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Fünfte Periode, von 1500—1624.
können; die Reformation erzeugte freilich eine große Blüte des schon
früher gepflegten Kirchenliedes, im übrigen aber nur die Satire,
die in den religiösen Streitigkeiten eine viel angewandte und wichtige
Waffe werden sollte. Dem Kampf des Wortes und der Schrift folgte
dann im Dreißigjährigen Kriege, der die unheilvollste Zeit über das zer-
rissene Deutschland heraufbeschwor, der Kampf der Waffen, der die Poesie
vollends brach legte.
Wie sehr auch zuletzt die Ausbreitung der Buchdruckerkunst (Er-
findung 1450) die Verbreitung der neuen Ideen förderte und sich sowohl
dem Humanismus als der Reformation dienstlich erwies, so konnte sie bei
der Lage der Verhältnisse auf die Poesie einen wirksamen Einfluß nicht
ausüben. Dagegen diente sie sehr der Ausbreitung der in mächtigem Auf-
schwung begriffenen Prosa, die durch Luther an Fülle, Kraft und
Volkstümlichkeit bedeutend gewann. Diese Eigenschaften hielt die
Prosa jedoch in der zweiten Hälfte der Periode nicht fest, da Derbheit
und Schwerfälligkeit bei ärgster Sprachmengerei die Überhand gewannen.
Auch die Verskunst war verloren gegangen, da man die Silben
im Verse ohne Rücksicht auf ihren Akzent einfach zählte. Mit der Ver-
nachlässigung des Metrums trat auch eine Nichtbeachtung der Regeln des
Reimes ein, indem man sich mit einer nur geringen Ähnlichkeit des Klanges
begnügte und oft, um einen Reim zu erhalten, den Wörtern gewaltsamen
Zwang durch Verstümmelung antat. Nur im Volks- und im Kirchenliede,
die wegen des Gesanges schon ein bestimmtes Metrum forderten, erhielt
sich der deutsche Versbau.
Bedeutendere Erscheinungen auf dem Gebiete der Poesie sind
daher in dieser Periode nur selten.
A. Me epische Woesie.
8 2.
Volks- und Kunstepos der ersten Blüteperiode sind fast völlig in
Vergessenheit geraten, ja fast ganz unbekannt geworden. Wir finden auf
epischem Gebiete nur erzählende Dichtungen. In diesen sind hervor-
ragend tätig:
1. Kans Sachs (1494—1576).
Hans Sachs, geb. im Jahre 1494 zu Nürnberg als Sohn eines
Schneiders, besuchte die lateinische Schule seiner Vaterstadt und wurde
mit 15 Jahren Schuhmacherlehrling; gleichzeitig lernte er bei dem Lein-
weber Nunnenbeck die „holdselige Kunst" des Meistergesanges. Schon
nach zwei Jahren begab er sich auf die Wanderschaft und besuchte die
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§ 16. Oden und Lieder von Klopstock.
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Und unerforschlichsten ist: Er hat zu sterben beschlossen!
Ach, nun reißt sie von neuem mir auf, die Wund' in der Seele!
Deine Gespräche von Gott bedeckten sie leise; nun reißt sie
Wieder auf und blutet, die tiefe Wunde! Dich segne
Gott, ja Abrahams Gott, er segne dich! Aber, o wende
Dies dein weinendes Auge von mir! Es tröstet umsonst mich.
230. Denn er beschloß zu sterben und stirbt!" Die Stimme verließ sie.
Lange standen sie beide mit weggewendetem Antlitz.
Endlich, wie ein Sterbender sich noch einmal zum Freunde
Kehrt, sprach Portia noch: „O du, du teu'rste der Mütter!
Mutter, ich geh' und weine mit dir bei dem Grabe des Toten!" —
§ 16.
