§ 87. Die preußischen Provinzen.
183
Insel lag, den einzigen bequemen Übergangspunkt fand. Dazu kommt
die historische Entwicklung. Schon Kurfürst Friedrich Ii. hatte mit
klarem Blick die Bedeutung der Lage der Doppelstadt Berlin-Kölln
erkannt und erbaute auf der Spreeinsel, in Kölln, seine Burg, das
heutige Schloß. Mit dem Anwachsen Brandenburg-Preußens unter
dem ruhmreichen Zepter der Hohenzollern entwickelte sich auch Berlin.
Nach dem 30 jährigen Kriege eine Stadt von etwa 6000 Einw., zählte
es 1688 schon 20000, 1786 150000, 1888 1400000 Einw., heute
hat es ohne die Vororte über 2000000 Einw.
Den Kern der Stadt bildet st. o.) die Spreeinsel Alt-Kölln, auf
der das Königl. Schloß, der Lustgarten, der Dom und mehrere
Museen liegen. Von hier führt die Kurfürstenbrücke (Schlüters
Denkmal) zur Königsstadt (Alt-Berlin) mit dem Rathaus, nach W. die
Schloßbrücke zum Platz am Opernhause und den „Linden", hier
Ruhmeshalle (Schlüter), Universität, Palais Kaiser Wilhelms I.,
Opernhaus, Denkmal Friedrichs d. Gr. (Rauch). Die Linden
werden in sn. Richtung von der Friedrichstraße gekreuzt, die sich nach
S. im Belle-Allianceplatz und in der Belle-Alliancestraße bis
zum Kreuzberg (Denkmal der Befreiungskriege) und dem Tempel-
hofer Felde (Exerzierplatz der Berliner Garnison) fortsetzt. Eine zweite
Kreuzung der Linden bewirkt die gleichfalls vom Belle-Allianceplatz
ausgehende Wilhelm straße, die Straße der Ministerien und des
Reichskanzlerpalastes, von dem aus Fürst Bismarck während dreier Jahr-
zehnte die Politik Europas lenkte. Am Ende der Linden das Branden-
burger Tor und vor diesem der Tiergarten mit der Siegesallee,
n. der Königsplatz mit dem Reichstagsgebäude. Parallel mit
den Linden, die Friedrich- und Wilhelmstraße durchschneidend, läuft die
Leipziger Straße, mit der Friedrichstraße die vornehmste Geschäfts-
und Verkehrsstraße Berlins. Zur Verbindung des oft- und westdeutschen
Eisenbahnverkehrs, dessen Hauptknotenpunkt Berlin ist (Paris—köln
—Petersburg), dient die die Stadt durchquerende Stadtbahn.
4. Pommern, das Küstengebiet der Ostsee mit den Oder-
Mündungen. Hinterpommern wenig, Vorpommern sehr fruchtbar. Acker-
bau, Schaf- und Gänfezüchtereien (Rügenwalde); an der Küste Fischerei
und Fischräuchereien (Aalbeck).
Reg.-Bez.: Köslin, Stettin, Stralsund.
In Hinterpommern: Köslin und Kolberg (Nettelbeck), Seebad.
An der Oder, etwa 2% Stunden von der Mündung, Stettin,
223000 Einw., der Seehafen Verlins (Plan eines Großschiffahrtskanals
nach Berlin), sein Handel hauptsächlich mit Schweden-Norwegen und
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TM Hauptwörter (100): [T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T10: [Stadt Berlin Hamburg Elbe Einw. Magdeburg Stettin Festung Lübeck Provinz]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Wilhelms_I. Wilhelms_I. Friedrichs Wilhelm Fürst_Bismarck Nettelbeck
Extrahierte Ortsnamen: Doppelstadt_Berlin-Kölln Berlin Alt-Kölln Alt-Berlin Friedrichs Belle-Allianceplatz Belle-Alliancestraße Kreuzberg Belle-Allianceplatz Europas Berlins Berlin Hinterpommern Stettin Stralsund Hinterpommern Kolberg Stettin Berlin
§'80. Die deutschen Mittelgebirgslandschaften.
