Bäuerin nicht verstand. Auch machten sie die Mutter auf mancher-
lei aufmerksam, das sie die Kleinen lehren konnte. „Niemals",
so ermahnten sie, „sollen die Kinder einen Hollunder oder einen
Fliederbaum beschädigen. Ein Messer muß nie so auf dem Tisch
liegen, daß die Schneide nach oben zeigt. Aus der Waldquelle
sollen sie gebückt trinken. Nach dem bunten Bogen, der bisweilen
am Himmel zu sehen ist, darf kein Kind mit dem Finger zeigen '
und ihn nicht Regenbogen, sondern Himmelsring nennen. Wenn
es donnert, soll keins sagen „der Herrgott zürnet", sondern „der
Herr waltet". Doch als das siebente Kind geboren wurde,
blieben die Jungfrauen aus. Es war ein hätzlicher, ungestalteter
Knabe. Alle nannten ihn „das Unglückskind".
Die Landwirtschaft gedieh auf dem Oberbüscherhofs in
wunderbarer Weise. Jede Arbeit, die man am Tage begonnen,
wurde, während alles schlief, vollendet. Hatte der Bauer am
Tage angefangen, das Korn zu schneiden, so sah man am andern
Morgen das ganze Getreide in Reihen abgemäht liegen. Bei
der Kartoffelernte brauchte der Bauer nur die erste Furche aus-
Zunehmen, so standen tags darauf die Kartoffeln des ganzen
Ackers in zahlreichen Säcken da. Jedes Körnlein, das der Bauer
säte, ging auf und trug vielfältige Frucht. Das Korn auf dem
Speicher nahm nicht ab, die Vorräte im Keller wurden niemals
alle, wie viel auch die Bauersleute verkauften oder verschenkten.
Die größte Freude erlebten sie an ihren Kindern. Diese
gediehen prächtig und wuchsen zu tüchtigen Jünglingen und
schöne Jungfrauen heran. Die Söhne wurden zu Edelleuten
erhoben, und die Töchter heirateten adelige Männer und wohnten
in prächtigen Schlössern. Nur die jüngste, die in ihrem Spieg-
lein alles sehen konnte, was die Menschen dachten, nahm keinen
Mann. Sie wurde Äbtissin in einem Kloster.
Die Bäuerin, die wohl wußte, woher all der Segen kam, er-
wies den unsichtbaren Helfern viel Gutes. Sie besaß eine Menge
Töpflein und Näpflein. Die füllte sie mit den besten Speisen
und stellte sie am Abend und am Morgen in der Scheune, auf
dem Speicher und auf dem Felde auf. Sie legte kleine Messer,
Gabeln und Lössel neben die Schüsselchen. So oft sie die Näps-
lein leer fand, wusch sie dieselben aufs sorgfältigste und füllte
sie aufs neue mit köstlichem Obst, mit Milch oder Honig.
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TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
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— 24 —
sich die barmherzige Bäuerin des Unglücklichen an. Sie schickte
ihm täglich Speise und Trank aufs Schloß, bis er starb. Doch
auch nach dem Tode sollte er noch nicht Ruhe finden. Manche
wollen ihn gesehen haben, wie er, vor dem Burgtore sitzend, Brei
aus einem Topfe aß. (Brei nannte man in jener Gegend
„Zopp".) Das Schloß zerfiel. Die Überreste führten noch lange
den Namen „Zoppsmauer".
Der Bäuerin aber waren die drei Waldjungfern hold. So
oft sie in den Wald trat, flogen drei wunderschöne Vöglein vor
ihr her. Sie zeigten der Frau den Weg und sangen die schönsten
Weisen. Die Leute, die die Bäuerin begleiteten, hörten den
Gesang, sahen aber die Tierlein nicht.
Eines Tages herrschte in dem Bauernhause große Freude.
Kmdtaufe sollte gefeiert werden, und schon stand der Kindtaufs-
schmaus bereit. Da traten plötzlich die drei Waldjungfern in
die Kammer. Freundlich begrüßten sie die erschreckte Bäuerin.
Sie nahmen das Kind aus der Wiege, zogen ihm ein feines
Kleidchen an, das sie außer andern Geschenken mitgebracht hatten,
und spielten mit dem Kleinen.
