstherrscher regiert wird, da gibt es keine Gesetze, das Gesetz fängt er st an, wenn das Volk dabei mitgeredet hat; und das kann nur so ge- schehen, daß das Volk eben Vertreter wählt, und daß die Vertreter zusammenkommen und beraten und beschließen. Was der Selbstherrscher tut, das ist niemals Recht, das kann niemals Gesetz werden; das ist immer nur brutale Gewalt. Deswegen, so meinen diese Leute — wenigstens meinen es einige von ihnen — kann man sich gegen jeden Selbstherrscher ohne weiteres em- pören und ihn wegjagen oder wenn es durchaus nötig ist, ihn sogar umbringen; damit tut man kein Unrecht. Das ist einfach Notwehr, und ein Gewaltherrscher, der uns zwingeu will, das wir ihm gehorchen, der ist nicht besser als ein Räuber, der uns zwingen will, daß wir ihm gehorchen und ihm das geben, was er von uns verlangt. So haben tm vorigen und im vorvorigen Jahrhundert wirk- lich viele Menschen gedacht. Und wenn sie nicht so gedacht hätten, dann wären wahrscheinlich die Revolutionen nicht möglich gewesen oder jedenfalls nicht so groß geworden, wie sie geworden sind. Die meisten Leute denken jetzt anders darüber. Die sagen so: In alten Zeiten, bei den alten Römern und Griechen und auch bei den alten Deutschen kam der Volkswille dadurch zustande daß alle e r w a ch se n e n Männer zusammenkamen und berieten. Das ist jetzt nicht mehr so. Jetzt werden einzelne ausgewählt, und die be- raten für die andern mit. Dieser Zustand hat sich aber erst nach und nach herausgebildet. In Preußen verlief die Entwicklung zum Verfassungsstaate so, daß Friedrich Wilhelm Iv. ein Gesetz derselben Art gab, wie es die absoluten Könige bis dahin immer gegeben hatten, ehe es ein Abgeordnetenhaus und ein Herrenhaus gab. Die Ver- fassung war ein Gesetz des absoluten Herrschers. Deswegen nannten die Demokraten sie immer die oktroyierte Verfassung; und sie meinen damit eigentlich, diese Verfassung wäre für die Preußen ganz und gar nicht heilig; denn sie wäre ja garnicht auf richtige Weise zustande gekommen. Aber wie sie nun einmal im Gebrauch war, da wurde die Demokratie plötzlich anderer 20

3. Bd. 1 - S. 21

1911 - Leipzig : Scheffer
Meinung, und nun war die Verfassung die eigentliche Urquelle aller Herrschaft im Staate, daß heißt also, von da ab ist es de- mokratisches Dogma, daß nicht etwa der König die Verfassung gemacht hätte, sondern daß die Verfassung den König gemacht hätte. Das klingt etwas wunderlich, wenn man das so ausspricht, aber es ist wirklich demokratische Meinung. Und am deutlichsten hat des der nationalliberale Abgeordnete Eduard Lasker aus- gesprochen in seiner Schrift „Zur Verfassungsgeschichte Preußens". Da steht mit dürren Worten drin, daß die Hohenzollern nur un- rechtmäßige Gewaltherrscher gewesen wären —denn so muß man das Fremdwort Usurpatoren, das Lasker gebraucht, über- setzen — erst von dem Augenblick an, wo die Verfassung auf dem Papier stand, da wurde durch diese Verfassung ein Volkswille her- gestellt, und dieser Volkswille erlaubte dann den Hohenzollern, daß sie von da ab, also von 1848 ab, Könige von Preußen sein sollten. Man muß aber immer bedenken, daß das nur demokratische Meinungen sind. Es gibt auch Staatsrechtslehrer, die ähnliche Meinungen haben. Ganz dieselbe Meinung hat wohl kein Staats- rechtslehrer: Aber die größten und tüchtigsten Staatsrechtslehrer denken nicht so; besonders Rudolf Gneist, der auch durchaus ein liberaler Mann war, der denkt ganz anders darüber. Der denkt sich die Sache so, wie sie wirklich geworden ist. Die Hohen- zollern waren rechtmäßige Könige im Verlauf der Weltgeschichte geworden, und ihr eigener Wille hat doch dabei die Hauptsache getan. Allerdings wären sie durch eigenen Willen niemals so weit gekommen, wenn sie nicht der Hauptsache nach immer das Beste ihres Volkes gewollt hätten, wenn sie nicht im Grunde alle, wie Friedrich der Große es ausgesprochen hat, weiter nichts hätten sein wollen, als erste Diener des Staates, aber immerhin, ihre Herrschaft war durchaus rechtmäßig, auch ihre absolute Herrschaft. Und daß sie sich Vertreter des Volkes wünschten, die mit entscheiden sollten, wenn neue Gesetze gegeben werden sollten, das ging auch aus dem freien Willen der Könige oder vielmehr des grade regierenden Königs hervor. So dachte nicht nur Rudolf Gneist, sondern auch der König Friedrich Wilhelm Iv. selbst, der die Verfassung gegeben hat und vor allem auch sein Bruder, der nach ihm König wurde. Und da war nun die große Frage: Wie sollte er das deutlich ans- prechen, daß die Leute, die in den Zeitungen das große Wort führten, nicht Recht hatten; daß der König sein Amt nicht durch das Parlament, nicht durch Abstimmung bekommen hätte? 21