163
gärten, saftige Wiesen begleiten seinen Lauf, bis er zwischen Schwarz-
wald und Odenwald hindurch bei Heidelberg in die Rheinebene tritt.
Er nimmt von r. Kocher und Jagst, von l. die aus dem Schwarz-
wald kommende Enz (Wildbad) auf.
2. Der Deutsche Jura.
Der Schwäbische Jura nimmt am Südabhange des Schwarz-
waldes seinen Anfang und streicht, das l. Donauufer begleitend, in nö.
Richtung bis Donauwörth. Hier beginnt, in mehr n. Richtung ver-
laufend, der Fränkische Jura bis zum oberen Main.
Die Höhen des Jura steigen besonders im N. mauerartig an,
während sie oben ein einförmiges, wasserarmes, dünnbevölkertes Plateau
bilden. Um so lieblicher erscheinen die tiefeingeschnittenen Täler.
Der Jura besteht größtenteils aus einem der Juraformation an-
gehörenden Kalkstein, während ihm im Sw. einige vulkanische Er-
Hebungen vorgelagert sind, so der aus basaltischem Gestein (Klingstein)
bestehende 700 m hohe Hohentwiel.
Im Kalkstein des Jura hat man zahlreiche Höhlen gefunden
(Tropfstein), in denen für die Paläontologie*) höchst wertvolle Fossilien-
funde*) (Archaeopterix) gemacht worden sind. Besonders wichtig ist
die Gegend von Solnhofen. Der Solnhofener Schiefer findet in der
Lithographie Verwendung.
Der mittlere Teil des Schwäbischen Jura heißt die rauhe Alp,
von ihren nach N. steil abfallenden Höhen schauen eine Reihe Ruinen in
das Neckartal hinab (Achalm, Teck, Hohenstaufen). Zu den Höhlen auf
der Nordseite gehört die Nebelhöhle bei Reutlingen und in ihrer
Nähe Schloß Lichtenstein (Hauff). Im s. Teile ragt die neuerbaute
Burg Hohenzollern in die Lande hinaus.
3. Schwarzwald, Odenwald und Spessart.
Siebildendie w.umwallungdesschwäbisch-Fränkischenhügellandes.
Während der Schwarzwald (Geologisches s. Nr. 4 Oberrheinische
Tiefebene) sich vom Neckartal in welligen Hügeln erhebt, steigt er auf der
W.-Seite aus der Rheinebene in imposanten, steilen Höhen empor. Seine
mit prächtigen Tannenwaldungen bedeckten Kuppeu und Täler machen
vielfach einen ernsten, düstern Eindruck, doch fehlen daneben auch freund-
liche grüne Matten und liebliche Seen nicht. An Höhe nimmt er nach S.
zu. Hier seine höchste Erhebung im Feldberg (1500 m). Vom Feld-
berg gehen mehrere zum Teil wildromantische Täler nach S., so das
Wiesetal, das Wehratal. Von W. nach O. durchschneiden zwei Bahnlinien
*) s. § 65.
Ii*
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104
§ 46. Die Apenninenhalbinsel oder Italien.
alter war Venedig eine überaus mächtige und durch Handel reiche
Republik, die in Italien, Dalmatien und Griechenland ansehnliches
Besitztum hatte. Prächtige Bauten, darunter die Markuskirche und
der Dogenpalast. Alte Universitätsstadt Padua; das stark befestigte
Verona.
2. In Mittelitalien:
a) Toscana mit Florenz, 205000 Einw., und der Seestadt
Livorno, 98000 Einw. — Zu Toskana gehört auch die Insel Elba
mit Eisensteingruben und Thunfischfang, einst einige Monate das Fürsten-
tum des gestürzten Kaisers Napoleon I.
d) Latium oder Provinz Rom, einen Teil des früheren Kirchen-
staates umfassend; denn der Papst war früher nicht nur, wie noch jetzt,
das sichtbare Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, sondern zugleich
als Beherrscher des Kirchenstaates weltlicher Fürst. Jetzt indessen um-
faßt sein weltliches Herrschaftsgebiet nur noch in Rom den vatikanischen
Palast, die Kirche St. Johann im Lateran und in den Albaner Bergen
ein Lustschloß.
