91
zug vorüberziehen sah. Die folgenden Tage vergingen in regstem Fleiße.
Während ganz Deutschland für sein Leben zitterte,, widmete der Herrscher jede
Stunde den Staatsgeschäften, Nach einer scheinbaren Besserung im Befinden
des Kaisers traten bald starkes Fieber, Atemnot und Erstickungsanfälle ein und
verursachten dem hohen Kranken große Schmerzen. Einem Hofprediger, der
ihm Hoffnung auf Genesung einsprechen wollte, schrieb er auf ein Blatt Papier:
„Beten Sie nicht für meine Genesung, sondern für meine Erlösung." Dabei
verlor der Kaiser die Geduld nicht. Seinem Sohne und Nachfolger schrieb er
aus einen Zettel: „Lerne leiden ohne zu klagen; das ist das einzige, was
ich dich lehren kann." Am 14. Juni 1888 feierte die Prinzessin Sophie ihren
18. Geburtstag. Weinend sank sie am Bette des geliebten Vaters nieder. Der
Kaiser schrieb ihr mit zitternder Hand auf einen Zettel die Worte: „Bleibe
fromm und gut, lute du es bisher gewesen bist. Dies ist der letzte Wunsch
deines sterbenden Vaters." Wohlvorbereitet auf sein Ende, verschied der stille
Dulder am 15. Juni sanft und gottergeben, ein Held im Leben wie im Tode.
Die untröstliche Gattin sandte folgende Nachricht an die Kaiserin Augusta:
„Um deinen einzigen Sohn weint diejenige, die so stolz und glücklich war, seine
Frau zu sein, mit dir, arme Mutter. Keine Mutter besaß solchen Sohn. Sei
stark und stolz in deinem Kummer." In der Friedenskirche zu Potsdam fand der
stille Dulder seine letzte Ruhestätte.
Mlkelni Ii. (feil 15. Juni 1888.) „Allweg gm Zone!"
Jugend. Wilhelm Ii., der älteste Sohn Kaiser Friedrichs Iii. und seiner
Gemahlin Viktoria, wurde am 27. Januar 1859 zu Berlin geboren. Mit
sieben Jahren erhielt er Professor Dr. Hinzpeter zum Erzieher. Diesem seinem
Lehrer blieb er zeitlebens in Liebe und Dankbarkeit zugetan. Er zeichnete
ihn wiederholt glänzend aus und holte auch später noch oft seinen Rat ein.
Als Dr. Hinzpeter am 2. Januar 1908 in Bielefeld zur letzten Ruhe bestattet
wurde, eilte unser Kaiser mit seinem Bruder Heinrich herbei, ihm das letzte
Geleit zu geben. Nach seiner Konfirmation besuchte Prinz Wilhelm drei Jahre
das Gymnasium zu Kassel. Bei der Abgangsprüfung erhielt er eine der drei
Denkmünzen, die alljährlich an die drei besten Schüler verteilt werden.
Vorbereitung für den Lserrscherberuf. Als Prinz Wilhelm 18 Jahre
alt war, stellte ihn sein kaiserlicher Großvater als Leutnant beim 1. Garderegiment
zu Fuß ein. Später bezog er die Universität Bonn, wo er besonders Geschichte,
Rechts- und Staatswissenschaften studierte. Nach zwei Jahren wurde er Hanpt-
mann im 1. Garderegiment. Den Reiterdienst lernte er bei den Gardehusaren
kennen. Als sein Vater starb, war er bis zum Generalmajor aufgestiegen.
In all seinen Stellungen zeigte er sich äußerst pünktlich und gewissenhaft. Er
verlangte viel von feinen Untergebenen, sorgte jedoch auch viel für sie. Neben
dem Herrwesen suchte er aber auch die Staatsverwaltung kennen zu lernen, in die ihn
der damalige Oberpräsident von Brandenburg und vor allem Bismarck einführte.
