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zeichnen wollen, so müssen wir den Maßstab abermals ver-
jungen. Für 1 m können wir diesmal nur 5 mm rechnen.
Das ist der 200. Teil des wirklichen Längenmaßes. Wir
zeichnen also im Maßstab 1:200. Die Bürgerstraße ist auf
dieser Strecke 160 m lang. Demnach müssen wir sie an der
Wandtafel 160 x 5 — 800 mm oder 80 cm lang zeichnen.
Lohmühlenstraße 80 m = 40 cm, Weidenstraße 140 m — 70 cm,
Wilhelmstraße 100 m — 50 cm. Alle sind etwa Ilm breit,
in der Zeichnung müssen sie also 11 x 5 — 55 mm oder
5% cm breit sein. Für die Fußsteige gehen an jeder Seite
reichlich 2 m ab, in der Zeichnung also 2x5 — 10 mm oder
1 cm, zusammen 20 mm oder 2 cm. Für die Fahrstraße
bleiben demnach 55 — 20 — 35 mm oder 31/., cm übrig.
Unser Schulhaus, das 25 m lang und 22 m breit ist, kann
in der Zeichnung nur 25 x 5 — 125 mm ober 12^2 cm
lang und 22 x 5 — 110 mm ober 11 cm breit sein. In
einem so kleinen Grundriß des Hauses wollen wir die ein-
zelnen Klassenzimmer nicht mehr abteilen.
Nachdem der Umriß des Häuservierecks unter Anwendung
der angegebenen Maßverhältnisse in derselben Weise wie früher
die Pläne vom Schulzimmer und Schulhaus unter Mitwirkung
der Schüler an der Wandtafel entworfen ist, wird ein im
voraus auf Papier gezeichneter Lageplan, der alle öffent-
lichen Gebäude d. h. solche, die auf Kosten der ganzen
Stadt gebaut sind und daher von allen Bewohnern benutzt
werden dürfen, und womöglich auch die Privathäuser enthält,
mit Nutzen vorgeführt werden können. (Fig. 5.) Im Lage-
plan des Schulhauses an der Bürgerstraße kommen an öffent-
lichen Gebäuden in Betracht: die Mädchen-Gewerbeschule,
die städtische Badeanstalt, das Postamt an der Bürger-
straße und das Schulhaus an der Weidenstraße. Um
die Einzelheiten des Planes möglichst deutlich hervortreten zu
lassen, zeichne man die öffentlichen Gebäude schwarz, während
die Privathäuser nur schwarz umrandet werden. Die Fuß-
steige der Straßen und die Grenzen der einzelnen Grundstücke
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TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T48: [Fluß Meer See Strom Land Wasser Mündung Kanal Lauf Ostsee]]
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57
Freundschaft fleht: "die besten Gaben
Spende meinem Biederfreund!
Ich will lieber selbst nicht haben.
Wird nur ihm kein Wunsch verneint."
Und wir Andern alle bitten:
"Sei der ganzen Erdenschaar,
Zn Pallästen und in Hütten,
Ein gesegnet Freudenjahr!"
Langbein.
vi.
34.
Alter Mann, guter Rath. Ein guter Freund, ein edles
Kleinod. Freundes Stimme, Gottes Stimme. Freundes
Schläge, liebe Schläge. Allmanns Freund, Jedermanns Geck.
Besser ein guter Freund, als Silber und Gold. Besser ohne
Freund, als ohne Geld. Besser ein sauer sehender Freund, als
ein süß lächelnder Feind. Besser ein offener Feind, als ein
verstellter Freund. Das Auge, des Herzens Zeuge. Alles mit
Gort. Alles nach Gottes Willen. Kurzes Gebet und tiefe
Andacht. Lang Mundwerk, schlechter Gottesdienst. Will's
Gott, der wendet's. Kein Ort ohn' Ohr, kein Winkel ohn'
Aug', keine Nacht ohne Licht, kein Wald ohne Zungen. Groß
Glück, groß Gefahr. Mittelglück — das beste. Zwischen Ar-
muth und Reichthum das beste Leben. Mittelstraß, die beste
Straß. Je größer der Baum, je schwerer der Fall. Je höher
Berg, je tiefer Thal. Gesunder Mann, reicher Mann. Krank
Fleisch, krank Geist. Müssiggang der Tugend Untergang. Jung
gewohnt, alt gethan. Junge Schlemmer, alte Bettler. Fette
Küche, magere Erbschaft. Junge Spieler, alte Bettler. Kurze
Abendmahlzeit, lange Lebenszeit. Wie man's treibt, so geht's.