Rom (465009 Einw.), in mancher Beziehung die merkwürdigste
Stadt der Welt, seit 1870 Hauptstadt des Königreichs Italien, liegt
zum größten Teile auf dem linken Ufer des Tiber, zum kleineren auf
dem rechten. In diesem kleineren Teile steht die Peterskirche, die
größte auf Erden, der Vatikan, des Papstes Palast, und die Engels-
bürg, früher Roms Zitadelle. In dem Teile auf dem linken Ufer
liegt der Quirinal, die Residenz des Königs. Die zahlreichen Über-
reste des Altertums, herrliche Werke der neuen Kunst, großartige
Feierlichkeiten an bestimmten kirchlichen Festtagen ziehen immer eine
große Menge von Fremden nach Rom. — Tivoli, in der Nähe von
Rom, mit den Kaskaden des Teverone in den Sabiner Bergen.
3. In Unteritalien:
a) Kampanien. Die schönste Gegend darin ist die am Golf
von Neapel. Hier, in wundervoller Lage, Neapel, die volkreichste
Stadt von ganz Italien, 565 000 Einw. Vor dem Golf von Neapel
liegen die lieblichen Inseln Jschia (iskia) und Capri mit der Blauen
Grotte.
d) Apulien, die Küste des Adriatischen Meeres, f. vom Monte
Gargano. Am wichtigsten der Hafenort Brindisi, wo sich an die
hierher führenden Eisenbahnen die überseeischen Schiffahrtslinien nach
dem Orient anschließen.
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Extrahierte Personennamen: Napoleon_I. Johann
Extrahierte Ortsnamen: Italien Italien Dalmatien Griechenland Padua Verona Mittelitalien Florenz Toskana Elba Latium Rom Rom Rom Italien Peterskirche Vatikan Rom Rom Unteritalien Kampanien Neapel Neapel Italien Neapel Capri Apulien Adriatischen_Meeres Brindisi
Der Neubau Preuens.
203
Iii. Die Befreiungskriege. 1813-1815.
Der Neubau Preuens.
\ 213. Die Staatsverwaltung des Freiherrn vom Stein. 18071808.
Der preuische Staat war in den Jahren seit dem Tilsiter Frieden unter dem Einflu hervorragender Männer, wie Stein, Scharnhorst, Hardenberg, und ihrer mutigen und begeisterten Mitarbeiter ein anderer geworden, als er vordem gewesen war. Die Verwaltung war reformiert, die sozialen Verhltnisse umgestaltet, das Heerwesen auf eine neue Grundlage gestellt worden; zudem hatte der Geist der Nation unter dem erschtternden Eindruck des Zusammensturzes des angestammten Vater-landes eine tiefgehende Wandlung erfahren.
Freiherr Karl vom und zum Stein stammte aus einem reichs- 6tetn-ritterlichen Geschlecht. Er war zu Nassau an der Lahn geboren; unweit der Ruine seiner Stammburg schaut heute von einem Bergvorsprung sein Denkmal ins Tal hinab. Er war unter Friedrich dem Groen in den preuischen Verwaltungsdienst getreten und zuerst im Bergwesen angestellt worden. Darauf war er allmhlich zur Stellung eines Oberprsidenten der westflischen Landesteile und zu der eines Ministers emporgestiegen. Als solcher hatte er 1806 die Staatskassen nach Ostpreuen gerettet und war dem König selbst dorthin gefolgt. Dann hatte er infolge eines Zerwrfnisses mit dem König seinen Abschied erhalten. Nach dem Tilsiter Frieden aber berief ihn Friedrich Wilhelm zurck und bertrug ihm die ober st e Staats-l e i t u n g. Er war ein stolzer, hochsinniger, idealgerichteter Charakter, von ^ gewaltiger Kraft des Willens, von tiefer, echter Frmmigkeit, ganz deutsch gesinnt und ganz erfllt von dem Glauben an sein Volk. Als er an die Spitze der preuischen Regierung trat, war sein Streben auf das Hchste gerichtet: nicht nur die Formen der Verwaltung, sondern den Geist der Bevlkerung wollte er umwandeln, sie mit dem Geiste der Vaterlands-liebe, mit dem Bewutsein ihrer Pflichten gegen den Staat erfllen, in ihr das Gefhl der politischen Verantwortlichkeit wecken. Das alte Preußen, in dem Gehorsam die einzige Pflicht der Unter-tanen gewesen war, sollte zu Grabe gehen; ein neues Preußen sollte entstehen,
getragen von der Opferwilligkeit, der verstndnisvollen Mitarbeit, dem Ge-meingeist der Brger.