Der t^ort des Friedens. Am 15. Juni 1888 bestieg Wilhelm Ii. den
Thron. In einem Erlaß „An mein Volk!" sagte der junge Kaiser: „Auf den
Thron Meiner Väter berufen, habe Ich die Regierung im Aufblick zu dem
König aller Könige übernommen und Gott gelobt, nach dem Beispiel Meiner
Väter Meinem Volke ein gerechter und milder Fürst zu sein, Frömmigkeit
und Gottesfurcht zu pflegen, den Frieden zu schirmen, die Wohlfahrt des Landes
zu fördern, den Armen und Bedrängten ein Helfer, dem Rechte ein treuer Wächter
zu sein." Um dem Frieden zu dienen, unternahm der Kaiser bald nach dem
Regierungsantritt Reisen zu den Herrschern fast aller Nachbarländer. Wiederholt
betonte er in feierlichen Reden, daß das Deutsche Reich dem Weltfrieden diene,
daß insbesondere der Dteibund ein Bollwerk des Friedens sein solle. Dabei
TM Hauptwörter (50): [T47: [Friedrich Wilhelm Kaiser König Iii Kurfürst Jahr Preußen Brandenburg Johann], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
TM Hauptwörter (100): [T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T61: [Wilhelm Friedrich Prinz König Luise Jahr Königin Gemahlin Prinzessin Kaiser], T151: [König Volk Kaiser Reich Fürst Land Gott Wilhelm Deutschland Frieden], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]
Extrahierte Personennamen: Augusta Wilhelm Friedrichs Viktoria Heinrich Heinrich Wilhelm Wilhelm Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Potsdam Friedrichs Berlin Bielefeld Kassel Brandenburg
96
Handelsbeziehungen zu verschiedenen Ländern, so zu Österreich-Ungarn, Rußland
und Italien, in vorteilhafter Weise. Erhöhte Einfuhrzölle sollten unsere
heimische Landwirtschaft vor ausländischem Wettbewerb schützen. Das Bahnnetz
erfuhr Jahr um Jahr Erweiterung. An neuen Wasserwegen wurden der Elbe-
T r a v e k a n a l und der Dortmund-Emskanal gebaut. Letzterer soll noch
mit Rhein und Weser Verbindung erhalten. „Mehrer des Reiches an Gätern
und Gaben des Friedens zu sein," bleibt eine der vornehmsten Ausgaben unsers
Kaisers.
Oer Arbeiter-Kaiser. Wie sein Großvater und Vater, so besitzt auch
unser Kaiser ein warmes Herz für die Arbeiter. Am 1. Januar 1891 trat das
Alters- und Jnvaliditätsversicherungsgesetz in Kraft. 1890
fand die Einführung der Gewerbegerichte statt, um Streitigkeiten zwischen
Kaiserin Angnste Viktoria.
Arbeitgebern und Arbeitnehmern gütlich zu schlichten. 1891 wurde das Ar-
beite rschutzgesetz erlassen, durch welches die Arbeitszeit der Frauen und
Kinder in den Fabriken verkürzt und die Sonntagsarbeit aufgehoben wurde.
Der Jugend wird besonderer Schutz gewährt durch das Gesetz betreffend
Kinderarbeit in gewerblichen Betriebeu (1903). Das neue
Einkommensteuergesetz hat eine gerechte Verteilung der Steuern herbei-
geführt. Die Bestimmungen über die Sonntagsruhe und den N e u n u h r-
Ladenschluß haben die Angestellten und Arbeiter freudig begrüßt. Durch den
Befähigungsnachweis (Meisterprüfung) sollen die Leistungen des Hand-
werks gehoben werden. Kleineren Kaufleuten soll das Gesetz gegen un-
lauteren Wettbewerb zugute kommen. Daß unser Kaiser auch in Zukunft
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe]]
TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T111: [Kind Mutter Vater Eltern Frau Jahr Knabe Schule Haus Mann], T11: [Kanal Rhein Verkehr Eisenbahn Fluß Land Meer Handel Stadt Deutschland]]
189
lande, an den Pappelbäumen auf den Feldern rankt die Rebe bis in die Gipfel.
Hügel und Bergabhänge bedecken Ül-, Feigen- und Maulbeerbäume.
Hauptstadt der Campanischen Gefilde ist Neapel, die volkreichste Stadt
Italiens. Sie wird als ein auf die Erde gefallenes Stück Himmel bezeichnet.
„Sieh Neapel und stirb!" so konnte mit Recht ein junger Mönch ausrufen, der zum
ersten Male von der Terrasse seines Klosters seinen Blick über Neapel und feinen
Golf schweifen ließ. Der Vesuv steigt bis 1300 m empor. Aus seinem Krater qualmt
eine mächtige Rauchsäule auf. In seinem Innern sind die vulkanischen Kräfte noch
nicht erloschen. Sobald ein Ausbruch bevorsteht, vernimmt man ein unterirdisches
Rollen und Donnern und anfangs schwaches, dann heftiger werdendes Erbeben
des Bodens. Aus der Rauchsäule fallen Asche und Steine herab. Zuletzt bricht
die Lava hervor, und in Strömen fließt sie, Verderben bringend, den Abhang
hinunter. Herkulanum und Pompeji wurden im Jahre 79 von der Lava
und dem Schutt und der Asche vollständig verschüttet und begraben.
Neapel mit Vesuv.
Pompeji ist zum größten Teile ivieder ausgegraben. Man fand noch sehr
gut erhaltene Wohnungen mit Hausrat und Knnstgegenstünden lind könnte deutlich
sehen, wie pflichttreue Wachsoldaten oder fliehende Bewohner von dem Aschen-
regen überrascht wurden. Am Vesuv wächst der berühmte Wein L a c r i ni ä
Christi (Tränen Christi).
Aus ihren Fahrten nach Ostasien wird Neapel von den d e n t s ch e n Reichs-
postdampfern angelaufen. Neapel hat bedeutende Industrie in Seiden-,
Schmuck- und Glaswaren.