Jedesmal nun, wenn der Bauernfamilie ein Kind geschenkt
wurde, erschienen die drei Jungfrauen zum Kindtaufsschmaus.
Sie brachten Windeln und Kleidchen aus der allerseinsten Lein-
wand mit. Die Kindlein blieben darin von Krankheiten ver-
schont, und Wunden, die man mit dieser Leinwand bedeckte,
heilten. — Auch andere Geschenke wundersamer Art erhielten
die Kinder. Ein Knabe bekam eine Flöte, die erklang so lieblich,
daß alle Waldvögelein herbeiflogen und sich wie zahme Tierchen
fangen ließen. Ein anderer Knabe erhielt einen Bogen, mit
dem er das schnellste Reh erlegen konnte. Dem dritten schenkten
sie ein Netz, in das die Fische von selbst hineingingen, sobald er
es in die Wupper legte. Das älteste Mädchen befaß ein Spinn-
rad, das sich von selber drehte und die feinsten Fäden spann.
Dem zweiten Mädchen schenkten die freundlichen Jungfrauen
einen Webstuhl, auf dem sie kunstvoll gemusterte Stoffe anfertigen
konnte. Dem jüngsten Töchterchen, das zur schönsten Jungfrau
an der ganzen Wupper erblühte, hatten sie einen silbernen Spiegel
gebracht. In diesem konnte man alles sehen, was die Leute
dachten.
Wenn die Wassernixen das Bauernhaus verließen, segneten
sie die Kindlein und sagten dabei allerlei Sprüchlein, die die
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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- 14 -
Tagsüber arbeitete der Schmied wieder fleißig, und am
Abend lagen die Eisenklumpen da, die am nächsten Tage zu
Stangen geschmiedet werden sollten. Im stillen dachte der
Schmied: „Wenn du sie morgen fertig vorfändest, das wäre doch
schön!" Wie er's gedacht, so geschah es! Am Morgen fand er
sein Tagewerk wieder getan. Die Stangen lagen tadellos ge-
schmiedet und sauber aufgeschichtet da. So ging's eine Weile
fort. Dem guten Schmied lachte allemal das Herz im Leibe;
aber er hätte doch gar zu gerne gewußt, wie die Sache eigentlich
zuging.
Eines Abends, als die Lichter im Hammer ausgelöscht waren,
legte er sich auf die Lauer und spähte durch eine Mauerspalte.
Da sah er, wie gegen Mitternacht das Männlein mit dem silbernen
Hütchen in die Werkstätte trat. In der Hand trug's ein Bündel-
eben und ein seines silbernes Hämmerlein. Mit dem hatte das
Männlein gegen die verschlossene Tür der Werkstatt geklopft, und
sie hatte sich aufgetan. Das Männlein zündete Licht an und
sachte das Kohlenfeuer zu heller Glut an. Es band sich ein
ledernes Schurzfell um, das es aus dem mitgebrachten Bündlein
zog. So zur Arbeit gerüstet, wälzte es die Eisenklumpen ins
Feuer und plagte sich dabei so, daß ihm die hellen Schweißtropfen
auf der Stirne standen. Als es den letzten Klumpen im Feuer
hatte, zog es den ersten wieder heraus, und zwar mit einer
goldenen Schlinge. Der Zwerg bearbeitete ihn mit seinem
silbernen Hämmerlein, da formte das Eisen sich so leicht, als
wäre es weiches Wachs, und wurde eine seine Stange. So ging's
mit allen Klumpen, bis auch der letzte aus dem Feuer genommen
war. Dann wusch sich das Männlein, packte seine Sachen wieder
in ein Bündelchen, setzte sein Hütchen auf und verschwand ebenso
still, wie es gekommen war. Da sagte der Schmied bei sich: „Ei,
Männlein, wenn du aus Dankbarkeit nachts mein Geselle sein
willst, so soll es dir an Arbeit nicht fehlen." Von nun an machte
er am Tage mit seinen Gesellen die Klumpen fertig und legte
sie hin. In der Nacht kam dann der Zwerg und schmiedete sie zu
Stangen. Die waren so fein, daß man sie gut bezahlte, und der
Schmied wurde bald ein reicher Mann.