Die erste Reform, die unter feiner Leitung durchgefhrt wurde, war die Befreiung Befreiung der Bauern. Die Bauern "waren in Preußen wie in anderen deutschen Staaten nicht frei, sondern standen in einem Unter-
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl Friedrich Friedrich Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Derfflinger. 155
Glaube. In Augenblicken der Noth und Gefahr, wo Gründe und Gegengründe der Politik nicht mehr ausreichten, in den schlaflosen Nächten, die dann folgen, fleht er zu Gott, ihn finden zu lassen, was das Beste sei, und an dem, was ihm dann eingeleuchtet, hält er als von Gott eingegeben fest.
Sein vertrautester Rathgeber war während des größten Theiles seiner Regierung Otto von Schwerin, welcher als erster Minister die Stelle des ehemaligen Kanzlers mit dem Titel eines Oberpräsidenten und dem höchsten Range unter allen Beamten einnahm. In militärischen Dingen aber erhielt er an dem berühmten Derfflinger eine wackere Stütze. Bei diesem, als dem ersten berühmteren preußischen Generale, wollen wir hier einen Augenblick verweilen.
Derfflinger kam als armer Schneidergesell in seinem sechszehnten Jahre aus der Lehre und wollte von Tangermünde über die Elbe seinen Weg nach Berlin nehmen, die Schiffer aber wiesen ihn zurück, weil er kein Geld hatte, die Uebersahrt zu bezahlen. Traurig am User stehend sah er, daß viele Leute unentgeltlich übergesetzt wurden; er fragte, was das für Leute seien, und erhielt zur Antwort: Kriegsleute, die kämen überall frei durch. Da meinte Derfflinger, so wäre es ja besser, in der Welt ein Kriegsmann zu sein, als ein Schneider, warf unwillig sein Bündel mit dem Handwerkszeuge in den Strom und ließ sich auf der Stelle als Reiter anwerben. Wo er zuerst Kriegsdienste genommen, ist unbekannt: später trat er in sächsische Dienste, wo er, durch Muth und gutes Verhalten ausgezeichnet, bald zum Offizier befördert wurde Er begab sich im Jahre 1631 unter Gustav Adolph's Fahnen, und seine Tüchtigkeit muß sich dort glänzend bewährt haben, denn schon im Jahre 1635 finden wir ihn als schwedischen Obristlieutenant erwähnt. Er wohnte allen wichtigen Kriegsthaten der Schweden bis zum westfälischen Frieden bei; dann wurde er mit dem größten Theile des schwedischen Heeres mit reicher Belohnung entlassen. Seitdem lebte er in der Mark, wo er sich verheirathet hatte. Bald sollte er seinem neuen Vaterlande als Feldherr große Dienste leisten.