Auch Sizilien hat noch einen feuerspeienden Berg, beit Ä t n a. Die Insel
hat gegen 4000 S ch w e f e l g r u b e n. Der fruchtbare Boden leidet unter Wasser-
armut; man hat ihn des Waldes beraubt. Ausfuhrort für Zitronen und Orangen
ist Messina (Apfelsinen). 1908 wurde die Gegend in einem furchtbaren Erd-
beben arg verwüstet; 70000 Menschen sielen ihm zum Opfer. Palermo liegt
am Rande einer gartenähnlich bebauten Ebene. Sardinien (Sardinenfang) und
Korsika sind von hohen Gebirgen erfüllt. Elba war Verbannungsort Napoleons.
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T44: [Alpen See Stadt Schweiz Italien Meer Berg Insel Fuß Inn], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T33: [Stadt Meer Italien Neapel Hauptstadt Rom Insel Genua Spanien Land], T11: [Wein Getreide Boden Viehzucht Weizen Land Pferd Obst Kartoffel Ackerbau], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden]]
TM Hauptwörter (200): [T160: [Insel Hafen Meer Küste Stadt Halbinsel Neapel Straße Einw. Hauptstadt], T95: [Gestein Schicht Wasser Boden Erde Granit Gebirge Masse Sand Teil], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T137: [Wein Obst Weizen Kartoffel Frucht Getreide Gerste Hafer Mais Flachs]]
219
über 20 000 Einwohnern. Die großartigste unter diesen Industriestädten ist
Chemnitz, Sachsens erster Fabrikplatz, das „sächsische Manchester". Plauen,
das schon dem industriereichen Vogtlands angehört, ist der Pauptort für Gar-
dinenweberei. Im eigentlichen Gebirge steht die Spitzenklöppelei in hoher
Blüte. Auch die Herstellung von Musikinstrumenten (Markneukirchen) und Spiel-
waren ist bedeutend. Die Beeren und Kräuter des Waldes bieten gar mancher
Familie einen lohnenden Nebenerwerb. Die Bewohner sind geschickte und fleißige
Leute. Während Vater und Sohn tief unten im Bergwerk arbeiten, sitzen Mutter
und Tochter am Klöppeltisch. Ist die Schicht aus, so greifen auch die Männer zum
Klöppelgerät oder fertigen Körbe, Siebe, Schachteln oder sammeln seltene Steine,
Kräuter und Wurzeln.
Das Elbsandsteingebirge gehört zu den merkwürdigsten Gebirgsbil-
dungen Deutschlands. Im nördlichen Böhmen breitet sich ein großes
* Im Elbsandsteingebirge.
Kreidelager ans, das seine Entstehung einem vor Jahrtausenden hier
befindlichen Meere (Kreidemeere) verdankt. Nach Jahrtausenden entleerte
sich das Meer-- Den nördlichen bsochrand, der aus Sandsteinschichten gebildet war,
durchschnitt die Elbe mit ihren Zuflüssen immer tiefer. Bei dem neugebildeten
Gebirge lilit seinen Plattgipfeln begannen auch andere Naturkräfte ihre zer-
störende Tätigkeit. Negeil, Sonne, Frost und die Feuchtigkeit der Luft brachten
den Sandstein zur Verwitterung, und Regengüsse spülten das Verwitterte fort.
Manche Stellen aber waren so hart, daß sie von der Verwitterung iloch nicht
gefaßt werden konilten. So blieben lange Säulen stehen. Gar manche haben
sich zu Bogen und merkwürdigen Gewölben gestaltet. Die bekanntesten sind die
Bastei, das prebischtor (Böhmen) und der Kuh stall (Sachsen); in
Kriegszeiten sollen die Leute hier ihr Vieh verborgen haben. Wegen dieser eigen-
artigen Felshlöcke hat man dem Gebirge den Namen „Sächsische Schweiz"
gegeben. Iin Mittelpunkte derselben liegt das Städtchen S ch a n bau, wo
während des Sommers Tausende von Freinden Wohnung nehmen. Dort, wo
die Sächsische Schweiz nordwärts endet, liegt Pirna, bekannt aus dem Sieben-
jährigen Kriege. Eine halbstündige Eisenbahnfahrt bringt uns nach Dresden,
Residenz der Könige Sachsens, Am Ende des Talkessels liegt Meißen (Böttger
(707 Porzellan). Das Klima des sächsischen Berglandes ist im Süden kälter als
im Norden. Das mildeste Klima hat der Dresdener Talkessel. An den sonnigen
TM Hauptwörter (50): [T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T49: [Berg Gebirge Höhe Fuß Ebene Seite Gipfel Gebirg Elbe Meer], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden]]
TM Hauptwörter (200): [T94: [Stadt Fabrik Handel Dorf Schloß Weberei Einwohner Einw. Nähe Bergbau], T14: [Gebirge Wald Teil Höhe Berg Harz Thüringer Bergland Gebirg Weser], T95: [Gestein Schicht Wasser Boden Erde Granit Gebirge Masse Sand Teil], T24: [Luft Wasser Wärme Körper Erde Wind Regen Höhe Temperatur Schnee], T168: [Holz Tisch Messer Stück Honig Stuhl Griffel Hand Narbe Papier]]
302
Die weiße Taubnessel.
