F. Mitteleuropa, Die Deutschen. 275
Schon in alter Zeit unterschieden sich (namentlich nach der Sprache) Go-
then, Ober- und Niederdeutsche, die letzteren beiden wieder unter sich
enger verwandt. Die reichbegabten Gothen, deren Sprache in Ulfila's Bi-
belwerk erhalten «ist, sind später fast spurlos iu andere Völkern aufgegangen.
Die Grenze zwischen Ober- und Niederdeutschen, zieht nördlich von 51" N. Br. hin.'")
1. Die Oberdeutschen sind im Ganzen weniger breit gebaut
als die Niederdeutscheu, lebhafter, beweglicher, von rascher Auffassung, leich-
ter sich anschließend, auch an Fremde, ungezwungener (natürlicher), von
reger Phantasie, musikalisch sehr begabt, zumal in ihren Bergen die
Töne oft kräftig und schön hallen.20)
a. Die Alemannen (= ganz Männer) wohnen zwischen Was gen- und
Schwarzwald, in der Schweiz (hier z. Th. mit Burgunder! gemischt) und
in West-Tirol. Sie sind aufgeweckt, launig, anstellig, sehr thätig,
z. Th. auch ernst in sich gekehrt; im W. haben sie etwas französisches Wesen
angenommen.
Von frühester Zeit au mit ihnen immer die Schwaben (Suevi =
schweifende Leute) genannt, zwischen Schwarzwald und Lech, nördlich bis zum
mittleren Neckar hin wohnhaft, nicht minder launig, doch mehr in sich ge-
kehrt, tiefsinnig, auch auf religiösem Gebiet (selbst religiöse Schwärmer unter
ihnen), für Dichtung und Wissenschaft reich begabt, von hohem idealen Schwung
(§ 355). Hohen Werth legen sie auf völlige Unabhängigkeit und Eigenartigkeit des
Charakters 21).
b. 5öaiern22) (nebst Oesterreichern), im O. des Lech, auch in Ost-Tirol.
Sie sind in einiger Hinsicht den Niederdeutschen ähnlich, gleich diesen
kräftig, wohlgenährt, (Bairisches Bier!), derber und langsamer als die an-
dern Oberdeutschen, zäher, fest anch am Herrscherhaus und der alten Reli-
gion hangend, doch gleich den andern Süddeutschen ungezwungen, zu Ge-
müthlichkeit und Kurzweil geneigt, trotz einiger Verschlossenheit sich der Gesellig-
keit leicht hingebend; die Bauern sind großentheils rauflustig, wallen nicht fel-
ten jähzornig auf und kennen sich dann kaum selbst.
Die Oesterreicher sind viel gewandter, vielseitiger und lebenslustiger,
musikalisch am höchsten begabt. (§ 360.)
c. Die Franken am Main und Rhein (von der Lauter bis nach
Düsseldorf hin), in Hessen, z. Th. selbst im Vogtlande und Erzgebirge. Sie
sind der vielseitigste deutsche Stamm, wie sie auch am meisten in der Mitte zwischen
Conjugatiou neben der starken, was namentlich im Deutschen kräftig hervortritt; die
starke Fähigkeit zur Bildung von Zusammensetzungen hat das Deutsche mit dem Grie-
chischen gemein.
19) Die Grenze beginnt 3 M. südöstlich von Löwen, zieht dann über Kreseld, Bar-
mm und die Mündungen der Fulda, Saale und Lausitzer Neiße bis 3 M. nordöstlich
von Meseritz. Nördlich davon nur nock eine oberdeutsche Sprachinsel in Ostpreußen,
z. Th, durch die von Friedrich Wilhelm Ii. ausgenommenen Salzburger gebildet.
20) Die Oberdeutschen waren während der Glanzzeit des deutscheu Reichs im Mit-
telalter die hauptsächlichsten Träger deutscher Bildung und Macht und sind in der
Mehrzahl (namentlich große Theile in Schwaben und Franken ausgenommen) katho-
lisch geblieben.
21) Darum widerstreben sie auch oft mit Heftigkeit dem Zwang, den äußere Ver-
Hältnisse auferlegen, und neigen z. Th, zu extremen Ansichten.
22) Baiern — Boioarii, so einst genannt, weil sie einen Völkerbund im Lande der
früheren Boi, einer keltischen Völkerschaft bildeten (um 500). Sie haben sich aus alten
Markomannen, Ostgothen und Langobarden gebildet. 1q*
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
6. Wesen der Romanze und der Ballade.
295
als die Begriffe Romanze und Ballade *. Suchen wir für unsern Zweck,
ohne diese verschiedenen Auffassungen, die oft schnurgerade einander ent-
gegenstehen, aufzuzählen, ohne ferner auf eine Begründung der einen und
Widerlegung der andern Ansicht einzugehen, aus der Grundlage der histo-
rischen und nationalen Entwicklung zunächst das Wesen der
Romanze und der Ballade zu bestimmen und sodann einen kurz gefaßten
Begriff derselben zu geben.
a) Itomanze.