Der Kurfürst bedurfte, als zwischen Schweden und Polen Krieg ausbrach, eines tüchtigen Anführers seiner Truppen, und trat mit Derfflinger in Unterhandlung; dieser stellte seine Bedingungen sehr hoch, wurde aber mit dem Fürsten einig und trat im Jahre 1655 als Generalwachtmeister in bran-denburgische Dienste: seine alte Bekanntschaft unter dem Kriegsvolke, das ehemals unter den Schweden gedient, verschaffte dem Kurfürsten viele tüchtige Offiziere, sein Name, wie seine kundige Thätigkeit förderten die Wer--bungen, und seine Anordnungen trugen viel zur Ausbildung der jungen Kriegsmacht bei, deren Stärke, Ordnung und Ausrüstung bald alle Welt in Erstaunen setzte. In den folgenden Kriegen zeichnete er sich besonders als trefflicher Reitergeneral überall höchst Vortheilhaft aus, und schon im Jahre 1657 wurde er mit großer Anerkennung seiner Dienste und Fähigkeiten zum Generallieutenant der Reiterei ernannt, bald darauf zum Geheimen Kriegsrathe, in welcher Eigenschaft er die Leitung des gesammten Kriegswesens erhielt. Im Jahre 1670 aber wurde ihm wegen seiner großen Verdienste um das Heer die höchste Würde in demselben zu Theil; er wurde zum Feldmarschall ernannt. Wiewohl er wegeu seines eigensinnigen, störrigen Wesens dem
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Extrahierte Personennamen: Derfflinger Rathgeber Otto Derfflinger Muth Gustav_Adolph's Gustav
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
224 Sorge für Die stabte und Gewerbe.
auf dem Throne, den erhabenen Berus, ein Schirmherr der Protestanten von Deutschland zu sein, und nachdem ihm seine geistlichen Räthe versichert, daß die Salzburger keine Schwärmer, sondern ehrliche Lutheraner seien, erklärte er ihnen, er wolle sie, wenn ihrer auch etliche Tausend wären, in seinem Lande aufnehmen. Er begnügte sich nicht, ihnen freien Landbesitz in Preußen mit allen Rechten und Vortheilen anderer Colonisten zuzusichern, sondern schickte ihnen auch Reisegeld auf die ganze Dauer der Reise. Die Auswanderer schlugen dann in freudigem Gottvertrauen den Weg nach Berlin ein, wo sie feierliches Glockengeläute, sowie das Wohlwollen des Königs, seiner Familie und der ganzen Bevölkerung empfing. Ihre Zahl wuchs bis über 15,000, und sie siedelten sich fast sämmtlich in Preußen, besonders in Lit-thauen, um Memel, Tilsit, Gumbinnen und Insterburg an, wo ihnen guter Acker, Wiesen, Weide, Fischerei und Wälder überlassen, auch das nöthige Vieh und Acksrgeräth großentheils unentgeltlich gewährt wurde. Auch Kirchen und Schulen errichtete ihnen ihr neuer Landesfürst, und that überhaupt Alles, um ihnen die preußische Heimath so lieb zu machen, wie die frühere. So erhob sich an den Grenzen des Reiches eine neue Schöpfung, und im Jahre 1799 konnte der Kronprinz Friedrich voll Freude schreiben: „Die Erde ist wieder angebaut, das Land bevölkert; bet König hat es weder an eigener Mühe, noch an dem, was Andere antreiben kann, fehlen lassen, keinen Aufwand hat er erspart, Hunderttausend denkender Wesen verdanken ihm ihr Dasein oder ihr Glück."
Der Anbau der Städte erfreute sich ebenso wie der Landbau der fürsorglichen Theilnahme des Königs: besonders die Hauptstadt Berlin. Die Friedrichstadt wurde um die Hälfte erweitert, die großen Plätze in der Mitte der Stadt, welche jetzt wegen ihrer Schönheit bewundert werden, die prächtige Wilhelmsstraße mit ihren Palästen wurden damals angelegt. Der König versuhr dabei zum großen Theile mit einer gewissen Härte, indem er wohlhabenden Bürgern geradezu befahl, neue Häuser zu bauen. Er wies den Leuten Plätze an, gab ihnen allenfalls auch einen Theil des Baumaterials, und nun mußten sie ohne Widerrede an den Bau heran. „Der Kerl hat Geld, muß bauen," hieß es beim Könige, und da waren alle Gegenvorstellungen unnütz oder sogar gefährlich. — Noch mehr geschah für Potsdam, welches durch den Willen der branbenburgischen Fürsten ans einem morastigen Boben, den man erst mühsam ausfüllen mußte, zu künftiger Herrlichkeit entstanb.