Das Äußere. Den Namen verdankt die Taubnessel der Ähnlichkeit ihrer Blätter
mit den Blättern der Brennessel. 5k hat aber keine Brennhaare: sie ist „taub".
Die Blüte, von einfach weißer Farbe, gleicht in ihrem unteren Teile einer knie-
förmig gebogenen Röhre, erweitert sich aber in ihrem oberen Teile zu einem lippen-
artigen Gebilde. Deutlich ist die helmförmige Oberlippe von der dreilappigen Unter-
lippe zu unterscheiden. Tin chaarkranz verschließt die Röhre gegen kleinere
Insekten. Unter dem Lcharkranze verengt sich plötzlich die Röhre. Unter der
Oberlippe finden zwei lange und zwei kurze Staubgefäße Schutz vor dem Regen.
Der untere Teil der Röhre birgt köstlichen Bönig. Aus dem Fruchtknoten ent-
wickeln sich trockene, dreieckige Nüßchen. Die Blüten sitzen zu 6—^ jedesmal
in gleicher kföhe am Stengel. Ihr Kranz ist jedoch nicht geschlossen, jedesmal
nur 3—7 Blüten stehen aneinander gereiht und bilden so scheinbar einen Quirl
(Kreis). Tinen solchen Blütenstand nennt man Scheinquirl.
Stengel und Blätter sind mit einer Wasserleitung zu vergleichen.
Die Blattfläche ist die Zisterne, in der sich das Regenwasser sammelt. Durch
die Rinne des Blattstieles gelangt das abfließende Wasser zum Stengel. Zwei
Lücken in den Quirlen der Blüten gewähren Raum .zum Abfließen. Der vier-
kantige Stengel enthält an jeder Seite eine Rinne. Auch die zahlreichen Iaare,
die am Stengel stehen, hindern den Abfluß des Wassers nicht, sie sind nach
unten gerichtet.
Die Gäste der Taubnessel bei der Arbeit zu beobachten, gewährt ein be-
sonderes Vergnügen. Zahlreiche kleine Insekten suchen den Lsonigschatz, der
so süß duftet, zu heben, aber vergebens. Der Baarkranz in der Röhre verwehrt
ihnen den Tintritt. Mißmutig kehren sie um und verkünden den andern, daß
vor der bsonigkammer eine Tür sei mit festem Schloß und auf der Tür ein Schild
mit der Inschrift: „Verbotener Tingang". Line große, schwere bmmmel komint
angeflogen, nimmt zuerst auf der Unterlippe Platz und kriecht dann, so weit es
geht, in die Lippen der. Taubnessel hinein. Ihren langen Rüssel steckt sie in
die Röhre und zwängt ihn ungestüm durch den Kranz der paare. Die ganze
Blume bewegt sich und biegt sich zur Seite. Nachdem die ponigkammer geleert
ist, wendet sich die Pummel zur nächsten Blüte, um auch hier zu plündern und
fährt so fort, bis sie gesättigt ist. Dann fliegt sie vergnügt brummend weiter.
Tine andere Pummel erscheint, aber sie kriecht merkwürdigerweise nicht in die
Blüte, denn ihr Rüssel hat nicht die nötige Länge, um in die Tiefe der Schatz-
kammer gelangen zu können. Aber sie weiß Rat: mit ihren scharfen Freßwerk-
zeugen reißt sie ein Loch in die Röhre und schlürft dann in vollen Zügen das
köstliche Getränk. Diese Löcher benutzen später die Bienchen, um den noch
vorhandenen ponig zu erwerben. Auf ihrem Rücken nehmen die Pummeln
den Blütenstaub mit, den die Staubgefäße darauf gestreut haben und übertragen
ihn auf andere Blüten (Insektenbe st ä u b u n g).
Stellung zum Menschen. Keine der Taubnesseln, weder die weiße, noch
die rote, gefleckte oder gelbe Taubnessel gewähren dem Menschen Nutzen. c?ie
gehören vielmehr zu jenen pflanzen, die sich gegen seinen Willen auch in Gärten
und auf Feldern ansiedeln und dort durch ihre starke Verbreitung die Trnte
beeinträchtigen, Als Unkraut reißt der Mensch sie aus und schüttet sie auf
den Komposthaufen. Die Kinder saugen aus den Röhren den r^ntg. Daher
führt die Taubnessel auch wohl den Namen ponigsaug (auch Bienensaug).
Aus der Familie der Lippenblütler wachsen unter Jecken der kriechende
Günsel und die Gundelrebe, an feuchten Stellen die ftarkduftende
Wasserminze, auf Feldern die Ackerminze und der Quendel, im
Walde der Wald-Ziest.