4. Bd. 1 - S. 23

1911 - Leipzig : Scheffer
Volk, wenn es in Gefahr ist. So haben alle Völker ihre Könige und Fürsten und Herzöge zuerst im Kriege gehabt. Dann aber haben sie's auch praktischer gefunden, daß im Frieden nicht bei jeder Kleinigkeit alle Leute von ihrer Arbeit weg zusammenkamen und berieten, sondern daß der eine als Organ für alle da wäre, und was er sagte und tat, das sollte so sein, als wenn alle das gewollt hätten. So ist der König und der Fürst von Anfang an das Organ des ganzen Volkes gewesen; und das, was er be- fahl, war wirklich Volkswille. Uebrigens muß man nicht denken, daß die Gesetze, die von dem Selbstherrscher gegeben werden, etwa nicht vorher beraten würden. Das hat noch nie ein Selbstherrscher gemacht, daß er sich allein an seinen Schreibtisch hingesetzt hätte, und ein ganzes Gesetz mit so und so vielen Paragraphen aufgeschrieben hätte: „das ist nun Gesetz, so befehle ich's." Aber auch dann, wenn ec das getan hätte, auch dann wäre das Gesetz überlegt gewesen, denn ohne sorgfältige Ueberß'gung kann einer so ein Gesetz gar nicht aufschreiben. In Wirklichkeit aber werden die Gesetze, die von absoluten Monarchen gegeben werden, genau ebenso sorg- fältig vorberaten, wie die Gesetze, die in Republiken gegeben werden. Und in Preußen hat das Gesetzbuch, das Friedrich der Große hat ausarbeiten lassen, und das dann sein Nachfolger zum Gesetz gemacht hat, über hundert Jahre lang gegolten. Es ist ein sehr gutes Gesetzbuch gewesen, das Preußische Allge- meine Landrecht. Denn Preußen i st ein selbst- herrlicher Staat gewesen bis zum Jahre 1848; und dann hat es durch ein selbstherrliches Gesetz auf- gehört selbstherrlich zu sein. Der König von Preußen hat befohlen, daß er in Zukunft nicht mehr allein befehlen sollte, sondern daß Abgeordnete des Volkes mitberaten sollten, was für Gesetze man machen wollte. Und ein Gesetz sollte nur dann ge- geben werden, wenn die meisten Abgeordneten auch dafür wären. Aehnlich so wie in Preußen ist es aber auch in den andern deut- schen Staaten gegangen; daß sie sich nachher zu einem deutschen Reich zusammentaten, das konnte auch nur so geschehen, daß jeder einzelne von diesen Staaten ein Gesetz gab, das hieß: „Wir wollen auch mit dabei sein, beim deutschen Reich." 23