Eines Tages, als er sich so recht von Herzen über seinen
Reichtum freute, dachte er bei sich: „All dein Hab und Gut ver-
dankst du dem Zwerglein und hast doch nichts anderes dafür
getan, als daß du das Hütchen aus der Wupper gefischt hast.
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— 123 —
dieses Volkes zu geben. Sie waren klein von Wuchs, von starkem Knochenbau, breitschultrig, braungelb von Farbe, hatten kleine, tiefliegende Augen, einen dicken Kopf, einen fleischigen Hals und krumme Beine. Ihr Aussehen war so scheußlich, daß man sie eher für
Bestien als Menschen hielt und man sie mit roh zugehauenen
Brückenpfosten vergleichen konnte. Dabei war ihre Lebensweise so
roh, daß sie weder Feuer noch zubereiteter Speisen bedurften, sondern
Wurzeln, wilde Kräuter und halbrohes Fleisch beliebiger Thiere
genossen, welches sie zwischen ihren Schenkeln und dem Rücken der Pferde mürbe machten. Häuser kannten sie nicht, flohen sie vielmehr
wie Gräber; nicht einmal mit Rohr gedeckte Hütten fand man bei
ihnen. Unstät durchstreiften sie Berge und Wälder, lernten von frühester Jugend an Frost, Hunger und Durst ertragen. Sie kleideten sich in leinene Gewänder, oder nähten sich solche aus den Fellen der Hamster und Feldmäuse zusammen, hatten beständig dasselbe Kleid und hielten es so lange am Leibe, bis es verschlissen war und in Fetzen auseinander fiel. Auf dem Kopfe trugen sie gekrümmte Mützen, um die Schenkel Bockshäute, an den Füßen formlose Schuhe, die keinen sichern Tritt zuließen. Eben darum waren sie auch zum Kämpfen zu Fuß ungeeignet; ihren häßlichen, aber dauerhaften Pferden waren sie dagegen wie angewachsen und verrichteten so ihre gewöhnlichen Geschäfte. Auf dem Pferde aßen und tranken sie, trieben Kauf und Verkauf und schliefen, an den Hals ihrer Thiere gelehnt. Auf ihnen hielten sie auch ihre Berathungen. In der Schlacht schaarten sie sich keilförmig zusammen und stürmten mit gräßlichem Geschrei auf den Feind los; hatten sie ihn geworfen, dann zerstreuten sie sich absichtlich und sprengten mordend und Alles uiedermetzelud über das Feld dahin. Ihre Waffen waren Wurfspieße, vorn mit harten Knochen versehen, im Nahkampf Schwerter und eine Schlinge, die sie plötzlich über den Feind warfen und ihn so kampfunfähig machten. Ackerban und Pflug kannten sie nicht, hatten keine festen Wohnsitze und keine Gesetze, zogen umher mit ihren Karren, in denen die Weiber mit den schmutzigen Kindern hausten und den Männern die Kleider verfertigten.
Sie waren treulos, unbeständig, durch jede neue Hoffnung erregbar, völlig unbekannt damit, was Recht und Unrecht sei, ohne Religion und Glauben, brennend vor Begierde nach Geld und so
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— 11 -
tau,md Menschen sechs Jahre gearbeitet haben, und der Kaiserrief, als er das Werk vollendet sah, in Bege.sterung ans: „Gelobt fei
Gott! Ich habe dich überwunden, Salomo."
Auch Handel und Gewerbe suchte Justinian zu heben, unter ibm wurde der Seidenbau in Europa eingeführt. Die alten Griechen und Römer kannten bereits die Seide, die sie durch den Karawanenhandel aus dem Innern Asiens erhielten; aber über den Ursprung derselben und die Art des Gewinnes waren sie tm Unklaren, durch die beständigen Kriege mit den Persern der Handel nach Indien und China unterbrochen wurde und in Folge dessen keine Seide mehr zu haben war, kamen zwei Mönche, welche auf ihrer Misstons-reise jene Länder besucht hatten, zum Kaiser Justinian, brachten ihm Puppen der Seidenraupe, die man Cocons nennt, und machten ihn mit dem Geheimniß des Seidenbaues bekannt. Auf den Wunsch des Kaisers wiederholten sie ihre Reise und brachten bei der Rückkehr Eier der Seidenraupen, deren Ausfuhr in China bei Todesstrafe verboten war, in hohlen Stäben mit. Die Eier wurden an der Sonne ausgebrütet und die jungen Raupen mit den Blattern des in Griechenland wachsenden Maulbeerbaumes gefüttert. Nachdem ste sich verpuppt hatten, ließ man einen Theil der Fortpflanzung wegen sich zu Schmetterlingen entwickeln, von einem anderen Theile gewann man den Faden, der dann auf die gehörige Weise weiter verarbeitet wurde. Von Constantinopel aus verbreitete sich der Seidenbau bald über ganz Griechenland und von da später nach Italien und
dem übrigen Europa.