— 306 —
und windet Sträuße daraus. Besonders die Rinder haben an dem niedlichen
Grase ihre Freude.
Das Wiesen-Rispengras ist ein sehr gutes Futtergras.
Das Ruchgras hat eine schmale, ährenähnliche Rispe. Gemähtes oder
welkes Ruchgras enthält denselben Riechstoff wie Waldmeister, von ihm rührt
zum großen Teile der Geruch des ffeues.
Das Wiesen-Lieschgras, auch Timothegras, ähnelt sehr dem Fuchsschwanz.
Das flutende Süßgras oder das Mannagras wächst in nassen Gräben.
Das wollige Honiggras hat Blätter, die mit kurzen, wollartigen ffaaren
überzogen sind.
Das breitblätterige Wollgras wächst an feuchten Orten. Der knötenlose
ffalm ist säst dreikantig. Die Blätter umhüllen in ihrem unteren Teil den ffalin.
Nach der Blütezeit entsprießen der Blüte zahlreiche wollige Borsten.
Das gemeine Kammgras trägt eine einseitswendige Ähre. Beinen Namen
hat es von den kammartig gestalteten Btützblättern.
Das gemeine Krautgras trägt Ährchen mit drei und mehr Blüten. Die
Ährchen sind zu Büscheln zusammengedrängt, die sich meist nach einer Beite hin-
wenden.
Das Knabenkraut.
Zu den vielen Blumen, die mithelfen, der wiese jdxachtgewand zu schmücken,
gehören auch die ffahnenfußarten und Mieren, das Marienblümchen, die Ketten-
blume, die Sumpfdotterblume und die bunten R nabenkräuter.
Standort und Äußeres. Als Btandort liebt das Knabenkraut sumpfige
wiesen. Dort hat es unter der Erde seine gespaltenen Wurzelknollen ausge-
breitet, aus denen es dann die mit kahlen, dunkelgrünen mit leberbraunen
Flecken versehenen Blätter emporsendet. Tinen Btiel haben sie nicht, von
der Mittelrippe aus sind sie nach beiden Beiten gesalten, so daß sie eine Rinne
bilden, die der Wurzel das Regenwasser zuleitet. Bo zusammengestellt, dienen sie
zugleich dem aus ihrer Mitte emporschießenden blattlosen Btengel als Btütze,
der so groß wird, daß er die aus seiner Bpitze sich entfaltenden Blüten weithin
sichtbar zur Bchau trägt. Diese sind purpurn oder weißlich, in ihrer Form
sechsteilig und scheiden sich deutlich in eine Ober- und Unterlippe. Im Innern
steht die klebrige Narbe verwachsen mit dem einzigen Btaubgefäße. Dieses
hat den Blütenftaub nicht wie andere pflanzen in Btaubbeuteln, sondern in zwei
Kölbchen angeordnet. Den dicken Teil eines jeden Kölbchens bilden die Blüten-
staubkörnchen, die von einem kurzen Btielchen getragen werden, das unten eine
klebrige Bcheibe hat.
Wir die Bestäubung vor sich geht. Kommt nun ein Insekt (ffummel)
und steckt seinen langen Rüssel in die in einen röhrenförmigen Bporn auslaufende
Unterlippe hinein, so muß der Rüssel an den ffastscheibchen der Blütenstaubkölb-
chen vorbei, die sich auf ihm festsetzen und nach beendeter Mahlzeit herausgezogen
werden. Anfangs stehen sie noch aufrecht, dann aber senken sich die Kölbchen
nach vorn. Kommt das Insekt zu einer zweiten Blüte und will hier die Mahl-
zeit fortsetzen, so treffen beim ffineinschieben des Rüffels in den Bporn die auf
dem Rüssel sitzenden Kölbchen zuerst gegen die klebrige Narbe, welche die Kölb-
chen festhält und den mitgebrachten Blütenstaub zur Befruchtung verwendet.
Der Löwenzahn.
Woher er seinen Namen hat. An wegen, auf wiesen, ja selbst auf hohen
Mauern, wo sich nach und nach etwas Erdreich angesammelt hat, findet man
den Löwenzahn, von der senkrecht im Erdreich stehenden Pfahlwurzel gehen im
Frühjahr nach allen Beiten die Blätter aus und bilden eine auf dem Boden
liegende Rosette. Bie sind länglich und so stark ausgezackt, daß man die ein-
zelner! Zacken mit den Zähnen des Löwen verglichen und der pflanze deshalb
307
den Namen Löwenzahn gegeben hat. Doch sind die Blätter nicht immer gleich.
Stehen sie im Schatten, wo sie viel Feuchtigkeit haben, so sind sie fast ganzrandig
und bieten so eine große Verdunstungsfläche. Stehen sie an dürren Orten, so
bleiben die Blätter schmal und haben viele Einschnitte, damit wenig Feuchtigkeit
verdunstet.