Keusche Jugend, Lebensbalsam des Alters. Kurze Lust, lange
Reu'. Friede, mit den Menschen, Krieg mit den Lastern. Viel
Gesetz, viel Übertretung. Je mehr Gesetz, je weniger Recht.
Böser Gewinn, schnell dahin. Befehlen thut's nicht, selbst
angreifen thut's. Leid und meid, bist du gescheidt. Wohl-
gezogen — nie gelogen. Viel Rühmen's und nichts dahinter.
Ein guter Prahler, ein schlechter Zahler. Streng Recht, groß
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51
sehen. Unter die Arme greifen. Auf die lange Bank schieben.
Auf den Kopf gefallen sein. Ubers Herz bringen. Zn die Arme
werfen. Durchs Feuer laufen. Kein Blatt vor den Mund
nehmen. Den Mantel nach dem Winde hängen. Sich in die
Welt schicken. Die Augen der Welt auf sich ziehen. Ins
Blinde handeln. Ins Blaue reden. In den Tag hinein leben.
Seine eigene Haut zu Markte tragen. Eine Sache ins Reine
bringen. Auf den Grund gehen. Viel an sich bringen. Einem
ins Handwerk fallen. Den Nagel auf den Kopf treffen. Je-
manden bis in den Himmel erheben — bis in die Hölle ver-
dammen. An den Bettelstab kommen.
Der Bürger musi sich an die bestehenden Gesetze binden.
Jeder ist an seine Pflicht gebunden. Der Fromme bindet sich
an Gottes Wort. Vor allen Dingen richte dein Herz zu Gott.
Bei Gottlosen hat man gewisse Post zur Hölle. Der Tod
zieht Seelen vor's Gericht.
37.
a. Theile nicht die Beute vor dem Siege. Man musi
den schönsten Tag nicht vor dem Abend loben. Aller Tage
Abend ist noch nicht gekommen. Hochmuth kommt vor dem
Fall. Dem Übel musi man im Anfange widerstehen. Habe
Rath vor der That. Bei schönem Wetter musi man den Man-
tel mitnehmen. Im Kriege schweigt das Recht. Stehende
Wasser werden endlich faul und stinkend. Niemand kann'in
eigener Sache Richter sein. Verstand kommt nicht vor Jahren.
Gute Bäume tragen zeitig. Erst befinn's, dann beginn's. Der
Kluge beherrscht auch im Zorne seine Worte. Grosie Seelen
erblassen nicht beim Anblick ihres Grabes. Beim Glockenklang
durchbebet der Andacht heilger Schauer mich. Jacobi.— Tausend
Früchte deiner Anstrengungen werden erst nach deinem Tode
reifen. Reinhard. — Der brave Mann denkt an sich selbst
zuletzt. Schiller. — Bete und arbeit', Gott segnet zu seiner
Zeit.
b. Morgens und Abends, jeden Tag danket dem Herrn. Der
Fleißige hat immer was zu thun. Am meisten sprich mit Dir selber.
Die Sitten des Tugendhaften lassen allezeit einen guten Geruch
zurück. Selten kommt ein Unglück allein. Unverhofft kommt oft.
Schweigen gereut selten. Man musi zuweilen ein Auge zudrücken.
4»
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107
56. Die Krone des Alters.
Wen der Schöpfer ehrt, warum sollen den nicht auch die
Menschen ehren? Auf des Verständigen und Tugendhaften
Haupte ist graues Haar eine schöne Krone.