5. Bd. 1 - S. 24

1911 - Leipzig : Scheffer
Hi. Volksvertretung. Ja, was ist denn nun eigentlich die Volksvertretung, das Abgeordnetenhaus, die Deputiertenkammer, das Parlament oder wie man es sonst nennt? Wenn der König oder der Fürst schon das Organ des Volkswillens ist, wozu ist denn da noch ein Organ des Volkswillens nötig, ist da nicht eins von beiden vollständig überflüssig? Es gibt wirklich Leute, die das meinen, und zwar gibt es nach beiden Seiten hin solche Leute. Es gibt immer noch Leute, die meinen, alle Volksvertretungen, alle Parlamente wären Un- sinn, und die wären bloß dazu da, um Skandal zu machen, und die guten Ges'ltze, die von den Beamten sorgfältig überlegt worden wären, ein ganz Teil schlechter zu machen. Und auf der andern Seite gibt es wieder Leute, die meinen, es wäre ein Ueber- bleibsel aus dem Mittelalter, daß da jemand durch den „Zufall der Geburt" über alle Leute im ganzen Volk zu sagen haben sollte, daß der überall mitreden wollte, und sogar täte, als wenn er die Hauptsache dabei wäre. Und von der einen Seite sagt man, wenn es vernünftig zuginge, müßten alle Abgeordneten einfach weg- gejagt werden, das Land wieder so regiert werden, wie vor hun- dert Jahren, da wär's am besten gegangen. Die besten Gesetze wären damals gemacht worden; das Preußische Landrecht z. B. und die Preußische Städteordnung, die jetzt noch gilt, und mit der alle Preußen zufrieden sind, wenigstens mehr zufrieden, als mit den meisten andern ähnlichen Einrichtungen. Damals also wären die besten Einrichtungen gemacht worden, und deswegen sollte man wieder so regieren wie damals. Und von der andern Seite sagt man wieder, das Volk wäre jetzt mündig geworden und brauchte nicht mehr von den Königen und ihren Ministern und Beamten sich jede Kleinigkeit befehlen zu lassen, sondern es könnte sich jetzt selber befehlen und könnte die Leute selber aus- wählen, die das Regieren besorgen sollen. Und wenn sie das nicht ordentlich besorgten, dann würden sie einfach bei der nächsten Wahl nicht wiedergewählt. So könnte das Volk immer am besten darüber aufpassen, ob auch richtig regiert würde. Nun, die Rede von dem mündigen Volk, die hört sich ja sehr schön an, und es sind nicht etwa die Sozialdemokraten, die so reden, vielmehr haben noch vor vierzig Jahren eigentlich fast alle gebildeten und ge- lehrten Männer in Preußen ebenso gedacht und geredet. Sie wollten nur den König nickst gerade wegjagen, weil es für den Staat so eine hübiche Art von Zierat war, daß er einen König hatte, und zwar noch so einen König mit berühmten Vorfahren 24

6. Bd. 1 - S. 40

1911 - Leipzig : Scheffer
Ti. Das Veto des Kaisers. Wenn man Leute, die von Politik und Verfassungen und von dergleichen mehr als andere Leute verstehen, über das Deutsche Reich reden hört, dann kann man manchmal mit großem Er- staunen hören, daß das Deutsche Reich, so wie es jetzt ist, eigent- lich gar keine Monarchie ist. Manche sagen direkt, daß Deutsche Reich müßte eine Republik genannt werden. Das ist nämlich so: In jeder Monarchie ist es nötig, daß der König mit jedem neuen Gesetz einverstanden ist. Wenn der König nicht einverstanden ist mit dem, was die Andern zum Gesetz machen wollen, so wird es eben nicht Gesetz. Der König kann sagen: „Ich verbiete, daß das Gesetz wird", das nennt man ein Veto, weil im Lateinischen das Wort Veto soviel heißt wie: ich verbiete. Nun ist es in manchen Staaten allerdings so gewesen, und an manchen Orten auch jetzt noch so, daß schließlich das Gesetz doch gegeben wird, auch wenn der König es nicht will; aber dann muß wenigstens noch eine Weile gewartet werden, und der König muß nach dieser Weile noch einmal gefragt werden. Da kann der König also mit seinem Veto das neue Gesetz nicht hindern, aber er kann wenigstens aufschieben, daß es eingeführt wird, da sagt man: Der König hat kein absolutes, sondern ein suspensives Veto. Wie nun damals 1848 und 1849 in Frankfurt beraten wurde, was der deutsche Kaiser alles zu sagen haben sollte, und was nicht, da waren die Leute auch lange im Zweifel, ob er ein abso- lutes oder suspensives Veto haben sollte, aber daß er eines von beiden haben mußte, wenn er iiberhaupt Kaiser sein wollte, da- mit waren sie alle einverstanden. Und was für ein Veto hat nun der deutsche Kaiser? Ein absolutes oder ein suspensives? Keines von Beiden, er hat gar keins, er hat kein Veto. Wenn der Bundesrat und der Reichstag beide beschlossen haben, das und das soll im Deutschen Reich Gesetz sein, dann hilft es dem deutschen Kaiser gar nichts, wenn er sagt: „Nein, ich will nicht, daß das Gesetz wird", sondern er muß einfach unterschreiben, was Bundesrat und Reichstag beschlossen haben. Deswegen sagen einige Leute, der deutsche Kaiser hätte eines von den wichtigsten Rechten nicht, die jeder Monarch haben muß, und deswegen wäre er eigentlich kein richtiger Monarch. Und dann ist noch ein Grund mehr da, weswegen man wirk- lich nicht unbedingt sagen kann, daß Deutschland eine Monarchie ist. Das Wort Monarchie heißt Alleinherrschaft, das bedeutet also, daß einer durchaus der Höchste ist und daß er über alle 40