Der Löwenzahn als Körbchenblütler. Nachdem auf dein Boden die Nosette
angelegt ist, sprießt, aus der Mitte derselben eine dicke Knospe hervor. Sie
wird von einem hohen Stengel hoch in die bsöhe gehoben und beginnt nun, sich
zu entsalten. Zuerst breiten sich länglich grüne Blättchen auseinander, die sich
so anordnen, daß sie einem Körbchen gleichen. Zn diesem Körbchen stehen eine
Menge gelber Einzelblüten, die wie flache Zungen aussehen, und wovon jedes
einzelne Blütchen im Innern Staubgefäße und Stempel hat. Nehmen wir eine
einzelne Blüte heraus, so entdecken wir am unteren Teile viele feine weiße
Härchen, die den Kelch bilden.
Wie der Same entsteht. Schon am frühen Morgen öffnet sich das Körb-
chen, welches in der Nacht von den grünen Hüllblättchen geschlossen war, um
durch die gelbe Pracht der vielen Blüten die Insekten anzulocken. Diese bringen
von einer Blüte zur andern den Blütenstaub und befruchten die Narben. Ain
Abend schließt sich das Körbchen wieder, wobei die Blüten so dicht aneinander
gedrängt werden, daß ost die Staubgefäße der einen Blüte die Narbe der andern
berühren, wodurch dann Selbstbestäubung eintritt.
Wie sich der Same verbreitet. Mährend die gelben Blütenkronen ver-
welken, haben sich die Fruchtknoten zu Samenkörnern entwickelt. Dabei ist der
untere Teil der Blüte mit den: Haarkelch weit in die Höhe gewachsen, und alle
Haarkelche zusammen bilden am Tage eine wollige Kugel, die Laterne. Kommt
ein kräftiger Windstoß, so fliegen sie wie kleine Luftballons auseinander. Der
Haarkelch ist der Ballon und das Samenkorn die Gondel. Senken sie sich nach
einiger Zeit aus die Erde, so verankern sie sich mit den kleinen Widerhaken des
Samens und bilden nach einiger Zeit neue pflanzen.
Die Körbchenblütler bilden im Pflanzenreiche eine große Familie, zu der
die Kornblume, das Marienblümchen, die Kamille, die Disteln und viele andere
Pflanzen gehören.
Der Wasserfrosch.
Aufenthalt und Aussehen. Feuchte Wiesen, Teiche und Sümpfe, das find
"die Orte, die wir aufsuchen müssen, wenn wir den Wasserfrosch in seinem Leben
und Treiben beobachten wollen. Schon von weitem hören wir sein Ouaken, das
er mit den vor den Trommelfellen liegenden Schallblasen hervorbringt. Bor-
sichtig nähern wir uns. Dabei müssen wir genau zusehen, da man ihn wegen
seiner grünen Farbe in seiner grünen Umgebung leicht übersieht. Auf dem
Bücken ist er mit schwarzen Flecken bedeckt; auf der Unterseite ist er schmutzig
weiß. Das Maul ist groß; über den Mundwinkeln stehen die großen Augen,
denen die Augenlider fehlen; doch kann er sie int Wasser durch eine Nickhaut
von unten schließen. Erschrecken wir ihn, so ist er mit einen: kühnen Sprunge
im Wasser und sucht durch kräftige Ruderstöße mit den längeren Hinterbeinen zu
entkommen.
Nahrung. In: Wasser wie auf dem Lande findet er seine Nahrung. Sie
besteht in Fliegen, Mücken, Larven und Schnecken. Doch verschont er auch den
Fischlaich nicht, wodurch er einigen Schaden anrichtet, sonst ist er wegen der Ver-
tilgung lästiger Insekten sehr nützlich. Um sie zu fangen, benutzt er seine Zunge,
die vorn angewachsen ist und weit herausgeschleudert werden kann. Da er im
Winter keine Nahrung findet, hält er im Schlamme des Teiches seinen Winterschlaf.
Entwicklung. Der Mai ist für den Frosch die Laichzeit. Da leat das Weib-
20*
275
Schillernde Käfer eilen über den Teppich des Waldbodens oder klettern
an den Stämmen hinauf und hinab. Reges sieben herrscht im Bau der Wald-
ameisen. Zu Tausenden erblickt man die fleißigen Tiere bei der Arbeit.
Der Rehbock hat sein graues Winterkleid abgelegt und dafür ein rotbraunes
angezogen. Stolz zeigt er das neue, blankgefegte Geweih. Aber nun ist auch
feine Schonzeit verstrichen, und der schlaue Geselle muß alle Vorsicht gebrauchen,
damit er nicht eine Beute des Jägers werde.
Der Auerhahn.