Viele Noth verursachten dem Justinian die religiösen Streitigkeiten, mit denen sich bald die Parteien der Rennbahn verbanden. Die Wettfahrten im Circus waren eine Leidenschaft der Griechen und Römer; man stritt sich mit Heftigkeit um den Sieg, und die einzelnen Parteien, die sich durch Farben abzeichneten, wetteiferten, denselben ihrer Partei zuzuwenden. Die Hanptparteien waren die der Blauen und der Grünen, und da diese auch in religiöser Hinsicht Gegner waren, so verfolgten sie sich gegenseitig mit Haß und Erbitterung. Justinian war so unklug, sich in diese Händel zu mischen und sich für die Blauen zu erklären, die nun über die Grünen hersielen und ein schreckliches Blutbad unter ihnen anrichteten. Als der Kaiser, um diesen Unordnungen zu steuern, die
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Extrahierte Ortsnamen: Europa Asiens Indien China China Griechenland Constantinopel Griechenland Italien Europa
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Schlacht, die, anfangs für die Christen ungünstig, endlich durch die zeitige Dazwischenkunft Gottfrieds gewonnen wurde.
In der glühendsten Sonnenhitze zogen die Pilger weiter, stets mit Noth und Gefahren. kämpfend; dazu brachen Zänkereien und Streitigkeiten aller Art unter ihnen aus, die zur Trennung eines Theiles der Mannschaft vom Hauptheere führten. Man gelangte vor Antiochia in Syrien; die Stadt war stark befestigt und Monate vergingen, ehe man etwas ausrichtete. Dazu trat der empfindlichste Mangel an Lebensmitteln, so daß man sich vom Fleische der Pferde, die auf zweitausend herabgeschmolzen waren, von Leder, Baumrinde und noch ekelhafteren Dingen nähren mußte. Viele verließen das Heer, unter ihnen auch Peter, der jedoch auf der Flucht ergriffen und zurückgeführt wurde. In den Einzelkämpfen mit den Türken gab Gottfried Proben seines Muthes und seiner Körperkraft, indem er z. B. einen riesenhaften Türken vom Wirbel bis zum Sattel zerspaltete. Bald aber erschien eine Flotte aus Genua und brachte Lebensrnittel herbei; es zeigte sich jeboch noch immer keine Hoffnung auf Uebergabe, und der Sultan Kerboga nahte mit einem Heere von zweirnalhunberttausenb Selbschucken. Da gewann Bohemunb einen Mann in der Stadt, Namens Pyrrhus, der ihm einen der festen Thürme überlieferte. In der Nacht bemächtigten sich die Christen desselben und drangen in die Stadt, deren sie unter furchtbarem Gemetzel Meister wurden (1098). Die Belagerung hatte acht Monate gedauert.
Jetzt aber kam Kerboga herbei und belagerte die Christen selbst in der Stadt. Die Noth in berselben war bereits aufs Höchste gestiegen, als ein Priester, Petrus Bartholomäus, zum Grafen Raimunb kam mit der Melbung, der Apostel Andreas sei ihm im Traum erschienen und habe ihm angezeigt, wo in der Kirche des Apostels Petrus die H. Lanze verborgen sei, mit der die Seite des Heilandes durchstochen sei; durch diese würden sie siegen. Diese Lanze wurde denn auch wirklich gesunden, und die Christen, von neuer Kampfbegierde beseelt, machten einen Ausfall auf die zahllosen Schaaren der Feinde, die den wüthenden Angriffen nicht widerstehen konnten und eine vollständige Niederlage erlitten. Kerboga floh mit den Trümmern seines Heeres dem Euphrat zu.