Drei Greise feierten zusammen ihr Jubelfest und erzählten
ihren Kindern, woher sie so alt geworden. Der Eine, ein Leh-
rer und Priester, sprach: „Nie kümmerte mich, wenn ich zu
lehren ausging, die Länge des Weges, nie schritt ich anmaßend
über die Häupter der Jugend hinweg, und hob die Hände nie
auf zum Segnen, ohne daß ich wirklich segnete und Gott lobte;
darum bin ich so alt geworden." Der Andere, ein Kaufmann,
sagte: „Nie habe ich mich mit meines Nächsten Schaden be-
reichert; nie ist sein Fluch mit mir zu Bette gegangen; darum
hat mir Gott die Jahre geschenkt." Der Dritte, ein Richter
des Volkes, sprach: „Nie nahm ich Geschenke; nie bestand ich
starr auf meinem Sinn; im Schwersten suchte ich mich jederzeit
zuerst zu überwinden; darum hat mich Gott mit einem Alter
gesegnet." — Da traten ihre Söhne und Enkel zu ihnen, küß-
ten ihre Hände und kränzten ihr Haupt mit Blumen, llnb
die Väter segneten sie und sprachen:
„Wie Euere Jugend, sei auch Euer Alter! Eure Kinder
seien Euch, was Ihr uns seid: auf unserm greisen Haare eine
blühende Rosenkrone."
Das Alter ist eine schöne Krone; man findet sie nur auf
dem Wege der Mäßigkeit, der Gerechtigkeit und Weisheit!
Herder.
57. Die Pfeife.
Als ich ein Knabe von sieben Jahren war, füllten mir einst,
an einem Feiertage, meine Verwandten die Taschen mit Kupfer-
münze.- Ich wußte nun nichts eiliger zu thun, als damit nach
einem Kaufladen zu gehen, wo man Kinderspielwaaren verkaufte.
Schon auf dem Wege dahin begegnete ich aber einem andern
Knaben mit einer Pfeife, deren Ton mir so wohl gefiel, daß ich
ihm freiwillig all' mein Geld dafür bot. Vergnügt über mei-
nen Handel eilte ich wieder heim, und durchzog pfeifend das
ganze Haus, denn meine Pfeife machte mir eben so viele Freude,
als ich damit die ganze Familie belästigte. Als meine Brüder,
Schwestern, Vettern und Basen von meinem Handel hörten.
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140
dem wird sie je vergessen; und diese Hand, auf deren Wunde
du deine mütterlichen Lippen drücktest, wird einstens gewiß dein
graueö Haar niit Rosen- und Myrtenkränzen zieren."
In schweigendem Entzücken traten nun die Gatten, von
ihren Kindern begleitet, in die Stube, durch deren Fenster eben
die untergehende Sonne den einladenden Tisch mit ihrem Rosen-
schimmer röthete, und der Säugling in der Wiege sah mit weit
offnen Augen ruhig um sich, und lächelte den glücklichen Eltern
entgegen. Starke.
73. Die Mutter.
Zn der Gegend von Rocroy arbeitete im Juni 1813 eine
Bäuerin auf dem Felde, und hatte unterdeß ihren Säugling in
den Schatten eines nahen Gebüsches gelegt, wo das Kindlein
süß schlummerte. Plötzlich hört sie etwas rascheln, blickt hin,
und sieht einen Wolf hervorspringen, der so eben den Rachen
aufthut, um das Kind zu greifen und zu fressen. Aber eben so
schnell springt die Mutter herzu, stürzt sich auf die Bestie und
es beginnt ein heftiger und langwieriger Kampf. Endlich gelingt
es der Frau, eine Scheere, ihre einzige Waffe, dem Wolf in
den Leib zu stoßen. Er ist tödtlich verwundet, heult, weicht,
wankt, stürzt nieder. Nun schließt die Mutter ihr gerettetes
Kind in die Arme; ihre Kräfte sind aber erschöpft, die Sinne
vergehen ihr, und, wie todt, sinkt auch sie zur Erde. — Unter-
dessen waren die Nachbarn herbei geeilt und leisteten der Ohn-
mächtigen alle mögliche Hülfe; aber sie gab kein Zeichen des
Lebens mehr von sich, was man auch aufbot, sie wieder zu sich
selbst zu bringen. „Legt ihr das Kind an die Brust!" rief endlich
eine alte Frau. — Kaum war dieß geschehen, so athmete die
Hingesunkene wieder, schlug dann freudig die Augen auf, blickte
ihr Kind an und dann dankbar empor gen Himmel. „Das
wußte ich wol!" sagte die Alte, „ich bin auch Mutter gewesen."