Zm Waldreviere des Lahnes kämpfen noch Winter und Frühling um die
Herrschaft. Zwar hat die liebe Sonne schon den unfreundlichen Gast von wiesen
und Feldern, vertrieben, aber draußen im dichten Hochwalds ist der Kampf noch
nicht entschieden. Zn den Schluchten und Hohlwegen liegen Reste schmutzigen
Schnees; aber mag er nur liegen: über ihn hinweg singt der März sein gewaltiges
Frühlingslied. Da erwachen all die Schläfer in Wald und Heide und rüsten
sich, den sonnigen Frühling zu begrüßen.
* Auerhahn.
Die größte Freude unter den Vögeln des Waldes scheint der Auerhahn
zu haben, denn er ruft sein „Lied" während der Morgendämmerung so sieges-
gewiß in den träumenden Forst hinaus, daß die Drossel in der Nähe nicht zu
singen wagt. und Hirsche und Rehe verwundert zu dem mächtigen Vogel empor-
schauen.
Der Auerhahn hat aber auch alle Ursache, sich zu freuen, denn die Kost
des langen winters war recht schmal bemessen: die Spitzen der Tannen- und
Kiefernzweige, einige Blattknospen und hängengebliebene Buchnüsse bilden wäh-
rend der kalten winterzeit die einzige Nahrung. Zetzt, nach dem verschwinden
des Schnees, ist der Tisch schon reichlicher gedeckt, und wenn erst der Sommer
den Wald mit blitzendem Lichte durchflutet, daun gibt es Knospen und weiche
Nadeln, Klee- und Grasblättchen, Waldbeeren und Sämereien, Kerbtiere und
Larven in Menge.
In der Balzzeit (Paarungszeit) läßt der Auerhahn sein „Lied" ertönen.
Diese ^eit beginnt Tnde Mä,rz und dauert 3—5 Wochen. Der Balzruf hebt
18*
277
sich unter der Last der kleinen, herzförmigen Blätter. Zart und schwank in ihrem
Bau, verrät uns die Birke schon aus den ersten Blick, daß sie seh - geeignet ist,
ein Windblütler zu sein. Zhre Blüten sind Kätzchen. Die Birke ist ein-
häusig wie Weißbuche und Trle, denn jeder Baum trägt Staub- md Stempel-
kätzchen . 3ni Winter können wir an ihr viele kleine Staubkätzchen finden, die
scheinbar ausgedörrt sind. Aber sie schlafen nur und warten den Frühling ab,
ob dann vielleicht auch die Stempelkätzchen, denen es im cherbst noch zu kalt
war, hervorkommen werden. Kaum brechen diese aus den Knospen, da blühen
auch die Staubkätzchen, und zarte Frühlings! >ft haucht den befruchtenden Staub
in die Stempelkätzchen, aus denen sich dann 51' >ct mit häutigen Flügeln versehene
Nüßchen entwickeln, die leicht vom winde überall hi geweht werden können.
Die bescheidene Birke ist in der Wahl ihres Standort ; gar nicht wählerisch.
Man findet sie überall dort, wo ihre Brüder und Schwestern nicht mehr gedeihen
wollen: auf öden Heiden, auf nackten Klippen und im kalten Norden.
Die Birke ist ein nützlicher Baum. Alles, was sie hat, gibt sie hin zur
Freude und zum Nutzen der Menschen und Tiere. Sie schmückt den Garten
und den pars und wird auch bei festlichen Gelegenheiten mit Vorliebe zum
Schmucke der Straßen und chäuser benutzt (Maibäume). Aus dem weichen aber
zähen polze verfertigt der Drechsler allerlei Gegenstände, chölzerne Löffel,
Mulden und Tröge sind meistens Gaben der Birke. Die Rinde liefert billige
Schnupftabaksdosen. Die Lappländer flechten sogar Körbe und Schuhe daraus.
Aus der Rinde wird auch der Birkenteer bereitet, d r als Gerbstoff dient. Auch
die Zweige finden Verwendung; Birkenbesen reinigen den Fußboden, und Birken-
ruten erwecken bei den Kindern heilsaine Furcht. Die Blätter enthalten zwei
Farbstoffe: Schüttgrün und Schüttgelb. 3™ Frühling besitzt die Birke einen
Überfluß an Säften. Bohrt man dann die Stämme an, so strömt der Saft
reichlich heraus. Aus Birkensaft wird der gesunde und wohlschmeckende Birken-
wein bereitet. Tin Zusatz von Waldmeister und Thcenpreis erhöht seinen Wohl-
geschmack
Die Gäste der Birke. Auf der Birke haben der Birkenrüsselkäfer, der
Birkenspanner und die Baumwanze ihre bseimat. 3m Schutze der Birken-
sträucher steht das Nest des Birkhuhns. Dieses Tier findet im Frühling und
Winter an den zarten Knospen, im Sommer an den Blüten und im cherbst an
den Früchten seine Lieblingsnahrung.
Die Schwarzdrossel.