Der Wohlstanb der gewerbtreibenben Klassen und die Hebung des vater-länbischen Gewerbfleißes lagen dem Fürsten gleichfalls sehr am Herzen. Es war ihm ein Aergerniß, daß so viel Gelb aus seinem Lanbe nach Frankreich, Hollanb und England für die von bort gekauften Waaren ging: das sollte anders werben. Um das Gelb im Lanbe zu erhalten und zugleich die gesunkenen Gewerbe wieber zu beleben, verorbnete er zunächst, daß alle Bekleibnngs-stücke seiner Soldaten nur aus einheimischer Waare gefertigt werben sollten; balb legte er auch den übrigen Unterthanen die Pflicht auf, sich bei ihrer Bekleidung blos preußischer Wollenstoffe zu bedienen. Er kannte die Mittel, sich Gehorsam zu verschaffen, und brachte es dahin, daß bald Niemand mehr an die fremden Waaren dachte. Es lag ihm besonders an der Hebung der Wollmanusaklur in feinen Landen; bamit aber die Tuchmacher den ihnen ge-
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Berlin Tilsit Gumbinnen Insterburg Berlin Potsdam Frankreich England
— 54 —
junger, lebensfroher Fürst war ans Ruder gekommen. Jetzt folgte ein Fest dem andern. Joachim Ii. war ein streitbarer Held. Im Süi'fenfrtege hatte er feine Äorbeeren gewonnen, genau fo, wie^s ihm die Hähne durch ihr Krähen beim Auszug aus Berlin einst geweissagt hatten. Er war aber noch mehr ein Freund von glänzenden Feierlichkeiten. Die Bewohner von Alt-Kölln wußten von seinen Ritterspielen zu erzählen. Die prunkvollen Feste dieses Herrschers konnten daher nicht mehr in dem engen, finstern Schlosse zu Kölln abgehalten werden: ein Neubau erschien als dringende Notwendigkeit, und damit wurde Kaspar Theiß, ein berühmter Architekt aus Sachsen, beauftragt. Er löste würdig die ihm gewordene Aufgabe. Bald erhob sich an der Stelle der alten Zwingburg ein heiter-schöner Bau im Stile der deutschen Renaissance, den wir unter Zuhilfenahme der noch vorhandenen Reste und alter Abbildungen im Geiste uns wohl noch wiederherstellen können. Ein starker Turm lehnte sich an die Galerie, die den Palast mit dem auf dem heutigen Schloßplätze befindlichen, zweitürmigen Dome — dem leider verschwundenen schönsten Denkmal gotischer Architektur in Kölln — verband. Dann erblickte man das Vorderschloß, ein starkes, wehrhaftes Gebäude, an dessen hintere Front der „Wendelstieg" sich lehnte, ein Treppenhaus, „da man hinaufreiten konnte". In dem reich mit Altanen, verzierten Portalen und mit kleinen zierlichen Türmchen geschmückten Hinterschlosse befanden sich die prächtigen kurfürstlichen Gemächer. Das alles wurde von der hohen Schloßkapelle überragt. Reste' dieses Baues stehen noch heute an der Spreeseite des Königspalastes.
Oscar Schwcbcl (Die Sagen der Hohenzollern).
19. Die Burg Hohen-Ziatz.
Der Wetterhahn auf dem Giebel des Wohnhauses drehte sich in seinen verrosteten Angeln; der Mond sah durch die zerrissenen Wolken auf die alte Burg Hohen-Ziatz. Ein altes, verräuchertes Nest hätte es der Reisende bei Tage genannt. Auf einer Anhöhe, die aus den Sumpfwiesen vorragte, war es erbaut. Ringsum, wo die Gräben und Teiche aufhörten, zogen sich weite Föhrenwälder hin auf unebenem Boden, dessen Bestandteil, der helle weiße Sand, schon dicht neben dem schwarzen Moor-
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26. Das alte Berliner Rathaus.