Chr. Niemepcr.
74. Der Mend vor einem Festtage im Hause einer
rechtschaffenen Mutter.
Gertrud, die Frau eines Maurers zu Bonnal, war noch
allein bei ihren Kindern. Die Vorfälle der Woche und der
kommende festliche Morgen erfüllten ihr Herz. Zn sich selbst
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136
desselben, indem sie es in der Zucht und Vermahnung
zum Herrn erziehen. Ephes. 6, 4. Darum: 2 Mos. 20, 12:
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Sir. 3, 9.:
Ehre sie mit der That, mit Wort und Geduld. Denn des
Vaters Segen rc. Und weiter: Sir. 7, 29. 30. Ephes. 6,
1—8. 1 Tim. 5, 4. und Sir. 3, 14.
71. Das Bild der Mutter.
Meine Mutter war ein Bild der Liebe, der Demuth und
der stillen Gottergebenheit, wie kaum eine andere Frau, welche
ich gesehen habe. Das war eine Liebe, welche wenig Worte
machte, sondern immer nur in ihrem Herzen sprach: Herr Jesu!
ich, deine arme Magd, will ganz deine sein; hier bin ich, leite
du mich nach deinem Wohlgefallen. Dieser stillen Seele schien
Alles, was dem Zorn, dem Haß, ja nur dem heftigen Unwillen
gleichet, gänzlich ftemd, ja unmöglich zu sein: und ich habe nie
ein hartes Wort über ihre Lippen gehen hören. Wenn der
Vater, in dessen Natur eine starke Anlage zu heftigen Aufwal-
lungen lag, je zuweilen aus menschlicher Schwäche auch ein heftiges
Wort gegen sie sprach, da schwieg sie wie ein Lamm, that ihren
Mund nicht auf. Mit den Dienstboten und Arbeitern zankte
sie nie, sondern verwies ihnen das, was unrecht war, mit sanf-
tem Ernst. Sie urtheilte nie hart über einen abwesenden
Menschen, und mochte dieß Urtheilen auch an Andern nicht
leiden. Und dennoch hat wol selten eine Frau in ihrer ganzen
Umgebung so viel willige Unterwürfigkeit und Gehorsam, so viel
Ehrfurcht und Liebe gefunden als diese. Viele rohe Dienstboten
wurden in ihrem Haushalte gar bald sanft und gut und von
dem Geiste der Gottesfurcht, des Fleißes und der Ordnung
ergriffen, der von der Frau des Hauses ausging. Unser lieber
Herr hat unter seinen Menschen zuweilen Gefäße bereitet, durch
welche er nur wohlthun und segnen, gar nicht strafen will. Ein
solches Gefäß der Liebe und des Segens war meine Mutter.