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Extrahierte Personennamen: Gottfrieds Peter Gottfried Kerboga Namens_Pyrrhus Petrus_Bartholomäus Apostel Andreas Apostels Petrus
120
waren sie auch zum Kämpfen zu Fuß ungeeignet; ihren häßli-
chen, aber dauerhaften Pferden waren sie dagegen wie ange-
wachsen und verrichteten so ihre gewöhnlichen Geschäfte. Aus
dem Pferde aßen und tranken sie, trieben Kauf und Verkauf
und schliefen, an den Hals ihrer Thiere gelehnt. Auf ihnen
hielten sie auch ihre Berathungen. In der Schlacht schaarten sie
sich keilförmig zusammen und stürmten mit gräßlichem Geschrei
auf den Feind los; hatten sie ihn geworfen, dann zerstreuten
sie sich absichtlich und sprengten mordend und Alles niedermetzelnd
über das Feld dahin. Ihre Waffen waren Wurfspieße, vorn
mit harten Knochen versehen, im Nahkampf Schwerter und eine
Schlinge, die sie plötzlich über den Feind warfen und ihn so
kampfunfähig machten. Ackerbau und Pflug kannten sie nicht, hat-
ten keine festen Wohnsitze und keine Gesetze, zogen uniher mit ih-
ren Karren, in denen die Weiber mit den schmutzigen Kindern
hausten und den Männern die Kleider verfertigten.
Sie waren treulos, unbeständig, durch jede neue Hoffnung
erregbar, völlig unbekannt damit, was Recht und Unrecht sei,
ohne Religion und Glauben, brennend vor Begierde nach Geld
und so wankelmüthig, daß sie an demselben Tage ohne Grund
sich mit ihren Bundesgenossen entzweiten und ohne Veranlassung
sich wieder versöhnten. Unter diesem Volke trat Attila auf, ein
Mann von entschiedenem Talente zum Herrschen, ganz Hunne in
seiner äußern Erscheinung, von untersetzter Statur, nckt wild rol-
lenden Augen, deren zorniger Blick kaum zu ertragen war, übri-
gens schlicht, einfach und müßig in seiner Lebensweise; denn
während er, nachdem das Reich der Hunnen vergrößert und be-
festigt war, seiner Umgebung erlaubte, in Pracht und Ueppigkeit
zu leben und von den zusammengeraubten Reichthümern zu schwel-
gen, begnügte er sich mit einfachen Speisen, und während jene
sich goldener und silbener Geschirre bedienten, gebrauchte er höl-
zerne Gefäße und Schüsseln. Seine Residenz hatte er in Un-
garn zwischen Donau und Theiß, in Form eines großen Dorfes;
sie war kreisförmig, mit Pfahlwerk umgeben und zeigte allen
Luxus der Höfe von Constantinopel und Ravenna. Von seinen
Hunnen wurde er wie ein höheres Wesen angesehen, sie hielten
ihn für unbesiegbar und glaubten, der Kriegsgott selbst habe ihm
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]
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119
§ 3. Attila, der König der Hunnen. (450 n. Chr.)
Als ein Mann, der eine gewaltige Bewegung zu seiner Zeit
hervorrief und auch auf die Verhältnisse der deutschen Völker-
schaften mächtig einwirkte, ist Attila zu nennen. Die Hunnen,
von denen wir oben schon gehört haben, waren nach ihrem er-
sten Erscheinen in Europa in den Ländern zwischen Don und
Donau, also in Ungarn, Siebenbürgen, Bessarabien und dem
südlichen Rußland geblieben; von dort aus hatten sie mehrere
Raubzüge nach verschiedenen Richtungen gemacht, waren aber
nicht besonders gefährlich geworden, weil ihre Macht zwischen
zahlreiche Stammfürsten getheilt war. Dies änderte sich aber,
als um das Jahr 430 einer der Hordenführer Attila in Ver-
bindung mit seinem Bruder Bleda die übrigen Fürsten theils
tödtete, theils verjagte und so eine Vereinigung der Hunnen zu
Stande brachte. Uebrigens möchte es hier an der Stelle sein,
nach einem alten Schriftsteller jener Zeit eine kurze Schilderung
dieses Volkes zu geben. Sie waren klein von Wuchs, von star-
kem Knochenbau, breitschultrig, braungelb von Farbe, hatten
kleine, tiefliegende Augen, einen dicken Kopf, einen fleischigen
Hals und krumme Beine. Ihr Aussehen war so scheußlich, daß
man sie eher für Bestien als Menschen hielt und man sie mit
roh zugehauenen Brückenpfosten vergleichen konnte. Dabei war
ihre Lebensweise so roh, daß sie weder Feuer noch zubereiteter
Speisen bedurften, sondern Wurzeln, wilde Kräuter und halb-
rohes Fleisch beliebiger Thiere genossen, welches sie zwischen ih-
ren Schenkeln und dem Rücken der Pferde mürbe machten.