Das Rathaus der vereinigten Städte Berlin und Kölln war ein hohes und stattliches Gebäude. Wie man weiß, führte die kurze Brücke, welche „die lange" heißt, ihren Namen damals mit mehr Recht. Sie verband Kölln und Berlin; aber da, wo sie heut an der Burgstraße endet, berührte sie vorerst eine morastige Insel, über die sie hinweg nach einem nun verschwundenen Spreearm führte, der durch die jetzige Heiligegeiststraße floß. Über diesen hinweg berührte ihr anderes Ende erst das eigentliche Berlin. Also war es gewiß eine lange Brücke. Mitten auf der langen Brücke nun, wo die Sümpfe und Weideplätze fürs Vieh waren und wo unten die Färber ihr Wesen trieben, da stand das gemeinschaftliche Rathaus. In der Hast aufgeführt, weil man's bedurfte, als die Städte sich vereinigten, war es nicht so fest und von dicken Steinen, als die großen Rathäuser in andern reichen Städten. Darum dauerte es auch nicht über das Mittel* alter hinaus, und es ist keine Spur davon übrig geblieben. Kaum die Untermauern und ein Teil des Erdgeschosses waren von Stein, und wo's war, waren's nur Backsteine. Das andere ruhte auf Pfahlwerk, und die Obergeschosse waren alle Fachwerk. Aber zur Zeit, wo beide Städte dieses Rathaus zu gemeinsamer Ehr' und Nutzen aufführten, baute man in Fachwerk nicht minder kühn und lustig als in Stein und Mörtel. Da fand man dieselben Formen in den himmelhohen hölzernen Häusern wieder, über die wir in den gotischen Baudenkmälern der Vorzeit aus Sandstein und Marmor staunen. Ja, die Laune erging sich noch wunderlicher und bunter in dem gefügigen Holze, da der Stein strengere Gesetze und Regeln vorschreibt. Die überragenden oberen Geschosse mit wunderbar geschnitzten Balkenköpfen, die ausgebauten Ecktürmchen und Söller, wodurch die engen Straßen oft ganz überdacht wurden: davon war nicht der Mangel an Raum allein der Grund; es war ebenso oft die Laune des Baumeisters, der im Himmel an Spielraum gewinnen wollte, was ihm auf Erden zu schmal zugemessen war. Diese Bauten waren auch gar nicht so gefährlich, wie man meint. Schaut euch doch um in den vielen hölzernen Städten unseres lieben Deutschlands. Drei-, vier-, fünfhunbert Jahre hat ein solches Holzhaus auf dem Rücken; freilich ist der Nerv kernige Eiche. Es krümmt sich auch wohl vom
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Extrahierte Ortsnamen: Berlin Berlin Berlin Deutschlands
— 88 —
vervollständigen und die Bauern der Ordensdörfer zum Überfall aus die Stadt Cölln aufzubieten.
Der Statthalter der Mark, Markgraf Johann, hatte gerade zu dieser Zeit eine Reise nach Palästina angetreten. Sein Stellvertreter, der Landeshauptmann von Bredow, griff befremdlicherweife nicht in die Angelegenheit ein, und so konnten die beiden erbitterten Parteien sie ungestört unter sich ausfechten. In der ersten Hälfte des September glaubte sich Nickel von Colditz stark genug, zur Ausführung der beabsichtigten Unternehmung schreiten zu können. Unter dem Wehen des Ordensbanners mit dem Johanniterkreuze brach er von Tempelhof in der Nacht mit 300 Rittern, angeworbenen Söldnern und den aufgebotenen Bauern der vier Dörfer gegen Cölln auf, um im Morgengrauen die Stadt zu überrumpeln.