2. Klopstocks Oden und Lieder.
Bedeutender als im „Messias" erscheint Klopstock in den Oden, die
erfüllt sind von christlichem und echt deutschem Geiste. In ihnen,
die nach Herders Wort so recht „eine Poesie des Herzens und der Emp-
findung" sind, entfaltet er inhaltlich den höchsten Schwung seiner
Lyrik und bekundet äußerlich eine reiche metrische Kunst. Treffend
sagt Herder in seiner Rezension der Oden (1798): „Klopstocks Oden
sind erstlich Gesang. Also erhebe man die Stimme und lese sie vor,
auch wenn man sie sich selbst liefet. Kaum hat unsere Sprache ein Buch,
in dem so viel lebendiger Wohllaut in melodischer Bewegung so leicht und
harmonienreich tönet wie in diesem. Zweitens hat im großen Umfange
der dargelegten Ansichten und Empfindungen jeder Gegenstand seine Farbe,
jede Empfindung ihren Ton, jede Situation ihre Haltung, so daß kein
Stück dem andern gleich ist. Drittens werden Klopstocks Gedichte durch
edle Gesinnungen charakterisiert. Seine jugendlichen Gesänge hauchten
eine jugendlich paradiesische Liebe; mit dem Händedruck der männlichen
Freundschaft schlossen sich andere dem Leser ans Herz; andere belebte
Religion und eine heitere Weisheit. Die aus dem reiferen Alter des
Dichters verleugnen ihre jüngeren Schwestern nicht; der süße Most ist guter
alter Wein geworden, im goldenen Becher deutscher Treue mit griechischen
Rosen umlaubt; es herrschen in ihnen die Gesinnungen der Vaterlands-
liebe, Menschlichkeit und Weisheit."
Der Inhalt bezieht sich auf Gott, Natur, Liebe, Freund-
schaft, Vaterland und Literatur. Ihren Grundton bildet reli-
giöse Begeisterung. Erhabene Gedanken und kühne Bilder fesseln
den Leser, der die Mühe nicht scheut, sich in dieselben zu vertiefen. Mag
auch der Flug der Phantasie den Dichter oft zu überraschenden Sprüngen
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16. Oden und Lieder von Klopstock.
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solcher Entschiedenheit gegeben hat, daß das ganze nach Klopstock folgende
Jahrhundert lediglich von ihm zu lernen hatte."
Viel geringere Bedeutung haben Klopstocks Kirchenlieder; dieselben ent-
halten viel rhetorisches Pathos, geringen sinnlichen, anschaulichen Ausdruck
und entbehren daher des schlichten Volkstones des echten Kirchenliedes;
sie können somit nur als des Dichters „ästhetisch verfeinerte Religions-
empfindungen" gelten und haben meistens keinen Eingang zu finden vermocht.
Die folgenden Oden sind geordnet nach ihrem Inhalt (s. S. 63).
1. Dem Erlöser.
(1751.)
Der Seraph stammelt, und die Unendlichkeit
Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach
Dein hohes Lob, o Sohn! Wer bin ich,
Daß ich mich auch in die Jubel dränge?
Vom Staube Staub! Doch wohnt ein Unsterblicher
Von hoher Abkunft in den Verwesungen
Und denkt Gedanken, daß Entzückung
Durch die erschütterte Nerve schauert.
Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung sein,
Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut.
Und andrer Schauer Trunkenheiten
Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken.
Der Leben Schauplatz, Feld, wo wir schlummerten,
Wo Adams Enkel wird, was sein Vater war.
Als er sich jetzt der Schöpfung Armen
Jauchzend entriß und ein Leben dastand,
O Feld, vom Aufgang bis, wo sie untergeht.
Der Sonnen letzte, heiliger Toter voll,
Wann seh' ich dich? Wann weint mein Auge
Unter den tausendmal tausend Tränen?
Des Schlafes Stunden oder Jahrhunderte,
Fließt schnell vorüber, fließt, daß ich aufersteh'!
Allein sie säumen, und ich bin noch
Diesseit am Grabe! — O helle Stunde,
Der Ruh' Gespielin. Stunde des Todes, komm!
O du Gefilde, wo der Unsterblichkeit
Dies Leben reift, noch nie besuchter
Acker für ewige Saat, wo bist du?
Hense, Lesebuch. Ii. 4. Aufl.
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