Häuser kannten sie nicht, flohen sie vielmehr wie Gräber; nicht
einmal mit Rohr gedeckte Hütten fand man bei ihnen. Unstät
durchstreiften sie Berge und Wälder, lernten von frühester Ju-
gend an Frost, Hunger und Durst ertragen. Sie kleideten sich
in leinene Gewänder, oder nähten sich solche aus den Fellen der
Hamster und Feldmäuse zusammen, hatten beständig dasselbe
Kleid und hielten es so lange am Leibe, bis es verschlissen war
und in Fetzen auseinander fiel. Auf dem Kopfe trugen sie ge-
krümmte Mützen, um die Schenkel Bockshäute, an den Füßen
formlose Schuhe, die keinen sichern Tritt zuließen. Eben darum
TM Hauptwörter (50): [T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien]]
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Extrahierte Personennamen: Attila Attila Attila Bleda
Extrahierte Ortsnamen: Europa Donau Ungarn Bessarabien
K Die Airchentrennung.
lichen Standes, wenigstens inseinen meisten Gliedern, —-
denn einzelne weise, kcnntrußreiche Männer konnten die
Finsterniß der größeren Menge nicht erhellen. Und wie aus
der Finsterniß des Geistes immer das Laster folgt, welches
nur durch L icht zu verscheuchen ist, so waren auch damahls
eine Menge Geistlicher von Sünden befleckt, den Guten ein
Abscheu, dem Bolke ein Aergerniß. Im Jahr 1503, also
geraume Zeit ehe Luther auftrat, schilderte einer der ersten
Theologen Deutschlands das Sinken des geistlichen Stan-
des mit starken Zügen. »Das Studium der Gottesgeiahrt-
heit ist verachtet, sagteer, das Evangelium Christi, wie
die herrlichen Schriften der Vater, "vernachlässigt; vom
Glauben, von der Frömmigkeit, Mäßigkeit und andern Tu-
genden , welche selbst die bessern Heiden gepriesen, von den
Wundern der Gnade Gottes gegen uns, und von Jesu Ver-
diensten ist bei ihnen ein tiefes Stillschweigen. Und sol-
che Leute, die weder Philosophie noch Theologie verstehen,
werden zu den höchsten Würden der Kirche, zum Hirtcnamt
über die Seelen erhoben! Daher der jammervolle Verfall
der christlichen Kirchen, die Verachtung der Geistlichen,
der gänzliche Mangel an guten Lehrern! Das ruchlose Le-
den der Geistlichen schreckt gutgesinnte Ettern ab, ihre
Söhne diesem Stande zu widmen. Sic setzen die Erfor-
schung der heiligen Schrift gänzlich hintan, verlieren bcu
Geschmack an ihrer Schönheit und Kraft, werden träge und
lau in ihrem Amt und begnügen sich, wenns nur gcthan,
gesungen und gepredigt, und bald Wiederaus ist! Mit ei-
nem Menschen, der ihnengeld schuldig ist, reden sie ernst-
hafter und besonnener als mit ihrem Schöpfer. Aus langer
Weile bei ihrem Amt verfallen sie, anstatt auf Bücher, auf
Spiel und Schwelgen und u u z ü ch tigcs Leben,
ohne sich aus der allgemeinen Verachtung im mindesten et-
was zu machen. Wie ist es also nur möglich , das bei sol-
chem Zustande die Laien sie und die Religion irgend achten
können?. Das Evangelium nennt den Weg' zum Himmel
enge, sie aber machen ihn breit und lustig.«
Daß solche Schilderung nicht zu stark war, sehen wir
aus hundert andern, unverdächtigen Zeugnissen. Und ob-
gleich die Mönche eben jenen Lehrer, dersieso hart getadelt,
beim Papste Julius H. anklagten, so hatte er doch die Wahr-
heit so sehr auf seiner Seite, daß ihn die päpstlichen Com-
mißaricn selbst lossprachen. Völlig einstimmig, mit jenen
Klagen redet der fromme Bischof von Augsburg, Christoph
von Stadion, in einer Synodalrede an seine Geistlich-
keit; er wirft ihnen die gröbsten Laster vor, durch welche
die Kirche und das Volk mit verschlimmert werden müßten;
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TM Hauptwörter (200): [T58: [Kirche Lehre Luther Schrift Bibel Gott Christus Bischof Papst Wort], T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T167: [Fest Tag Kirche Jerusalem Spiel Stadt Hofer Volk Jahr Zeit]]
Extrahierte Personennamen: Jesu Julius_H. Christoph
von_Stadion
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Christi Augsburg
%2 Vi« Ztr. Karl V. bis zum westph. Fried. 1520 —* 1648.