Der Mauergürtel von Cölln bestand aus einer mit Weich-häufern und Türmen versehenen steinernen Mauer, die bis zur Scharrnstraße teils durch die Spree, teils durch einen mit ihr parallel gezogenen Graben, dann aber bis zu ihrem Endpunkt durch morastige Wiesen gesichert war. Der letztere Teil war mithin für die damalige Kriegsführung während des Sommers fast unangreifbar. Als der schwächste Punkt dieser Befestigung durfte das von keinem Turm geschützte Köpenicker Tor (an der heutigen Roßstraßenbrücke) erachtet werden, und in richtiger Erkenntnis dieses Umstandes wählte deshalb Nickel von Colditz diese Stelle zu feiner Angriffsfront, wobei er freilich die Rückzugslinie nach Tempelhof preisgab und die Anlehnung an die Spree ihn auch der Gefahr aussetzte, bei etwaigen Ausfällen der Belagerten gegen den Fluß gedrängt zu werden. Andrerseits hatte er jedoch den Vorteil, seine rechte Flanke durch den Hauptarm der Spree und seine linke durch die große Wasserschlenke gebeckt zu sehen, die sich seitwärts der heutigen Grünstraßenbrücke bis zur jetzigen Kürafsierstraße ausbehnte.
Da die Vorbereitungen zu dem Unternehmen nicht verschwiegen blieben, so waren die Bürger Cöllns und Berlins hinreichend veranlaßt, ihre Wachsamkeit zu verbvppeln und die Hilfe verbünbeter Städte heranzuziehen. Kaum hatte der Wächter auf der stäbtischen Warte in der Gegenb des Johannistisches das Signal von dem Anrücken des Feindes gegeben, als die
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Extrahierte Personennamen: Johann Johann Bredow Nickel_von_Colditz Colditz
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Glocken von St. Marien, Nikolai und Petri die Bürger zu den Waffen riefen. Während die Viertelsmeister ihre Abteilungen ordneten und demnächst die bedrohte Seite besetzten, sammelte sich die schwer geharnischte berittene Bürgerschaft und nährn Aufstellung in der Nähe des Gertrandtentores (an der heutigen Gertraudtenbrücke).
Inzwischen war der Komtur bis auf Bogenschußweite vor das Köpenicker Tor gerückt und hatte hier, also in der Gegend der jetzigen Alten Jakobs- und Roßstraßen-Ecke seine Scharen zum Sturme geordnet. In der vorderen Reihe standen die Bauern der Ordensdörfer mit Faschinen, Wollsücken, Schippen, Hacken und Äxten, zwischen ihnen die Träger mit den Sturmleitern. Darauf kamen die Söldner mit Lanzen, Morgensternen, Helle-barden und Schwertern; hinter diesen standen die Armbrustschützen und die Reiterei, deren größter Teil als Fußvolk focht. Colditz gab deu Befehl zum Vormarsch, und unter dein Schlachtruf des Ordens „St. Johann!" setzte sich die feindliche Sturm-kolonne gegen das Tor in Bewegung.
Der Bürgermeister von Cölln, Siegmund von Rathenow, der auf gegnerischer Seite den Befehl führte, ermunterte die Seinen zur Tapferkeit, und diese überschütteten die erste Reihe der feindlichen Kolonne derart mit Pfeilen und Steinkugeln, daß sie ins Wanken geriet und die Bauern die Flucht ergriffen. Inzwischen war die Reiterei der Städte durch das Gertraudtentor getrabt, hatte die Wasserschlenke, welche die linke Flanke der Johanniter deckte, umgangen und war im Rücken des Feindes erschienen. Da inan ihr Anrücken von den Türmen aus deutlich sehen konnte, so fielen im geeigneten Moment die Zugbrücken des Köpenicker Tores, und heraus stürzte unter Leitung ihrer Gewerksmeister das Fußvolk der Innungen. Die Söldner, die dem ersten Angriff ausgesetzt waren, wehrten sich tapfer: die Ritter eilten zu ihren Rossen, saßen auf und warfen sich der Reiterei entgegen. Längere Zeit schwankte der so entbrannte Kampf; auf beiden Seiten wurde mit gleicher Erbitterung gefochten. Endlich aber blieb dem Komtur nichts anderes übrig, als den Befehl zu geben, sich durchzuschlagen und den Rückzug anzutreten, wobei, ba die Richtung nach Tempelhof sich den Rittern verlegt fand, diese schließlich bett Weg nach Köpenick einzuschlagen gezwungen waren.
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Extrahierte Personennamen: Colditz Johann Johann Siegmund_von_Rathenow