Sie vermochte selbst uns Kinder nicht auf die gewöhnliche Art
zu strafen; sondern dieses Strafamt übte der Vater stark und
kräftig; die Mutter aber ward durch unsere Unarten nur betrübt
und in sich gekehrt; und wenn wir Kinder dieß bemerkten, that
es uns weher, als des Vaters Zucht und Strafe; denn wir
hatten die Mutter gar lieb. Zuweilen aber, als die Kinder
größer, und den gewöhnlichen Strafen entwachsen waren, sprach
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geschrei ihres Antonio sie auf. Sie stürzte vor die Hütte und
sahe mit Beben, wie er die kleine zitternde Franziska herbei-
führte, und hörte mit Erstarren, wie er von Weitem rief:
„Mutter, sieh' nur, wie Franziskas Hand da blutet! Eine
Natter hat sie gebissen." Ach Franziska, meine Franziska, eine
Natter! Gott, warum ließ ich sie hier spielen! Hülfe! Ret-
tung !" Das war Alles, was sie mit verschlungenen Armen
ächzte, das war es, was sie einem eben vorüber eilenden Manne
in gebrochenen Worten stammelte. „Junges Weib," sagte der
Wanderer, „ich kann nicht weilen; mein Vater liegt in jenem
Dorfe todtkrank; auch habe ich nur einen Rath: Seht, wo ihr
einen Hund bekommt, der ihr das Gift aus der Wunde saugt,
aber geschwind, geschwind! Sonst weiß ich mchts." Mit die-
sen Worten ging der Mann vorüber und Clementine taumelte,
wie vom Schwindel überfallen, und die Verzweiflung zuckte
auf ihrem blassen Gesichte. Doch nach einem Augenblicke
ward ihr Antlitz heiterer; sie erhob sich schnell und fteudig, wie
wenn man Rettung sieht. „Ein Hund das Nattergift aus
ihrer Wunde saugen?" sagte sie, „das wird ein Hund nicht
thun, aber eine Mutter kann es, eine Mutter thut es!" und
hastig zog sie ihre Tochter an sich, als ob sie von einem Ab-
grund sie wegriß, und drückte die sanften Lippen auf die Wunde
und sog, und sog so innig und lange, als könnte sie hundert-
jähriges Leben aus dieser Wunde saugen. Indem sah Antonio
den Vater sich nähern, stürzte ihm entgegen und erzählte ihm,
was geschehen war und was die Mutter jetzt thue. Vor Ent-
setzen erbleichte der junge Mann und wankte und hielt sich an
dem nächsten Baume. „Was machst du, Vater?" rief der
Knabe, und sprang auf ihn zu, als wollte er ihm helfen; aber
noch ehe er ihn umfaßte, bebte er wieder zurück vor einer tod-
ten Schlange, die er jetzt an des Vaters -Stab gewunden
erblickte und stammelte: „Ach, die Natter war es, ja, so eine
Natter hat unsere liebe Franziska gebissen!" „Nun Gottlob!
Gottlob!" jauchzte der Vater; „das ist keine Natter, das ist
eine unschädliche Schlange, die Niemanden tobten kann." Mit
nassen Augen erreichte er die Hütte, umfaßte die Tochter mit
der Mutter und schloß sie lange an seine Brust und rief mit
trunkener Freude: „Böses, treffliches. Weib, wie hast du mich
erschreckt! Aber Gott sei Dank, die Schlange war nicht giftig;
der Herr sei gepriesen, wir bleiben noch beisammen! und deine
Mutterliebe werde ich nie vergessen, und keins von deinen Kin-
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Extrahierte Personennamen: Franziska_herbei- Franziskas Franziska Franziska Antonio Franziska
158
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ten Alters Freudenthränen weinest, wenn du dann gen Himmel
blickest und freudig mich segnest, ach, was empfinde ich dann,
Vater! Ach, dann schwillt mir die Brust, und häufige Thrä-
nen quellen vom Auge. Da du heute an meinem Arm aus
der Hütte gingst, an der erwärmenden Sonne dich zu erquicken,
und die frohe Heerde um dich her sahest und die Bäume voll
Früchte,, und die fruchtbare Gegend umher, da sprachst du:
„meine Haare sind unter Freuden grau geworden, seid mir ge-
segnet, Gefilde! Nicht lange mehr wird mein dunkelnder Blick
euch durchirren; bald werde ich euch gegen seligere Gefilde ver-
tauschen!" Ach, Vater, bester Freund, bald soll ich dich ver-
lieren ? Trauriger Gedanke! Ach, dann, — dann will ich einen
Altar neben dein Grab hinpflanzen, und dann, so oft ein seliger
Tag kommt, wo ich Nothleidenden Gutes thun kann, dann will
ich, Vater, Milch und Blumen auf dein Grabmal streuen."