jahre selbst durch neue Zwiste in seinem Hause. Seinen
Bruder Matthias betrachtete er mit Widerwillen; auch von
den Uebrigcn war 7hm keiner lieb, außer dem schon erwähn-
ten Leopold, Bischof von Paffau; diesem wünschte er sein
letztes Land Böhmen zu verschaffen, und ließ deshalb, nach
übel berechnetem Plane, im Jahr 1611 geworbenes Kriegs-
volk aus Passau in Böhmen einrücken. ' Die böhmischen
Stände, welche dabei eine feindselige Absicht gegen ihre
Religion vermutheten, griffen zu den Waffen, schloffen den
Kaiser in seiner Burg zu Prag ein, und riefen den Mat-
thias, welcher schon früher die Anwartschaft auf die böh?
milche Krone erhalten hatte, herbei. Unter lautem Jubel
zog er in Prag ein, und Rudolf mußte, nach bitrern und
kränkenden Verhandlungen, auch diese Krone seinem Bru-
der abtreten. In diesen trüben Tagen soll er cinmahl im
Unmuthe das Fenster seines Zimmers aufgerissen und diese
Worte hinausgerufen haben, welche wie eine böse Verkün-
digung angesehen werden können: „Prag, du undankbares
Prag, durch mich bist du erhöht worden, und nun stoßest
du deinen Wohlthäter von dir! Die Rache Gottes soll Dich
verfolgen, und der Fluch über dich und ganz Böhmen
kommen!"
Es blieb ihm von allen seinen Kronen nur noch die kai-
serliche; vor der Schmach, auch diese zu verlieren, wie
es nicht ohne Anschein war, bewahrte ihn der Tod, wel-
cher ihn bald nachher, in seinem Oosten Jahre, den 20 Ja-
nuar 1612, wegnahm. ; Er sah demselben mit Ruhe und
sogar mit Freudigkeit, als einen Befreier aus tausendfachen
Sorgen, entgegen.
23. Matthias. 1612 — 1619
Die Wahl des neuen Kaisers fiel auf den Aeltesten des
östreichischen Hauses; sie geschah zu Frankfurt den 13. Juni
und die Krönung, mit fast nie gesehener Pracht^, den 24sten.
Außer dem Churfürsten von Brandenburg waren alle andere
Ehurfürsten und eine große Menge von Fürsten zugegen;
es war, wie ein Geschichtschreiber sagt, als wolle man
für immer Abschied von einander nehmen; denn so sind die
deutschen Fürsten nachher nie wieder zusammen gewesen.
Der König Matthias hatte allein in seinem Gefolge 3000
Menschen, 2000 Pferde und 100 sechsspännige Wagen;
und dre andere Fürsten erschienen nach ihrem Vermögen
fast mit gleichem Aufwande. Feste folgten auf Feste, und
wer die große, glanzende und fröhliche Versammlung sah,
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Extrahierte Personennamen: Karl_V. Karl_V. Matthias Leopold Leopold Rudolf Rudolf Matthias Matthias