7. Bd. 1 - S. 32

1911 - Leipzig : Scheffer
Bund zusammengebracht hatten, in dem sie sich über manchedinge gemeinsam beraten wollten und der auch gemeinsam gegen ihre Feinde, wenn es sein müßte, Krieg führen wollte; es ist aber nie recht dazu gekommen. Und es ist ein wahres Glück, daß es nie dazu gekommen ist, denn wahrscheinlich hätten wir es sonst er- lebt, daß so tapfere Soldaten, wie die deutschen, von den Feinden besiegt worden wären, weil ihre Führer nicht einig genug ge- wesen waren. Es hatte schon 1814 manchmal so ausgesehen, als ob es Wohl so kommen könnte, obwohl damals noch die Wnt gegen Napoleon, und ein bißchen doch wohl auch die Furcht vor ihm, alle Deutschen zusammenhielt und auch die anderen Verbündeten. Derdeutschebund war nun aber kein Staat. Er hatte keinen einheitlichen Willen, er hatte keinen Kaiser und keine Volksvertretung, sondern nur einen Bundestag. Da kamen nämlich in Frankfurt a. M. die Gesandten von allen Staaten zu- sammen und berieten über alles, was alle Staaten gemeinsam einrichten wollten. Aber sehr viel konnte gar nicht dabei heraus- kommen, denn es war gar nicht ohne weiteres möglich, daß ein Staat gegen seinen Willen gezwungen werden konnte. In wich- tigen Dingen konnte jeder Staat sagen: „Nein, da mache ich nicht mit." Und es war nun auch in kurzem so, daß die anderen großen Völker sich um die Deutschen ganz und gar nicht mehr kümmerten, als gäbe es auf der Erde gar kein deutsches Volk. Die Deutschen aber, wenigstens die tüchtigsten unter ihnen, waren damals wütend und grimmig darüber. Unsere Väter und Großväter haben auch mitge- macht dabei und werden wahrscheinlich auch mit grimmig und wütend gewesen sein. Die Deutschen wollten durchaus wieder einen Kaiser haben, und sie wollten eine deutsche Volks- vertretung haben. Und der Kaiser und die Volksvertretung zusammen, die sollten die Gesetze geben, durch die das deutsche Volk wieder einig werden könnte. Und sie sollten auch dafür sorgen, daß die andern Völker wieder Respekt vor den Deut- schen bekämen. Die Landesherren aber und viele andere mit ihnen wollten von solchen Einrichtungen gar nicht recht etwas wissen, aus denselben Gründen, aus denen sie selber oder Väter im Jahre 1815 gegen die Einrichtung eines Deutschen Reiches gewesen waren. Und wenn irgendeiner sagte, „wir wollen ein Deutsches Reich haben und einen deutschen Kaiser", dann wurde ihm gesagt: „Du willst also deinen Landesherrn absetzen und willst die Gesetze entzwei machen, die es in 32