Ein Bild aus ihrem Leben. Noch ruht tief ' Nacht auf den schweigenden
Wäldern, aber schon schreitet der unermüdliche Weidmann auf wohlbekannten
Pfaden durch den Forst. Am Rande der bseide versteckt er sich unter den Ästen
einer Tanne, um den kommenden Tag und mit ihm das Balzen der Birkhähne
zu erwarten. Leider wird ihm nicht immer die erwünschte Beute, wohl aber
eine andere Freude zuteil.
Tben huscht das erste fahle Dämmerlicht durch die Finsternis und verwandelt
die Wacholderbüsche in gigantische Riesengestalten; da regt sich's über ihn: im
dichten Gezweig der Tanne. Tin verschlafenes „zack! zack!" ertönt, dann schwingt
sich mit schwirrendem Flügelschlage eine Schwarzdrossel zum Gipfel auf.
Bald darauf flutet ein weicher, flötender Gesang über Wald und cheide. Ts
ist das erste Lied nach langer Winterzeit, und selig lauscht die Natur. Die Mit-
schwesterr. der Drossel hören den süßen Gesang; auch sie verkünden die An-
kunft des Lenzes, und ihr jubelndes Lied pflanzt sich fort bis ins entlegenste Dörf-
chen, woselbst einige Drosseln den Winter verbracht haben. Da schlägt das
278
Menschenherz nach allem weh des winters wieder laut und freudig, und durch
die Brust zieht mächtig ein seliges Ahnen von grünenden Matten, von rauschenden
Wipfeln und blütenschweren Zweigen .... Der Weidmann hält sich mäuschen-
still, uni recht lange die Wonne des ersten Frühlingsgrußes zu durchkosten.
Auf der Suche nach Nahrung, während oben das kohlschwarze Männchen
den Frühling verkündet, hüpft das braun gefärbte Weibchen eifrig auf dem
Bodeu umher, um Nahrung zu suchen. Tmsig wendet es mit dem pfriemen-
förmigen Schnabel das modernde Laub, um Würmer, Larven und anderes niedere
Getier darunter zu entdecken. Dabei dienen ihm die borstenartigen Federn am
Schnabelgrunde als Tastwerkzeug. Noch fällt die Kost recht schmal aus, aber
ein eben entdecktes Würmchen schmeckt doch recht gut nach der trockenen Beeren-
nahrung des winters. Zudem wird ja der Sommer mit den zahlreichen
Schnecken, Insekten und Regenwürmern, den leckeren Kirschen und reifenden
Beeren reichlich für die durchlebten pungertage entschädigen, wenn sich nur
nicht zu viele Mitesser in der Nachbarschaft einstellen! Doch, wozu schon jetzt
diese Sorgen? Nötigenfalls wird kurzer Prozeß gemacht und alles, was sich
nicht wehren kann, vertrieben.
* Schwarzdrossel. * Zippe (Singdrossel).
Beim Nestbau. Vorläufig drückt eine andere Sorge des Drosselweibchens
Brust. Im nahen Trlengebüsch hat es schon gestern mit dem Bau seines Nestes
begonnen, denn ihm erwächst die Aufgabe, 2—3 mal irrt Jahre ungefähr fünf
Junge groß zu füttern. Nach dem erstell Morgeniinbiß begibt sich das Weibchen
zum begonnenen Neste und fängt sogleich an, aus Reiserchen, Moos und feuchter
Trde die Wohnung weiter zu baueil. Da unterbricht auch das Männchen seinen
Gesang uild Hilst mit dem goldgelben Schnabel das Werk fördern.
Feinde. Schon flimmert die Morgensonne in Ullgezählten Diamanten. Dell
Weidmann ruft die Pflicht heimwärts. Noch einen Blick wirft er auf die
fleißigen Drosseln uild niinmt sich vor, sie vor ihreil Feinden, den Raubvögelil,
würgeril, pähern, Tichhörnchen und Mardern zu schützen. Dann kriecht er
unter den bergenden Zweigeil hervor. Schäkernd und zeternd flattern bei seinem
Allblicke die Drosseln davon. Lange schon ist der vermeintliche Störenfried im
Walde verschwunden, aber immer iloch ertönt das ängstliche Rufen der Amseln,
und erst nach einiger Zeit kehren sie vorsichtig zuiil Nestbau zurück.
Till noch besserer Sänger ist die Singdrossel oder Zippe. Ihr Gefieder
ist oben olivengrau, unten weißlich und schwarz getropft. Man erkennt sie
leicht an der blaßgelbeil Farbe der Unterflügel. Leider finden alljährlich
Tausende dieser nützlichen Sänger beim Krammetsvogelfang den Tod. Der
eigentliche Krammetsvogel ist die Not- oder Weindrossel mit rotweillfarbigeil
Unterflügeln. Die doppelte Größe dieses Vogels erreicht die Wacholderdrossel,
auch doppelter Kraminetsvogel genannt. Sie ernährt sich mit Vorliebe von deil
Beeren des Wacholders. Die Misteldrossel frißt gern die Beereil der Mistel
und verschleppt und verpflanzt hierdurch die schädliche Pflanze.