Jetzt schwieg er und sah mit thränendem Aug' auf den
Greis. „Wie er lächelnd da liegt und schlummert!" sprach er jetzt
schluchzend. „Es sind von seinen frommen Thaten im Traume
vor seine Seele gestiegen. Wie der Mondschein sein kahles
Haupt bescheint und den glänzend weißen Bart! O, daß die
kühlen Abendwinde dir nicht schaden und der feuchte Thau!"
Jetzt küßt er ihm die Stirne, sanft ihn zu wecken, und führt
ihn in die Hütte, um sanfter auf weichen Fellen zu schlummern.
G c ß n e r.
84. Die Sorgen des Lebens.
An einem Frühlingsmorgen führte der königliche Sänger-
David seinen Sohn Salomon auf die Höhe von Zion, um
ihm den Aufgang der Sonne, den der Knabe noch nicht gesehen,
zu zeigen. Noch war es Dämmerung und dichte Thauwölkchen
schwebten über den Thälern und Fluren, die sich _ unter ihnen
hinzogen und ausbreiteten, und netzten aus ihrer Fülle das Land.
„Was ist das? Vater," sprach der Knabe, als er an jedem
Blümchen Thautröpschen hängen sah, „haben die Blumen
geweint?" — „Das wol nicht," mein Sohn," erwiderte
der Vater, „die Blumen können nicht weinen; auch hätten
sie keinen Grund dazu. Das ist himmlischer Thau, der
sie erquickt und für die Hitze des Tages stärkt. Nur der
Mensch weint, wenn er in der Nacht des Lebens nach der Sonne
sich sehnt, daß sie seinen Weg erleuchte. — Aber auch für ihn
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seiner Brüder und Halbbrüder, des Rums, des Liqueurs, des
Grogs des Punsches, des Thee- und Kaffeepunsches, und wie
sie weiter heißen. Schaut nur um euch! Habt ihr sie denn
mcht gesehen, und könnt ihr sie nicht täglich sehen die Männer
und Frauen, die im kräftigsten Lebensalter nicht wehr angestrengt
arbeiten können, weil ihre Kraft gebrochen ist? Der Brannt-
wein brach sie! Habt ihr sie nicht gesehen, und könnt ihr sie
nicht leider zu oft sehen, die kahlen ausgeleerten Wohnungen,
in denen kaum noch ein Stuhl und ein Tisch und ein Stroh-
lager, ein Topf, aber kein Bett, kein Schrank, kein Sonntags-
rock, keine Bibel, kein Vaterunser, kein Christusbild an der
Wand gesehen wird? Wer hat die Wohnung so leer gemacht?
Das that die Branntweinsflasche. Durch sie ist dieß Alles
hindurch und in die Leihhäuser gegangen. Habt ihr sie nicht
gesehen, und könnt ihr sie nicht leider zu oft sehen, die wankenden
und schwankenden Menschen, denen die Straße nicht breit genug
ist, und hinter welchen die Gaffenbuben herschreien? — Wer
hat sie so herabgewürdigt zu den Thieren, wer hat sie um ihre
Ehre gebracht vor den Menschen? Das hat der Branntwein!
Und wessen sind die schmutzigen, zerlumpten Kinder, mit unge-
kämmten Haaren, vor Hunger eingefallenen todtblassen Wangen?