Der Ursprung der Romanze ist in Spanien zu suchen. Als zu An-
fang des 5. Jahrhunderts die Westgoten in die Pyrenäische Halbinsel
eindrangen und sich seit dem Jahre 419 im nördlichen Teile derselben
seßhaft machten, entstand aus der Vermengung der lateinischen Volks-
mundart (lingua Romana rustica im Gegensatze zur lingua Latina)
und der westgotischen Sprache ein neues Idiom, die lingua Romanza,
das spanische Romanzo. Richt gar lange währte es, da nannte man auch
jeden in dieser Volkssprache, der lingua Romanza, abgefaßten Gesang
Romanze. Naturgemäß war aber diese Poesie nicht bloß in der Volks-
sprache verfaßt, sondern sie entsprach auch dem Volkstone, wie ihr ganzer
Inhalt volkstümlich war. Was aber war nun in jenen Zeiten, in
welchen mit der Entwicklung der spanischen Sprache allmählich die Ro-
manze sich ausbildete, das eigentlich Volkstümliche?
Als nach der Schlacht bei oberes de la Frontera (711) die moham-
medanischen Araber Herren von Spanien geworden, sahen sich die christ-
lichen Westgoten gezwungen, in den unwegsamen Gebirgsländern von
Biscapa, Asturien und Galicien eine Zufluchtsstätte zu suchen. Mit der
Zeit unternahmen sie von diesen Bergasylen aus heldenmütige Kämpfe
gegen ihre politischen und religiösen Widersacher, die sie aber nur mit der
größten Anstrengung nach und nach auf den Osten und Süden der Halb-
insel einschränken konnten. So wurde erst nach hundertjährigem Kampfe
das Königreich Leon, dann die Grafschaft Burgos gegründet, welche bald
von den zahlreichen, zur Abwehr der Mauren erbauten Kastellen den
Namen Kastilien erhielt. Ununterbrochen währte Jahrhunderte hindurch
der Kampf: stürmisch war der Angriff, hartnäckig die Verteidigung, aber
mit jedem Fuße eroberten Landes wuchs der Mut und die Begeisterung.
Daher dachte das Volk nur an Kampf und Sieg. Was so das ganze
Volk bewegte, was das stete Denken und Streben eines jeden einzelnen 1
1 Echtermeyer und einige andere, die ihm folgen, nehmen noch eine dritte
Gattung der hierher gehörenden Gedichte an, indem sie zwischen Romanze und
Ballade die Märe oder Rhapsodie setzen. Uns scheint jedoch diese Annahme die
Bestimmung der Grenzen jener Begriffe eher zu erschweren als zu erleichtern.
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TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T33: [Stadt Meer Italien Neapel Hauptstadt Rom Insel Genua Spanien Land], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
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Zweite Periode. § 4. Heidnischer Volksgesang und Sagenbildung.
9
Erste Periode, bis 806.
8 4.
Heidnischer Volksgesang und Sagenbildung.
Nach der Überlieferung des römischen Schriftstellers Tacitus (etwa
von 54 bis 117 n. Chr.; Osrin. 2 und 3 und Annales 2, 88) bestand
schon frühzeitig bei unsern Vorfahren ein Volksgesang, durch welchen
sie bald ihre Götter und Helden feierten, bald zur Schlacht sich anfeuerten
(der Vortrag dieses Liedes hieß barditus — Bartlied zu Ehren des bärtigen
Gottes Donar oder Schildgesang vom altnordischen bardhi — Schild),
bald bei fröhlichem Mahle sich ergötzten. Von der Sitte, die Taten hervor-
ragender Helden durch Lieder unter Begleitung der Harfe zu feiern, berichtet
auch Jordanes (um 550) in seiner Gotengeschichte betreffs des aus den
Katalaunischen Feldern gefallenen Königs Theoderich (ff 452). Dieselbe
Sitte lernen wir im Beowulfsliede kennen („Sie verkündeten sein ritter-
liches Wesen und priesen mächtig seine Heldentat").
Die Zeit der Völkerwanderung im 4., 5. und 6. Jahrhundert
gab sodann dem poetischen Geiste und der leicht empfänglichen Phantasie
des jungen Volkes neue Nahrung; es entstanden im Anschluß an hervor-
ragende Heldengestalten bestimmte Sagenkreise, in denen Histo-
risches mit Mythischem (Mythus = Dichtung der Volksphantasie über das
Walten der Götter und der Naturkräfte) sich mischte, und manches, was
nach Ort und Zeit getrennt war, innig verbunden wurde. So bildeten
sich folgende sieben Sagenkreise:
1. Der ostgotische, in welchem der Held der älteren Sage, Er-
men rich, den tapfern greisen Gotenkönig Hermanrich darstellt, der den
Untergang seines Reiches durch die Hunnen nicht überleben wollte und
sich im Jahre 375 den Tod gab. Der Held der jüngeren Sage ist
Theoderich der Große (ff 526), welcher nach der Gründung eines ost-
gotischen Königreiches in Italien seine Residenz in Ravenna, oft auch in
Verona hatte, weshalb ihn die Sage Dietrich von Bern, „Volksfürst
von Verona", nennt. Der Sage nach von Odoaker besiegt (umgekehrt in
der Geschichte), lebt er verbannt mit seinen! Waffenmeister Hildebrand
längere Zeit am Hofe des Königs Etzel in Ungarn.
2. Der fränkische oder niederrheinische, dessen Held Siegfried von
Niederland ist mit dem Wohnsitze in Xanten. Schon frühzeitig machten
sich in diesem Sagenkreise mythische Einflüsse geltend.
3. Der burgundische, dessen Helden der Burgundenkönig Günther
(Gundikar der Geschichte, 437 mit seiner Macht durch die Hunnen ver-
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