8. Bd. 1 - S. 42

1911 - Leipzig : Scheffer
besondere Sache. Es ist gar nicht möglich, Verfassungen oder Gesetze so aufzuschreiben, d-aß man dabei vorher alles überlegt, was möglicherweise passieren kann, und es kommt daher vor, daß so ein Verfassungsparagraph oder auch ein Gesetzparagraph hinterher, wenn er angewendet werden soll, und manchmal auch, wenn er schon jahrelang angewendet ist, ganz anders auszusehen scheint, als damals, wo die Leute ihn beraten haben und wo sie gesagt haben: so soll es sein. Und wenn sich so etwas heraus- stellt, dann Pflegen die Leute oft sehr entschieden auf folche Ge- setze zu schelten. Die Frage, ob der Kaiser ein Veto hat oder nicht, scheint ja also, wie ich euch eben auseinander setzte, ganz klar zu sein. In der Verfassung scheint ganz klar zu stehen: Ter Kaiser hat kein Veto; was Bundesrat und Reichstag beschließen, das muß Gesetz werden, der Kaiser muß es unterschreiben, und der Reichskanzler, den der Kaiser zu ernennen hat, der muß es mit dem Kaiser unter- schreiben, er muß es, wie man es nennt, gegenzeichnen: denn damit wird der Reichskanzler dafür verantwortlich, daß das ein gutes und richtiges Gesetz ist. Da ist nun wohl schon einmal gefragt worden, und zwar war es kein geringerer als Fürst Bismarck selbst, der das gefragt hat: „Was will man denn nun machen, wenn der Kaiser oder der Reichskanzler sagt: nein, ich unterschreibe das Gesetz nicht"? Wenn der Reichskanzler z. B. sagt: „Ich soll dafür die Verantwortung übernehmen, daß das ein gutes und richtiges Gesetz ist? Das kann ich ja gar nicht, denn ich glaube gar nicht, daß es ein gutes und richtiges Gesetz ist. Ich habe ja, wie im Bundesrat und im Reichstag darüber beraten wurde, große Reden gehalten und habe allen Leuten auseinander gesetzt, daß dieses Gesetz nicht gut und nicht richtig sein würde. Wie soll ich da nun auf einmal unterschreiben und mich selber dafür verantwortlich machen, daß das Gesetz nun gut und richtig ist." Wenn der Reichskanzler das sagt, ist dann der Kaiser ver- pflichtet, ihn wegzuschicken und sich einen neuen Reichskanzler zu suchen? Davon steht nichts in der Reichsverfassung. Und wenn der Kaiser das nun auch täte, dann wäre es immer noch möglich, daß er überhaupt keinen Reichskanzler fände unter den Leuten, die er für tüchtig genug zum Reichskanzler hält; daß er also da keinen Einzigen fände, der die Verantwortung über- nehmen wollte. Was würde da nun werden? So viel ist sicher: damit irgend etwas Gesetz werden kann, da muß es als Gesetz bekannt gemacht werden; und für das Reich gibt es dazu das 42