Ach, es sind die Kinder einer sich oft in Branntwein berauschenden
Mutter, die sie hinausstieß auf die Straße zum Betteln. — Und
wer schaut denn dort so ängstlich hinunter in den Keller, aus
welchem wildes Geschrei herauftönt, und erzittert und erbebt bei
jedem neuen Getobe? Das ist eine liebende Frau. Sie suchet
den ihr noch so theuern Mann, und darf sich doch nicht zu ihm
hineinwagen in das wilde Gelag, damit sie nicht verhöhnt und
weggestoßen werde. Sie steht in dunkler, feuchter Nacht da,
ob sie auch vor Kälte zittert, sie steht da und harrt, ob der
Mann nicht herauskomme, daß sie ihn bitten könne, mit heim
zu kehren, zu den verlassenen Kindern, die sich nach dem lieben
Vater sehnen. — Und wen trägt man da hinab von dem wilden
Tanzsaal? Es sind Verwundete. Als der Branntwein die
Köpfe erhitzte und die Besinnung geraubt hatte, — da wurden
die Messer gezogen und die Flaschen geworfen und Menfchenblut
vergossen. —• Und wen trägt man dort aus dem Keller als
Leiche herauf? Es ist ein sonst achtbarer Bürger, ein sonst
thätiger Handwerker, ein sonst friedlicher Gatte, ein Vater von
vier Kindern. Aber gestern ging er aus einem Wirthshause in
das andere, und als er nun zuletzt in diesen Keller kam, mußte
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TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T91: [Haus Fenster Wand Stein Dach Zimmer Holz Feuer Raum Decke], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff]]
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190
gestrengt, als jetzt. Der Branntwein ist dem Handwerker und
Tagelöhner nicht nöthig. Die Irländer, welche noch vor
wenigen Jahren vielen Branntwein tranken und viel faullenzten,
haben ihn abgelegt und arbeiten jetzt viel fröhlicher und ange-
strengter als sonst, und es findet sich seitdem in Irland weniger
Streit und Zank, weniger Diebstahl und Raub und Todtschlag.
Und so ist es überall: in Amerika, in England, in Deutschland,
wo man dem Branntweintrinken entsagt. Und anders kann es
nicht sein; denn die Geschichte der Zuchthäuser beweist, daß drei
Viertel aller Derer, welche in ihnen ihre Verbrechen büßen,
durch den Branntwein zu dem Verbrechen verleitet sind. Der
Branntwein ist selbst bei der allerhöchsten körperlichen Anstren-
gung, der Anstrengung der Matrosen und Seefahrer auf zer-
brechlichem Schiffe im tobenden Sturme, nicht stärkend und
wohlthätig, sondern schwächend und verderblich. Dieß ist durch
viele Erfahrungen so ausgemacht, daß Schiffe, die keinen Brannt-
wein mit an Bord nehmen, in Amerika wohlfeiler versichert
werden, als die, auf welchen den Seeleuten Branntwein ge-
geben wird."
„Diejenigen, welche den menschlichen Körper am besten
kennen und am besten wissen, was ihm nützt und schadet, das
sind doch wol die Ärzte, und diese erklären fast einstimmig den
Branntwein für ein Gift, ein schwächendes, zum Wahnsinn füh-
rendes, langsam tödtendes Gift. Ja, dieses Gift des Brannt-
weins tobtet jetzt mehr Menschen, als in den Kriegen fallen.
„Von Trunkenschaft sind mehr verdorben, als jemals durch das
Schwert gestorben."
„„Und so bleibet es nun dabei, sagt der Gnomon: Wer
einen Menschen zum Branntweintrinken auffordert, der thut etwas
Bedenkliches, und wer einen Menschen verreizt, sich zu betrinken,
der thut etwas Böses. Merken sich alle Leute das, insonder-
heit alle Schenkwirthe und Ehefrauen.""
„Wenn uns aber die Waffe der Mäßigkeit vor diesem
Feinde nicht schützet, so ist dagegen die Enthaltsamkeit ein
stählerner, fester und undurchdringlicher Schild. Er beschützt
sicher, durch ihn können selbst die schärfsten Pfeile nicht durch-
dringen. Wer diesen Schild trägt, d. h. wer gar keinen Brannt-
wein trinkt, der und nur der ist gesichert vor seinem Gifte und
Verderben. „Gib dem Teufel, sagt das Sprichwort, den kleinen
Finger und er ergreift bald deine Hand, deinen Arm und zieht
dich mit gewaltiger Kraft zu sich herab in die Hölle,"
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