9. Bd. 1 - S. 44

1911 - Leipzig : Scheffer
Das Deutsche Reich und Preußen. Der Reichstag hat über das mitzureden, was im ganzen Deutschen Reich für Gesetze gemacht werden sollen und was da für Geld ausgegeben werden darf und was dafür im ganzen Reich für Steuern eingeführt werden sollen. Das preußische Abgeordnetenhaus hat nur in Preußen zu sagen, aber da hat es auch über alle Gesetze mitzusagen, die für Preußen gegeben werden sollen, und über alles mit- zubestimmen, was in Preußen ausgegeben werden darf; und dann auch, was für Steuern in Preußen eingeführt werden müssen, damit so viel Geld zusammenkommt, wie nötig ist. Nun ist das aber doch so, daß Preußen für sich allein die größere Hälfte von Deutschland ist. Und da kommt es sehr oft vor, daß die Leute gar nicht recht wissen, ob sie ein Gesetz für Preußen geben sollen, das dann also im übrigen Deutschland nicht gilt, oder ob sie das Gesetz nicht lieber gleich für das ganze Deutsche Reich geben sollen. Denn die höchsten, die regieren, sind ja im Reich und in Preußen dieselben, der König von Preußen ist zu- gleich deutscher Kaiser und der Reichskanzler ist zugleich preußi- scher Ministerpräsident. Man hat denn nun manchmal versucht, einen andern Mann zum preußischen Ministerpräsidenten zu machen, also einen, der nicht zugleich Reichskanzler ist. Denn man sollte denken, so ein Reichskanzler hat doch wirklich genug zu tun, daß er nicht noch nebenbei alle Arbeiten des preußischen Ministerpräsi- denten machen kann. Und ein preußischer Ministerpräsi- dent hat auch, ehe es ein Deutsches Reich gab, reichlich zu tun ge- habt, so daß es eigentlich besser wäre, wenn er nicht noch neben- bei die Arbeiten vom Reichskanzler zu machen hätte. Und ehe das Deutsche Reich gegründet war, oder vielmehr noch früher, ehe der Norddeutsche Bund gegründet war — denn vorm Deutschen Reich gab es doch einen Norddeutschen Bund, weil damals die süddeutschen Staaten noch nicht mitmachen durften, das litt Na- poleon nicht, und Napoleon hatte damals in der Welt noch etwas 44

10. Bd. 1 - S. 45

1911 - Leipzig : Scheffer
zu sagen, und wir Teutschen mußten uns noch von fremden Völ- kern etwas gefallen lassen; das sind wir jetzt schon so lange nicht mehr gewöhnt, so daß wir es fast vergessen haben —, also ehe es einen Norddeutschen Bund gab, da hat Fürst Bismarck selber ge- dacht, der Bundeskanzler, das könnte ein anderer sein als der preußische Ministerpräsident. Aber er hat sich das so gedacht, daß der Bundeskanzler immer das tun müßte, was die preußischen Minister und besonders der preußische Ministerpräsi- dent wollte. Das wäre also so gewesen, daß der preußische Mi- nisterpräsident seine Befehle vom König von Preußen bekommen und der Bundeskanzler sie vom preußischen Ministerpräsidenten bekommen hätte. Aber gleich wie er sich das alles so zurecht dachte, daß das als Verfassung im Norddeutschen Bund aufgeschrieben werden könnte, da merkte er gleich, daß das doch nicht ging, und daß die Leute doch alle meinen würden, der Bundeskanzler, der doch der höchste in der Regierung des ganzen Bundes wäre, der müßte doch etwas Vornehmeres lein als der preußische Minister- präsident. Und ganz besonders wie nun alle damit einverstanden waren, daß der Bundeskanzler „verantwortlich" sein sollte, da meinte Fürst Bismarck gleich, wenn das so sein sollte, dann müßte er selber auch Bundeskanzler sein, sonst ginge das nicht. „Verant- wortlich" wird nämlich im Staatsrecht immer nur der genannt, der sich nicht damit ausreden kann: „Der und der hat mir das be- fohlen." So sind alle preußischen Minister verantwortlich, aber im Reich ist nur der Reichskanzler verantwort- l i ch. Die Staatssekeretäre müssen nach der Verfassung dem Reichskanzler gehorchen. Also für das, was die Staatssekretäre tun, ist der Reichskanzler verantwortlich. Der Reichskanzler ist der einzige verantwortliche Beamte des Reiches. Natürlich ist jeder Beamte seinem Vorgesetzten verantwortlich, aber doch hauptsächlich dafür, daß er alles richtig so macht, wies ihm befohlen wird, und daß er wenigstens nichts getan hat, was direkt gegen das ist, was ihm befohlen ist. Aber ein Minister und der Reichskanzler sind auch verantwortlich für alles, was in der Politik schlecht gegangen ist. Die fiub auch dann verantwort- lich, wenn sie, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, „gar nichts dafür können". Allerdings, bestraft werden sie weiter nicht, wenn ihre Politik schief gegangen ist; dafür gibt es wenigstens bei uns noch keine Strafe. Aber es ist Strafe genug, wenn nachher alle die, die von dem Minister erzählen und schreiben, alle 45
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